Betrachtungen über das zweite Buch Mose

Das Priestertum

Betrachtungen über das zweite Buch Mose
Diese beiden Kapitel stellen uns ein neues interessantes Thema vor Augen: den Dienst und den Wert des Priestertums.

Mit dem Priestertum Aarons hatte Gott Vorsorge für das Volk getroffen, das in sich selbst fern von ihm stand und jemanden brauchte, der seinetwegen beständig in der Gegenwart Gottes erschien. In Hebräer 7 werden wir belehrt, dass diese Ordnung des Priestertums mit dem „Gesetz eines fleischlichen Gebots“ (V. 16) in Verbindung stand, dass es viele solcher Priester gab, weil „sie durch den Tod verhindert waren zu bleiben“ (V. 23), und dass diese Priester selbst Schwachheiten hatten (V. 28). Dieses Priestertum konnte daher nicht zur Vollkommenheit führen, und wir haben deshalb Ursache, Gott zu danken, dass es „ohne Eidschwur“ (V. 20) eingeführt worden ist. Der Eidschwur Gottes konnte nur mit einer Sache in Verbindung stehen, die für immer bleiben sollte: mit dem vollkommenen, unvergänglichen, unübertragbaren Priestertum unseres großen und herrlichen Melchisedek, der sowohl seinem Opfer als auch seinem Priestertum den ganzen Wert, die ganze Würde und Herrlichkeit seiner unvergleichlichen Person verleiht. Dieser Gedanke, dass wir ein solches Opfer und einen solchen Hohenpriester haben, muss in unseren Herzen tiefe Dankbarkeit wachrufen.

Die Kleider Aarons

In Kapitel 28 ist von Kleidern und in Kapitel 29 von Opfern die Rede. Die Ersteren stehen mehr mit den Bedürfnissen des Volkes, die Letzteren mit den Ansprüchen Gottes in Verbindung. Die Kleider weisen auf die Aufgaben und besonderen Merkmale des priesterlichen Dienstes hin. Das „Ephod“ war das Hauptstück der priesterlichen Bekleidung. Es war mit den beiden Schulterstücken und dem Brustschild untrennbar verbunden. Dies lehrt uns deutlich, dass die Stärke der Schulter des Priesters und die Zuneigung seines Herzens ganz und gar den Interessen derer gewidmet waren, die er vertrat und derentwegen er das Ephod trug. Und was hier in Aaron bildlich dargestellt wird, ist in Christus verwirklicht. Seine Allmacht und seine unendliche Liebe sind unser ewiges, unbestreitbares Teil. Die Schulter, die das ganze Weltall trägt, hält auch das schwächste und unwissendste Glied der mit Blut erkauften Gemeinde aufrecht. Das Herz Jesu schlägt mit unveränderlicher Zuneigung und mit ewiger, unermüdlicher Liebe für das am wenigsten geachtete Glied der erlösten Gemeinde. Welch ein unendlich tröstlicher Gedanke für jeden von uns!

Die Namen der zwölf Stämme wurden eingegraben in kostbare Steine sowohl auf den Schultern als auch auf der Brust des Hohenpriesters getragen (siehe V. 9–12.15–29). Der Glanz eines Edelsteins tritt umso stärker hervor, je heller das Licht ist, das auf ihn fällt. Die zwölf Stämme, die kleinsten wie die größten, wurden beständig auf der Brust und den Schultern Aarons vor dem Herrn getragen. In der Gegenwart Gottes wurde jeder einzelne Stamm in dem ungetrübten Glanz und der unwandelbaren Schönheit erhalten, die der Stellung geziemten, in die die vollkommene Gnade des Gottes Israels ihn versetzt hatte. Das Volk wurde durch den Hohenpriester vor Gott vertreten. Was auch immer die Schwachheiten, die Irrtümer oder Fehler der Kinder Israel sein mochten, ihre Namen glänzten allezeit auf dem Brustschild in unvergänglichem Glanz. Der HERR hatte ihnen diesen Platz angewiesen. Wer hätte sie von dort vertreiben können? Wer hätte in das Heiligtum dringen können, um den Namen eines der Stämme Israels von der Brust Aarons zu entfernen? Wer hätte den Glanz beeinträchtigen können, der diese Namen da, wo Gott sie hingesetzt hatte, umgab? Kein Feind konnte sie dort angreifen, nichts Böses sie beeinflussen.

Wie ermutigend und tröstlich ist für die geprüften, versuchten, umhergeworfenen und oft so schwachen Kinder Gottes der Gedanke, dass Gott sie nur auf dem Herzen Jesu sieht! Vor seinen Augen erscheinen sie beständig in der Vortrefflichkeit Christi. Die Welt kann sie natürlich so nicht sehen, aber Gott sieht sie so, und darin liegt der ganze Unterschied. Wenn die Menschen die Kinder Gottes betrachten, dann sehen sie ihre Mängel und Schwachheiten. Sie sind unfähig, weiter zu sehen, und darum ist ihr Urteil immer einseitig und damit falsch. Sie können die kostbaren Steine nicht sehen, in die Gott in seiner unveränderlichen Liebe die Namen der Erlösten eingegraben hat. Allerdings müssen die Christen äußerst wachsam sein, um der Welt keinen gerechten Anlass zum Tadeln zu geben: sie sollten versuchen, „dadurch, dass sie Gutes tun, die Unwissenheit der unverständigen Menschen zum Schweigen zu bringen“ (1. Pet 2,15). Würden sie nur durch die Kraft des Heiligen Geistes die wunderbare Stellung erfassen, in der sie ununterbrochen vor den Augen Gottes stehen, dann würden sie sicher auch vor den Augen der Menschen ein Leben in praktischer Heiligkeit, moralischer Reinheit und Erhabenheit führen. Je mehr wir durch den Glauben die Wahrheit und unsere Stellung in Christus erkennen, umso intensiver wird unsere praktische Lebensführung sein und umso stärker wird unser Charakter davon geprägt werden.

Aber – Gott sei Dank! – wir haben es nicht mit dem Urteil der Menschen, sondern mit dem Urteil Gottes zu tun, und in seiner Barmherzigkeit zeigt Er uns unseren großen Hohenpriester, der beständig unser Gericht vor Gott auf seinem Herzen trägt (V. 30). Das verleiht uns einen tiefen, dauernden Frieden, der durch nichts erschüttert werden kann. Unsere Mängel und Versäumnisse mögen uns beständig vor Augen sein und wir mögen darüber manchmal so betrübt sein, dass wir kaum den Glanz der kostbaren Steine erkennen, in die unsere Namen eingegraben sind. Aber trotzdem sind sie da; Gott sieht sie, und das ist genug. Er wird verherrlicht durch ihren Glanz, der allerdings nicht von uns herrührt, sondern von Gott selbst geschenkt ist. In uns war nichts als Finsternis, Unreinheit und Hässlichkeit. Gott hat uns Licht, Glanz und Schönheit gegeben und ihm allein gebührt Dank und Lob in Ewigkeit!

Der „Gürtel“ ist das bekannte Symbol des Dienens, und Christus ist der vollkommene Diener geworden, indem Er die Ratschlüsse der Liebe Gottes und ebenso die tiefen und vielfältigen Bedürfnisse seines Volkes erfüllt hat. In völliger Ergebenheit, die durch nichts beeinträchtigt werden konnte, hat Er sich für sein Werk gegürtet, und wenn der Gläubige den Sohn Gottes so gegürtet sieht, dann erkennt er, dass für ihn keine Schwierigkeit zu groß sein kann. Außerdem sehen wir in diesem Bild, dass alle Tugenden und Herrlichkeiten Christi, die Er als Gott und als Mensch hat, voll und ganz auch in seinem Charakter als Diener zum Ausdruck kommen. „Und der gewirkte Gürtel, womit es angebunden wird, der darüber ist, soll von gleicher Arbeit mit ihm sein: aus Gold, blauem und rotem Purpur und Karmesin und gezwirntem Byssus“ (V. 8). Das muss allen unseren Bedürfnissen und Wünschen genügen. Nicht nur erblicken wir Christus als das geschlachtete Opfer an dem kupfernen Altar, sondern auch als den gegürteten Hohenpriester über das Haus Gottes. Der Apostel mag daher wohl sagen: „Lasst uns hinzutreten“ – „lasst uns festhalten“ – „lasst uns auf einander achthaben“ (Heb 10,19–24)!

„Und lege in das Brustschild des Gerichts die Urim und die Tummim, dass sie auf dem Herzen Aarons seien, wenn er vor dem HERRN hineingeht; und Aaron soll das Gericht der Kinder Israel beständig auf seinem Herzen tragen vor dem HERRN „ (V. 30). Aus verschiedenen Stellen des Wortes Gottes wissen wir, dass die Urim bei der Erkundung der Gedanken Gottes über verschiedene Probleme, die sich im Lauf der Geschichte Israels ergaben, eine wichtige Rolle spielten. So lesen wir z. B. bei der Ernennung Josuas zum Führer des Volkes die Worte: „Und er soll vor Eleasar, den Priester, treten, und der soll für ihn das Urteil der Urim vor dem HERRN befragen“ (4. Mo 27,21). Auch sprach Mose zu Levi: „Deine Tummim und deine Urim (deine Vollkommenheiten und deine Lichter) sind für deinen Frommen … Sie werden Jakob deine Rechte lehren und Israel dein Gesetz“ (5. Mo 33,8–10). „Und Saul befragte den HERRN; aber der HERR antwortete ihm nicht, weder durch Träume noch durch die Urim noch durch die Propheten“ (1. Sam 28,6). „Und der Tirsatha sagte zu ihnen, dass sie vom Hochheiligen nicht essen dürften, bis ein Priester für die Urim und die Tummim aufstände“ (Esra 2,63). Wir finden also, dass der Hohepriester nicht nur das Gericht der Versammlung vor dem HERRN trug, sondern dass er auch das Urteil des HERRN der Versammlung mitteilte. Das war ein sehr wichtiger und feierlicher Dienst. Alles das aber besitzen wir in göttlicher Vollkommenheit in unserem „großen Hohenpriester …. der durch die Himmel gegangen ist“ (Heb 4,14). Er trägt das Gericht seines Volkes beständig auf seinem Herzen, und Er teilt uns durch den Heiligen Geist die Gedanken Gottes über die kleinsten Fragen unseres täglichen Lebens mit. Wir sind nicht auf Träume oder Gesichte angewiesen; wenn wir uns nur durch den Geist Gottes leiten lassen, dann wird unser großer Hoherpriester uns die gleiche praktische Gewissheit geben, die Er den Israeliten durch die Urim gab.

„Und mache das Oberkleid des Ephods ganz aus blauem Purpur … Und an seinen Saum mache Granatäpfel aus blauem und rotem Purpur und Karmesin, an seinen Saum ringsum, und Schellen aus Gold zwischen ihnen ringsum; eine Schelle aus Gold und einen Granatapfel, eine Schelle aus Gold und einen Granatapfel an den Saum des Oberkleides ringsum. Und Aaron soll es anhaben, um den Dienst zu verrichten, damit sein Klang gehört werde, wenn er ins Heiligtum hineingeht vor den HERRN und wenn er hinausgeht, damit er nicht sterbe“ (V. 31–35). Das blaue Oberkleid ist das Sinnbild des ganz und gar himmlischen Charakters unseres großen Hohenpriesters. Er ist in die Himmel eingegangen und für Menschen nicht wahrnehmbar. Aber durch die Kraft des Heiligen Geistes gibt es ein göttliches Zeugnis von dieser Tatsache, dass Er in der Gegenwart Gottes lebt – und nicht nur ein Zeugnis, sondern auch Frucht: „eine Schelle aus Gold und ein Granatapfel, eine Schelle aus Gold und ein Granatapfel“. Das ist eine wunderbare Ordnung: ein treues Zeugnis für die große Wahrheit, dass Jesus allezeit lebt, um sich für uns zu verwenden, wird immer auch mit Fruchtbarkeit in seinem Dienst verbunden sein.

