Betrachtung über 1.Johannes (Synopsis)

Kapitel 4

Betrachtung über 1.Johannes (Synopsis)

Um nun von diesem letzten Beweis Gebrauch machen zu können, war Vorsicht nötig, denn viele falsche Propheten würden aufstehen und sich den Schein geben, als hätten sie Mitteilungen von dem Geist Gottes empfangen; ja, schon zur Zeit des Apostels hatten sich solche unter die Christen eingeschlichen. Es war daher nötig, diese zu warnen und ihnen die bestimmten Kennzeichen des wahren Geistes Gottes zu geben. Das erste dieser Kennzeichen war das Bekenntnis, dass Jesus Christus im Fleisch gekommen ist, das heißt, nicht nur ein Bekenntnis, dass Jesus Christus gekommen, sondern dass Er so gekommen ist. Das zweite Merkmal bestand darin, dass ein jeder, der Gott wahrhaftig kannte, die Apostel hörte. Auf diese Weise wurden die Schriften der Apostel zu einem Prüfstein für alle, die behaupteten, Lehrer der Versammlung (Gemeinde) zu sein. Ohne Zweifel ist das ganze Wort ein solcher Prüfstein, aber ich beschränke mich hier auf das, was in der vorliegenden Stelle gesagt ist. Die Lehre der Apostel, ich meine das, was sie selbst unmittelbar gelehrt haben, ist ein Prüfstein für jede andere Belehrung. Wenn mir daher jemand sagt, die Lehre der Apostel müsse durch andere Leute ausgelegt oder weiter entwickelt werden, um so die Wahrheit und die Gewissheit des Glaubens zu haben, antworte ich ihm: „Du bist nicht aus Gott, denn wer aus Gott ist, hört die Apostel, und du möchtest mich dahin bringen, nicht auf sie zu hören, und was du auch vorwenden magst, du verhinderst mich, sie zu hören“. Zu leugnen, dass Jesus Christus im Fleisch gekommen ist, ist der Geist des Antichrists; die Apostel nicht hören, ist die verlaufende und vorbereitende Form des Bösen. Die wahren Christen hatten durch den Geist Gottes, der in ihnen wohnte, den Geist des Irrtums überwunden (V. 4).

Nach dieser bestimmten Feststellung der drei Kennzeichen wahren Christentums fährt der Apostel in seinen Ermahnungen fort, indem er die Fülle und Innigkeit unserer Beziehungen zu einem Gott der Liebe entwickelt. Er hält die Gemeinsamkeit der Natur aufrecht, in die die Liebe aus Gott und jeder, der liebt, aus Gott geboren ist, also an seiner Natur teilhat und, weil er daran teilhat, Ihn kennt, denn durch Glauben hat er sie empfangen. Wer nicht liebt, kennt Gott nicht. Wir müssen die Natur haben, die liebt, um zu wissen, was Liebe ist. Darum, wer nicht liebt, kennt Gott nicht, denn Gott ist Liebe. Ein solcher Mensch hat nicht ein einziges Gefühl, das mit der Natur Gottes in Verbindung stände; wie könnte er Ihn also kennen? Er kennt Ihn nicht mehr, als ein Tier davon verstehen kann, was der Geist und der Verstand eines Menschen ist.

Möchte der Leser dieses unendliche Vorrecht, das aus der ganzen Lehre des Briefes hervorgeht, wohl beachten! Das ewige Leben, das bei dem Vater war, ist offenbart und uns mitgeteilt worden: so haben wir teil an der göttlichen Natur. Die innigen Gefühle dieser in uns wirkenden Natur bleiben durch die Kraft des Heiligen Geistes in dem Genuss der Gemeinschaft mit Gott, der die Quelle jener Natur ist; wir bleiben in Ihm, und Er in uns. Die Regungen dieser Natur beweisen, dass Er in uns bleibt, dass, wenn wir so lieben, Gott selbst in uns bleibt. Er, der diese Liebe bewirkt, ist da. Doch Er ist unendlich, und das Herz ruht in Ihm. Zugleich wissen wir, dass wir in Ihm bleiben und Er in uns, weil Er uns von seinem Geist gegeben hat. Doch diese an Segnung so reiche Stelle erfordert, dass wir sie ordnungsgemäß betrachten.

Der Apostel beginnt mit der Tatsache, dass „die Liebe aus Gott ist“. Sie ist seine Natur; Gott ist ihre Quelle. Darum ist der, der liebt, aus Gott geboren, er hat teil an seiner Natur. Auch kennt er Gott, denn er weiß, was Liebe ist, und dass Gott die Fülle derselben ist. Dieser Lehrsatz macht alles von unserem Teilhaben an der göttlichen Natur abhängig. Das könnte nun auf der einen Seite in Mystizismus ausarten, indem es uns dahin leitete, unsere Aufmerksamkeit auf unsere Liebe zu Gott zu richten, auf die Liebe in uns, als wenn sie die Natur Gottes wäre, und als ob der Apostel sagte: „Die Liebe ist Gott“ und nicht: „Gott ist Liebe“, und so den Versuch zu machen, die göttliche Natur in uns selbst zu ergründen; oder es könnte uns andererseits zum Zweifeln Veranlassung geben, weil wir die Wirkungen der göttlichen Natur nicht so in uns finden, wie wir es wünschen. In der Tat, wer nicht liebt (denn Johannes drückt sich auch hier, wie immer, in abstrakter Weise aus), kennt Gott nicht, denn Gott ist Liebe. Der Besitz der Natur ist notwendig, um verstehen zu können, was diese Natur ist, und um Den zu erkennen, der ihre Vollendung ist.

Doch wenn ich suche, sie zu erkennen und den Beweis ihres Daseins zu haben oder zu liefern, so richtet der Geist Gottes die Gedanken des Gläubigen nicht auf das Vorhandensein der Natur in uns, sondern nachdem Er gesagt hat: Gott ist Liebe, führt Er weiter aus, dass diese Liebe darin gegen uns offenbart worden ist, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gegeben hat, damit wir durch Ihn leben möchten. Der Beweis ist nicht das Leben in uns, sondern dass Gott seinen Sohn gegeben hat, damit wir leben möchten, und ferner, damit Er Sühnung tue für unsere Sünden. Gott sei gepriesen wir kennen diese Liebe, nicht nach den armseligen Ergebnissen ihrer Tätigkeit in uns, sondern nach ihrer Vollkommenheit in Gott, und zwar in einer Offenbarung derselben gegen uns, die gänzlich außer uns liegt. Die Offenbarung dieser vollkommenen Liebe ist eine Tatsache, die außer uns liegt. Wir genießen sie dadurch, dass wir teilhaben an der göttlichen Natur, und wir kennen sie durch die unendliche Gabe des Sohnes Gottes. Darin liegen ihre Ausübung und ihr Beweis.

Die volle Tragweite dieses Grundsatzes und die ganze Kraft seiner Wahrheit werden in dem Folgenden weiter dargestellt und entwickelt. Es trifft unsere Herzen, wenn wir sehen, wie der Heilige Geist in einem Brief, der sich hauptsächlich mit dem Leben Christi und seinen Früchten in uns beschäftigt, den Beweis und vollen Charakter der Liebe in dem gibt, was gänzlich außer uns liegt. Auch könnte nichts vollkommener sein, als die Art und Weise, wie die Liebe Gottes uns hier vorgestellt wird, von der Zeit an, wo sie sich mit unserem sündigen Zustand beschäftigte, bis zu dem Augenblick, da wir vor dem Richterstuhl stehen. Gott hat an alles gedacht: Liebe zu uns als Sündern finden wir in Vers 9 und 10, in uns als Gläubigen in Vers 12 und vollendet mit uns in unserem Zustand im Blick auf den Tag des Gerichts in Vers 17. In dem ersten Teil ist die Liebe Gottes offenbart in der Gabe Christi, zunächst um uns Leben zu geben – denn wir waren tot – und dann um Sühnung für uns zu tun – denn wir waren schuldig. Unser ganzer Fall wird behandelt. In dem zweiten Satz wird der große Grundsatz der Gnade: was Liebe ist, und wo und wie sie gekannt wird, klar festgestellt, und zwar in Worten, die in Bezug auf die Natur des Christentums von unendlicher Wichtigkeit sind.

„Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben (das war der Grundsatz des Gesetzes), sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden“ (V. 10). Hier haben wir also gelernt, was Liebe ist. Sie war vollkommen in Ihm, als wir keine Liebe für Ihn hatten, vollkommen in Ihm, indem Er sie gegen uns bewies, als wir noch in unseren Sünden waren, und seinen Sohn sandte, um die Sühnung für sie zu werden. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass der, der nicht liebt, Gott nicht kennt. Die Anmaßung, diese Liebe zu besitzen, ist hierdurch gerichtet. Aber um Liebe zu kennen, müssen wir sie nicht in uns selbst suchen, sondern offenbart in Gott, als wir keine hatten. Er gibt das Leben, welches liebt, und Er hat Sühnung getan für unsere Sünden.

Im Blick auf den Genuss und die Vorrechte dieser Liebe sagt der Apostel dann weiter: „Wenn Gott uns also geliebt hat (das ist der Boden, den Er einnimmt), so sind auch wir schuldig, einander zu lieben“ (V. 11).

„Niemand hat Gott je gesehen. Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns.“ Seine Gegenwart, sein Bleiben in uns überwindet in der Erhabenheit seiner Natur alle Schranken, die die Umstände errichten mögen, und verbindet uns mit solchen, die sein sind. Gott, in der Kraft seiner Natur, ist die Quelle des Denkens und Fühlens in den Seinigen, und Er lässt diese Quelle inmitten derer sprudeln, in denen sie sich befindet. Man kann das verstehen. Wie kommt es z. B. dass ich fremde Leute aus einem ganz anderen Land, mit ganz anderen Sitten und Gewohnheiten, Leute, die ich nie gekannt habe, inniger liebe, als die Glieder meiner eigenen Familie nach dem Fleisch? Wie kommt es, dass ich Gedanken, ja, unendlich teure Gegenstände mit Personen gemeinsam habe, die ich niemals gesehen? dass ich durch ein stärkeres Band mit ihnen verbunden bin, als mit den sonst teuren Gefährten meiner Kindheit? Weil es in ihnen und in mir eine Gedanken- und Gefühlsquelle gibt, die nicht menschlich ist. Gott ist darin. Er wohnt in uns. Welch ein Glück! Welch eine innige Verbindung! Teilt Er sich nicht selbst der Seele mit? Gibt Er ihr nicht das Bewusstsein seiner Gegenwart in Liebe? ja, ganz, gewiss. Und wenn Er so in uns ist, die gesegnete Quelle unserer Gedanken, kann dann noch Furcht, oder ein Gefühl des Fernstehens, oder Ungewissheit über das, was Er ist, in uns vorhanden sein? Unmöglich! Seine Liebe ist vollendet in uns. Wir kennen Ihn als Liebe in unseren Seelen, und das ist der zweite wichtige Punkt in dieser bemerkenswerten Stelle: der Genuss der göttlichen Liebe in unseren Seelen.

Der Apostel hat bis jetzt noch nicht gesagt: „Wir wissen, dass wir in ihm bleiben“; aber er kommt jetzt dazu. Wenn die Liebe zu den Brüdern in uns ist, so bleibt Gott in uns, und wenn diese Liebe in Tätigkeit ist, so haben wir das Bewusstsein von der Gegenwart Gottes, als der vollkommenen Liebe, in uns. Die Liebe erfüllt das Herz und ist so in uns tätig. Dieses Bewusstsein ist die Wirkung der Gegenwart seines Geistes, als der Quelle und der Kraft des Lebens und der Natur, in uns. Gott hat uns hier nicht „seinen Geist“ (den Beweis, dass Er in uns wohnt), sondern „von seinem Geist“ gegeben: Durch seine Gegenwart in uns nehmen wir durch den Geist teil an göttlichen Gefühlen und Zuneigungen und erkennen auf diese Weise nicht nur, dass Er in uns bleibt, sondern die Gegenwart des Geistes, der in der göttlichen Natur in uns wirkt, gibt uns auch das Bewusstsein, dass wir in Ihm bleiben; denn Er ist die Unendlichkeit und Vollkommenheit dessen, was jetzt in uns ist. Das Herz ruht darin, genießt Ihn und ist vor allem geborgen, was außer Ihm ist, in dem Bewusstsein der vollkommenen Liebe, in der man steht, indem man so in Ihm bleibt. Der Geist bewirkt, dass wir in Gott bleiben, und gibt uns so das Bewusstsein, dass Er in uns bleibt. So können wir in dem Empfinden und dem Bewusstsein der Liebe, die sich hierin kundgegeben hat, von dem zeugen, worin sie einst, alle jüdischen Schranken durchbrechend, offenbart worden ist, indem der Vater den Sohn sandte, um der Heiland der Welt zu sein.

