Siehe, dein König kommt
Eine Auslegung zum Propheten Sacharja

Bevor Christus herrschen kann

Siehe, dein König kommt

Die fliegende Rolle und die Frau im Hohlmaß

Sacharja 5 ist ein dunkles Kapitel. Es enthält kein direktes Vorbild auf den Herrn Jesus und keinen Ausspruch über Ihn. Dennoch hat es wenigstens in zweifacher Hinsicht etwas mit dem Thema „Christus in Sacharja“ zu tun:

  • Erstens spricht es von einer Rolle, die mit Flüchen beschrieben war (V. 1–4). Christus hat erfüllt, was in einer anderen Buchrolle über Ihn geschrieben worden war und dadurch die Grundlage gelegt, um den Fluch wegzunehmen.
  • Zweitens zeigt es auf, was geschehen muss, bevor Christus seine Herrschaft antritt und der Segen kommen kann, den Sacharja ankündigt (V. 5–11).

In den ersten vier Kapiteln des Buches Sacharja begegnen dem Leser immer wieder Aussprüche und Bilder, die auf Christus, den kommenden Messias, hinweisen: Er würde dem Überrest Trost zusprechen (Kap. 1), Er würde eines Tages in der Mitte seines Volkes wohnen (Kap. 2), Er würde der wahre Josua sein, der Spross mit dem Namen „Knecht“ und der Stein mit sieben Augen (Kap. 3). Schließlich wird Christus als der wahre Serubbabel gesehen, der den Schlussstein hinzufügt und dafür sorgt, dass ein vollkommenes Zeugnis in der Kraft des Geistes gegeben wird (Kap. 4). An dieser Stelle wartet man förmlich auf Kapitel 6, den Höhepunkt des ersten Teiles dieses Buches, in dem Christus als Priester auf dem königlichen Thron beschrieben wird (V. 13).

Aber vorher kommt Kapitel 5. Und dort begegnet uns eine ganz andere Atmosphäre. Das Kapitel enthält zwei Visionen. Beide sind ernst und sprechen von Gericht. Auf den ersten Blick hat man den Eindruck, hier weder Christus noch irgendeinen Hoffnungsschimmer zu finden. Und mancher Leser wird sich fragen, warum dieses Kapitel hier „eingeschoben“ wird. Aber alles in der Bibel hat seinen Sinn und Platz, auch wenn wir das manchmal nicht so leicht erkennen.

Die fliegende Rolle (V. 1–4)

Im ersten Teil des Kapitels wird das sechste Gesicht Sacharjas beschrieben, in dem er eine riesige fliegende Buchrolle sieht:

„Ich sehe eine fliegende Rolle, ihre Länge zwanzig Ellen und ihre Breite zehn Ellen. Und er sprach zu mir: Dies ist der Fluch, der über die Fläche des ganzen Landes ausgeht …“ (V. 2.3).

Die benutzten Maßangaben von 10 bzw. 20 Ellen entsprechen den Maßangaben, die wir in Verbindung mit den Cherubim im Allerheiligsten des Tempels Salomos finden:

  • Jeder der beiden Cherubim war 10 Ellen hoch und hatte eine Spannweite von 10 Ellen (1. Kön 6,23–26).
  • Die ausgestreckten Flügel der beiden Cherubim berührten sich und die kombinierte Spannweite von 20 Ellen reichte genau von einer Wand des Allerheiligsten zur anderen
    (2. Chr 3,10–13).
  • Die Länge, Breite und Höhe des Allerheiligsten waren jeweils 20 Ellen (1. Kön 6,20).

Die beiden Maße der Rolle Sacharjas sind also charakteristisch für das Allerheiligste, den Wohnort Gottes, und sprechen somit von der Heiligkeit Gottes – des Gottes, der „zwischen den Cherubim thront“ (Ps 99,1.3).

Die überdimensionale Größe der Rolle (etwa fünf mal zehn Meter) deutet das riesige Ausmaß des Fluches an, der über das sündige Volk kommen sollte. Die Beschriftung der Rolle von beiden Seiten (V. 3) verstärkt diesen Gedanken noch. Und die Tatsache, dass es eine „fliegende“ Rolle ist, zeigt, dass der Fluch schnell und unaufhaltsam kommen wird.

Im Alten Testament begegnen uns noch drei andere Buchrollen, bei denen dasselbe hebräische Wort1 verwendet wird:

  • Die Rolle Jeremias, in doppelter Ausfertigung (Jer 36,2.4.6 etc.).
  • Die Rolle Hesekiels (Hes 2,9 und 3,1–3).
  • Die Rolle des Buches (Ps 40,8).

Abgesehen von der letzten dieser Buchrollen haben alle eins gemeinsam: Sie stehen mit Schuld in Verbindung. Die Rolle Jeremias enthielt die Strafankündigungen, die Jeremia in den etwa 30 Jahren seines bis dahin ausgeführten Dienstes geredet hatte (Jer 25,3; 36,1.2), die von Hesekiel enthielt „Klagen und Seufzer und Wehe“ und hing mit der Botschaft an ein widerspenstiges Volk zusammen (Hes 2,8.10), und die von Sacharja war von beiden Seiten mit Fluch beschrieben. Diese Rollen stehen für das gerechte Urteil Gottes über sein Volk und damit über den Menschen.

Die Rolle aus Psalm 40

Die Rolle aus Psalm 40 hat nicht nur einen vollständig anderen Charakter, sondern sie zeigt uns auch Gottes Lösung für das Urteil der anderen Rollen, das heißt für die Schuld des Menschen: „Da sprach ich: Siehe, ich komme; in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben. Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens“ (Ps 40,8.9).

Christus hatte diese Worte „in die Welt kommend“ gesprochen und sich dadurch freiwillig verpflichtet, den ganzen Willen Gottes zu tun (Heb 10,5) – wozu auch sein vollkommenes Opfer gehörte2, die Grundlage, auf der Menschen gerettet werden können. Das war der Höhepunkt dieses Gehorsams, sein schwerster Test und sein größter Beweis. Es war Gehorsam „bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8). Dort am Kreuz wurde Er ein Fluch, um die Schuldigen vom Fluch zu befreien. Wir lesen in Galater 3,13: „Christus hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, indem er ein Fluch für uns geworden ist (denn es steht geschrieben: ‚Verflucht ist jeder, der am Holz hängt‘).“ Das konnte nur durch einen vollkommen gehorsamen Menschen geschehen, dem „Ohren bereitet“ worden waren (Ps 40,7). Aber bevor Christus kam, gab es einen solchen Menschen nicht. Deshalb wird dieser Ausspruch im Neuen Testament etwas abgeändert wiedergegeben, um zu zeigen, dass Christus dazu Mensch werden musste: „Einen Leib aber hast du mir bereitet“ (Heb 10,5).

Die Rolle aus Psalm 40 – oder, besser gesagt, Christus, von dem diese Rolle spricht – ist die göttliche Antwort auf die mit dem Fluch beschriebene Rolle Sacharjas (sowie der Rollen von Jeremia und Hesekiel). Die Antwort des bösen und hartnäckigen Königs Jojakim war gewesen, die Rolle Jeremias zu zerschneiden und ins Feuer zu werfen, aber dadurch hatte sich die Strafe nur erhöht (Jer 36,23.32).

Um zu der Buchrolle in Sacharja 5 zurückzukehren: Die Mehrheit des Volkes Israel wird sich immer weiter von Gott entfernen und deshalb von dem angekündigten Gericht getroffen werden. Aber die, die Christus annehmen, werden erleben, dass Gott „die ganze Ungerechtigkeit dieses Landes an einem Tag wegnehmen“ wird (Kap. 3,9; 12,10). Ein Überrest wird errettet werden (Jes 10,22.23; Röm 9,27).

Bevor Christus seine Herrschaft antritt …

Die Frau im Hohlmaß (V. 5–11)

Der zweite Teil von Sacharja 5 beschreibt, wie der Prophet ein Epha sieht, in dem eine Frau sitzt. Das Epha war ein Hohlmaß oder Volumenmaß von etwa 40 Litern. Auch hier zeigen die Größenverhältnisse, dass es sich um eine symbolische Darstellung handelt. Das Epha wird benutzt, weil es ein jüdisches Maß war. Die Frau in dem Epha gibt Aufschluss darüber, was mit dem abtrünnigen jüdischen Volk geschehen würde.

Eine Frau steht in der Bibel oft für ein (gutes oder schlechtes) System. Zu den positiven Beispielen gehören die Tochter Zion, die Braut im Hohelied und die Braut in der Offenbarung; zu den negativen Beispielen zählen Jesabel und die große Hure (Off 2,20; 17). Hier ist die Bedeutung eindeutig negativ. Die Frau selbst wird als „Gottlosigkeit“ beschrieben. Es geht um das abtrünnige Volk Israel in der Zukunft. Der Prophet sieht, wie das Epha mitsamt der Frau weggetragen wird, und zwar nach Babylon (in das Land Sinear, V. 11), der Wiege des Götzendienstes (Jos 24,2.15).

Dieses Gesicht zeigt, dass das Volk Israel wieder götzendienerisch werden wird (s. Mt 12,43–45). Der Götzendienst wird unter dem Antichristen seinen Höhepunkt finden.

Hier lernen wir, was geschehen muss, bevor Christus seine Herrschaft antritt. Der Götzendienst muss gerichtet und aus dem Land entfernt werden, bevor Christus seine Herrschaft als Messias antritt. Wir finden in diesem Abschnitt nicht Christus persönlich, aber wir lernen hier etwas davon, wie der Weg zu seiner Herrschaft geebnet und vorbereitet wird.

Schlussgedanke

Abschließend wollen wir noch eine wichtige Folgerung aufzeigen, die sich aus diesem fünften – und etwas düsteren – Kapitel Sacharjas ergibt: Gott bringt Segen, aber ohne dabei auch nur einen Bruchteil seiner Gerechtigkeit aufzugeben:

  • Der Fluch war schriftlich auf der großen Buchrolle fixiert. Die einen wird er treffen, die anderen finden Schutz durch den „Gehorsam des Einen“ (Röm 5,19).
  • Das abtrünnige Volk wird als götzendienerisch entlarvt und als solches gerichtet, bevor die Ungerechtigkeit des Landes weggenommen wird (Sach 3,9).

Gott ist überaus gnädig und bleibt doch gerecht.

Zusammenfassung

Die Frau im Epha, das nach Sinear gebracht wird, zeigt, dass Israel wieder götzendienerisch wird und Gott es als solches verurteilen muss.

Erst dann kann – für einen Überrest, der gerettet wird – die Zeit des Segens kommen. Gott ist gnädig und doch gerecht!

Fußnoten

  • 1 In Esra 6,2 wird das entsprechende (sehr ähnliche) aramäische Wort benutzt.
  • 2 „Siehe, ich komme“, Im Glauben Leben, 04/2019, S. 14.
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel (kaufen)