Die Feste des Herrn im Lichte des Evangeliums

Das Fest der Wochen

Die Feste des Herrn im Lichte des Evangeliums

Im Anschluss an das Fest der „Erstlingsgarbe“, von dem wir eben redeten, lesen wir: „Sieben Wochen sollst du dir (vom Fest der Erstlingsgarbe an) zählen; von da an, wo man beginnt, die Sichel an die Saat zu legen, 1 sollst du anfangen, sieben Wochen zu zählen. Und du sollst das Fest der Wochen Jehova, deinem Gott, feiern“ (5. Mo 16,9.10).

Dieses vierte Fest Jehovas steht, wie diese Worte zeigen, in inniger Verbindung mit dem „Fest der Erstlingsgarbe“. Und weil sieben Wochen zwischen den beiden Festen verflossen – so viele Wochen also, wie es Tage in einer Woche gibt –, so wurde das letztere „das Fest der Wochen“ genannt. Die Darbringung der Erstlingsgarbe, von der an die sieben Wochen gerechnet wurden, geschah, wie sich der Leser erinnern wird, an einem Sonntag („am Tage nach dem Sabbat“), und zwar an dem Sonntag nach dem Passah. Demzufolge fiel das „Fest der Wochen“ auf den „anderen Tag nach dem siebenten Sabbat“, also wiederum auf einen Sonntag und wurde später nach dem griechischen Worte pentekoste (d. h. fünfzig, da es der fünfzigste Tag nach dem Fest der Erstlingsgarbe war) Pfingsten genannt. Dieses Pfingstfest stand aber nicht nur der Zeit, sondern auch der Bedeutung nach in innigster Verbindung mit dem vorangegangenen Feste der Erstlingsgarbe, Während dieses die Einleitung der Ernte darstellte, war das fünfzig Tage später folgende „Fest der Wochen“ das Erntefest. 2 So lesen wir: „Das Fest der Wochen, der Erstlinge der Weizenernte, sollst du feiern.“ – „Am Tage der Erstlinge, [...] an eurem Wochenfeste soll euch eine heilige Versammlung sein; keinerlei Dienstarbeit sollt ihr tun.“ Und an anderer Stelle wird gesprochen von dem „Fest der Ernte, der Erstlinge deiner Arbeit, dessen, was du auf dem Felde säen wirst“ (2. Mo 34,22; 4. Mo 28,26; 2. Mo 23,16). An diesem Erntefest, welches ein Tag der Freude und des Dankes war (5. Mo 16,9–12), mussten, wie am Fest der ungesäuerten Brote, alle männlichen Israeliten aus dem ganzen Lande in Jerusalem erscheinen „vor dem Angesicht des Herrn Jehova“ (2. Mo 23,14–17). So waren denn auch an jenem Pfingst- und Erntefest, an welchem nach der Himmelfahrt des Herrn der Heilige Geist ausgegossen wurde, die gottesfürchtigen Juden von nah und fern in Jerusalem in voller Zahl versammelt (Apg 2,1.5). Und in der Kraft des soeben empfangenen Heiligen Geistes stand der Apostel Petrus auf und verkündigte der großen Menge das Heil in Christus. Gott begleitete das Wort mit seinem reichen Segen: dreitausend Seelen wurden errettet. Welch ein Erntetag für Gott; welche Ernte für die Ewigkeit am Erntefest Israels! So hat Gott selbst uns die Antwort gegeben auf die Frage: Was bedeutet im geistlichen Sinne das „Fest der Wochen“, das Erntefest Israels? Ist die Darbringung der „Erstlingsgarbe“ ein Vorbild auf die Auferstehung Jesu Christi aus Tod und Grab, so ist das „Fest der Wochen“ oder das „Fest der Erstlinge der Weizenernte“ ein Vorbild auf die Bildung der Versammlung (Gemeinde, Kirche) Christi, die ja auch genannt wird „die Versammlung der Erstgeborenen“ oder „die Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe“, welche „die Erstlinge des Geistes haben“ (Heb 12,23; Jak 1,18; Röm 8,23).

Gott wird später noch einmal eine große Ernte halten, wenn die Sammlung der Kirche Christi, aller wahren wiedergeborenen Christen, vollendet und der Weizen in die himmlischen Scheunen gesammelt worden ist (Mt 13,30). Von dieser späteren Ernte im Reiche ist das freudige Laubhüttenfest, das Haupt- und Schlusserntefest, ein herrliches Vorbild. Dann wird Gott, der jetzt seinen Erlösten, seinen Kindern, „die Erstlinge des Geistes“ gegeben hat, noch einmal den Heiligen Geist ausgießen, und zwar alsdann auf alles Fleisch (Joel 2,28 usw.).

Aber wenden wir uns zurück zu „dem Fest der Wochen“, „dem Fest der Erstlinge der Weizenernte“! Wir lesen, dass Gott seinem Volke Israel gebot: „Aus euren Wohnungen sollt ihr Webebrote 3 bringen, zwei von zwei Zehnteln Feinmehl sollen es sein; gesäuert sollen sie gebacken werden als Erstlinge dem Jehova“ (3. Mo 23,17). Wie die Weizenkörner, die einst auf verschiedenen Fluren getrennt gewachsen und gereift waren, dort in den zwei Broten vereinigt waren, so hat der Heilige Geist jetzt die gläubigen Christen geistlicherweise zu einem Leibe vereinigt; „denn ein Brot, ein Leib sind wir, die vielen“ (1. Kor 10,17). – „Aber es sind zwei Brote, die bei Israel gefordert wurden“, mag der Leser einwenden. Ja, aber die beiden bilden ein Opfer, eine Darbringung; und dass es zwei Brote waren, soll wohl darauf hinweisen, dass die Gemeinde oder Versammlung sowohl aus den Juden als auch aus den Heiden (Nicht-Juden) oder Nationen gesammelt und gebildet wird. Die Gemeinde bestand in den ersten Tagen fast ausschließlich aus Juden, während heutzutage meist Gläubige, die nicht Juden waren, die Gemeinde des Herrn bilden. Alle wahrhaft Gläubigen aber – ob aus den Juden oder den Nationen – bilden miteinander ein Ganzes; sie sind alle „durch einen Geist zu einem Leibe getauft“ (1. Kor 12,13). – Dass aber die Brote mit Sauerteig gebacken waren, der doch in Gottes Wort ein Bild vom Bösen ist (vgl. 1. Kor 5,7.8; 3. Mo 2,11), ist ein bedeutungsvoller und passender Hinweis auf die ernste Tatsache, dass in den Gläubigen, obwohl sie wiedergeboren sind und den Heiligen Geist besitzen, noch der sündhafte, alte Mensch vorhanden ist, solange sie auf Erden sind. Die Gegenwart des Heiligen Geistes in dem Gläubigen nimmt den alten Menschen nicht weg, beseitigt ihn nicht, veredelt ihn auch nicht; aber der Geist ist die Kraft in der Seele, um „das Fleisch“, den alten Menschen, welcher im Tode Christi am Kreuze gerichtlich sein Ende gefunden hat und mitgekreuzigt worden ist, nun praktisch im Tode zu halten. So können wir, indem wir in der Furcht des Herrn in steter Wachsamkeit vorangehen und das Böse, wenn irgend es wirksam ist und sich zeigt, verurteilen, in Neuheit des Lebens wandeln und Gott Frucht bringen. Ja, der Sauerteig, die verderbte Natur, ist noch da; sie soll aber bei den Christen nicht mehr wirken, weil sie im Feuer von Golgatha gerichtet ist. Der Gläubige hat die böse Natur durch die Kraft des Heiligen Geistes im Tode zu halten, wie ja auch in jenen gebackenen Broten die Wirkung des Sauerteigs durch das Feuer zum Stillstand gekommen war.

Vor allem aber ist es kostbar und tröstlich für uns, dass Gott selbst vollkommen dafür gesorgt hat, dass wir, obwohl die alte Natur tatsächlich noch in uns ist, mit Freimütigkeit vor seinem Angesicht stehen können. Auch dies wird in unserem Vorbild gezeigt. Gott ordnete an: „Und ihr sollt zu dem Brote darbringen sieben einjährige Lämmer ohne Fehl und einen jungen Farren und zwei Widder (sie sollen ein Brandopfer dem Jehova sein) und ihr Speisopfer und ihre Trankopfer: ein Feueropfer lieblichen Geruchs dem Jehova. Und ihr sollt einen Ziegenbock zum Sündopfer opfern und zwei einjährige Lämmer zum Friedensopfer“ (3. Mo 23,18.19). Alle diese verschiedenen Opfer (Brand-, Speis-, Feuer-, Trank-, Sünd- und Friedensopfer) weisen hin auf Christus und seine Dahingabe in den Tod zur Verherrlichung Gottes und zur Abschaffung der Sünde. Gott sieht jetzt die Gläubigen in Christus, das ist ihre Rechtfertigung; und er sieht Christus in den Gläubigen, das bedeutet und bezweckt ihre Heiligung. Nicht nur unsere Sünden sind vergeben und für ewig getilgt in Gottes Augen, auch die Sünde ist durch das Opfer Christi beseitigt und „abgeschafft“ (Heb 9,26). Gott sieht nun jeden Gläubigen an als gerechtfertigt und geheiligt und geschieden von der Sünde in einer ganz neuen Stellung und Natur: „Wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden [...] Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm“ (2. Kor 5,17.21).

Das Opfer Christi, der nun als der Auferstandene zur Rechten Gottes erhöht ist, hat allen Anforderungen der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes, auch im Blick auf die sündige Natur in uns, entsprochen. Gott betrachtet uns, die Gläubigen, nun in dem Wert des kostbaren Werkes Christi, das uns von aller Sünde reinigt, und schätzt uns nach dem Wert seiner kostbaren Person, die nun verherrlicht im Himmel thront über allen Gewalten und Mächten. Wir sind durch sein Opfer „auf immerdar vollkommen gemacht“ (Heb 10,14) und in ihm selbst, dem Geliebten, „angenehm gemacht“ (Eph 1,6). Welch eine wunderbare Erlösung und Befreiung! Wie kostbar sind diese Wahrheiten für jeden Gläubigen, der sie aufrichtig und vertrauensvoll sich zu Eigen macht. Durch den Heiligen Geist kann er in der Kraft dieser Wahrheiten wandeln und voranschreiten dem Ziele zu, zur Verherrlichung Gottes und zum Segen für sich selbst und für andere! Christus hat am Kreuze gänzlich unsere Stellung, die wir als gefallene Adamskinder und Sünder vor Gott hatten, eingenommen, und hat uns, die wir an ihn glauben, in seiner siegreichen Auferstehung völlig in seine eigene Stellung Gott gegenüber gebracht. Der Herr handelte mit uns wie der Samariter im Gleichnis, der abstieg von seinem Reittier und den Schwerverwundeten, dessen Wunden er verbunden hatte, statt seiner darauf setzte.

Freilich, wollte ein Christ dies alles in Erkenntnis haben, ohne im Glauben und in praktischer Hingabe Tag für Tag darin zu leben und zu wandeln, so würde dies nur seine Verantwortlichkeit erhöhen und Gott tief verunehren vor allen; denn nichts ist in Gottes Augen verwerflicher und schrecklicher als eine Form der Gottseligkeit ohne Kraft und ein Bekenntnis ohne die entsprechenden Werke und Früchte. Hüten wir uns darum wohl, unsere Erkenntnis durch die gesegneten Wahrheiten bereichern zu wollen, ohne auch in ihrer Kraft zu wandeln! Lasst uns vielmehr Sorge tragen, dass unsere Umgebung, die Gläubigen sowohl wie die Weltkinder, an unserer Gesinnung und unserem Verhalten, Tun und Lassen wahrnehmen, dass wir Menschen in Christus sind, die dem Himmel angehören. Der Erlöser, unser Herr, ruft uns zu: „Also lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen“ (Mt 5,16).

Der Heilige Geist, der zu Pfingsten herabkam und der in der ganzen Gemeinde des Herrn, sowie in jedem einzelnen Gliede oder Gläubigen, Wohnung gemacht hat, ist das Siegel der neuen, gesegneten, göttlichen und himmlischen Beziehungen, in die wir durch die Gnade gebracht worden sind, und er ist auch die „Salbung“ und Kraft für uns, um nun hier Gottes Willen in der Welt zu erkennen und zu tun. Zugleich ist er ferner für uns das sichere „Unterpfand“ des „ewigen Erbteils“, welches wir bald mit unserem Herrn Jesus Christus in Besitz nehmen werden. Und da dieses Erbteil in der Herrlichkeit liegt, wird der Heilige Geist „der Geist der Herrlichkeit“ genannt, welcher schon jetzt in den Leiden für Christus „auf uns ruht“ (1. Pet 4,14). Was uns der Geist Gottes alles ist als „Siegel“ unserer Gotteskindschaft (Eph 1,13; 4,30; Röm 8,14–16), als unsere „Salbung“ (1. Joh 2,27) und unser „Unterpfand“ (Eph 1,14), das ist zusammengefasst in 2. Kor 1,21.22: „Der uns aber mit euch befestigt in Christum und uns gesalbt hat, ist Gott, der uns auch versiegelt hat und hat das Pfand des Geistes in unsere Herzen gegeben.“ Lasst uns ihn in unserem Wandel nie betrüben und in unseren Zusammenkünften niemals dämpfen! (Eph 4,30; 1. Thes 5,19).

Möchten auch alle Erlösten sich durch den Geist Gottes immer völliger in das Verständnis des „Geheimnisses“ einführen lassen, welches uns Gott besonders durch den Apostel Paulus geoffenbart hat, dass wir, die Gläubigen, einsgemacht wurden mit Christus in seinem Tode und in seiner Auferstehung und auch bereits in ihm mitversetzt worden sind in die himmlischen Örter und durch den Heiligen Geist mit ihm, dem himmlischen Haupte, nun eine unauflösliche, lebendige Einheit bilden, einen Leib, von welchem er das Haupt ist (Röm 6,5.6; Eph 2,5.6). Als Gott Adam schuf, da schuf er in ihm schon die Eva, er sah sie in ihm, ehe sie war (1. Mo 1,27; 5,2). So wird auch Christus und seine Versammlung zusammen manchmal „der Christus“ genannt: „Gleichwie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein Leib sind: also auch der Christus“ (1. Kor 12,12; vgl. auch Eph 4,16 u. 5,29–32).

Die Stellung des Christen und sein Lobgesang vor Gott

Mein Siegeskranz ist längst geflochten
und nichts mehr ist hinzuzutun;
seitdem der Held für mich gefochten,
darf ich in Friedenszelten ruhn.
Mich schreckt kein Zorn, kein Fluch der Sünde,
kein Tod mehr, keine finstre Macht,
Er hat in Seinem Überwinden
durch alles mich hindurchgebracht.

Ich kenne mich nicht mehr im Bilde der alten, seufzenden Natur;
ich jauchze unter Gottes Schilde,
Er kennet mich in Christo nur.
In Christi Schmuck, Triumph und Schöne
heb“ ich getrost mein Haupt empor
und mische meine Harfentöne
schon in den ew'gen Siegeschor.

(Fr. W. Krummacher)

Fußnoten

  • 1 d.h. als man anfing, mit der Sichel zu schneiden, wobei die erste Garbe Jehova dargebracht wurde.
  • 2 Die späteren Juden haben, da sie wegen ihrer Zerstreuung und Entfernung aus dem Lande nicht mehr säen und ernten konnten, am „Fest der Wochen“ kaum noch an die Ernte gedacht, sondern das Fest als eine Gedächtnisfeier der Gesetzgebung auf Sinai begangen. Aber dies war nicht biblisch. Wohl hatte die Gesetzgebung auch im dritten Monat stattgefunden, wie das Pfingstfest im dritten Monat war (2. Mo 19,1), aber nirgends ist der Tag angegeben, noch hatte Gott je angeordnet, dass das Gedächtnis der Gesetzgebung gefeiert werden sollte.
  • 3 oder „Schwenkbrote“, weil sie vor Jehova hin- und hergeschwenkt (gewebt) wurden zum Zeichen, dass sie ihm dargebracht seien.
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel