Das Buch Daniel

Daniel 6

Abfall

Bisher haben wir gesehen, wie die moralischen Eigenschaften der herrschenden Mächte während der Zeiten der Nationen in den geschichtlichen Ereignissen in Daniel 3–6 dargelegt werden. Die schlimmste und letzte Sünde ist der Abfall, bei der der Platz Gottes auf der Erde vom Menschen eingenommen wird. Das Beiseitesetzen der Rechte Gottes, die Erhöhung des Menschen und die offene Herausforderung Gottes, die wir bisher gesehen haben, enden in dem schrecklichen Versuch, alle Anerkennung Gottes auf Erden auszulöschen, indem Gott entthront und der Mensch an seiner Stelle auf den Thron gesetzt wird.

Dieser Höhepunkt alles Bösen wird in der von König Darius unterschriebenen Anordnung vorhergesagt, die es dreißig Tage lang untersagt, eine Bitte an irgendeinen Gott oder Menschen zu richten, außer an den König.

Dieser Abfall wird im Neuen Testament klar als charakteristisch für das Ende der Zeiten der Nationen dargestellt. Im zweiten Kapitel des zweiten Thessalonicherbriefs wird der kommende Abfall im Zusammenhang mit der Offenbarung des Menschen der Sünde vorhergesagt, „der widersteht und sich erhöht über alles, was Gott heißt oder verehrungswürdig ist, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei“ (2. Thes 2,4). Aus Offenbarung 13 wissen wir außerdem, dass dieser Mann der Sünde das zweite Tier ist. Die Handlungen dieses bösartigen Menschen werden im dem Erlass von Darius vorausgeschattet. Nicht – dies sei bemerkt – durch das, was Darius als Mensch war, sondern durch das, was er tat. Darius scheint persönlich einen ganz anderen Charakter gehabt zu haben als der niederträchtige Belsazar. Er scheint ein freundlicher Mensch gewesen zu sein und könnte in dieser Hinsicht den Charakter des Menschen der Sünde darstellen, der in den Augen der Menschen wahrscheinlich als ein außerordentlich anziehender Mensch erscheinen wird.

„Und Darius, der Meder, bekam das Königreich, als er ungefähr zweiundsechzig Jahre alt war. Es gefiel Darius, über das Königreich 120 Satrapen zu bestellen, die im ganzen Königreich sein sollten, und über sie drei Vorsteher, von denen Daniel einer war – damit jene Satrapen ihnen Rechenschaft gäben und der König keinen Schaden erlitte. Da übertraf dieser Daniel die Vorsteher und die Satrapen, weil ein außergewöhnlicher Geist in ihm war; und der König beabsichtigte, ihn über das ganze Königreich zu bestellen“ (6,1–4).

Die einleitenden Verse geben die Umstände an, die diesen sündhaften Erlass hervorrufen. Daniel war von Darius zum Obersten der drei Vorsteher ernannt worden, denen die 120 Satrapen, die das Königreich regierten, Rechenschaft ablegen mussten. Dass ein Kind der Gefangenschaft in eine solch hohe Position erhoben werden sollte, erregte den Neid der chaldäischen Vorsteher und Satrapen. Getrieben durch ihren Neid versuchten sie mit Arglist, irgendeinen Anklagegrund zu finden, mit dem sie ihn vor dem König beschuldigen könnten.

„Da suchten die Vorsteher und die Satrapen einen Anklagegrund gegen Daniel vonseiten der Regierung zu finden; aber sie konnten keinen Anklagegrund und keine schlechte Handlung finden, weil er treu war und kein Vergehen und keine schlechte Handlung an ihm gefunden wurde. Da sprachen diese Männer: Wir werden gegen diesen Daniel keinen Anklagegrund finden, es sei denn, dass wir einen im Gesetz seines Gottes gegen ihn finden“ (6,5.6).

