Der erste Brief an die Korinther

Kapitel 12

Der erste Brief an die Korinther

Der Tod des Christus bildet also den Mittelpunkt der Gemeinschaft in der Versammlung und findet seinen Ausdruck in dem Mahl des Herrn. Außerdem finden wir in der Versammlung die Gegenwart und die Gaben des Heiligen Geistes, eine Wahrheit, die uns besonders in vorliegendem Kapitel in ihrer Wichtigkeit, Kraft und Tragweite dargestellt wird. Und so wie das Mahl des Herrn mit der Einheit der Versammlung und mit der Verantwortlichkeit jedes einzelnen Gläubigen in Verbindung steht, so auch diese Wahrheit. Ehe aber der Apostel auf diesen Gegenstand weiter eingeht, macht er vorher auf die bestimmten Kennzeichen aufmerksam, wodurch der Geist Gottes von den Dämonen oder bösen Geistern unterschieden werden konnte. Diese suchten sich nämlich in die Versammlung in Korinth einzuschleichen und alles zu verderben. Sie ahmten die Wirkungen des Geistes nach und verführten die Gläubigen. Der größte Teil dieser Versammlung waren früher Heiden gewesen und „zu den stummen Götzenbildern hingeführt worden“ (Vers 2), und darum war bei ihnen die Gefahr umso größer, durch die falschen Nachahmungen der geistlichen Mächte betrogen zu werden. Es ist aber zu jeder Zeit Gefahr vorhanden, und die Gläubigen müssen immer wachsam sein, um nicht durch den Betrug Satans mit fortgerissen zu werden. Er versucht dies auf alle Weise, bald auf gröbere, wie in Korinth, bald auf eine feinere; er richtet sich stets nach Zeit und Umständen. Er nimmt selbst die Gestalt eines Engels des Lichts an und seine Diener die Gestalt als Diener der Gerechtigkeit (2. Kor 11,14.15). Das Wort Gottes gibt uns in dieser Beziehung viele ernste Warnungen. Der Apostel Petrus spricht von falschen Lehrern, die nach ihm aufstehen würden (2. Petrus 2,1); Johannes ermahnt: „Geliebte, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind, denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen“ (1. Joh 4,1). Paulus nennt „das Verbieten zu heiraten und das Gebieten, sich von Speisen zu enthalten“ Lehren der Dämonen (1. Tim 4,1–3). Auch sagt er in 2. Thes 2 und an anderen Stellen ausdrücklich, dass der Betrug und die Verführung immer mehr zunehmen und am Ende eine schreckliche Höhe erreichen würden. Und deshalb darf es uns nicht wundern, dass in der gegenwärtigen Zeit so viele gefährliche und verderbliche Irrtümer vorhanden sind, Irrtümer, die auf eine höchst traurige Weise das Werk des Herrn schwächen und verstümmeln und sogar seine Person verunehren und erniedrigen; und es ist sehr betrübend, dass oft sogar Gläubige ohne Bedenken und ohne Prüfung solche mehr oder weniger falschen Lehren annehmen oder sich doch nicht mit allem Ernst von denen abwenden, die darin verharren! Wie wenig wird in unseren Tagen die Ermahnung des Apostels beachtet, „einen in der Lehre sektiererischen Menschen abzuweisen!“ (Vergl. Tit 3,10; 2. Joh 10). Dies zeugt sicher von einem großen Mangel an Eifer für die Ehre des Herrn und Wertschätzung seines kostbaren Werkes.

Die Gefahr, durch die List Satans betrogen zu werden, ist also immer vorhanden, und wir haben deshalb, wie schon gesagt, zu jeder Zeit nötig, wachsam und nüchtern zu sein und vor allem den Herrn fleißig anzurufen, dass Er uns bewahre und mit dem Geist erfülle, der die Kraft der Wahrheit in unsere Herzen ausgießt. Wenn dies aber mangelt, so ist es leicht möglich, dass wir, verblendet durch den Betrug Satans, nicht mehr fähig sind, die Wirkung des Geistes von der des Feindes zu unterscheiden. Die Geschichte zeigt uns, was der Mensch zu glauben fähig ist, zu welchen Torheiten er mit fortgerissen werden kann, wenn er in Gegenwart der Macht des Feindes sich selbst überlassen ist.

Das wahre Kennzeichen nun, um die echten von den falschen Gaben oder Zeichen zu unterscheiden, war die Person des Christus. „Deshalb tue ich euch kund, dass niemand, der im Geist Gottes redet, sagt: Verflucht sei Jesus!, und niemand sagen kann: Herr Jesus! als nur im Heiligen Geist“ (Vers 3). Es handelte sich hier beim Aussprechen dieses Namens nicht um Bekehrte oder Unbekehrte, sondern um das Bekenntnis desselben durch die Geister (vgl. 1. Joh 4,1–3), die durch verschiedene Personen in der Versammlung auftraten und wirksam waren. Ein falscher Geist bekannte jenen Namen nicht; er sagte nicht „Herr Jesus!“ Der Einfluss dieser dämonischen Macht in der Versammlung in Korinth war schon so groß, dass man die Wichtigkeit des Namens des Herrn Jesus vergaß, oder wenigstens nicht bemerkte, dass jene Geister Ihn nicht bekannten.

Nach diesen notwendigen Erörterungen spricht der Apostel nun von der Gegenwart des Heiligen Geistes unter den Christen, erkennbar durch die Gaben, die  durch die Glieder des Leibes des Christus ausgeübt wurden und entweder zur Bildung und Erbauung der Versammlung oder zum Beweis ihrer Anerkennung vonseiten Gottes dienten. Gott selbst war jetzt auf der Erde gegenwärtig. Er wohnte sowohl in den einzelnen Gläubigen als auch in der Versammlung, seinem geistlichen Tempel. Bis zur Ausgießung am Pfingsttag war der Heilige Geist verheißen und auf der Erde manchmal wirksam, aber jetzt hatte Er in den Seinen Wohnung genommen. Er ist die Offenbarung der Gegenwart Gottes, sowohl in seiner Herrlichkeit als auch in seiner Macht und in Bezeugung dessen, was Er ist. Zugleich ist Er das Band der Gemeinschaft zwischen der Versammlung und Christus, sowie auch zwischen dem einzelnen Gläubigen und Ihm. Das Wohnen des Heiligen Geistes in uns ist die Kraft unserer Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserm Herrn und hilft uns, diese zu verwirklichen. Ohne diese Gemeinschaft wären wir völlig unfähig, den wohlgefälligen Willen Gottes zu erkennen und zu erfüllen.

Die Gegenwart des Heiligen Geistes auf der Erde ist die Frucht des Werkes Christi und seines Sitzens zur Rechten Gottes. Sein Werk ist vollbracht; die Versammlung ist durch sein Blut erlöst und gereinigt; und vereinigt zu einem Leib, ist sie das Gefäß und das Zeugnis der Macht Christi, die in seinen Gliedern wirksam ist. „Er ist hinaufgestiegen in die Höhe und hat die Gefangenschaft gefangen geführt und hat den Menschen Gaben gegeben“ (Eph 4,8). Die an Christus Glaubenden sind durch sein Erlösungswerk vollkommen von der Macht Satans befreit, sind Gefäße der Gnade und der Kraft, die von Ihm, dem Haupt der Versammlung, herabfließt und sind durch die ihnen verliehenen Gaben auf dieser Erde Werkzeuge eines abwesenden Christus. Diese Gaben können nun entweder als Gaben des Christus betrachtet werden, wie in Eph 4, oder als Wirkung und Mitteilung des Heiligen Geistes, wohnend in der Versammlung, wie in vorliegendem Kapitel. Auch gibt es zweierlei Gaben, wie schon vorhin angedeutet: solche, die zur Sammlung und Erbauung des Leibes Christi dienen und solche, die Zeichen vor der Welt sind, sichtbare Zeichen von der Gegenwart Gottes in der Person des Heiligen Geistes in der Versammlung. In Epheser 4 finden wir nur erstere, während in diesem Kapitel von beiden die Rede ist. Es ist von großer Wichtigkeit, dies zu unterscheiden. Solange die Versammlung auf der Erde ist, werden jene Gaben, die zu ihrer Bildung und Erbauung dienen, bleiben, weil Christus treu ist und seine Versammlung vollkommen liebt. Diese aber, die eine Zierde der Versammlung und ein Beweis ihrer Anerkennung vonseiten Gottes waren, sind ihrer Untreue wegen weggenommen; aber dennoch sind diese nach Gottes weiser Anordnung solange geblieben, wie es nötig war, um das Zeugnis der Wahrheit zu befestigen.

Betrachten wir jetzt die Belehrung selbst, die uns das vorliegende Kapitel über diesen so wichtigen Gegenstand gibt. „Es sind aber Verschiedenheiten von Gnadengaben, aber derselbe Geist“ (Vers 4). Es sind keine verschiedenen Geister wie bei den Dämonen, sondern es ist ein und derselbe Geist, der sich aber in verschiedenen Gaben offenbart. „Es sind Verschiedenheiten von Diensten, und derselbe Herr“ (Vers 5). Jeder, der eine Gabe empfangen hat, tritt damit in den Dienst Christi. Er darf nicht selbständig und nach eigenem Gutdünken handeln, sondern in der völligen Abhängigkeit von Christus, dessen Diener er ist, unter Anerkennung der Herrschaft dessen, dem allein er Rechenschaft zu geben schuldig ist. Christus wird uns hier in seiner Eigenschaft als unumschränkter Herr dargestellt. „Es sind Verschiedenheiten von Wirkungen, aber derselbe Gott, der alles in allen wirkt“ (Vers 6). Er ist die Quelle aller Kraft und aller Wirkungen.

Weiter nun heißt es: „Einem jeden aber wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen gegeben“ (Vers 7). Das Vorhandensein und die Wirksamkeit der Gaben offenbaren die Gegenwart und die Kraft des Heiligen Geistes in der Versammlung. Sie sind sowohl für die einzelne Seele als auch für die Versammlung im Allgemeinen, zum Nutzen gegeben, und stellen die, denen sie anvertraut sind, als Diener des Christus hin, die als solche für deren Ausübung verantwortlich sind. Wir sehen dies sehr deutlich in Matthäus 25, in dem Gleichnis von den Talenten, die den drei Knechten anvertraut waren. Die beiden ersten wurden von ihrem zurückkehrenden Herrn gelobt und belohnt, weil sie mit ihren Talenten gehandelt hatten; der letzte aber wurde getadelt und bestraft, weil er aus Misstrauen gegen seinen Herrn das Talent vergraben hatte. Man gibt einem Menschen nicht Stoff und Werkzeuge, um sie nicht zu gebrauchen; und ebenso werden auch diese Gaben nicht mitgeteilt, um sie unbenutzt zu lassen. Ihr Vorhandensein gibt dem Gläubigen nicht nur die vollkommene Bevollmächtigung zu ihrem Gebrauch, sondern legt ihm auch die heilige Pflicht auf, sie stets in dem Bewusstsein auszuüben, dass er Christus, dem Herrn und dem Haupt der Versammlung und nicht Menschen verantwortlich ist. Auch der Apostel Petrus ermahnt: „Je nachdem jeder eine Gnadengabe empfangen hat, dient einander damit als gute Verwalter der mannigfaltigen Gnade Gottes“ (1. Pet 4,10).

Es werden nun verschiedene dieser Gaben aufgezählt. „Dem einen wird durch den Geist das Wort der Weisheit gegeben“ (Vers 8), die Gabe, auf alle Umstände, durch die wir auf der Erde zu gehen haben, das göttliche Licht anzuwenden, alle Dinge in diesem Licht zu beurteilen und in allen Wegen den wohlgefälligen Willen Gottes zu erkennen; „einem anderen aber das Wort der Erkenntnis nach demselben Geist“, das Verstehen und Mitteilen der Gedanken Gottes, wie sie offenbart sind; „einem anderen aber Glauben in  demselben Geist“ (Vers 9), nicht der Glaube an das Evangelium, der das Eigentum aller Christen ist, sondern der Glaube als die von Gott mitgeteilte Kraft, um inmitten der größten Schwierigkeiten und Verfolgungen das Auge voll Vertrauen auf den Herrn gerichtet zu halten; „ einem anderen aber Gnadengaben der Heilungen in demselben Geist“, um allerlei Krankheiten durch das bloße Wort oder Anrühren zu heilen; „einem anderen aber Wunderwirkungen“ (Vers 10), um Dinge zu verrichten, die ganz und gar außer dem Bereich der menschlichen Kraft liegen; „einem anderen aber Weissagung“, um mit Einsicht und Kraft von der offenbarten Wahrheit zur Erbauung anderer Zeugnis abzulegen; „einem anderen aber Unterscheidungen der Geister“, nicht um den Zustand der Seele zu unterscheiden, sondern wahre und falsche Lehre, wahre und falsche Begeisterung, den Geist Christi und den Geist des Teufels; „einem anderen aber  Arten von Sprachen“, d. h. in allerlei Sprachen zu reden, ohne sie vorher gelernt zu haben, wie wir es am Pfingsttag bei der Ausgießung des Heiligen Geistes sehen; „einem anderen aber Auslegung der Sprachen“. Auch dies war eine besondere Gabe, indem oft selbst der in einer Sprache Redende nicht fähig war, dieselbe auszulegen (vgl. Kap. 14,13).

„Dies alles aber wirkt ein und derselbe Geist, einem jeden insbesondere austeilend, wie er will“ (Vers 11). Der Apostel wiederholt hier noch einmal, dass es ein und derselbe Geist ist, der selbständig und nach seinem eigenen Willen einem jeden insbesondere austeilt. In Vers 6 werden Gott die verschiedenen Wirkungen zugeschrieben und hier dem Heiligen Geist, und eben dieses bezeugt uns eindrücklich, dass der Heilige Geist nicht nur ein gewisser Einfluss oder eine untergeordnete und abhängige Kraft ist, sondern eine freie und selbständige Person, Gott selbst. Wo Er wirkt, da wirkt Gott. Diese Wirkungen sind Gaben in dem Menschen, die der Heilige Geist nach seinem eigenen Willen austeilt. Er wird also in dieser Austeilung ausdrücklich als persönlich wirkend und als Gott  dargestellt, eine Wahrheit, die von höchster Wichtigkeit ist. Der Heilige Geist ist der Mittelpunkt und die lebendige Kraft des ganzen Leibes. Er wirkt in den einzelnen Gliedern und durch dieselben; und diese sind in der Ausübung ihrer Gaben Glieder ein und desselben Leibes, der durch die Gegenwart und Kraft des Heiligen Geistes gebildet ist. Im Licht dieser Wahrheit muss uns jedes selbständige Handeln, jede eigenmächtige Anordnung des Menschen bezüglich der Bildung und Erbauung der Kirche oder Versammlung nur als eine traurige Anmaßung des Fleisches erscheinen, wodurch die Gegenwart des Heiligen Geistes tatsächlich verkannt, sein Ansehen vernichtet und seine freie Tätigkeit gehemmt oder sogar beseitigt wird. Es gibt wohl kaum eine andere Sünde, die in einer so ausgedehnten Weise das Wachstum des Leibes verhindert, seine Einheit zerstört, den Herrn, das Haupt der Versammlung, verunehrt und den in ihr wohnenden Heiligen Geist betrübt. Möge der Herr seinen Kindern über diesen so wichtigen Gegenstand immer mehr erleuchtete Augen geben!

In den folgenden Versen wird uns nun die Lehre bezüglich des Leibes und der Glieder Christi auf eine einfache und klare Weise dargestellt. Der Heilige Geist vereinigt alle Christen zu einem Leib. „Denn so wie der Leib einer ist und viele Glieder hat; alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein Leib sind: so auch der Christus“ (Vers 12). Durch diesen Ausdruck ist die Einheit der Versammlung mit ihrem Haupt auf eine wunderbar schöne Weise veranschaulicht. Anstatt bei diesem Vergleich mit dem menschlichen Körper zu sagen: so ist auch die Versammlung, sagt der Apostel: „so auch der Christus“; denn die Versammlung ist Er selbst, sie ist sein Leib. Obwohl da auch viele Glieder sind, die alle unterschiedliche Gaben empfangen und unterschiedliche Dienste zu verrichten haben, machen sie doch zusammen einen Leib aus. Es ist „ein Leib und ein Geist“ (Eph 4,4). „Denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt worden“ (Vers 13). Die Einheit des Leibes sowie die Verbindung der einzelnen Glieder untereinander, sind durch die Taufe des Heiligen Geistes hervorgebracht. Er ist zugleich die Kraft dieser Einheit, während das Mahl des Herrn der sichtbare Ausdruck derselben ist. Die unterscheidenden Charaktere von Juden und Griechen haben in diesem Leib aufgehört; der Unterschied zwischen Knechten und Freien ist darin verschwunden. Alle sind mit einem Geist getränkt, sind ein und desselben Geistes teilhaftig geworden, sind durch ein und denselben Geist gesalbt und bilden zusammen das harmonische Ganze, den einen Leib, wovon Christus, der Herr der Herrlichkeit, das Haupt ist. Gleichwie der menschliche Körper aus vielen Gliedern besteht und alle diese Glieder ihren besonderen Platz empfangen und ihre besonderen Dienste zu verrichten haben, so ist es auch mit dem Leib des Christus. Alle Glieder haben darin ihren besonderen Platz und ihre besonderen Gaben (Verse 14–20). Sie üben dieselben als Diener des Christus aus, zur Sammlung und Erbauung des ganzen Leibes, dessen Glieder sie sind. Zugleich sind sie Glieder untereinander, sind voneinander abhängig, haben einander nötig und stehen zueinander in enger Beziehung. So wie der Fuß zu der Hand nicht sagen kann: „Ich brauche dich nicht“, ebenso wenig darf ein Christ so zum anderen sprechen. Betrachten wir den menschlichen Körper, wie Gott ihn nach seiner Weisheit zusammengefügt hat, so finden wir sogar, dass die schwächeren Glieder am notwendigsten sind, dass die unehrbaren und unanständigsten am meisten bekleidet und geschmückt werden; sie werden mit größerer Ehre umgeben als die schöneren Teile des Körpers, die es nicht brauchen (Verse 21–25). Ebenso verhält es sich mit dem Leib des Christus, in dem die hervorragenderen Gaben im Vergleich zu den unscheinbareren den geringsten Wert haben. Übrigens haben alle Glieder einander gleich nötig und fördern das Wachstum des ganzen Leibes, jedes an seinem besonderen Platz.

Es ist leider wahr, dass durch die Untreue der Gemeinde oder Versammlung eine große Verwirrung eingetreten und die Ausübung der verschiedenen Gaben wenig zu sehen ist; aber dessen ungeachtet bleibt es ebenso wahr, dass jedes Glied irgendeine Gabe bekommen hat, für die es verantwortlich ist; es kann sie ausüben oder vergraben, zum Nutzen anwenden oder zum Schaden vernachlässigen. Der Herr bleibt immer treu und liebt seine Versammlung zu jeder Zeit in Vollkommenheit. Sobald wir, getrennt von der Welt und allem Parteiwesen, uns einfach im Namen Jesu versammeln, können wir auf seine Gegenwart und die Offenbarung seiner Gnade und Liebe rechnen. Er wird es an nichts fehlen lassen, was zum Wachstum in der Gnade und der Erkenntnis nötig ist.

Die enge Beziehung der einzelnen Glieder untereinander wird sehr schön in den folgenden Worten ausgedrückt: „Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit“ (Vers 26). Diese gegenseitige Teilnahme ist die natürliche Folge der Einheit des Leibes, der durch einen Geist gesalbt ist. Alle Glieder sind eng miteinander verbunden und teilen Leid und Freude. Der Heilige Geist, der alle innerlich erfüllt, erweckt diese Gefühle. Es sind dieselben Gefühle, die in Christus Jesus selbst sind; denn die Versammlung ist sein Leib. „Ihr aber seid Christi Leib, und Glieder im Einzelnen“ (Vers 27). In diesen wunderbaren Worten ist sowohl die Größe unseres Vorrechts als auch unsere hohe Verantwortlichkeit ausgedrückt.

Es ist auch bemerkenswert, dass, obwohl die Versammlung in Korinth nur ein Teil des Universalleibes war, Paulus hier dennoch von dem ganzen Leib redet. Und dies konnte er deshalb, weil die Versammlung in dieser Stadt dem Grundsatz nach – darüber besteht kein Zweifel – den ganzen Leib darstellte. Die dortigen Christen lebten und handelten als Glieder eines Leibes. Diese Tatsache ist von größter Wichtigkeit. In ihrer Stellung vor Gott werden die Christen eines Ortes als die ganze Versammlung darstellend betrachtet, und nicht als getrennt und unabhängig von den übrigen. Im ganzen Neuen Testament ist keine Rede von Gliedern dieser oder jener Gemeinde, wenigstens wird dieser Ausdruck nie in dem Sinn gebraucht, wie es heutzutage geschieht, sondern nur von Gliedern des Leibes des Christus.

„Und Gott hat etliche in der Versammlung gesetzt: erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer, dann Wunderkräfte, dann Gnadengaben der Heilungen, Hilfeleistungen, Regierungen, Arten von Sprachen“ (Vers 28). Man beachte wohl, dass Gott diese verschiedenen Gaben nicht einer, sondern der Versammlung gegeben hat und dass Gott sie gab und nicht die Versammlung. Wenn aber der Heilige Geist die verschiedenen Gaben zum Nutzen des ganzen Leibes gibt, so müssen sie auch von den einzelnen Gliedern ausgeübt und anerkannt werden. Die Versammlung hat weiter nichts zu tun, als sich ganz und gar der Leitung ihres Sachwalters zu unterwerfen, auf die Offenbarung der nötigen Gaben zu warten und von den offenbar gewordenen mit dankbarem Herzen Gebrauch zu machen. In keinem Fall ist sie berufen, mehr zu tun, als die vorhandenen Gaben anzuerkennen und zu benutzen. Alles, was sie darüber hinaus tut, ist nur eine Störung der freien Wirksamkeit des Heiligen Geistes.

Durch die Aufzählung der verschiedenen Gaben in Vers 28 soll nicht so sehr ein ausführliches Verzeichnis derselben gegeben, sondern vielmehr ihre Rangordnung angedeutet werden; und wir sehen, dass die fremden Sprachen, worauf die Korinther so großen Wert legten, den letzten Platz erhalten. Wie beschämend für ihren Hochmut! Der Unterschied hinsichtlich der Wichtigkeit der Gaben hängt allein von dem Maß ab, in dem sie zur Erbauung des Leibes dienen, und hierzu trugen die Sprachen am wenigsten bei. Der Apostel ermuntert deshalb die Korinther, nach solchen Gaben zu trachten, wodurch die Gemeinde am meisten erbaut wird. „Eifert aber nach den größeren Gnadengaben; und einen noch weit vortrefflicheren Weg zeige ich euch“ (Vers 31). Über all diesen herrlichen Gaben, die eine Offenbarung der Macht Gottes und des Geheimnisses seiner Weisheit waren, war etwas zu erlangen, was in den Augen Gottes am köstlichsten war, die Liebe. Sie ist seine eigene Natur, der Ausdruck seines Wesens; „denn Gott ist Liebe“. Und durch die Liebe stehen wir mit Ihm in enger Beziehung; durch die Offenbarung derselben verwirklichen wir seine Gesinnung und die Freude seines Herzens.

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