Botschafter des Heils in Christo 1861

Das Kommen des Herrn und der Tag des Herrn

Es mag manchem Leser beim Betrachten dieses Kapitels fremd erscheinen, dass der Geist Gottes hier, anstatt zuerst vom Kommen des Herrn zu reden, sogleich mit dem Tag des Herrn beginnt. Dieser Abschnitt der heiligen Schrift, sowie andere der Art, haben beim oberflächlichen Lesen nicht selten Veranlassung gegeben, beides mit einander zu verwechseln. Doch wir können immer versichert sein, dass die Torheit Gottes weiser ist als die Menschen (1. Kor 1,25).

Petrus schreibt hier an Solche, die früher zu den Juden gehörten und deshalb mit dem Gedanken „des Tages des Herrn“ vertrauter waren; denn im Alten Testamente ist viel von demselben, als von dem schrecklichen Tage der göttlichen Handlung mit der bewohnbaren Erde, die Rede; und gerade um diesen Punkt handelt es sich hier. Es ist nicht nur die Zeit, wo die Menschen auferweckt, um vor dem großen, weißen Thron gerichtet zu werden. Der Tag des Herrn ist die Handlung Gottes mit der Welt, wie sie ist; er beendet ihren Lauf; er hemmt ihr Dichten und Trachten, ihre Geschäfte und ihre Spekulationen, ihre Freuden und Lustbarkeiten, und fordert Rechenschaft von ihnen. Das Alte Testament beschäftigt sich mit dem Menschen auf der Erde und legt deshalb große Wichtigkeit auf „diesen Tag.“ Das Gericht des großen, weißen Thrones ist außerhalb der Welt. Himmel und Erde werden dann verschwunden sein. Dies Gericht steht nicht in Verbindung mit der Zeit, sondern führt in die Ewigkeit ein.
In dem vorliegenden Kapitel tritt uns die Weisheit Gottes auf eine so deutliche Weise entgegen. Diese Menschen, wovon hier die Rede ist, spotten nicht über den Tag des Herrn – sogar ein unbekehrter Jude, mit dem Alten Testament in seiner Hand, würde sich gefürchtet haben als ein Verächter desselben erfunden zu werden – sondern sie sagten: „Wo ist die Verheißung seiner Ankunft?“ (Vers 4). Ihr Christen wartet auf die Ankunft Christi, um dadurch glücklich gemacht zu werden. Ihr seid das elendeste Volk in der Welt; – ihr erfreut euch an Nichts; ihr trennt euch von allen Interessen und Vergnügungen; ihr tadelt alles, nicht allein unsere bösen Wege, sondern auch unsere besten Bestrebungen; und nach allein – Er kommt nicht. Wo ist die Verheißung seiner Ankunft? Durch jene Vorwürfe wird in Wahrheit der Platz bezeichnet, auf welchen das Kommen des Herrn den Christen stellt.
Was sagt nun der Geist Gottes von denen, welche die Hoffnung der Heiligen leugnen. Er redet nicht mit ihnen über diese Hoffnung des Christen, einen Gegenstand, den sie geringschätzen, sondern Er warnt sie vor einer schrecklichen Szene, die sie vergessen hatten; Er redet zu ihnen von dem „Tage des Herrn.“ Er übergeht den Gegenstand der Hoffnung der Versammlung und des Christen – das Kommen des Herrn, um uns zu sich aufzunehmen, um uns von dieser traurigen Szene hienieden hinweg in den Himmel zu, versetzt und uns in Frieden und auf ewig gesegnet vor dem Vater darzustellen. In dem zweiten Briefe des Petrus geht der Heilige Geist in diesen köstlichen Gegenstand nicht ein. Wohl gibt Er uns in Judas 24 einen kleinen, vorübergehenden Eindruck von den Segnungen der Heiligen vor Gott, indem Er sagt: „Dem aber, der euch ohne Anstoß zu bewahren, und euch vor seiner Herrlichkeit tadellos mit Frohlocken darzustellen vermag ...“ Hier haben wir einen Blick in die tiefe, innere Freude der Heiligen Gottes, wovon die Welt nichts weiß. Sie weiß nichts von dem, was den Christen in der Gegenwart Gottes, des Vaters erfreut, noch will sie etwas von dem Kommen des Herrn wissen, welches uns in jene Segnung einführt. Doch wird die Welt den Tag des Herrn sehen. Wenn dieser Tag erscheint, dann wird der Herr alle die Seinen im Himmel haben, im vollen Glänze und im vollkommenen Genuss der Freude im Haus des Vaters. Danach wird Er sie hervorbringen, und sie in der Herrlichkeit seines Vaters vor den Engeln und der Welt darstellen, worauf dann das vergeltende Gericht stattfinden wird.
Der Herr wird vom Himmel herniederkommen und mit den Menschen handeln inmitten ihrer Wege, ihrer Geschäfte und Pläne hier unten. – Dies ist es, womit sich der zweite Brief des Petrus beschäftigt. Ihr spottet, sagt er gleichsam, über unsere Hoffnung; aber ich will euch an eure Furcht erinnern, und wenn ihr davon hört, so mögt ihr zittern. „Dies eine sei euch nicht unbekannt, (und die Geliebten Gottes mögen wohl daran denken) dass ein Tag bei dem Herrn ist, wie tausend Jahre, und tausend Jahre, wie ein Tag“ (Vers 8). Der Herr kann die Ereignisse auf eine erstaunliche Weise zusammendrängen, so dass die, welche einen Zeitraum von tausend Jahren zu erfordern schienen, auf einen einzigen Tag zusammenfallen, während Er die Ereignisse eines Tages in eine Dauer von taufend Jahren auszudehnen vermag. Der Herr ist in der Erfüllung seiner Verheißung nicht lässig; Er ist bereit, den schrecklichen Schlag zu tun, der auf diese Welt fallen wird; „doch Er will nicht, dass irgendwelche umkommen, sondern dass alle zur Buße kommen.“ Dies verwirft die schreckliche Meinung, dass irgendein Mensch nach dem Vorsatz Gottes geschaffen sei, um in die Hölle geworfen zu werden. Gott wünscht im Gegenteil, zu erretten. Sein Herz jammert über die Menschen und Er wartet auf sie. Er ladet sie ein, Er sendet ihnen das Evangelium, um es aufzunehmen. Ohne Zweifel ist es Gnade, und nur Gnade, welche eine Seele für die Liebe Gottes erweckt; aber es ist die Sünde, der Unglaube des Menschen, der ihn in der Verwerfung seiner Gnade gefangen hält.
Ob nun der Verzug kurz oder lang sei, ob er tausend Jahre oder einen Tag dauere – „der Tag des Herrn wird kommen, wie ein Dieb in der Nacht.“ Er wird plötzlich hereinbrechen und wird dieser Welt ganz und gar unwillkommen sein. Er umfasst den ganzen Zeitraum von dem Kommen des Herrn zum Gericht bis zu dem großen, weißen Thron. Ehe dieser Tag beschlossen wird, „werden die Himmel mit gewaltigem Geräusch vergehen die Elemente aber durch Brennen der Hitze aufgelöst, und die Werke auf ihr verbrennen“ (Vers 10).
„Weil denn dieses alles vergeht, welche sollt ihr denn sein in allerlei heiligem Wandel und Gottseligkeit!“ (Vers 11). Wir mögen es, fühlen und sollen es auch fühlen, was der Mensch in seinem Gespött gegen die Wahrheit Gottes ist. Doch die beste Antwort auf dies alles ist die Wirkung, welche auf unsere Seele und unseren Wandel hervorgebracht wird, sowohl durch die Erkenntnis jener Hoffnung, als auch durch das Bewusstsein des schrecklichen Gerichts, welches jene erwartet, die nicht nur die Rechte Gottes, sondern auch seine Gnade verwerfen. Der Herr zeigt uns hier die Wichtigkeit davon. „Welche sollt ihr denn sein, erwartend und beschleunigend die Ankunft des Tages Gottes“ (Vers 12). Das ist: wir wünschen nicht um unsertwillen den Aufschub dieses Tages, sondern wir lieben die Langmut Gottes gegen die Menschen; und dies beruhigt unsere Herzen über diesen Aufschub, während wir uns Persönlich nach der Ankunft des Herrn sehnen; denn wir wissen, dass, wenn Er gekommen ist und uns mit allen Heiligen weggenommen hat, der Tag Gottes bald über die Erde hereinbrechen muss.
„Wir erwarten aber nach seiner Verheißung neue Himmel und eine neue Erde, in welchen die Gerechtigkeit wohnt“ (Vers 13). Dies gibt uns der Schlüssel zu den Briefen des Petrus Gerechtigkeit ist der leitende Gedanke, sowohl in diesem als in dem ersten Briefe. Das Kommen des Herrn für die Seinen ist nicht die Darstellung der Gerechtigkeit, sondern die Entfaltung seiner Gnade. Mit uns, welche Er erwählt hat, bei Ihm zu sein hat Er in völliger und himmlischer Gnade begonnen und wird damit enden. Aber hier haben wir den Tag des Herrn, welcher sogar für uns einen Anblick der Gerechtigkeit darbietet. Wenn aber dieser erscheint, werden wir offenbart sein. „Der Tag wird offenbar.“ Es ist die Zeit, wo wir für unsere Leiden und unsere Treue hienieden Belohnung finden werden; und es ist Zugleich die Zeit, welche offenbar machen wird, wo wir untreu waren und warum wir fielen. Der Tag des Herrn wird nicht eher geschlossen werden, bis alles Böse verbannt und die Gerechtigkeit eingeführt und befestigt, und bis alle Feinde verschwunden sind. Dieser Tag offenbart eine ebenso vollkommene Gerechtigkeit, wie sein Kommen die vollkommene Gnade offenbart. Es ist nirgends gesagt, dass die Welt das Kommen des Herrn in Bezug auf seine Heiligen sehen wird; doch wird sie ohne Zweifel diese vermissen. Die Ermahnung der Gnade wird alsdann beendigt sein, obgleich noch ein Zeugnis von dem kommenden Reich und dem Gericht stattfinden wird und einige Herzen dasselbe aufnehmen werden; doch nicht einen Schimmer von Hoffnung bietet die Schrift denen dar, welche jetzt das Evangelium verwerfen.

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