Betrachtungen über das zweite Buch Mose

Das Manna

Betrachtungen über das zweite Buch Mose

Das Murren des Volkes

„Und sie brachen auf von Elim, und die ganze Gemeinde der Kinder Israel kam in die Wüste Sin, die zwischen Elim und Sinai ist, am fünfzehnten Tag des zweiten Monats nach ihrem Auszug aus dem Land Ägypten“ (V. 1). Die Kinder Israel sind hier an einem bemerkenswerten Punkt angelangt. Sie sind noch in derselben Wüste, aber in einem sehr wichtigen Teil davon, nämlich „zwischen Elim und Sinai“. Elim war der Platz, wo Gott sie gerade erst durch seinen Dienst gestärkt hatte, und Sinai wurde der Ort, wo sie den Boden der freien und unumschränkten Gnade verließen, um sich unter ein Bündnis von Werken zu stellen. Das macht die Wüste Sin zu einem besonders wichtigen Teil der Reise der Kinder Israel. Noch begegnet Gott ihnen in derselben Gnade, mit der Er sie aus Ägypten geführt hatte, und darum hilft Er unmittelbar, sobald ein Mangel auftaucht. Wenn Gott seine Gnade offenbaren will, dann gibt es für ihn kein Hindernis. Der Segen, der von ihm ausgeht, kann dann nicht unterbrochen werden. Nur wenn der Mensch sich selbst unter Gesetz stellt, verwirkt er alles; dann wird es sich zeigen, was der Mensch aufgrund seines eigenen Tuns erreichen kann.

Gott hat sein Volk sicher nicht in der Absicht erlöst und aus Ägypten herausgeführt, um es in der Wüste eine Beute des Hungers und Durstes werden zu lassen. Die Kinder Israel hätten das wissen sollen. Sie hätten sich auf ihn stützen und im Vertrauen auf die Liebe, die sie in so wunderbarer Weise den Schrecken der ägyptischen Knechtschaft entrissen hatte, ihren Weg fortsetzen sollen. Sie hätten daran denken sollen, dass es unendlich viel besser war, mit Gott in der Wüste als mit dem Pharao bei den Ziegelhütten zu sein. Aber es fällt dem menschlichen Herzen unendlich schwer, der vollkommenen Liebe Gottes Glauben zu schenken.

Der Mensch setzt mehr Vertrauen auf Satan als auf Gott (vgl. 1. Mo 3,1–6). Woher kommen die vielen Leiden, das Elend und die Entwürdigung des Menschen? Sind sie nicht die Folgen seines Hörens auf die Stimme Satans? Und dennoch beklagt er sich nie über sein Sklavendasein, noch drückt er je den Wunsch aus, diesem Dienst zu entrinnen. Er ist weder unzufrieden mit Satan noch des Dienens überdrüssig. Alle Tage erntet er bittere Früchte auf dem Feld, auf das Satan ihn geführt hat; und dennoch sieht man ihn immer wieder denselben Samen ausstreuen und willig dieselbe mühevolle Arbeit tun.

Wie ganz anders handelt der Mensch im Blick auf Gott! Kaum haben wir angefangen, in seinen Wegen zu wandeln, so sind wir bei der ersten Prüfung oder Trübsal schon unzufrieden und zur Empörung bereit. In der Tat sind wir in kaum einer Sache so nachlässig wie in der Dankbarkeit. Wir vergessen zehntausend Gnadenerweisungen angesichts einer einzigen geringfügigen Entbehrung: Wir haben die Vergebung aller unserer Sünden empfangen (Eph 1,7; Kol 1,14), sind „begnadigt in dem Geliebten“ (Eph 1,6), wir sind zu Erben Gottes und zu Miterben Christi gemacht (Eph 1,11; Röm 8,17; Gal 4,7), wir erwarten die ewige Herrlichkeit (Röm 8,18–25; 2. Kor 4,15; 5,4; Phil 3,20.21; Gal 5,5; Tit 2,13; 1. Joh 3,2 u. a.), und obendrein erfahren wir Tag für Tag durch unzählige Gnadenerweisungen die Güte unseres Herrn; und doch braucht nur eine Wolke, „klein wie eines Mannes Hand“, am Horizont zu erscheinen und wir vergessen angesichts dieser Wolke, die sich vielleicht sogar als Segen für uns erweisen wird, all die reichen Segnungen in der Vergangenheit. Dieser Gedanke sollte uns in der Gegenwart Gottes tief demütigen. Wie weit sind wir in dieser und in jeder anderen Hinsicht von unserem Herrn entfernt! Betrachten wir ihn, den wahren „Israel“, wie Er in der Wüste, umringt von wilden Tieren, vierzig Tage fastete. Beklagte Er sein Los? Wünschte Er eine Änderung der Umstände? Nein. Gott war das Teil seines Erbes und seines Bechers (Ps 16,5). Und als der Versucher ihm die Herrlichkeit und Ehren dieses Lebens anbot, konnte Er darum alles ausschlagen und blieb unerschütterlich in der Abhängigkeit von Gott und in der bedingungslosen Unterwürfigkeit unter sein Wort. Er wollte nur von Gott Brot empfangen, und auch die Herrlichkeit nur von ihm.

