Die Erziehung in der Schule Gottes

Isaak

Abraham, Isaak und Jakob waren in besonderer Weise „die Väter Israels“, die Häupter eines von Gott berufenen Volkes, das auf der Erde in glücklicher Abhängigkeit von ihm wandeln sollte. Abraham war der erste auf dem Wege, und während er im Glauben am vorbildlichsten war, der sie alle kennzeichnete, hatte er mit besonderen Umständen zu ringen, die den anderen unbekannt waren. Wenn sein Weg höher war, waren seine Schwierigkeiten größer; wenn der Glaube stärker war, waren Widerstand und Verleugnung des Fleisches besonders hartnäckig und heftig, aber das geziemte ihm als dem Anführer. Die mächtige Wirksamkeit des göttlichen Glaubens widersetzte sich in tödlichem Kampf jedem dreisten Widerstand, den die eigenwillige Natur im Kampf um ihr Dasein ihm entgegenstellte. Es war ein „Nahkampf“: Die Abhängigkeit von Gott, die das Geschöpf der Herrschaft seines eigenen Willens entriß ' um es Gottes Willen zu unterwerfen, muß die bitterste Feindschaft des Fleisches hervorgerufen haben. Abraham steht eigentlich an erster Stelle in diesem wichtigen Streit. Es folgt Isaak, auch ein Führer, aber erst an zweiter Stelle. Abraham erobert das Land; Isaak soll es bewahren und muß die Stellung gegen den gemeinsamen Feind behaupten. Abraham leidet, während er um den Besitz kämpft; Isaak leidet, während er ihn bewahrt. Die Hindernisse bei Abraham entspringen größtenteils der Macht der Umstände außer ihm, bei Isaak fast immer der persönlichen Schwachheit. Isaak stellt uns die Natur in ihrem besten und glücklichsten Zustand, aber in ihrer Unfähigkeit vor, den Weg des Glaubens zu bewahren, auf den der Mensch durch Gottes Gnade gestellt ist. Seine Fehltritte werden nicht so sehr durch die Macht des Feindes bewirkt, der ihn abwendig macht, als vielmehr durch die bloße Schwachheit des Menschseins. Die Jünger schliefen, als der Herr sie aufforderte zu wachen, nicht aus Bosheit, denn „der Geist war willig“, sondern weil das Fleisch „schwach“ war und es nicht seine Gefühle zeigen konnte, wie es wollte. Isaak zeigt uns, wie schwach und hinfällig selbst die beste Seite unserer Natur auf dem Wege des Glaubens ist, wie sie auf diesem Weg versagt, und welches die daraus entspringende Zucht ist.

Isaak betritt den Schauplatz als der Sohn der Verheißung, und wie sein Name andeutet (“Lacher“ s. Anm. zu 1. Mo 17,19), unter den glücklichsten sittlichen Vorzeichen. Kein Wunder, daß wir vorbereitet sind, in ihm ein glückliches Beispiel der gefallenen Menschheit zu sehen: gehorsam, liebevoll, häuslich. Die erste Bekanntschaft mit ihm machen wir im beginnenden Mannesalter bei der Besteigung des Berges Morija; bei einer so wunderbaren Begebenheit, daß wir kaum wissen, was unsere Bewunderung mehr fesselt, die gelassene Tat Abrahams oder die Lamm gleiche Ergebenheit Isaaks. Man kann sagen, daß er nicht im voraus wußte, daß er auf so unheilvolle Weise selbst dabei betroffen war; aber auch als er es wußte, als er auf das Holz des Altars gelegt wurde und das Messer in des Vaters ausgestreckter Hand war, um ihn zu schlachten, selbst dann finden wir nicht, daß er auch nur im geringsten der Ausführung widerstand. Gehorsam in Unwissenheit bekundet unbegrenztes Vertrauen in die Person, der ich mich so arglos unterwerfe, und beweist weiter, daß ich meinen eigenen Willen beugen und dem unterwerfen kann, der Anspruch auf mich hat. Gehorsam muß am Anfang der Liste all der Tätigkeiten stehen, die zu Ordnung und Segen führen sollen. Die Forderung lautet (wie schon bei Adam), den Willen zugunsten Dessen aufzugeben, Der rechtmäßige Forderungen stellen kann. Für Untertanen, Knechte, Ehefrauen, Kinder gilt das. „Ehre deinen Vater und deine Mutter“ ist deshalb das erste Gebot mit Verheißung, weil den Willen aufzugeben eine Handlung ist, die dem Charakter unserer Natur entgegengesetzt ist, und Gott anerkennt und segnet sie. Der Weg des Herrn Jesus war von uneingeschränktem Gehorsam, aber Ihm standen immer die Folgen jenes Gehorsams vor Augen. Er unterwarf Sich wegen des Dienstes, den Er tun sollte, und wegen der Freude, die Er dem Vater bereiten würde, und nicht wie Isaak, das Vorbild auf Ihn, weil er den Ausgang nicht kannte und weil er auf den vertraute, der den Gehorsam verlangte. Dieser Gehorsam Isaaks im Anfang seiner Geschichte verbürgt unsere hohe Einschätzung seiner Person; aber wenn er (wie bei dem Jüngling im Evangelium, den der Herr liebte) dem Charakter des Fleisches entsprang, so mußte er (wie bei jenem) einer unzweideutigen Prüfung unterzogen werden.

Je lieblicher der Charakter ist, desto unverkennbarer muß der Beweis sein, daß ein solcher allem, was in ihm selbst ist, entsagt hat. Von dem Jüngling wird gefordert, alles was er hat, zu verkaufen und den Armen zu geben, von wo es nicht wiedererlangt werden kann; und so, beraubt und entblößt, dem Herrn zu folgen. Isaak, die sanfteste aller Naturen, mußte sinnbildlich durch den Tod gehen, den Tod, der das Ende alles Fleisches bedeutet, der der einzige wahre Ort dafür ist. Denn nur wo das Fleisch vollständig am Ende ist, nämlich im Tode Christi, gibt es wahre Befreiung vom Tode und bewußte Einnahme des Platzes, auf den die Gnade uns versetzt hat. Der göttliche Wille führt uns unfehlbar zu dieser vorbehaltlosen Unterwerfung; und diese Zucht, die für Isaak so notwendig und gesegnet ist, wird ihm gleich zu Beginn seiner Geschichte auferlegt. Es ist nicht wie bei Abraham die Absonderung und Selbsterniedrigung, sondern nichts anderes als der Tod, der sittliche Tod. Je gebildeter und vollkommener die Natur ist, desto schwieriger ist es, sie zu verleugnen; wo nichts Offenkundiges zu verleugnen ist, erscheint es hart, daß alles verleugnet werden muß. Wo etwas Offenkundiges ist, wird eine Verleugnung immer den Willen brechen, weil der Wille in der herrschenden Leidenschaft seinen Ausdruck findet, und das Zerbrechen des Willens ist der sittliche Tod der alten Natur, den alle erleiden müssen. Nur wird er bei einigen direkt durch die Vernichtung einer herrschenden Vorliebe oder eines Übels erreicht, während bei anderen, die wie Isaak eine gleichmäßigere Natur haben, bei der nichts besonders hervortritt, das zerbrochen werden muß, das Ganze praktisch unwirksam gemacht werden muß.

