Der zweite Brief an die Korinther

Kapitel 12

Der zweite Brief an die Korinther

Entrückt in den dritten Himmel - fähig zu allem Bösen

Im vorhergehenden Kapitel hat der Apostel sich den falschen Brüdern gegenübergestellt. Er hat seine besondere apostolische Macht in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, sondern nur auf die Umstände des Lebens und seine Erfahrungen hingewiesen, die auch seine Gegner hätten erleben können, wenn sie wirkliche Brüder gewesen wären. In diesem Kapitel spricht Paulus von wunderbaren Erfahrungen, welche die normale christliche Erfahrung weit übertreffen. Er stellt sich in diesem Abschnitt nicht mehr den falschen Brüdern gegenüber, die er überhaupt nicht mehr erwähnt, sondern vergleicht sich mit den wahren Aposteln, denen er in nichts nachstand (Vers 11).

Der dritte Himmel

„Zu rühmen nützt mir wahrlich nicht; ich will aber auf Gesichte und Offenbarungen des Herrn kommen. Ich kenne einen Menschen in Christus, vor vierzehn Jahren (ob im Leib, weiß ich nicht, oder außerhalb des Leibes, weiß ich nicht, Gott weiß es), einen Menschen, der entrückt wurde bis in den dritten Himmel. Und ich kenne einen solchen Menschen (ob im Leib oder außerhalb des Leibes, weiß ich nicht, Gott weiß es), dass er in das Paradies entrückt wurde und unaussprechliche Worte hörte, die ein Mensch nicht sagen darf. Über einen solchen werde ich mich rühmen; über mich selbst aber werde ich mich nicht rühmen, es sei denn der Schwachheiten. Denn wenn ich mich rühmen will, werde ich nicht töricht sein, denn ich werde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand höher von mir denke als das, was er an mir sieht oder was er von mir hört“ (Verse 1-6).

Paulus kommt in diesem Kapitel auf „Gesichte und Offenbarung des Herrn“ zu sprechen. Er erzählt von der erstaunlichen Erfahrung, die er 14 Jahre zuvor genossen hatte. Der fleischlich gesonnene Christ hätte sich zweifellos sofort und immer wieder einer solchen Erfahrung gerühmt. Aber der Apostel verwirklichte, dass es nicht angebracht ist, sich selbst zu rühmen. Daher enthielt er sich 14 Jahre lang jeder Andeutung dieser Erfahrung. Kurz zuvor teilte er die demütigende Erfahrung mit, die er „im Leib“ erfahren musste. Nun spricht er von einer wunderbaren Erfahrung, die er als ein „Mensch in Christus“ erleben durfte. Derjenige, der erfahren hatte, was es heißt, in einem Korb auf die Erde „hinabgelassen“ zu werden, kannte auch das unermessliche Vorrecht, „bis in den dritten Himmel entrückt“ zu werden.

Der dritte Himmel spricht von dem Wohnplatz Gottes. Es gibt den atmosphärischen Himmel, den Sternenhimmel und dann auch den dritten Himmel, in dem der Thron Gottes steht. Der Apostel nennt den dritten Himmel Paradies und deutet damit die Glückseligkeit dieses Ortes als eine Szene der Freude, Schönheit und Herrlichkeit an. Es ist ein Garten größter Freuden, in dem es keinen Schatten von Tod je geben wird. Paulus spricht sorgfältig davon, dass er nicht als ein Mensch im Fleisch entrückt wurde, sondern als „ein Mensch in Christus“. Seine natürlichen Vorzüge als Mensch im Fleisch stellt er uns in einem anderen Brief vor. Aber er achtet sie um Christi willen für Verlust und Dreck (Phil 3,7.8). In seiner Stellung und den Vorrechten als ein Mensch in Christus kann er sich zu Recht rühmen, denn alle Segnungen unserer Stellung in Christus verdanken wir Ihm.

