Der erste Brief an die Korinther

Kapitel 12

Der erste Brief an die Korinther

Der Apostel hatte das Mahl des Herrn als den wichtigsten Beweggrund für das Zusammenkommen als Versammlung vorgestellt. Nun stellt er uns die Gegenwart und die Gaben des Heiligen Geistes in der Versammlung vor. Ohne diese kann keine gottgemäße Ordnung aufrechterhalten werden, wenn die Heiligen zusammenkommen, um an dem Mahl des Herrn teilzunehmen oder um Dienste auszuüben.

Wir lernen aus diesem Abschnitt, dass die Versammlung der Leib Christi ist; sie ist durch den Geist gebildet worden. Der Heilige Geist wirkt in diesem Leib zu dessen Nutzen, indem Er Gaben austeilt, „einem jeden insbesondere austeilend, wie er will“ (Vers 11), damit diese unter Seiner Leitung ausgeübt werden (Vers 3). Durch diese Belehrungen warnt uns der Apostel gleichzeitig vor dem Stören und Einmischen durch schlechte geistliche Gesinnungen und menschliche Anmaßungen. Nur durch das Beachten der Rechte des Heiligen Geistes in der Versammlung Gottes können wir davor bewahrt bleiben.

Verse 1–3

„Was aber die geistlichen Gaben betrifft, Brüder, so will ich nicht, dass ihr unwissend seid. Ihr wisst, dass ihr, als ihr von den Nationen wart, zu den stummen Götzenbildern hingeführt wurdet, wie ihr irgend geleitet wurdet. Deshalb tue ich euch kund, dass niemand, im Geist Gottes redend, sagt: Verflucht sei Jesus!, und niemand sagen kann: Herr Jesus!, als nur im Heiligen Geist.“

Das Kapitel beginnt damit, dass uns die wahren Kennzeichen eines durch den Geist Gottes bewirkten Dienstes vorgestellt werden. Dadurch werden wir befähigt, jeden Dienst, der auf einem falschen Geist beruht, zu erkennen und abzuweisen. Diese Korinther, die aus den Nationen berufen worden waren, hatten vordem unter dem Einfluss falscher Geister gestanden und waren dazu geführt worden, stumme Götzenbilder anzubeten und Jesum zu fluchen. Kein Mensch, der unter der Leitung des Heiligen Geistes redet, wird zum Götzendienst oder gar zur Herabwürdigung Christi verführen. Im Gegenteil, der Heilige Geist wird dazu leiten, Jesum als Herrn zu bekennen.

Der dritte Vers beschreibt nun nicht gerade einen Test, der uns befähigt, zwischen Gläubigen und Ungläubigen zu unterscheiden; er eröffnet uns eher eine Möglichkeit zur Unterscheidung, ob jemand im Geist Gottes redet oder in einem falschen Geist. In jenen Tagen, wo noch immer durch den Heiligen Geist Offenbarungen gegeben wurden und wo daher auch der Teufel suchte, Offenbarungen zu fälschen (vgl. 2. Thes 2,2), war ein solcher Prüfstein von entscheidender Bedeutung. Und die Bedeutung dieses Prüfsteins hat auch nicht aufgehört, obwohl die Offenbarungen abgeschlossen sind; denn wir werden gewarnt, dass in späteren Zeiten etliche auf betrügerische Geister achten werden, und dass es darüber hinaus solche geben wird, die, obwohl sie dem Bekenntnis nach Diener Christi sein wollen, in Wirklichkeit doch Diener Satans sind. Solche können an ihrer Haltung gegenüber Christus erkannt werden. Jeder, der Christus herabwürdigt, ist nicht durch den Geist Gottes geleitet (siehe 1. Tim 4,1 und 2. Kor 11,13–15).

Verse 4–6

„Es sind aber Verschiedenheiten von Gnadengaben, aber derselbe Geist; und es sind Verschiedenheiten von Diensten, aber derselbe Herr; und es sind Verschiedenheiten von Wirkungen, aber derselbe Gott, der alles in allen wirkt.“

Nachdem der Apostel den Boden dafür bereitet hat, dass wir erkennen können, wenn jemand im Geist Gottes redet, geht er nun dazu über, uns über die göttliche Kraft und Autorität zur Ausübung der verschiedenen Gnadengaben zum Dienst zu unterweisen.