Das nächste, was wir von Isaak hören, steht wieder in Verbindung mit dem Tode: aber in einer anderen Art und Weise, die ihn auf ein neues Leben vorbereitet. Der Tod seiner Mutter läßt ihn als Einzelwesen auf der Erde zurück. Wir finden in der göttlichen Zucht zwei Arten des Todes, nämlich entweder sterbe ich, oder alles stirbt mir. Wir dürfen wohl sagen, daß Isaak, als er „auf dem Felde sann“, erfahren haben muß (obwohl er durch die Hoffnung auf bessere zukünftige Dinge erfreut wurde), wie der Tod den Schauplatz verödet und eine Lücke im Herzen hinterläßt, die nichts darin füllen kann. Der Beiseitesetzung Saras folgt jedoch die Einführung Rebekkas, und er verläßt das Dunkel und den Kummer des Todes, um den Trost, den Jehova ihm verschafft, anzunehmen. Aber selbst dann, so treu und wahr sind die Wege unseres Gottes mit Seinem Volk, hat Isaak, der verheißene Sohn, keinen Erben, und er bekommt ihn nicht eher als bis er sich auf Gott verläßt, denn er muß lernen, auf Ihn zu schauen statt auf das Fleisch. Er muß lernen, daß Segnungen, welcher Art sie auch sein mögen, getrennt von Gott kein erwünschtes Ergebnis erzielen. Aber nach dieser Lehre wird der vorbestimmte Plan durchgeführt, und Isaak erhält Kinder. Bei ihrer Geburt wird eine Offenbarung über ihr Schicksal gewährt, die für ein dem Willen und den Ratschlägen Gottes geöffnetes Ohr ausreichend sind, um zu erkennen, was der göttliche Wille betreffs ihrer war. Isaak sollte das verstanden und dementsprechend gehandelt haben; aber er scheint es nicht getan zu haben, oder die Gewohnheit seiner Natur verdrängte den Ratschluß Gottes in seinem Innern, denn er scheint in Jakob nicht den Erben der Verheißungen erkannt zu haben, und er „hatte Esau lieb, denn Wildbret war nach seinem Munde“. Der göttliche Fingerzeig wird übersehen, weil das Herz des Vaters durch die Aufmerksamkeiten des Sohnes erfreut wird und mehr durch die Eingebungen des Fleisches als durch den Ratschluß Gottes geleitet wird. So natürlich und väterlich dieses Gefühl auch war, so war doch der Wille des Menschen im Widerspruch zum Willen Gottes, und deshalb muß Isaak lernen, aufzugeben, denn das Wort des Herrn muß bestehen bleiben!

Aber das geschieht nicht in einem Augenblick. Isaak scheint dieses Verhältnis, in dem Esau vorgezogen wurde, sehr lange genossen zu haben. Im Lauf der Zucht, der Gott Sein Volk unterwirft, finden wir oft, daß es Ihm offenkundig widerstrebt, uns unserer einfachen fleischlichen Vergnügungen zu berauben. ja, oft dürfen wir an ihnen teilhaben, bis wir ihnen in der Anmaßung des Fleisches einen Platz gegen Gott einräumen wollen, und wir, wie der König Ussija es tat, dem, was nur einen Platz im Fleische hat, einen Platz bei Gott einräumen wollen und dem Fleisch demgemäß Würden zuteilen, die Gott vorbehalten sind. Dies geschieht fast zwangsläufig, wo die Neigung, dem Herrn zu folgen besteht, und sogar, wo der anerkannte Beweggrund der Seele ist, Gott zu gefallen, d. h., wo das Gewissen in Tätigkeit, aber der Wille nicht unterworfen ist. So können die Forderungen des Herrn in der Seele anerkannt werden, ohne daß der eigene Wille dem Willen des Herrn wirklich untertan ist. Wenn dies der Fall ist, wird man sich bemühen (und häufig mit zeitweiligem Erfolg), dem Geschöpf jene Stellung und Würde zuzuerkennen, die nur der von Gott Berufene besitzen sollte. In der Christenheit sehen wir dazu bemerkenswerte Beispiele, daß richtige Namen ihren ungeeignetsten Gegnern beigelegt werden. Zum Beispiel stellt die gewöhnlich sogenannte „Kirche“ genau so wenig die wahre Sache dar wie das goldene Kalb den Gott, der Israel aus Ägypten geführt hatte; und doch sind die meisten Gewissen beruhigt, weil der wahre geistliche Name bewahrt geblieben ist. Ach, wir können unser Gewissen beruhigen, während wir unseren Willen befriedigen, indem wir dem fleischlichen Ergebnis einen göttlichen Namen geben. Wo diese Haltung herrscht, muß Zucht sein, aber für manche Zucht sind wir nicht bereit, ehe wir durch eine Zucht anderer Art gehen. Und siehe, während Esau sich durch seine Jagd bei seinem Vater beliebt macht und das Wort Gottes in seinem Innern ungültig macht, zwingen ihn die Wirkungen eben dieser Jagd, sein Erstgeburtsrecht eben dem zu verkaufen, für den Gott es vorgesehen hatte; und so bereitet er zugleich die notwendige Zucht für Isaak vor und führt die Absichten Gottes aus. Satans scheinbar größter Sieg enthält immer den Keim zu seiner eigenen Vernichtung. Wie er beim Tode Christi seine Macht vereinigte und verlor, so würden wir, wenn wir nur Geduld hätten, das Ende abzuwarten, entdecken, daß sein schrecklichster Anschlag gegen uns in unserer sichersten Errettung endigt. „Aus dem Fresser kam Fraß.“

Der nächste Bericht über Isaak ist von anderer Art. Im Lande entstand eine Hungersnot, und Kapitel 26 gibt uns eine ausführliche Beschreibung der Übungen, durch die er vom Auszug nach dem Süden bis zu seiner Rückkehr ging. Die Hungersnot wird ausdrücklich von der „vorigen Hungersnot“ in den Tagen Abrahams unterschieden. Die erste stellte Abraham, den Vorläufer, auf die Probe, die zweite Isaak, den Bewohner. Abraham hatte sich von ihr abgewandt und war nach Ägypten hinabgezogen. Isaak schlägt dieselbe Richtung ein und geht zu Abimelech, dem König der Philister, aber dort ermahnt ihn Gott, nicht weiterzuziehen und sich in Gerar aufzuhalten. Er erlaubt ihm, sich dort aufzuhalten, um zu erkennen, ob es möglich ist, aber Er fügt hinzu: „Bleibe in dem Lande, von dem ich dir sage.“ Isaak hielt sich nicht nur in Gerar auf, sondern er blieb dort, und als Folge davon beginnen seine Leiden. Er muß hier lernen, daß er, wie reich er auch im Lande der Philister sein mag, nie den Frieden und die Ruhe genießen kann, die seine Seele begehrt, solange er in Verbindung mit ihnen steht. Zunächst versucht er, sich durch falsche Darstellungen einen ungestörten Aufenthalt zu verschaffen, und als seine Lüge aufgedeckt wird, erniedrigt sie ihn vor ihnen als einen, der Gott in den Umständen, in die er sich selbst gebracht hat, nicht vertrauen kann. Aber noch verläßt er den Ort nicht. Oft versuchen wir, dort zu bleiben, wo wir untreu waren, als ob wir das, was wir verloren haben, wiedererlangen könnten; aber wenn unsere Stellung eine Stellung des Unglaubens ist, kann keine Art des Verhaltens ihren Charakter verändern. Jehova zeigt Isaak die Nutzlosigkeit des Gewinns in Gerar. Er mag so gesegnet sein, daß sein Getreide hundertfältig trägt, bis er sehr groß wird. Aber wozu das alles? Die Stellung eines Fremdlings wäre glücklicher für ihn, denn dann könnte er sein Brot in Ruhe essen und aus seinen eigenen Quellen in Frieden trinken; aber bei all seiner Größe und all seinen Reichtümern sind ihm diese Segnungen in Gerar versagt.

In einem langsamen und schmerzlichen Prozeß muß Isaak lernen, daß er das Land der Philister ganz und gar verlassen muß, und jeder Brunnen, den er graben mußte, kennzeichnet die Abschnitte dieses Vorgangs: erst „Zank“, dann „Anfeindung“, sodann „Räume“, aber als er „Raum“ gefunden hat und von der Verbindung, die ihn behinderte, befreit ist, schreitet er voran nach Beerseba, das an der Grenze des Landes liegt. Er nimmt wieder den Platz eines von Gott abhängigen Fremdlings und Pilgers ein, und in dem Augenblick, wo er das tut, erhält er seine Belohnung. „Jehova erschien ihm in selbiger Nacht“ und segnete ihn. Die Zucht hatte Heiligung erzielt, und er baut einen Altar und betet an. Sie hatte ihn gelehrt, daß es besser ist, ein wenig bei Gott zu haben als große Reichtümer in einer Stellung fern von Gott, und nun genießt er seine Segnungen und seine Quelle in Frieden. Er erhielt dieselbe Lehre wie Abraham, nur in einer milderen Form; nämlich den Ehrgeiz und den Wunsch nach Auszeichnung in dieser bösen Welt zu kreuzigen. Ehrsucht sucht der Gegenstand der Aufmerksamkeit der anderen zu sein; Zuneigung sucht der Gegenstand der Aufmerksamkeit der eigenen Person zu sein. Abraham mußte zulassen, daß beides geprüft und gekreuzigt wurde; ebenso Isaak, aber wie gesagt, in einer milderen Form. Er wird zum Ende des einen, nämlich der Ehrsucht gebracht, in einer Weise, die beim Volke Gottes häufig ist, indem er entdeckt, daß man sich an keinem Gewinn in Verbindung mit dem Bösen erfreuen kann, und indem er nach verschiedenen Kämpfen dazu getrieben wird, die falsche Stellung zugunsten der ungetrübten Wasser von Beerseba und der Gegenwart des Herrn zu verlassen.

Aber noch erwartete ihn die große Zucht seiner Zuneigung; auf die er seit langem vorbereitet wurde; es war in der Tat die große Zucht und Lehre seines Lebens. Sie begann, als auf dem Berge Morija seine ganze Natur, das Gute sowohl wie das Böse, abgelehnt wurde, indem sie „im Gleichnis“ durch den Tod ging, und während seines ganzen Lebens wurde sie nie aus dem Auge verloren. Damals bestand die Zucht mehr in dem wirklichen, ein für allemal geschehenen Tode; nun lernt Isaak jedoch jene Verleugnung des Willens, die ihn sittlich zu dem führt, was der Tod praktisch ist. Alles, was wir in Verbindung mit seinem Lieblingssohn Esau hören, trägt denselben Charakter und scheint die Vorbereitung für die Prüfung seiner Zuneigungen zu sein, die er schließlich erdulden muß, weil er dem Fleisch unrechtmäßig den Vorzug vor Gottes Ratschluß gegeben hat. Die Schwachheit des Fleisches war die Lehre für Isaak, und sie ist oft erniedrigender als seine Schlechtigkeit. Sie ließ die geliebten jünger in Gethsemane einschlafen und ließ Petrus fluchen und schwören, daß er Den nicht kenne, Den er am meisten auf Erden liebte.

Esau hatte nicht nur sein Erstgeburtsrecht verwirkt, sondern er hatte sich auch gesellschaftlich des Rechtes auf Erbschaft beraubt, indem er eine Kanaaniterin heiratete. Als Isaak das erfährt, ist es, wie wir lesen, ein „Herzeleid“ für ihn. Aber selbst das entfernte Esau nicht von seinem Platz in der Zuneigung seines Vaters. Esau war 40 Jahre alt, als diese Heirat stattfand. Jahre später, wie wir annehmen dürfen, als „Isaak alt geworden und seine Augen zu schwach waren um zu sehen“, ruft er Esau zu sich und sagt: „Mein Sohn, ... siehe doch, ich bin alt geworden, ich weiß nicht den Tag meines Todes. Und nun nimm doch dein Jagdgerät deinen Köcher und deinen Bogen, und gehe hinaus aufs Feld und erjage mir ein Wildbret; und bereite mir ein schmackhaftes Gericht wie ich es gern habe, und bringe es mir, daß ich esse, damit; meine Seele dich segne, ehe ich sterbe.“ So hängt Isaak bis zuletzt an dem Sohn, den er lieb hatte, und übersah – so groß war seine natürliche Zuneigung – jeden göttlichen Fingerzeig, der ihn in eine andere Richtung gewiesen haben sollte. Wir sehen ihn von einer wahrlich demütigenden Seite, wie jeden Gläubigen, bei dem das ungebändigte Fleisch regiert.

Aber Gott wird die ungerichtete Natur auch bei Isaak unterwerfen! Und nicht nur das (so vollkommen und vollständig sind Gottes Wege), sondern Er wird gerade jene Befriedigung, die dazu gedient hatte, Isaaks Willen und Urteil zu beeinflussen, als unmittelbares Mittel zu seiner Züchtigung benutzen. Gott erlaubt, daß er betrogen wird. Mittels des „schmackhaften Gerichtes“ wurde sein Verstand vom gesunden Urteil abgewendet, und durch das „schmackhafte Gericht“ wird er ohne sein Wissen gezwungen, nach dem Willen Gottes zu handeln: nicht wie bei der erhabenen und einsichtigen Tat Jakobs, der seinen Segen in voller Übereinstimmung des Geistes mit dem Willen Gottes aussprach, sondern als Irregeführter, Gedemütigter, Betrogener – fast gegen seinen Willen und ohne jegliche geistliche Verbindung zu Ihm –, und ohne, daß die traurigen Wirkungen der Natur gerichtet oder getötet waren.

Menschliche Pläne werden jedoch vereitelt. Jakob, der rechtmäßige Erbe und von Gott Bestimmte, erhält den Segen, und Isaak muß es hören. Und nun findet in seiner Seele der Kampf zwischen dem fleischlichen Willen und dem Worte Gottes statt. Was ist das Ergebnis? Die Natur gibt sich geschlagen! Welch ein Augenblick! Wer kann den Aufruhr der Seele beschreiben, der das ganze Geschöpf erschüttert, wenn das Wort Gottes, das gleichgültig behandelt worden ist, seine Macht und Autorität in unserer Seele behauptet? Unser Wille vergeht vor der Größe der Wahrheit, die wir erkennen, ohne daß er uns rechtfertigt. Es überrascht uns nicht zu lesen, daß Isaak „mit großem Schrecken über die Maßen erschrak und sprach: Wer war denn der, welcher ein Wildbret erjagt und mir gebracht hat? und ich habe von allem gegessen, ehe du kamst und habe ihn gesegnet; er wird auch gesegnet sein.' Wir sollten hier eine Tatsache von großem Gewicht bemerken, daß nämlich die Wahrheit durch einen Wandel in Eigenwillen nicht verändert werden wird und kann, obwohl wir, wenn unser Geist nicht Gott unterworfen ist, versuchen werden, sie falsch anzuwenden. Nur wenn das Fleisch unterworfen ist, können wir glücklich der einzig wahren und richtigen Anwendung des Wortes Gottes zustimmen.

Zum Schluß sehen wir, wie Gottes Zucht wirkt. Isaak beugt sich nun dem Ratschluß Gottes; aber welch ein Schauplatz des Kummers umgibt ihn! Seine Liebe zu Esau ist zerstört, und der nun rechtmäßige Erbe, die Hoffnung seines Hauses, ist ein Verbannter! Dies alles ist die bittere Frucht natürlicher Zuneigung, der gegen den Willen Gottes nachgegeben worden ist!

Dennoch hören wir keine Äußerung der Ungeduld von Isaak; er segnet Jakob und sendet ihn nach Paddan-Aram, so stark und fest im Glauben wie in seinen besten Tagen. Und seine Geschichte schließt mit dem Bericht, daß seine letzten Tage durch die Gegenwart Jakobs erhellt wurden. So sehen wir die Absicht des Herrn, „voll innigen Mitgefühls und barmherzig“, wenn die Zucht vollendet ist, dem Beraubten alles und mehr als er verloren hat, zurückzugeben. Möge dies alle, die in Zion trauern, trösten!

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel