Joseph, der Patriarch

Das Bekenntnis des Juda

Joseph, der Patriarch

„Denn wie sollte ich zu meinem Vater hinaufziehen, wenn der Knabe nicht bei mir wäre? – dass ich nicht das Unglück ansehen müsse, das meinen Vater treffen würde!“ (1. Mose 44,34).

Kapitel 44 ist keine Fortsetzung des Vorhergehenden; es macht uns vielmehr bekannt mit den Bemühungen Josephs, alles noch Fehlende bei seinen Brüdern zu erreichen. So wird sich auch der Herr um den Überrest Israels bemühen.

Zum zweiten Mal traten die Söhne Jakobs die Rückreise an, versorgt mit Speise, so viel ihre Esel tragen konnten. Wieder erhielten sie alles ohne Geld und ohne Kaufpreis. Erleichtert und mit ganz anderen Gefühlen als auf der Hinreise, kehrten sie zurück. Simeon, und vor allem Benjamin, waren bei ihnen; die Bürgschaft Judas war gar nicht nötig geworden. Es lag aber noch eine Decke auf ihren Augen, obwohl der so gefürchtete Mann sich ihnen gegenüber so freundlich gezeigt und sogar mit ihnen gegessen hatte.

So zogen sie, als der Tag anbrach, ihres Weges. Aber im Sack des Jüngsten war oben, neben seinem Geld, auch der Kelch Josephs. Kaum waren sie außerhalb der Tore der Stadt, jagte ihnen die Leibgarde Josephs nach. Der Oberste machte ihnen folgenden Vorwurf: „Warum habt ihr Böses für Gutes vergolten? Ist es nicht der, aus dem mein Herr trinkt, und aus dem er zu weissagen pflegt? Ihr habt übel getan, was ihr getan habt.“

Welche Verlegenheit bei den Söhnen Jakobs, die sich nichts Unrechtes hatten zu Schulden kommen lassen. Sie beendeten ihre Entschuldigung mit den Worten: „Bei wem von deinen Knechten er gefunden wird, der sterbe; und dazu wollen wir meinem Herrn zu Knechten sein.“

Die Untersuchung fing beim Ältesten an und hörte beim Jüngsten auf. Erleichtert nahmen alle wahr, dass in keinem ihrer Säcke der in Frage kommende Kelch gefunden wurde; denn Benjamin kam für sie nicht in Betracht. Aber der Kelch fand sich in dem Sack Benjamins. Da zerrissen sie ihre Kleider, beluden ihre Esel wieder mit ihren Säcken und kehrten in die Stadt zurück. Wir vernehmen keine Worte der Rechtfertigung, doch aus der Tiefe ihrer Herzen werden sie zu Gott geschrien haben. „Aus den Tiefen rufe ich zu dir, Herr“, sagt der Psalmist. Benjamin, der Jüngste und Unschuldigste unter ihnen, war nach ihren eigenen Worten dem Tod verfallen. „Er sterbe“, hatten sie gesagt.

Zitternd standen die Söhne Jakobs vor Joseph. Juda wird zuerst genannt; er hatte sich ja als Bürge eingesetzt.

Joseph sprach zu ihnen: „Was ist das für eine Tat, die ihr getan habt? Wusstet ihr nicht, dass solch ein Mann, wie ich, weissagen kann?“ Juda sprach: „Was sollen wir reden und wie uns rechtfertigen? Gott hat die Ungerechtigkeit deiner Knechte gefunden; siehe, wir sind die Knechte meines Herrn, sowohl wir, als auch der, in dessen Hand der Kelch gefunden worden ist.“

In Psalm 90,8 lesen wir im Blick auf den jüdischen Überrest: „Du hast unsere Ungerechtigkeiten vor dich gestellt, unser verborgenes Tun vor das Licht deines Angesichts.“ Ebenso redete Juda hier für alle. In Psalm 65,4 benutzt Gott ebenfalls Ungerechtigkeiten von außen, um Israel zum Bekenntnis seiner Sünde und Schuld zu bringen.

Joseph bestand darauf, dass nur der Schuldige als Knecht zurückbleiben müsse und dass die anderen in Frieden hinaufziehen sollten zu ihrem Vater. Von Benjamin hören wir kein Wort, er war unschuldig und litt für andere. Er hatte „kein Unrecht begangen und kein Trug ist in seinem Mund gewesen“ (Jes 53,9). Benjamin litt um seiner Gerechtigkeit willen, musste für die Ungerechtigkeit seiner schuldigen Brüder leiden, das erkannten und fühlten seine Brüder; denn ihre Ungerechtigkeit war ihre Sünde an Joseph. Gott hatte diese jetzt an ihnen gefunden, so urteilte Juda im Licht Gottes für alle. An dem Diebstahl des Bechers waren sie unschuldig. Aber vor Jahren hatte ein Unschuldiger – Joseph – den bitteren Kelch der Leiden trinken müssen, so wie Benjamin jetzt. Damals wurde Joseph als Sklave für zwanzig Silberstücke verkauft, jetzt traf Benjamin das gleiche Los.

Ja, jener silberne Becher, aus dem der Herr des Landes alles sehen und erkennen konnte, redete eine sehr ernste Sprache. Durch ihn war Benjamin in diese Situation gekommen, in der er auch ein Bild von dem Herrn Jesus ist. Allerdings verstanden dies weder Joseph noch Benjamin. Josephs Absicht war es, auf diesem außergewöhnlichen Weg die Herzen seiner Brüder auf ihre Ungerechtigkeit ihm gegenüber hinzulenken und sie diesbezüglich zur Selbsterkenntnis, zum Bekenntnis und zur Buße zu führen. Es musste sich nun zeigen, ob sie fähig waren, in Frieden ohne Benjamin zu ihrem Vater hinaufzuziehen.

Früher hatten sie genug Gefühllosigkeit gehabt, um sich in Frieden niederzusetzen, als wenn nichts geschehen wäre (1. Mo 37,25), während Joseph flehend voll Seelenangst in der Grube gewesen war. Joseph benutzte das Wort „Frieden“ als Prüfstein, und auch als Erinnerung an ihren damaligen Herzenszustand.

So wird der Heilige Geist durch das Wort Gottes – man denke an Jesaja 53 und viele Psalmen – den Überrest der letzten Tage belehren, dass ein Unschuldiger und Reiner den bitteren Weg des Leides gegangen ist und den Kelch des Zornes Gottes und des Todes geschmeckt und getrunken hat. Es war Benjamin, an dessen Seele die Seele ihres Vaters Jakob hing (Vers 30).

Das Wort „Seele“ benutzte Juda, um gerade auf die inneren Empfindungen hinzuweisen. Der Prophet Jesaja redet auch von diesen tiefen Seelenübungen des Christus. „In all ihrer Bedrängnis war er bedrängt“ (Jes 63,9).

So wird später der Überrest immer mehr und mehr durch die Heiligen Schriften verstehen lernen, dass es ihr Messias war, dessen Verräter und Mörder sie geworden sind (vgl. Apg 7,52; Ps 2,1-3). Das wird eine tiefe Buße und ein starkes Verlangen nach ihrem Messias hervorrufen.

Auch wird dieser gläubige Überrest um seiner Gerechtigkeit willen leiden (Ps 10). Er unterwirft sich den Forderungen des Antichristen nicht, wird aber in Liebe füreinander besorgt sein (vgl. Mt 5,10.11).

Die ergreifenden Worte Judas zeigen deutlich, dass er ein anderer geworden war (1. Mo 37,26.27). Er sprach hier im Namen aller und lieferte sie der Gnade oder Ungnade Josephs aus. Er berichtete, dass Benjamins Bruder tot sei. Achtmal benutzte Juda das Wort „Knabe“, und dreimal gebrauchte er für Benjamin das Wort „jüngster Bruder“. Schließlich bot Juda sich als kräftiger Mann, anstelle Benjamins, als Sklave an. „Hieran haben wir die Liebe erkannt, dass er für uns sein Leben hingegeben hat; auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben hinzugeben“ (1. Joh 3,16). Das tat Juda für Benjamin.

Judas ergreifende Rede endete mit den wunderbaren Worten: „Denn wie sollte ich zu meinem Vater hinaufziehen, wenn der Knabe nicht bei mir wäre? – dass ich nicht das Unglück ansehen müsse, das meinen Vater treffen würde!“ (V. 34). „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1. Joh 1,9). „Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum, und bei dem, der zerschlagenen und gebeugten Geistes ist“ (Jes 57,15). „Aber auf diesen will ich blicken: auf den Elenden und auf den, der zerschlagenen Geistes ist und der da zittert vor meinem Wort“ (Jes 66,2). So innerlich zerschlagen stand auch Juda vor Joseph.

Das tiefe Bekenntnis und die Zerknirschung Judas erinnert an das ergreifende Bekenntnis Davids in Psalm 51. Beides erwähnt der Heilige Geist in ausführlicher Weise. Es steht im Alten Testament für sich allein, da es sich um persönliche Schuld und Buße handelt, obwohl beide auf Israel hinweisen. Gott belehrt uns anhand dieser Beispiele, denn auch im Leben der Kinder Gottes tritt immer wieder Sünde auf (Jes 1,18).

Von jetzt an wird nicht mehr von der großen Sünde Judas gesprochen. Gott hatte sie vergeben und in die Tiefe des Meeres geworfen. Es ist nicht mehr von Sünde, sondern von Segen die Rede. Aber ohne Bekenntnis hätte von Segen keine Rede sein können, denn Gott ist Licht und gar keine Finsternis ist in Ihm.

Wie fehlt es unter den Kindern Gottes oft an einem ernsten Bekenntnis, wenn man gesündigt hat; Härte und unversöhnlicher Geist sind oft ein Hindernis. Wo aber ein freimütiges Bekenntnis ist, ist Gott „reich an Vergebung“ und hat Geduld mit unserer menschlichen Schwachheit.

Man beugt sich tief, man beugt sich gern
in der Stille vor dem Herrn.

Lasst uns das mehr zur Ehre des Herrn verwirklichen!

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