Der erste Brief an Timotheus

Kapitel 3

Der erste Brief an Timotheus

Der Apostel kommt nun auf die verschiedenen Dienste in der Gemeinde zu sprechen. Zuerst schreibt er über die Aufseher oder Ältesten und dann über die Diakone, und schließlich über die Gemeinde des Herrn selbst.

Da betreffs dieses Punktes eine so große Verwirrung der Begriffe unter den Gläubigen herrscht, ist es wohl nützlich, etwas näher auf dieses Thema einzugehen. In weiten Kreisen der Christenheit herrscht die Auffassung, dass nicht nur Älteste und Diakone, sondern auch Hirten, Lehrer und Evangelisten ein Amt bekleiden. Das steht aber im Widerspruch mit dem, was uns die Schrift lehrt. Nirgendwo spricht die Schrift von einem Lehrer- oder Hirtenamt, und ebenso wenig von einem Amt des Evangelisten; dagegen wird wohl von einem Aufseheramt und von dem Amt des Dieners gesprochen. Hirten, Lehrer, Evangelisten sind Gaben, von Gott der Gemeinde gegeben, wie auch Apostel und Propheten. In 1. Korinther 12, Epheser 4 und Römer 12, wo die verschiedenen Gaben, die Gott der Versammlung gegeben hat, aufgeführt werden, ist keine Rede von Ältesten und Dienern, während aus den Briefen an Timotheus und Titus hervorgeht, dass die Aufseher wohl die Gaben des Lehrers oder Hirten haben konnte, aber dass diese keineswegs zu ihrem Aufseheramt gehörten. Die Ältesten aber, die in Wort und Lehre arbeiten, sollten doppelter Ehre würdig geachtet werden, sagt Paulus in Kapitel 5. Das Arbeiten in Wort und Lehre gehörte also nicht zum Amt eines Ältesten; er konnte jedoch bei seinem Amt als Ältester auch die Gabe eines Lehrers oder Hirten haben, und in diesem Fall war er doppelter Ehre würdig. Und aus der Apostelgeschichte ergibt sich, dass es Diakonen gab, wie Stephanus und Philippus, die außer ihrem Amt als Versorger der Armen auch die Gabe empfingen, das Evangelium zu predigen.

Daher auch der Unterschied, den wir in der Schrift finden zwischen der Stellung von Ältesten (Aufsehern) und Diakonen (Dienern; Armenpflegern) und der von Hirten, Lehrern und Evangelisten. Ein Ältester und ein Diener war in Bezug auf die Ausübung seines Amtes an einen bestimmten, vom Apostel ihm zugewiesenen Ort, gebunden und hatte an einem anderen Ort als solcher nichts zu sagen, während Hirten, Lehrer und Evangelisten ihre Tätigkeit als solche nicht auf einen Ort beschränken, sondern überall, wo sie hinkommen, ihre Gabe ausüben sollen. Darum wird wohl von den Ältesten und Dienern zu Jerusalem, zu Philippi usw. geredet, aber nie von Hirten, Lehrer oder Evangelisten dieser oder jener Versammlung. Das ist eine der Schrift absolut fremde Sache; und wo es in der christlichen Kirche heutzutage so gehandhabt wird, stützt sich das auf rein menschliche Ansichten, die wir als eine Folge des Nichtverstehens des Unterschieds zwischen Gabe und Amt betrachten müssen.

Dieser Unterschied zwischen Gabe und Amt geht auch daraus hervor, dass in der Schrift nie die Rede ist vom Anstellen eines Hirten oder Lehrers oder Evangelisten, wohl aber von der Einsetzung von Ältesten und Dienern. Wer eine Gabe von Gott empfing, sollte diese ausüben. Er war dafür Gott gegenüber verantwortlich. Die Gemeinde hatte diese Gabe dankbar aus Gottes Hand anzunehmen; musste solchen gehorsam sein und sie ehren und ihnen von ihren Gütern mitteilen. Älteste und Diener wurden angestellt – die Ältesten durch Apostel und ihre Abgesandten; die Diener durch die Versammlung. Diese Verschiedenheit in der Art der Einsetzung liegt in der Unterschiedlichkeit ihrer Aufgaben. Beim Diener hat man es mit jemandem zu tun, der das Geld und das Gut, das die Versammlung zusammenbringt, den Armen austeilt; und darum erwählt die Versammlung solche, die sie ihres Vertrauens würdig erachtet. Ein Ältester musste die Aufsicht über die Versammlung führen, und darum wurde er nicht von der Versammlung gewählt, sondern durch die Apostel nach Gottes Befehl und Anweisung angestellt.

Beachten wir zugleich, dass „Aufseher“ (Episkopos, d. h. „Bischof“) und „Ältester“ (Presbyter, d. h. „Ältester“) ein und dasselbe Amt verkörpern und keineswegs zwei Ämter bilden. Das wird durch Titus 1,5–7 klar bewiesen. Paulus schreibt dort, dass er Titus auf Kreta zurückgelassen habe, damit dieser in jeder Stadt Älteste anstellen sollte, und gibt dann an, was für Personen als Älteste allein in Frage kamen, wobei er mit den Worten beginnt:

„Denn ein Aufseher muss untadelig sein.“ Er war „Aufseher“, weil er über die Versammlung Gottes die Aufsicht zu führen hatte, und „Ältester“, weil er über ein gewisses Alter verfügen musste, d. h. ein gereifter Mann sein, der ferner ein gutes Zeugnis hatte und sich durch geordnete Familienverhältnisse auszeichnete. „Ältester“ und „Aufseher“ waren also ein und dieselbe Person.

Sehen wir nun, was der Apostel bezüglich der Ältesten und Diener an Timotheus schreibt: „Das Wort ist gewiss: Wenn jemand nach einem Aufseherdienst trachtet, so begehrt er ein schönes Werk“ (Vers 1). In der Tat, es ist eine vortreffliche Aufgabe, die Aufsicht über die Versammlung Gottes zu führen, die Er sich erworben hat durch das Blut Seines eigenen Sohnes, Sorge zu tragen um die geliebten Kinder Gottes, damit sie in Gemeinschaft mit dem Herrn ihren Weg gehen, und damit ihr Verhalten mit dem christlichen Bekenntnis übereinstimmt; damit sie die Einheit des Geistes bewahren durch das Band des Friedens, und damit sie beschützt und gewarnt werden vor den grausamen Wölfen, welche die Herde zerreißen wollen. Wer ein Herz für den Herrn hat, kann sich diesem Dienst wohl widmen und findet Gelegenheit genug, seine Liebe zu den Seelen zu beweisen. Doch um diesen Dienst erfüllen zu können, muss man die dazu nötigen Eigenschaften besitzen. Paulus führt diese nacheinander auf.

„Der Aufseher muss nun untadelig sein“, das will heißen, es darf an seinem Betragen nichts auszusetzen sein. Er muss „Mann einer Frau“ sein. Unter den Heiden bestand die Polygamie, und selbst in Israel hatte es Gott wegen der Härte ihrer Herzen zugelassen, mehr als eine Frau zu haben; doch war das ganz gegen die ursprüngliche Einsetzung der Ehe. Gott hatte Mann und Frau als eine Einheit geschaffen. Die Christen wurden angehalten, zu dieser ursprünglichen Einsetzung zurückzukehren. In der Gemeinde des Herrn sollte die Heiligkeit der Ehe aufrecht erhalten werden. Darum musste jeder Mann seine eigene Frau haben. Es gab jedoch in der Versammlung Gläubige aus den Heiden und aus den Juden, die, als sie bekehrt wurden, mehr als eine Frau hatten. Diese wurden nicht gezwungen, ihre Frauen bis auf eine fortzuschicken; doch durften solche nicht als Älteste oder Diener eingesetzt werden. Wer über die Versammlung Aufsicht hielt, oder wer die Armen versorgte, musste in allem und darum auch hierin ganz in Übereinstimmung mit Gottes Gedanken leben.

Ein Aufseher musste ferner wacker“ oder nüchtern sein, „besonnen“, nicht leichtsinnig, „sittsam“, kein Windbeutel, „gastfrei“ (siehe auch Römer 12,13), „lehrfähig“, das ist nicht in erster Linie die Gabe, öffentlich Lehrer zu sein, sondern vor allem die Fähigkeit, jeden zu unterweisen; er durfte „nicht dem Wein ergeben, kein Schläger sein, sondern gelinde, nicht streitsüchtig, nicht geldliebend“ (Verse 2, 3). „Seinem eigenen Haus sollte er wohl vorstehen, seine Kinder in Unterwürfigkeit halten mit allem würdigen Ernst (wenn aber jemand dem eigenen Haus nicht vorzustehen weiß, wie wird er die Versammlung Gottes besorgen?“ (Verse 4. 5). Ein Aufseher musste also nicht nur persönlich, in seinem privaten Leben und Benehmen, in allem ein Vorbild der Versammlung sein; sondern auch die Einrichtung und die Ordnung seines Hauses und die Erziehung seiner Kinder sollte den Heiligen als Vorbild dienen können. Wie sollte er die Gläubigen ermahnen und warnen können; wie sollte er ihnen Anweisungen für ihr Betragen geben, wenn er selber nicht so wandelte, wie es dem Herrn wohlgefällig war? Seine Worte würden keinen Einfluss ausüben. Auch sollte er „kein Neuling“ sein, nicht einer, der eben bekehrt worden war und also von der Wahrheit noch wenig verstand, sondern eine bejahrte Person, die schon lange gläubig war und sich als ein Christ benommen hatte. „Dass er nicht, aufgebläht, ins Gericht des Teufels verfalle“ (Vers 6). Der Teufel hat sich erhoben wegen seiner eigenen Vortrefflichkeit und ist nicht in der Wahrheit geblieben (siehe Hes 28); ebenso bestand große Gefahr, dass, wenn ein neu bekehrter Christ zum Aufseherdienst angestellt würde, er dem Hochmut verfallen könnte. Und da ein Aufseher in vielen Fällen die Versammlung vor der Welt vertrat, so sollte er „auch ein gutes Zeugnis haben von denen, die draußen sind“, so dass die Welt nichts an ihm auszusetzen wusste, sondern ihn im Gegenteil achtete und ehrte. Er musste ein gutes Zeugnis haben, „dass er nicht in Schmach und in den Fallstrick des Teufels verfalle“ (Vers 7). Wer kein gutes Zeugnis hat, wird, da er nicht mutig auftreten darf, weil sein Gewissen ihn straft, dem Teufel nachgeben und sich von ihm fangen lassen.

Über die Diener schreibt der Apostel in ähnlicher Weise (Verse 8 -13). Gleichwie die Aufseher durften sie nur eine Frau haben. Sie sollten ihren Kindern und ihrem eigenen Haus gut vorstehen; ehrbar, nicht doppelzüngig, nicht vielem Wein ergeben sein, nicht schändlichem Gewinn nachgehend, so dass nicht die Gefahr der Unehrlichkeit bestand; also das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen bewahrend. Sie durften nicht aus den Reihen der Neubekehrten gewählt werden; denn, sagt Paulus, „dass sie zuerst erprobt werden, dann lass sie dienen, wenn sie untadelig sind“ (Vers 10). Bemerkenswert ist, dass der Apostel erwähnt, was den Frauen der Diener geziemt, während er bei den Aufsehern nichts davon sagt. „Die Frauen desgleichen, würdig, nicht verleumderisch, nüchtern, treu in allem“ (Vers 11). Der Grund hiervon ist deutlich. Ein Aufseher betreut die Seelen der Heiligen und hat Autorität in der Versammlung; damit hatten die Frauen nichts zu tun. Doch ein Diakon war ein Besorger der Armen; er musste sich also um die äußeren Umstände der Gläubigen und um ihre Familienverhältnisse kümmern; anders konnte er seinen Dienst nicht gut versehen; und darin konnte seine Frau ihm behilflich sein und ihm mit Rat und Beistand dienen. Demzufolge musste die Frau eines Diakons Eigenschaften besitzen, die sie befähigten, ihrem Mann in seinem Dienst eine Hilfe zu sein. Auch durfte sie von dem, was sie betreffs der häuslichen Verhältnisse der Gläubigen vernahm, keinen weiteren Gebrauch machen. Eine verleumderische Frau z.B. könnte als Frau eines Diakons großen Schaden anrichten. Die Treue, mit der ein Diakon seinen Dienst versah, der oft sehr heikler Art war und viel Liebe und Geduld erheischte, war ein Mittel, um sich einen guten Umgang und viel Freimütigkeit im Glauben, der in Christus Jesus ist, zu erwerben (Vers 13). Stephanus und Philippus sind davon treffliche Zeugen; sie überschritten bald ihren Dienst als Diakone und wurden feurige und eifrige Prediger des Evangeliums der Gnade.

„Dieses schreibe ich dir in der Hoffnung, bald zu dir zu kommen; wenn ich aber zögere, dass du weißt, wie man sich verhalten soll im Haus Gottes, welches die Versammlung des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“ (Verse 14, 15). Inhaltsreiche Worte! Wie an vielen andern Stellen der Briefe von Paulus, geben ihm auch hier die Verhältnisse in der Gemeinde Anlass zur Entwicklung der Wahrheit. Die Anweisungen betreffs der Ältesten und Diakone, die für Timotheus nötig waren, damit er wusste, wie er sich in der Versammlung benehmen sollte, gaben dem Apostel einen Anknüpfungspunkt, um anschließend noch einiges über die Gemeinde des Herrn zu sagen. Sie ist

  1. Gottes Haus
  2. die Versammlung des lebendigen Gottes, und
  3. der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit.

Das war sie nicht nur in den Tagen der Ordnung und der Ruhe, der Freude und Einheit, sondern das ist sie zu allen Zeiten. Gewiss, der Unterschied zwischen dem praktischen Zustand von damals und jetzt ist ungeheuer groß; doch das schließt nicht aus, dass – dem Herrn sei Dank! – die Versammlung in Gottes Augen und nach Gottes Gedanken zu allen Zeiten dieselbe ist, so dass es die Berufung aller ist, die da glauben und also lebendige Glieder am Leib des Christus sind, die Versammlung in ihrem wahren Charakter zu erhalten. Der Verfall der Gemeinde, worüber wir trauern und uns beugen, kann uns also nicht hindern, nach denselben Grundsätzen zu handeln, die die Gläubigen in den Tagen der Apostel festgehalten haben. Zeit und Umstände können diese Grundsätze nicht verändern. Der Herr erwartet von jedem der Seinen, dass er in Seiner Versammlung sich auf eine Weise verhält, wie es Ihm wohlgefällig ist und Seinen Gedanken entspricht. Darum ist es von äußerster Wichtigkeit, dass ein jeder Gläubige über das Wesen und den Charakter der Versammlung unterrichtet ist.

Nun, die Gemeinde ist „Gottes Haus“. So wie Gott früher im Tempel in Jerusalem zwischen den Cherubim der Herrlichkeit wohnte, so wohnt Er jetzt in der Versammlung. Darum ist die Gemeinde Gottes Haus, und zwar Gottes Haus auf der Erde, denn der Apostel schreibt diese Dinge, damit Timotheus wisse, wie man sich im Haus Gottes verhalten soll. Wie auch der praktische Zustand der Gemeinde sein mag, solange die wahren Gläubigen, in denen der Heilige Geist wohnt, sich noch auf der Erde befinden, bleibt die Gemeinde Gottes Haus. Erst nachdem die Gläubigen in den Himmel aufgenommen sein werden, wird die abtrünnige Christenheit sich zu dem entwickeln, was uns, in Offenbarung 17 und 18 als die „große Hure“ – „Babylon“ – vor Augen gestellt wird, über die dann das unerbittliche Gericht hereinbrechen wird. Das zu erkennen ist von großer Wichtigkeit.

Die Gemeinde also ist Gottes Haus. In diesem Fall hat Gott allein zu gebieten in diesem Haus; Er allein darf Regeln aufstellen über die Ordnung, die darin herrschen soll; jeder hat sich in diesem Haus nach Seinem Willen zu richten und auf Sein Wort zu horchen. Es ist also nichts Geringeres als eine Missachtung und Beiseitesetzung Seines Willens und Seiner Macht, wenn man in diesem Haus nach eigenem Gutbefinden handelt und wandelt.

Die Gemeinde ist, an zweiter Stelle, „die Versammlung des lebendigen Gottes“. Gott, in Dem im Gegensatz zu den Menschen und den Götzen die Macht des Lebens ist, hat eine Gemeinde, eine Versammlung, außerhalb dieser Welt, die Er für sich abgesondert hat.

Und an dritter Stelle ist die Gemeinde „der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“. Die Gemeinde ist nicht die Wahrheit; das Wort Gottes ist die Wahrheit. „Dein Wort ist die Wahrheit“, sagt der Herr in Johannes 17, und der Glaube an die Wahrheit ist es, das die Gemeinden zusammenfügt. Aber die Gemeinde ist der „Pfeiler“ und die „Grundfeste“ der Wahrheit auf der Erde; d. h. sie hält die Wahrheit auf der Erde aufrecht. Wenn sie in den Himmel aufgenommen sein wird, werden die Menschen dem Irrtum anheim fallen, so dass sie alle den Menschen der Sünde, den Sohn des Verderbens, anbeten werden (Siehe 2. Thes 2.). Die Gemeinde ist von Gott auf die Erde gestellt, um die Wahrheit aufrecht zu erhalten und der Welt zu verkündigen. Als Christus hier auf der Erde lebte, Er, Der in Seiner eigenen Person die Wahrheit war und ist, so wie Er auch der Weg und das Leben ist, da hielt Er die Wahrheit aufrecht und predigte sie; doch Er ist nun verborgen in Gott; und während Seiner Abwesenheit ist es die erhabene Berufung der Versammlung, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit zu sein. Aus dem Wort Gottes wissen wir, dass in Folge von Irrtum und Ketzerei, hervorgerufen durch die List Satans und die Sünde der Menschen, schließlich nur ein Überrest gefunden werden wird, der das Wort des Herrn bewahren und Seinen Namen nicht verleugnen wird. Dieser wird die Wahrheit aufrecht erhalten und darstellen und deshalb vom Herrn gekrönt, belohnt und erlöst werden, d. h. vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommt, in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen werden. Dieser Überrest, in Philadelphia prophetisch dargestellt, ist dann nach Gottes Gedanken die Gemeinde, die der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit ist. Alle andern, die wohl den Namen von Zeugen tragen, aber im Grund das Gegenteil sind, werden aus dem Mund des Herrn ausgespieen.

Die Gegenwart des lebendigen Gottes und das Bekenntnis der Wahrheit sind deshalb die wahren Kennzeichen des Hauses Gottes. Da, wo die Wahrheit ist, da ist dieses Haus. Um also beurteilen zu können, was die Gemeinde ist, müssen wir den lebendigen Gott kennen und die Wahrheit vom Irrtum unterscheiden können.

Der Apostel entwickelt nun, in Verbindung mit diesem dritten und wichtigen Charakter der Gemeinde, die Wahrheit, zu deren Aufrechterhaltung er berufen ist. Es versteht sich von selbst, dass er hier die Wahrheit nicht in allen ihren Teilen behandelt; das wäre in diesem Brief nicht am Platz und übrigens auch unmöglich, denn wir erkennen nur Teilstücke derselben. Aber er stellt uns hier den lebendigen Mittelpunkt der Wahrheit vor Augen, die Person unseres Herrn Jesus Christus, wie Er gekommen ist, um den Menschen zu Gott und Gott zum Menschen zu bringen. Das ganze Gebäude der Wahrheit ist auf Ihn gegründet und von Ihm durchdrungen. Die Gemeinde ist aufgebaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten, wovon Jesus Christus der lebendige Eckstein ist. „Niemand kann einen andern Grund legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“. Darum verdirbt jeder Irrtum betreffs Seiner Person und Seinem Werk die Gemeinde Gottes; und wer den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben (Siehe Eph 2 und 1. Kor 3.). Es ist denn auch höchst merkwürdig, dass der Apostel, indem er Christus, den lebendigen Mittelpunkt der Wahrheit, vorstellt, über das Geheimnis  der Gottseligkeit spricht, da doch die Verleugnung von Christus als Gott und Mensch, als Erlöser und Herr, ihr Ende und ihren Höhepunkt in dem Geheimnis der Gesetzlosigkeit finden wird, das jetzt schon wirksam ist, aber personifiziert auftreten wird im Antichrist, dem Menschen der Sünde, dem die ganze Welt schließlich göttliche Ehre erweisen wird.

„Und anerkannt groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit: Gott ist offenbart worden im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit“ (Vers 16).

In der Tat, dieses Geheimnis ist groß! Wer kann es fassen? Wer kann es ergründen? Gott ist offenbart im Fleisch! Das Wort, das im Anfang war, das Wort, das bei Gott und Gott war, durch das alle Dinge, die bestehen, geworden sind, – dieses Wort ist Mensch geworden und hat unter uns gewohnt. Der Schöpfer von Himmel und Erde, vor Dem die Engel sich beugten, hat sich so tief erniedrigt, dass Er in der Natur dessen gekommen ist, der durch die Sünde ganz verdorben war. Welch eine Weisheit! Gott, der die Liebe ist, hat einen Weg gefunden, um den verlorenen, schuldigen Menschen mit sich zu versöhnen und ihm an Seiner Herrlichkeit Anteil zu geben; dazu stieg Er herab auf die Erde, indem er Mensch wurde, inmitten des Bösen und aller Schwachheit wohnend. Indem Er so handelte, bewies Er, dass die Liebe stärker war als alles, stärker als Sünde und Tod.

Gott ist offenbart im Fleisch. „In allem ist Christus den Brüdern gleich geworden“, an Fleisch und Blut hat er teilgenommen; mit unseren Schwachheiten Mitleid habend, wurde Er in allen Dingen versucht, gleichwie wir. War denn Sünde in ihm, der sich so offenbart hat? War Er, wie wir, der Knechtschaft der Sünde unterworfen? Nein, keineswegs! Er ist in allen Dingen versucht worden, gleichwie wir, ausgenommen die Sünde. Es war keine Sünde in Ihm. Er tat nicht nur keine Sünden, sondern Er kannte die Sünde nicht. Der Heilige Geist trägt mit der größten Gewissenhaftigkeit dafür Sorge, dass gerade da, wo die Erniedrigung des Sohnes Gottes dargestellt wird, die Herrlichkeit Seiner Person um so mehr in den Vordergrund tritt. So auch hier. „Gott ist offenbart im Fleisch“ – das ist Seine Erniedrigung. „Gerechtfertigt im Geist“ – das ist Seine Herrlichkeit. Die Kraft des Heiligen Geistes offenbarte sich während Seines ganzen Lebens, leuchtete aus Seinem Sterben und hat Ihn durch Seine Auferstehung in Kraft als Gottes Sohn erwiesen. In denselben Verhältnissen, in denen wir uns befinden, hat Er nicht nur bewiesen, dass Er über das Böse erhaben ist, sondern auch vollkommen in allem, was gut ist, so dass Seine Sündlosigkeit während Seines ganzen Lebens für die Gewissen der Menschen offenbar wurde, gleichwie sie durch die Kraft Seiner Auferstehung offenbart worden ist.

Er ist „gesehen von den Engeln“. Diese heiligen Wesen, diese Boten Gottes, die sich im Himmel mit Bedeckung ihres Angesichtes vor dem ewigen Sohn niederbeugten, stiegen auf die Erde herab, als ihr Schöpfer und Herr, in Windeln gewickelt, in der Krippe von Bethlehem lag, und verkündigten Sein Lob. Auf den Sohn des Menschen sollten Gottes Engel auf- und niedersteigen. Wiewohl die Engel selber keine Gegenstände von Gottes Heilsratschluss sind, beobachteten sie voll Bewunderung und Anbetung das große Geheimnis der Menschwerdung und erfreuten sich an der unaussprechlichen, den Menschen widerfahrenen Gnade.

Er ist „gepredigt unter den Nationen“, denn Gott ist nicht nur ein Gott der Juden, sondern ein Heiland aller Menschen. Er ist „geglaubt in der Welt“, wie Er auch gesehen ist in Herrlichkeit, herrschend in Gerechtigkeit auf Seinem Thron, wie es später geschehen wird. Er ist „aufgenommen in Herrlichkeit“, dort, wo Er früher war, und wo Er für alle, die an Ihn glauben, eine Stätte bereitet hat.

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