Zunächst suchten sie einen Anklagegrund gegen ihn, der mit seiner Verwaltung des Königreiches in Verbindung stand. Doch obwohl all diese Vorsteher und Satrapen versuchten, irgendeine Schuld in Daniels Verwaltung der staatlichen Angelegenheiten zu finden – er war so treu, dass sie weder ein „Vergehen“, noch eine „schlechte Handlung“ bei ihm fanden. Sie schlossen, dass die einzige Möglichkeit sein könnte, eine Klage durch das Gesetz seines Gottes zu finden. Eine lehrreiche Lektion für den Christen, dessen Beziehungen mit der Welt so treu ausgeführt werden sollten, dass es der Welt nur gelingt, uns zu verurteilen, indem sie in die Angelegenheiten Gottes eindringt und Verordnungen erlässt, deren Befolgung Ungehorsam gegenüber Gott bedeutet.

„Dann liefen diese Vorsteher und Satrapen eilig zum König und sprachen zu ihm so: König Darius, lebe ewig! Alle Vorsteher des Königreichs, die Befehlshaber und Satrapen, die Räte und Statthalter, haben beschlossen, dass der König eine Verordnung aufstellen und ein Verbot erlassen soll, dass jeder, der innerhalb von dreißig Tagen von irgendeinem Gott oder Menschen etwas erbittet außer von dir, o König, in die Löwengrube geworfen werden soll. Nun, o König, erlass das Verbot und lass eine Schrift aufzeichnen, die nach dem Gesetz der Meder und Perser, das unwiderruflich ist, nicht abgeändert werden darf. Deshalb ließ der König Darius die Schrift und das Verbot aufzeichnen“ (6,7–10).

Dies ist die Situation, deren Hervorrufung die Vorsteher und Satrapen mit satanischer Scharfsinnigkeit aushecken. Offenbar war es üblich, dass die Verwalter Verordnungen entwarfen, denen der König durch seine Unterschrift Autorität verlieh. Folglich stellen sich diese Männer mit einem Erlass vor den König, dass dreißig Tage lang keine Bitte an irgendeinen Gott oder Menschen außer an den König gestellt werden dürfe, unter der Strafe, in die Löwengrube geworfen zu werden. Drei Dinge kennzeichnen diese Verordnung:

  1. Erstens ist die Verordnung an sich der Höhepunkt der Boshaftigkeit, denn sie ist der schreckliche Versuch, Gott zu entthronen und den Menschen an seine Stelle zu setzen. Sie versucht, den König in eine Stellung absoluter Vorherrschaft über Himmel und Erde zu bringen, über Gott und Menschen, denn während der dreißig Tage sollte keine Bitte an „irgendeine[n] Gott oder Menschen“ gerichtet werden. So groß die Sünde Nebukadnezars auch war, diese war weitaus größer. Nebukadnezar hatte ein Götzenbild anstelle von Gott errichtet; aber Darius erhebt sich nun selbst auf den Platz Gottes. Es ist die Vergötterung von Menschen.
  2. Zweitens ist der Beweggrund der Verordnung in höchstem Maße bösartig. Indem sie die Aufrichtigkeit Daniels Charakters und seine eigene Treue gegenüber dem Gesetz seines Gottes ausnutzen, erdenken diese Männer absichtlich eine Anordnung, von der sie wissen, dass Daniel sie nicht befolgen wird.
  3. Drittens scheint die Verordnung, die sie formulieren, dem König außerordentlich zu schmeicheln. Sie wird so präsentiert, dass das wahre Motiv sorgsam verschleiert wird, und der König tappt törichterweise in die Falle und unterschreibt die Anordnung.

„Und als Daniel erfuhr, dass die Schrift aufgezeichnet war, ging er in sein Haus. Und er hatte in seinem Obergemach offene Fenster nach Jerusalem hin; und dreimal am Tag kniete er auf seine Knie und betete und lobpries vor seinem Gott, wie er vorher getan hatte“ (6,11).

