Joseph, der Patriarch

Die Brüder vor Joseph

Joseph, der Patriarch

1. Mose 42,1–26

„Und Jakob sah, dass Getreide in Ägypten war, und Jakob sprach zu seinen Söhnen: Warum seht ihr einander an? Und er sprach: Siehe, ich habe gehört, dass Getreide in Ägypten ist; zieht dorthin hinab und kauft uns von dort Getreide, dass wir leben und nicht sterben. Und die zehn Brüder Josephs zogen hinab, um Getreide aus Ägypten zu kaufen. Aber Benjamin, Josephs Bruder, sandte Jakob nicht mit seinen Brüdern; denn er sprach: Dass ihm nicht etwa ein Unfall begegne. Und so kamen die Söhne Israels unter den Ankommenden, um Getreide zu kaufen; denn die Hungersnot war im Land Kanaan.

Und Joseph, er war der Gebieter über das Land, er verkaufte das Getreide allem Volk des Landes. Und die Brüder Josephs kamen und beugten sich vor ihm nieder, mit dem Gesicht zur Erde. Und Joseph sah seine Brüder und erkannte sie; aber er stellte sich fremd gegen sie und redete hart mit ihnen und sprach zu ihnen: Woher kommt ihr? Und sie sprachen: Aus dem Land Kanaan, um Speise zu kaufen. Und Joseph erkannte seine Brüder; sie aber erkannten ihn nicht.

Und Joseph dachte an die Träume, die er von ihnen gehabt hatte, und er sprach zu ihnen: Ihr seid Kundschafter; um zu sehen, wo das Land offen ist, seid ihr gekommen. Da sprachen sie zu ihm: Nein, mein Herr; sondern deine Knechte sind gekommen, um Speise zu kaufen. Wir alle sind die Söhne eines Mannes; wir sind redlich, deine Knechte sind keine Kundschafter. Und er sprach zu ihnen: Nein, sondern ihr seid gekommen, um zu sehen, wo das Land offen ist. Und sie sprachen: Zwölf Brüder sind wir, deine Knechte, Söhne eines Mannes im Land Kanaan; und siehe, der jüngste ist heute bei unserem Vater, und der eine ist nicht mehr. Da sprach Joseph zu ihnen: Das ist es, was ich zu euch gesagt habe: Kundschafter seid ihr! Daran sollt ihr geprüft werden: Beim Leben des Pharaos! – Wenn ihr von hier weggeht, es sei denn, dass euer jüngster Bruder hierher komme! Sendet einen von euch hin, dass er euren Bruder hole; ihr aber bleibt gefangen, und eure Worte sollen geprüft werden, ob Wahrheit bei euch ist; und wenn nicht – beim Leben des Pharaos! –, so seid ihr Kundschafter. Und er nahm sie drei Tage zusammen in Gewahrsam.

Und am dritten Tag sprach Joseph zu ihnen: Tut dies, und ihr sollt leben; ich fürchte Gott: Wenn ihr redlich seid, so bleibe einer eurer Brüder gefangen im Haus eures Gewahrsams; ihr aber, zieht hin, bringt Getreide für den Bedarf eurer Häuser; und euren jüngsten Bruder sollt ihr zu mir bringen, damit eure Worte sich als wahr erweisen und ihr nicht sterbt. Und sie taten so. Da sprachen sie einer zum anderen: Wahrhaftig, wir sind schuldig wegen unseres Bruders, dessen Seelenangst wir sahen, als er zu uns flehte, und wir hörten nicht; darum ist diese Drangsal über uns gekommen. Und Ruben antwortete ihnen und sprach: Habe ich nicht zu euch gesprochen und gesagt: Versündigt euch nicht an dem Knaben? Aber ihr hörtet nicht; und siehe, sein Blut wird auch gefordert! Sie aber wussten nicht, dass Joseph es verstand, denn ein Dolmetscher war zwischen ihnen. Und er wandte sich von ihnen ab und weinte. Und er kehrte zu ihnen zurück und redete zu ihnen; und er nahm Simeon aus ihrer Mitte und band ihn vor ihren Augen.

Und Joseph gebot, ihre Gefäße mit Getreide zu füllen und ihr Geld zurückzugeben, jedem in seinen Sack, und ihnen Wegzehrung zu geben. Und man tat ihnen so. Und sie luden ihr Getreide auf ihre Esel und zogen davon“ (42,1–26).

Dieses Kapitel zeigt uns vorbildlich die Ereignisse, die dem zweiten Kommen des Christus vorausgehen und dasselbe vorbereiten. Gott war bemüht, die Brüder Josephs mit ihrem Bruder in Verbindung zu bringen. Der Schluss von Kapitel 41 zeigt uns den Beginn der großen Zeit der Drangsal, die Zeit der Gerichte auf der Erde. Vorher sehen wir in Asnat die Kirche, die vor dieser Zeit in Sicherheit gebracht werden wird. Das Ende des Kapitels handelt von Ägypten, wie auch von der ganzen Welt; alles sollte mit Joseph in Verbindung und Abhängigkeit gebracht werden. Das ist auch ein Vorbild der gegenwärtigen Zeit; Gott möchte so gerne alle Menschen zu dem Herrn Jesus bringen. Von Kapitel 42 an, der ersten Reise der Brüder Josephs nach Ägypten, erkennen wir das Handeln mit Israel, mit den Juden, um sie mit Christus bekannt zu machen. Die siebzigste Jahrwoche Daniels wartet noch auf ihre Erfüllung (Dan 9).

„Und Jakob sah, dass Getreide in Ägypten war, und Jakob sprach zu seinen Söhnen: Was seht ihr einander an?“ Warum sahen sie einander an, als Jakob von Ägypten sprach? Ihr belastetes Gewissen vermied es, von Ägypten zu reden, obwohl ihnen durch andere bezeugt wurde, dass dort Getreide genug vorhanden war. Nach Ägypten waren vor dreizehn Jahren die Ismaeliter mit Joseph hinabgezogen, vielleicht lebte er dort noch als Sklave und konnte ihnen begegnen. Ihre Ungerechtigkeit würde dann aufgedeckt werden, und sie würden für ihre Sünde und Schuld die gerechte Strafe empfangen. Dass sie vermieden, über Ägypten zu sprechen, war selbst dem Vater Jakob nicht entgangen. Welche unendliche Gnade ist es doch für uns, dass alle unsere Sünden, alle unsere Übertretungen in dem kostbaren Blut unseres Erlösers getilgt sind (Ps 32,1–5; 1. Joh 1,7; Heb 10,17).

„Zieht hinab und kauft uns von dort Getreide, dass wir leben und nicht sterben“, sagte Jakob zu seinen Söhnen. Die Not drängte, es blieb kein anderer Ausweg mehr übrig, denn „alles, was der Mensch hat, gibt er für sein Leben“ (Hiob 2,4). Die Söhne Jakobs dachten wohl auch, Joseph lebe gewiss nicht mehr, er sei sicherlich tot. Zudem wollten sie ja nur friedlich in Ägypten etwas Getreide kaufen, um ihren Hunger zu stillen. Jakob ließ Benjamin nicht mit seinen Brüdern nach Ägypten ziehen. Er sprach: „Dass ihm nicht etwa ein Unfall begegne“. Jakob hatte kein Vertrauen in seine Söhne – die Sache mit Joseph stand noch frisch vor seiner Seele, die Wunde verheilte nicht. Sie mochten die Absage Jakobs tief empfinden. Benjamin war an der bösen Tat nicht beteiligt gewesen. Er war unschuldig. „Ihr werdet wieder den Unterschied sehen zwischen dem Gerechten und dem Gesetzlosen.“ (Mal 3,18). „Die Augen des Herrn sind an jedem Ort, schauen aus auf Böse und auf Gute“ (Spr 15,3). Auch die Fischer tun nur gute Fische in die Gefäße, aber die Faulen werfen sie fort (vgl. Mt 13,48).

In Ägypten angekommen, war der Weg zu dem Mann Zaphnath-Pahneach und zu den Vorratshäusern leicht zu finden, denn alle Welt zog nach Ägypten, um Getreide zu kaufen. Um nicht erkannt zu werden, mischten sich die Söhne Jakobs unter all die Menschen, denn ihr belastetes Gewissen war auch mit nach Ägypten gezogen, und die Gefahr, erkannt zu werden, war groß. Ängstlich suchten sie die vielen, längs des Weges arbeitenden Sklaven ab, aber Joseph war nicht unter ihnen (siehe Röm 2,15; Ps 139,7–11).

