Einführender Vortrag zum 1. Johannesbrief

Kapitel 5

Einführender Vortrag zum 1. Johannesbrief

Kapitel 5 spricht von einem anderen Gegenstand. (Hier muß ich mich wirklich kurz fassen!). Es steht in Verbindung mit der Aufforderung am Ende von Kapitel 4, daß wir unseren Bruder lieben sollen. Der Apostel hat die verschiedenen Entfaltungen der göttlichen Liebe gezeigt sowie auch die unwahre Behauptung, Gott zu lieben, während man seinen Bruder haßt. Das mag die Frage hervorrufen, wer mein Bruder ist. Wir benötigen Einfalt sowohl im Umgang mit Gott als auch mit Seinen Kindern. Es ist umsonst, hier vorzuschützen, daß dieses schwer herauszufinden sei. Der Geist Gottes legt schonungslos und in seiner ganzen Fülle die Probe für göttliches Leben vor. Aber jetzt müssen wir die Frage stellen: Wer ist mein Bruder? – Die Antwort ist so einfach wie möglich: „Jeder, der da glaubt, daß Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren.“ [V. 1].

Ist es nicht schön, nachdem die ganze Fülle der Wahrheit geoffenbart wurde, nachdem der Apostel Paulus Christus in der Herrlichkeit enthüllt und Johannes uns in die Gegenwart der göttlichen Natur und des ewigen Lebens in Christi Person versetzt hat, daß wir hier einen solchen Beweis von dem unveränderlichen Zeugnis über den Herrn Jesus als Christus lesen? Welche Wahrheit verkündigten Petrus und die übrigen Apostel zu Pfingsten? – Daß Jesus der Christus ist! Mit welcher Wahrheit schließt der Johannesbrief? – Daß Jesus der Christus ist! In den göttlichen Dingen gibt es kein Wanken.

Zweifellos ist die Entfaltung der Wahrheit in bewunderswerter Weise den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kirche angepaßt. Doch wenn wir schließlich zu der Frage kommen: „Wer und was ist ein Kind Gottes und mein Bruder?“, erhalten wir die Antwort: „Der Mensch, der glaubt, daß Jesus der Christus ist!“ Ich versichere dir, daß dieses das schwächste Zeugnis ist, welches der Heilige Geist anerkennen kann; und es wäre sehr armselig, wenn ein Christ einfach nur glaubt, daß Jesus der Christus war. Falls ich mich ausschließlich darauf beschränke – wie unwürdig wird dann mit der ganzen Herrlichkeit Jesu umgegangen! Trotzdem ist es für mich gesegnet, daß der Heilige Geist bis zum Ende den Wert dessen festhält, womit Er begann. Das heißt nicht, daß nicht viel mehr bekannt gemacht worden ist, sondern es besagt, daß auch das Anfängliche in Frische und Kraft bestehen bleibt. Zweifellos mag ein solches Bekenntnis von wenig Erkenntnis zeugen, aber auf jeden Fall sehen wir darin eine göttliche Wirklichkeit in der Seele. Sie glaubt, daß Jesus der Christus ist. Daß solches am Anfang der Apostelgeschichte gesagt wird, können wir alle begreifen. Doch mir scheint, daß niemand als nur Gott daran gedacht haben kann, am Ende des christlichen Zeugnisses weiterhin darauf zu bestehen, als wollte der Heilige Geist unter den letzten Worten, die Er aussprach, sagen: „Ich habe euch in alle Tiefen und Höhen eingeführt. Ich habe euch in neuen Schriften den ganzen Kreis der geoffenbarten Wahrheit offen gelegt. Dennoch bestehe Ich auf dem, womit Ich begann. Lernt die Wahrheit, welche Ich in euren Seelen entwickelt habe nicht, indem ihr sie weiterentwickelt, sondern indem ihr in derselben wachset! Gebt niemals die ersten Grundlagen auf!“