„Und mache ein Blech aus reinem Gold und stich darauf mit Siegelstecherei: Heiligkeit dem HERRN! Und tu es an eine Schnur aus blauem Purpur; und es soll an dem Kopfbund sein, an der Vorderseite des Kopfbundes soll es sein. Und es soll auf der Stirn Aarons sein, und Aaron soll die Ungerechtigkeit der heiligen Dinge tragen, die die Kinder Israel heiligen werden bei allen Gaben ihrer heiligen Dinge; und es soll beständig an seiner Stirn sein, zum Wohlgefallen für sie vor dem HERRN“ (V. 36–38). Hier haben wir einen weiteren wichtigen Gedanken. Das goldene Blech an der Stirn Aarons war ein Bild der Heiligkeit des Herrn Jesus. „Es soll beständig an seiner Stirn sein, zum Wohlgefallen für sie vor dem HERRN.“ Welch eine Ruhe gibt das dem Herzen mitten in all der Unbeständigkeit unserer eigenen Erfahrung! Unser großer Hoherpriester ist „beständig“ in der Gegenwart Gottes für uns. Wir werden durch ihn vertreten und sind in ihm angenehm gemacht. Seine Heiligkeit ist die unsrige. Je klarer wir unsere persönliche Unreinheit und Schwachheit erkennen, je gründlicher wir die demütigende Erfahrung machen, dass in uns nichts Gutes wohnt, umso mehr werden wir mit Anbetung erfüllt und den Gott aller Gnade für die tröstende Wahrheit preisen, die in den Worten enthalten ist: „Es soll beständig an seiner Stirn sein, zum Wohlgefallen für sie vor dem HERRN „.

Manche Gläubige sind so sehr mit ihren eigenen Fehlern, mit ihrer Gleichgültigkeit und Unzufriedenheit beschäftigt, dass sie durch Zweifel und ständige Schwankungen in ihrem geistlichen Zustand beunruhigt werden. Sollte einer der Leser zu diesen Gläubigen gehören, so möge er immer an die wunderbare Wahrheit denken, dass sein großer Hoherpriester ihn vor dem Thron Gottes vertritt.

Die Kleider der Söhne Aarons

„Und den Söhnen Aarons sollst du Leibröcke machen und sollst ihnen Gürtel machen, und hohe Mützen sollst du ihnen machen zur Herrlichkeit und zum Schmuck … Und mache ihnen Beinkleider aus Leinen, um das Fleisch der Blöße zu bedecken … Und Aaron und seine Söhne sollen sie anhaben, wenn sie in das Zelt der Zusammenkunft hineingehen oder wenn sie zum Altar treten, um den Dienst im Heiligtum zu verrichten, dass sie nicht eine Ungerechtigkeit tragen und sterben“ (V. 40.42.43). Hier sehen wir in Aaron und seinen Söhnen Christus und die Versammlung – bekleidet mit derselben göttlichen und ewigen Gerechtigkeit. Die Priesterkleider Aarons sind der Ausdruck der persönlichen und ewigen Eigenschaften Christi, während die Leibröcke und Mützen der Söhne Aarons die erhabene Stellung andeuten, in die die Versammlung aufgrund ihrer Verbindung mit dem Haupt der priesterlichen Familie versetzt ist.

So sehen wir in allen Einzelheiten dieses Kapitels, mit welcher Sorgfalt Gott den Bedürfnissen seiner Erlösten entgegenkommt. Er stellt ihnen Christus als den Hohenpriester vor Augen, der bereit war, vor Gott für sie einzutreten – und zwar entsprechend ihrem wirklichen Zustand in den Augen Gottes, wie er in den verschiedenen Gewändern zum Ausdruck kommt. Das Volk konnte den Hohenpriester von Kopf bis Fuß betrachten und sich überzeugen, ob alles dem auf dem Berg gezeigten Muster entsprach; und dann konnte es sicher sein, dass sowohl den eigenen Bedürfnissen, als auch den Ansprüchen Gottes völlig genügt wurde.

Gottheit und Menschheit Christi

Es mag hier noch ein anderer Gesichtspunkt erwähnt werden, der zwar erst in Kapitel 39 näher entwickelt wird, der aber doch bei der Betrachtung der Priesterkleidung bedeutsam ist: die Verwendung des Goldes bei der Anfertigung der Gewänder Aarons. „Und sie hämmerten Goldbleche, und man zerschnitt sie zu Fäden, zum Verarbeiten unter den blauen und unter den roten Purpur und unter das Karmesin und unter den Byssus, in Kunstweberarbeit“ (Kap. 39,3). Wir haben gesehen, dass der blaue und rote Purpur, das Karmesin und der gezwirnte Byssus die verschiedenen Seiten der Menschheit Christi darstellen, während das Gold seine göttliche Natur andeutet. Die Fäden von Gold wurden so kunstvoll unter die übrigen Stoffe gewirkt, dass sie untrennbar mit ihnen verbunden, aber doch nach wie vor völlig verschieden von ihnen waren. Dieses Bild wirft wieder ein neues Licht auf den Charakter des Herrn Jesus. Bei verschiedenen Begebenheiten, von denen die Evangelisten berichten, tritt uns diese wunderbare Verbindung der Menschheit und Gottheit Christi und zugleich ihre geheimnisvolle Verschiedenheit entgegen.

Betrachten wir z. B. Christus auf dem See Genezareth. Mitten im Sturm war Er auf einem Kopfkissen eingeschlafen (Mk 4,38). Daran erkennen wir, dass Er als Mensch allen menschlichen Bedürfnissen unterworfen war. Aber einen Augenblick später offenbart Er sich als der unumschränkte Beherrscher des Weltalls, indem Er den Wind und den See beruhigt. Da ist keine Anstrengung, kein Hasten, keine Vorbereitung bei ihm zu bemerken. Sein Ruhen als Mensch ist nicht natürlicher als seine Tätigkeit als Gott. Beides offenbart Er in vollkommener Weise.

Oder betrachten wir ihn in Matthäus 17,24, wo die Einnehmer der Tempelsteuer sich mit der Frage an Petrus wenden: „Zahlt euer Lehrer nicht die Doppeldrachmen?“ Als Gott der Höchste, der Himmel und Erde besitzt (1. Mo 14,22), beansprucht Er die Schätze des Ozeans als sein Eigentum (Ps 50,12; 24,1; Hiob 41,2); und nachdem Er bewiesen hat, dass das Meer sein ist und dass Er es gemacht hat (Ps 95,5), wendet Er sich um und zeigt wiederum seine vollkommene Menschheit, indem Er sich mit seinem armen Diener verbindet: „Den nimm und gib ihnen für mich und dich“ (Mt 17,27). Gnadenreiche Worte – besonders, wenn man sie in Verbindung mit dem Wunder betrachtet, das in so eindrucksvoller Weise die Gottheit dessen offenbarte, der sich so tief zu einem armen, schwachen Menschen herabließ. Werfen wir ferner einen Blick auf unseren Herrn am Grab des Lazarus (Joh 11). Er seufzt und weint, und diese Seufzer und Tränen sind der Ausdruck eines vollkommenen menschlichen Herzens, das wie kein anderes diese Erde als eine Wüste empfand, in der die Sünde so schreckliche Früchte hervorgebracht hatte. Dann aber ruft Er als der Allmächtige, der „die Schlüssel des Todes und des Hades“ hat (Off 1,18) und der selbst die Auferstehung und das Leben ist: „Lazarus, komm heraus!“ Und der Tod muss diese Autorität anerkennen und seinen Gefangenen herausgeben (Joh 11,43).