Wenn wir den 12. Vers unseres Kapitels mit dem 18. Verse des 1. Kapitels des Evangeliums Johannes vergleichen, werden wir noch mehr die Tragweite der Unterweisung des Apostels an dieser Stelle verstehen. Dieselbe Schwierigkeit oder, wenn man will, dieselbe Wahrheit wird uns in beiden Fällen vorgestellt. „Niemand hat Gott je gesehen.“ Wie wird dieser Schwierigkeit im Evangelium begegnet? „Der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn kundgemacht.“ Er, der in der vollkommensten Vertraulichkeit, in der unbedingtesten Nähe zu Gott und in dem völligsten Genuss der Liebe des Vaters steht 1, der einzige, ewige und völlig genügende Gegenstand, den die Liebe des Vaters als seinen eingeborenen Sohn kannte, Er hat Ihn uns Menschen offenbart, so wie Er selbst Ihn erkannt hat. Und wie lautet die Antwort, die in unserem Brief auf dieselbe Schwierigkeit gegeben wird? Wir lesen: „Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist vollendet in uns“ (V. 12). Dadurch, dass die göttliche Natur uns mitgeteilt ist und Gott in uns bleibt, genießen wir Ihn innerlich, wie Er durch seinen eingeborenen Sohn offenbart und kundgemacht worden ist. Seine Liebe ist vollendet in uns, dem Herzen bekannt, so wie sie in Jesus offenbart worden ist. Der Gott, der durch Ihn kundgemacht wurde, bleibt in uns. Welch ein Gedanke, dass die Antwort auf die Tatsache, dass niemand Gott je gesehen hat, eine gleich lautende ist: Der eingeborene Sohn hat Ihn kundgemacht, und: Er bleibt in uns. Welch ein Licht wirft das auf die Worte: „Was wahr ist in ihm und in euch!“ 2 1. Joh 2,8. Denn dadurch, dass Christus unser Leben geworden ist, können wir Gott und seine Gegenwart mittels der Kraft des Geistes in uns genießen. Und davon geht auch, wie wir gesehen haben, das Zeugnis in Vers 14 aus.

Den Unterschied zwischen den Worten: „Gott bleibt in uns“ und „wir in Gott“ finden wir auch in dem wieder, was Christus von Sich selbst sagt. Er blieb stets in dem Vater und der Vater in Ihm; aber Er sagt: „Der Vater, der in mir bleibt, er tut die Werke“ Joh 14,10. Schon durch sein Wort hätten die Jünger an beide glauben sollen. Aber in dem, was sie gesehen hatten, in den Werken des Sohnes, hatten sie einen noch stärkeren Beweis von der Tatsache, dass der Vater in Ihm blieb. Wer Ihn gesehen, hatte den Vater gesehen. Aber wenn der andere Sachwalter gekommen wäre, an jenem Tag sollten sie erkennen, dass Jesus in seinem Vater war, göttlich eins mit dem Vater. Der Apostel sagt nicht, dass wir in Gott, noch dass wir in dem Vater sind 3, sondern dass wir in Ihm bleiben, und dass wir dies deshalb wissen, weil Er uns von seinem Geist gegeben hat. Wir haben schon darauf aufmerksam gemacht, dass der Apostel 1. Joh 3,24 sagt: „Hieran erkennen wir, dass er (Gott) in uns bleibt, durch den Geist, den er uns gegeben hat.“ Hier aber fügt er hinzu: „Hieran erkennen wir, dass wir in ihm bleiben“, weil es sich hier nicht um die Darstellung der Sache als einen Beweis, sondern um die Gemeinschaft mit Gott selbst handelt. Wir wissen es, als eine kostbare Wahrheit, eine unumstößliche Tatsache, dass wir stets in Ihm bleiben; wir fühlen es, wenn seine Liebe in dem Herzen wirksam ist. Deshalb redet der Apostel sogleich von dieser Wirksamkeit, indem Er hinzufügt: „Und wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als Heiland der Welt“ (V. 14). Das war für einen jeden der Beweis jener Liebe, die der Apostel, und mit ihm alle Gläubigen, in seinem Herzen genoss.

Es ist wichtig, zu bemerken, wie dieser Schriftabschnitt uns so zunächst die Tatsache vor die Seele führt, dass Gott in uns bleibt, dann die Wirkung – da Gott unendlich ist – unser Bleiben in Ihm, und drittens die Verwirklichung der ersten Wahrheit im Leben des Christen; er hat das Bewusstsein, dass Gott in ihm wohnt, und sein Leben offenbart es. Beachten wir hier, dass, während Gottes Bleiben in uns eine Sache der Lehre und von jedem wirklichen Christen wahr ist, unser Bleiben in Ihm, obwohl es in dem ersten eingeschlossen ist, mit unserem Zustand in Verbindung steht. So heißt es in 1. Joh 3,24: „Wer seine Gebote hält, bleibt in ihm, und er in ihm“, und 1. Joh 4,16: „Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott in ihm.“ Die Liebe zueinander wird in der Tat zum Beweise dafür genommen, dass Gott da ist, und seine Liebe in uns vollendet ist, – und zwar um die Art und Weise seiner Gegenwart derjenigen von Christus gegenüberzustellen Joh 1,18. Doch was wir so erkennen, ist, dass wir in Ihm bleiben, und Er in uns. In jedem Fall ist diese Erkenntnis durch den Geist. In Vers 15 haben wir die allgemeine Tatsache; Vers 16 verfolgt sie bis zu ihrer Quelle. „Wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat.“ Da wird gesagt, was seine Natur in sich selbst ist (denn wir freuen uns in Gott); „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm“. Außer Ihm gibt es keine Liebe: wenn wir an seiner Natur teilhaben, so haben wir teil an der Liebe, und wer in ihr bleibt, bleibt in Gott, der ihre Fülle ist. Man beachte aber auch, dass, während der Apostel das betont, was Gott ist, er zugleich sorgfältig auf seinem persönlichen sein besteht. Er bleibt in uns.

Und hier tritt uns ein Grundsatz von hoher Bedeutung entgegen. Es möchte vielleicht gesagt werden, dass das Bleiben Gottes in uns und unser Bleiben in Ihm von einem hohen Maß von Geistlichkeit abhänge, zumal der Apostel in der Tat von der höchstmöglichen Freude gesprochen hat. Aber obwohl der Grad der einsichtsvollen Verwirklichung in der Tat durch unseren geistlichen Zustand bedingt wird, ist die Sache selbst doch das Teil eines jeden Christen. Es ist unsere Stellung, weil Christus unser Leben ist und der Heilige Geist in uns wohnt. „Wer irgend bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in ihm bleibt Gott, und er in Gott“ (V. 15). Wie groß ist die Gnade des Evangeliums! Wie wunderbar unsere Stellung, weil wir sie in Jesus besitzen! Es ist von Wichtigkeit, daran festzuhalten, dass diese Stellung das Teil eines jeden Gläubigen ist; diese Tatsache erfreut den Demütigen und bildet den stärksten Vorwurf für das Gewissen des Leichtfertigen.

Der Apostel erklärt diese hohe Stellung durch den Besitz der göttlichen Natur, der die wesentliche Bedingung des wahren Christentums bildet. Ein Christ ist eine Person, die teilhat an der göttlichen Natur, und in der der Geist wohnt. Aber die Kenntnis dieser unserer Stellung entspringt nicht der Betrachtung dieser Wahrheit, obwohl sie davon abhängt, dass es wirklich so ist, sondern, wie wir bereits gesehen haben, der Betrachtung der Liebe Gottes selbst. „Und“, sagt der Apostel weiter, „wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat.“ Das ist die Quelle unserer Kenntnis und unseres Genusses jener Vorrechte, die so köstlich, so wunderbar erhaben sind, und doch auch wieder so einfach und wahr für das Herz, wenn sie einmal erkannt sind. Wir haben Liebe kennen gelernt, und zwar die Liebe, die Gott zu uns hat, und wir haben sie geglaubt. Köstliche Erkenntnis! Besitzen wir sie, so erkennen wir Gott, denn auf diese Weise hat Er Sich selbst offenbart. Wir können daher sagen. „Gott ist Liebe.“ Es gibt sonst keine Liebe. Er selbst ist Liebe (V. 16). Er ist Liebe in ihrer ganzen Fülle. Er ist nicht Heiligkeit – Er ist heilig, aber Er ist Liebe. Er ist nicht Gerechtigkeit, sondern Er ist gerecht 4.

Dadurch nun, dass ich in der Liebe bleibe, bleibe ich in Ihm, was ich nicht vermöchte, wenn Er nicht in mir bliebe; aber das tut Er. In diesem 16. Verse stellt der Apostel unser Bleiben in Ihm voran, denn Gott selbst steht vor unseren Augen als die Liebe, in der wir bleiben. Indem ich an diese Liebe denke, sage ich, dass ich in Ihm bleibe, weil ich durch den Geist das Bewusstsein davon in meinem Herzen habe. Zugleich ist diese Liebe ein kräftig wirkender Grundsatz in uns: Gott selbst ist da. Das ist die Freude unserer Stellung, der Stellung eines jeden Christen.

Die Verse 14 und 16 zeigen uns die doppelte Wirkung der Offenbarung dieser Liebe: 1. das Zeugnis, dass der Vater den Sohn gesandt hat als Heiland der Welt. Ganz außerhalb der den Juden gegebenen Verheißungen (wie überall bei Johannes), ist dieses Werk die Frucht dessen, was Gott selbst ist. Folglich, wer irgend bekennt, dass Jesus dieser Sohn ist, genießt die ganze Fülle der daraus entspringenden gesegneten Folgen. 2. Der Christ hat für sich selbst an diese Liebe geglaubt, und er genießt sie nach ihrer Fülle. Nur wird hier die herrliche Tatsache, dass wir teil an Christus haben, in etwas anderer Weise ausgedrückt, indem das Bekenntnis Jesu als des Sohnes Gottes hier vornehmlich als der Beweis hingestellt wird, dass Gott in uns bleibt, wiewohl der andere Teil der Wahrheit gleichfalls sagt, dass der, der Ihn bekennt, auch in Gott bleibt.

Wenn es sich um das Teil handelt, das wir als solche, die an diese Liebe glauben, an der Gemeinschaft haben, so heißt es, dass „der, der in der Liebe bleibt, in Gott bleibt“; denn hier befindet sich in der Tat das Herz. Die andere Seite der Wahrheit trifft hier ebenso zu: Gott bleibt auch in ihm.

Ich habe von dem Bewusstsein dieses Bleibens in Gott gesprochen, denn nur so wird es gekannt. Aber es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass der Apostel es als eine Wahrheit lehrt, die auf jeden Gläubigen ihre Anwendung findet. Die Gläubigen hätten sich, indem sie sich diese Wahrheiten nicht zueigneten, mit dem Vorwand entschuldigen können, dass dieselben zu hoch für sie seien; aber jene Tatsache verurteilte ihre Entschuldigung – die Gemeinschaft war vernachlässigt. Gott bleibt in jedem, der bekennt, dass Jesus Gottes Sohn ist, und er bleibt in Gott. Welch eine Ermutigung für den zaghaften Christen! Welch ein Vorwurf für den sorglosen!

Der Apostel kommt dann auf unsere Stellung Gott gegenüber zurück, indem er Gott als außer uns stehend betrachtet, als Den, vor dem wir erscheinen müssen, und mit dem wir es stets zu tun haben. Das ist der dritte große Beweis und Charakter der Liebe, worin sie vollendet ist, und der, wie ich schon früher bemerkt habe, bezeugt, dass Gott an alles gedacht hat, von unserem sündigen Zustand an bis zu dem Tag des Gerichts. „Hierin ist die Liebe mit uns vollendet worden, damit wir Freimütigkeit haben am Tag des Gerichts, dass, gleichwie er ist, auch wir sind in dieser Welt“ (V. 17). In der Tat, was könnte uns eine vollkommenere Sicherheit für jenen Tag geben, als dass wir sind wie Jesus selbst, dem Richter gleich? Er, der in Gerechtigkeit richten wird, ist unsere Gerechtigkeit. Wir sind in Ihm die Gerechtigkeit, nach der Er richten wird; wir sind, wenn es sich um Gericht handelt, wie Er ist. Wahrlich, das kann uns vollkommenen Frieden geben. Aber beachten wir, dass es nicht nur am Tag des Gerichts so ist (es gibt uns Freimütigkeit für denselben), sondern dass wir Ihm gleich sind in dieser Welt. Wir sind nicht in dieser Welt, wie Er war, sondern wie Er ist, wir besitzen bereits unseren gekannten Platz, so wie es für jenen Tag nötig ist, und wie es der Natur und den Ratschlüssen Gottes entspricht. Er ist unser Teil als solche, die lebend mit Ihm eins gemacht sind.

In der Liebe gibt es keine Furcht, vielmehr Vertrauen. Wenn ich gewiss bin, dass jemand mich lieb hat, so fürchte ich mich nicht vor ihm. Wenn ich nur den Wunsch hege, der Gegenstand seiner Liebe zu sein, mag ich fürchten, mich zu täuschen, ja, ich kann ihn selbst fürchten, und diese Furcht wird immer dahin wirken, meine Liebe zu ihm und meinen Wunsch, der Gegenstand seiner Liebe zu sein, zu zerstören. Diese beiden Gefühle sind unvereinbar miteinander: es gibt keine Furcht in der Liebe. Vollkommene Liebe treibt daher die Furcht aus, denn die Furcht hat Pein! Pein aber ist nicht der Genuss der Liebe. Deshalb, wer sich fürchtet, kennt die vollkommene Liebe nicht. Doch was versteht der Apostel unter „vollkommener Liebe“? Es ist das, was Gott selbst ist und was Er in Christus offenbart und uns zu erkennen und zu genießen gegeben hat durch seine Gegenwart in uns, so dass wir in Ihm bleiben. Der bestimmte Beweis von der Vollkommenheit dieser Liebe ist die Tatsache, dass wir so sind, wie Christus ist. Sie ist gegen uns offenbart und in und mit uns vollendet worden. Aber was wir genießen ist Gott, der Liebe ist, und wir genießen Ihn, weil Er in uns wohnt, so dass Liebe und Vertrauen in unseren Herzen sind und wir Ruhe haben. Was ich von Gott kenne, ist, dass Er Liebe ist, Liebe gegen mich, und nichts anderes als Liebe gegen mich. Deshalb ist keine Furcht da 5.

Wenn wir sozusagen praktisch in die Geschichte dieser Gefühle und Zuneigungen eintreten, wenn wir zu trennen suchen, was in ihrem Genuss vereinigt ist, weil die göttliche Natur in uns, die Liebe ist, die Liebe in ihrer Vollkommenheit in Gott genießt (Seine Liebe also, die in unsere Herzen ausgegossen ist durch seine Gegenwart), wenn wir das Verhältnis, in dem unsere Herzen im Blick hierauf zu Gott stehen, im einzelnen beschreiben wollen, so geschieht es in den Worten: „Wir lieben ihn, weil er uns zuerst geliebt hat.“ Es ist Gnade und es muss Gnade sein, denn es ist Gott, der verherrlicht werden muss.

Es ist der Mühe wert, noch einen Augenblick bei dem Gedankengang in diesem merkwürdigen Abschnitt zu verweilen. Vers 7 – 10: Wir besitzen die Natur Gottes, folglich lieben wir: wir sind aus Ihm geboren und kennen Ihn. Aber die Offenbarung der Liebe gegen uns in Christus Jesus ist der Beweis dieser Liebe; dadurch kennen wir sie. Vers 11 – 16: Wir genießen die Liebe, indem wir in ihr bleiben. Es ist ein gegenwärtiges Leben in der Liebe Gottes durch die Gegenwart seines Geistes in uns; es ist der Genuss dieser Liebe in unseren Herzen durch die Gemeinschaft, indem Gott in uns bleibt und wir so in Ihm bleiben. Vers 17: Seine Liebe ist vollendet mit uns. Hier ist es die Vollendung dieser Liebe, betrachtet an dem Platz, den sie uns im Blick auf das Gericht gegeben hat: wir sind in dieser Welt, gleichwie Christus ist. Vers 18 und 19: Die Liebe ist auf diese Weise völlig mit uns vollendet. Liebe zu Sündern, Gemeinschaft, Vollkommenheit vor Gott – das sind die charakteristischen Grundzüge dieser Liebe, das, was sie ist in unserem Verhältnis zu Gott.

In dem ersten Abschnitt (V. 7 – 10), wo von der Offenbarung dieser Liebe die Rede ist, geht der Apostel nicht über die Tatsache hinaus, dass der, der liebt, aus Gott geboren ist. Da die Natur Gottes, die Liebe ist, in uns ist, so kennt der, der liebt, Gott, denn er ist aus Ihm geboren – er hat die Natur Gottes und verwirklicht sie. Das, was Gott für den Sünder gewesen ist, offenbart seine Liebesnatur. Hernach genießen wir als Heilige das, was wir als Sünder kennen gelernt haben. Die vollkommene Liebe Gottes ist in das Herz ausgegossen, und wir bleiben in Ihm. Da wir schon mit Jesu, und gleich wie Er ist, in dieser Welt sind, so kennt derjenige, für den die Liebe Gottes eine Wohnung und Ruhestätte geworden ist, keine Furcht mehr.

Sodann wird die Wirklichkeit unserer Liebe zu Gott, die Frucht seiner Liebe zu uns (V. 19), auf die Probe gestellt (V. 20+21). Wenn wir sagen, dass wir Gott lieben, und lieben die Brüder nicht, so sind wir Lügner. Denn wenn die göttliche Natur, die uns (in ihnen) so nahe ist, und der Wert, den Christus ihnen beilegt, nicht imstande sind, unsere geistlichen Zuneigungen zu wecken, wie könnte dann der es tun, der uns fern ist, den wir nicht gesehen haben? Zugleich ist es ein Gebot Gottes, „dass, wer Gott liebt, auch seinen Bruder liebe“. Auch hier wird also Gehorsam gefunden (vgl. Joh 14,31).

Fußnoten

  • 1 Beachten wir, dass Johannes nicht sagt: „Der in des Vaters Schoß war“. Man sagt oft, dass der Sohn den Schoß des Vaters verlassen habe; aber die Schrift redet niemals so. Sie sagt vielmehr: „Der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist“. Indem Er Gott so kannte, hat Er Ihn auf Erden kundgemacht.
  • 2 Zugleich zeigt es uns den Unterschied zwischen dem Evangelium und dem Brief in ihrem höchsten Charakter und Gegenstand.
  • 3 Der einzige Ausdruck ähnlicher Art, den es im Wort gibt, findet sich im Anfang der Thessalonicherbriefe, wo wir lesen: „Die Versammlung der Thessalonicher in Gott, dem Vater.“ Dieser Ausdruck richtet sich aber in ganz anderem Sinn an eine zahlreiche Körperschaft.
  • 4 Gerechtigkeit und Heiligkeit setzen eine Beziehung zu anderen Dingen voraus; sie setzen voraus, dass das Böse erkannt, verworfen und gerichtet wird. Liebe, obwohl gegen andere ausgeübt, ist das, was Gott in sich selbst ist. Der andere Wesensname, den Gott trägt, ist „Licht“. Es heißt von uns, dass wir, als Teilhaber an der göttlichen Natur, „Licht sind im Herrn“, nicht aber Liebe; denn Liebe, obgleich sie die göttliche Natur bildet, bedeutet: unumschränkt sein in Gnade. Es kann deshalb nicht von uns gesagt werden, dass wir „Liebe“ sind (vgl. Eph 4; 5).
  • 5 Es ist sehr eindrucksvoll zu hören, dass Johannes nicht sagt: „Wir sollten ihn lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“, sondern: „Wir lieben ihn“ usw. Wir können unmöglich eine gegen uns offenbarte Liebe kennen und genießen, ohne zu lieben. Das Bewusstsein einer Liebe, die uns erwiesen wird, ist stets Liebe. Liebe wird nicht gekannt und geschätzt, ohne dass sie selbst vorhanden ist, Das Bewusstsein, dass ein anderer mich liebt, ist Liebe zu ihm. Wir sollten die Brüder lieben, weil ihre Liebe zu uns nicht die Quelle unserer Liebe ist, obgleich sie in dieser Weise genährt werden mag. Aber wir lieben Gott, weil Er uns zuerst geliebt hat.
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel