Elia, der Tisbiter

Obadja

Elia, der Tisbiter

Die lange Ruhepause Elias wurde durch einen Ruf des Herrn beendet, der ihn aufforderte, sich Ahab zu zeigen, weil Er Regen auf den Erdboden geben wollte (1. Kön 18,1). Als der Prophet damals dem König angekündigt hatte, dass es weder Tau noch Regen geben würde, es sei denn auf sein Wort, hatte er nicht gewusst, wie lange diese Dürre andauern würde. Dies stand in der Hand des Herrn. Und die Dürre war lang, „es regnete nicht auf der Erde drei Jahre und sechs Monate“ (Jak 5,17). Als dann endlich der Regen kam, geschah dies als Antwort auf das Gebet Elias (1. Kön 18,42–45).

Doch jetzt sollten noch einige weitere Dinge deutlich werden. Der Herr stand im Begriff, seine Macht zu beweisen – zur Verwirrung Ahabs und seiner götzendienerischen Propheten. Solche eindrucksvollen Zeichen wie das vom Himmel herabgerufene Feuer über die Opfertiere auf dem Berg Karmel und später über die Obersten und ihre Fünfzig (2. Kön 1,9–12) waren im Königreich Juda bis dahin nicht gewirkt worden. Der Herr war dort noch anerkannt, wenn auch einige der Könige schlechte Menschen waren, die das Volk irreführten, aber die dort weissagenden Propheten konnten wenigstens noch mit dem Wort Gottes an die Herzen des Volkes appellieren. Im nördlichen Königreich war eine andere Vorgehensweise erforderlich. Das Volk lebte dort im offenen Abfall, der Herr war schon nicht mehr als der Gott Israels anerkannt. Trotzdem war Gott seinem verirrten Volk immer noch zugeneigt („Wie sollte ich dich hingeben, Ephraim?“; Hos 11,8) und ließ manchmal seine Macht erkennen, um dem Volk deutlich zu machen, dass Er Gott und mächtiger als alle heidnischen Gottheiten ist. Der Herr stand nun im Begriff, sich selbst zu behaupten und geltend zu machen – bei einer Begebenheit, an die man sich erinnern wird, solange die Erde besteht.

Als Elia hinging, um sich Ahab zu zeigen (wie Mose vor ihm fürchtete auch er die Wut des Königs nicht mehr; Heb 11,27), begegnete er zuerst Obadja, der über den königlichen Palast gesetzt war. Der Heilige Geist berichtet, dass Obadja den Herrn sehr fürchtete (1. Kön 18,3). Es ist gut, dass dies erwähnt wird, bevor die Geschichte Obadjas enthüllt wird. Auf die gleiche Weise lobte der Herr Jesus all das Gute, was Er in den sieben Versammlungen in Kleinasien erblickte, bevor Er das tadelte, was in seinen Augen schlecht war (Off 2 und 3). In dieser Hinsicht gibt es bei uns häufig einen großen Mangel in unserem Umgang untereinander. Das, was böse oder zumindest unbefriedigend ist, wird in unseren Augen so gewichtig, dass wir das Gute in denen, die uns nicht gefallen, völlig übersehen. Von Barnabas wird Jahre nach seinem Versagen (s. Gal 2,13; Apg 15,37) geschrieben: „Denn er war ein guter Mann und voll Heiligen Geistes und Glaubens“ (Apg 11,24).

Von Obadja steht geschrieben, dass er den Herrn sehr fürchtete. Das Wort „sehr“ darf nicht unbemerkt bleiben, denn Gott registriert immer das Maß der Frömmigkeit und der Handlungen seiner Heiligen. In Römer 16,12 lesen wir von „Tryphäna und Tryphosa, die im Herrn arbeiten“ und ebenso von „Persis, die Geliebte, die viel gearbeitet hat im Herrn“. Bei dem Wiederaufbau der Mauer Jerusalems nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft wird berichtet, dass manche „eifrig“ ausbesserten, und dass manche eine „andere“ (zweite) Strecke ausbesserten (Neh 3,20–24). Es ist ermutigend für uns, an diese Dinge erinnert zu werden – und zweifellos werden wir am Richterstuhl des Christus noch mehr darüber hören.

Es gibt für uns einige wichtige Lektionen aus der Geschichte Obadjas zu lernen. Doch zuerst mag es gut sein, ihn mit einigen seiner Zeitgenossen zu vergleichen. Elia und Obadja waren beide Heilige Gottes, ebenso auch Micha, der Sohn Jimlas, und Josaphat, der König von Juda. Wir werden sie alle später in der Herrlichkeit Gottes sehen – sie sind alle aus Gnaden gerettete Sünder wie auch wir. Diese vier Männer teilen sich in zwei Gruppen: Elia und Micha; Obadja und Josaphat. Die beiden Ersten waren kühn und unerschrocken in ihrem Zeugnis. Ahab nannte Elia „mein Feind“ (1. Kön 21,20) und von Micha sagte er: „Ich hasse ihn“ (1. Kön 22,8). Es ist tatsächlich ein Kompliment, wenn die Gottlosen einen nicht mögen. „Wehe, wenn alle Menschen gut von euch reden; denn genauso taten ihre Väter den falschen Propheten“ (Lk 6,26). Obadja und Josaphat waren der Gegensatz zu Elia und Micha. Sie waren weder kühn noch unerschrocken, sondern schwach und um des Vorteils willen kompromissbereit. Ahab hasste keinen von ihnen, weil er sie benutzen konnte. Der Herr Jesus sagte einst von seinen eigenen ungläubigen Brüdern: „Die Welt kann euch nicht hassen; mich aber hasst sie, weil ich von ihr zeuge, dass ihre Werke böse sind“ (Joh 7,7). In Johannes 17 spricht der Herr in seinem Gebet zu dem Vater über die Jünger, dass sie von dem Vater geliebt, aber von der Welt gehasst sind (Verse 14 und 23). Der Trost des Ersteren bestärkt uns darin, die Bedrängnis des Letzteren ertragen zu können.

Obadja hatte die Bedeutung der Absonderung von der Welt nie gelernt. Haben wir sie gelernt? Entsprechen wir unserem Zeugnis der Taufe? Betrachten wir uns selbst als durch den Tod Christi der Sünde und der Welt gestorben? Haben wir wirklich unser Kreuz mit der Absicht aufgenommen, den Fußstapfen des Einen nachzufolgen, den die Welt verstoßen und gekreuzigt hat (Lk 9,23)? Sind wir zu Ihm hinausgegangen, „außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend“ (Heb 13,13)?

Es gab auch viel Lobenswertes bei Obadja, und der inspirierte Geschichtsschreiber berichtet es uns auch. Als Isebel danach trachtete, alle Propheten des Herrn auszurotten und dadurch jedes göttliche Zeugnis in seinem Herrschaftsbereich zu vernichten, nahm Obadja hundert dieser Propheten „und versteckte sie, je fünfzig Mann in einer Höhle, und versorgte sie mit Brot und Wasser“ (1. Kön 18,4). Er fürchtete den Herrn, aber er war zu ängstlich, Ihn auch zu bekennen. Er hatte Mitgefühl mit den verfolgten Propheten, aber es fehlte ihm an Glauben, um sich mit ihnen in ihren Leiden eins zu machen. Seine Hilfe wird am Tag Christi zweifellos belohnt werden. Aber Gott hätte größere Freude daran gehabt, wenn er bei seinen Knechten geblieben wäre, anstatt damit zufrieden zu sein, sie zu unterstützen. Mose entsagte der Ehre und den Bequemlichkeiten des königlichen Palastes „und wählte lieber, mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden“ (Heb 11,24.25). Obadja entschied sich dafür, im Palast zu bleiben und den Verfolgten von dort aus nützlich zu sein.

Alle bekennenden Heiligen in Asien hatten sich von Paulus abgewandt, als er um Christi willen bei der Obrigkeit in Ungnade fiel (2. Tim 1,15). Wo sollten wir in Tagen der Gefahr stehen? In 2. Korinther 6 werden wir ausdrücklich aufgefordert, nicht in einem ungleichen Joch mit Ungläubigen zu sein, sondern aus ihrer Mitte hinauszugehen und uns abzusondern. Und in Epheser 5,11 werden wir aufgefordert, nicht Gemeinschaft zu haben „mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, vielmehr aber straft sie auch“. Sind wir dazu bereit, einen Standpunkt einzunehmen, der uns etwas kosten könnte?

Als Obadja den Weg Elias kreuzte, war er nicht im Dienst für Gott beschäftigt. Ohne Zweifel war das Land voll von leidgeprüften Herzen – von Müttern, die nicht wussten, wie sie ihre Kinder nähren sollten – alles war in einem Zustand der Verzweiflung. Obadja hätte dazu in der Lage sein müssen, diesen Menschen Worte des Trostes aus dem Herzen Gottes mitzuteilen! Stattdessen durchsuchte er das Land nach Nahrung für Tiere, in der Absicht, den königlichen Stall zu erhalten. Ahab hatte zu Obadja gesagt: „Geh durch das Land zu allen Wasserquellen und zu allen Bächen; vielleicht finden wir Gras, dass wir Pferde und Maultiere am Leben erhalten und nichts vom Vieh ausrotten müssen“ (1. Kön 18,5). Traurige Worte von den Lippen des Königs von Israel. Was für eine armselige Beschäftigung für einen gottesfürchtigen Mann, nach diesen Worten zu handeln!

Die Idealvorstellung eines Königs nach den Gedanken Gottes beschreibt Asaph geleitet durch den Heiligen Geist in Psalm 78,70–72: „Und er erwählte David, seinen Knecht, und nahm ihn von den Schafhürden; hinter den Säugenden weg ließ er ihn kommen, um Jakob, sein Volk, zu weiden, und Israel, sein Erbteil. Und er weidete sie nach der Lauterkeit seines Herzens, und mit der Geschicklichkeit seiner Hände leitete er sie.“ Der König nach den Vorstellungen Gottes ist also weder selbstsüchtig noch tyrannisch, sondern ein weiser Hirte des Volkes, der dem Volk in dem Bewusstsein dient, dass es das Volk Gottes ist und dass er, der König, die Herrschaft von Gott nur verliehen bekommen hat. In dieser Gesinnung betete David für das Volk, als eine Pest wütete. Er bat den Herrn, das Volk zu verschonen und dafür ihn selbst zu schlagen (2. Sam 24,17). Einen vollkommenen Hirten hat es außer dem Herrn Jesus nie gegeben. Von Ihm steht geschrieben: „Und er wird dastehen und seine Herde weiden in der Kraft des HERRN, in der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden wohnen; denn nun wird er groß sein bis an die Enden der Erde“ (Mich 5,3).

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Ahab für das leidende Volk sorgte, aber er war beunruhigt darüber, dass er seine Pferde und Maultiere verlieren könnte. So ordnete er an, dass er in die eine Richtung und Obadja in die andere Richtung gehen würde, um, wenn möglich, irgendwo Gras zu finden. Die Lage muss wirklich ernst gewesen sein, wenn sogar der König selbst auf Futtersuche ging!

Obadja traf mit Elia bei der Ausübung dieser beschämenden Tätigkeit zusammen. Mit unseren Worten würden wir sagen, dass diese zwei Männer Brüder waren. Aber es gab keine freudige Begrüßung wie damals, als Mose und Aaron zusammentrafen und sich küssten (2. Mo 4,27). Obadja war unruhig und Elia war kühl und reserviert. Obwohl der Erstere ein hochgestellter Beamter war und der andere ein niedriger Dorfbewohner, zitterte Obadja vor Elia und fiel tatsächlich auf sein Angesicht und fragte: „Bist du es, mein Herr Elia?“ (1. Kön 18,7). Gemeinschaft mit Gott und Gehorsam seinem Willen gegenüber verleiht einem jeden eine moralische Würde. Wir sehen das bei Stephanus dem jüdischen Synedrium gegenüber und bei Paulus, als er vor königlichen, politischen und militärischen Führern in Cäsarea stand (Apg 7 und 26). In beiden Fällen beherrschten die Gefangenen die Situation! Obadja fehlte dies. Trotz all seiner Würden und seines hohen Gehalts empfand er doch, dass dieser Mann, der in einem härenen Gewand vor ihm stand, ihm überlegen war. Warum sonst hätte er ihn wohl mit „mein Herr“ ansprechen sollen?

Als der Prophet ihn mit der Botschaft „Siehe, Elia ist da!“ (1. Kön 18,8) zu seinem Herrn, dem König, gehen hieß, bekam Obadja schreckliche Angst. Er fürchtete um sein Leben und sprudelte nun einen wahren Sturzbach von Worten hervor. Als Erstes sprach er von der Gefahr für sich selbst. Dann berichtete er, wie Ahab in jeder bekannten Nation und in jedem Königreich nach Elia hatte fragen lassen, mit dem Ziel, ihn zu töten, wenn er ihn ergreifen würde. Den verhassten Namen Elias vor dem König zu erwähnen, würde dessen Zorn nur auf ihn selbst lenken, fürchtete Obadja. Und als wollte er es zu seiner Entschuldigung anführen, berief er sich auf seine Aufmerksamkeit den Propheten gegenüber: „Ist meinem Herrn nicht berichtet worden, was ich getan habe, als Isebel die Propheten des HERRN tötete, dass ich von den Propheten des HERRN hundert Mann versteckte, je fünfzig Mann in eine Höhle, und sie mit Brot und Wasser versorgte?“ (1. Kön 18,13).

Wenn irgendein Diener des Herrn viel aus seiner Arbeit macht, deutet dies auf einen niedrigen geistlichen Zustand hin. In 2. Korinther 11 spricht Paulus ziemlich viel über sein eigenes Wirken und Leiden. Der schlechte Zustand der Dinge in Korinth machte dies nötig, aber trotzdem nennt er es „Torheit“. Doch wie wunderbar wirkte Gott! Wir hätten von diesen unterschiedlichen und schweren Leiden des Apostels nichts gewusst, wenn ihm das schlechte Verhalten der Korinther diese Äußerungen nicht abgerungen hätte. Es tut uns gut, 2. Korinther 11 zu lesen, denn es ist ein heiliger Ansporn für unsere Seelen. Doch Paulus und jeder andere aufrichtige Arbeiter würde unendlich viel lieber von Christus geredet haben – von den Herrlichkeiten seiner Person, der Vollkommenheit seines Opfers und der Größe seines Triumphes – als von dem eigenen Dienst, um sich selbst dadurch auszuzeichnen.

Mit der Welt gemeinsame Sache zu machen, ist zu allen Zeiten schädlich für die Seele. Deshalb fürchtete Obadja den gottlosen Ahab, was bei Elia nicht der Fall war. Obadja demütigte sich selbst vor Elia, anstatt ihn als einen nützlichen Zeugen für Gott und seine Wahrheit herzlich zu begrüßen. Was jedoch schlimmer war, war seine Andeutung, der Heilige Geist könnte auf eine unwürdige Weise wirken: „Und es wird geschehen, wenn ich von dir weggehe, so wird der Geist des HERRN dich tragen, ich weiß nicht wohin; und komme ich, es Ahab zu berichten, und er findet dich nicht, so wird er mich töten. Und dein Knecht fürchtet doch den HERRN von meiner Jugend an“ (1. Kön 18,12). Elia war vollkommen geradlinig auf dem Weg, den er ging. Er hatte von dem Herrn den Auftrag erhalten, Ahab zu begegnen, und beabsichtigte nun auch, dies zu tun. Der Heilige Geist, der seine Freude daran hat, die Knechte Gottes zu leiten, hätte ihn nie so geführt, dass er in Widerspruch zu einem Auftrag Gottes kommen könnte.

Die Antwort Elias an Obadja klingt wie eine Zurechtweisung: „So wahr der HERR der Heerscharen lebt, vor dessen Angesicht ich stehe, heute werde ich mich ihm zeigen!“ (1. Kön 18,15). Ganz gleich, was der Herr für Obadja auch bedeuten mochte, für den geächteten Propheten war er der lebendige Gott und Elia stand, das heißt, er redete und handelte, in dem Bewusstsein seiner Gegenwart.

Obadja musste sich von der Gesinnung Elias weit entfernt haben, wenn er über Jahre hinaus am königlichen Hof anerkannt und sogar geehrt worden war. Was seinen Gott anbelangt, so musste er wohl seine Lippen versiegelt haben, denn sonst hätte ihn die blutdürstige Isebel doch genauso behandelt wie die anderen Propheten. Obadja hätte wohl kaum sagen können:

„Ich schäme mich nicht, meinen Herrn zu bekennen
oder für seine Sache einzustehen.“

(Isaac Watts: I'm not ashamed to own my Lord, dt. durch den Übersetzer)

In Jesaja 59,15 lesen wir: „Und die Wahrheit wird vermisst; und wer das Böse meidet, setzt sich der Beraubung aus.“ Obadja wird wohl kaum bereit gewesen sein, sich der Beraubung auszusetzen. In Jeremia 15,19 wird demjenigen, der sich selbst von dem ihn umgebenden Bösen absondert, von Gott versichert: „... dass du vor mir stehst; und wenn du das Kostbare vom Verachteten absonderst, so sollst du wie mein Mund sein.“ Dies ist außerordentlich wertvoll: unmittelbare Nähe zu Gott, und die Fähigkeit, seine Gedanken anderen mitzuteilen. Leider kannte Obadja nichts davon.

Obadja wird uns in der Bibel genauso unvermittelt vorgestellt wie Elia. Doch während der Erstere die Heilige Schrift genauso abrupt wieder verlässt (16 Verse, nicht mehr!), bleibt der andere in den Gedanken der heiligen Geschichtsschreiber bestehen – und sein Dienst und sein Zeugnis dauern an bis zu dem großen Tag des Herrn!

„Gott aller Gnade, bewahre in deiner Barmherzigkeit Schreiber und Leser davor, wie Obadja zu sein! Hilf uns umso mehr, wie Elia zu werden; nicht in tatsächlichem feurigen Gericht, sondern in heiligem Eifer für deine Herrlichkeit und in ernster Absonderung von allem, was deinem Willen entgegen ist. Amen.“

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