Daniel ist sich augenscheinlich all dessen, was sich abspielt, bewusst, und doch erhebt er offenbar weder Anklage gegen diese niederträchtigen Männer, noch sucht er sich selbst zu verteidigen. Er vertraut auf seinen Gott (6,24), nicht auf sich selbst oder seine eigenen Anstrengungen. Seine Aufgabe ist es einfach, Gott zu gehorchen und Ihm den Rest zu überlassen. Folglich geht er in sein Haus und betet wie gewöhnlich dreimal am Tag mit geöffneten Fenstern nach Jerusalem hin. In alldem finden wir keine Zurschaustellung, sondern er verhält sich schlicht so „wie er vorher getan hatte“. Da er die Gewohnheit hatte, auf diese offene Weise zu beten, wäre es von ganz Babylon als Feigheit oder Zustimmung zu der Verordnung gedeutet worden, wenn er plötzlich die Fenster geschlossen und im Geheimen gebetet hätte. Inmitten dieser gottlosen Stadt hatte Daniel ein öffentliches Zeugnis für den wahren Gott abgelegt. Er war kein geheimer Nachfolger. Dem Befehl zu gehorchen würde einen Verstoß gegen das erste Gebot bedeuten. Darüber hinaus gab das Wort Gottes Daniel klare Anweisungen für die Umstände, in denen er sich befand. Das Gebet Salomos bei der Einweihung des Tempels sah seine Schwierigkeiten bereits vorher. „Wenn“, sagte König Salomo, sie „es zu Herzen [nehmen] in dem Land, wohin sie gefangen weggeführt sind ... und sie beten zu dir zu ihrem Land hin, das du ihren Vätern gegeben, zu der Stadt, die du erwählt hast, und dem Haus, das ich deinem Namen gebaut habe, so höre im Himmel, der Stätte deiner Wohnung, ihr Gebet und ihr Flehen, und führe ihr Recht aus“ (1. Kön 8,46–49). So lautete das Gebet Salomos, und Gott erhörte sein Gebet, denn der Herr sagte: „Ich habe dein Gebet und dein Flehen gehört, das du vor mir gefleht hast“ (1. Kön 9,3). Im Vertrauen auf Gott handelte Daniel nach dem Wort Gottes. Er weigerte sich, irgendwelche Kompromisse zu machen. Der fleischliche Geist könnte vorschlagen: Warum nicht das Fenster schließen und im Geheimen beten? Daniel lehnte jeglichen solchen Kompromiss ab und betete bei „offene[m] Fenster“. Doch wenn er schon mit offenem Fenster beten musste, warum wählte er einen der vorderen Räume, die zur Straße hinausgingen? Ohne zu zögern betete er „nach Jerusalem hin“. Doch wenn er mit offenem Fenster und nach Jerusalem hin beten musste, warum war es dann notwendig, dass er auch noch auf seine Knie ging – konnte er keine andere Haltung einnehmen, die nicht die Aufmerksamkeit auf die Tatsache gelenkt hätte, dass er betete? Nein, Daniel gab diese richtige Haltung gegenüber Gott nicht auf, und so „kniete er auf seine Knie“. Wenn er nun so streng ist, dass er mit offenem Fenster, nach Jerusalem hin und auf seinen Knien kniend betet, warum ist es notwendig, dass er es „dreimal am Tag“ machte? Sicherlich hätte er doch frühmorgens beten können, bevor irgendjemand wach ist, oder spät am Abend, nachdem jeder sich schlafen gelegt hat? Wirklich, hätte er nicht für diese dreißig Tage das Beten am Tage aufgeben und stattdessen in der Nacht beten können? Gott kann auch bei Dunkelheit sehen und hören. Doch keine solcher Vorschläge beeinflussen Daniel: Er betet dreimal, und das am Tage. Und obwohl er in Gefangenschaft lebt und von solchen umgeben ist, die nach seinem Leben trachten, findet er Gelegenheit, nicht nur zu beten, sondern er „lobpries“ auch. Mehr noch, er betet und lobpreist „vor seinem Gott“. Die Menschen mögen ihn beten sehen, doch in Wirklichkeit betet er vor Gott und nicht vor Menschen. Dies war für Daniel nichts Neues. Es war nichts, womit er plötzlich in einem Anfall religiösen Eifers oder in trotzigem Widerstand gegen den Erlass des Königs begonnen hätte. Es war die Fortsetzung seines üblichen Weges – „wie er vorher getan hatte“.

„Da liefen jene Männer eilig herbei und fanden Daniel betend und flehend vor seinem Gott“ (6,12).

Für den Erfolg ihres Plans hatten die Feinde Daniels auf seine bekannte Gewohnheit des Gebets und seine unerschütterliche Treue zu Gott gezählt, und dies nicht vergebens. Sie versammeln sich vor Daniels Haus und finden Daniel wie erwartet betend und flehend vor seinem Gott, unbeirrt von dem königlichen Befehl, dem Komplott seiner Feinde und der Grube voller Löwen.

„Dann traten sie hinzu und sprachen vor dem König bezüglich des königlichen Verbots: Hast du nicht ein Verbot aufzeichnen lassen, dass jedermann, der innerhalb von dreißig Tagen von irgendeinem Gott oder Menschen etwas erbitten würde außer von dir, o König, in die Löwengrube geworfen werden sollte? Der König antwortete und sprach: Die Sache steht fest nach dem Gesetz der Meder und Perser, das unwiderruflich ist. Hierauf antworteten sie und sprachen vor dem König: Daniel, einer der Weggeführten aus Juda, achtet weder auf dich, o König, noch auf das Verbot, das du hast aufzeichnen lassen; sondern er verrichtet dreimal am Tag sein Gebet“ (6,13.14).

Nachdem sie ihre Beweise gesammelt haben, treten diese Männer vor den König und erinnern ihn an die Worte des Erlasses, deren Wahrheit er eingestehen muss. Dann tragen sie ihre Anklage vor, indem sie auf die Tatsache drängen, dass Daniel ein Gefangener Judas ist und nicht auf den König achtet und seinen Erlass ignoriert. Sie lassen davon ab, zu sagen, dass er seine Bitten Gott vorträgt und sein Gesetz befolgt.

„Da wurde der König, als er die Sache hörte, sehr betrübt, und er sann darauf, Daniel zu retten; und bis zum Untergang der Sonne bemühte er sich, ihn zu befreien. Da liefen jene Männer eilig zum König und sprachen zum König: Wisse, o König, dass die Meder und Perser ein Gesetz haben, dass kein Verbot und keine Verordnung, die der König aufgestellt hat, abgeändert werden darf. Dann befahl der König, und man brachte Daniel und warf ihn in die Löwengrube. Der König hob an und sprach zu Daniel: Dein Gott, dem du ohne Unterlass dienst, er möge dich retten! Und ein Stein wurde gebracht und auf die Öffnung der Grube gelegt; und der König versiegelte ihn mit seinem Siegelring und mit dem Siegelring seiner Gewaltigen, damit in Bezug auf Daniel nichts verändert würde“ (6,15–18).

Für den Erfolg ihres Komplotts hatten diese Männer mit der Eitelkeit des Königs und der Treue Daniels gerechnet. Wenn der König ihren Schmeicheleien widerstanden hätte oder Daniel seinem Gott untreu gewesen wäre, wäre ihr Plan gescheitert. Doch Daniel blieb treu und der König akzeptierte ihre Schmeicheleien, und so ging ihr Plan auf. Indem er ihre Schmeicheleien akzeptierte, wurde der König ihr Knecht. Nachdem er durch seine eigene Eitelkeit in die Hand dieser niederträchtigen Männer preisgegeben wurde, erkannte er den wahren Beweggrund der von ihm unterzeichneten Verordnung erst, als es zu spät war – mit dem Ergebnis, dass er „sehr betrübt“ wurde. Indem er die Rechtschaffenheit Daniels anerkennt, richtet der König sein Herz darauf, ihn zu befreien und arbeitet bis zum Ende des Tages daran. Das Problem, das Darius zu lösen versuchte, war, das Verlangen seines Herzens zu befriedigen und gleichzeitig das Gesetz aufrechtzuerhalten, das er mit eigener Hand unterschrieben hatte. David sah sich in seinen Tagen in Bezug auf seinen Sohn Absalom vor demselben Problem. David konnte nicht das Gesetz mit der Liebe vereinen, und so missachtete er das Gesetz und handelte in Liebe, mit dem Ergebnis, dass er von dem, dem er Gnade erwiesen hatte, von seinem Thron geworfen wurde. Darius missachtete die Weisungen seines Herzens und erhielt das Gesetz aufrecht, mit dem Ergebnis, dass er seinen Thron behielt, doch Daniel wurde in die Löwengrube geworfen, wobei jede Vorkehrung getroffen wurde, dass der Erlass des Königs Wort für Wort ausgeführt wurde.

Allein Gott in seinen Wegen mit dem Sünder kann die Ansprüche der Gerechtigkeit mit der Herrschaft der Gnade in Einklang bringen. Auf der Grundlage des Sterbens Christi triumphiert Gnade über Gerechtigkeit.

Obwohl er das Gesetz Wort für Wort ausführt, hat der König die Zuversicht, dass Daniels Gott, „dem“, wie er sagt, „du ohne Unterlass dienst“, zur Befreiung seines treuen Dieners eingreifen wird. Der König weist Daniel an, zu tun, was in direktem Ungehorsam gegenüber seinem eigenen Erlass war, und er ist überzeugt, dass der, der die Furcht Gottes über die Furcht des größten Menschen auf Erden setzt, von Gott nicht verlassen werden wird. Seine Überzeugung war richtig, und sie ist es immer, auch wenn das Eingreifen Gottes in dieser Haushaltung des Glaubens nicht immer die direkte und übernatürliche Form annimmt, die es in früheren Haushaltungen annahm.

„Dann ging der König in seinen Palast, und er übernachtete fastend und ließ keine Nebenfrauen zu sich hereinführen; und sein Schlaf floh von ihm“ (6,19).

Trotz seiner Überzeugung, dass Gott aufseiten seines Dieners eingreifen würde, ist der König erfüllt von Reue für seine eigene Handlung und verbringt fastend eine schlaflose Nacht.

„Dann stand der König bei der Morgenröte, sobald es hell wurde, auf und ging schnell zur Löwengrube. Und als er sich der Grube näherte, rief er mit trauriger Stimme nach Daniel. Der König hob an und sprach zu Daniel: Daniel, Knecht des lebendigen Gottes, hat dein Gott, dem du ohne Unterlass dienst, vermocht, dich von den Löwen zu retten? Da sprach Daniel zum König: O König, lebe ewig! Mein Gott hat seinen Engel gesandt und hat den Rachen der Löwen verschlossen, dass sie mich nicht verletzt haben, weil vor ihm Unschuld an mir gefunden wurde; und auch vor dir, o König, habe ich kein Verbrechen begangen. Da freute sich der König sehr, und er befahl, Daniel aus der Grube herauszuholen. Und Daniel wurde aus der Grube herausgeholt; und keine Verletzung wurde an ihm gefunden, weil er auf seinen Gott vertraut hatte. Und der König befahl, und man brachte jene Männer, die Daniel angezeigt hatten, und man warf sie in die Löwengrube, sie, ihre Kinder und ihre Frauen; und ehe sie noch auf dem Boden der Grube angekommen waren, bemächtigten sich ihrer die Löwen und zermalmten alle ihre Gebeine“ (6,20–25).

Früh am Morgen eilt der König zur Löwengrube und findet zu seiner Erleichterung, dass Gott tatsächlich eingegriffen hat. Als er Daniel ruft, spricht er ihn als „Knecht des lebendigen Gottes“ an und erkennt aufs Neue an, dass Daniel Gott unablässig gedient hat. In ihrer Anklage hatten die niederträchtigen Männer alles aus dem König und nichts aus Gott gemacht – der König macht nun alles aus Gott und nichts aus sich selbst.

Daniel verständigt den König, dass Gott durch die Macht von Engeln für ihn eingegriffen und die Rachen der Löwen verschlossen hatte, weil er gegenüber Gott und dem König ein reines Gewissen hatte.

Die Männer, die den Erlass entworfen hatten, hatten Gott in ihren Plänen außen vor gelassen. Sie hatten mit keiner Macht gerechnet, die in der Lage ist, die Grausamkeit der Löwen zu bändigen. Sie hatten in ihrem Erlass keine Vorsorge dafür getroffen, dass jeder, der zu den Löwen geworfen wird, auch von diesen getötet werden muss. So war das Gesetz erfüllt und Daniel war gerettet, und diese heimtückischen Männer wurden, nachdem sie voll und ganz entlarvt wurden, selbst mit ihren Familien in die Löwengrube geworfen und somit mit der Falle gefangen, die sie dem Mann Gottes gestellt hatten.

„Darauf schrieb der König Darius an alle Völker, Völkerschaften und Sprachen, die auf der ganzen Erde wohnten: Friede euch in Fülle! Von mir wird Befehl gegeben, dass man in der ganzen Herrschaft meines Königreichs bebe und sich vor dem Gott Daniels fürchte; denn er ist der lebendige Gott und besteht ewig, und sein Reich wird nie zerstört werden, und seine Herrschaft währt bis ans Ende; der da rettet und befreit und Zeichen und Wunder tut im Himmel und auf der Erde: Denn er hat Daniel aus der Gewalt der Löwen errettet“ (6,26–28).

Darius sendet nun einen neuen Erlass an alle aus, die auf der Erde wohnen, dass alle Menschen vor dem Gott Daniels beben und Ihn fürchten sollen. Dies übertrifft den in Daniel 3 aufgezeichneten Befehl Nebukadnezars, der lediglich verbot, irgendetwas Unrechtes gegen Gott zu sprechen. Dieser Befehl gebietet, Gott als Anerkennung seiner Souveränität als lebendiger Gott gebührenden Respekt und Furcht entgegenzubringen. So wird durch die Treue eines einzigen Mannes der Versuch, den Menschen auf den Platz Gottes zu erheben, zur Gelegenheit eines weltweiten Zeugnisses für den lebendigen Gott.

Die ganze Begebenheit illustriert auf herausragende Weise die Wahrheit aus Psalm 57. Dort findet der Psalmist sich selbst in der Gegenwart solcher, die ihn vernichten wollten. Er ruft zu dem höchsten Gott, der alle Dinge vollendet. Nachdem er zu Gott gerufen hat, hat er die Zuversicht, dass Gott „vom Himmel ... senden“ und ihn retten wird. In dieser Zuversicht wird er in Ruhe bewahrt, obwohl er, was seine Umstände betrifft, „mitten unter Löwen“ und von Feinden umgeben ist, deren Zunge „ein scharfes Schwert“ ist. In der Folge sagt der Psalmist: „Eine Grube haben sie vor mir gegraben, und sie sind mitten hineingefallen.“ Daraufhin wird Gott erhöht, sein Lob breitet sich aus „unter den Völkern“ und Er wird „über die Himmel“ und „über der ganzen Erde“ erhöht. Das abschließende Ende des Abfalls des Menschen wird sein, dass die Bösartigen mit ewiger Vernichtung gestraft werden. Die Gottesfürchtigen werden für all ihre Leiden entschädigt und Gott durch die Herrlichkeit Christi auf der ganzen Erde verherrlicht werden.

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