Nun kam der Augenblick, da sie mit dem Herrscher Ägyptens, der mit einem Gewand aus Byssus und mit einer goldenen Kette bekleidet war, zusammentrafen. „Werft euch nieder!“, rief man vor ihm her. Auch die Söhne Jakobs beugten sich nieder mit dem Gesicht zur Erde. Diesen Mann hatte Gott sich auserkoren und ihn mit Würde, Macht und Herrlichkeit ausgestattet. Er hatte ihm Einsicht in alles gegeben: die sieben fetten Jahre, die sieben mageren Jahre, dies alles war weit über Ägypten hinaus bekannt geworden. „Er war wie der Pharao“ (1. Mo 44,18).

Dieser hoheitsvolle Mann heftete seine Augen fest auf die Söhne Jakobs. Er hatte sie als seine schuldigen Brüder erkannt, aber er gab sich ihnen nicht zu erkennen und redete nur durch einen Dolmetscher zu ihnen. Ja, er redete hart mit ihnen und sprach zu ihnen: „Woher kommt ihr?“

Sie erzitterten schon beim Anblick dieser hoheitsvollen Person, wenn es hieß: „Werft euch nieder!“, wie viel mehr jetzt, da sie über sich selbst Auskunft geben mussten. Ja, „woher kommt ihr?“ Ihre Antwort war: „Aus dem Land Kanaan, um Speise zu kaufen“. Joseph erinnerte sich an seine Träume und redete hart mit ihnen: „Ihr seid Kundschafter; um zu sehen wo das Land offen ist, seid ihr gekommen“. Er bezeichnete sie damit als unaufrichtige Menschen mit verdeckten Plänen und Absichten. Sicher waren sie keine Spione, aber wie böse und trügerisch, wie hart und brutal hatten sie gehandelt, besonders an ihrem Bruder Joseph (siehe 1. Mo 34,25–29; 37,18–32). Sie hatten früher schon eine betrügerische Bedingung an die Männer der Stadt Sichem gestellt und waren, nachdem die Männer diese erfüllt hatten, über sie und die Bewohner der sorglosen Stadt Sichem wie wilde Tiere hergefallen, hatten geraubt und geplündert, sowie Kinder und Frauen gefangen weggeführt. Jene so schändlich hintergangenen Männer hatten vorher durch die Worte und das Benehmen der Brüder Josephs den Eindruck bekommen: „Diese Männer sind friedlich gegen uns, so mögen sie im Land wohnen und darin verkehren“ (1. Mo 34,21). Zweimal hatten die Söhne Jakobs jene Männer betrogen, um dann zu morden und zu plündern.

Joseph kannte seine gewissenlosen Brüder, und er wollte sie in das Licht Gottes führen. In Psalm 18,26.27 lesen wir: „Gegen den Gütigen erzeigst du dich gütig ... gegen den Reinen erzeigst du dich rein, und gegen den Verkehrten erzeigst du dich entgegenstreitend“.

Der Herr Jesus redete sanfte Worte der Liebe und Gnade zu den Gebeugten, Trostbedürftigen, sowie zu solchen, die ihre Sünden fühlten, aber ernste und harte Worte zu den heuchlerischen Pharisäern und Schriftgelehrten.

„Wir alle sind die Söhne eines Mannes, wir sind redlich, denn deine Knechte sind keine Kundschafter“ (V. 11). Sie wollten offenbar damit sagen: Wir sind von bester Herkunft, aus guten familiären Beziehungen; wir sind in Frieden untereinander und auch mit unserem Vater. Damals hatten sie nicht daran gedacht, „Söhne eines Mannes zu sein“. „Erkenne doch, ob es das Ärmelkleid deines Sohnes ist“, so hatten sie böse und lügnerisch geredet. Joseph aber wusste, wie ihre Aufrichtigkeit aussah; sie waren noch dieselben Brüder, und darum antwortete Joseph ihnen: „Nein, sondern ihr seid gekommen, um zu sehen, wo das Land offen ist“.

Genauso entsprach es ihren Gewohnheiten, und wenn sich ihnen eine Gelegenheit bot, offenbarten sie sich als Räuber, Mörder und Sklavenhändler. Ihr wahrer Zustand hätte sich schon bald gezeigt, denn „kann ein Äthiopier seine Haut wandeln, ein Leopard seine Flecken?“ (Jer 13,23) und „was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch“ (Joh 3,6). Jetzt waren sie in innerer Not und Bedrängnis, und darum stellten sie sich fromm und sprachen von ihrer Aufrichtigkeit. Ihre trügerischen Herzen und ihre belasteten Gewissen suchten weiterhin Joseph zu täuschen: „Zwölf Brüder sind wir, deine Knechte, Söhne eines Mannes im Land Kanaan; und siehe, der jüngste ist heute bei unserem Vater, und der eine ist nicht mehr“.

Ihr Gewissen klagte sie an. Gott redete mit ihnen, aber sie verschwiegen ihre Sünde und Schuld und suchten sie zuzudecken (vgl. Ps 32,5). Ja, wie lieblich hätte sich das Bild von zwölf Brüdern in Verbindung und Gemeinschaft mit ihrem Vater gestalten können. Welcher Segen hätte dies für das Land Kanaan sein können! Ihr böser Herzenszustand, und ihre Sünden hatten alles verdorben. Sie wussten nur zu gut, weshalb ihr Vater Jakob ihnen seinen jüngsten Sohn nicht mitgegeben hatte. Es war nicht so, wie sie es darzustellen versuchten, als sei es liebevolle Besorgnis um den Jüngsten gewesen, dass er beim Vater geblieben war.

Joseph wiederholte zum zweiten Mal seine Beschuldigung: „Kundschafter seid ihr! Daran sollt ihr geprüft werden: Beim Leben des Pharao! – Wenn ihr von hier weggeht, es sei denn, dass euer jüngster Bruder hierher komme! Sendet einen von euch hin, dass er euren Bruder hole; ... und eure Worte sollen geprüft werden, ob Wahrheit bei euch ist ... und er nahm sie drei Tage zusammen in Gewahrsam“.

Drei Tage hatten sie damals in Sichem gewartet, um am dritten Tag alles Männliche zu ermorden (1. Mo 34,25). Jetzt wartete auch auf sie ein verhängnisvoller dritter Tag – wahrhaftig, sie waren schuldig. Gott redete mit ihnen; aber keiner war bereit, den Weg nach Kanaan anzutreten, um Benjamin zu holen. Sie wussten nur zu gut, dass der Vater den Jüngsten keinem von ihnen anvertrauen würde, und das würde ihren Tod bedeuten.

„Beim Leben des Pharao“, hatte der alles erforschende Mann zweimal beteuert. Ihr Schweigen – keiner wollte den Weg nach Kanaan antreten –, dass sie gelogen hatten und dass man sie als Kundschafter verdächtigte, das alles belastete ihre Situation schwer. Der dritte Tag bedeutete für sie also nur den Tod. Nach dem Tod aber kommt das Gericht. Dennoch blieb der Zustand ihrer Herzen, trotz der drei Tage, in denen sie Gelegenheit zu ernstem Nachdenken hatten, unverändert.

Aber so wie Gott im Garten Eden Adam und Eva suchte, die sich nach dem Sündenfall im Dickicht der Bäume versteckt hatten, genauso machte Er auch hier den Anfang, das Verlorene und Verirrte zu suchen. So sehen wir es auch in Lukas 15, wo der Hirte dem Verlorenen nachgeht. So war Joseph hier der Schiedsmann – auch er machte den Anfang – und vermittelte (Hiob 9,33). Ja, Er liebte seine Brüder, wie Gott den Sünder liebt und nicht will, dass jemand verloren gehe.

Am dritten Tag, wie wir auch im Blick auf den gläubigen Überrest in den letzten Tagen lesen (Hos 6,2–3), wurde es Licht; anstatt des Todes erschien das Leben. Joseph griff nicht durch Gericht ein, obwohl das gerecht gewesen wäre, nein, er versuchte ihre Gewissen in Tätigkeit zu bringen. „Tut dies, und ihr sollt leben; ich fürchte Gott: Wenn ihr redlich seid, so bleibe einer eurer Brüder gefangen im Haus eures Gewahrsams; ihr aber zieht hin, bringt Getreide für den Bedarf eurer Häuser; und euren jüngsten Bruder sollt ihr zu mir bringen, damit eure Worte sich als wahr erweisen und ihr nicht sterbt“ (Verse 18–20).

Josephs Ausspruch „Ich fürchte Gott!“ brachte ihre Gewissen in die Gegenwart eines heiligen und gerechten Gottes. Es wurde Licht in ihren dunklen Seelen. Was blieb da noch von ihren frommen Redensarten übrig? Die Gnade und Barmherzigkeit des gewaltigen Mannes, der sagte: „Bringt Getreide für den Bedarf eurer Häuser“, erinnert uns an Psalm 103,10: „Er hat uns nicht nach unseren Sünden getan, und uns nicht nach unseren Ungerechtigkeiten vergolten.“

Am dritten Schöpfungstag schuf Gott die Erde und brachte Gras, Kraut und Frucht tragende Bäume hervor; die Wasser sammelten sich an einen Ort, das Trockene und das Meer wurden gebildet.

Am dritten Tag war eine Hochzeit in der Stadt Kana und am dritten Tag erstand der Herr Jesus auf aus den Toten.

So wurde auch der dritte Tag in unserem Kapitel der Anfang einer ganz neuen Zeit. Die Brüder Josephs taten Buße, sie brachen den Stab über sich selbst. Sie fühlten, dass das Blut Josephs jetzt von ihnen gefordert wurde. Ja, die Gnade und Liebe Josephs brachten das Eis zum Schmelzen. Die Sonne durchbrach die Nacht, die eisernen Riegel wurden zerschlagen, die ehernen Herzenstüren zerbrochen (Ps 107,16). Es war der Morgen eines neuen Tages. Er bewirkte Frucht für Gott und Freude im Himmel.

„Da sprachen sie zueinander: Wahrhaftig, wir sind schuldig wegen unseres Bruders, dessen Seelenangst wir sahen, als er zu uns flehte, und wir hörten nicht; darum ist diese Drangsal über uns gekommen“ (V. 21).

Welche Worte für Joseph, der auch jetzt wieder seine Brüder suchte, wie damals in Dothan (1. Mo 37,16). Welche Freude für Gott und seine Engel, wenn ein Sünder Buße tut, und hier waren es zehn überführte Sünder! Es ist das erste Gute, was uns der Heilige Geist in Gottes Wort von den zehn Söhnen Jakobs berichtet. Es war der Hauch des beginnenden neuen Lebens, da war aufrichtige Frucht, Frucht für Gott.

Dasselbe lesen wir auch in Jesaja 53,4, als erste Antwort des späteren Überrestes im Blick auf Christus. Hiob beschreibt den wunderbaren Vorgang der Wiedergeburt mit ähnlichen Worten: „Ich hatte gesündigt und die Geradheit verkehrt, und es wurde mir nicht vergolten“ (Hiob 33,27).

Es fällt dem Menschen nicht schwer, von seinen guten Seiten und guten Werken zu reden, doch vor den Ohren anderer von seinen Sünden und Übertretungen zu sprechen, wie wir es hier bei den Brüdern Josephs finden, das kann nur die Gnade durch den Heiligen Geist und Gottes Wort bewirken. „Wahrhaftig, wir sind schuldig“, oder „Wir sind verlorene Sünder“; dieses nach den drei Tagen im Gefängnis zu bekennen, war ein Erwachen aus dem Todesschlaf.

Neue Lebenshoffnung drang in ihre Herzen. Die Worte Josephs waren ihnen wie Himmelsmusik, ein Sonnenstrahl der Gnade, des Lichtes und der Liebe. Sie waren bereit, den Weg zu gehen, der ihnen geraten wurde.

Freilich wird diese schöne Szene ein wenig getrübt durch die Worte Rubens: „Habe ich nicht zu euch gesprochen und gesagt: Versündigt euch nicht an dem Knaben? Aber ihr hörtet nicht; und siehe, sein Blut wird auch gefordert!“. An seine persönlichen Sünden dachte er nicht. Er gleicht dem Pharisäer in Lukas 18,11, denn Ruben war mitschuldig. Andererseits verschärft Ruben das Urteil über sie alle und schließt sich mit ein: „sein Blut wird auch gefordert“ (Vers 22). Es blieb nur noch die Gnade übrig.

Der Dolmetscher ist wohl ein Bild vom Heiligen Geist; er ist der Vermittler der Gedanken und Reden.

Von den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus lesen wir auch: „Ihre Augen wurden gehalten, so dass sie ihn nicht erkannten“ (Lk 24,16). So erkannten auch die Söhne Jakobs ihren Bruder nicht. „Und er, Joseph, wandte sich von ihnen ab und weinte“ (V. 24). Bis Kapitel 50 wird siebenmal von Joseph gesagt, dass er weinte; hier zum ersten Mal. In Hosea 11,8 lesen wir prophetisch vom Herrn in Bezug auf das Volk Israel fast dasselbe Wort: „Mein Herz hat sich in mir umgewendet, erregt sind alle meine Erbarmungen.“ Und vorher sagt Gott in Vers 4: „Mit Menschenbanden zog ich sie, mit Seilen der Liebe.“

Wie ganz anders als die Menschen, fühlt und handelt doch Gott! Wie nimmt Er Kenntnis, wenn sich irgendwelche Zeichen der Buße zeigen! Wie entspricht auch Joseph so eindrucksvoll der viel späteren Belehrung des Apostels Paulus an die Gläubigen in Korinth: „Die Liebe rechnet das Böse nicht zu, sie lässt sich nicht erbittern, sie sucht nicht das Ihre.“

Es ist auffallend, dass wir bei Joseph nicht ein einziges Wort finden, das nicht in Einklang stünde mit der Gesinnung unseres Herrn Jesus Christus. Da ist kein Reden von sich, keine Anklage gegen seine Brüder, keine Erwähnung dessen, wie sie an ihm gehandelt und ihm Unrecht getan hatten, und dass Gott sie nun bestrafe, obwohl dies alles natürlich stimmte. Der Heilige Geist wachte darüber, wie auch Gott selbst, dass das Vorbild auf Christus hin durch nichts getrübt wurde. Dies ist die eine Seite, die andere Seite ist die, dass Joseph praktisch in der Gegenwart Gottes lebte und sein Fleisch nicht wirken ließ. Doch war die Stunde für Joseph noch nicht gekommen, um sich seinen Brüdern völlig zu offenbaren. So ist auch im Blick auf die Wiederherstellung Israels die Stunde des Herrn, des Messias, noch nicht gekommen (Joh 2,4).

„Und er nahm Simeon aus ihrer Mitte und band ihn vor ihren Augen“ (V. 24), um ihn als Pfand und Geißel zurückzubehalten. Warum Simeon? Ohne Frage geschah dies nicht willkürlich, denn: „Sollte der Richter der ganzen Erde nicht Recht üben?“ (1. Mo 18,25). „Simeon und Levi sind Brüder, Werkzeuge der Gewalttat ihre Waffen“ (1. Mo 49,5). Die besondere Schuld, die auf ihnen lag, haben wir bereits erwähnt. Vielleicht war Simeon besonders beteiligt gewesen bei der bösen, gewalttätigen, grausamen Handlung mit Joseph. Vom Herrn Jesus als König wird gesagt: „Er wird verständig handeln und Recht und Gerechtigkeit üben im Land“ (Jer 23,5).

Im Anschluss daran sehen wir wieder Gnade, Liebe und Erbarmen: Alle Gefäße wurden mit Getreide gefüllt, alles umsonst, ohne Geld und ohne Kaufpreis; denn ihr Geld fand sich im Sack eines jeden wieder. „Sanft gegen sie, gab ich ihnen Nahrung“ (Hos 11,4). So luden sie ihr Getreide auf ihre Esel und zogen davon.

Im Blick auf den Überrest Israels in den letzten Tagen finden wir von Vers 21 an sein Erwachen. Er wird seine Schuld und Sünde in der Verwerfung seines Königs und Messias erkennen und mit Ernst Buße tun. „Wahrhaftig“, sagten die Brüder Josephs. Sie begannen ihre Schuld einzusehen, so ähnlich wird auch der Überrest, auf die Frage seines irdischen Bundesvolkes hin, sprechen. Diese Menschen werden mehr und mehr verstehen, wer Christus ist, Er, der durch sie verworfen wurde.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel