Der erste Brief an die Korinther

Kapitel 11

Der erste Brief an die Korinther

Die Kapitel 11 bis 14 beinhalten Belehrungen, die das ganze christliche Zeitalter hindurch für das Volk Gottes von größter Wichtigkeit sind, da sie die Gläubigen betrachten, wie sie in einer beliebigen Gegend an einem Ort versammelt sind; sie stellen uns die Ordnung Gottes für solche Zusammenkünfte vor.

Es ist eine große Barmherzigkeit, dass wir inmitten des Durcheinanders und der Unordnung in dem Christentum, wo die Ordnung Gottes weitestgehend durch menschliche Ordnungen beiseite gesetzt worden ist, eine inspirierte Aufzeichnung der Gedanken Gottes über das Zusammenkommen Seines Volkes besitzen. Wenn wir jede Verbindung mit irgendeiner Form des Zusammenkommens, in dem die Ordnung Gottes nicht beachtet wird, ablehnen, ist es noch immer möglich, durch das Beachten der apostolischen Anweisungen in einfältigem Gehorsam unter Gottes Wort in der Schlichtheit der göttlichen Ordnung zusammenzukommen.

Ein Hinweis auf Kap 11,17.18.20.33+34 sowie Kap 14,23.26.28.34+35 macht ganz deutlich, dass diese Kapitel das Volk Gottes betrachten, wie es sich an einem bestimmten Ort versammelt.

  • Zuerst werden wir in Kap 11,1-16 über die Ordnung Gottes in der Schöpfung belehrt; dies ist eine notwendige Einleitung für die Ordnung Gottes in der Versammlung.
  • Zweitens lernen wir in Kap 11,17-34, dass der Herr selbst der erhabene Mittelpunkt für Sein Volk ist, und dass der höchste Beweggrund, der das Volk Gottes zusammenführen kann, das Gedächtnis Seiner Person in der Feier Seines Mahles ist. Wir werden dort bezüglich der Voraussetzungen, des Zustandes und des Verhaltens belehrt, das für diesen heiligen Anlass passend ist.
  • Drittens werden wir in Kap 12 über das souveräne Handeln des Heiligen Geistes belehrt, wie Er in dem Leib Christi Gaben austeilt, „einem jeden insbesondere austeilend, wie er will“ (Vers 11); und auch darüber, dass unser Versammeltsein durch die große Tatsache reguliert wird, dass die Gläubigen Glieder des Leibes Christi sind und der Heilige Geist die Kraft für jeden Dienst ist.
  • Viertens lernen wir in Kap 13, dass die Gesinnung, die den Leib Christi mit Leben erfüllt, die Liebe ist; sie ist die Quelle jedes wahren Dienstes.
  • Als fünftes werden wir in Kap 14 hinsichtlich der Ausübung des Dienstes in den Zusammenkünften belehrt; alles soll in Liebe, zur Auferbauung und entsprechend der göttlichen Ordnung geschehen.

Auf die Belehrungen des ersten Teiles dieses Briefes, die uns in Bezug auf unser persönliches Verhalten Anweisungen geben, folgen nun Belehrungen über die Ordnung Gottes in der Schöpfung, um uns als Männer und Frauen in die richtige Beziehung zueinander zu setzen und uns dafür zuzubereiten, unseren Platz in der Versammlung in der richtigen Beziehung zueinander einzunehmen.

Vers 2

„Ich lobe euch aber, dass ihr in allem meiner eingedenk seid und die Überlieferungen, wie ich sie euch überliefert habe, festhaltet“.

In Übereinstimmung mit der Gnade, die ihre Freude daran hat, alles anzuerkennen, was bei den Heiligen von Gott ist, beginnt der Apostel diesen neuen Teil seines Briefes mit einem Wort des Lobes. Wenn es auch in dieser Versammlung so vieles gab, was zu verurteilen war, kann der Apostel sie doch zumindest dafür loben, dass sie sich in all ihren Fragen an ihn erinnert und die von ihm überlieferten Anordnungen oder Unterweisungen bewahrt hatten.

Vers 3

„Ich will aber, dass ihr wisst, dass der Christus das Haupt eines jeden Mannes ist, das Haupt der Frau aber der Mann, das Haupt des Christus aber Gott“.

Mit diesem Wort der Anerkennung geht der Apostel nun dazu über, Anweisungen zu geben, die darauf schließen lassen, dass unter den Gläubigen in Korinth auch noch andere schwerwiegende Unordnungen bestanden. Offenbar hatten Frauen ihre rechtmäßige Stellung der Unterordnung verlassen, während Männer wohl ihren Platz der Autorität aufgegeben hatten.

Um diese Unordnung zu korrigieren, benutzt der Apostel einen Weg, der in der Heiligen Schrift oft gewählt wird, um Fragen und Schwierigkeiten zu klären. Damit wir die Grundsätze kennen lernen, die bei jeder Frage oder Schwierigkeit berührt werden, werden wir dahin zurückgeführt, wo diese Grundsätze zum ersten Mal vorgestellt werden. Hier, wo eine Frage bezüglich der Stellungen und Beziehungen von Mann und Frau aufgekommen war, werden wir dahin zurückgeführt, wo diese Ordnung zum ersten Mal in der Schöpfung aufgestellt worden ist. Es ist wahr, dass in Christo - in der neuen Schöpfung - weder Sklave noch Freier, weder Mann noch Frau ist (2. Kor 5,17; Gal 3,28); sowohl in der alten Schöpfung als auch in der Versammlung bestehen diese Unterschiede jedoch noch. Das Christentum setzt die Ordnung der Schöpfung nicht beiseite, wie groß die verliehenen gemeinschaftlichen Vorrechte auch sein mögen; und der Christ ist verantwortlich, diese Ordnung zu beachten, während er in seinem sterblichen Leib in einer Szene lebt, wo diese Unterschiede noch bestehen.

Als erste große Wahrheit in Verbindung mit der Schöpfung stellt der Apostel fest, „dass der Christus das Haupt eines jeden Mannes ist“. An dieser Stelle gibt es keine Andeutung darauf, dass Christus auch in Bezug auf Seine Versammlung das Haupt ist. Hier wird festgestellt, dass Christus dadurch, dass Er Mensch geworden und in diese Schöpfung eingetreten ist, zwangsläufig den Platz des Vorrangs und der Autorität über den Menschen eingenommen hat. Ferner ist „das Haupt der Frau aber der Mann, das Haupt des Christus aber Gott“. Diese letzte Feststellung tut der Gottheit des Sohnes absolut keinen Abbruch. Es ist in dieser Stelle hier nicht eine Frage der Gottheit Christi, sondern es betrifft Seinen Platz, den Er in der Schöpfung eingenommen hatte. Die einfache und schöne Ordnung in der Schöpfung ist also diese: das Haupt der Frau ist der Mann, das Haupt des Mannes ist Christus, und das Haupt des Christus ist Gott.

Die Quelle aller Gesetzlosigkeit, Unordnung und des sich daraus ergebenden Elends in dieser gegenwärtigen Welt kann bis zu dem Fall zurückverfolgt werden, wo die Frau dazu verführt wurde, den Platz der Unterordnung unter den Mann zu verlassen, und wo auch der Mann in seiner Stellung der Autorität über die Frau versagt hatte. In Bezug auf die Schöpfungsordnung haben beide, Mann und Frau, versagt; Christus jedoch ist in diese Schöpfung hineingekommen, und bei Ihm ist kein Versagen und kann auch gar kein Versagen sein. Von Anfang bis zum Ende Seines wunderbaren Weges war Er der vollkommen unterwürfige Mensch, der nur den Willen Gottes tat - sogar bis zum Tod. Während das Versagen des Menschen diese Szene mit Gesetzlosigkeit und Elend erfüllt hat, wird die Vollkommenheit Christi allen denen, die sich Ihm als dem Haupt unterwerfen, Ordnung und Segen bringen; und letztlich wird auch durch Ihn eine neue Erde und neue Himmel eingeführt werden, wenn Gott alles in allem sein wird.

Im christlichen Kreis sollte man noch den Segen der Schöpfungsordnung genießen können. Wenn sich die Frau dem Mann unterordnet und der Mann seine Autorität in der rechten Weise ausübt und seinerseits auch Christus unterworfen ist - dem Einen, der als Mensch vollkommen Gott unterworfen war -, dann wird Ordnung anstelle von Durcheinander die Folge sein, und Abhängigkeit anstelle von Gesetzlosigkeit.

Verse 4-6

„Jeder Mann, der betet oder weissagt, indem er etwas auf dem Haupt hat, entehrt sein Haupt. Jede Frau aber, die betet oder weissagt mit unbedecktem Haupt, entehrt ihr Haupt; denn es ist ein und dasselbe, wie wenn sie geschoren wäre. Denn wenn eine Frau nicht bedeckt ist, so lasse sie sich auch das Haar abschneiden; wenn es aber für eine Frau schändlich ist, dass ihr das Haar abgeschnitten oder sie geschoren werde, so lass sie sich bedecken“.

Der Apostel fährt damit fort, die Auswirkungen dieser Schöpfungsordnung auf gläubige Männer und Frauen zu zeigen. Er weist auf das Beten und das Weissagen hin, wo wir einerseits für uns oder für andere zu Gott reden, und andererseits im Auftrag Gottes zu den Menschen reden. In Verbindung mit dem Beten und auch mit dem Weissagen spricht er davon, dass das Haupt der Frau als Zeichen der Unterwürfigkeit bedeckt, und das Haupt des Mannes als Zeichen der Autorität unbedeckt sein soll. Wenn der Mann mit bedecktem Haupt betet oder weissagt, so entehrt er sich selbst, denn er bekennt, vor Gott zu treten im Gebet für andere bzw. von Gott zu den Menschen zu reden, und verlässt doch zur gleichen Zeit den Platz der Autorität, den Gott ihm eingeräumt hat. Könnte er sich unter solchen Umständen wundern, wenn weder Gott noch die Menschen auf ihn hören würden?

Wenn eine Frau mit unbedecktem Haupt betet oder weissagt, so bekennt sie damit einerseits ihre Stellung der Abhängigkeit von Gott (im Gebet), oder andererseits, dass sie aus der Gegenwart Gottes ausgeht (beim Weissagen), und zur gleichen Zeit verlässt sie den Platz der Unterwürfigkeit, an den Gott sie gestellt hat. Beide entehren in jedem dieser Fälle sich selbst, denn jeder, der seine Stellung verlässt, ist in den Augen Gottes entehrt. Die unbedeckte Frau nimmt praktischerweise den Platz eines Mannes, dessen Haupt ja geschoren ist, ein. Schon allein die Tatsache, dass es für eine Frau schändlich ist, wenn ihr Haupt geschoren ist, sollte sie dazu bewegen, sich zu bedecken.

Vers 7

„Denn der Mann freilich soll nicht das Haupt bedecken, da er Gottes Bild und Herrlichkeit ist; die Frau aber ist des Mannes Herrlichkeit“.

Der Apostel zeigt uns nun den Grund für diese Schöpfungsordnung. Der Mann wurde in die Schöpfung hineingestellt, um als der Vertreter Gottes auf der Erde Herrschaft auszuüben; und es war seine Verantwortung, als solcher auch Autorität zu wahren. In der Ausübung seiner Verantwortung würde er Gott verherrlichen. Und wenn die Frau ihren Platz der Unterordnung beibehält, so wird sie des Mannes Herrlichkeit sein.

Verse 8-10

„Denn der Mann ist nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann; denn der Mann wurde auch nicht um der Frau willen geschaffen, sondern die Frau um des Mannes willen. Darum soll die Frau eine Macht auf dem Haupt haben um der Engel willen“.

Der Apostel erinnert uns daran, dass die Frau von dem Mann und für den Mann geschaffen wurde. Dieser Tatsache wegen soll sie das auf ihrem Haupt tragen, was das Zeichen dafür ist, dass sie eine Macht über sich hat. Dadurch wird ein Zeugnis abgelegt - nicht nur vor Menschen, sondern auch vor den Engeln, die interessierte Beobachter sowohl der Schöpfungsordnung Gottes als auch der Weisheit Seiner Wege in der Versammlung sind (siehe 1. Kor 4,9; Eph 3,10).

Verse 11+12

„Dennoch ist weder die Frau ohne den Mann noch der Mann ohne die Frau im Herrn. Denn so wie die Frau vom Mann ist, so ist auch der Mann durch die Frau; alles aber von Gott“.

Diese Frage von Macht und Unterordnung in der Schöpfungsordnung schwächt jedoch auf gar keinen Fall die Tatsache ab, dass Mann und Frau voneinander abhängig sind. Es ist eine gegenseitige Abhängigkeit, von der jedoch 'im Herrn' Gebrauch zu machen ist. In der Welt geben Männer und Frauen ihre Treue zu Gott auf und trachten daher in zunehmendem Maß danach, unabhängig voneinander zu sein. Im Christentum werden wir zu der Abhängigkeit dem Herrn gegenüber zurückgeführt - und damit auch zur Abhängigkeit voneinander -, und zu der Erkenntnis, dass alles von Gott ist. Wie könnten wir unabhängig von Dem sein, aus dem wir unseren Ursprung haben?

Verse 13-15

„Urteilt bei euch selbst: Ist es anständig, dass eine Frau unbedeckt zu Gott betet? Lehrt euch nicht auch die Natur selbst, dass, wenn ein Mann langes Haar hat, es eine Unehre für ihn ist, wenn aber eine Frau langes Haar hat, es eine Ehre für sie ist, weil ihr das Haar anstatt eines Schleiers gegeben ist“?

Nachdem der Apostel für die Schöpfungsordnung eingetreten ist, spricht er nun die Natur an, von der man lernen kann, was anständig und geziemend ist. Da die Frau in ihrem langen Haar einen natürlichen Schleier besitzt, deutet also schon die Natur ihren Platz der Unterordnung an; und sie zeigt uns, dass eine verborgene Frau eine schöne Frau ist, während eine Frau, die ihr Haar abschneidet und den Mann nachahmt, vor allen verächtlich ist. Und genauso  bringt auch ein Mann mit langem Haar Schande über sich selbst.

Vers 16

„Wenn es aber jemand für gut hält, streitsüchtig zu sein, so haben wir solch eine Gewohnheit nicht, noch die Versammlungen Gottes“.

Als letztes kann sich der Apostel noch auf die Gewohnheiten berufen. Wenn jemand streitsüchtig ist, so steht er allein in einer Beurteilung, die den Gewohnheiten der Versammlungen entgegengesetzt ist. Folglich können sogar, wenn grundlegende Prinzipien nicht berührt werden, Gewohnheiten als ein Argument zur Aufrechterhaltung der Ordnung angeführt werden. Es ist schon gesagt worden, dass das Geringschätzen oder Verachten von Gewohnheiten weder auf das Gewissen noch auf die Geistlichkeit hindeutet, sondern eine fleischliche Liebe erkennen lässt, die sich von anderen unterscheiden oder abheben will - im Grunde reine Eitelkeit.

Um die richtige Stellung von Mann und Frau in ihren Beziehungen zueinander zu zeigen, hat der Apostel also davon gesprochen, was für die Schöpfung gilt (Verse 3-10), was richtig ist 'im Herrn' (Verse 11+12) und was nach den Gewohnheiten anerkannt ist (Vers 16). In dem nun folgenden Abschnitt geht er nun dazu über, von dem Aufrechterhalten der Ordnung Gottes bei den Gelegenheiten zu sprechen, wo das Volk Gottes als Versammlung zusammenkommt; auf diesen Gegenstand sind wir durch die Schöpfungsordnung vorbereitet worden.

Vers 17

„Indem ich aber dieses vorschreibe, lobe ich nicht, weil ihr nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren zusammenkommt“.

Ach; leider gab es in der Versammlung in Korinth so schwerwiegende Unordnungen, dass das Feiern des Gedächtnismahles, das eigentlich zu ihrem Segen hätte sein sollen, der Anlass für das richterliche Handeln Gottes mit ihnen geworden war. Sie waren nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren zusammengekommen.

Verse 18+19

„Denn zuerst einmal, wenn ihr als Versammlung zusammenkommt, höre ich, es seien Spaltungen unter euch, und zum Teil glaube ich es. Denn es müssen auch Parteiungen unter euch seien, damit die Bewährten unter euch offenbar werden“.

Statt dass das Zusammenkommen der Korinther als Versammlung Ausdruck gab von ihrer Einheit als Glieder des einen Leibes, wie es in dem Brot vorgestellt ist, offenbarte es nur den Geist der Spaltungen, der unter ihnen bestand. Es gab Spaltungen unter ihnen, die zu Parteiungen oder Sekten führten, die sich in der Versammlung bildeten. Die beiden griechischen Ausdrücke für Spaltung und Parteiung haben eine unterschiedliche Bedeutung und drücken verschiedene Gedanken aus. Eine Spaltung (gr. Schisma) bedeutet unterschiedliche Ansichten, Gedanken und Empfindungen, die inmitten der Versammlung bestehen. Eine Parteiung (gr. Hairesis) ist eine Sekte oder Gruppe, die sich unter den Heiligen gebildet hat, um eine besondere Lehrmeinung zu vertreten oder einem bevorzugten Lehrer nachzufolgen. In der Versammlung in Korinth bestanden offensichtlich beide Zustände; aber innerliche Spaltungen, die nicht gerichtet werden, werden rasch zu äußerlich sichtbaren Parteiungen oder Sekten führen, oder sogar zu einem völligen Auseinanderbrechen der Versammlung in verschiedene Gruppen.

Der Zustand in der Versammlung in Korinth war offenbar so schlecht geworden, dass Gott es zugelassen hatte, dass sich diese Spaltungen hin zu Parteiungen auswirkten. Es war die Absicht Gottes, dadurch solche offenbar zu machen, die noch für die Wahrheit einstanden - sie werden hier die 'Bewährten' genannt. Das Böse hatte sich schon so weit entwickelt, dass es keinen anderen Weg gab, um noch ein Zeugnis für die Wahrheit aufrechtzuerhalten. Dem Bösen musste notwendigerweise erlaubt werden, sich kundzumachen, damit auf diesem Weg die Wahrheit deutlich würde (vgl. mit Tit 3,10, wo ein sektiererischer Mensch abgewiesen werden soll).

Verse 20-22

„Wenn ihr nun an einem Ort zusammenkommt, so ist das nicht des Herrn Mahl essen. Denn jeder nimmt beim Essen sein eigenes Mahl vorweg, und der eine ist hungrig, der andere ist trunken. Habt ihr denn nicht Häuser, um zu essen und zu trinken? Oder verachtet ihr die Versammlung Gottes und beschämt die, die nichts haben? Was soll ich euch sagen? Soll ich euch loben? Hierin lobe ich nicht“.

Wenn die Korinther zusammenkamen, so geschah das angeblich, um das Mahl des Herrn zu essen;  tatsächlich gaben sie sich jedoch praktisch eigenen Festfeiern hin. Der Apostel sagt: „Jeder nimmt beim Essen sein eigenes Mahl vorweg“. Das Abendmahl war von dem Herrn am Ende des Passahfestes eingesetzt worden. Offensichtlich hatten die Korinther sich dies zum Vorbild genommen und kamen zu einer vorausgehenden geselligen Feier zusammen, an deren Ende sie an dem Mahl des Herrn teilnahmen. Mehr noch, bei diesen vorausgehenden Feiern ließen sie zu, dass die Armen hungrig blieben, während andere wieder übermäßig viel tranken. Aber auch abgesehen von diesen Ausschreitungen ist die Versammlung nicht der Platz für gesellige Feiern. „Habt ihr denn nicht Häuser, um zu essen und zu trinken?“, fragt der Apostel, „oder verachtet ihr die Versammlung Gottes und beschämt die, die nichts haben“? Wollten sie die Armen beschämen und die Versammlung, die doch Reiche und Arme umfasst, verachten? Zum zweiten Mal muss der Apostel sagen, dass er sie nicht loben konnte. Für ihr Gedenken an ihn und ihr Beachten seiner Anweisungen konnte er sie loben (Vers 2); wegen der Spaltungen unter ihnen und wegen ihres Missbrauchs des Mahles des Herrn kann er sie jedoch nur verurteilen. Sie führten soziale Gesichtspunkte in die Versammlung ein, die zu sozialen Unterscheidungen und zu fleischlichem Genuss führten. Ihr Zusammenkommen war daher praktisch eine Verleugnung des Mahles des Herrn und der Versammlung Gottes.

Vers 23

„Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe, dass der Herr Jesus in der Nacht, in der er überliefert wurde, Brot nahm…“.

Um diese unerhörten Zustände zu korrigieren, legt der Apostel nun die Wahrheit von dem Mahl des Herrn vor, wie es von dem Herrn Selbst eingesetzt und ihm, dem Apostel Paulus, offenbart worden war. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Paulus bezüglich der Taufe, die eine persönliche Angelegenheit ist, keine besondere Offenbarung empfangen hatte. Auf das Mahl des Herrn aber gründen sich all die großen Wahrheiten, die mit dem einen Leib in Verbindung stehen, und die speziell dem Paulus gegeben worden sind, damit er sie bekannt machen sollte. Obwohl das Abendmahl den Zwölfen gegeben wurde, hatte Paulus seine Erkenntnis darüber nicht von ihnen empfangen, sondern durch eine besondere Offenbarung seitens des Herrn, damit sie durch ihn den Gläubigen aus den Nationen überliefert würde.

Der Apostel erinnert uns an die bewegenden Umstände, unter welchen der Herr das Abendmahl eingesetzt hatte. Es geschah 'in der Nacht, in der er überliefert wurde'. In dieser Nacht, in der die Bosheit des Menschen ihren Höhepunkt erreicht hatte, wurde die selbstlose Liebe Christi auf anbetungswürdige Weise enthüllt. Wo die Begierde zu dem Verrat führte, da setzte die Liebe das Abendmahl ein.

Verse 24+25

„…und als er gedankt hatte, es brach und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch ist; dies tut zu meinem Gedächtnis. Ebenso auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; dies tut, sooft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis“.

Obwohl der Mensch gern etwas Geheimnisvolles oder Rätselhaftes hineindeuten möchte, umgibt doch diese Feier nichts Derartiges. Alles ist von erhabener Einfachheit und Schlichtheit. Es ist das einfache und doch bewegende Gedächtnis des Todes Christi. Das Brot spricht von Seinem Leib - Ihm selbst. Der Kelch spricht von Seinem Blut - Seinem Werk. Die Symbole des Leibes und des Blutes sind getrennt - das spricht von einem gestorbenen Christus. Beides, das Brot und der Kelch, sollen zu Seinem Gedächtnis genommen werden, wie der Herr gesagt hat. Das gibt dem Mahl seinen kennzeichnenden Charakter: es ist ein Gedächtnismahl. Es ist kein Zelebrieren von etwas in diesem Augenblick tatsächlich Bestehendem, sondern eine Erinnerung an etwas in der Vergangenheit Geschehenem. Jemand hat gesagt: „Das Mahl des Herrn erinnert uns an Christus, an Seinen Tod; nicht an unsere Sünden, sondern daran, dass sie gesühnt und vergeben sind und wir nun Geliebte sind“. Der Kelch ist der neue Bund in Seinem Blut; nicht der alte Bund, der mit dem Blut von Böcken und Stieren besiegelt worden war, sondern der neue Bund mit all seinen Segnungen, die durch das Blut Christi fest und sicher sind. Ein Bund, durch den Gott in Seiner Gnade gesehen wird, und in dem der Sünden nie mehr gedacht werden wird.

Vers 26

„Denn sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“.

Durch das Essen und das Trinken verkündigen wir den Tod des Herrn, bis Er kommt. Durch diese Worte werden solche getadelt, die da aus irgendwelchen Gründen auf dem Standpunkt stehen, das Mahl des Herrn müsse nicht mehr gefeiert werden. Bis zu Seinem Kommen darf diese Feier niemals vernachlässigt werden.

Vers 27

„Wer also irgend das Brot isst oder den Kelch des Herrn trinkt in unwürdiger Weise, wird des Leibes und des Blutes des Herrn schuldig sein“.

Nachdem der Apostel die Geschwister an das wahre Wesen des Mahles des Herrn erinnert hat, kehrt er nun zu den unrühmlichen Zuständen zurück, die in ihrer Mitte bestanden. Die Korinther hatten ihre Gewohnheiten nicht verurteilt und auch nicht unterschieden, wovon das Brot und der Kelch reden - dem Leib und dem Blut des Herrn -, und hatten dadurch in unwürdiger Weise davon gegessen und getrunken. Sie unterschieden nicht zwischen einer gewöhnlichen Mahlzeit und dem, was ein Gedächtnis ist an den für uns hingegebenen Leib des Herrn und an das für uns vergossene Blut des Herrn.

Verse 28+29

„Ein jeder aber prüfe sich selbst, und so esse er von dem Brot und trinke von dem Kelch. Denn wer unwürdig isst und trinkt, isst und trinkt sich selbst Gericht, indem er den Leib nicht unterscheidet“.

Um die unwürdige Art und Weise der Korinther zu korrigieren, ermahnt der Apostel sie, dass sich jeder einzelne von ihnen prüfen sollte - und dann essen sollte. Die Prüfung (das Selbstgericht) alles dessen, was im Widerspruch zu dem Tod Christi steht, ist eine ganz persönliche Angelegenheit. Nachdem ein jeder sich selbst geprüft hat, soll er sich nicht etwa von dem Mahl des Herrn zurückhalten; im Gegenteil, das Wort sagt: „…und so esse er“. Auf diese Weise werden wir davor gewarnt, in einer unwürdigen Weise an dem Mahl des Herrn teilzunehmen.

In Vers 29 fehlt bei dem Ausdruck 'Leib' der Zusatz 'des Herrn'. Hier wird wohl auf den einen angespielt, von dem alle wahren Christen Glieder sind, während in Vers 27 der natürliche Leib des Herrn, Sein Körper, gemeint ist. Wir müssen daran denken, dass diese Unordnungen in Korinth zweierlei beiseite schoben: sowohl das Mahl des Herrn als auch die Versammlung (Verse 20+22).

Verse 30-32

„Deshalb sind viele unter euch schwach und krank, und ein gut Teil sind entschlafen. Wenn wir uns aber selbst beurteilten, so würden wir nicht gerichtet. Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir vom Herrn gezüchtigt, damit wir nicht mit der Welt verurteilt werden“.

Die unter den Gläubigen in Korinth bestehenden Zustände der Unordnung hatten die züchtigende Hand des Herrn über die Versammlung gebracht. Eine unmittelbare Auswirkung dieser Zucht war, dass viele unter ihnen schwach und krank und ein gut Teil entschlafen waren. Die letzteren waren durch den Tod aus der Versammlung auf der Erde entfernt worden.

Dies führt den Apostel dazu, den wichtigen Grundsatz zu betonen, dass wir nicht gerichtet würden, wenn wir uns selbst beurteilten. Dabei müssen wir nicht nur unsere Wege beurteilen, sondern auch uns selbst - die verborgenen Beweggründe, die Gedanken und die Zuneigungen, die den Zustand der Seele formen. Wenn wir es versäumen, uns selbst zu beurteilen, werden wir unter die Züchtigung des Herrn kommen. Trotzdem ist es die Gnade, die uns in dieser Zeit züchtigt, statt uns in der Zukunft mit der Welt als Sünder zu verurteilen.

Im Verlauf dieses Briefes ist eine ernste Entwicklung in den Warnungen des Apostels festzustellen. In Kapitel 8 werden wir davor gewarnt, die Gewissen unserer Geschwister zu verletzen und dadurch gegen Christus zu sündigen (Vers 12). In Kapitel 9 werden wir gewarnt, damit wir unseren Leib unter Kontrolle halten, um nicht, nachdem wir anderen gepredigt haben, selbst verwerflich zu werden (Vers 27). In Kapitel 10 geht die Warnung dahin, dass wir Acht geben sollen, den Herrn nicht zur Eifersucht zu reizen (Vers 22). Es ist eine ernste Sache, die Gewissen der Geschwister nicht zu beachten; es ist eine verhängnisvolle Sache, den Herrn zur Eifersucht zu reizen. Davon gab es aber einige in Korinth, denn wir lesen in Kapitel 11, dass der Herr, da Er zur Eifersucht gereizt worden war, für Seine eigene Herrlichkeit und Heiligkeit handelte - mit dem Ergebnis, dass viele durch den Tod hinweg genommen wurden.

Verse 33+34

„Daher, meine Brüder, wenn ihr zusammenkommt, um zu essen, so wartet aufeinander. Wenn jemand hungrig ist, so esse er daheim, damit ihr nicht zum Gericht zusammenkommt. Das übrige aber will ich anordnen, sobald ich komme.“

Wenn in der heutigen Christenheit vieles von diesen groben und schlimmen Verfehlungen nicht vorkommt, so ist die ernste Erwägung dabei, dass das nicht daran liegt, dass da der Ordnung und den Gedanken Gottes nachgekommen würde, sondern weil die Christenheit die wahre Bedeutung des Mahles des Herrn vollständig verdreht und eine Ordnung nach menschlichen Gedanken aufgerichtet hat. In Korinth gab es schändliche Missbräuche in der praktischen Teilnahme an dem Mahl des Herrn; dennoch hatten die Korinther die wahre Bedeutung davon nicht verloren und auch sein Wesen nicht verändert. Die Christenheit hat in der Tat manche dieser schlimmen Zustände abgelegt; doch sie hat die wahre Bedeutung von dem verloren, was durch diese Missbräuche verletzt worden ist. So schlimm dieses Böse in Korinth auch immer gewesen ist - das Böse der Christenheit ist noch weit schlimmer! Sie hat das Gedächtnismahl zu einem Gnadenmittel gemacht. An dieser Feier, von welcher der Herr gesagt hat: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, wird in der Christenheit in der Hoffnung teilgenommen, bestimmte Segnungen für sich selbst zu empfangen. Dieses Mahl des Herrn, das zur Befriedigung Seines Herzens ist, ist zu einer Gelegenheit gemacht worden, bei der man nach Gnade Gottes für die eigene Seele trachtet. Ja, noch schlimmer, das Gedächtnismahl für die Heiligen ist verkehrt worden in ein Sakrament zur Rettung von Sündern.

Außerdem hat die Christenheit, während sie sich bemüht hat, zu verhindern, dass auf unwürdige Weise an dem Mahl des Herrn teilgenommen wird, unwürdige Personen dazu zugelassen. Die großen Landeskirchen können unbekehrte Gemeindemitglieder von dem Abendmahl nicht ausschließen. Der Welt steht es offen, mit den wahren Gläubigen daran teilzunehmen. Weiterhin hat die Christenheit nicht nur Wesen und Bedeutung des Abendmahles vollständig verdreht, sondern sie hat auch ihre eigene Ordnung für das Einhalten der Feier des Abendmahles eingeführt. Im Allgemeinen kann niemand außer einem von Menschen bestellten Beauftragten das Abendmahl verabreichen. Es ist auffallend, dass in diesem Brief, der mehr als alle anderen Briefe von der Ordnung Gottes für Seine Versammlung spricht, Diener, Älteste oder Aufseher überhaupt nicht erwähnt werden. Gerade in diesem Kapitel, das sich mit den groben Unregelmäßigkeiten beschäftigt, gibt es keine Andeutung davon, dass diese Dinge durch die Ernennung eines Beauftragten, der dann das Abendmahl zu verabreichen hätte, geregelt werden sollen. Im Gegenteil, das wahre Wesen des Mahles des Herrn wird vorgestellt und mit Nachdruck auf einem richtigen Zustand der Seele beharrt; doch in dem Austeilen desselben wird alles der freien und uneingeschränkten Leitung des Heiligen Geistes überlassen. - Das folgende Kapitel belehrt uns nun bezüglich dieser Wirkungen des Geistes in der Versammlung.

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