Der Leser wird sich ohne Mühe noch an andere Beispiele aus den Evangelien erinnern, in denen diese Verbindung der goldenen Fäden mit dem blauen und roten Purpur, dem Karmesin und dem gezwirnten Byssus, d. h. die Verbindung der Gottheit mit der Menschheit in der geheimnisvollen Person des Sohnes Gottes hervortritt. Dieser Gedanke ist nicht neu und ist schon mehrfach von einsichtsvollen Erforschern der Schriften des Alten Testaments hervorgehoben worden. Es ist aber von Nutzen, sich dieser Tatsache immer wieder bewusst zu werden, dass der Herr Jesus wahrhaftiger Gott und wahrhaftiger Mensch war. Der Heilige Geist hat „in Kunstweberarbeit“ die Gottheit und Menschheit miteinander vereinigt und sie dem erneuerten Geist des Gläubigen vorgestellt.

Die Weihe Aarons und seiner Söhne

Werfen wir jetzt, bevor wir diesen Abschnitt verlassen, noch einen Blick auf Kapitel 29. Wir haben bereits gesehen, dass Aaron und seine Söhne Christus und die Versammlung darstellen; aber in den ersten Versen dieses Kapitels erhält Aaron den Vorrang. „Und Aaron und seine Söhne sollst du herzutreten lassen an den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft und sie mit Wasser waschen“ (V. 4). Die Waschung mit Wasser bewirkte, dass Aaron im Bild das wurde, was Christus in sich selbst ist, nämlich heilig. Die Versammlung ist heilig durch ihre Verbindung mit Christus in dem Auferstehungsleben. Christus ist der vollständige Ausdruck dessen, was die Versammlung in den Augen Gottes ist. Das Waschen mit Wasser stellt die Wirkung des Wortes Gottes dar (siehe Eph 5,26).

„Und nimm das Salböl und gieße es auf sein Haupt und salbe ihn“ (V. 7). Hier haben wir ein Bild des Heiligen Geistes. Aber wir müssen beachten, dass Aaron gesalbt wurde, bevor das Blut vergossen war, weil er hier als ein Bild von Christus vor uns steht, der aufgrund dessen, was Er in sich selbst war, durch den Heiligen Geist gesalbt wurde, lange bevor das Werk des Kreuzes vollbracht war. Bei den Söhnen Aarons hingegen fand die Salbung erst statt, nachdem das Blut geflossen war. „Und du sollst den Widder schlachten und von seinem Blut nehmen und es auf das rechte Ohrläppchen Aarons tun und auf das rechte Ohrläppchen seiner Söhne und auf den Daumen ihrer rechten Hand und auf die große Zehe ihres rechten Fußes. Und du sollst das Blut an den Altar sprengen ringsum.1Und nimm von dem Blut, das auf dem Altar ist, und vom Salböl, und sprenge es auf Aaron und auf seine Kleider und auf seine Söhne und auf die Kleider seiner Söhne mit ihm; und er wird heilig sein und seine Kleider und seine Söhne und die Kleider seiner Söhne mit ihm“ (V. 20.21). In Bezug auf die Versammlung ist das Blut des Kreuzes die Grundlage von allem. Sie konnte nicht mit dem Heiligen Geist gesalbt werden, bevor ihr auferstandenes Haupt in den Himmel aufgenommen war und auf dem Thron Gottes das Zeugnis des durch ihn vollbrachten Opfers niedergelegt hatte. „Diesen Jesus hat Gott auferweckt, wovon wir alle Zeugen sind. Nachdem er nun durch die Rechte Gottes erhöht worden ist und die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater empfangen hat, hat er dies ausgegossen, was ihr seht und hört“ (Apg 2,32.33; vgl. Joh 7,39; Apg 19,1–6). Von den Tagen Abels an bis jetzt hat es Seelen gegeben, die durch den Heiligen Geist erneuert waren, in denen Er wirkte und die Er zum Dienst befähigte; aber die Versammlung konnte nicht eher mit dem Heiligen Geist gesalbt werden, bis ihr siegreicher Herr in den Himmel eingegangen war und für sie die Verheißung des Vaters empfangen hatte. Diese Lehre ist im ganzen Neuen Testament deutlich erkennbar, und ihre Unverletzlichkeit wird in dem alttestamentlichen Bild durch die Tatsache hervorgehoben, dass Aaron zwar vor der Blutvergießung gesalbt wurde (V. 7), seine Söhne aber erst gesalbt werden konnten, nachdem das Blut geflossen war (V. 21).

Aber die hier in der Salbung beobachtete Ordnung zeigt uns nicht nur die Wahrheit über das Werk des Geistes und die Stellung der Versammlung. Auch der persönliche Vorrang des Sohnes wird uns hier vor Augen gestellt. „Gerechtigkeit hast du geliebt und Gesetzlosigkeit gehasst; darum hat Gott, dein Gott, dich gesalbt mit Freudenöl, mehr als deine Genossen“ (Ps 45,8; Heb 1,9). Diesen Gedanken müssen wir festhalten. Freilich hat sich die unendliche Gnade Gottes darin offenbart, dass schuldige und verdammungswürdige Sünder gewürdigt werden, „Genossen“ des Sohnes Gottes zu heißen; aber vergessen wir nie den Ausdruck „mehr als deine Genossen“. Wie innig unsere Verbindung mit Christus auch sein mag – und sie ist so innig, wie die ewigen Ratschlüsse Gottes sie zu machen vermochten –, so muss Er doch „in allem den Vorrang“ haben (Kol 1,18). Es kann unmöglich anders sein. Er ist das Haupt über alles, das Haupt der Versammlung, das Haupt der Schöpfung, das Haupt der Engel, der Herr des Weltalls. Es gibt keinen einzigen Himmelskörper, der ihm nicht gehörte und dessen Bewegungen Er nicht leitete. Kein einziger Wurm kriecht durch die Erde, den Er nicht im Auge behielte. Er ist „Gott über alles“ (Röm 9,5), „der Erstgeborene aus den Toten“ (Kol 1,18; Off 1,5), „der Erstgeborene aller Schöpfung“ (Kol 1,15), „der Anfang der Schöpfung Gottes“ (Off 3,14). „Jede Familie in den Himmeln und auf der Erde“ (Eph 3,15) muss sich ihm unterordnen. Jeder geistlich gesinnte Christ wird diese Wahrheit dankbar anerkennen. Wer durch den Heiligen Geist geleitet wird, freut sich über jede neue Entfaltung der Herrlichkeiten Christi und kann nicht dulden, dass sie durch irgendetwas beeinträchtigt werden. Mag die Versammlung auch zur höchsten Herrlichkeit erhoben werden, sie wird sich immer mit Freuden vor dem niederbeugen, der sich herabließ, um sich für sie zu opfern, damit Er sie zu sich selbst erheben konnte. Er hat nicht nur dem Anspruch der Gerechtigkeit Gottes entsprochen, sondern auch der Liebe Gottes, indem Er der Versammlung an seiner eigenen Herrlichkeit Anteil gegeben und sie unzertrennlich mit sich verbunden hat. Er schämt sich nicht, sie Brüder zu nennen.

Ich gehe absichtlich nicht näher auf die Opfer in Kapitel 29 ein, weil uns diese im Einzelnen bei der Betrachtung des 3. Buches Mose beschäftigen werden, wenn der Herr Gnade dazu schenkt.

Fußnoten

  • 1 Das Ohr, die Hand und der Fuß werden Gott geweiht, nachdem die Versöhnung vollbracht ist; dies kann nur in der Kraft des Heiligen Geistes geschehen (=Salböl).
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