Das Bild gesunder Worte
„Halte fest das Bild gesunder Worte.“ (2. Tim 1,13)

Kapitel 8: Gnade und Jüngerschaft

Das Wesen der Gnade Gottes ist, dass sie kosten- und bedingungslos ist. Die Voraussetzungen für ihren Erhalt sind Buße und Glaube, jedoch ist die Gnade an sich mit keinerlei Bedingung verknüpft. Manche Menschen geben mit einer Hand und nehmen mit der anderen oder fügen einer Gabe so viele Einschränkungen und Bedingungen bei, dass das Geschenk nutzlos für den Empfänger wird – doch das ist nicht Gottes Art zu handeln.

Dennoch teilt uns Lukas 9,23 mit: „Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme täglich sein Kreuz auf und folge mir nach.“ Warum das „Wenn“? Was bedeutet es? Ist die Errettung wirklich kostenfrei, oder müssen wir dafür mit dem Herrn eine Art Geschäft abschließen? Wie sieht es mit anderen Versen aus, die ähnliche „Wenns“ enthalten?

Als Antwort lies Lukas 14,25–35. Vers 26 sagt: „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater und seine Mutter und seine Frau und seine Kinder und seine Brüder und Schwestern, dazu aber auch sein eigenes Leben, so kann er nicht mein Jünger sein.“ Diese letzten Worte werden dreimal wiederholt (V. 26.27.33). Beachte, dass sie nichts über die Errettung sagen, sondern über Jüngerschaft!

Der vorausgehende Abschnitt (Lk 14,15–24) beinhaltet das Gleichnis von dem großen Gastmahl, das eine großartige Entfaltung der Gnade Gottes ist. Nachdem Er soeben die göttliche Gnade auf eine Weise beschrieben hatte, die große Menschenmengen anzog, prüfte der Herr Jesus anschließend ihre Echtheit, indem Er ihnen die Bedingungen für Jüngerschaft nannte.

Obwohl Gnade und Jüngerschaft zwei verschiedene Dinge sind, müssen sie doch gemeinsam und in ihrer richtigen Reihenfolge betrachtet werden. Gnade ist eine besondere Form oder Art göttlicher Liebe, die sich herabneigt, um zu denen zu gehen, die das absolut nicht verdient haben, und sich an ihre Bedürfnisse anpasst (obwohl sie diese Bedürfnisse bei Weitem übertrifft).

Auf der anderen Seite ist Jüngerschaft eine besondere Form oder Art der Liebe eines Gläubigen, eine Antwort auf die Liebe Gottes. Sie ist ein Rückfluss göttlicher Liebe zu ihrer Quelle. Ein Jünger ist sowohl ein Lernender als auch ein Nachfolger. Wenn eine Seele von der Gnade Gottes ergriffen wird und neues Leben in ihr entsteht, dann sind ihre ersten Regungen, mehr über ihren Heiland und von Ihm lernen zu wollen und Ihm nachzufolgen. Somit ist liebende Gnade die Kraftquelle der Jüngerschaft.

In dem oben genannten Gleichnis von dem großen Gastmahl sehen wir die Tür der Errettung weit aufgetan und die schlimmsten der Menschen eingeladen. Keine Forderungen, Bedingungen oder Abkommen werden ihnen auferlegt. Die Gnade wird nicht durch solche Dinge gehindert oder getrübt. Dennoch war der Herr sich zweier Dinge wohl bewusst, als Er dieses Gleichnis erzählte:

  1. Viele würden nur äußerlich bekennen, die Gnade empfangen zu haben. Aber es entsprach nicht der Realität.
  2. Diejenigen, die wirklich Gnade empfangen haben, haben dadurch eine „reaktionsfähige“ Liebe in ihren Seelen empfangen, die sie unwiderstehlich hinter dem Einen herzieht, von dem diese Liebe kommt. Diese Menschen haben den Wunsch, alles zu lernen, was Ihm wohlgefällig ist.

Das ist der Grund, weshalb der Herr seiner Erklärung über die Gnade dann Anweisungen für Jüngerschaft folgen lässt. Anschließend fügt Er zwei kurze Gleichnisse hinzu, welche die Wichtigkeit einer Kostenberechnung für Jüngerschaft aufzeigen (Lk 14,28–33).

Eines Tages sagte mir ein traurig aussehender Mann: „Es kostet zu viel, ein Christ zu sein.“ Hatte er recht? Wenn er meinte, dass es zu viel koste, errettet zu werden, dann lag er falsch, denn die Errettung kostet uns gar nichts. Die unermesslichen Kosten dafür sind auf den Einen gefallen, der fähig war, sie zu tragen; und indem Er für uns zur Sünde gemacht wurde, hat Er sie alle getragen.

