Das Bild gesunder Worte
„Halte fest das Bild gesunder Worte.“ (2. Tim 1,13)

Kapitel 10: Israel und die Versammlung

Um die Bibel richtig verstehen zu können, müssen wir die Wahrheit über die Haushaltungen kennen. Gott hat mit den Menschen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich gehandelt und dabei jeweils neue Offenbarungen über sich selbst und seinen Willen gegeben. Die Wahrheit über die Haushaltungen lehrt uns diese unterschiedlichen Wege in ihrer jeweiligen Art zu unterscheiden und so die Hauptkennzeichen jeder Haushaltung zu verstehen. Dadurch lernen wir den wahren Charakter unserer Berufung und unserer Haushaltung kennen.

Das herausragende Kennzeichen der vorhergehenden Haushaltung war Israel, Gottes auserwähltes, irdisches Volk. Unsere gegenwärtige Haushaltung begann am Pfingsttag (50 Tage nach Christi Auferstehung) und zeichnet sich durch völlig andere Merkmale aus: Die Versammlung, nicht Israel, spielt nun eine herausragende Rolle in Gottes Gedanken.

Wir meinen nicht die Juden, wenn wir von Israel sprechen. Wir meinen vielmehr, was diese Nation in Gottes ursprünglichem Plan war. Auch meinen wir mit der Versammlung nicht irgendein Gebäude, eine Denomination oder eine Gruppe von bekennenden Gläubigen, die an irgendeinem Ort miteinander verbunden sind, sondern einfach alle aus der Welt von Gott für Ihn selbst herausgerufenen Menschen in dieser Haushaltung, wo Christus verworfen ist. Wir sprechen also von der Versammlung gemäß dem ursprünglichen Entwurf und den Gedanken Gottes. Das aus dem Griechischem übersetzte Wort Kirche in den meisten Bibelübersetzungen bedeutet einfach die Herausgerufenen. So sind durch die Berufung Gottes und das Innewohnen des Heiligen Geistes alle Gläubigen zur Versammlung oder Kirche Gottes verbunden.

Das Wort Kirche oder Versammlung (ecclesia: die Herausgerufene) wird in der Schrift auf dreierlei Weise gebraucht: um die Gesamtheit der Christen an einem jeweiligen Ort zu bezeichnen (1. Kor 1,2; Kol 4,15); um die Gesamtheit der Christen weltweit zu einem bestimmten Zeitpunkt zu bezeichnen (1. Kor 10,32; 12,28; Eph 1,22); und um die Gesamtheit der Christen (herausgerufen und mit dem Heiligen Geist versiegelt) in dem Zeitraum zwischen Pfingsten und der Entrückung, dem Wiederkommen des Herrn bis in die Luft, zu bezeichnen (Eph 3,21; 5,25). Wir werden das Wort nun im weiteren Text allgemein in seiner dritten (universellen) Bedeutung verwenden. Wenn wir jedoch von der Versammlung sprechen, so wie sie heute auf der Erde existiert, meinen wir offensichtlich ihre vorherige Bedeutung, bei der die Versammlung einer Armee vergleichbar ist, die immer gleich bleibt, obwohl sich jedoch ihre Einheiten sowohl in Bezug auf ihre Besetzung als auch ihre Anzahl ändern.

Da die Begrifflichkeiten definiert sind, lasst uns nun einige Unterschiede nennen. Johannes der Täufer, der Vorläufer Christi, war der letzte einer langen Reihe von Propheten der vorigen Haushaltung. Gottes Reden in der alten Haushaltung endete mit ihm. „Das Gesetz und die Propheten waren bis auf Johannes; von da an wird das Evangelium des Reiches Gottes verkündigt“ (Lk 16,16).

Das Kommen Christi in diese Welt wurde von Zacharias als der „Aufgang [Sonnenaufgang] aus der Höhe“ (Lk 1,78) beschrieben. Sein Erscheinen auf der Erde verkündete die Dämmerung eines neuen Tages – noch nicht dessen tatsächlichen Beginn. Der Herr Jesus hatte inmitten Israels eine Mission zu erfüllen, sodass Er sich ihnen als ihr seit langem verheißener Messias präsentierte.

Des Weiteren mussten die Grundlagen für den Segen mit den Leiden auf Golgatha gelegt werden. Als alles das aber vorüber und der Herr gestorben, wieder auferstanden, in den Himmel hinaufgefahren war und den Heiligen Geist herabgesandt hatte, dann begann der neue Tag (die neue Haushaltung). Dieser war in der Tat neu: Er war von allem, was vorher war, völlig verschieden.

Das charakteristische Kennzeichen der alten Haushaltung war das Gesetz, wohingegen die Gnade das Hauptkennzeichen der neuen Haushaltung ist. Die alte Haushaltung begann mit der Gesetzgebung am Sinai. Unter dem Gesetz forderte Gott von dem Menschen. Gott sollte seine Forderungen von dem Menschen erhalten. Die Tatsache, dass der Mensch unmittelbar und vollständig versagte, hat die Menschen in keiner Weise von ihren neuen Verantwortlichkeiten entbunden. Dennoch sagte Gott zu Mose, dass Er mit Blick auf das Kommen Christi durch Barmherzigkeit die drohende Zerstörung zurückhalten würde (2. Mo 33,19). Jedoch war das Gesetz weiterhin ein Zuchtmeister oder Lehrer, bis Christus kam (Gal 3,24).

In der Fülle der Zeit kam Christus. In Ihm war eine Kraft, die stärker war als das Gesetz, was in der Begebenheit mit der sündigen Frau in Johannes 8,1–11 sichtbar wird. Unter dem machtvollen Einfluss der Gnade wurden die Heuchler weit effektiver überführt als unter Gesetz. Des Weiteren konnte dem Sünder vergeben werden, was das Gesetz nicht tun konnte. Heute gibt Gott, und der Mensch empfängt. Die neue Haushaltung wird also durch Gnade gekennzeichnet: „... die Gnade herrsche durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn“ (Röm 5,21).

In der alten Haushaltung drehte sich alles um Israel, wohingegen die neue mit der Versammlung verknüpft ist. Das Gesetz wurde nur Israel gegeben, sodass Gottes Aufmerksamkeit sich auf Israel als Nation konzentrierte. Ihre Vorrechte waren national, nicht individuell, obwohl Gott immer ein verborgenes Werk an Einzelnen tat, und das besonders in den Tagen, als die Nation als solche versagte. Doch ganz zu Beginn hatte Gott mit ihnen als Nation angeknüpft, und zwar unabhängig von dem geistlichen Zustand der Einzelnen: Israels Position vor Gott war auf nationaler Basis.

Auf der anderen Seite finden wir keinerlei nationale Gedanken in Bezug auf die Versammlung. Heute spricht Gott alle Nationen an, um „aus den Nationen ein Volk zu nehmen für seinen Namen“ (Apg 15,13.14). Diese für seinen Namen Herausgesammelten bilden die Versammlung. Die Versammlung ist somit extra-national, nicht national oder international. Sie liegt vollständig außerhalb jeglicher nationaler Unterscheidungen und ist davon völlig unabhängig. Die Versammlung ist eine Herde (Joh 10,16), ein Leib (1. Kor 12,13), ein geistliches Haus, eine heilige Priesterschaft (1. Pet 2,5) und eine Familie, die aus Kindern Gottes besteht (1. Joh 2,12; 3,1).

Des Weiteren besteht die Versammlung aus Individuen, die ihre persönliche Beziehung zu Gott in Ordnung gebracht haben, denen vergeben wurde und in denen nun der Heilige Geist Wohnung gemacht hat. Nur dann werden sie Glieder des Leibes und „lebendige Steine“ (1. Pet 2,5) in dem geistlichen Haus.

Mit Israel war eine rituelle Anbetung verknüpft – eine Anbetung, welche die zukünftigen Taten Gottes nur bildlich darstellte. Die Vorrechte der Versammlung jedoch sind mit ewigen Tatsachen verbunden – mit der Substanz statt mit ihrem Schatten. Die Anbetung der Versammlung besteht nicht aus materiellem Opferdienst oder symbolischen Zeremonien, sondern aus „Anbetung in Geist und Wahrheit“ (Joh 4,23.24). Das Gesetz (das Judentum) hatte nur „einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht der Dinge Ebenbild selbst“ (Heb 10,1). Doch für uns sind die besseren Dinge gekommen. Christus hat sie eingeführt (Heb 9,24; 10,12), der Heilige Geist hat sie offenbart (1. Kor 2,9.10) und der Gläubige kann sie mit dem Glaubensauge betrachten (2. Kor 4,18).

Israels Segnungen waren hauptsächlich irdisch und materiell, wohingegen die Segnungen der Versammlung himmlisch und geistlich sind. Als Israel endlich das verheißene Land besaß, wurden sie dazu aufgefordert, Gott zu danken, indem sie das erste der Ernte nahmen und in einem Korb vor den Herrn brachten, und zwar mit Danksagung für seine Güte auf ihren Lippen (5. Mo 26,1–11).

Doch wenn ein Christ sich Gott naht, ist das weit von diesem materialistischen Weg entfernt. Über unser himmlisches Erbe wird gesagt: Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus“ (Eph 1,3). Was für ein völliger Kontrast!

Israels Bestimmung ist es, in dem zukünftigen 1000-jährigen Reich des Herrn ein Kanal des Segens für alle Nationen zu sein (Jes 60). Die Bestimmung der Versammlung jedoch ist ihre Verbindung mit Christus im Himmel (Off 19,21), wo die Versammlung als Braut des Lammes gezeigt wird.

Obwohl der Tod Christi das Ende von Gottes Wegen mit Israel als Nation bezeichnete (sie offenbarten ihren völligen Hass gegen Gott), so handelte Gott dennoch gewissermaßen ergänzend mit Israel bis zu dem Tod von Stephanus (Apg 7,54–60), vielleicht sogar bis zur endgültigen Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. Und obwohl unsere gegenwärtige Haushaltung (und auch die Versammlung selbst) am Pfingsttag begann, so offenbarte Gott seine Gedanken über seine Versammlung im Verlauf vieler Jahre ebenfalls allmählich, insbesondere durch den Apostel Paulus.

Auch sollten wir festhalten, dass Gottes Wege mit Israel lediglich für eine Zeit beendet wurden. In der Zukunft werden sich alle herrlichen Verheißungen erfüllen, die dieser bevorzugten Nation gegeben worden sind. Israel wurde einfach auf eine Nebenstraße gestellt, während die Versammlung zurzeit die Hauptstraße besetzt. Wenn die Versammlung in den Himmel versetzt sein wird, dann wird Israel wieder auf die Hauptstraße des Handeln Gottes gebracht werden.

In Apostelgeschichte 7,38 spricht Stephanus von der „Versammlung in der Wüste“, so wie auch einige Kapitelüberschriften im Alten Testament in der King James Bibelübersetzung (KJV) von der Versammlung sprechen. Deshalb glauben viele, die Versammlung habe bereits zur Zeit des Alten Testamentes existiert. Israel war die „Versammlung“ oder „Gemeinde“ in der Wüste, genauso wie die unbändige Meute der Artemisanbeter in Apostelgeschichte 19,41 als „Versammlung“ bezeichnet wurde – diese kann jedoch keinesfalls mit der neutestamentlichen Versammlung in Verbindung gebracht werden.

Auch sind die Kapitelüberschriften der KJV nicht inspiriert; somit ist die Anwendung gewisser prophetischer Aussagen auf die Versammlung einfach eine irrtümliche Ansicht einiger wohlmeinender Männer. Nichtsdestotrotz ist dieser Fehler sehr ernst, da die Verwechslung von Israel mit der Versammlung von Menschen dazu benutzt wurde, um jüdische Grundsätze und Zeremonien in die Christenheit hineinzubringen.

Männer wie Abraham, Moses und Elia waren also niemals Teil der Versammlung: Sie gehörten der vergangenen Haushaltung an. Moralisch waren diese Männer Riesen, während viele von uns Gläubigen lediglich Zwerge sind. Gott wird sie für ihre Gottesfurcht segnen, jedoch nicht als Teil der Versammlung. Sogar Johannes der Täufer, demgegenüber es keinen Größeren gab, war, was die Haushaltung betrifft, geringer als der Geringste im Reich der Himmel (Mt 11,11). Er gehörte zu der Haushaltung der Knechtschaft; wir jedoch zu der Haushaltung der Sohnschaft (Gal 4,1–7).

Als der Herr Jesus auf der Erde war, sprach Er von einer neuen Sache, einem zukünftigen Werk, an dem diese großen Männer der damaligen Zeit kein Teil hatten. Auf Ihn selbst, den Felsen, sagte Er, „werde ich meine Versammlung bauen“ (Mt 16,18). Sie sollte auf den Sohn des lebendigen Gottes gegründet sein, nicht nur auf einen Propheten, egal wie groß dieser war. Dies ist unser Teil!

Israel war dazu berufen, das verheißene Land für Gott in Besitz zu nehmen, und zwar quasi als ein Pfand, dass die ganze Erde Ihm gehörte, obwohl sich Satan widerrechtlich die Herrschaft darüber angeeignet hatte. Als Israel das Land betrat, durchzogen sie den Jordan als das Volk „des Herrn der ganzen Erde“ (Jos 3,11–13). Des Weiteren war ihre Berufung, in der Welt das Volk zu erhalten, „aus denen, dem Fleisch nach, der Christus ist“ (Röm 9,4.5).

Zudem benutzte Gott Israel dazu, die totale Verdorbenheit des Menschen endgültig zu beweisen. Israel war von aller umliegenden Verdorbenheit abgesondert und über alle anderen hinaus bevorrechtigt. Doch so wie in den Schriften ihres eigenen Gesetzes gezeigt wird (Röm 3,9–18), haben sie völlig versagt und auf diese Weise den hoffnungslos gefallenen Zustand aller unter Beweis gestellt. Wenn, so wie Römer 3,19 es darstellt, das Gesetz sogar die auf besondere Weise behandelte und gesegnete Nation der Juden, die unter dem Gesetz war, völlig verurteilt, dann wird jeder Mund verstopft und „die ganze Welt ist dem Gericht Gottes verfallen“.

Auf der anderen Seite ist Gottes Gegenstand sowie Ziel mit der Versammlung, dass Er in ihr dargestellt wird. Sie ist der Leib Christi (Eph 1,23). Wir leben und drücken uns selbst in unseren physischen Körpern aus; so lebt und stellt auch Christus sich selbst auf der Erde in der Versammlung dar. Die Versammlung repräsentiert Ihn zudem auf der Erde, während Er hier verworfen und abwesend ist. Satan ist Christus, was seine persönliche Anwesenheit auf der Erde betrifft, losgeworden – dennoch ist Er hier, repräsentiert durch sein Volk. Wer die Kirche antastet oder irgendjemanden, der zu ihr gehört, tastet Ihn an. Saul verfolgte die Gläubigen, doch die Worte des Herrn an ihn lauteten: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ (Apg 9,4).

Die Versammlung ist auch das Haus Gottes, das einzige Haus, welches Er in der gegenwärtigen Zeit auf der Erde hat (1. Tim 3,15). Gott wird niemals aus seiner eigenen Welt hinausgeworfen werden! Daher wohnt Er heute in einem Haus, das kein weltlicher Anführer bis auf den Grund abbrennen oder zerstören könnte.

Gottes endgültige Absicht ist es, eine Braut für Christus zu haben (Eph 5,25–27), ein Volk, das zwar zurzeit seine Verwerfung als himmlische Fremdlinge teilt, jedoch in der Ewigkeit seine himmlische Herrlichkeit teilen wird.

Auch haben wir noch weitere Segnungen, die Israel niemals hatte. Eine der größten ist, dass wir Gott als Vater kennen, der in Christus völlig offenbart ist. „Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, der hat ihn kundgemacht“ (Joh 1,18). Dann haben wir noch die Tatsache, nicht die Verheißung, der vollendeten Erlösung. Die Verpflichtungen unter dem Gesetz wurden durch das echte Gold des vollendeten Werkes Christi ersetzt. Zudem wohnt nun der Heilige Geist in den Gläubigen (Joh 14,16; Apg 2,1–4). Obwohl der Heilige Geist immer seinen Einfluss auf der Erde ausgeübt hat, so ist doch sein Wohnen hier auf der Erde etwas Neues. Auch unsere Beziehung zu Gott ist neu. Wir sind nicht mehr Knechte, sondern Söhne (Gal 4,4–7).

Noch viel mehr könnte gesagt werden – doch diese vier Tatsachen sollen uns etwas von dem Reichtum des Segens, der uns Christen gehört, zeigen. Lasst uns Gott danken, dass wir auf dieser Seite des Kreuzes Christi leben!

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