Was wahr ist in IHM und in euch

1. Johannes 4

Wie man die Geister prüft (Kap. 4,1–6)

Das dritte Kapitel schloss mit den Worten: „Und wer seine Gebote hält, bleibt in ihm, und er in ihm; und hieran erkennen wir, dass er in uns bleibt, durch den Geist, den er uns gegeben hat.“ Durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt, wissen wir, dass Gott in uns bleibt, und wir sind uns dessen bewusst. Wir genießen Ihn, Seine Gemeinschaft, alles, was Er in Seiner Liebe für uns ist; wir freuen uns in Seinem Lichte.

Vers 1

Aber es gibt Irrgeister in der Welt, die sich durch falsche Propheten auch an die Kinder Gottes heranmachen: „Geliebte, glaubet nicht jedem Geiste, sondern prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen.“

Wir werden hier vor diesen Geistern gewarnt und aufgerufen, sie zu prüfen. Wie wir schon in Kapitel 2,18–27 gesehen haben, ist uns der Heilige Geist, der uns gegeben ist, dabei eine göttliche Hilfe. Was aber ist nun der Prüfstein, um den Geist Gottes und den Geist, der nicht von Gott ist, zu erkennen?

Vers 2–3

„Hieran erkennet ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesum Christum im Fleische gekommen bekennt, ist aus Gott; und jeder Geist, der nicht Jesum Christum im Fleische gekommen bekennt, ist nicht aus Gott.“

Es geht um die Person Christi, um Jesum, den „Ich bin“ des Alten Testamentes, um den Ewigseienden, um Jehova-Heiland, den Christus, den Gesalbten Gottes, den Messias, um Jesum Christum im Fleische gekommen. Wunderbares Geheimnis, vor welchem sich der Glaube in Anbetung niederbeugt! Gott, der Sohn, ist in Seiner unvergleichlichen Gnade zum Heil des Menschen und zu Seiner eigenen Verherrlichung Mensch geworden! Er, der ewige Sohn des Vaters, der in Gestalt Gottes war, hat sich selbst zu nichts gemacht, indem Er im Fleische zu uns gekommen ist. Er ist Fleisches und Blutes teilhaftig geworden, aber ohne Sünde, denn Seine Menschheit war vom Heiligen Geiste gezeugt. Als Gegenstand der Verheißungen und der Vorsätze Gottes, ist Er im Fleische gekommen, um durch Seinen Sühnungstod jene Vorsätze und Verheißungen zu erfüllen. Auch musste Er im Fleische kommen, um uns Gott kundzutun und uns Gnade und Wahrheit zu bringen.

Er ist im Fleische gekommen! Sein Name sei ewig gepriesen! Das ganze Christentum entspringt dieser grundlegenden Tatsache. Von welch unermesslicher Wichtigkeit ist es daher, an diesem Bekenntnis festzuhalten und sich von jedem Geiste abzuwenden, der nicht „Jesum Christum im Fleische gekommen“ bekennt.

Ein solcher Geist ist der Geist des Antichrists; ein Geist, der schon zur Zeit des Apostels in der Welt wirkte und sich in unseren Tagen im Schosse der Christenheit mit erschreckender Verwegenheit und Verführungsmacht offenbart. Unter dem Deckmantel religiöser Formen und äußerlichem Bekenntnis zum Christentum greift er die Person Christi, Seine Göttlichkeit, Seine Menschheit, sowie das göttlich inspirierte Wort an, das von Ihm zeugt. Man will wohl einen Christus, aber einen Christus nach den Gedanken und Vorstellungen des Menschen und nicht den Christus Gottes, den Christus der Schriften.

In dieser Beziehung ist es interessant zu sehen, wie sich der auferstandene Herr den beiden Jüngern auf dem Wege nach Emmaus offenbart. Er tut ihnen nicht zuerst die Augen auf, damit sie Ihn wieder erkennen, sondern öffnet ihnen die Schriften. „Und von Moses und von allen Propheten anfangend, erklärte er ihnen in allen Schriften das, was ihn betraf“ (Lk 24,27). Er zeigte ihnen durch das Wort, dass Er Der war, von Dessen Leiden und darauf folgenden Herrlichkeiten es zum voraus gezeugt hat; und das Wort gab ihnen eine göttliche Gewissheit. So brannte denn auch ihr Herz von einer bis dahin unbekannten Freude.

Zu diesem Zeugnis der Schriften des Alten Testamentes ist nun das Zeugnis des Neuen Testamentes hinzugekommen, das Zeugnis des vom Himmel gesandten Heiligen Geistes nach der Erhöhung Christi und das Zeugnis der Apostel (Joh 15,26–27).

„Der Geist des Antichrists!“ Das Wesen dieses Geistes zeigt sich darin, dass er sich Christo widersetzt, die Wahrheit über die Person Jesu Christi „im Fleische gekommen“ leugnet und den Menschen verherrlicht. Er wird seinen vollen Ausdruck in der Person des Antichrists finden. Die Christenheit nähert sich mit raschen Schritten dem völligen Abfall, wo dann jedes öffentliche Bekenntnis zum Christentum offen verworfen und der Mensch der Sünde geoffenbart wird, „welcher widersteht und sich selbst erhöht über alles, was Gott heißt oder ein Gegenstand der Verehrung ist, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei“ (2. Thes 2,4).

Wie ernst ist das! Möge es uns geschenkt sein, in treuer Erwartung des Herrn Jesu Sein Wort zu bewahren und Seinen Namen nicht zu verleugnen! Wenn es sich um die Wahrheit der Person Christi oder um die „Lehre des Christus“ handelt, so ist es des Christen Pflicht, sich vor jedem Kompromiss zu hüten und unerschütterlich an der Aufrechterhaltung der Wahrheit festzuhalten.

Diese vom Geist des Antichrists erfüllten Leute hier sind „von uns ausgegangen“ (Kap. 2,19), während im Judasbrief (Vers 4) von gewissen gottlosen Menschen die Rede ist, die sich in den Schoss der Christenheit „neben eingeschlichen“ haben. In Apostelgeschichte 20,29 und 30 werden beide Gruppen erwähnt: Wölfe, die hereinkommen, um zu verderben, und Männer „aus eurer Mitte“, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her. Diese, hier im Johannesbrief, leugnen die Wahrheit bezüglich der Person Jesu Christi; jene aber verkehren die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung und verderben dadurch den Glauben, der einst den Heiligen mitgeteilt worden ist.

Vers 4–5

„Ihr seid aus Gott, Kinder, und habt sie überwunden, weil der, welcher in euch ist, größer ist als der, welcher in der Welt ist“ (Vers 4).

„Der, welcher in euch ist“, ist der Heilige Geist. So lesen wir auch in 1. Kor 2,12: „Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist.“ Und in unserem Brief wird von den Kindlein gesagt: „Ihr habt die Salbung von dem Heiligen“ und: „Die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, bleibt in euch“, usw. (Kap. 2,20 und 27)

Der, welcher in der Welt ist, ist der Geist Satans, des Widersachers, des Fürsten dieser Welt, und der Gewalt der Luft.

„Ihr... habt sie überwunden.“ Ihr habt für euch selbst die Verführer, die vom Geist des Antichrists und vom Geist des Irrtums erfüllt sind, überwunden. Es sind Agenten des Feindes, die darnach trachten, das Christentum zu schwächen, indem sie die Person Christi angreifen.

Weil wir aus Gott geboren und Seiner Natur teilhaftig sind, weil ferner das in Christo auf der Erde geoffenbarte ewige Leben unser Leben geworden ist und wir auch die Salbung von dem Heiligen besitzen, sind wir fähig, jeden zu erkennen und abzuweisen, der uns Christum und damit alles rauben möchte.

Selbst ein Neugeborener in Christo ist durch den Heiligen Geist fähig gemacht, zu unterscheiden, was nicht von Christo ist, und sein geistlicher Sinn wird durch jeden Angriff auf die Person Jesu verwundet. Ein solcher ist wie das Schaf, das keine andere Stimme kennt, als die des Hirten; die Stimme des Fremden kennt es nicht und flieht vor ihm. Wie wichtig ist es für uns, die Einfalt des Schafes zu bewahren!

Der Blindgeborene ist ein Beispiel hiefür (Joh 9). Die an ihm geoffenbarten Werke Gottes machten aus ihm einen lebendigen Zeugen Jesu. Aber welch eine Einfachheit und welche Kraft war in seinem Zeugnis! Er kennt nur Den, der ihn geheilt und Dem er geglaubt hat, ohne Ihn zu sehen, und Dessen Wort Seine göttliche Macht an ihm erwiesen hat. Die Stimme der Pharisäer kennt er nicht; es sind „Fremde“; er folgt ihnen nicht. Und nun sieht man ihn allein, von allen Seiten angegriffen, von den Widersachern verachtet und beschimpft. Aber er ist gelassen; voller Zuversicht und unerschütterlich steht er inmitten des Sturmes, den man gegen ihn wegen seines einfachen und treuen Zeugnisses entfacht. Sie werfen ihn hinaus, übergeben ihn dadurch aber nur den Armen des Guten Hirten, des Sohnes Gottes. Er betet an.

Lasst uns im Blick auf Christum in der Einfalt des Herzens bleiben und uns von Seinem Worte nähren! Dann werden wir bewahrt bleiben. Wandeln wir nicht in einem fortwährenden Selbstgericht, so wird der Geist betrübt; Gott wird uns dann vielleicht unserer Untreue überlassen, und wir können dabei sehr weit fortgerissen werden. Der Herr bewahre uns und lasse uns in der Erkenntnis der Wahrheit und in der Liebe zu Ihm wachsen!

Vers 6

Ein anderes Mittel, um die Geister zu erkennen, ist was wir in diesem Verse finden: „Wer Gott kennt, hört uns; wer nicht aus Gott ist, hört uns nicht; hieraus erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Irrtums.“

Wer Gott kennt, hört auf „uns“, die Apostel, auf ihr Zeugnis und ihre Unterweisung. Die Apostel waren die vom Herrn eingesetzten Zeugen, um zu verkündigen, was sie gesehen und gehört hatten, und um die Wahrheit, die der Heilige Geist ihnen offenbarte, mitzuteilen. Wer ihr Zeugnis nicht annimmt, beweist, dass er nicht aus Gott ist.

Jetzt können wir die Apostel nicht mehr hören; aber wir haben ihre Schriften. Man hört manchmal sagen, die Briefe hätten nicht so viel Wert wie die Evangelien, die uns die eigenen Worte des Herrn vermitteln. Wird ein Geist, der aus Gott ist, so reden? Im Gegenteil, wir erkennen daran den „Geist des Irrtums“. Der Heilige Geist, durch den der Herr in den Evangelien geredet hat, ist derselbe Geist, der uns auch in den Episteln belehrt.

Die Weisheit Gottes – Seine Gedanken – hat Gott uns (den Aposteln) durch Seinen Geist geoffenbart, sagt Paulus. „Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist, auf dass wir die Dinge kennen, die uns von Gott geschenkt sind: welche wir auch verkündigen, nicht in Worten, gelehrt durch menschliche Weisheit, sondern in Worten, gelehrt durch den Geist, mitteilend geistliche Dinge durch geistliche Mittel“ (1. Kor 2,10–13).

Viele leugnen die göttliche und völlige Inspiration der Heiligen Schriften. Wie schrecklich, wenn der Mensch sich über Gott erhebt um Sein Wort zu richten und dessen göttliche Autorität zu leugnen! „Aber auf diesen will ich blicken: Auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist, und der da zittert vor meinem Worte“ (Jes 66,2). Gottes Wort ist ein Wort der Autorität, das beim Menschen eine völlige Unterwerfung des Herzens und des Geistes, wie auch den Gehorsam des Glaubens voraussetzt. Dort, wo es so aufgenommen wird, bewirkt es göttliche Ergebnisse. Den, der Wortgefechte führen will, müssen wir fragen: Bist du bereit, dich vor dem Worte zu beugen? Wenn nicht, dann ist jede Auseinandersetzung nutzlos.

Sich mit dem Bösen zu beschäftigen, ist nicht das Mittel, um das Gute kennen zu lernen.

„Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm“ (Kap. 4,7–21)

Vers 7

Geliebte, lasst uns einander lieben, denn die Liebe ist aus Gott; und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott.“ Aus Gott geboren und teilhaftig der Natur des Gottes, der Liebe ist, sind wir fähig gemacht, mit einer Liebe zu lieben, die von Gott ist, und wir sind auch von Gott gelehrt, einander zu lieben. Es handelt sich hier nicht um die natürlichen Zuneigungen, die, wenn auch vom Schöpfer in uns hineingelegt, doch ihre Quelle in der menschlichen Natur haben, sondern um die göttliche Liebe, die ihre Quelle in Gott hat: „Jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott.“ Die Bruderliebe ist der Beweis davon. „Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben“ (Kap. 3,14). Paulus war des Heiles der Hebräer gewiss, weil die göttliche Natur sich in ihnen geoffenbart hatte, durch die Liebe, die sie gegen den Namen des Herrn bewiesen, indem sie „den Heiligen gedient“ hatten und noch dienten (Heb 6,9–10).

Wir finden in diesem Vers einen äußerst wichtigen Grundsatz: Um Gott zu erkennen, muss man aus Ihm geboren sein, also eine Wiedergeburt erlebt haben. Welch ein unermessliches Vorrecht! Gott hat uns das Leben geschenkt und uns Seiner Natur teilhaftig gemacht, damit wir Ihn erkennten und fähig seien, zu genießen, was Er in sich selbst ist, und Gemeinschaft mit Ihm haben könnten.

Vers 8

„Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe.“ Er ist Licht (Kap. 1,5) und kann keine Gemeinschaft mit der Sünde haben: „Welche Gemeinschaft hat Licht mit Finsternis?“ (2. Kor 6,14). Aber Seine Natur, Sein Wesen ist auch Liebe, und sie bewegte Ihn dazu, sich zu offenbaren. Das Verlangen und die Gedanken Seiner Liebe gingen dahin, sich zu erkennen zu geben und um jeden Preis arme, elende Sünder, wie wir waren, in Beziehung und in Gemeinschaft mit sich selbst zu bringen und in Seine eigene Freude, in Sein eigenes Glück einzuführen. Wäre Christus nicht gekommen, hätten wir diese Liebe nie entdeckt und Gott nie erkannt. Wohl hätten wir Kenntnis von Seiner Existenz gehabt; denn die Werke der Schöpfung genügen, um uns davon zu überzeugen. Aber wie dieser Gott ist, der da lebt und Dessen Macht, Weisheit und Göttlichkeit in Seinen Werken wahrgenommen werden können und welches Seine Gedanken uns gegenüber sind, darüber lässt uns die Schöpfung in Unkenntnis, und ebenso wenig vermochte das Gesetz den Gott, der Liebe ist, zu offenbaren.

Vers 9

„Hierin ist die Liebe Gottes zu uns geoffenbart worden, dass Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, auf dass wir durch ihn leben möchten.“ Wann hat sich die Liebe Gottes auf diese Weise geoffenbart? – Als wir noch tot in unseren Vergehungen und Sünden, als wir noch Kraftlose, Sünder, Feinde und Gottlose waren. Sie ist Gnade, reine Gnade und hat ihre Beweggründe nur in sich selbst. Sie ist in jeder Beziehung so unvergleichlich, dass kein Geschöpf sie je hätte ersinnen können.

Wir lagen im Tode, waren unter dem Urteil des Todes und des Gerichtes; der Teufel, der die Macht des Todes hatte, hielt uns gefangen. Wer konnte uns da Leben und Befreiung bringen? Gott hat dafür gesorgt. Seine Liebe hat an alles gedacht. Er hat „seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt..., auf dass wir durch ihn leben möchten“ und „als eine Sühnung für unsere Sünden“. Um dies zustande zu bringen, musste Sein geliebter Sohn, der Heilige und Gerechte, unseren Platz einnehmen, sich mit unseren Sünden beladen und sich für uns vor dem Gerichtsthron des heiligen und gerechten Gottes verantworten. Gott allein konnte die Tiefe der Leiden und Schmerzen ermessen, die für den Gegenstand Seiner Wonne in der Erfüllung Seiner Gnadenabsichten gegen uns eingeschlossen waren. Aber Seine Liebe schrak vor diesem unendlichen Opfer nicht zurück.

Der, welcher das Licht der Welt und inmitten der Menschen der Abglanz der Herrlichkeit Gottes war, sollte hienieden von Seiten der Sünder nur Hass und Widerspruch erfahren. Und welch ein Schmerz für den Sohn Gottes, in einer verunreinigten Welt zu sein, wo alles Seiner heiligen Natur entgegengesetzt war, und inmitten all des Elendes zu weilen, das die Sünde hervorgebracht hat!

Das alles wusste Gott; aber nichts konnte Seine Liebe aufhalten. Er hat Seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt, Er hat Ihn hingegeben und Ihn nicht geschont, und das alles, auf dass wir durch Ihn leben möchten und unsere Sünden auf immer weggetan würden.

Und Er, der Sohn Gottes, hat alle Schmähungen derer erduldet, die Gott schmähten, Er hat am Kreuz das Gericht Gottes und Seinen gerechten Zorn gegen die Sünde erlitten, hat den Tod geschmeckt und ist bis in die Tiefe dieses Abgrundes hinab gestiegen, damit wir durch Ihn leben könnten. Er ist als ein lebendiger und siegreicher Heiland aus dem Grabe auferstanden, und nun haben wir das Leben, das göttliche Leben, das ewige Leben in Ihm, dem Sohne Gottes. Welche Gnade! O, welcher Liebe bedurfte es doch, um sich mit solch elenden und hassenswürdigen Wesen, wie wir waren, zu beschäftigen!

Vers 10

Diese Beziehungen der Liebe Gottes zu uns begannen also keineswegs in uns; wir waren unfähig, ihr auch nur einen Schritt entgegenzukommen, sondern: „Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden.“ Er ist es, der für uns eine völlige Befreiung vom Tod und vom Gericht bewirkt hat, und wir haben nun in Ihm das Leben und die Gerechtigkeit. Das sind vollendete Tatsachen; darin hat sich die Liebe geoffenbart und darin erkennen wir sie. Nun ist es unser Vorrecht, unsere Blicke von uns weg auf diese uns gegenüber geoffenbarte Liebe Gottes zu richten, die nicht in uns war, aber durch den Tod Christi am Kreuze zu uns gekommen ist. Dort lernen wir kennen, was Liebe, was schrankenlose und souveräne Liebe ist, erhaben über alle unsere Sünde und ihre Folgen. Sie ist eine Liebe, die das Mittel gefunden und gegeben hat, den Sünder unter Wahrung der Rechte der göttlichen Gerechtigkeit gereinigt und fleckenlos in den Frieden und die Glückseligkeit Seiner Gegenwart einzuführen. Die Gerechtigkeit ist zufrieden gestellt und Gott völlig verherrlicht worden. Dort, wo wir Seine unerbittliche Gerechtigkeit im Gericht über die Sünde geoffenbart sehen, dort sehen wir auch die Offenbarung der Liebe Gottes, der alles geopfert hat, um uns in Gnaden annehmen zu können!

Vers 11

Daher, wenn Gott uns also liebt, aus eigenem Antrieb, ohne etwas von uns zu fordern und ohne in uns einen Beweggrund dafür zu finden, „so sind auch wir schuldig, einander zu lieben“.

Gott ist Liebe, und wir sind berufen, Gottes Nachahmer zu sein, als geliebte Kinder, und in der Liebe zu wandeln, indem wir Christum zum Vorbild haben. Der Heilige Geist, durch Den Gott Seine Liebe in unsere Herzen ausgegossen hat, ist wirksam in uns, um die praktische Offenbarung der Liebe aus uns hervorzubringen, nach dem Beispiel, das uns Christus hinterlassen hat: „Gleichwie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ (Eph 5,2). Welch ein vollkommenes Vorbild und welch ein mächtiger Beweggrund, Ihm nachzufolgen!

Vers 12

„Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns und seine Liebe ist vollendet in uns.“ Das Gesetz hat den Beweis erbracht, dass es dem natürlichen Menschen unmöglich ist, Gott aus ganzem Herzen zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst. „Die Gesinnung des Fleisches... ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht“ (Römer 8,7). Als Jehova Sein Volk unter das Gesetz stellte, gab Er ihm damit nicht zugleich eine neue Natur, die fähig gewesen wäre, es zu erfüllen; denn der Mensch sollte unter dem Gesetz erprobt werden. Mit den Christen ist es anders. Als aus Gott Geborene sind wir Teilhaber der göttlichen Natur, einer Natur, die fähig ist, zu lieben, wie Gott liebt. Der Grundsatz des natürlichen Menschen ist Eigenliebe; der göttliche Grundsatz aber ist Liebe.

Der Herr sagte zu den Jüngern: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebet, auf dass, gleichwie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebet“ (Joh 13,34). Dieses „gleichwie“ bedeutet, in demselben Masse und auf dieselbe Weise. Da der Herr „die Seinigen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende“. Er liebte sie bis zur Dahingabe Seines Lebens für sie, und Seine Liebe veranlasste Ihn, den Herrn, sich zu erniedrigen und ihnen zu dienen, was Er in so rührender Weise in der symbolischen Handlung der Fußwaschung zum Ausdruck brachte. Sein einziger Gedanke war ihre Glückseligkeit, die darin besteht, ein Teil mit Ihm zu haben. Welch ein Beispiel für uns!

In Evangelium Johannes 1,18 lesen wir: „Niemand hat Gott jemals gesehen, der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoss ist, der hat ihn kundgemacht.“ Alles was Gott ist: Seine Natur, Sein Wesen, alle Seine Vollkommenheiten, hat uns der eingeborene Sohn kundgetan. Er hat Ihn als Vater geoffenbart, und zwar so völlig, dass Er sagen konnte: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ – „Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat.“ (Joh 14,9; 12,45). Diese Offenbarung Gottes, des Vaters, im Sohne, ist eine feststehende und vollkommene Tatsache, der nichts hinzuzufügen ist.

Hier lesen wir: „Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns und seine Liebe ist vollendet in uns.“ Welch eine köstliche Wirklichkeit besteht doch in dem göttlichen Band und in den göttlichen Zuneigungen innerhalb der Familie Gottes! Was beweisen wir, wenn wir einander lieben? Nicht nur, dass in allen dieselbe göttliche Natur ist, sondern auch, dass Gott in uns wohnt, als die Quelle unserer heiligen Zuneigungen; da Seine Liebe unsere Herzen erfüllt, ist sie in uns vollendet. Das alles wird von solchen gesagt, die von Natur hassenswürdig waren und einander hassend! Aber, „wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung!“

Vers 13

„Hieran erkennen wir, dass wir in ihm bleiben und er in uns, dass er uns von seinem Geiste gegeben hat.“ Der Apostel sagt hier nicht „seinen Geist“, sondern „von seinem Geiste“. Hier ist nicht der Geist als Person gemeint, sondern als göttliche Natur. Der Geist ist die Quelle der göttlichen Zuneigungen in uns. „Hieran erkennen wir, dass er in uns bleibt.“

Mit diesem Vers dürfen wir Johannes 14,20 in Verbindung bringen: „An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich in euch.“ – „An jenem Tage“ ist der jetzige Tag. Weil der Sachwalter, der Geist der Wahrheit, gekommen ist und in uns wohnt, wissen wir, dass Jesus in dem Vater ist. Er war immer eins mit dem Vater, und die Jünger hätten es wissen sollen. Durch den Heiligen Geist, der herabgekommen ist, um der Zeuge der Herrlichkeit zu sein, in welche Christus eingegangen ist, haben wir das Vorrecht, zu wissen, welche Stellung Er nun einnimmt, nachdem Er Gott, Seinen Vater, vollkommen verherrlicht hat. Der Vater hat Ihn „bei sich selbst“ verherrlicht – welche Freude! Wir hätten nicht dieses glückliche Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, wenn wir nicht wüssten, wo Er ist. Wir wären unglücklich und kennten die Freude nicht. Jetzt aber, durch den Geist, der uns mit Ihm vereint, sind wir fähig gemacht, uns über die eigene Glückseligkeit und über die Herrlichkeit Dessen zu freuen, der uns so sehr geliebt und das Kreuz für uns erduldet hat.

„Und ihr in mir.“ Der Heilige Geist, der uns mit Ihm vereint, bringt uns unsere Stellung in Ihm zum Bewusstsein. Er ist im Vater und wir in Ihm – welch eine Verbindung! Wir sind somit in den Mittelpunkt jeglicher Segnung gerückt. „Und ich in euch“, auf dass wir Ihn offenbarten in dieser Welt, in der Gesinnung, die auch in Christo Jesu war. „Wie ihr nun den Christus Jesus, den Herrn, empfangen habt, so wandelt in ihm“ (Kol 2,6).

Der Sachwalter bringt uns alle diese Dinge zur Kenntnis und lässt sie uns genießen. Der Heilige Geist gibt uns das Bewusstsein und das Verständnis für unsere Beziehungen zum Vater als Seine vielgeliebten Kinder, wie auch für unsere Verbindung mit Christo, als den Gliedern Seines Leibes, „von seinem Fleische und von seinen Gebeinen“, und Schließlich auch für unsere Beziehungen zu Ihm, als solchen, die der Vater als Seine Erlösten, als Seine Schafe, als Seine Diener und Seine Jünger Ihm gegeben hat.

Vers 14

„Und wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als Heiland der Welt.“ Der Apostel will hier offensichtlich betonen, wie die Liebe sich geoffenbart hat. In Johannes 3,16 lesen wir: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.“ Hier nun ist es der Vater, der den Sohn sendet. Was gibt es Teureres, Kostbareres für das Herz des Vaters, als den Sohn Seiner Liebe, den Gegenstand und Mittelpunkt aller Seiner Zuneigungen? Und nun hat der Vater gerade Ihn gesandt, um der Heiland der Welt zu sein.

Die Gefahr, die Bedeutung dieses Ausdruckes allzu sehr auszuweiten und zu sagen, die ganze Welt werde errettet, besteht nicht, wenn man sich an das Wort hält. Der Vater hat den Sohn nicht gesandt, um die Welt zu richten, sondern um ihr Heiland zu sein, auf dass die Welt durch Ihn errettet werde. Die heilbringende Gnade Gottes ist allen Menschen erschienen; doch ob sie diese Gnade aufnehmen, ist eine andere Frage.

Die Sendung des Sohnes als Heiland der Welt hat sie auf die Probe gestellt. Gott war in Christo gegenwärtig, um die Welt mit sich zu versöhnen. (2. Kor 5,18). Wie groß ist nun ihre Verantwortung! Sie hat von dieser Gnade nichts wissen wollen, sie hat Christum verworfen. „Dieser ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten.“ – „Hinweg, hinweg! Kreuzige ihn!“ (Mt 21,38; Joh 19,15). Das war die Antwort der Welt auf die im Sohne geoffenbarte Liebe Gottes. Deshalb sagte Jesus: „Jetzt ist das Gericht dieser Welt; jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden“ (Joh 12,31). Vor dem Tode Christi war die Welt als verloren zu betrachten, nicht aber als verworfen. Jetzt ist es anders. Von dem Augenblick an, wo die Welt den Sohn Gottes ans Kreuz geheftet hat, ist sie endgültig von Gott verworfen, und es besteht nun eine unbedingte Gegnerschaft zwischen dem Vater und der Welt.

Die Stellung und die Verantwortlichkeit der Welt Gott gegenüber steht jetzt unwiderruflich fest. Sie ist gerichtet, ihr Urteil ist ausgesprochen, aber noch nicht vollzogen. Gott übt immer noch Geduld, da Er nicht will, dass jemand verloren gehe, sondern dass alle zur Busse kommen (2. Pet 3,9). Jetzt ist noch der Tag der Gnade und des Heils. Gott lässt in der Welt Sein herrliches Evangelium über Seinen Sohn Jesus Christus verkünden, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe. Seine Gnade ist ununterbrochen wirksam, um arme verlorene Sünder zu Christo zu führen und sie so aus der gegenwärtigen bösen Welt herauszunehmen. Aber das ist eine Sache, die jeden Menschen persönlich angeht. Nicht die Welt ist es, die errettet wird; sondern der Glaubende. Die Welt als solche hat nur das Gericht vor sich.

In Verbindung mit diesem Vers mag es gut sein, nochmals auf die Stelle in Kapitel 2,2 zurückzukommen. Dort lesen wir: „Und er ist die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt.“ Mit dieser näheren Bezeichnung: „Die unseren“, fasst der Apostel wohl die Juden ins Auge. So wird Christus auch in Hebräer 2,17 als Der dargestellt, der „in den Sachen mit Gott ein barmherziger und treuer Hoherpriester“ geworden ist, „um die Sünden des Volkes zu sühnen“. Wir Christen wissen, dass die Sühnung vollendet ist. Sie ist ein für allemal am Kreuze zustande gekommen, und Christus ist – bildlich gesprochen – mit Seinem eigenen Blut ein für allemal ins innere Heiligtum eingegangen) als Er eine ewige Erlösung erfunden hatte. Da nun Gott auf das vergossene Blut Christi blickt, ist der Heilige Geist gekommen, um uns das Zeugnis des unendlichen Wertes dieses kostbaren Blutes für Gott, sowie seiner vollkommenen Wirksamkeit für uns kundzutun: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken“, sagt Er (Heb 10,17). Also haben wir im Blick auf unser Heil und unsere ewige Vergebung eine göttliche Gewissheit.

Für Israel aber trifft dies nicht zu. Es kennt die Ergebnisse des Opfers Christi für Sein Volk noch nicht. Der Überrest wird sie erst dann erkennen, wenn Christus erscheinen, wenn der Hohepriester aus dem Heiligtum heraustreten wird.

Christus ist die Sühnung „für die ganze Welt“, nicht nur für die Juden. Die Sühnung oder der „Gnadenstuhl“ ist allen zugänglich, aber nur „durch den Glauben an sein Blut“. Und wenn die „angenehme Zeit“ der Gnade noch andauert, wenn Gott Langmut erzeigt, bevor Er das Gericht vollzieht, so hat dies seinen Grund in der Sühnung.

Vers 15

„Wer irgend bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in ihm bleibt Gott und er in Gott.“

Beruht dieses Bekenntnis, so zaghaft und schwach es auch sein mag, auf der Wirklichkeit des Glaubens, was beweist es dann? Dass Gott in einem solchen Menschen ist! „In ihm bleibt Gott und er in Gott.“ Welch eine Ermunterung für den schwächsten Gläubigen! Die Erkenntnis dieser Tatsache ist in der Tat geeignet, uns im Bekennen unseres Glaubens an den Herrn Jesus, inmitten einer Welt, die Ihn verworfen hat und Ihn verleugnet, zu ermuntern.

Vers 16

„Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Die Liebe, die Gott zu uns hat, erkennen und glauben, bringt der Seele Freude und Frieden. Wer Seine Liebe erkennt, erkennt damit Gott selbst, denn Gott ist Liebe. Wer also in der Erkenntnis und im Genuss Seiner Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm.

Vers 17

„Hierin ist die Liebe mit uns vollendet worden, damit wir Freimütigkeit haben an dem Tage des Gerichts, dass gleichwie er ist, auch wir sind in dieser Welt.“

In Vers 9 sahen wir, dass „die Liebe Gottes zu uns geoffenbart worden“ ist; in Vers 12, dass Seine Liebe in uns vollendet ist; hier nun wird gesagt: „Die Liebe ist mit uns vollendet worden, damit wir Freimütigkeit haben an dem Tage des Gerichts.“ Was braucht es denn, um an jenem Tage Freimütigkeit oder volle Zuversicht zu haben? Man muss so sein wie der Richter, wie Christus selbst. Darin „ist die Liebe mit uns vollendet worden, dass, gleichwie er ist, auch wir sind in dieser Welt“. Gott konnte uns kein vollkommeneres Leben, keine vollkommenere Heiligkeit geben als Christum selbst; wir sind „in Christo“ vor Gott, „angenehm gemacht in dem Geliebten“ und „in ihm vollendet“ (Eph 1,6; Kol 2,10). Er ist unsere Gerechtigkeit und unsere Heiligkeit, wie wir in 1. Korinther 1,30 lesen: „Aus ihm aber seid ihr in Christo Jesu, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung.“ Da Er durch Seinen Sühnungstod Gott völlig verherrlicht hat, hat Ihn Gott in Gerechtigkeit zu Seiner Rechten verherrlicht, und wir sind in Ihm Gottes Gerechtigkeit geworden.

Er ist unser Leben; wir besitzen es in Ihm, dem Sohne Gottes; ein Leben, das uns in dieselbe Beziehung zum Vater gebracht hat, in der Er selbst steht, und in der wir mit derselben Liebe geliebt sind, mit welcher der Vater Ihn geliebt hat. Welch eine wunderbare Gnade! Wer kann die Liebe des Vaters zum Sohne, dem Gegenstand Seiner Wonne, dem gesegneten Mittelpunkt aller Seiner Zuneigungen ergründen? Mit dieser gleichen Liebe sind wir geliebt! Wer kannte das Herz des Vaters und zugleich die Schwachheit und die Unvollkommenheiten der Jünger, wie der Herr? Aber als Er zum Vater redete, hörten sie, was Er von den Seinen sagte: „auf dass die Welt erkenne, dass du... sie geliebt hast, gleich wie du mich geliebt hast.“ Und zu den Jüngern selbst sagte Er: „Gleichwie der Vater mich geliebt hat, habe auch ich euch geliebt; bleibet in meiner Liebe“ (Joh 17,23; 15,9). Auf diese Weise ist die Liebe mit uns vollendet worden. Wie Christus ist, so sind auch wir in dieser Welt.

Wir haben also schon jetzt volle Zuversicht im Hinblick auf den Tag des Gerichts und werden auch an jenem Tage volle Zuversicht haben. Dann tritt in Erscheinung, was Gott in Seiner Liebe gewollt hat: Wir werden in vollkommener Gleichförmigkeit mit Christo geoffenbart, erstrahlen dann in Seiner eigenen Herrlichkeit und in Seinen eigenen Vollkommenheiten als Gegenstände der unendlichen Liebe des Vaters. An jenem Tage, wenn wir mit Christo in Herrlichkeit geoffenbart sind, wird Er „verherrlicht werden in seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben“ (2. Thes 1,10). Dann auch wird die Welt erkennen, dass der Vater uns geliebt hat, gleichwie Er Jesum geliebt hat.

Wenn der Tag des Gerichtes gekommen ist und Christus Seinen Platz auf dem Gerichtsthron eingenommen hat, werden alle mit Ihm zu tun haben. „Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden, auf dass ein jeder empfange, was er in dem Leibe getan, nachdem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses“ (2. Kor 5,10).

Die Gläubigen werden im vollen Lichte des Richterstuhles Christi offenbar werden, als Ihm vollkommen gleich, als völlig gleichförmig dem Bilde des Sohnes Gottes; sie werden ohne Flecken und untadelig vor Seiner Herrlichkeit stehen. Je heller das Licht des Richterstuhles sein wird, desto mehr wird die Vollkommenheit unserer Gerechtigkeit und Heiligkeit zur Verherrlichung Christi erstrahlen. Und wie wird Gott verherrlicht, wenn einst Seine verherrlichten Heiligen im Glanze des Richterstuhles stehen! Dann werden wir erkennen, wie auch wir erkannt worden sind. Dort werden alle Schätze der Gnade und der Liebe, der Weisheit, der Barmherzigkeit und der Langmut Gottes gegen uns im vollen Lichte offenbar sein. Durch die Wirksamkeit Seines Geistes und Seines Wortes in unseren Herzen sind wir hienieden dahin geführt worden, unsere Schuldhaftigkeit, unseren verderbten Zustand vor Gott zu erkennen und uns selbst zu verurteilen. Die Erkenntnis unserer Sünden und unserer Unwürdigkeit jedoch bleibt hienieden unvollkommen. Dort aber wird vor unseren Augen alles völlig aufgedeckt werden; wir erkennen dann, was alles uns vergeben worden ist, und verstehen dann, wie groß, wie reich und wunderbar die Gnade gewesen ist, die sich uns gegenüber entfaltet hat. Alles, was Gott während unseres Lebens hienieden in Seiner zarten Liebe und väterlichen Fürsorge für uns gewesen ist, wie auch die Vollkommenheit Seiner heiligen Wege mit uns, in welche unser schwaches Wahrnehmungsvermögen jetzt nicht einzudringen vermag, das alles wird dann vor unseren erstaunten Blicken enthüllt werden und unsere Herzen mit Lob und Anbetung erfüllen.

Wie kostbar ist der Gedanke unserer Offenbarung vor dem Richterstuhl Christi, aber auch wie ernst und geeignet, auf unsere Gewissen zu wirken; „denn wir müssen alle... geoffenbart werden..., auf dass ein jeder empfange, was er in dem Leibe getan, ... es sei Gutes oder Böses.“ Der Gläubige „kommt nicht ins Gericht“, sagt der Herr; Gott wird seiner Sünden nicht mehr gedenken Joh 5,24; Heb 10,17). Der Richter selbst ist es, der die Sünden getragen und die Strafe dafür an unserer Statt erlitten hat. Wie könnte Er Sein eigenes Sühnungswerk zunichte machen! Nur das Gute wird dem Gläubigen wieder vergolten werden und zwar trotz der Tatsache, dass es die Gnade war, die es durch ihn bewirkt hat. Aber dort, vor dem Richterstuhl in Herrlichkeit geoffenbart, werden wir auch erkennen – feierlich ernster Gedanke – was wir durch unsere Untreue alles verloren haben.

Wir vergessen allzu oft, dass wir dem Herrn voll und ganz angehören. Er hat uns um den Preis Seines Blutes erkauft. Er hat dadurch für sich selbst alle Rechte an uns erworben. Wir gehören also nicht mehr uns selbst, sondern Ihm, um in demütigem Gehorsam Ihm zu dienen. Aber viele Stunden gehen leider dadurch verloren, dass wir, anstatt für Christum zu leben und unsere Gedanken bei den Dingen zu haben, die Ihm wohlgefallen und Ihn verherrlichen, an uns selber denken und für uns selber und die sichtbaren Dinge leben. Ja, wie viel Zeit kann vergeudet werden und fruchtlos bleiben, während doch jeder Augenblick unseres Daseins dem Herrn gehört und eine ewige Belohnung fände, wenn er benutzt würde, um Seinen Willen zu tun.

So lasst uns denn „die Gnade Gottes nicht vergeblich“ empfangen, sondern „uns beeifern..., ihm wohlgefällig zu sein“.

Der Schwächste der Erlösten wird ebenso völlig dem Bilde des Sohnes Gottes gleichförmig sein wie zum Beispiel ein Paulus; im Blick auf die Belohnung aber wird es große Unterschiede geben. Jeder wird sie entsprechend seiner Treue empfangen. Ein „Becher kalten Wassers“, das „Scherflein der Witwe“, alles, was der Gläubige um Christi willen getan oder gelassen hat – nichts wird verloren sein, nichts wird der Herr vergessen. Der treue Diener, der unter den Blicken Gottes seine bescheidene, ihm zugewiesene Aufgabe unter Selbstverleugnung erfüllt, „von Herzen, als dem Herrn und nicht den Menschen“, wird vom Herrn an jenem Tage die Belohnung des Erbes empfangen. Was wird es für den sein, der in dem „Wenigen“, das ihm anvertraut wurde, treu war,

wenn er an jenem Tage das lobende Zeugnis seines Herrn vernehmen wird: „Wohl, du guter und treuer Knecht... gehe ein in die Freude deines Herrn.“ Und wenn wir in diesen Tagen des Verfalls und Abfalls berufen sind, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen, so hat der Gläubige zu seiner Ermunterung jetzt schon die Verheißung: „Dem, der überwindet, dem werde ich ... geben.“

Immerhin sei daran erinnert, dass der große Beweggrund eines heiligen und treuen Wandels nicht in der Belohnung besteht; die Gnade Gottes, die Liebe Christi und der Wunsch, Ihn zu verherrlichen, ist unser Antrieb.

So ist denn, was unsere Stellung nach Gottes Ratschlüssen anbelangt, die Liebe Gottes mit uns hierin vollendet, dass, gleichwie Er ist, auch wir sind in dieser Welt und dass wir am Tage des Gerichts in Herrlichkeit als solche geoffenbart werden, die Ihm gleich sind. Wir haben für jetzt und für jenen Tag völlige Zuversicht. Der auf dem Richterstuhl sitzende Richter wird in Seinen glücklichen Erlösten Sein eigenes Bild, Seine eigenen Vollkommenheiten erkennen. Er wird in ihnen die Frucht der Mühsal Seiner Seele sehen und gesättigt werden. Und wir? Welch ein Glück, wenn unsere Augen Ihn sehen werden, Ihn, vor dessen Angesicht Fülle von Freuden ist, Ihn, das geschlachtete Lamm, unseren auf immerdar gepriesenen Herrn und Heiland! Dieses Offenbarwerden muss sowohl zu Seiner Verherrlichung wie zu unserer eigenen Glückseligkeit stattfinden.

Vers 18

„Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe.“

Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, geglaubt und erkannt; und diese grenzenlose, unveränderliche Liebe ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist. An diese Liebe glauben und darin ruhen – das ist es, was von jeder Furcht befreit, das Herz vor Gott weit macht und es mit Vertrauen, Freude und Friede erfüllt. Auf diese Weise sind wir „vollendet in der Liebe“. Ist Furcht vorhanden, dann auch Pein und zwar darum, weil man nicht an diese Liebe glaubt um mit vollem Vertrauen in ihr zu ruhen und sie völlig unverdient zu genießen. Wer sich fürchtet, ist also nicht vollendet in der Liebe.

Verse 19–21

„Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.“ Um uns zu lieben, hat Gott tatsächlich nicht gewartet, bis unsere Herzen sich Ihm zuwandten; als wir noch Sünder und Seine Feinde waren, hat Er Seine Liebe gegen uns dadurch kundgetan, dass Christus für uns gestorben ist. Welch ein Beweggrund für uns, Ihn zu lieben! Wenn aber Seine Liebe in uns bleibt, so wird sie sich notwendigerweise auch unsern Brüdern gegenüber kundtun. Wie könnte es auch anders sein! „Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott und hasst seinen Bruder, so ist er ein Lügner.“ Die Liebe aus Gott umfasst alle, die aus Ihm geboren sind. „Und dieses Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, auch seinen Bruder liebe.“

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