Die Gnade Gottes

Gnadengaben

Wir haben uns bisher mit der Gnade Gottes beschäftigt, die allen Gläubigen in gleicher Weise zuteil wird. Wie wir gesehen haben, sind wir alle gleichermaßen durch Seine Gnade errettet und gesegnet. Aber es gibt auch Gnadenerweisungen Gottes, die für jeden einzelnen verschieden sind, nämlich die Gnadengaben, die Er den Seinen zum Dienst aneinander und füreinander gegeben hat. Auch in diesen Gaben, wie wir sie meistens nennen, kommt die vielfältige Gnade Gottes für die Seinen zum Ausdruck.

Das griechische Wort für Gnadengabe (charisma) ist von dem Wort für Gnade (charis) abgeleitet und bedeutet dementsprechend „wohlwollend gespendete Gabe, Gnadengeschenk“. Zwar wird in Römer 6,23 auch das ewige Leben eine „Gnadengabe Gottes“ genannt, und verschiedentlich wird dies Wort im allgemeineren Sinn für Gnadenerweisung verwendet. An den meisten Stellen im Neuen Testament, wo das Wort Gnadengabe vorkommt, handelt es sich jedoch um die von Gott geschenkte Befähigung zum Dienst für Ihn. So verschieden die einzelnen Gläubigen als Glieder des Leibes Christi sind, so unterschiedlich sind auch ihre Bedürfnisse und dementsprechend die Gnadengaben. In Seiner Weisheit und Gnade hat Gott an alles gedacht und alles reichlich gegeben. Ihm sei Dank dafür!

Vielen Christen sind diese Gnadengaben kaum bekannt, weil in den meisten Kirchen und Gemeinden der Dienst durch offizielle Amtsträger verrichtet wird. Aber auch da, wo der Dienst nicht in allem organisiert ist, ist das Gesichtsfeld oft so eingeengt, daß man bei dem Wort Gnadengabe nur an den Verkündigungsdienst der Evangelisten und Lehrer denkt.

Wenn wir jedoch Römer 12 und 1. Korinther 12 aufschlagen, wird uns die Vielfalt der von Gott geschenkten Gnadengaben deutlich. An beiden Stellen wird die Versammlung als Leib gesehen, der aus vielen Gliedern besteht. Wie an unserem Körper jedes Glied seinen eigenen Platz und seine besondere Funktion hat, so ist es auch mit dem Leib Christi. In Römer 12,3-8 werden sieben Gnadengaben genannt:

1        Weissagung

2        Dienst

3        Lehre

4        Ermahnung

5        Geben

6        Vorstehen

7        Ausüben von Barmherzigkeit.

In 1. Korinther 12,4-31 finden wir zwei teilweise voneinander und auch von Römer 12 abweichende Aufzählungen mit insgesamt fünfzehn verschiedenen Diensten und Aufgaben. In der ersten geht es darum, daß die Verschiedenheit der Gnadengaben, der Dienste und Wirkungen nur auf eine Kraftquelle, eine Autorität und einen Ursprung zurückgeht, bei der zweiten darum, daß diese Vielfalt von Gott gewollt ist, und nicht alle dieselben Gnadengaben besitzen.

1. Kor 12,8-10:1.Kor 12,28:
-Apostel
- Propheten
- Lehrer
- Wunderkräfte
- das Wort der Weisheit,
- das Wort der Erkenntnis
- Glauben
- Gnadengaben der Heilungen- Gnadengaben der Heilungen
- Wunderwirkungen
- Weissagung
- Unterscheidungen der Geister- Hilfeleistungen
- Regierungen
- Arten von Sprachen- Arten von Sprachen
- Auslegung der Sprachen-Auslegung.

Aus diesen Stellen wird deutlich, daß Gottes Wort nirgends eine vollständige „Liste“ aller Gnadengaben enthält, aber auch, daß wir manche dieser Gaben Gottes wenig kennen und schätzen, z.B. die des Vorstehens, der Regierung oder der Hilfeleistung.

Schließlich werden in Epheser 4,11 in einer weiteren kurzen Aufzählung die Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer genannt, hier jedoch nicht als Gnadengaben, sondern als Gaben (auch im Griechischen ein anderes Wort). Es sind hier die Personen selbst, die der erhöhte Herr gegeben hat „zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi“, und zwar „bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus“. Im Unterschied zu einigen der in 1. Korinther 12 genannten Gnadengaben (Heilungen, Sprachen, Wunderkräfte), die das Wirken Gottes in der Anfangszeit bestätigten (vgl. Heb 2,4), sind diese Gaben ausschließlich zur Förderung des geistlichen Wachstums der Versammlung gegeben worden, und bis auf die Apostel und Propheten, die die Grundlage gelegt haben (Eph 2,20; 3,5), werden sie bis zur Wiederkunft des Herrn Jesus bleiben. Das ist ein großer Trost für uns, gerade in unserer Zeit des Verfalls und des beginnenden Abfalls.

Die Gnadengaben sind nicht mit menschlichen Fähigkeiten zu verwechseln. Jemand, der sich klar und verständlich auszudrücken vermag, besitzt dadurch noch keine Gnadengabe zur Verkündigung des Wortes. Und ebenso kann eine theologische Ausbildung keine Gnadengabe ersetzen. Wie die angeführten Stellen zeigen, werden Gnadengaben allein von Gott und dem verherrlichten Herrn gegeben. Sie sind Geschenke für Seine Erlösten, von Ihm gegebene geistliche Fähigkeiten, verbunden mit einem Auftrag und der Vollmacht zum Dienst. Unter der Leitung des Heiligen Geistes sollen sie zur Verherrlichung des Herrn und zum Segen für andere dienen.

Im Gleichnis von den Talenten (Mt 25,14-30) wird uns das anschaulich erklärt. Dort übergibt ein Mensch, der außer Landes reist, seinen Knechten den Besitz zur Verwaltung. Einem gibt er fünf Talente (ein Talent entsprach ungefähr dem Wert von 35 kg Gold), einem anderen zwei und einem dritten eins, und zwar „jedem nach seiner eigenen Fähigkeit“ (Vers 15). Mit der Übergabe der Talente an die Knechte war der Auftrag verbunden, sie zum Nutzen ihres Herrn zu verwenden. Die Talente, die je nach Fähigkeit ausgeteilt werden, entsprechen den Gnadengaben. Die natürlichen Fähigkeiten sind dagegen nur das Gefäß für die Gnadengabe, aber nicht damit identisch. So braucht jemand, den der Herr als Evangelisten beruft, eine verständliche Stimme und eine klare Ausdrucksweise, und ein Lehrer ein gutes Gedächtnis und Denkvermögen. Solche Fähigkeiten (die auf Grund dieser Bibelstelle zwar oft als „Talente“ bezeichnet werden) sind jedoch keine Gnadengaben im geistlichen Sinn. Die Gnadengabe eines Evangelisten besteht in dem Auftrag und der besonderen Fähigkeit, die Botschaft der Gnade Gottes für verlorene Sünder den Menschen von heute nahezubringen und sich in die Lage solcher hineinzuversetzen, die bisher kaum mit dem Wort Gottes in Berührung gekommen sind, und die eines Lehrers darin, die tiefen Zusammenhänge der Lehre des Wortes zu erkennen und anderen Gläubigen verständlich zu machen.

In Römer 12,6 wird gesagt, daß wir „verschiedene Gnadengaben haben, nach der uns verliehenen Gnade“, und ähnlich heißt es in Epheser 4,7: „Jedem einzelnen aber von uns ist die Gnade gegeben worden nach dem Maß der Gabe des Christus.“ Er, unser Haupt, kennt nicht nur die Bedürfnisse der Glieder des Leibes, sondern auch die Fähigkeiten jedes einzelnen, und rüstet jeden so aus, daß er den ihm zugeteilten Dienst erfüllen kann.

So hat jeder Gläubige durch die Gnade einen von Gott zugewiesenen Platz als Glied des Leibes Christi. An uns liegt es nun, dies auch als Gnade zu erkennen und in Abhängigkeit von unserem Haupt im Himmel zu leben und zu handeln. Wir müssen unsere Mitschuld daran bekennen, daß wir unfähig gewesen sind, die gottgegebene Vielfalt in der Einheit durch Seine Gnade zum Segen für das Ganze zu verwirklichen. Gottes Gedanken darüber bleiben jedoch unverändert: „Je nachdem jeder eine Gnadengabe empfangen hat, dient einander damit als gute Verwalter der mannigfaltigen Gnade Gottes; wenn jemand redet, so rede er als Aussprüche Gottes; wenn jemand dient, so sei es als aus der Kraft, die Gott darreicht, damit in allem Gott verherrlicht werde durch Jesus Christus, dem die Herrlichkeit ist und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen“ (1. Pet 4,10.11). Alle Kraft dazu kommt nur von Ihm.

Eine besondere Gnade war dem Apostel Paulus gegeben worden. Er nennt sich nicht nur den ersten (d. h. den größten) der Sünder, dem Gott Barmherzigkeit widerfahren ließ zum Vorbild für die, die an ihn glauben werden zum ewigen Leben (1.Tim 1,12-17), sondern er war auch ein auserwähltes Gefäß, dem der verherrlichte Herr das Geheimnis über Seine Versammlung mitteilte (Eph 3,2.7). Ihm, der sich „der allergeringste von allen Heiligen“ nennt, wurde darüberhinaus die Gnade gegeben, den Nationen den unergründlichen Reichtum des Christus zu verkündigen (Eph 3,8). So wurde er der Apostel der Nationen, der den Heidenvölkern das Evangelium und den Erretteten den ganzen Ratschluß Gottes verkündigen sollte. Er tat dies in aufopfernder Hingabe, immer im Bewußtsein der Gnade, die ihm selbst zuteil geworden war, und immer mit dem Wunsch, so viele wie möglich in den Genuß der wunderbaren Gnade Gottes zu bringen.

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