„Jeder, der da glaubt, daß Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren; und jeder, der den liebt, welcher geboren hat, liebt auch den, der aus ihm geboren ist.“ Nicht allein Gott soll geliebt werden, sondern auch Seine Kinder. Dadurch erweist sich deine Liebe als göttlich; und du beweist, daß du wirklich Gott liebst. Es wird jedoch häufig noch eine weitere Frage gestellt: „Woran erkenne ich, daß ich die Kinder Gottes liebe?“ – Achte darauf, daß du dich auf dem richtigen Weg befindest! Denn wir lesen die Antwort: „Hieran wissen wir, daß wir die Kinder Gottes lieben.“ [V. 2]. Das geschieht nicht, indem wir ihnen zu gefallen sind oder vielleicht dahin gehen, wohin sie gehen, oder sie auf unseren Weg zwingen. Du magst völlig mißverstanden werden. Du magst Seelen antreiben oder von ihnen weggestoßen werden. Sowohl in dem einen wie in dem anderen Fall zeigt sich nicht die Liebe; denn es gilt: „Wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten.“ Wenn meine Seele in Liebe zu Ihm geht und dieses durch uneingeschränktes Vertrauen auf Seinen Willen zeigt, gibt es nichts anderes, was wahrhaftiger die Liebe zu Seinen Kindern ausübt. Für den Gleichgültigen mag es scheinen, als würdest du nicht an sie denken. Dennoch liebt du sie so am meisten. Wenn du die Kinder Gottes zu deinem Gegenstand machst, ist das nicht die wahre Liebe. Wenn du dich wirklich Gott und Seinem Willen weihst, liebst du wahrhaftig die Kinder Gottes.

„Denn dies ist die Liebe Gottes, daß wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer.“ [V. 3]. Das Gesetz war ein Joch, das weder ihre Väter noch sie selbst zu tragen vermochten. [Vergl. Apostelgeschichte 15, 10!]. Das gilt indessen nicht für die Wahrheit Gottes. Das Gesetz Gottes war zur Bestrafung sowie auch Erprobung des alten Menschen. Das Wort Gottes ist die Speise und Richtschnur für den neuen Menschen.

Aber ist die Welt nicht ein großes Hemmnis? – Zweifellos! Es gibt indessen etwas, das die Welt überwindet. Und was ist das? – Der Glaube! Aber beachten wir: Johannes sagt nicht, daß „jeder, der da glaubt, daß Jesus der Christus ist“, die Welt überwindet. Möglicherweise siehst du einige Menschen, bei denen du nicht bezweifeln kannst, daß sie wirklich Kinder Gottes sind – aber sie überwinden nicht die Welt. Was befähigt also, die Welt zu überwinden? – Der Glaube, daß Jesus der Sohn Gottes ist! „Der Christus“, so darf ich vielleicht sagen, spricht von einer Verbindung zur Welt, zu den Juden und zu den Nationen, die Er einst beherrschen wird. Der Titel „Sohn Gottes“ verbindet Ihn mit dem Vater über der Welt. Darin liegt der Unterschied. Während ich also festhalte und diesem Bekenntnis seinen vollen Wert gebe, daß Jesus der Christus Gottes ist, soll ich nicht auf diese Wahrheit beschränkt bleiben. Wir benötigen ein wachsendes Empfinden von dem, was Christus ist, und von Seiner Herrlichkeit, um den herabziehenden Einflüssen und der umstrickenden Macht der Welt um uns herum widerstehen zu können. Wahre Kraft über die Welt empfangen wir durch Wachstum in der Erkenntnis Christi. Nichts anderes könnte nützlicher sein. „Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, welcher glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist?“

„Dieser ist es, der gekommen ist durch (δι) Wasser und Blut.“ [V. 6]. Johannes erhält uns völlig in dem Bewußtsein unserer Erlösung, aber auch unserer Verantwortlichkeit (d. h. als Gottes Kinder). „Dieser ist es, der gekommen ist durch Wasser und Blut, Jesus, der Christus; nicht durch (ν) das Wasser allein, sondern durch das Wasser und das Blut. Und der Geist ist es, der da zeugt, weil der Geist die Wahrheit ist. Denn drei sind, die da zeugen: der Geist und das Wasser und das Blut, und die drei sind einstimmig.“ Das – und nicht mehr – ist hier die ursprüngliche Schrift. Ein großer Teil der letzten beiden Verse ist hier weggelassen; und so sollte es auch sein1, wenn wir jede berechtigte Textautorität beachten.

Die geschichtliche Tatsache, welche zur Grundlage dieser Belehrung wurde, wird im Johannesevangelium, Kapitel 19, 34, berichtet. Darauf wird schon dort besondere Aufmerksamkeit gerichtet durch den folgenden Vers, in dem Johannes bezeugt, was er sah. „Und sein Zeugnis ist wahrhaftig; und er weiß, daß er sagt, was wahr ist, auf daß auch ihr glaubet.“ Anstatt jetzt sein inspiriertes Zeugnis weiter auszuführen, nimmt der Heilige Geist jene Bibelstelle als das Größte aller gegenwärtigen Zeugnisse von Christus. Wenn man hier das „Wasser“ als stellvertretend für die Taufe ansieht, so ist das genauso kindisch wie der Bezug des Blutes auf das Mahl des Herrn. Diese drei Zeugen beziehen sich auf die Reinigung, die Sühne und die Kraft. Alle drei strömen zu uns heraus im Tod Christi, des Sohnes Gottes, und als Folge dieses Todes.

„Wenn wir das Zeugnis der Menschen annehmen, das Zeugnis Gottes ist größer; denn dies ist das Zeugnis Gottes, welches er gezeugt hat über seinen Sohn. Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat das Zeugnis in sich selbst; wer Gott nicht glaubt, hat ihn zum Lügner gemacht, weil er nicht an das Zeugnis geglaubt hat, welches Gott gezeugt hat über seinen Sohn“ usw. [V. 9–10]. Das heißt: Gott legt in dieser wunderbaren Dreiheit Sein Zeugnis ab – der Geist, das Wasser und das Blut. Drei Zeugen, aber nur ein Zeugnis, nämlich daß im ersten Menschen überhaupt kein Leben sein kann und aller Segen nur in dem Zweiten Menschen. Letzterer ist es allein, der durch Seinen Tod meine Sünden sühnte und mich reinigte. Zu diesen beiden Wahrheiten gibt mir der Heilige Geist die Freude durch den Glauben. Der Heilige Geist ist nicht gekommen, um von dem ersten Menschen zu zeugen. Diesen kann Er ausschließlich von Sünden überführen. Er bezeugt statt dessen die Herrlichkeit des Zweiten Menschen, die Reichtümer der Gnade Gottes in Ihm und die Wirkkraft Seines Werkes im Tod für den Gläubigen. Die Kirche hat sich verderbt; aber der Gläubige besitzt in sich selbst das Zeugnis. Das ewige Leben steht über allen Veränderungen. Daher besitzt der Erlöste einen Gegenstand des Zeugnisses außerhalb seiner selbst (nämlich in Christus), aber durch die Gnade auch in sich selbst.

Dieser Gedanke wird weiterverfolgt, indem gezeigt wird, daß es sich um den Sohn Gottes handelt. „Wer den Sohn hat, hat das Leben.“ [V. 12]. Falls ein Mensch den Sohn Gottes nicht hat, besitzt er kein Leben, was immer er auch sonst haben mag. Das Leben ist im Sohn und ausschließlich im Sohn.

Danach folgt die Schlußfolgerung. „Dies habe ich euch geschrieben, auf daß ihr wisset, daß ihr ewiges Leben habt, die ihr glaubet an den Namen des Sohnes Gottes.“ [V. 13]. Damit hört dieser Vers auf. Was am Ende hinzugefügt ist2, verdirbt den Inhalt des Verses. Menschen haben es hinzugefügt. „Und dies ist die Zuversicht“ [es geht hier nicht nur um Leben, sondern auch um Zuversicht] – „und dies ist die Zuversicht die wir zu ihm haben, daß, wenn wir etwas nach seinem Willen bitten, er uns hört.“ [V. 14]. Nach dem Leben folgt also Zuversicht und daraufhin der formelle Abschluß von allem, den wir in den Versen 18–21 finden. „Und wenn wir wissen, daß er uns hört, um was irgend wir bitten, so wissen wir, daß wir die Bitten haben, die wir von ihm erbeten haben.“ [V. 15]. Aber gibt es nicht so etwas wie Sünde? – Jawohl! „Wenn jemand seinen Bruder sündigen sieht, eine Sünde nicht zum Tode, so wird er bitten, und er wird ihm das Leben geben, denen, die nicht zum Tode sündigen. Es gibt Sünde zum Tode; nicht für diese sage ich, daß er bitten solle. Jede Ungerechtigkeit ist Sünde; und es gibt Sünde, die nicht zum Tode ist.“

Dazu laßt mich eine kurze Bemerkung machen! Die „Sünde zum Tode“ hat nichts mit dem ewigen Tod zu tun, sondern mit dem Abschluß dieses Lebens. Sie spricht nicht von einer besonders schweren Untat, sondern kann unter gewissen Umständen jede Sünde sein. Zum Beispiel war es „Sünde zum Tode“ als Ananias und Sapphira in Gegenwart der Gnade, welche der Heilige Geist damals der Kirche erwies, logen. [Apostelgeschichte 5]. Viele Menschen haben seitdem eine Lüge ausgesprochen, die nicht in gleicher Weise gerichtet wurde. Nicht das Lügen an sich ist eine „Sünde zum Tode“. Die Umstände eines Falles üben einen großen Einfluß aus, um einer Lüge einen besonderen und kennzeichnenden Charakter zu verleihen. Genauso ist es auch mit allen anderen Sünden. Ich erwähne dieses, weil gerade hier sehr oft geistliche Kraft benötigt wird. Es sind nicht alle Kinder Gottes fähig, die Tragweite einer Sünde und ihre besondere Schändlichkeit in einer bestimmten Situation zu erkennen. Doch wenn sie offen gezeigt wird, verstehen sie die Lage vollkommen, weil sie das Leben Christi und den Heiligen Geist in sich haben. „Jede Ungerechtigkeit ist Sünde; und es gibt Sünde, die nicht zum Tode ist.“ Wir dürfen nicht denken, daß jede Sünde zum Tod ist; dennoch kann jede Sünde unter gewissen Umständen eine solche sein.

Danach fassen die letzten Verse alles zusammen. „Wir wissen, daß jeder, der aus Gott geboren ist, nicht sündig.“ [V. 18]. Wir sahen, daß die Geburt aus Gott, um Leben zu haben, die große Lehre unseres Briefes ist. Hier geht es um das Wesen dieser Geburt. Ein Wiedergeborener sündigt nicht, „sondern der aus Gott Geborene bewahrt sich, und der Böse tastet ihn nicht an.“ Jetzt sehen wir nicht nur das Wesen, sondern auch die Quelle. Das Wesen war Christus; die Quelle ist Gott. „Wir wissen, daß wir aus Gott sind, und die ganze Welt liegt in dem Bösen.“ [V. 19]. Das ist der andere Bereich. „Wir wissen aber, daß der Sohn Gottes gekommen ist.“ [V. 20]. Nun wird uns der Gegenstand gezeigt. „Wir wissen aber, daß der Sohn Gottes gekommen ist und uns ein Verständnis gegeben hat, auf daß wir den Wahrhaftigen kennen; und wir sind in dem Wahrhaftigen, in seinem Sohne Jesus Christus. Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben. Kinder, hütet euch vor den Götzen!“ Götzen sind Gegenstände, welche dazu neigen, sich mit blind machender Kraft zwischen die Augen des Gläubigen und Christus zu stellen.

Fußnoten

  • 1 Vergl. die „Authorized Version“. Die Fußnote in der Ausgabe der „Lutherbibel“ von 1912 stimmt mit Kellys Ansicht überein. (Übs.).
  • 2 In der englischen „Authorized Version“. Auch die „Lutherbibel“ von 1912 (aber nicht ab 1984) hat hier: „und daß ihr glaubet an den Namen des Sohnes Gottes.“ (Übs.).
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