Als Paulus ins Paradies entrückt wurde, war er sich seines Leibes mit allen Bedürfnissen und Schwachheiten nicht mehr bewusst. Er hörte dort von Dingen, deren Erwähnung auf der Erde völlig unpassend gewesen wäre, selbst für Christen, während diese auf der Erde und in ihren sterblichen Körpern sind. Auch wenn wir keine solch wunderbaren Erfahrungen gemacht haben und in den dritten Himmel entrückt wurden, sollten wir bedenken, dass alles das, was dem Apostel offenbart wurden, als er entrückt wurde, auch dem einfachsten Gläubigen gehört. Denn jeder Erlöste ist „in Christus“.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Apostel über diese wunderbare Erfahrung geschwiegen. Denn durch ein Rühmen dieser Entrückung hätte er den Eindruck erwecken können, geistlicher sein zu wollen, als es sein tatsächliches Leben war oder die Berichte, die die Korinther über ihn gehört hatten. Was für eine Belehrung ist das für uns alle, damit wir bewahrt werden vor dem anmaßenden, selbstbewussten Geist, der in unserer alten Natur steckt und der so gerne eine besondere Erfahrung dazu benutzt, sich selbst zu erhöhen und anderen den Eindruck einer besonders geistlichen oder hingebungsvollen Haltung zu vermitteln, die nicht der Wahrheit entspricht.

Der Dorn als vorbeugendes Bewahrungsmittel für Paulus

„Und damit ich mich nicht durch das Übermaß der Offenbarungen überhebe, wurde mir ein Dorn für das Fleisch gegeben, ein Engel Satans, damit er mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht überhebe“ (Vers 7).

Wie erhaben die Erfahrungen des Apostels auch gewesen sein mögen, er besaß noch immer das Fleisch an sich, da er noch seinen Körper besaß. Und das Fleisch mag sich zwar in unterschiedlicher Weise offenbaren. Aber es ist in einem Apostel nicht in schwächerem Maß vorhanden als in jedem anderen Menschen. Wir müssen lernen, dass in dem Fleisch nichts Gutes wohnt und dass es sich nicht ändert. Wir haben in uns selbst keine Kraft gegen das Fleisch. Nach einer solchen Erfahrung, wie Paulus sie machen durfte, würde das Fleisch selbst in einem Apostel tätig werden und zur Selbsterhöhung führen. Es hätte ihn zum Beispiel ständig daran erinnert, dass kein anderer Apostel die Erfahrung machen durfte, in den dritten Himmel entrückt zu werden.

Damit Paulus im Bewusstsein seiner eigenen Schwachheit bewahrt würde, wurde ihm ein Dorn für das Fleisch gegeben, der ihn daran erinnerte, dass er, während er noch einen irdischen Körper an sich trug, vollkommen abhängig war von dem Herrn, damit dieser ihn vor den Verführungen des Fleisches bewahre.

Der Apostel teilt uns hier nicht konkret mit, worin dieser Dorn bestand. Offensichtlich war es eine körperliche Schwachheit, die ihn in den Augen der Menschen verächtlich oder klein machte. Sie diente als ein Gegengewicht zu diesen wunderbaren Gesichten und Offenbarungen, die ihn vor den Augen der Menschen erhöhen konnten. Wir sollten allerdings bedenken, dass dieser Dorn nicht gegeben wurde, um ein Versagen im Apostel zu korrigieren, sondern um einem fleischlichen Rühmen vorzubeugen und ihm ein tieferes Bewusstsein seiner Abhängigkeit vom Herrn zu geben.

„Für dieses flehte ich dreimal zum Herrn, damit er von mir abstehen möge. Und er hat zu mir gesagt: Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht. Daher will ich mich am allerliebsten viel mehr meiner Schwachheiten rühmen, damit die Kraft des Christus über mir wohne. Deshalb habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten, an Schmähungen, an Nöten, an Verfolgungen, an Ängsten für Christus; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (Verse 8-10).

Der Apostel hatte den Eindruck, dass der Dorn ein Hindernis für seinen Dienst war. Daher flehte er dreimal zum Herrn, dass dieser ihm den Dorn wegnehme. Der Herr antwortete auf dieses Gebet, auch wenn er die Bitte des Apostels nicht erfüllte. Diesem werden zwei große Wahrheiten gesagt, die auch für uns von großer Bedeutung sind.

  1. Die Gnade des Herrn ist ausreichend, um uns in jeder Übung aufrechtzuerhalten.
  2. Gerade unsere Schwachheit wird zum Anlass, dass die Kraft des Herrn offenbar werden kann.

Als der Apostel erkannte, dass diese Schwachheit sein Fleisch davor bewahrte, sich zu rühmen und zum Anlass für die Offenbarung der Gnade und Kraft Christi wurde, rühmte er sich von da an gerade dieser Schwachheit, von der er zuvor hoffte, dass sie weggenommen würde. So kann er sogar Wohlgefallen an den Dingen haben, die dem natürlichen Menschen so verhasst sind: Schwachheiten, Schmähungen, Nöte, Verfolgungen und Ängste. Denn alle diese Dinge kamen um Christi willen auf ihn. Und während sie die Schwachheit seines Körpers offenbarten, machten sie zugleich die Kraft Christi offenbar, so dass der Apostel hinzufügen kann: „Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“

Paulus suchte nicht das Geld der Korinther, sondern ihr Herz

„Ich bin ein Tor geworden; ihr habt mich dazu gezwungen. Denn ich hätte von euch empfohlen werden sollen, denn ich habe in nichts den ausgezeichnetsten Aposteln nachgestanden, wenn ich auch nichts bin. Die Zeichen des Apostels sind ja unter euch vollbracht worden in allem Ausharren, in Zeichen und Wundern und mächtigen Taten. Denn was ist es, worin ihr gegenüber den anderen Versammlungen verkürzt worden seid, es sei denn, dass ich selbst euch nicht zur Last gefallen bin? Vergebt mir dieses Unrecht. Siehe, dieses dritte Mal stehe ich bereit, zu euch zu kommen, und werde euch nicht zur Last fallen, denn ich suche nicht das Eure, sondern euch. Denn nicht die Kinder sollen für die Eltern Schätze sammeln, sondern die Eltern für die Kinder. Ich will aber sehr gern alles verwenden und völlig verwendet werden für eure Seelen, wenn ich [auch], je überreichlicher ich euch liebe, umso weniger geliebt werde“ (Verse 11-15).

Noch immer empfindet Paulus, dass von sich zu sprechen töricht ist - sei es, dass er von Gesichten und Offenbarungen sprach, die er erfahren durfte, als er in den dritten Himmel entrückt wurde, oder seien es die schwierigen Umstände und Schwachheiten um Christi willen, die er auf der Erde erleiden musste. Da er aber erkennen musste, dass die Gläubigen aus Korinth, die ihn eigentlich hätten empfehlen müssen, darin versagten, sah er sich noch immer dazu gezwungen, sich zu rechtfertigen. Sie würden die Wahrheit bezeugen müssen, dass er in nichts den ausgezeichnetsten Aposteln nachstand, auch wenn er im Blick auf die Schwachheiten im Fleisch in den Augen der Welt verachtet würde. Hatte er nicht die Zeichen des Apostels in ihrer Mitte vollbracht in allem Ausharren, verbunden mit Zeichen und Wundern und mächtigen Taten?

Fühlten sie sich gedemütigt, weil er materielle Hilfe vonseiten der Versammlung in Korinth abgelehnt hatte? Wenn es so war, so sollten sie ihm dieses Unrecht vergeben. Wenn sein dritter Versuch, zu ihnen zu kommen, wirklich ausgeführt werden könnte, würde er ihnen nicht zur Last fallen. Er wollte, dass sie lernten, dass sein Herz nicht auf ihr Geld aus war, sondern sie selbst suchte. Er wollte unter ihnen als ein Gebender und nicht als ein Nehmender sein, auch wenn seine Liebe wenig von ihnen wertgeschätzt wurde.

„Doch es sei so, ich habe euch nicht beschwert; aber weil ich schlau bin, habe ich euch mit List gefangen. Habe ich euch etwa durch einen von denen übervorteilt, die ich zu euch gesandt habe? Ich habe Titus gebeten und den Bruder mit ihm gesandt; hat Titus euch etwa übervorteilt? Sind wir nicht in demselben Geist gewandelt? Nicht in denselben Fußstapfen?“ (Verse 16-18).

Zudem weist er die bösen Unterstellungen zurück, er habe, während er ihre materielle Hilfe abgelehnt habe, andere dafür benutzt, um aus ihnen Gewinn zu seinem eigenen Nutzen zu schlagen. Er hatte tatsächlich Titus und einen anderen Bruder zu ihnen gesandt, um in ihrer Mitte zu dienen. Aber hatten diese beiden nicht in der gleichen Gesinnung gehandelt wie der Apostel und alle Zuwendungen abgelehnt?

Von den höchsten Höhen zu den tiefsten Tiefen

„Seit langem seid ihr der Meinung, dass wir uns vor euch verantworten. Wir reden vor Gott in Christus, alles aber, Geliebte, zu eurer Auferbauung. Denn ich fürchte, dass, wenn ich komme, ich euch etwa nicht als solche finde, wie ich will, und dass ich von euch als solcher befunden werde, wie ihr nicht wollt: dass etwa Streit, Neid, Zorn, Zänkereien, Verleumdungen, Ohrenbläsereien, Aufgeblasenheit, Unordnungen vorhanden seien; dass, wenn ich wieder komme, mein Gott mich euretwegen demütige und ich über viele trauern müsse, die zuvor gesündigt und nicht Buße getan haben über die Unreinheit und Hurerei und Ausschweifung, die sie getrieben haben“ (Verse 19-21).

Die Versammlung in Korinth mochte denken, dass der Apostel, weil er von sich selbst sprach, einfach versuchte, sich selbst zu rechtfertigen. Diesem Einwand begegnet der Apostel mit aller Feierlichkeit und sagt, dass er vor Gott in Christus gesprochen habe, als er bekundete, dass sein Beweggrund die Liebe war, die ihre Erbauung suchte. Allerdings scheut sich der Apostel nicht, seine Ängste weiterzugeben, da er sie liebte und ihr Wohl im Auge hatte. Er hatte Sorge, dass wenn er kommen würde, er einen Zustand bei ihnen antreffen würde, der weit entfernt von dem war, den er eigentlich wünschte. Dann müsste er ihnen gegenüber eine Haltung offenbaren, die sie nicht wünschen konnten.

Trotz des positiven Effekt, den sein erster Brief bewirkt hatte, fürchtete der Apostel noch immer, dass er als Folge der Arbeit der „falschen Brüder“ und der „betrügerischen Arbeiter“, von denen er gesprochen hatte, unter ihnen „Streit, Neid, Zorn, Zänkereien, Verleumdungen, Ohrenbläsereien, Aufgeblasenheit, Unordnungen“ antreffen würde. Vor allem fürchtete er, dadurch gedemütigt zu werden, dass er über viele trauern müsse, die gesündigt und noch nicht Buße getan hätten.

Manche haben darauf hingewiesen, dass gerade dieses Kapitel, das mit den höchsten Vorrechten eines Christen im Paradies beginnt, uns am Ende einen Tiefstand im Blick auf Sünden vorstellt, in die ein Christ auf der Erde fallen kann. Im einen Fall sehen wir die Glückseligkeit, in Christus zu sein, im anderen den Ernst, das Fleisch in uns aktiv werden zu lassen. Zwischen diesen beiden Extremen sehen wir die „Kraft des Christus“, die uns im Blick auf das Fleisch in all unserer Schwachheit zur Verfügung steht.

Wir haben etwas gelernt über die vollkommene Verderbtheit des Fleisches und dürfen uns auch unserer Schwachheit bewusst sein, diesem zu widerstehen. Wie gut ist es dann, uns selbst täglich in die Hände des Herrn zu übergeben. Wir geben zu, dass das Fleisch in uns unveränderbar vorhanden ist mit all seinem Bösen. Es ist zu jeder Zeit bereit, uns in die größten Sünden zu führen. Wir selbst haben dagegen in uns keine Kraft. Wenn wir dieses Bewusstsein bewahren, wie gut ist es dann zu entdecken, dass seine Kraft uns in all unserer Schwachheit zur Verfügung steht. So werden wir von den Anstrengungen bewahrt, das Fleisch in uns zu kontrollieren, und schauen auf zum Herrn Jesus, damit Er uns bewahrt.

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