Wenn dieser Mann jedoch meinte, dass es zu viel koste, ein Jünger zu sein, so lag er erneut falsch. In der Tat kostet es etwas, ein Jünger zu sein, aber es kostet nicht zu viel! Die Tatsache war, dass dieser traurig aussehende Mann nicht errettet war. Er hatte nie die Gnade geschmeckt, und so hatte er nichts auszugeben. Wenn jemand ohne Geld im Portemonnaie einkaufen geht, dann kostet alles zu viel! Der Mann stellte die Nachfrage vor das Angebot, den Wagen vor das Pferd.

Jüngerschaft kostet den Preis ständiger Opferbereitschaft unsererseits. Wir müssen daran arbeiten, unsere Stellung als Christen zu festigen, und erhebliche Energie aufwenden, um unsere Feinde zu bekämpfen.

Das erste Gleichnis, das die Kostenberechnung thematisiert (Lk 14,28–30), spricht von Arbeit.: „Denn wer unter euch, der einen Turm bauen will....“. Wenn du dem Herrn folgen möchtest, dann musst du einen Turm bauen. Ein Turm spricht von Schutz. Wir werden durch Gottes Kraft durch Glauben bewahrt (1. Pet 1,5). Wir sind dafür verantwortlich, uns selbst auf unseren allerheiligsten Glauben zu erbauen.

Deshalb ist das „Beten im Heiligen Geist“ unsere einzig richtige Haltung, und das Ergebnis ist, uns „selbst in der Liebe Gottes zu erhalten“ (Judas 20.21). Wir sind gut geschützt, wenn die Liebe Gottes uns quasi als unser Verteidigungsturm umgibt. Glaube erbaut. „Der Glaube“, wie er im Wort Gottes gefunden wird, ist die feste Grundlage, auf der wir bauen, und das Gebet die Haltung, die am besten in dieses Gebäude passt. Somit ist die bewusst gekannte Liebe Gottes unser Verteidigungsturm.

Alles das ist lediglich ein Mittel zum Zweck. Wir werden in der Defensive stark, damit wir offensiv gegen den Feind kämpfen können. Das sehen wir im zweiten Gleichnis (V. 31–33): „Oder welcher König, der auszieht...“. Ein Jünger sollte sich offensiv, zielgerichtet, kämpferisch bewegen. Beachte, dass dieser König einen anderen König mit zweifach größerer Heeresmacht anzugreifen beabsichtigte. Das ist ein mutiger Zug! Er war hinter seinem Rücken gut befestigt: Sein Turm war gebaut. Das ist die Art und Weise Gottes! Zum Beispiel wurde Davids „Turm“ durch die Erfahrungen in der Wüste gebaut, als er einen Löwen und Bären tötete. Deswegen ängstigte der Riese Goliath ihn nicht mehr.

Jüngerschaft bedeutet all dies. Es bedeutet ernsthaftes Gebet und ernsthaftes Bibelstudium. Es bedeutet tiefe Übungen und den Schrecken, die Welt, das Fleisch und den Teufel zu bekämpfen. Setz dich hin und berechne die Kosten! Ängstigt dich das? Wenn das so ist, dann zähle noch mal nach, aber im vollen Licht der Macht Gottes und der Reichtümer seiner Gnade – dann wirst du anfangen, „in Christus Jesus zu frohlocken“ und, was noch weiter geht, kein Vertrauen mehr auf Fleisch haben.

So gehen Gnade und Jüngerschaft Hand in Hand, wie das beim blinden Bartimäus sichtbar wurde (Mk 10,46–52). In der Person des Herrn Jesus stand die Gnade bei seinem Hilferuf still und gab ihm gerne alles, was er begehrte. „Und Jesus sprach zu ihm: Geh hin...“, das heißt: „Geh, wohin du willst: Es werden dir keine Bedingungen auferlegt.“ Aber wohin ging Bartimäus dann? „Und sogleich wurde er wieder sehend und folgte ihm nach auf dem Weg.“ Durch die Gnade gezogen, betrat er den Weg der Jüngerschaft. Er folgte Jesus nach (V. 52).

Jüngerschaft ist nicht nur ein paar wenigen Personen vorbehalten – wie beispielsweise einem Klerus. Es gibt in der Christenheit keine bevorzugten Personen. Alle Christen der Anfangszeit waren Gläubige und Heilige und Jünger (Apg 1,15; 6,1; 9,38; 19,9; 20,7). Auch Paulus war, wie alle anderen, ein Gläubiger, ein Heiliger und ein Jünger, obwohl er durchaus ein direkt vom Himmel Begabter, ein mit Autorität bekleideter Mensch war.

Leider hat die Welt das christliche Bekenntnis weithin eingenommen. Das schriftwidrige Klerus-Laien-System ist überall präsent. Jedoch kennt das wahre Christentum der Bibel nichts davon. Was für ein Armutszeugnis, wenn wir Erkenntnis, sozusagen geistliches Augenlicht, bekämen und anschließend, ungleich Bartimäus, uns in Jericho amüsieren gingen! Und doch existiert eine anhaltende Neigung in diese Richtung. Daher sagte der Herr zu einigen Gläubigen: „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wahrhaftig meine Jünger“ (Joh 8,31). Jüngerschaft ist eine Sache aller Christen, jedoch gibt es viele Gläubige, die nicht wirklich „Jünger“ sind – echte, ernsthafte Nachfolger des Herrn Jesus.

Lasst uns in Lukas 14,25–33 noch einmal die Voraussetzungen für christliche Jüngerschaft anschauen. Die ganze Angelegenheit wird auf die Notwendigkeit heruntergebrochen, Christus an die erste Stelle und alles andere an die letzte Stelle zu setzen. Im Vergleich gesehen, sollten wir alles andere hassen. Unsere Liebe zu Christus sollte im Vergleich zu unserer natürlichen Liebe in unseren Beziehungen so stark sein, dass die letztere wie Hass erscheint (Lk 14,26). Siehe Lukas 9,59.60 als Beispiel dafür.

Gleicherweise werden wir in Lukas 14,33 aufgefordert, allem zu entsagen, was wir haben. Unsere Zuneigungen sollten nicht unserem Besitz gelten, weil sie nun unserem Meister gehören und Ihm allein vorbehalten sein sollten. Das mag mitunter bedeuten, alles aufzugeben, wie es die Christen der Anfangszeit getan haben, oder wie Levi (Lk 5,27–29) – denn es ist möglich, „alles zu verlassen“ und doch Besitz zu haben. Levis Haus gehörte ihm weiterhin, jedoch wurde es zusammen mit seinem Geld nun für den Herrn verwendet, um ein großes Fest für Christus zu veranstalten und Sünder zu Ihm zu bringen. Das ist ein wichtiges Beispiel für uns!

Wenn Christus an erster Stelle stehen soll, dann muss das eigene Ich Platz machen – ein Jünger muss sich selbst verleugnen und täglich sein Kreuz aufnehmen (Lk 9,23–26). Wir müssen innerlich „Nein“ zu uns selbst sagen. Wir müssen wie ein toter Mann sein, wenn es um das Praktizieren unseres Willens geht. Dann müssen wir äußerlich täglich sein Kreuz aufnehmen. Wir müssen anerkennen, dass der Tod uns von der Welt und ihrer Pracht abschneidet. Wir müssen „Nein“ zur Liebe nach einem guten Ruf und Beliebtheit sagen. Alles das verlangt harte Arbeit von uns, die für das Fleisch bitter ist, aber sie wird durch die Liebe Christi versüßt! Das sind die Bedingungen für Jüngerschaft. Siehe auch Lukas 9,46–62.

Jüngerschaft bedeutet heute noch genau das gleiche wie vor 2000 Jahren. Es gibt geringfügige Unterschiede, weil wir in einer anderen Zeit leben, doch es bedeutet nach wie vor, „Nein“ zu unserem eigenen Willen zu sagen. Es bedeutet nach wie vor das Kreuz: Die Welt wird uns hassen. Früher (und in manchen Teilen der Welt auch heute noch) zeigte sich dieser Hass durch Schwert, Kreuz, wilde Tiere oder Flammen. Heute geschieht dies für gewöhnlich durch stille Verachtung, eine gut getimte Beleidigung oder gesellschaftlichen Ausschluss. Die früheren Angriffe waren oft schnell und hart, und alles war vorbei. In unserem Fall ist die Tendenz eher, dass Angriffe chronisch sind – milde, aber lang andauernd.

Jüngerschaft bedeutet nach wie vor, im Geist des Selbstgerichts sowie der Trennung von der Welt, selbst in ihren religiösen Formen, zu leben. Es bedeutet, alles Fragwürdige oder hinderliche Dinge, die andere zum Stolpern bringen, um seines Namens willen aufzugeben – selbst Dinge, die an sich zulässig sind, weil unsere Frage stets ist: „Was möchte Er?“

Offensichtlich wird ein wahrer Jünger in dieser Welt viel verlieren. Aber er „empfängt vielfach in dieser Zeit, und in dem kommenden Zeitalter ewiges Leben“ (Lk 18,30). Der Gewinn ist für den natürlichen Menschen nicht besonders ansprechend: Es ist ein höherer (ein geistlicher) Gewinn. „Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein. Wenn jemand mir dient, so wird der Vater ihn ehren“ (Joh 12,26). Der Gewinn besteht darin, dass wir bei Christus sind und vom Vater geehrt werden! Wer könnte einen so wunderbaren Gewinn ausloten!

Nachdem ihnen etwas über Jüngerschaft gesagt worden war, durften drei Jünger einen kurzen Einblick in diesen „Gewinn“ bekommen, als sie Zeugen der Verklärung wurden (Lk 9,27–36). Sie waren „mit ihm auf dem heiligen Berg“ (2. Pet 1,16–18). So bezeichnete Paulus, der alles für Christus verloren hatte, den Gedanken an die Verlustseite der Jüngerschaft als „das schnell vorübergehende Leichte unserer Trübsal“ und stellte die Gewinnseite vor als „ewiges Gewicht von Herrlichkeit“ (2. Kor 4,17.18).

Noch eine Begriffsunterscheidung: Paulus war ein Apostel, aber er war auch ein Jünger. Diese beiden Dinge werden klar voneinander unterschieden, wie uns Lukas 6,13 zeigt: „Als es Tag wurde, rief er [der Herr Jesus] seine Jünger herzu und erwählte aus ihnen zwölf, die er auch Apostel nannte.“ Das Wort Jünger bedeutet, ein „Belehrter“ oder „Geübter zu sein. Das Wort Apostel bedeutet „Gesandter“. Jeder wahre Nachfolger des Herrn war ein Jünger, aber nur die zwölf vom Herrn Gesandten (plus andere zu einem späteren Zeitpunkt, einschließlich Paulus) waren Apostel. Sie hatten eine einmalige Stellung der Autorität und des Dienstes. Sie waren an der Grundlegung der Versammlung beteiligt (Eph 2,20) und sind schon lange gestorben. Aber bis heute gibt es Millionen von Jüngern des Herrn.

Die Kraft zur Jüngerschaft kann nur in Gott gefunden werden, aber sie erreicht uns auf einfache Weise – denn in der Zuneigung liegt eine impulsive (explosive, motivierende, antreibende) Kraft verborgen. Wenn die Liebe Gottes selbst das dunkelste Herz berührt, lernt dieses eine neue, anspornende Kraft kennen, und die Jüngerschaft beginnt. Dieselbe Kraft, welche die Jüngerschaft ins Leben ruft, erhält diese auch. Lies dazu Johannes 1416 – ein „Handbuch“ zur Jüngerschaft. Du wirst feststellen, dass die Liebe die Quelle von allem ist. Der Heilige Geist ist die Kraft, und der Gehorsam (gegenüber den Geboten des Herrn) ist der Weg, auf den der Geist den Jünger leitet.

Wenn du als Jünger des Herrn Jesus leben möchtest, brauchst du dafür drei Dinge. Erstens brauchst du geistliche Weisheit und Unterscheidungsvermögen (ein korrektes Urteilsvermögen), die allein aus der Schrift kommen, wo wir den Willen des Herrn für unser Leben finden. Als Jünger ist es unsere Aufgabe (mit der Hilfe des Heiligen Geistes), diesen Willen zu suchen. Das bedeutet, dass wir unsere Bibel sehr gut kennen und sie sorgfältig studieren müssen.

Das Gebet ist die zweite Sache. Wir müssen einen Geist der Abhängigkeit von Gott aufrechterhalten, und das geschieht durch Gebet. Drittens muss es uns stets ein Anliegen sein, gehorsam zu sein. Als Jünger ist es unsere Aufgabe, gehorsam zu sein, und nicht irgendwelche „großen“ Dinge zu tun, von denen wir annehmen, dass sie dem Herrn gefallen würden. Deswegen lasst uns jede „Bürde“ ablegen, die uns daran hindern könnte (Heb 12,1), und an die Worte unseres Meisters denken: „Wenn ihr dies wisst, glückselig sei ihr, wenn ihr es tut“ (Joh 13,17).

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