Betrachtung über das Evangelium nach Johannes

Kapitel 9

Betrachtung über das Evangelium nach Johannes

In diesem Charakter ist Er somit von Israel getrennt. Israel wird in Finsternis gelassen, und die Säule Gottes bewegt sich weiter. Jesus, das Licht der Welt, geht weiter und begegnet einem Menschen, der blind ist von Geburt an. In einem solchen Menschen konnten Seine Werke herrlich geoffenbart werden.

Es ist wahr, dass der Herr, Gott, ein großer König ist. Er handelt souverän; Er ist der Töpfer, der Macht hat über den Ton. Der Sohn kam aber nicht vom Thron des Königs, sondern vom Vater; Er kam, um den Vater zu offenbaren. Der Blinde war in der Welt, aber der Sohn kam als das Licht der Welt. Deshalb widmet Er sich wieder Seinem Werk der Gnade und Macht und öffnet die Augen dieses blinden Bettlers.

Aber was war das für Jerusalem? Dort herrschte Finsternis; das Licht mochte scheinen, doch wurde es nicht erfasst. Stattdessen lesen wir: „Sie führen ihn, den einst Blinden, zu den Pharisäern.” Das war ein hohes Untersuchungsgericht zu Jerusalem, das die Wege des Sohnes Gottes prüfen sollte. Anstatt Ihn willkommen zu heißen und wie früher, als die Säule Gottes sich erhob, zu rufen: „Stehe auf, Herr, dass deine Feinde sich zerstreuen”, lieben sie ihre eigene Finsternis und wollen darin leben.

Zuerst fragen sie den Menschen selbst. Aber da sie ihn nicht ihren Zwecken gefügig sehen, übergeben sie den Fall an Zeugen, die sie in ihrer Macht glauben; sie rufen seine Eltern. Sie haben aber wiederum Misserfolg; die Tatsache, dass das Licht unter ihnen geschienen hatte, konnte nicht geleugnet werden. Dann suchen sie die ganze Angelegenheit in eine Richtung abzulenken, die ihren eigenen Stolz und ihre Weltlichkeit unberührt ließ. Sie sagen: „Gib Gott die Ehre; wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist.” Aber auch das nützt nichts; die arme Seele bewahrt ihre Rechtschaffenheit. Dann beunruhigen sie ihn, indem sie ihn von jeder anerkannten Grundlage der Sicherheit trennen. „Du bist sein Jünger”, sagen sie, „wir aber sind Moses Jünger”. Aber er bleibt standhaft, und nicht nur das, er schreitet von Kraft zu Kraft. Er hat, und ihm wird mehr gegeben. Er folgt dem Strahl des Lichtes, bis es zuletzt so leuchtet, dass die Finsternis der Pharisäer getadelt wird. Sie werfen ihn aus dem Lager hinaus.

Aber wohin werfen sie ihn? Gerade dahin, wo jeder einsame, ausgestoßene Sünder sich befindet, wo auch vorher die unreine Samariterin und die überführte Ehebrecherin sich befanden: in die Gegenwart des Sohnes Gottes, jenseits aller Einsamkeit. Das ist die wirkliche Pforte des Himmels. Der Herr war vor ihm aus dem Lager hinausgegangen. Dieses Schaf der Herde war nun hinausgetan worden, aber nur, um dem Hirten zu begegnen, der vorher hinausgegangen war. Auf dem Platz der Schmach und der Verlassenheit begegneten sie sich. Dort wurde er von jemand gefunden, den die Bogenschützen selbst verwundet hatten. Welch eine Begegnung! Als dieser arme Israelit im Lager war, hatte er Jesus als seinen Arzt kennen gelernt, außerhalb des Lagers begegnete er Ihm als dem Sohn Gottes. Als er noch blind war, begegnete er Ihm, damit seine Augen aufgetan würden, und jetzt, da er ausgestoßen ist, trifft er Ihn als Den, der mit ihm redete. Geliebte, dies ist immer die Art und Weise unserer Begegnung mit Jesus als Sünder und Ausgestoßene auf einem unreinen Platz. Wenn Er uns aufnimmt, muss es in der völligen Gnade des Sohnes Gottes, des Heilandes, geschehen. So führt uns unsere Stellung als Sünder in die lieblichsten und innigsten Beziehungen zu dem Herrn des Lebens und der Herrlichkeit. Als Geschöpf kennen wir die Stärke Seines Armes, Seine Gottheit, Weisheit und Güte, aber als Sünder kennen wir die Liebe Seines Herzens und alle die Schätze Seiner Gnade und Herrlichkeit.

Beachten wir auch den Wechsel in dem Verhalten dieses armen Bettlers. In der Gegenwart der Pharisäer war er fest und unbeugsam. Er ließ sich nicht irremachen in seinem Gefühl für Gerechtigkeit und Wahrheit und blieb hart. In dem Augenblick aber, wo er in die Gegenwart des Herrn kommt, ist er voll Demut und Sanftmut. Er zerschmilzt sozusagen zu den Füßen Jesu. Welch ein liebliches Beispiel von der Wirksamkeit des Heiligen Geistes! Mut vor den Menschen, aber zärtliche Gefühle der Liebe und anbetende Demut vor dem Herrn, der uns geliebt und erlöst hat.

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