Wie anders war es bei dem irdischen Volk Israel! Kaum verspürten sie Hunger, da „murrten sie gegen Mose und gegen Aaron in der Wüste“.

Sie schienen tatsächlich das Bewusstsein ihrer Befreiung durch die Hand des HERRN verloren zu haben, denn sie schrien: „Ihr habt uns in diese Wüste herausgeführt“! (V. 3), und in Kapitel 17,3: „Warum doch hast du uns aus Ägypten heraufgeführt, um mich und meine Kinder und mein Vieh vor Durst sterben zu lassen?“ So offenbarten sie bei jeder Gelegenheit einen Geist der Bitterkeit und Unzufriedenheit und zeigten nur zu deutlich, wie wenig ihnen die Gegenwart ihres allmächtigen und gnädigen Befreiers bedeutete.

Wie sehr wird Gott verunehrt durch das Murren derer, die ihm angehören! Der Apostel Paulus erwähnt diesen undankbaren Geist als ein besonderes Kennzeichen heidnischer Verdorbenheit. „Weil sie, Gott kennend, ihn weder als Gott verherrlichten noch ihm Dank darbrachten“, und dann folgt das Resultat: „sondern in ihren Überlegungen in Torheit verfielen und ihr unverständiges Herz verfinstert wurde“ (Röm 1,21). Wer nicht mehr mit Dankbarkeit an die Güte Gottes denken kann, dessen Herz wird bald mit Finsternis erfüllt werden. Auf diese Weise verloren die Kinder Israel das Bewusstsein, in Gottes Hand zu sein, und wie es zu erwarten ist, gerieten sie dadurch in noch tiefere Finsternis. In einem späteren Abschnitt ihrer Geschichte hören wir sie sagen: „Warum bringt uns der HERR in dieses Land, dass wir durchs Schwert fallen und unsere Frauen und unsere kleinen Kinder zur Beute werden?“ (4. Mo 14,3). Das ist der abschüssige Weg einer Seele, die ihre Gemeinschaft mit Gott verloren hat. Sie verliert zunächst das Bewusstsein, dass sie nur zu ihrem eigenen Segen in den Händen Gottes ist, und schließlich glaubt sie sogar, dass es zu ihrem Unglück sei. Was für ein trauriger Rückschritt!

Das Brot vom Himmel

Weil Gott aber diesem Volk Israel seine besondere Gnade zuwenden wollte, traf Er auf wunderbare Weise Vorsorge: „Da sprach der HERR zu Mose: Siehe, ich werde euch Brot vom Himmel regnen lassen“ (V. 4). In ihrem Unglauben hatten sie kurz vorher gesagt: „Wären wir doch im Land Ägypten durch die Hand des HERRN gestorben, als wir bei den Fleischtöpfen saßen, als wir Brot aßen bis zur Sättigung!“ (V. 3). Und jetzt heißt es: „Ich werde euch Brot vom Himmel regnen lassen.“ Welch ein Gegensatz! Welch ein Unterschied zwischen den Fleischtöpfen, den Zwiebeln, dem Knoblauch Ägyptens und dem himmlischen Manna, dem „Brot der Starken“ (Ps 78,25)! Das Erste war irdisch, das andere himmlisch.

Nun aber musste diese himmlische Speise dazu dienen, den Zustand des Volkes zu prüfen: „… damit ich es prüfe, ob es wandeln wird in meinem Gesetz oder nicht“ (V. 4). Die Israeliten mussten sich auch innerlich von Ägypten gelöst haben, um mit dem „Brot vom Himmel“ zufrieden zu sein und es genießen zu können. Aber wir wissen, dass sie mit diesem Brot nicht zufrieden waren, sondern es verachteten, indem sie es eine „elende Speise“ (4. Mo 21,5) nannten und wieder Fleisch essen wollten. Sie gaben damit den Beweis, wie wenig sie in ihren Herzen von Ägypten befreit und den Gesetzen Gottes zu folgen bereit waren. Sie „wandten sich in ihren Herzen nach Ägypten zurück“ (Apg 7,39). Aber anstatt wieder dorthin zu kommen, wurden sie am Ende nach Babylon verschleppt (Apg 7,43). Das ist eine ernste Lehre für uns Christen. Wenn wir von dem gegenwärtigen Zeitlauf erlöst sind aber nicht in Dankbarkeit des Herzens mit Gott wandeln und mit der Vorsorge, die Er für seine Erlösten in der Wüste getroffen hat, nicht zufrieden sind, dann sind wir in Gefahr, den Einflüssen Babylons zum Opfer zu fallen. Unsere menschliche Natur findet keinen Geschmack an der Speise, die Gott bereitet hat; sie sehnt sich nach Ägypten zurück und muss daher im Tod gehalten werden. Als solche, die auf den Tod Christi getauft, mit ihm in der Taufe begraben und durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes mitauferweckt sind (Röm 6.3; Kol 2,12), haben wir das Vorrecht, uns von Christus als dem „Brot des Lebens, das aus dem Himmel herabgekommen ist“, zu nähren (Joh 6,48.51).

Christus, das lebendige Brot aus dem Himmel

Unsere Speise in der Wüste ist Christus, so wie Er uns in dem geschriebenen Wort durch den Heiligen Geist vorgestellt wird; darüber hinaus ist auch der Heilige Geist selbst zu uns herabgekommen als die Frucht des geschlagenen Felsens, d. h. des für uns geschlagenen Christus. Das ist unser herrliches Los in der Wüste dieser Welt.

Es ist natürlich klar, dass wir in einer solchen Situation nur dann glücklich sein können, wenn unsere Herzen von allem gelöst sind, was dem gegenwärtigen, bösen Zeitlauf angehört, von allem, was sich an unsere alte Natur richtet. Ein weltliches Herz und eine fleischliche Gesinnung werden Christus nicht in seinem Wort finden, und wenn sie ihn finden könnten, würden sie ihn nicht genießen. Das Manna war so empfindlich, dass es keine Berührung mit der Erde ertragen konnte. Es fiel auf den Tau herab und musste vor Sonnenaufgang gesammelt werden. Jeder musste daher früh aufstehen, um seine tägliche Nahrung zu suchen. So ist es auch heute mit dem Volk Gottes. Das himmlische Manna muss jeden Morgen frisch gesammelt werden. Das gestrige Manna taugt nicht für heute noch das heutige für morgen. Wir müssen uns jeden Tag mit neuer Energie des Geistes von Christus nähren, sonst werden wir aufhören zu wachsen. Auch müssen wir Christus in allen Dingen den Vorrang geben. Wir müssen ihn früh suchen, bevor andere Dinge unsere leicht beeinflussbaren Herzen in Anspruch nehmen. Viele von uns sind hierin leider zu bequem. Wir geben Christus den zweiten Platz, und Schwachheit und Dürre zeigen sich als die Folgen. Der Feind ist wachsam und benutzt unsere geistliche Trägheit, um uns den Segen und die Kraft zu rauben, die wir empfangen, wenn wir uns von Christus nähren. Das neue Leben in dem Gläubigen kann nur durch Christus genährt und erhalten werden. „Wie der lebendige Vater mich gesandt hat und ich lebe des Vaters wegen, so auch, wer mich isst, der wird auch leben meinetwegen“ (Joh 6,57).

Die Gnade des Herrn Jesus Christus, der vom Himmel herabkam, um die Speise seines Volkes zu sein, ist von unschätzbarem Wert für eine erneuerte Seele; aber um ihn so genießen zu können, müssen wir in der Wüste als solche dastehen, die aufgrund einer vollbrachten Erlösung für Gott abgesondert sind. Wenn ich mit Gott durch die Wüste gehe, dann werde ich doch auch mit der Speise, die Er mir gibt, zufrieden sein; und diese Speise ist Christus, der vom Himmel Herniedergekommene. Das „Getreide des Landes Kanaan“ hat sein Gegenbild in dem im Himmel verherrlichten Christus. Als solcher ist Er die richtige Speise für diejenigen, die durch den Glauben wissen, dass sie mit ihm auferweckt und in ihm in die himmlischen Örter versetzt sind. Das Manna aber ist der vom Himmel herabgestiegene Christus, der für das Leben und die Erfahrungen des Volkes in der Wüste nötig ist. Als ein auf der Erde nicht beheimatetes Volk brauchen wir einen Christus, der auch selbst auf der Erde ein Fremder war. Als ein Volk, das im Geist schon in den Himmel versetzt ist, brauchen wir einen Christus, der ebenfalls dort seinen Platz genommen hat. Das macht den Unterschied zwischen dem „Manna“ und dem „Getreide des Landes“ deutlich. Es geht hier nicht um die Erlösung; diese finden wir in dem Blut und dem Kreuz. Es geht vielmehr um die Vorsorge, die Gott im Blick auf die verschiedenen Situationen seines Volkes getroffen hat – ob es sich gerade in der Wüste abmüht oder im Geist schon von dem himmlischen Erbteil Besitz nimmt.

Die Herrlichkeit des Herrn in der Wolke

So hatten nun die Kinder Israel Ägypten hinter sich gelassen, vor ihnen lag Kanaan und rings um sie her der Sand der Wüste, während sie selbst berufen waren, ihre tägliche Nahrung vom Himmel zu erwarten. Die Wüste bot dem Volk Gottes weder einen Grashalm noch einen Tropfen Wasser. In dem HERRN allein war die Hoffnung der Erlösten. In allem sehen wir ein Bild des durch diese Welt wandernden Volkes Gottes. Sie finden nichts in dieser Welt, und ihr Leben kann, weil es himmlisch ist, nur durch himmlische Dinge erhalten werden. Obwohl in der Welt, sind sie doch nicht von der Welt, weil Christus sie von der Welt auserwählt hat. Als ein himmlisches Volk befinden sie sich auf dem Weg zu ihrem Vaterland und werden durch die Speise erhalten, die sie von dort her empfangen. Ihr Ziel ist der Himmel, und nur dorthin werden sie durch die Herrlichkeit Gottes geleitet. Es ist sinnlos, nach Ägypten zurückzuschauen, denn dort ist nicht ein einziger Strahl der Herrlichkeit zu erblicken. „… da wandten sie sich zur die Wüste, und siehe, die Herrlichkeit des HERRN erschien in der Wolke“ (V. 10). Gott selbst war mit ihnen in der Wüste, und alle, die in Gemeinschaft mit ihm sein wollten, mussten ebenfalls dort sein; dann aber sollte auch das himmlische Manna, und nichts anderes, ihre Speise sein.

Die Nahrung des Christen

Dieses Manna war allerdings ein eigentümliches Nahrungsmittel, das einem Ägypter niemals zusagen würde und von dem er auch nicht leben könnte; aber diejenigen, die „in der Wolke und in dem Meer getauft“ waren und in Übereinstimmung mit dieser Taufe lebten, konnten Geschmack daran finden und sich auch davon ernähren. Ebenso ist es jetzt mit den wahren Gläubigen. Ein Mensch dieser Welt kann nicht begreifen, wie ein Gläubiger lebt. Sowohl das Leben des Gläubigen selbst, als auch das, wodurch er erhalten wird, sind dem Blick des natürlichen Menschen verborgen, denn dieses Leben ist Christus, und auch die Kraft dieses Lebens ist Christus. Ein Christ lebt durch Glauben von der Vortrefflichkeit dessen, der „über allem ist, Gott, gepriesen in Ewigkeit“ (Röm 9,5), der aber „Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist“ (Phil 2,7). Er sieht, wie Er aus der Gegenwart des Vaters zum Kreuz und vom Kreuz zum Thron ging, und er findet in ihm, in jedem Abschnitt seines Lebens, die Speise für den „inneren Menschen“ (Eph 3,16). Die Umgebung des Christen ist zwar Ägypten, aber doch erlebt er sie nur als eine dürre Wüste, die dem erneuerten Geist nichts bieten kann; und in dem Maß, wie seine Seele dort Nahrung findet, werden seine Fortschritte im geistlichen Leben gehemmt. Die einzige Speise, die Gott für uns bereitet hat, ist das Manna, und jeder Gläubige sollte ein echtes Verlangen nach dieser Speise haben.

Es ist sehr traurig, wenn man Christen findet, die den Dingen dieser Welt nachjagen. Es beweist deutlich, dass sie des himmlischen Mannas überdrüssig geworden sind und es als eine „elende Speise“ betrachten. Sie dienen dem, was sie töten sollten. Unser neues Leben kann nur dann wirksam sein, wenn wir gleichzeitig den „alten Menschen mit seinen Handlungen“ ausziehen (Kol 3,9), und je mehr das verwirklicht wird, umso größer wird das Verlangen nach dem wahren Manna. Wie im täglichen Leben jede Anstrengung unseren Appetit steigert, so vermehrt sich auch im geistlichen Leben das Bedürfnis, uns von Christus zu ernähren, wenn wir unser neues Leben wirken lassen. Zu wissen, dass wir in Christus das Leben besitzen, verbunden mit einer völligen Vergebung und Annahme bei Gott, ist eine Sache. Aber etwas ganz anderes ist es, gewohnheitsgemäß in Gemeinschaft mit ihm zu sein und in ihm allein Speise für die Seele zu finden. Viele bekennen, Vergebung und Frieden in Jesus gefunden zu haben, und doch haben sie in ihrem praktischen Leben vollauf Genüge an allerlei Dingen, die in keiner Verbindung mit Christus stehen. Sie nähren ihren Geist mit politischen Kommentaren oder geistlosen Erzeugnissen der Tagesliteratur. Finden sie dort Christus? Teilt uns der Heilige Geist dadurch etwas von Christus mit? Ist das das himmlische Manna, das Gott seinen Erlösten in der Wüste zur Nahrung gibt? Nein; an diesen Dingen kann nur unsere alte Natur Freude finden. Wie könnte ein Christ von ihnen leben? Das Wort Gottes belehrt uns, dass der Gläubige zwei Naturen in sich trägt, und wir möchten fragen: Welche von diesen beiden Naturen findet ihre Nahrung in der Literatur dieser Welt? Die Antwort ist nicht schwer. Welche aber von beiden möchte ich stärken? Mein praktisches Leben wird die beste Antwort auf diese Frage geben. Wenn ich aufrichtig wünsche, im göttlichen Leben zu wachsen, wenn es mein wichtigstes Ziel ist, Christus gleichförmig zu werden und für ihn zu leben, wenn ich ernsthaft danach trachte, dass das Reich Gottes in meinem Innern Fortschritte macht, dann werde ich auch nur die Nahrung suchen, die Gott zur Förderung meines geistlichen Wachstums bereitet hat. Das ist sehr einfach. Die Handlungen eines Menschen sind der beste Maßstab für seine Wünsche und Absichten. Wenn ich jemanden finde, der ein Christ sein will, aber seine Bibel vernachlässigt, während er genug Zeit findet und oft seine besten Stunden dazu verwendet, Zeitungen zu lesen, so kann es mir nicht schwerfallen, den wahren Zustand seiner Seele zu beurteilen. Ein solcher Christ kann nicht geistlich sein, kann sich auch nicht von Christus nähren, nicht für ihn leben oder von ihm zeugen.

Wenn ein Israelit es versäumt hätte, morgens seine tägliche Ration der für ihn bestimmten Nahrung zu sammeln, dann hätte ihm bald die Kraft gefehlt, seine Reise fortzusetzen. Ebenso ist es mit uns. Wenn nicht Christus der Hauptinhalt unseres Lebens ist, dann wird zwangsläufig unser geistliches Wachstum verhindert. Selbst Gefühle und Erfahrungen, die mit Christus in Verbindung stehen, können nicht unsere geistliche Nahrung ausmachen, weil sie veränderlich und ständigen Schwankungen unterworfen sind. Christus war es gestern, und Er muss es heute und in alle Ewigkeit sein. Es geht auch nicht an, dass wir uns teils von Christus und teils von anderen Dingen nähren. Nur Christus kann das Leben geben, und nur Er kann es erhalten.

Es ist wohl wahr, dass wir uns, wie es in dem „Getreide (oder Erzeugnis) des Landes“ (siehe Jos 5) bildlich gezeigt wird, schon jetzt im Glauben von dem auferstandenen und verherrlichten Christus nähren können, der aufgrund der vollbrachten Erlösung in den Himmel zurückgekehrt ist. Und nicht nur das, sondern wir wissen auch, dass die Erlösten, wenn sie jenseits des Jordans die Herrlichkeit, die Ruhe und die Unsterblichkeit erreicht haben, mit der Speise der Wüste zum Abschluss gekommen sind. Aber mit Christus werden sie nicht zum Abschluss gekommen sein, noch mit der Erinnerung an das, was einst in der Wüste ihre Nahrung war.

Ein Gomer Manna als Erinnerung

Die Kinder Israel sollten in dem Land, das von Milch und Honig floss, nie vergessen, was während ihres vierzigjährigen Aufenthalts in der Wüste zu ihrem Unterhalt gedient hatte. „Dies ist das Wort, das der HERR geboten hat: Ein Gomer voll davon sei zur Aufbewahrung für eure Geschlechter, damit sie das Brot sehen, womit ich euch in der Wüste gespeist habe, als ich euch aus dem Land Ägypten herausführte. Und Mose sprach zu Aaron: Nimm einen Krug und tu Man hinein, einen Gomer voll, und lege es vor dem HERRN nieder zur Aufbewahrung für eure Geschlechter. So wie der HERR Mose geboten hatte, legte Aaron es vor das Zeugnis nieder, zur Aufbewahrung“ (V. 32 bis 34). Das war eine wichtige Erinnerung an die Treue Gottes. Er ließ sie nicht an Hunger sterben, wie es ihre Torheit und ihr Unglaube angenommen hatten. Er gab ihnen Brot vom Himmel, nährte sie mit dem Brot der Starken, wachte über sie wie ein Vater, handelte in Langmut und Geduld mit ihnen und trug sie auf Adlers Flügeln (Kap. 19,4); und wären sie auf dem Boden der Gnade geblieben, dann hätte Er ihnen zum ewigen Besitz gegeben, was Er ihren Vätern verheißen hatte. Der mit Manna gefüllte Krug, der einen Gomer als täglichen Speisebedarf für eine Person enthielt und vor den Herrn hingestellt wurde, ist daher ein lehrreiches Bild für uns. Es gab keinen Wurm oder irgendetwas anderes in diesem Krug, was Fäulnis hätte bewirken können. Er bezeugte für alle Zeiten die Treue Gottes in der Fürsorge für die, die Er aus der Hand des Feindes befreit hatte.

Die Wahrheit aufnehmen und in die Praxis umsetzen

Ganz anders war es, wenn der Mensch das Manna für sich selbst aufhäufte. Dann erschienen bald die Zeichen der Fäulnis. Wir können niemals einen Vorrat sammeln. Es ist unser Vorrecht, uns Tag für Tag von Christus zu nähren als dem, der vom Himmel herabkam, um der Welt das Leben zu geben. Wollte aber jemand dies vergessen und sich für den folgenden Tag einen Vorrat sammeln, d. h. eine Wahrheit, die sein augenblickliches Bedürfnis übersteigt, für spätere Zeiten aufbewahren, anstatt sie zur Förderung seiner Kräfte zu verwerten, so würde sie sicher dem Verderben anheimfallen. Das ist eine heilsame Unterweisung. Die Wahrheit kennenlernen ist eine sehr ernste Sache; denn jeder Grundsatz, den wir gelernt zu haben bekennen, legt uns die Verpflichtung auf, ihn auch praktisch zu verwirklichen. Gott will keine Theoretiker. Man zittert oft, wenn man Gläubige, sei es in ihren Gebeten oder bei anderen Gelegenheiten, erhabene Bekenntnisse ablegen und Worte der tiefsten Hingebung aussprechen hört, da man fürchten muss, dass sie, wenn die Stunde der Prüfung kommt, nicht die nötige geistliche Kraft besitzen, um das, was ihre Lippen ausgesprochen haben, zur Ausführung zu bringen.

Es besteht immer eine große Gefahr, dass der Verstand das Gewissen und die Zuneigungen überholt. Daher kommt es auch, dass viele anfangs bis zu einem gewissen Punkt große Fortschritte zu machen scheinen, dann aber plötzlich stehen bleiben und zurückgehen. Sie gleichen dem Israeliten, der mehr Manna sammelte, als er zur Nahrung für einen Tag brauchte. Er legte scheinbar einen weit größeren Fleiß an den Tag als alle anderen; aber doch war jedes Korn, das er über seinen täglichen Bedarf hinaus gesammelt hatte, nicht nur nutzlos, sondern es brachte Würmer hervor. So verhält es sich auch mit dem Christen. Er muss von dem, was er empfängt, Gebrauch machen. Er muss ein echtes Verlangen haben, sich von Christus zu nähren, und dieses Verlangen wird gerade durch einen tätigen Dienst bewirkt. Um den Charakter und die Wege Gottes, die Schönheit Christi und die lebendigen Tiefen des Wortes kennen zu lernen, sind Glaube und echtes Verlangen notwendig. Nur wenn wir von dem Empfangenen Gebrauch machen, wird uns mehr gegeben. Der Weg des Gläubigen muss ein praktischer sein; und gerade hieran scheitern so viele. Es kommt oft vor, dass diejenigen, die in der Theorie am schnellsten vorwärtskommen, in der Praxis und in der Erfahrung die Trägsten sind, weil bei ihnen das Christentum mehr eine Sache des Verstandes als des Gewissens und Herzens ist. Wir sollten aber nie vergessen, dass das Christentum nicht aus einer Sammlung von Meinungen und Dogmen besteht, dass es nicht ein Lehrsystem ist, sondern eine lebendige Wirklichkeit, eine persönliche, praktische, mächtige Sache, die sich in allen Ereignissen und Umständen des täglichen Lebens offenbart. Es übt einen heilsamen Einfluss auf den Charakter und den Wandel und auf alle Beziehungen aus, in die Gott uns stellt. Zusammenfassend gesagt: Es ist das Ergebnis unserer Vereinigung und Beschäftigung mit Christus. Das ist Christentum. Man kann richtige Begriffe verwenden, klare Anschauungen und gesunde Grundsätze vertreten, ohne irgendwelche Gemeinschaft mit Jesus zu haben; aber ein orthodoxes Glaubensbekenntnis ohne Christus wird sich immer als eine kalte und tote Sache erweisen.

Wir müssen sorgfältig darauf achten, dass wir nicht allein durch Christus errettet sind, sondern auch von ihm leben, indem wir ihn zu unserer täglichen Speise machen! Wir müssen ihn „früh“ suchen und nur ihn allein suchen! Wenn irgendetwas unsere Aufmerksamkeit fesseln will, so sollten wir uns fragen: „Wird Christus dadurch meinem Herzen nahe gebracht?“, oder: „Wird mir dadurch seine Liebe größer und mein Herz enger mit ihm verbunden?“ Wenn diese Fragen zu verneinen sind, so sollte jene Sache ohne Zögern verworfen werden, wenn sie auch noch so erstrebenswert und notwendig erscheint. Wenn es wirklich unser Wunsch ist, im göttlichen Leben Fortschritte zu machen und persönliche Gemeinschaft mit Christus zu pflegen, dann müssen wir hingehen, das auf den Tau fallende Manna sammeln und es essen. Und je wachsamer unser Wandel mit Gott durch die Wüste ist, umso größer wird unser Hunger nach diesem Manna sein.1

Der Sabbat

Es gibt in diesem Kapitel noch eine andere Sache, die wir hervorheben müssen, nämlich die Einführung des Sabbats in seiner Verbindung mit dem Manna und mit der Stellung Israels, wie sie uns hier beschrieben wird. Von 1. Mose 2 an bis zum vorliegenden Kapitel wird dieses Thema mit keiner Silbe berührt. Das ist bemerkenswert. Abels Opfer, Henochs Wandel mit Gott, Noahs Predigt, Abrahams Berufung und die ausführlich erzählte Geschichte Isaaks, Jakobs und Josephs – alles das wird mitgeteilt; aber nirgends finden wir eine Anspielung auf den Sabbat bis zu dem Augenblick, da wir Israel als Volk anerkannt sehen, und zwar in Verbindung mit dem HERRN und unter der Verantwortlichkeit, die aus dieser Verbindung entspringt. Der Sabbat war in Eden unterbrochen worden und wird hier für Israel in der Wüste wieder eingeführt. Aber der Mensch hat kein Herz für die Ruhe Gottes. „Und es geschah am siebten Tag, dass einige vom Volk hinausgingen, um zu sammeln, und sie fanden nichts. Und der HERR sprach zu Mose: Bis wann weigert ihr euch, meine Gebote und meine Gesetze zu halten? Seht, weil der HERR euch den Sabbat gegeben hat, darum gibt er euch am sechsten Tag Brot für zwei Tage; bleibt ein jeder an seiner Stelle, niemand gehe am siebten Tag von seinem Ort weg“ (V. 27–29). Gott wollte sein Volk an seiner eigenen Ruhe teilhaben lassen. Es war sein Wille, ihm sogar in der Wüste Ruhe, Nahrung und Erquickung zu geben. Aber das Herz des Menschen ist nicht geneigt, mit Gott zu ruhen. Die Israeliten konnten von jener Zeit reden, da sie bei den Fleischtöpfen Ägyptens saßen (V. 3); aber in ihren Zelten zu sitzen, sich mit Gott der „Ruhe des heiligen Sabbats“ zu erfreuen und sich von dem Manna des Himmels zu nähren, das vermochten sie nicht als einen Segen zu schätzen.

Beachten wir auch, dass der Sabbat hier als eine Gabe dargestellt wird. „Der HERR hat euch den Sabbat gegeben“ (V. 29). An späterer Stelle in diesem Buch werden wir die Sabbatruhe als Gesetz wiederfinden, verbunden mit Fluch und Gericht im Fall des Ungehorsams. Doch der gefallene Mensch mag ein Vorrecht oder ein Gesetz, einen Segen oder einen Fluch empfangen – es ist alles von gleicher Wirkung. Seine Natur ist böse; er kann weder mit Gott ruhen noch für Gott tätig sein. Wenn Gott wirkt und ihm eine Ruhe bereitet, so will er an dieser Ruhe nicht teilnehmen; und wenn Gott ihn zum Wirken auffordert, dann will er nicht tun, was Gott von ihm fordert. So ist der Mensch. Er hat kein Herz für Gott. Er kann freilich zum Zeichen seiner Frömmigkeit vom Sabbat Gebrauch machen; aber er ist nicht imstande, Gottes Sabbat als eine Gabe zu würdigen; und wenn wir uns zu 4. Mose 14,32–36 wenden, dann finden wir, dass er auch unfähig ist, ihn als ein Gesetz zu beachten.

Nun ist aber der Sabbat ebenso wie das Manna ein Bild. An und für sich war er eine Segnung, ein Gnadengeschenk aus der Hand eines liebenden und gnädigen Gottes, der aus sieben Tagen einen Ruhetag wählte, um die Mühe und Arbeit der sündenbeladenen Erde erträglicher zu machen. Von welcher Seite wir auch die Einführung des Sabbats betrachten, wir sehen darin sowohl für den Menschen als auch für die Tierwelt die Weisheit und die Gnade Gottes. Und wenn auch die Christen „den ersten Tag der Woche“, „den Tag des Herrn“ feiern und die ihm eigenen Grundsätze damit verbinden, so ist dennoch auch in diesem Tag die gnädige Vorsehung Gottes ebenso zu erkennen. „Der Sabbat wurde um des Menschen willen“ (Mk 2,27); und obwohl der Mensch ihn nie in einer den Gedanken Gottes entsprechenden Weise beachtet hat, vermindert dies doch nicht die Gnade, die wir in seiner Einsetzung sehen, noch nimmt es diesem Tag die Bedeutung als Bild von der ewigen Ruhe, die für das Volk Gottes bleibt, oder als Schatten von dem, worüber sich der Glaube jetzt in der Person und dem Werk des auferstandenen Christus freut.

Es ist nicht die Absicht des Verfassers, in irgendeiner Weise die gnädige Verordnung eines Ruhetages für den Menschen und die Schöpfung anzutasten, und noch viel weniger, die besondere Stellung, die der Tag des Herrn im Neuen Testament einnimmt, zu verkennen. Als Mensch schätzt er den Tag der Ruhe zu hoch und als Christ erfreut er sich des Tages des Herrn zu sehr, als dass er eine einzige Silbe reden oder schreiben könnte, durch die der einen oder anderen Sache Abbruch geschähe. Man sollte aber diese Gedanken auf der Waage der Heiligen Schrift abwägen, bevor man sich ein Urteil bildet. Wenn der Herr es erlaubt, werden wir noch auf dieses Thema zurückkommen. Mögen wir die Ruhe, die unser Gott in Christus für uns bereitet hat, mehr schätzen lernen und uns von ihm nähren als „dem verborgenen Manna“ (Off 2,17), das in der Kraft der Auferstehung im innersten Heiligtum aufbewahrt wird zum Zeugnis von dem, was Gott für uns vollbracht hat, damit wir in der Vollkommenheit Christi vor ihm sein können.

Fußnoten

  • 1 Es wird von Nutzen sein, bezüglich des Mannas einen Blick auf das 6. Kapitel des Johannesevangeliums zu richten. Das Passah war nahe; Jesus speist die Menge und zieht sich dann auf einen Berg zurück, um dort allein zu sein. Von da kehrt Er zurück, um den Kindern Gottes zu helfen, die auf den unruhigen Wogen des Meeres umhergeschleudert werden und sich in großer Not befinden. Darauf enthüllt Er die Lehre von seiner Person und seinem Werk und erklärt, wie Er sein Fleisch für das Leben der Welt geben werde, und dass niemand das Leben haben kann, der nicht sein Fleisch isst und sein Blut trinkt. Schließlich redet Er von sich als dem Sohn des Menschen, der dahin auffahren werde, wo Er zuvor gewesen war, sowie von der belebenden Kraft des Heiligen Geistes.
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