Jeder, der im Heiligen Geist redet, wird Christus erhöhen; aber der Geist mag durch verschiedene Gnadengaben reden. Trotzdem werden alle in der Kraft und Wirksamkeit desselben Geistes ausgeübt.

Darüber hinaus werden die verschiedenen Gnadengaben dazu benutzt, verschiedene Arten des Dienstes auszuführen; doch es ist derselbe Herr, Der in jedem Dienst leitet.

Schließlich wird die Ausübung der Gnadengaben in den verschiedenen Diensten auch verschiedene Wirkungen und Ergebnisse hervorbringen; doch es ist derselbe Gott, Der wirkt, um in den Seelen diese Ergebnisse hervorzubringen.

Wir lernen also sowohl, dass die Gnadengaben nur in der Kraft des Geistes und unter der Leitung des Herrn richtig ausgeübt werden können, als auch, dass jedes echte Werk in den Seelen das Ergebnis des Wirkens Gottes ist.

Diese drei Verse genügen also, wenn sie richtig verstanden werden, um drei schwerwiegende Missstände in der Christenheit zu tadeln und gleichzeitig auch zu korrigieren. Erstens wird in der religiösen Welt ganz allgemein die Auffassung vertreten, für die Ausübung von Gnadengaben seien natürliche Fähigkeiten, menschliche Weisheit und die Ausbildung an theologischen Hochschulen unabdingbare Voraussetzungen. Der Apostel belehrt uns hier, dass wir für die Ausübung von Gnadengaben in der Versammlung Gottes etwas nötig haben, was uns keine Schule der Menschen vermitteln kann und was menschliche Fertigkeiten nicht zu erlangen vermögen. Wir bedürfen der Gegenwart und Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Wenn Er wirken kann, dann kann Er (und Er tut es dann auch) 'ungelehrte und ungebildete' (Apg 4,13) Fischer wie Petrus und Johannes gebrauchen, um die hohe Stellung von Aposteln einzunehmen und dadurch die Welt auf den Kopf zu stellen – und Er kann auch einen außerordentlich gebildeten Mann wie den Apostel Paulus benutzen. Der Stolz und die Einbildung des Menschen wird dadurch beiseite gesetzt und alles wird von der Gegenwart und Wirksamkeit des Heiligen Geistes abhängig gemacht.

Zweitens wird in der Christenheit behauptet, dass jemand, bevor er seine Gnadengabe auch ausüben kann, von Menschen ordiniert und durch menschliche Autorität zum Dienst ausgesandt werden muss. Der Apostel besteht darauf, dass wahrer Dienst nur die Autorität des Herrn erfordert.

Drittens verlassen sich die Menschen hinsichtlich des Werkes in den Seelen zum größten Teil auf solche Dinge wie Redegewandtheit, bewegende Anreize, Musik, Gesang und andere Methoden, die sich an die Sinne richten. Der Apostel sagt uns, dass es Gott ist, „der alles in allen wirkt“. Gott ist es, Der alles wirkt, was göttlich ist, in jedem, in welchem ein Werk geschieht. Der Apostel hatte diese Gläubigen ja schon daran erinnert: „Meine Rede und meine Predigt war nicht in überredenden Worten der Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht beruhe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft“ (Kap 2,4+5).

Wir lernen also, dass die Kraft für die Ausübung von Gnadengaben nicht aus dem Menschen kommt – sie kommt von dem Heiligen Geist. Die Autorität für den Dienst kommt nicht aus dem Menschen – sie kommt von dem Herrn. Das Ergebnis in den Seelen wird nicht durch den Menschen hervorgebracht – es ist das Wirken Gottes.

