Botschafter des Heils in Christo 1875

Das Gewebe von zweierlei Stoffen - Teil 1/2

Der Pfad der Kirche ist so überaus enge, dass ein bloß moralisches Verständnis sich da immer täuschen wird. Dennoch können wir uns darüber freuen, weil der Herr uns nach der Wahrheit seiner Wege geübt wissen will, um nicht nach menschlichen Begriffen über das Gute und Böse zu urteilen, sondern mit den Gedanken Christi erfüllt zu sein.

Das durch Elias an den Hauptleuten des Königs von Israel ausgeübte Gericht und die darauf gemachte Anspielung in den Evangelien haben diesen Gedankengang bei uns wachgerufen (Lk 9,52–56). Der Herr hatte in dem Gefühl, dass die Tage seiner Aufnahme sich erfüllten, sein Angesicht festgestellt, nach Jerusalem zu gehen und in dem Bewusstsein seiner persönlichen Würde Boten vor sich hergesandt. Auch die Jünger schienen einen Eindruck von der Würde ihres Herrn zu haben und wollten deshalb, empört über die verweigerte Aufnahme seitens der Samariter, wie Elias Feuer vom Himmel auf dieselben herabfallen lassen.

Wenn wir an die Person und Rechte dessen denken, der also verkannt und verschmäht worden war, so erblicken wir in dem Begehren der Jünger nichts Ungerechtes, sondern betrachten es vielmehr als ganz natürlich. Und der Tag wird kommen, wo die Feinde Christi, die nicht wollten, dass Er über sie herrsche, vor Ihm getötet werden. Die Zuneigung der Jünger, welche sich in dieser Aufwallung kundgab, war keine Übertreibung, sondern das Ergebnis einer heiligen Eifersucht für ihren göttlichen Lehrer. Sie besaßen einen ehrenwerten Eifer, den das moralische Verständnis vollkommen rechtfertigen konnte; nichtsdestoweniger aber, wie wir sehen, bestraft sie der Herr, jedoch nicht etwa deshalb, weil sie über die Rechte dessen, für welchen sie Partei nahmen, zu hoch gedacht haben. Keineswegs: denn die Rechte werden sich, wie bereits bemerkt, eines Tages geltend machen. Aber den Jüngern mangelte die geistliche Einsicht der Stellung des Herrn in jenem Moment. Sie urteilten nicht nach dem „Gedanken Christi“ und besaßen keine „Einsicht in die Zeiten, zu wissen, was Israel tun musste“ (1. Chr 12,32). Nicht als ob der Herr einen moralisch falschen Grundsatz bei ihnen entdeckt hätte, sondern sie waren in Unwissenheit über den wirklichen und göttlichen Charakter des Moments, den sie durchschritten. Sie verstanden damals ebenso wenig, wie jetzt Tausende von Christen, dass der Pfad zur Herrlichkeit nicht durch das Recht, die Welt zu richten, sondern durch die Verleugnung dieses Rechtes charakterisiert ist. Nach den Gedanken der Jünger war es ganz natürlich, dass die ihrem Herrn widerfahrene Schmach ihre Vergeltung empfangen, und dass, wenn die Aussicht auf die Herrlichkeit den Geist ihres Lehrers erfüllte und sie selbst unter dem Eindruck eines ähnlichen Gefühls vor seinem Angesicht hergingen, um Ihm den Weg zu bereiten, jedes sich ihnen entgegenstellende Hindernis beseitigt werden müsse. Aber die Gedanken Christi waren ganz anders; und diese allein können den Gläubigen vollkommen leiten. Ohne Zweifel existierten zahlreiche und beachtenswerte Beziehungen zwischen den Umständen des Herrn und denjenigen des Elias. Dieser befand sich nur noch wenige Schritte von der Herrlichkeit entfernt und sollte bald in dieselbe aufgenommen werden, als er zu verschiedenen Malen die Hauptleute und ihre Fünfzig schlug. Er befand sich auf einem Berg im Vorgenuss der glänzendsten Aussichten; die Wagen Israels und seine Reiter nahten, so zu sagen, heran und schimmerten seinen Augen schon entgegen (2. Kön 2,12). Und in den Augen der Jünger gab es bei dieser Gelegenheit zwischen der Seele ihres Herrn und derjenigen des Elias eine völlige Übereinstimmung. Allein solche Ähnlichkeiten müssen, weit entfernt, ein Führer zu sein, geprüft und oft durch die geistliche Einsicht verurteilt werden. Sie genügen hier nicht; vielmehr erzeugt ihre Anwendung nur Verwirrung, weil sie den Herrn nötigt, den Tag der Gnade in den Tag des Gerichts zu verwandeln, und Ihn auffordert, im Geist der Zeit des 11. Kapitels der Offenbarung zu handeln, während Er sich in der Stunde von Lukas 4,21–30 befand. Die Zeugen in Offenbarung 11 können durch den Tod ihrer Feinde zum Himmel gehen und gleich wie Elias Feuer aus ihrem Mund ausgehen lassen, ihre Feinde zu verzehren; aber Jesus ging auf dem Weg der Errettung und nicht der Zerstörung des Menschen; auf dem Weg der Verleugnung der Welt und nicht auf dem des Gerichts zum Himmel. Elias ward in den Himmel aufgenommen, nachdem er sich zuvor an den Hauptleuten, welche ihn beschimpften, gerächt hatte; und auch die Zeugen steigen angesichts ihrer Feinde zum Himmel empor; aber Jesus ward von Gott hoch erhoben, nachdem Er sich zuvor erniedrigt hatte und bis zum Tod des Kreuzes gehorsam gewesen war. Ähnlich verhält es sich jetzt mit der Kirche und jedem einzelnen Heiligen, wie geschrieben steht: „Ihr aber seid es, die mit mir ausgeharrt haben in meinen Versuchungen; und ich verordne euch ein Reich, gleich wie es mir mein Vater verordnet hat.“

Die Ausübung des Vorschlags der Jünger würde also einen völligen Umsturz in den Absichten Gottes herbeigeführt haben; und unwillkürlich werden wir dabei an die Knechte im Gleichnis vom Unkraut erinnert. Diese hatten, wie auch die Jünger, nach menschlichem Urteil einen gerechten Grund für ihre Vorschläge. Denn ohne Zweifel ist es erforderlich, den Weizen zu reinigen, weil das Unkraut die demselben so nötige Kraft des Bodens aussaugt, während es selbst gänzlich wertlos ist. Allein der Herr, dessen Gedanken stets in Übereinstimmung mit den Geheimnissen Gottes sind, sagt im Gegenteil: „Lasst es beides zusammenwachsen bis zur Ernte.“ Nach den Absichten Gottes sollte bezüglich des Ackers eine Ernte mittelst der Engel stattfinden; und erst dann sollte das von dem Weizen getrennte und in Bündeln gebundene Unkraut mit Feuer verbrannt werden, während es für den Augenblick die Geheimnisse Gottes, diese überaus köstlichen und glorreichen Gedanken und Ratschlüsse des Himmels, erheischten, dass der Acker in seinem Zustand bliebe, ohne gereinigt zu werden. Man wird stets den rechten Weg verfehlen, wenn man nicht im Licht des Herrn und in der Erkenntnis dieser Geheimnisse wandelt. Der Pfad der Kirche führt ebenso wenig durch eine gereinigte, geordnete und verschönerte Welt zum Himmel, wie derjenige des Herrn durch eine gerichtete Welt. Diese Betrachtung ist umso beachtenswerter, da wir die Christenheit unserer Tage gerade das Gegenteil von all diesem tun sehen. Sie ist bemüht, den Acker zu reinigen und hat denen, die sich Jünger Christi nennen, das Schwert in die Hand gegeben; sie will weder die Zeit der Ernte abwarten, noch nach einem „anderen Dorf“ gehen. Anstatt zu leiden, sucht sie die Beschimpfungen zu rächen und regelt die Kirche nach den Grundsätzen einer wohl organisierten Nation und nicht nach dem Muster eines von der Welt verworfenen Christus. Ich weiß sehr wohl, dass es inmitten dieser Zustände noch Tausende von Christen gibt, deren Herzen in aufrichtiger Liebe für Christus schlagen; in der Tat aber trägt jeder, der nicht nach den Gedanken Christi wirkt, zum Fortschritt des Bösen bei; denn „wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut“ (Lk 11,23). Der Feind kann seine Handlungsweise ändern; aber er ist deshalb nicht weniger der Fürst dieses Zeitlaufs und nach dem Gleichnis in Lukas 11,24–26 noch immer der Besitzer des Hauses. Und obwohl der unreine Geist davon ausgegangen ist, so ist er doch noch nicht durch einen Stärkeren in einer Weise hinausgeworfen worden, dass dessen Recht über das Haus offenbart wäre. Deswegen wird der unreine Geist auch später wieder mit noch sieben anderen Geistern, böser, als er selbst ist, in dasselbe zurückkehren und es, da es gekehrt und ausgeschmückt ist, umso mehr zur Erreichung seiner Absichten geeignet finden.

Übrigens sind die Irrtümer, welche wir zu bezeichnen suchen, schon sehr alt; denn auch David täuschte sich in ähnlicher Weise, als er beschloss, dem Herrn ein Haus zu bauen. Obwohl dieses der Plan eines geraden und aufrichtigen Herzens war, so war es dennoch ein Irrtum; denn unmöglich konnte der Herr Ruhe finden oder ein Reich gründen, bevor die durch Blut entweihte Lade wieder gereinigt war. David wollte, wenn auch unbewusst, den Thron der Heiligkeit Gottes mit diesem unreinen Zustand der Dinge verbinden, und stand mithin im Begriff, sich mit einem „aus zweierlei Stoff gewebten Zeuge“ zu bekleiden, was jedoch der Herr durch seine Dazwischenkunft verhütete. Wie annehmbar daher der Beweggrund seines Herzens, als der Ausdruck seiner Gefühle, vor dem Herrn auch sein mochte, so musste dennoch sein Plan aufgegeben werden. Aber zeigt uns dieses nicht, mit welcher Eifersucht der Herr über die Beobachtung seiner Grundsätze und die Aufrechthaltung der Stellung, in welche Er seine Diener gesetzt hat, wacht? Außerdem lernen wir noch, dass der Herr durch die Wünsche der Heiligen, wie völlig ergeben diese auch sein mögen, und wie sehr Er auch die Beweggründe derselben billigen mag, sich dennoch nie von seinen Gedanken und Ratschlüssen abbringen lässt, wodurch alles in Verwirrung geraten würde. Denn welch ein trauriges Zeugnis müssten solch gemischte Grundsätze erzeugen! Wer hätte in einem solchen Zustand etwas von der Gnade und Herrlichkeit des Gottes Israels entdecken können! Ebenso sehr zeigt uns die Züchtigung, welche David in Folge seiner Fehltritte bei der Fortschaffung der Bundeslade erfuhr, wie der Herr seine eigenen Grundsätze selbst seinen teuren Dienern gegenüber behauptet. Diese Fehltritte ließen sich nicht durch die dabei an den Tag gelegte Ergebenheit und Freude seines Herzens entschuldigen; sie durften selbst nicht für einen Augenblick etwa durch eine Herablassung zugegeben werden. Denselben Beweis liefert uns Petrus, welcher sich bei einer anderen Gelegenheit zu Antiochien einen Verweis zuzog, als er von den Grundsätzen des Evangeliums abwich, wiewohl er nicht aus Unwissenheit wie David, sondern aus Menschenfurcht irrte. Der Herr lässt keine Regung unserer Herzen ungestraft, sobald die Klarheit seiner Ratschlüsse und seines Zeugnisses dadurch getrübt wird.

Doch das Wort bezeichnet uns im Gegensatz zu David, zu Petrus und zu den in Lukas 9 bezeichneten Jüngern noch eine andere Klasse von Personen, welche sich in Folge ihrer Unentschiedenheit außerhalb der Wege Gottes bewegten. Ihre Spuren lassen sich von dem einen bis zum anderen Ende der Schrift verfolgen. Es sind Menschen von gemischten Grundsätzen, deren Kleider, im Widerspruch mit der Berufung Gottes und den heiligen Anordnungen seines Hauses, aus dem „Gewebe von Wolle und Leinen“ zusammengewebt sind. Die Betrachtung solcher Personen ist demütigend, aber heilsam und besonders in der gegenwärtigen Zeit sehr geeignet für uns. Lot verließ als Teilnehmer an der Berufung Gottes, wie Abraham, seines Vaters Haus und kam mit diesem nach dem Tod Terachs in das Land Kanaan. Er war ein gerechter Mann, in dessen persönlichem Verhalten man keine offenbare Befleckung finden konnte, während Abraham mehr als einmal der Stimme der Natur gehorchte und sich mit Schande aus den Fallstricken Ägyptens und Abimelechs losmachen musste. Einen solchen Tadel hatte sich Lot während seines ganzen Aufenthalts in Sodom nicht zugezogen; denn alles, was wir von ihm lesen, ist, dass er „seine gerechte Seele quälte von Tag zu Tag mit ihren gesetzlosen Werken.“ Aber ach! trotz alledem gehörte er jener Klasse von Personen gemischten Charakters an. Wenn auch Abraham zu verschiedenen Malen sein Kleid verunreinigte, so bestand es doch nicht aus einem Gewebe von verschiedenen Stoffen, wie dasjenige Lots, der, anstatt treu dem Ruf Gottes zu folgen, da ein Bürger wurde, wo er nur ein Fremdling hätte sein sollen. Anstatt wie Abraham, der Zeuge Gottes, pilgernd von Hütte zu Hütte, das Land zu durchziehen, erwählte er die wasserreichen Ebenen Sodoms und errichtete in einer Stadt seinen Wohnsitz. Während das ganze Leben Abrahams der Berufung Gottes treu entsprach, trug das ganze Leben Lots das Gepräge von gemischten Grundsätzen. Und das Resultat eines solchen, von falschen Grundsätzen ganz durchdrungenen Wandels waren Trübsale, die Lot nur zur Beschämung gereichten – Trübsale, welche durch die gerechten Vorwürfe seines Gewissens in der Tat höchst bitter waren. Als er in den Ebenen Sodoms seine Wohnung aufschlug, wurde er in Gefangenschaft geführt; und als er in der Stadt selbst wohnte, traf ihn die Zerstörung Sodoms, so dass er zu allen Zeiten für die Kirche ein treffendes Beispiel dessen gewesen ist, der ohne Zweifel gerettet worden, doch so, wie durch Feuer. Nie war sein Herz glücklich und zufrieden, täglich betrübte er sich; und nichts Glänzendes gab es in einem solchen Zustand. Keine Freude, keine Kraft, kein Triumph des Geistes wird uns von Lot berichtet. Die Engel waren ihm gegenüber sehr zurückhaltend, während der Herr der Engel sehr gern mit Abraham in vertrauter Weise verkehrte. Lot musste fliehen und rettete nichts als sein nacktes Leben, während Abraham auf der Höhe stehen und das Gericht von ferne betrachten konnte. Aber vor allem muss es uns auffallen, dass es von dem Augenblick an, wo Lot den Pfad verließ, wo die Berufung Gottes ihn mit Abraham aufrechterhalten haben würde, keine Gemeinschaft mehr zwischen beiden gab. Wohl eilte ihm Abraham an jenem Tag zu Hilfe, als Lot in Folge seiner Grundsätze in Schwierigkeiten und Drangsale geraten war; allein es gab keine Gemeinschaft, keine Übereinstimmung des Geistes mehr zwischen ihnen. Jedes Kind Gottes kann zwar wie Abraham einen Lot als seinen Verwandten anerkennen und ihm in Liebe dienen; aber es besteht keine Gemeinschaft zwischen ihnen. Lot gehörte unter die Zahl derer, welche, anstatt ihre Berufung und Auserwählung fest zu machen, auf das bestimmte Zeugnis des Wortes hin zwar von den Kindern Gottes als Brüder anerkannt werden, während jedoch das völlige und köstliche Vertrauen bezüglich der Gewissheit ihrer Berufung von Seiten Gottes mangelt – jene Gewissheit, welche Paulus den Thessalonichern gegenüber in den Worten ausdrückt: „Wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung.“

Leider hat die Natur viele der Heiligen Gottes, wovon die Schrift redet, mehr oder weniger beherrscht, ohne dass man sie jedoch gemischter Grundsätze beschuldigen könnte. So hatte z. B. in David die Natur zuweilen die Oberhand; aber er war nie ein Mann von gemischten Grundsätzen: nie schlug er eine Richtung oder ging er eine Verbindung ein, die nicht mit der Berufung Gottes im Einklänge gewesen wäre. Im Gegenteil bildeten sich sein Charakter und seine Wege nach dieser Berufung, was selbst bei seinem Freund Jonatan nicht der Fall war. Denn obwohl dessen Benehmen zuweilen sehr edel und voll von Gnade war, so war er doch nie völlig getrennt von dem, was Gott verworfen hatte. Er war ein Mann des Glaubens und offenbarte die innigsten, geistlichen Zuneigungen, wodurch er sich einen kostbaren und bemerkenswerten Platz in der Reihe der Heiligen erworben hat. Aber trotz alledem war er den reinen, von Gott in jenen Tagen festgestellten Grundsätzen nicht treu und nahm daher auch nicht die Stellung ein, in welche Gott ihn berufen hatte. Der Hof Sauls war in jener Zeit die Stätte der Gottlosigkeit und des Abfalls, während Gott mit David war und die Herrlichkeit sich bei ihm in der Wüste, in den Höhlen und Klüften der Erde befand. Bei ihm waren das Efod, der Priester und das Schwert der Kraft Gottes, der Zeuge seines Sieges, während die Krone und die Verheißungen des Landes seiner harrten. Alle die Helden, welche später an seinem Hof und in seinem Reich glänzten, waren zu jener Zeit seine Gefährten in der Höhle Adullam und am Tag der Rache zu Zicklag, wo sie sich einen Namen mit ihm erworben hatten. Gott berief damals die Seinen in die Genossenschaft des Sohnes Jesse in der Wüste, dahin, wo die Energie des Geistes Gottes wirksam war. Und gerade hier Zeigt sich die Schattenseite Jonathans; denn er befand sich nicht da, wo die Herrlichkeit, der Priester, das Efod und der von den Menschen Verachtete und verworfene Mann nach dem Herzen Gottes war. Sein Platz war nicht dort, wo, mit einem Wort, all die Verheißungen des herannahenden und bald in Erfüllung tretenden Reiches sich begegneten. Ohne Zweifel war Jonatan persönlich mehr als liebenswürdig, er, der mit dem Heldenmut und der Tapferkeit des Glaubens oft Zuneigungen verband, welche die duftenden Wohlgerüche des Himmels atmeten; und wir dürfen versichert sein, dass sein Herz bis an sein Ende für David schlug. Auch zweifeln wir nicht daran, dass er wegen des Hasses seines Vaters gegen David grausam gelitten haben wird. Bezüglich seiner Person war er für David ein Gegenstand der Freude, während andere, die sich in seinem Gefolge befanden, mehr als einmal für ihn ein Gegenstand der Schande und des Kummers waren; aber trotz alledem war die Stellung Jonathans in jenen Tagen nicht in Übereinstimmung mit der Berufung Gottes. Obwohl er für sich selbst den Herrn besaß, so hielt ihn dennoch seine Stellung sowohl von dem Zeugnis Gottes, als auch von dem, was Gott anerkannte, getrennt. Er blieb am Hof und im Heer Sauls, bis er in der schmählichen Niederlage desselben auf dem Gebirge Gilboa seinen eignen Untergang fand; denn schon längst hatte sich die Herrlichkeit und alles, was sich von Gott im Volk befand, von Saul und seinem Heer zurückgezogen.

Ach! Leider ist Jonatan nicht das einzige Beispiel dieser Art. Ob Unwissenheit oder Unentschiedenheit die Quelle seines Verhaltens war, wollen wir hier nicht entscheiden; es genüge die Bemerkung, dass in unseren Tagen viele, gleich Jonatan, voll Gnade und vortrefflicher persönlicher Eigenschaften, ihren Platz außerhalb des Pfades genommen haben, wo der Heilige Geist seine Energie nach dem wohlgefälligen Willen Gottes entfaltet. Solches würde ich auch dann noch von diesen Personen sagen, wenn selbst die Mehrzahl der Gläubigen sich in ihren Reihen befänden. Mögen auch Einzelne unter ihnen Taten der Tapferkeit und der Hingebung vollbringen, so leben sie doch in einer Verbindung, die gleich derjenigen Jonathans, zu ihrer Schmach endigen wird. Sie sind mit einer Welt verbunden, über welche die Gerichte plötzlich hereinbrechen werden; sie befinden sich inmitten eines Lagers, welches bald dem Schwert der Unbeschnittenen zur Beute fallen wird. „Berichtet es nicht zu Gat, macht es nicht kund in den Straßen Aschkelons!“ Jonatan ist das Beispiel einer Tatsache, die sich seit jener Zeit bis zu diesem Augenblick ununterbrochen und in der auffälligsten Weise wiederholt hat. Aber ebenso wenig wie Lot in Sodom einen anderen Eindruck zurückließ, als den eines verunreinigten Lots, und nicht den eines durch seine Gegenwart gereinigten und geheiligten Sodoms, vermochte auch Jonatan durch sein Bleiben nicht das Lager oder den Hof Sauls zu heiligen oder zu verändern. Gleichwie der Prophet Haggai sagt: „Siehe, jemand trägt heiliges Fleisch im Zipfel seines Kleides, und er rührt mit seinem Zipfel an Brot, oder an Gemüse ... oder an irgendeine Speise – wird es heilig werden? Und die Priester antworteten und sprachen: Nein. – Aber wenn ein von einer Leiche Verunreinigter alles dieses berührt, wird es unrein werden? Und die Priester antworteten und sprachen: Es wird unrein werden“ (Hag 2,13–15).

Jedoch gibt es Dinge, welche man nicht verwechseln darf; und eine von Gott geübte Seele muss sie zu unterscheiden wissen. Unstreitig ist ein Leben in der Gemeinschaft mit dem Herrn unmöglich, wenn wir nicht durch die Kraft des Geistes unsere Kleider vor jeglicher, auch der geringsten Befleckung zu bewahren suchen. Dennoch aber ist ein verunreinigtes Kleid nicht immer „ein Kleid von verschiedenen Stoffen.“ Auch dürfen wir nicht einen Stoff, in welchem sich vielleicht hie und da einzelne fremde Fäden finden, mit einem Gewebe verwechseln, welches bestimmt und grundsätzlich aus „Wolle“ und „Leinen“ zusammengesetzt ist. Das stets so reichhaltige und vollkommene Wort Gottes zeigt uns sowohl solche, welche ihr Gepräge durch das, was man mit Recht „gemischte Grundsätze“ nennt, empfangen haben, als auch solche, die sich bisweilen durch solche Grundsätze befleckt haben, ohne indessen das vollständige Gepräge desselben zu tragen. So würde ich mich z. B. über Jonatan nicht in einer so positiven Weise auszusprechen wagen, wie über Lot, dessen ganzes Leben nur das Resultat gemischter Grundsätze war, und der sich stets als „ein wankelmütiger Mann, unstet in allen seinen Wegen“, zeigte (Jak 1,8). Allein sowohl das Leben Jonathans, als auch dasjenige Lots war von Anfang an durch ihre Berührung mit dem Bösen verunreinigt, wenigstens so oft die Versuchung nahte. Obwohl Lot mit Abraham in der Berufung Gottes verbunden war, so war er dennoch ein irdisch gesinnter Mann; und obwohl Jonatan Zeuge der Leiden und Schmähungen war, welche David durch Saul zu erdulden hatte, so diente er trotzdem bis an sein Ende den Interessen des Letzteren. Und also war ihr Leben von Anfang bis zu Ende durch Umstände charakterisiert, welche weder mit den Wegen Gottes, noch mit der Gegenwart der Herrlichkeit harmonierten. Das Kleid eines jeden bestand aus „Wolle“ und „Leinen.“

Betrachten wir hingegen das Leben des Patriarchen Jakob, so sehen wir zwar auch in ihm einen Menschen, der sowohl mit Befürchtungen, als auch mit klugen, vorsichtigen Plänen und irdischen Berechnungen erfüllt ist, welche einen dunklen Schatten auf einen großen Teil seines Lebens werfen. Denn weder der Bau eines Hauses zu Sukkot, noch der Ankauf eines Stück Landes zu Sichem waren dem Pilger– und Hüttenleben entsprechend, wozu er als ein Sohn Abrahams berufen war. Allein obwohl wir ihn in Sukkot oder in Sichem außerhalb seines wahren Platzes finden, so darf er dennoch nicht mit Lot auf dieselbe Linie gestellt werden, weil sein Leben nicht dadurch gebildet, sondern er in der Tat ein Fremdling Gottes auf der Erde war. Auch liefern uns die letzten Tage seiner Pilgerschaft in Ägypten die sicheren Beweise eines wiederhergestellten und glückseligen Seelenzustandes trotz der vielen ihn umgebenden Umstände, welche geeignet waren, seinem Charakter als Fremdling und Pilger zu schaden.

Ebenso reich an derartigen Beispielen sind die Tage Ahabs, des Königs Israels, wo wir in einer der dunkelsten Zeiten des Abweichens von den Wegen Gottes, in den Tagen Isebels und ihrer Gräuel, einem Elias, einem Micha, einem Joschafat und einem Obadja begegnen, ohne von den Siebentausend zu reden, welche ihre Knie nicht vor Baal gebeugt hatten. Aber auch hier gibt es einen wesentlichen Unterschied. Offenbar kann bezüglich des Stoffes, aus welchem die Gewänder des Elias und des Micha angefertigt waren, nicht der geringste Zweifel obwalten; denn sowohl der lederne Gürtel des einen, als auch die Ketten des anderen bezeugen uns mit lauter Stimme den Zustand und die vollständige Absonderung dieser Männer. Von den Siebentausend können wir nichts weitersagen, als dass Gott uns in ihnen einen Überrest nach Gnadenwahl erkennen lässt, welcher am bösen Tage bewahrt geblieben ist, um nicht seine Knie vor dem Bild Baals zu beugen. Nichtsdestoweniger bieten uns Elias, Joschafat und Obadja ein Bild moralischer Verschiedenheit der Gläubigen jener Tage. So sehen wir z. B. Joschafat, den König von Juda, trotz seiner Absonderung leider zu oft in den verderblichsten Verbindungen. Er gehört der Klasse Jakobs an; denn wie dieser den Eingebungen weltlicher Politik folgte, ließ er sich oft durch Ruhmsucht leiten. Er verbündete sich mit Ahab und kleidete sich am Tag der Schlacht mit dem aus dem „Gewebe von verschiedenen Stoffen“ zusammengesetzten, königlichen Gewände, was ihn beinahe sein Leben gekostet hätte. Nie sehr ermangelte er unter diesen Umständen in bedauernswürdiger Weise der dem Haus Davids geziemenden Heiligkeit und Absonderung, obwohl ich nicht zu sagen wage, dass sein Leben, gleich demjenigen Lots, ein Resultat gemischter Grundsätze war! Allein trotz seiner lobenswerten und nützlichen Handlungen, trotz der zärtlichen Zuneigungen seines Herzens und der Anerkennung, welche ihm von Seiten Gottes zu Teil wurde, war sein Zeugnis in einem noch höheren Gerade, als dasjenige Jakobs, durch seine traurigen Verbindungen getrübt und geschwächt. Nicht bloß, dass die Natur bisweilen, wie etwa bei David und Abraham, die Oberhand bei ihm hatte, oder dass sein Kleid in besonders auffälliger Weise verunreinigt gewesen wäre, sondern vielmehr war sein Gewand durch ein Gewebe charakterisiert, welches schwer zu, unterscheiden war. An vielen Stellen desselben zeigten sich die gemischten Stoffe, wiewohl nicht zu jeder Zeit. In Bezug auf Obadja genügt jedoch nur ein einziger Blick, um das Gewand von verschiedenen Stoffen, womit er vom Kopf bis zu den Füßen bekleidet war, zu entdecken. In seinem Leben handelte es sich nicht bloß um einzelne Mängel oder Fehltritte, sondern sein ganzes Verhalten zeigte in ihm einen Menschen von gemischten Grundsätzen. Obwohl er ein frommer Mann war, so waren seine Wege doch nicht in Übereinstimmung mit der Energie des Geistes Gottes in jenen Tagen. Zwar hatte er ein Herz für die Leiden der Propheten, indem er sie in den Höhlen gegen die Verfolger schützte und sie ernährte; aber erhörte nicht auf, der Ratgeber, der Gefährte und Diener eines Königs zu sein, in dessen Reiche die Ungerechtigkeit herrschte. Sein aus „Wolle“ und „Leinen“ gewebtes Gewand bildete zu dem ledernen Gürtel des Elias einen schroffen Gegensatz, welcher in dem Zusammentreffen dieser beiden Männer in der augenscheinlichsten Weise hervortrat. Während sich Obadja mit dem Geist des Elias auszusöhnen sucht, indem er mitteilt, was er alles für die Propheten Jehovas zurzeit ihrer Drangsale getan hat, und ihn seiner Gottesfurcht versichert, offenbart Elias in seinem Benehmen ihm gegenüber Zurückhaltung und Kälte (1. Kön 18), – eine traurige, aber nicht seltene Erscheinung unter Gläubigen. Ebenso wenig wie Zwischen dem in Sodom wohnenden Lot eine Gemeinschaft des Geistes existierte, konnte eine solche zwischen Elias, dem Fremdling im Land Ahabs, und Obadja, dem Verwalter des Hauses Ahab, vorhanden sein. Abraham konnte Lot befreien; aber das war keine Gemeinschaft, keine Vereinigung nach dem Herzen Jesu Christi (Phil 1,18). Wenn aber die Heiligen Gottes sich in diesem Charakter nicht vereinigen können, so bleiben sie, wie sie es im Geist schon sind, besser getrennt. Elias und Obadja begegneten sich an dem Tag, wo dieser mit Ahab ausging, um Gras zu suchen, während Jehova, der Gott des Elias, das Schwert seines Dieners über das Land ausgestreckt hatte, damit es weder Tau noch Regen gebe. Während Elias seine Mission erfüllt, ist Obadja in Verlegenheit; während Obadja die Freundschaft des Elias sucht, bewahrt dieser seine Zurückhaltung; und während Obadja den Elias seinen Herrn nennt, sagt ihm dieser, dass Ahab sein Herr sei. Unmöglich konnte unter diesen Umständen eine Gemeinschaft zwischen beiden bestehen. Wir können nicht der Welt dienen und ihrem Zug folgen, und Zugleich mit den Heiligen Gemeinschaft pflegen; ein solcher Versuch ist höchst unnütz und eitel, wie sehr dieses in unseren Tagen auch oft gewünscht werden mag. Elias bewahrte seinen Charakter und blieb dem Bruder gegenüber treu, wie er es vorher dem Herrn gegenüber gewesen war. Wie hätte er auch mit ihm bei dieser Begegnung über Gemeinschaft reden können, da derselbe bisher mit der Welt gewandelt hatte? Obadja sagt zu seiner Verteidigung: „Was habe ich gesündigt ...?“ Aber warum dieses, da Elias ihn doch weder einer Sünde beschuldigt, noch irgendwie sein Verhalten tadelt? Warum erfüllen solche Befürchtungen sein Herz? Sicher ist der Zustand solcher Gläubigen ein armseliger, welche sich mit dem Bewusstsein, nicht gesündigt zu haben, zu beruhigen trachten – mit einem Bewusstsein, welches keineswegs genügt, um die Gemeinschaft eines Elias genießen oder seine Gedanken verstehen zu können. Indes handelt es sich bei Obadja nicht bloß darum, ob er gesündigt habe oder nicht, sondern Elias lässt ihn verstehen, dass die mangelhafte Harmonie ihrer Herzen ihren Grund in den entgegengesetzten Ausgangspunkten beider habe. Obadja bewohnte den Palast Ahabs, während sich Elias am Bach Krit aufhielt. Ersterer war mit seiner vergangenen Geschichte beschäftigt, indem er fragte: „Ist meinem Herrn nicht kundgeworden, was ich getan, als Isebel die Propheten Jehovas erschlug?“ während er besser, wenigstens über den größten Teil seiner Handlungen, geschwiegen hätte. Und ist ein Erinnern an frühere Taten genügend, um die Gemeinschaft mit den Heiligen wiederherzustellen? Keineswegs. Die entscheidende Frage ist: Kommen wir vom Himmel oder von dem Hof Ahabs; tragen wir Vorsorge für das Fleisch oder für die Sache des Herrn? Doch die Art und Weise der Rechtfertigung Obadjas ist auch in unseren Tagen nichts Ungewöhnliches. Ganz anders war es mit der Witwe van Sarepta, welche sich des Vollgenusses aller Sympathien des Propheten erfreute, indem Zugleich ihre bescheidene Hütte mit dem Mehlgefäß und dem Ölkrug Zeugnis ablegte von einer lebendigen Gemeinschaft gleichgesinnter Herzen. – Solche Beziehungen waren Obadja fremd; und Elias ist zu treu, um dessen Annäherung im Geist gestatten oder dessen Versöhnungsversuche erwidern zu können.

Ebenso finden wir in den Tagen des Propheten Jeremias einen gewissen Ebed–Melech, der, wie Obadja, den Propheten Gottes liebte, ihn selbst angesichts eines gotteslästerlichen Hofes verteidigte und ihm mit einer rührenden Hingebung diente. Dennoch aber war er kein Zeuge, wie Jeremias; denn er fürchtete die Chaldäer – das Racheschwert Jehovas – und das war sicher nicht passend für einen Zeugen des Herrn (Jer 39,17). Allein die unumschränkte Gnade Gottes verachtete seine Schwachheit nicht; denn er empfing am Gerichtstag Jehovas nach seinem Maß, indem er sein Leben als eine Beute davontrug, während hingegen Jeremias mit Ehre umgeben war. Ebed–Melech ward gerettet, und das war alles, während der Prophet eine Belohnung empfing.

Wir sind also zu verschiedenen Zeiten Personen begegnet, die, obwohl dem Volk Gottes angehörend, sich in einer Stellung befanden, die mit der Berufung Gottes nicht im Einklänge waren. Und wie wir bei Lot, Jonatan, Obadja gesehen, gab es bei allen mehr oder weniger Unbeständigkeit und Weltliebe. Aber wie viele dieser Personen finden wir in unseren Tagen in dieser Stellung, die sie sicher verlassen würden, wenn sie der Berufung Gottes gehorchten. In vielen Fällen entspringt diese unreine Mischung weltlicher oder fleischlicher Beweggründe aus der Unwissenheit oder aus der Unentschiedenheit solcher Herzen, die sich mit Fleisch und Blut besprechen und nicht hören auf die Stimme des Hirten, welcher sie zum Ausgehen auffordert. Sie verstehen nicht, dass die Kirche hienieden eine Pilgerin an fremdem Ort ist, und sie bedenken nicht, dass ihre religiösen Beziehungen mit der Welt gleich denen sind, welche Lot mit Sodom unterhielt. Aber sicherer, wie einst Sodom, ist diese Welt für das Gericht versiegelt; denn während um zehn Gerechter willen die Städte der Ebenen verschont geblieben wären, ist nichts im Stande, das Gericht von „diesem gegenwärtigen bösen Zeitlauf“ abzuwenden.

Jedoch können wir nicht umhin, einen beachtenswerten Unterschied zwischen Lot und Jonatan hervorzuheben. Lot konnte sein Verbleiben in Sodom durch nichts rechtfertigen. Er wusste, dass alles, was Gott angehörte, außerhalb Sodoms lag. Selbst die Natur konnte nichts zu Gunsten Sodoms geltend machen; denn seine Verwandten nach dem Fleisch, Abraham und Sara, befanden sich draußen. Zudem mahnten ihn auch schon die Wege der Vorsehung, jene Gegend zu verlassen, indem die Ebene Sodoms sein Leben und seine Freiheit bereits gefährdet hatte. Die Welt und nur die Welt redete zum Herzen Lots zu Gunsten Sodoms, während bei Jonatan die Natur einen Vorwand hatte. Zwar befand sich auch in seinen Tagen alles, was von Gott war, außer dem Hof und Lager Sauls; aber die Rechte der Verwandtschaft, die Stimme der Natur wurden in denselben anerkannt und empfunden. Gleicherweise lassen auch in unseren Tagen viele Dinge innerhalb des Lagers ihre Stimme hören. Die Natur, moralische und religiöse Erwägungen, die Gelegenheit für den Dienst und das Zeugnis, die Unterwerfung unter anerkannte Personen usw. sind ebenso viele Stimmen, welche sich zu Gunsten der Welt geltend zu machen suchen. Und dennoch wendet sich die Berufung Gottes als die höchste Autorität an die Herzen. Ist die Kirche ein Fremdling auf Erden, so muss jede Verbindung mit der Welt sie, als Zeugnis Gottes betrachtet, verunreinigen und verderben. Und von jeher ist es das Ziel der Anstrengungen des Feindes gewesen, jedes Zeugnis Gottes auf Erden zu verderben; und leider ist ihm dieses nur zu sehr gelungen. Er, welcher den ersten Menschen aus seiner Stellung, in welche Gott ihn eingesetzt, zu verdrängen wusste, hat sich auch sowohl in Israel, wie in die Kirche Eingang zu verschaffen gewusst. Und alle diese mit Erfolg gekrönten Anstrengungen hatten nicht eine bloße Verunreinigung oder Schwächung der Zeugen im Auge, sondern vielmehr deren gänzliche Entfernung aus der ihnen von Gott angewiesenen Stellung. Es handelte sich um das Preisgeben der großen Absichten und Gedanken Gottes und um eine offenbare Empörung gegen Ihn. Nur bei dem Herrn Jesus waren diese feindlichen Anstrengungen nicht nur erfolglos, sondern erzeugten vielmehr die entgegengesetzte Wirkung. Auch Ihn suchte der Feind aus der Stellung gänzlicher und vollkommener Abhängigkeit, die nur den Willen Gottes kannte, zu verdrängen, indem er zu Ihm sagte: „Wenn du der Sohn Gottes bist ...“ Aber in Jesu und nur in Ihm war alles Vollkommenheit und Triumph, während das Zeugnis der gegenwärtigen Haushaltung ebenso sehr verdorben ist, als alle die vorhergehenden Zeugnisse. Die Kirche, welche hienieden die Wonne und die Gefährtin eines verworfenen Herrn sein sollte, hat sich mit einer Welt verbunden, die Christus, „das Haupt der Versammlung, den Heiland des Leibes“, gekreuzigt hat. Welcher Ruin könnte vollständiger sein, als dieser?

Ferner haben wir ein Beispiel der Resultate des Abweichens von den Gedanken Gottes in jenem „Mann Gottes“, der durch „den alten Propheten“ betrogen wurde (1. Kön 13). Letzterer war augenscheinlich als für den Dienst Jehovas ungeeignet bei Seite gestellt worden; denn obwohl er in jener Stadt wohnte, wo es für Jehova einen Dienst zu erfüllen gab, wurde er dennoch nicht damit beauftragt. Der Herr wählte sich einen Zeugen in Juda gegen den Altar zu Bethel; denn Er konnte nach den Grundsätzen seines Hauses sein Zeugnis keinem unreinen Gefäß anvertrauen (2. Tim 3,2). Der „Mann Gottes“ hätte daher wissen sollen, dass der Herr den alten Propheten zu Bethel, den Er schon bei Seite gestellt, nicht zu seinem Zeugen erwählt habe. Das ihm beim Beginn seiner Reise mitgeteilte Wort genügte völlig, um ihn von jeder Berührung dessen fern zu halten, gegen welches er zeugen sollte; denn es verbot ihm, an jenem Ort weder zu essen noch zu trinken, noch auf demselben Wege, den er gekommen, zurückzukehren. Aber Zugleich offenbarte auch dasselbe Wort, in wie weit die Ehre Gottes als Grundsatz in seinen Gedanken lebte. Er ließ sich verleiten, einer vorgeblich vom Herrn kommenden Botschaft zu gehorchen, die ihn den Armen eines Mannes überlieferte, der mit dem Bösen selbst in Gemeinschaft war – dem Bösen, gegen welches zu zeugen, er eine solange Reise unternommen hatte. Welch eine traurige Vernachlässigung bezüglich der Grundsätze des Hauses Gottes! Obwohl er ein Heiliger, ein Diener Gottes war und die Ehrerbietungen eines Königs treu ausgeschlagen hatte, so kam sein Leib doch nicht in das Grab seiner Väter. Hingegen finden wir in der Handlungsweise des Propheten Micha (2. Chr 18) eine Bestätigung der Wahrheit: „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird der ganze Leib licht sein.“ Wo die Beweggründe einfach und unvermischt bewahrt bleiben, werden die daraus entspringenden Handlungen in vollkommener Übereinstimmung damit sein. Aber wer hätte dagegen in Joschafat in jener traurigen und ernsten Stunde, wo er dem König Israels, dessen Kriegsgefährte er war, die Verhaftung Michas zuließ, einen Heiligen Gottes erkennen können? Wo war damals der „lichte Leib“ Joschafats? Eine dicke Wolke bedeckte das Licht, an welchem er dennoch Teil hatte; sein Pfad war nicht in Übereinstimmung mit diesem Licht, nicht bestrahlt von diesem hellen Glänze. Es gab nichts auf diesem Weg, was seine „Berufung und Auserwählung hätte befestigen“ können. Jedoch ist es köstlich, diesen geliebten Mann etliche Schritte weiter zu verfolgen, wo wir ihn wider die Kinder Ammon, Moab und die vom Gebirge Seir kämpfen sehen, wie es einem wahren Sohn Davids geziemte. Er suchte Jehova und nur Ihn allein: Sein Leib ist von neuem mit Licht erfüllt, und alles ist Glauben, Triumph und Glück.

Gleicherweise liefern uns auch die Gefangenen nach ihrer Rückkehr aus Babylon in das Land und die Stadt ihrer Väter eine lehrreiche Unterweisung bezüglich des „aus verschiedenen Stoffen gewebten Kleides.“ Ihre Geschichte ist Zugleich eine Ermutigung und eine Warnung für uns. Sie weigern sich nicht, die ihrem Volk wegen seiner Sünden zuerkannte Züchtigung anzunehmen, sie unterwerfen sich folglich der heidnischen Macht, welcher Gott sie übergeben hatte. Sie nehmen die Gunst des Darius, Kyrus und Artaxerxes an nach dem Geist des ausdrücklichen Befehls: „Die Ehre, dem ihr die Ehre, die Furcht, dem ihr die Furcht schuldig seid.“ Auch reden sie mit Achtung von den heidnischen Mächten und zeigen sich erkenntlich für die ihnen von denselben erwiesene Güte, indem sie Gott dafür preisen. Auch können wir überzeugt sein, dass ihre Herzen geneigt waren, für das Leben des Königs und seiner Söhne zu beten. Trotzdem aber hinderte sie dieses alles nicht, ein abgesondertes Volk zu bleiben, und ihre Verweigerung einer jeglichen Verbindung mit den Samaritern war ebenso aufrichtig, als die Annahme der Gunst der heidnischen Könige. Die ebenso einfache als feste Energie, womit sie sich von den gemischten Grundsätzen und ihrer Vermengung mit den Nationen reinigten, erinnerten lebhaft an die Tage Josuas und Davids. Sie verwarfen die „aus verschiedenen Stoffen gewebten Kleider“, wiewohl sie durch die Annahme derselben vielen Widerwärtigkeiten im Werk des Herrn hätten entgehen können. Allein ein solches Gewand war der göttlichen Anordnung entgegen, deshalb konnten und wollten sie es nicht annehmen, ebenso wenig wie Paulus das Zeugnis einer Magd annehmen konnte, durch welche Weigerung er sich allerdings das Gefängnis zu Philippi zuzog. Auch er verschmähte das aus „Wolle“ und „Leinen“ gewebte Kleid und musste deshalb die Banden des Gefängnisses erdulden. Doch was konnte es schaden? Wie für die aus Babylon zurückgekehrten Gefangenen, so endete auch für ihn alles herrlich, indem Gott selbst ihre Sache in die Hand nahm. Aber obgleich jene ein aus verschiedenen Stoffen gewebtes Kleid verweigerten, so fehlten sie dennoch in einer nicht minder traurigen Weise dadurch, dass sie das ihrige nicht umgürtet hatten. Kaum hatten die Samariter sie am Bauen des Hauses Gottes zu hemmen versucht, so begannen sie ihre eigenen Häuser zu bauen. Welch ernste Warnung für uns, und welche Beschämung für sie, dass der Geist des Herrn genötigt ist, sie aus ihrer Trägheit und Schläfrigkeit wieder aufzuwecken! Sie sind von dem Augenblick an, wo der Dienst des Herrn unterbrochen ist, mit sich selbst beschäftigt, und die Bequemlichkeit, die Ruhe und Selbstsucht haben ihre Herzen eingenommen. Demzufolge hatte die Mission der Propheten Haggai und Sacharja den Zweck, ihre Energie zu beleben, sie zum Umgürten ihrer Lenden und zum Schmücken ihrer Lampen zu bewegen. Ihre Führer denken keinen Augenblick daran, sie zu den Samaritern zurückzusenden, um eine Vereinbarung mit denselben zu treffen, oder sie wegen ihrer Verschmähung des „Gewandes aus gemischten Stoffen“ eines Irrtums zu zeihen. Sie laden sie vielmehr ein, ihre eigenen reinen Gewänder zu umgürtendes Herrn Werk nach seinen Gedanken trotz des erneuerten Widerstandes der Samariter fortzusetzen.

Alles dieses hat für uns eine tiefe Bedeutung. Der Heilige Geist kann bezüglich der Heiligen, welches die Umstände auch sein mögen, ebenso wenig ein loses, wenn auch reines Gewand, wie ein gemischtes dulden. Beides ist nicht nach seinen Gedanken. Und dennoch müssen wir mit tiefer Beschämung bekennen, dass wir gleich jenen in den Tagen Haggais und Sacharjas oft so wenig geistliche Kraft besitzen, um eine reine Stellung zu behaupten. Zwar befanden sich jene zurückgekehrten in einer richtigen Stellung und hatten weit besser getan, als ihre Brüder, welche in den fernen Städten der Unbeschnittenen zurückgeblieben waren. Aber indem sie die eine Probe bestanden und jedes Bündnis mit den Samaritern verweigerten, unterlagen sie dennoch einer anderen, wodurch sie tiefer sanken, als ihre Brüder in den Heidenländern. Sie trieben nämlich, nachdem sie in ihr Land zurückgekehrt waren, Wucher mit ihren Brüdern und zwangen sie, sich ihnen zu verkaufen, während sie dieselben vorher von den Nationen losgekauft hatten (Neh 5). In der Tat ein demütigendes Schauspiel, ähnlich der in unseren Tagen zur Schau tretenden „Form der Gottseligkeit ohne Kraft.“ Wenn wir unser Vertrauen allein auf den Wert einer reinen und abgesonderten Stellung setzen, ohne unsere Herzen zu überwachen und zu richten, so werden wir uns bald den Tadel der Welt zuziehen. Ich habe oft bei solchen, die sich noch außerhalb der wahren Stellung der Kirche befinden, viele Liebe und Hingebung gefunden, während jene, welche sich der wahren Stellung rühmen, nur zu oft wenig wahre Heiligkeit, wenig himmlisches Leben offenbaren. Möge der Herr uns vor einem Wandel bewahren, der hinter den himmlischen Grundsätzen zurückbleibt – vor einer Stellung, wo man ohne eine innige und persönliche Gemeinschaft mit dem Herrn um die Wahrheit eifert und die Tiefen Gottes zu erforschen sucht! Der Herr tadelt sowohl Ephesus trotz der Energie, welche sich für eine Menge guter Dinge kundgab, als auch Sardes trotz der religiösen Regsamkeit, welche sich hier entfaltete (Off 2–3). Wie sehr verdienen wir eine solche Zurechtweisung! So wenig wir eine Stellung ohne Kraft wünschen können, so wenig können wir auch den bloßen Besitz von Grundsätzen ohne deren praktische Ausübung billigen, oder den Besitz der Wahrheit, des Geheimnisses und der Erkenntnis ohne Christus selbst und seine persönliche Gemeinschaft anerkennen. Das lautere und vollkommene Wort Gottes erkennt alle diese Dinge an; aber es bewahrt jedem seinen Platz und seine Macht nach der genauen Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes, so wie wir lesen: „Dieses sollte man tun und jenes nicht lassen.“ Und hier möchte ich eine Wahrheit berühren, die wir als eine Erleichterung für die Seele in unseren Tagen nötig haben, wiewohl sie nicht in den Kreis unserer Betrachtungen zu gehören scheint. Es ist nämlich die Erkenntnis Gottes in seiner Gnade Zugleich sein Ruhm und unsere Freude. Wir betrachten Gott oft nur wie jemanden, der unseren Gehorsam fordert und unseren Dienst erwartet. Aber der Glaube unterscheidet in Ihm den, welcher mitteilt und gibt; und dieses erinnert uns vielmehr an unsere Vorrechte, als an unsere Pflichten – vielmehr an die Liebe, an die Freiheit und an die Segnungen unseres Verhältnisses mit Ihm, als an das, was wir Ihm bringen müssen.

Indes möchte ich die Aufmerksamkeit der Leser noch auf einen anderen Gegenstand, auf die Geschichte der zweieinhalb Stämme lenken (4. Mo 32), welche uns in etwa an Lot erinnern, wiewohl sie nicht mit demselben auf einer Stufe stehen. Die verschiedenen Erzählungen der Schrift enthüllen uns, wie bereits bemerkt, eine erstaunliche Verschiedenheit christlicher Erfahrungen und moralischer Zustände, indem sie uns nicht nur die Hauptzüge, sondern auch die feinsten Licht– und Schattenseiten derselben vor Augen stellen. Dieses zeigt sich ganz besonders in der Geschichte jener zweieinhalb Stämme, welche, wie auch bei Lot, mit der Lust der Augen ihren Anfang nimmt. Sie denken an einen passenden Platz für ihre Herden und richten daher ihre Blicke auf die wasserreichen Ebenen diesseits des Jordans, während doch ihr Vater Abraham diese Seite des Stromes nie bewohnt hatte. Auch hatte ihnen Moses nichts von den Ebenen Gileads gesagt, und sicher hatte bei ihrem Auszug aus Ägypten ihr Glaube und ihre Hoffnung kein geringeres Ziel vor Augen gehabt als Kanaan. „Aber die Kinder Rüben und Gad hatten viel Vieh, und sie sahen das Land Jaeser und das Land Gilead, und siehe, der Ort war ein Ort für Vieh.“ Ohne Zweifel wünschten sie als Israeliten der Berufung Gottes treu zu bleiben und waren weit entfernt von dem Gedanken an eine Empörung und an eine Trennung von den übrigen Stämmen. Aber anstatt mit diesen ihren Platz jenseits des Jordans in der Kraft des Todes und der Auferstehung einzunehmen, begnügen sie sich mit ihrer Verwandtschaft oder ihrer äußeren Einheit mit dem Volk Gottes, während sie für sich selbst den Platz diesseits des Todes und der Auferstehung wählen. Sie ziehen Gilead, die Seite der Wüste, dem wahren Erbteil des Volkes Gottes vor, weil ihr Vieh dort gut gedeihen konnte. Zwar waren sie nicht wie Lot Leute von gemischten Grundsätzen, deren Leben mit ihrem eigenen Gewissen und der Berufung Gottes im Widerspruch stand: allein sie besaßen nicht die Kraft, dieser Berufung gemäß zu wandeln, wiewohl sie dieselbe schätzten und anerkannten. Wie viele solcher gibt es in unseren Tagen! (Schluss folgt)

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