Betrachtung über den Propheten Hosea

Kapitel 10

Ein fruchtloser Weinstock (Kap. 10,1–3)

Das Leben eines Weinstocks zeigt sich nicht in seinen Ästen, sondern in der Frucht, die er dem Weingärtner bringt. Israel wurde aus Ägypten herausgeführt, um der Weinberg des HERRN zu sein (Ps 80,9; Jes 5,7) und hatte einst Frucht für Gott getragen (Kap. 9,10). Nun verweigerte der Weinstock dem Eigentümer seine Frucht und lebte nur für sich selbst. Mehr noch, für jede Segnung, die Gott seinem Volk gewährte, verherrlichte es seine nichtswürdigen Götzen. Gott würde ihre Altäre und Bildsäulen zertrümmern und eine Zeit politischer Anarchie zulassen, in der ihnen kein König Schutz bieten würde.

Bethel wird zu Beth-Awen (Kap. 10,4–8)

Unter den Übeln in Israel kam auch leeres Geschwätz vor. Ist unsere Zeitepoche nicht durch eine Fülle von Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten gekennzeichnet? Satan bedient sich dieses vielen Geredes, um den Menschen das Wichtigste zu verschleiern: Die Stimme Gottes durch sein Wort, die Bibel.

Das Volk und sein König werden des Verrats angeklagt. In der Tat war Hosea (der König Israels) einen Bund der Unterwerfung mit Salmaneser, dem König Assyriens, eingegangen, während eine Verschwörung mit So, dem König Ägyptens, im Gange war (2. Kön 17,3.4). Auf gleiche Weise verpflichtete sich Zedekia, der König Judas, zweihundert Jahre später mit einem Schwur bei Gott vor Nebukadnezar und brach seinen Eid, indem er Ägypten um Hilfe anrief (2. Chr 36,13; Hes 17,18). Welch ein schlechtes Zeugnis ist es vor der Welt, wenn Christen ihr Wort nicht halten! Das über Israel wegen seines Eidbruchs ausgesprochene Gericht wird mit Giftkraut verglichen, welches die Ernte verhindert.

Doch was tut Israel angesichts des Gerichts? Es ist besorgt um seine Götzen und die Reichtümer, die sie widerspiegeln. Bethel, das einstige Haus Gottes, beherbergt nun ein goldenes Kalb (schon seit Jerobeam I.) und wird von dem Propheten als Beth-Awen, ein Haus der Nichtigkeit oder Ungerechtigkeit, bezeichnet (Kap. 4,15; 5,8; 10,8). Götzendienst ist für Gott immer ein Gräuel. Die Wegführung der Götzen (Symbole des materiellen Wohlstandes in Israel) durch die Feinde würde zur Beschämung der Götzenpriester sein.

Nun würde Israel und sein König nach Assyrien verschleppt werden. Diese Prophezeiung erfüllte sich buchstäblich noch zu Lebzeiten des Propheten Hosea (2. Kön 17,4–6; 18,9–12). Der Erdboden Israels würde zur Wüste werden; Dornen und Disteln – eine Erinnerung an den Fluch über die Erde nach dem Sündenfall Adams (1. Mo 3,18) – würden von nun an die Altäre bedecken und den Götzendienst Ephraims verbergen. Schande und Angst würden das Teil des schuldigen Volkes sein, dessen nationale Geschichte von nun an abgeschlossen ist, bis es einmal eine Wiederherstellung erleben wird, die für uns noch zukünftig ist.

Diese Prophezeiung Hoseas kündigt außerdem spätere Ereignisse an. Ein weiteres Gericht würde Juda erreichen, welches der Verwerfung und des Mordes an dem Messias schuldig ist. So kündigt der Herr (das grüne Holz für Gott) den Fluch über das dürre Holz (Israel ohne Gott) an, indem er die Worte Hoseas gebraucht (Kap. 10,8; Lk 23,28–31). Schließlich wird beim Öffnen des sechsten Siegels in der Offenbarung die Furcht der Menschen vor dem Zorn des Lammes durch die gleichen Worte der Angst ausgedrückt (Off 6,15–17). Welch tragisches Ende!

„Pflügt euch einen Neubruch“ (Kap. 10,9–15)

Die traurige Angelegenheit Benjamins zu Gibea wurde nie vollständig vor Gott in Ordnung gebracht und hatte wie Sauerteig die Masse des Volkes durchdrungen und verdorben. Zu jener Zeit wurde Benjamin von den übrigen Stämmen wegen seines Fehlverhaltens gerichtet. Jedoch entflohen die „Kinder des Frevels“, die tatsächlich der abscheulichen Tat schuldig waren, dem Gericht.

Dieses Gericht von Gibea weist auf ein noch schwerwiegenderes Gericht hin, nämlich auf das über das ganze Volk Israel. Gott würde sich dann der Nationen bedienen, um zugleich Juda (mit Benjamin) und Ephraim (die zehn Stämme) zu richten, die er „an ihre beiden Sünden binden“ wird. Es scheint, als bestünden diese beiden Sünden in:

  1. dem Aufgeben Gottes, der Quelle lebendiger Wasser (Jer 2,13);
  2. dem Götzendienst.

Dies sind genau die beiden großen Themen der Auseinandersetzung Gottes mit seinem Volk im Propheten Jesaja. Ephraim und Juda würden so dem Joch der Nationen unterworfen sein. Sie würden für andere als Sklaven arbeiten (Kap. 10,11), weil sie „Gottlosigkeit gepflügt, Unrecht geerntet und die Frucht der Lüge gegessen haben“ (Kap. 10,13).

Der Prophet unterbricht die traurige Schau des Gerichts, um einen ergreifenden Appell der Gnade an das Volk zu richten (Kap. 10,12), indem er dasselbe Bild der Feldarbeit weiter verfolgt. Sie sollten in Gerechtigkeit säen, um Frömmigkeit zu ernten, ein neues Leben beginnen und den HERRN suchen. Gottes Antwort würde nicht ausbleiben; er würde kommen und den bearbeiteten Boden mit Gerechtigkeit bewässern und den Regen seines Segens strömen lassen (Kap. 6,3). Dies wäre das Morgengrauen der Befreiung des Volkes. Wie rührend ist es zu sehen, wie Gott auf die geringste Bewegung des Herzens zu ihm hin antwortet!

Jedenfalls endet dieses Kapitel mit dem Grauen eines anderen Morgens, nämlich dem des Gerichts, welcher das Ende der Geschichte Ephraims bedeutet (Kap. 10,13–15). „Ihr habt Gottlosigkeit gepflügt“: Wie so oft in der Prophetie Hoseas rufen die Bilder Gedanken hervor. Das Pflügen kann einerseits das Joch der Nationen meinen, welches auf das Volk als Konsequenz seiner Ungerechtigkeit gelegt wird, andererseits aber auch das Arbeiten Gottes an einem Herzen, um es zum HERRN zurückzubringen.

Bethel war der Ort, an dem Gott Jakob und seinen Nachkommen seine Verheißungen bestätigt hatte (1. Mo 28,13.19). Als das Zentrum des Abfalls war Bethel nun das Zeugnis der Bosheit der eigenen Nachkommen Jakobs geworden (Kap. 10,15).

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