Vers 7

„Einem jeden aber wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen gegeben.“

Nachdem der Apostel von dem göttlichen Ursprung jeder Gnadengabe gesprochen hat, belehrt er uns nun über die Verschiedenheiten der Gnadengaben und über ihre Verteilung (Verse 7–11). Wir lernen hier, dass der Geist nicht all Seine Offenbarungen in einem Menschen oder in einer Gruppe von Menschen konzentriert hat. Die Unterweisungen hier tadeln ein besonders ausgeprägtes Übel in der Christenheit, dass nämlich eine besondere Klasse von Menschen für den Dienst beiseite gestellt und somit das Volk Gottes in Laien und in Geistliche aufgeteilt ist. Die Schrift kennt eine solche Unterscheidung nicht. Die Christenheit verwirft diese Ordnung Gottes und sagt damit praktisch, dass die Offenbarung des Geistes jemandem gegeben wird, der damit dazu bestimmt worden ist, einer Gemeinde vorzustehen und sie zu leiten. Hier heißt es jedoch, dass die Offenbarung des Geistes einem jeden gegeben wird.

Darüber hinaus wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen gegeben. Sie wird nicht zu dem Zweck gegeben, dass der Einzelne sich selbst erheben oder eine führende Position unter dem Volk Gottes erreichen oder persönlichen Einfluss und Vorteil erlangen kann, sondern für das gemeinschaftliche Wohl und zum Nutzen aller. Diese Unterweisung hatte für die Gläubigen in Korinth eine besondere Bedeutung, da sie die Gnadengaben dazu benutzten, sich selbst zu erhöhen.

Verse 8–10

„Denn dem einen wird durch den Geist das Wort der Weisheit gegeben, einem anderen aber das Wort der Erkenntnis nach demselben Geist; einem anderen aber Glauben in demselben Geist, einem anderen aber Gnadengaben der Heilungen in demselben Geist, einem anderen aber Wunderwirkungen, einem anderen aber Weissagung, einem anderen aber Unterscheidungen der Geister; einem anderen aber Arten von Sprachen, einem anderen aber Auslegung der Sprachen.“

Der Apostel fährt damit fort, zwischen den verschiedenen Gnadengaben zu unterscheiden. Er spricht nicht so sehr von dem Besitz dieser Gnadengaben, sondern von der Offenbarung oder ihrem Gebrauch. Deshalb spricht er auch nicht nur von Weisheit und Erkenntnis, sondern von dem Wort der Weisheit und dem Wort der Erkenntnis. Das Wort deutet auf das Vermitteln von Weisheit und Erkenntnis zur Hilfe anderer hin.

Weisheit bedeutet, im Besitz der Gedanken Gottes zu sein und alles so zu sehen, wie es vor Gott und in Beziehung zu Gott ist. Erkenntnis ist mehr eine verständige Vertrautheit mit dem offenbarten Wort Gottes; durch die Erkenntnis kann die Lehre klar dargestellt werden. Der Glaube an dieser Stelle ist nicht einfach der Glaube an Christus und an das Evangelium – den haben alle Gläubigen miteinander gemein; hier ist es mehr der besondere Glaube, der bestimmten Gläubigen gegeben worden ist, damit sie dem Volk des Herrn helfen können, sich über Schwierigkeiten zu erheben, Widerstände zu überwinden und sie in ihren Schwierigkeiten leiten können.

Die Gnadengaben der Heilungen waren „Zeichen-Gnadengaben“ in Verbindung mit unserem Leib. Wunderwirkungen – etwas anderes als Heilungen – bedeuteten eine Demonstration von Macht über materielle Dinge und geistliche Wesen (vgl. Mk 16,17+18; Apg 13,11; 16,18; 28,5).

Prophezeiung war eine Offenbarung geistlicher Macht auf geistlichem Gebiet; sie befähigt ihren Besitzer, die Gedanken Gottes sowohl im Blick auf die Gegenwart als auch im Blick auf die Zukunft darzulegen (vgl. Apg 11,28; 1. Kor 14,3).

Unterscheidungen der Geister ist eine Gnadengabe, die, wie jemand gesagt hat, die Fähigkeit zur Unterscheidung nicht nur zwischen wahren und unechten Bekennern des Herrn Jesus bedeutet, sondern zwischen der Lehre des Geistes und dem, was von bösen Geistern vorgetäuscht oder nachgeahmt wird (W.Kelly).

Dann mögen noch dem einen Arten von Sprachen gegeben worden sein, und einem anderen die Auslegung der Sprachen.

Vers 11

„Dies alles aber wirkt ein und derselbe Geist, einem jeden insbesondere austeilend, wie er will.“

Nachdem uns die verschiedenen Gnadengaben vorgestellt worden sind, werden wir daran erinnert, dass sie, wenn sie auch manchmal übernatürlich zu sein scheinen, doch alle vom Geist sind. „Alles dieses aber wirkt ein und derselbe Geist, einem jeden insbesondere austeilend, wie er will“. Die Ordnung Gottes für Seine Versammlung ist Vielfalt von Gnadengaben, verteilt auf verschiedene Einzelpersonen und ausgeübt unter einem Willen – der Kraft und dem Willen des Heiligen Geistes. Jede echte Ordnung in den Versammlungen des Volkes Gottes ist das Ergebnis davon, dass Gott selbst inmitten Seines Volkes wirken kann. Die Christenheit missachtet diese Ordnung in der Praxis durch ihre menschlichen Anordnungen, ordinierten Dienste und vorgeschriebenen Zeremonien.

Verse 12+13

„Denn so wie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein Leib sind: so auch der Christus. Denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt worden.“

Von den unterschiedlichen Offenbarungen des Geistes geht der Apostel nun dazu über, von dem Bereich zu sprechen, in dem der Geist wirkt. Dies führt zu einer gesegneten Entfaltung von der Wahrheit von der Versammlung unter dem Gesichtspunkt des Leibes Christi. In Übereinstimmung mit der Ordnung Gottes üben die Gläubigen ihre Gnadengaben nicht als isolierte Einzelpersonen aus, sondern als Glieder des Leibes Christi und zum Wohle des ganzen Leibes. Der Apostel benutzt hier den menschlichen Körper, um damit bestimmte bedeutsame Wahrheiten von dem Leib Christi zu veranschaulichen. So wie der menschliche Körper ein Ganzes ist und doch aus vielen Gliedern zusammengesetzt ist und alle Glieder ihren Platz und Teil an diesem Körper haben, „so auch der Christus“. Dies ist eine sehr schöne Art, diese Wahrheit vorzustellen. Der Gegenstand hier ist die Versammlung, doch der Apostel sagt nicht: …“also auch die Versammlung“, sondern: „... also auch der Christus“. Der Leib ist der Leib Christi und umschließt Christus und die einzelnen Glieder. Es ist Sein Leib, in dem das zur Darstellung kommt, was Er ist. Dies steht in Übereinstimmung mit der Wahrheit, die dem Apostel ganz zu Anfang, bei seiner Bekehrung, vorgestellt worden war: „Was verfolgst du mich?“ (Apg 9,4). Sein Volk anzutasten bedeutet, Ihn selbst, Seinen Leib, anzutasten.

Uns wird nun weiter gesagt, dass die Versammlung aus Gläubigen zusammengefügt ist – sowohl aus Juden als auch aus Griechen –, die in einem Geist zu einem Leib getauft worden sind. Die Taufe des Geistes fand, wie wir aus Apg 1,5 und Apg 2 wissen, zu Pfingsten statt, wo die Gläubigen durch die Gabe und das Innewohnen des Heiligen Geistes mit Christus als Haupt im Himmel und auch untereinander vereinigt wurden.

Verse 14–19

„Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. Wenn der Fuß spräche: Weil ich nicht Hand bin, so bin ich nicht von dem Leib; ist er deswegen nicht von dem Leib? Und wenn das Ohr spräche: Weil ich nicht Auge bin, so bin ich nicht von dem Leib; ist es deswegen nicht von dem Leib? Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo wäre das Gehör? Wenn ganz Gehör, wo der Geruch? Nun aber hat Gott die Glieder gesetzt, jedes einzelne von ihnen an dem Leib, wie es ihm gefallen hat. Wenn aber alle ein Glied wären, wo wäre der Leib?“

Nachdem der Apostel die Wahrheit von der Versammlung als dem Leib Christi vorgestellt hat, benutzt er nun in dem verbleibenden Teil dieses Kapitels die Funktionen des menschlichen Körpers, um die Praxis darzustellen, durch die der Leib Christi auf der Erde gekennzeichnet sein sollte. Er zeigt, dass so, wie der menschliche Körper gebildet worden ist, um als ein vereinigtes Ganzes so zu handeln und zu wirken, dass jedes Durcheinander ausgeschlossen ist, es auch in der Versammlung sein sollte.

Zuerst werden wir daran erinnert, dass in dem menschlichen Leib Vielfalt in Einheit besteht. „Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele“. Wenn jedes Glied aus Neidgefühlen anderen Gliedern gegenüber, die vielleicht eine höhere Funktion haben, seine ihm eigene Funktion vernachlässigen würde, dann würde diese Vielfalt vollständig missachtet. Als Folge davon würde größtes Durcheinander und Unordnung aufkommen. Würde der Fuß damit anfangen, sich zu beklagen, dass er nicht Hand ist, oder das Ohr, weil es nicht Auge ist, dann würde das normale Funktionieren des Leibes aufhören, denn Glieder, die sich beschweren, hören auf, wirkungsvoll zum Wohl des Leibes zu handeln. Einem solchen Durcheinander kann nur dadurch vorgebeugt werden, dass man erkennt und anerkennt, dass nicht Menschen sondern Gott „die Glieder gesetzt hat, jedes einzelne von ihnen an dem Leib, wie es Ihm gefallen hat“. Gott hat jedem Glied seine bestimmte Stellung und Funktion gegeben. Die hervorragende Stellung eines Gliedes würde den einen Leib beseitigen; „wenn aber alle ein Glied wären, wo wäre der Leib“? – es würde keinen Leib geben.

Verse 20–25

„Nun aber sind der Glieder zwar viele, der Leib aber ist einer. Das Auge kann nicht zu der Hand sagen: Ich brauche dich nicht; oder wiederum das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht; sondern vielmehr die Glieder des Leibes, die schwächer zu sein scheinen, sind notwendig; und die wir für die unehrbareren des Leibes halten, diese umgeben wir mit reichlicherer Ehre; und unsere nichtanständigen haben desto reichlichere Wohlanständigkeit; unsere wohlanständigen aber benötigen es nicht. Aber Gott hat den Leib zusammengefügt, indem er dem Mangelhafteren reichlichere Ehre gegeben hat, damit keine Spaltung in dem Leib sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge füreinander hätten.“

Als zweites zeigt der Apostel, dass Einheit in Vielfalt besteht. Wenn es auch viele Glieder gibt, so gibt es doch nur einen Leib. Doch diese Einheit des Leibes würde auf das Äußerste gefährdet werden, wenn die „höheren“ Glieder verächtlich auf die „niedrigeren“ Glieder herabblicken würden. Wir haben schon gesehen, dass Neidgefühle im Blick auf andere Glieder zur Zerstörung der Vielfalt führen würden; hier lernen wir, dass Geringschätzung oder Überlegenheitsgefühle zur Zerstörung der Einheit führen würden. Wenn das Auge die Hand mit Geringschätzung behandelt oder das Haupt den Fuß verhöhnt, hört die Einheit des Leibes auf. Und wieder kann dieses Durcheinander nur dadurch verhindert werden, dass die Gegenwart und Macht Gottes erkannt und anerkannt wird. Gott hat den Leib auf eine solche Art und Weise zusammengefügt, dass kein Glied auf ein anderes Glied verzichten könnte.

Das Anerkennen der ersten großen Wahrheit, dass die Vielfalt in Einheit besteht, würde den weltlichen Grundsatz einer so genannten Geistlichkeit vollständig ausschließen; denn es ist offensichtlich, dass in dem einen Leib kein einziges Glied eine hervorragende Bedeutung beanspruchen kann – jedes Glied hat seine ihm eigene Funktion.

Das Anerkennen der zweiten Wahrheit, dass die Einheit in Vielfalt besteht, würde das Prinzip der Unabhängigkeit ausschließen. Obwohl jedes Glied seine eigene spezielle Funktion hat, sind doch alle Glieder voneinander abhängig. Die Lehre von dem Leib Christi ist also die, dass kein Gläubiger eine Vorrangstellung hat, und dass alle Glieder voneinander abhängig sind.

Vers 26

„Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; oder wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit.“

Das Ergebnis davon ist, dass alle Glieder mitleiden, wenn ein Glied leidet, oder dass sich alle Glieder mitfreuen, wenn ein Glied verherrlicht wird. Zweifellos ist wegen des Zustandes der Uneinheit in der Christenheit der praktische Ausdruck hiervon weitgehend behindert. Trotzdem bleibt die Wahrheit bestehen, dass die einzelnen Glieder einander beeinflussen, da sie durch den Heiligen Geist untereinander verbunden worden sind. Was von dem Heiligen Geist abhängt, kann nicht vergehen, wie sehr unser Versagen den praktischen Ausdruck davon auch verhindern mag. Je geistlicher wir gesinnt sind, umso mehr wird uns auch die Wahrheit bewusst werden, dass wir einander beeinflussen. Der zerrüttete Zustand der Versammlung hat unsere geistliche Empfindsamkeit geschwächt, aber es ist einmal gesagt worden: „In dem Maß unserer geistlichen Kraft leiden wir oder freuen wir uns bewusster“.

Vers 27

„Ihr aber seid Christi Leib, und Glieder im Einzelnen.“

Der Apostel hatte von den großen Grundsätzen gesprochen, die wahr sind von der ganzen Versammlung Gottes auf der Erde unter dem Gesichtspunkt des Leibes Christi. Nun wendet er diese Wahrheiten auf die örtliche Versammlung in Korinth an. Er sagt: „Ihr aber seid Christi Leib, und Glieder im einzelnen“. Er sagt damit nicht, dass sie der Leib Christi seien – wie es in manchen Übersetzungen falsch wiedergegeben ist –, sondern: „Ihr aber seid Christi Leib“. Die Versammlung in Korinth war nicht der Leib Christi, sondern sie war der örtliche Ausdruck des Leibes – ein Teil von dem Leib, welches aber den ganzen Leib darstellte. Ein General mag zu einigen Soldaten an einem bestimmten Ort sagen: „Denkt daran, dass ihr Garde-Soldaten seid“; er würde nicht sagen: „Ihr seid die Garde-Soldaten“, denn diese wenigen Soldaten umfassen nicht das ganze Regiment, aber an diesem Ort stellen sie dieses Regiment dar.

So ist es auch heute noch das Vorrecht und die Verantwortlichkeit aller Gläubigen an einem Ort, sich einfach als Glieder des einen Leibes Christi auf Erden und als örtliche Darstellung dieses einen Leibes zu versammeln. Jeder Gläubige ist durch den Geist ein Glied an dem Leib Christi; und ein Glied am Leib Christi zu sein, macht mich verantwortlich, in Übereinstimmung mit dieser großen Wahrheit zu wandeln und es abzulehnen, mit den Sekten der Christenheit, die diese Wahrheit praktischerweise leugnen, in Verbindung zu kommen. In der Christenheit bleibt diese große Wahrheit unbeachtet von Christen, die sich um so manche hingebungsvollen Diener versammeln, oder auch von solchen, die Gemeinschaften gebildet haben, bei denen ganz bestimmte Wahrheiten betont werden. Der eine Leib Christi ist die alleinige Einheit, die durch den Heiligen Geist gebildet worden ist; und die einzige „Mitgliedschaft“, die die Heilige Schrift kennt, ist die Zugehörigkeit zu diesem Leib.

In diesen Tagen des Ruins bemühen sich aufrichtige Christen, die Einheit der Christen dadurch herbeizuführen, dass sie Gebetsgemeinschaften, gemeinsame Evangeliumsverkündigungen, gemeinsame Missionsarbeit und Gemeinschaften zur Verbreitung bestimmter Wahrheiten, wie z.B. die der Absonderung oder die des Kommens des Herrn, einzurichten versuchen. Und während viele bereit sind, sich diesen von Menschen gebildeten Vereinigungen anzuschließen, werden nur einige wenige die unterschiedlichen Sekten, die nach menschlicher Weisheit und Übereinkunft gebildet wurden, verlassen, um im Licht der einzigen durch den Geist gebildeten Einheit zu wandeln und unter der Leitung des Heiligen Geistes zu handeln. Und doch möchte der Herr nichts anderes erreichen. Er legt unseren Gewissen nicht eine endlose Auswahl an Zusammenkünften und Vereinigungen auf, denen sich anzuschließen – wie schon ausgeführt worden ist – für die große Masse der Christen völlig unmöglich wäre. Auch beabsichtigt Er nicht, dass wir die verschiedenen Sekten verlassen und zu einem weit entfernten Ort reisen sollen, um dort für eine Woche im Jahr zusammen zu sein und so unsere Einheit in Christus zum Ausdruck zu bringen. Wenn das so wäre, würde der Herr etwas von uns erwarten, das für den weitaus größten Teil des Volkes Gottes völlig unmöglich wäre.

Was der Herr allerdings von Seinem Volk erwartet, ist diese Haltung, dass ein jeder an seinem Ort alles das verlässt, was eine Leugnung dieser Wahrheit ist, und dass er sich auf dem Boden der Wahrheit von dem einen Leib – von dem jeder wahre Gläubige ein Glied ist – versammelt. Jemand hat trefflich gesagt: „Was der Herr verlangt, ist zu verwirklichen einem jeden möglich – zu allen Zeiten, in aller Stille und ohne Pomp, in Aufrichtigkeit und Wahrheit“. Ein solcher Weg steht selbst dem Einfachsten und Einfältigsten aus dem Volk Gottes offen.

Wie man es damals von der Versammlung in Korinth sagen konnte, so ist es auch heute noch von solchen wahr, die sich an einem Ort im von Gott gegebenen Glauben im Licht der Wahrheit von dem einen Leib versammeln: sie sind Christi Leib in dem Sinne, dass sie die Darstellung des Leibes Christi sind. In diesen Tagen des Ruins wird es nämlich schwierig sein, irgendeine Gemeinschaft von Heiligen zu finden, die alle Gläubigen an einem Ort umschließt. Aber für Gläubige, die bereit sind, um jeden Preis im Gehorsam dem Wort Gottes gegenüber voranzugehen, ist es noch immer möglich, gemeinsam im Licht dieses einen Leibes zu wandeln!

Verse 28–30

„Und Gott hat einige in der Versammlung gesetzt: erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer, dann Wunderkräfte, dann Gnadengaben der Heilungen, Hilfeleistungen, Regierungen, Arten von Sprachen. Sind etwa alle Apostel, alle Propheten, alle Lehrer? Haben alle Wunderkräfte? Haben alle Gnadengaben der Heilungen? Reden alle in Sprachen? Legen alle aus?“

In den Schlussversen dieses Kapitels wird uns die Tatsache vor Augen geführt, dass Gott in der Versammlung – das ist die Kirche als Ganzes – verschiedene Gnadengaben gesetzt hat. Im Brief an die Epheser lernen wir, dass die Gaben von Christus, dem in den Himmel aufgefahrenen Haupt des Leibes, gegeben werden. Im Korinther-Brief lernen wir, dass der Heilige Geist diese Gaben in der Versammlung auf der Erde austeilt.

Einige dieser Gnadengaben waren zweifellos für die Anfangszeit des Christentums gegeben worden; dies waren die „Zeichen-Gnadengaben“. Nicht eine einzige Schriftstelle sagt, dass diese Gnadengaben die ganze Geschichte der Versammlung hindurch bestehen bleiben würden. Es ist auch bezeichnend, dass solche Gnadengaben, nach denen der Mensch strebt, in dieser Einteilung hier einen geringeren Stellenwert haben.

Vers 31

„Eifert aber nach den größeren Gnadengaben; und einen noch weit vortrefflicheren Weg zeige ich euch.“

Eine Gnadengabe ist etwas, wonach wir mit Recht streben sollen. Und doch können wir, wie auch die Gläubigen in Korinth, die Gnadengaben bei dem Versuch missbrauchen, uns selbst durch sie zu erhöhen. Deshalb wird uns hier gesagt, dass es einen noch weit vortrefflicheren Weg gibt, auf dem wir einander dienen können. Auf diesen weit vortrefflicheren Weg kommt der Apostel nun sogleich zu sprechen.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel