Elia, der Tisbiter

Elia, der Prophet

Elia, der Tisbiter

Nahezu 3000 Jahre sind seit dem Zeugnis Elias für Gott vergangen, und doch ist er keineswegs vergessen. Ein von Gott gewecktes Ohr hört heute noch so wie damals seine festen Tritte und scharfen Worte. Seine strenge, öffentliche Verurteilung des Bösen verursachte in allen Bevölkerungsschichten Zittern und Beben vor ihm. In seinem brennenden Eifer für Gott und in seiner gerechten Empörung über den Abfall seiner Nation war der Prophet gegenüber Königen, Priestern, Propheten und dem Volk gleichermaßen kühn. In dieser Hinsicht ähnelt ihm Johannes der Täufer. Der Herr, der Gott Israels, gegen den dieses Volk auf so schlimme Weise untreu geworden war, war für Elia lebendige Wirklichkeit. Die Kenntnis Gottes und das Bewusstsein seiner Gegenwart („vor dessen Angesicht ich stehe“; 1. Kön 17,1) ermutigte ihn mehr als alle seine Zeitgenossen.

Das Nachsinnen über einen Menschen von solchem Charakter wird für alle, die zu irgendeiner Zeit für Gott und seine Wahrheit Zeugnis ablegen wollen, ein heiliger Ansporn sein. Nie waren entschiedene Männer vom Typ eines Elia nötiger als in der oberflächlichen Gleichgültigkeit der heutigen Zeit. Die Tage der Menschen nähern sich rasch ihrem Ende. Das Gericht Gottes kommt schnell, sowohl für das Christentum als auch für die Welt, die kein christliches Bekenntnis hat. Die schrecklichen Entwicklungen in unseren Tagen erfordern sichtbare Furchtlosigkeit und Treue.1

In mancher Hinsicht war Elia unter den alttestamentlichen Propheten einmalig. Er war der Erste, der einen Toten auferweckte. Er verließ die Welt, ohne den Tod geschmeckt zu haben. In Elisa hinterließ er einen unmittelbaren Nachfolger und in Johannes dem Täufer hatte er auch einen moralischen Nachfolger (Lk 1,17; Mt 17,12). Mehr noch, Elia wurde sogar mit Mose auf diese Erde zurückgesandt, um dem Herrn Jesus auf dem Berg der Verklärung Ehre zu geben. Und bis heute ist sein Dienst noch nicht vollständig erfüllt: Seine Stimme wird im Land Israel noch einmal gehört werden (Mal 3,23).

Die Propheten Gottes verkündigen nicht notwendigerweise ausschließlich zukünftige Ereignisse. Zwar haben einige dies getan, insbesondere Jesaja, dessen durch den Geist geleitete Verkündigungen und Aussprüche außergewöhnlich reich und umfassend sind. Viele andere jedoch haben sich, wie Elia, ausnahmslos mit den bestehenden Zuständen unter dem Volk beschäftigt. Es ist eine einfache Regel im Bibelstudium, die erste Erwähnung eines Ausdrucks durch den Heiligen Geist zu untersuchen, um die Bedeutung zu erkennen, die dieser Ausdruck das ganze Wort Gottes hindurch hat. Jemand hat einmal gesagt, dass Gott in seiner Güte den Schlüssel direkt innen neben die Tür gehängt hat. Wir begegnen dem Wort Prophet zum ersten Mal in 1. Mose 20,7. Dort bezieht es sich auf Abraham. Durch die Belehrungen des Neuen Testaments wissen wir zwar, dass auch zwei Zeugen, die vor der Sintflut gelebt haben, Propheten genannt werden (Abel und Henoch; Lk 11,50.51; Jud 14), aber trotzdem ist Abraham der erste Mann, der im Alten Testament ganz konkret Prophet genannt wird.

Wir wollen nun versuchen, diesen vom Heiligen Geist gebrauchten Ausdruck zu verstehen. Weit entfernt davon, durch Gott geleitet zu sein, ging Abraham hinab, um sich in Gerar, der Stadt der Philister, aufzuhalten. Um eine mögliche Gefahr von sich selbst abzuwenden, behauptete er, dass Sara seine Schwester sei. Der König Abimelech fühlte sich von ihr angezogen und ließ sie in sein Haus holen. Doch hier griff Gott ein, indem Er in einem Traum zu Abimelech redete: „Gib die Frau des Mannes zurück; denn er ist ein Prophet und wird für dich bitten, und du wirst am Leben bleiben“ (1. Mo 20,7). Diese Begebenheit ist zweifellos bemerkenswert, denn sie erweckt den Eindruck, dass zu diesem Zeitpunkt in dem Herzen des Philisterkönigs mehr Gottesfurcht vorhanden war als bei dem Hebräer Abraham – dem „Freund Gottes“. Trotzdem war Abraham ein Prophet und besaß als Fürsprecher einen Einfluss, den Abimelech nicht hatte! Nebenbei bemerkt können wir hieraus lernen, dass sogar dann, wenn unser geistlicher Zustand niedrig ist, unsere Vorrechte als Heilige, Priester etc. nicht von uns genommen sind, obwohl wir zu dieser Zeit keinen Genuss daran haben und sie nicht zum Segen für andere gebrauchen können.

Abraham hatte, soweit die Schrift berichtet, weder in prophetischer Hinsicht geredet noch geschrieben – obwohl ihn sein „geistliches Auge“, als es sich in einem gesunden geistlichen Zustand befand, befähigte, weit vorauszuschauen und mit Frohlocken den Tag Christi zu sehen (Joh 8,56). Ein Prophet war einfach ein Mensch, der die Gesinnung Gottes hatte und in der Lage war, dies auch auszudrücken. So werden in Psalm 105 andere Patriarchen ebenso wie Abraham als Propheten bezeichnet (V. 6.8–15). Sie waren Männer, die in Verbindung mit Gott waren und seine Gedanken so weitergeben konnten, wie es in ihren Tagen kein anderer vermochte.

Hier helfen uns auch die Worte der samaritischen Frau in Johannes 4,19. Sie sagte zu dem geheimnisvollen Fremden, der sich mit ihr unterhielt: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.“ Dabei hatte Jesus weder von zukünftigen Herrlichkeiten noch von kommenden Gerichten zu ihr gesprochen. Aber seine unerwarteten Worte über ihre fünf Ehemänner und den Mann, mit dem sie nun zusammenlebte, ließen sie empfinden, dass Er unmittelbar von Gott aus mit ihr sprach. Tatsächlich war Er Gott, offenbart im Fleisch – das hatte die Frau jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkannt.

Auch im Neuen Testament wird von Propheten gesprochen (Eph 2,20; 4,11). Zwischen ihrem Dienst und dem solcher Männer wie Jesaja oder Jeremia besteht aber keine Ähnlichkeit. Sie beschäftigten sich nicht mit der Zukunft. Ihnen war es gegeben, die Gedanken Gottes über das neue, wunderbare Werk in der Christenheit vorzustellen – vorher war die Heilige Schrift nicht vollständig. In Apostelgeschichte 21,8.9 lesen wir sogar von vier Frauen – Töchter des Evangelisten Philippus –, die weissagten. Dieser Dienst wird jedoch nicht öffentlich geschehen sein (1. Kor 14,34.35).

Über die Vorgeschichte Elias ist uns nichts berichtet. Nichts wird über seine Abstammung, sein Alter und seine Erziehung mitgeteilt, außer seinem Namen, der bedeutet: Gott ist der Herr oder Dessen Gott der Herr ist. Dies lässt auf einen gottesfürchtigen Vater schließen, der seinem Sohn im Glauben diesen Namen gab. Auch von Haggai und Maleachi beispielsweise wissen wir außer ihrem Namen nichts. Aber was macht das schon? Es ist nicht die Absicht des Geistes Gottes, uns mit Personen zu beschäftigen, sondern mit den Botschaften, die sie überbracht haben und die ihren geistlichen Wert bis an das Ende der Welt behalten werden. Lasst uns daran denken, wenn wir in den Zusammenkünften oder bei anderen Gelegenheiten Menschen zuhören, die im Namen des Herrn reden. Es ist denkbar, dass wir von einem uns völlig unbekannten Redner, dessen Fähigkeiten noch nicht einmal einen guten Eindruck auf uns machen, etwas ausdrücklich von Gott erhalten (und seien es auch nur fünf Worte; 1. Kor 14,19). Lasst uns nicht auf den Boten, sondern auf die Botschaft achten. „Den Geist löscht nicht aus; Weissagungen verachtet nicht; prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1. Thes 5,19–21).

Fußnoten

  • 1 Der Autor schrieb das Werk während des Zweiten Weltkriegs.
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