Einführung in die geschichtlichen Bücher des Neuen Testaments
(Matthäus – Apostelgeschichte)

Teil 4: Einführung in das Lukasevangelium

Einführung in die geschichtlichen Bücher des Neuen Testaments

1. Einleitung

Lukas hat zwei Bücher geschrieben, die untrennbar zusammengehören und eine Einheit bilden.1 Der erste Bereich (das Evangelium) beschreibt das, was Jesus anfing zu tun und lehren (Apg 1,1). Es ist das, was Jesus für uns Menschen tat. Die Apostelgeschichte setzt diese Beschreibung fort und zeigt uns, was der auferstandene Herr jetzt im Himmel in den Seinen und durch die Seinen tut.

Das Lukasevangelium ist das längste der vier Evangelien und zugleich das längste Buch des ganzen Neuen Testamentes. Kein anderer Autor im Neuen Testament (nicht einmal Paulus) hat insgesamt mehr zu dem zweiten Teil der Bibel beigetragen als Lukas (über 25% des Textes wurde von Lukas geschrieben).2 Zudem ist Lukas der einzige nichtjüdische Schreiber von Bibelbüchern und er schreibt sie an einen Mann, der ebenfalls kein Jude ist.

Das große Thema im Lukasevangelium ist der Herr Jesus als wirklicher und zugleich perfekter Mensch. Er kommt vom Himmel auf die Erde, um verlorene Menschen zu retten. Es geht um die gewaltige Tatsache, dass Gott in Gnade zu uns Menschen kommt. Und wie hätte Gott uns näherkommen können als darin, dass Er selbst Mensch wurde? Lukas ist der einzige Evangelist, der Gott einen Heiland nennt (Lk 1,47). Wir sehen die ausgestreckte Hand Gottes in Christus. Als Er geboren wurde, sprachen die Engel von dem Wohlgefallen Gottes an den Menschen, und zwar an denen, die die Gnade annehmen würden (Lk 2,14).

Zwei Aussagen von Paulus könnte man als Überschrift über das Lukasevangelium setzen:

„Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen“ (Tit 2,11)

„... unser Heiland-Gott, der will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn Gott ist einer, und einer ist Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gab als Lösegeld für alle, wovon das Zeugnis zu seiner Zeit verkündigt werden sollte“ (1. Tim 2,3–6).

Die Rettung Gottes hatte nicht nur das Ziel, Menschen mit Gott zu versöhnen, sondern Gott möchte das Herz der Menschen mit Freude erfüllen. Deshalb ist Lukas nicht nur das Evangelium des vollkommenen Menschen und des Heils, das Er in Gnade bringt, sondern es ist zugleich das Evangelium der Freude. Es beginnt mit Freude und endet mit Freude (Lk 2,10; 24, 52).

Lukas beschreibt den Herrn Jesus ganz besonders in seiner Menschheit. Er ist der „Sohn des Menschen“, d. h. wirklicher und realer Mensch – von einer Frau geboren. Dass Er dabei unbedingt Gott ist und bleibt, ist davon unbenommen. Lukas beschreibt die Geburt des Herrn Jesus ausführlicher als Matthäus. Er gibt das Geschlechtsregister bis auf Adam bzw. bis auf Gott an (Lk 3,38). Nur bei Lukas finden wir einen Hinweis auf die Krippe (Lk 2,7.12.16). Nur Lukas gibt uns einen kurzen Einblick in die Jugendzeit unseres Herrn, in der Er sogar seinen Eltern untertan war (Lk 2,51).

Lukas schreibt mehr als die anderen Evangelisten über die Abhängigkeit des Herrn Jesus von seinem Gott. In keinem Evangelium finden wir den Herrn so häufig im Gebet wie gerade bei Lukas. Er schreibt auch ausführlicher über die Empfindungen des Herrn angesichts der bevorstehenden Kreuzigung. Nur Lukas erwähnt, dass sein Schweiß im Gebetskampf wie große Blutstropfen wurde (Lk 22,44). Der Herr Jesus hat es als Mensch tief empfunden, dass der Tod und das Sterben furchtbar sind. Er war tatsächlich der „Mann der Schmerzen“, von dem Jesaja spricht (Jes 53,3).

Lukas zeigt also erstens Gott als einen Heiland-Gott, der die Menschen retten will. Er zeigt zweitens den einen Mittler, den Gott gesandt hat. Gott wird in Christus Mensch, die Welt mit sich versöhnend (2. Kor 5,19). Drittens macht Lukas klar, in welch einem verlorenen Zustand wir Menschen uns befinden. Kein Evangelist beschreibt das Elend und die Not der Menschen so, wie Lukas es tut. Wir denken an Begebenheiten wie den unter die Räuber gefallenen Menschen (Lk 10) und den verlorenen Sohn (Lk 15). Wir denken an den Räuber am Kreuz, der in den letzten Minuten seines verpfuschten Lebens die Gnade Gottes in der Person des Retters annimmt.

2. Verfasser und Authentizität

Obwohl der Schreiber sich selbst nicht nennt, sind hinsichtlich der Frage des Verfassers und der Authentizität dieses Evangeliums kaum ernsthafte Zweifel geäußert worden. Schon in der frühen Kirche gab es große Einmütigkeit, dass der Verfasser der von Paulus genannte Arzt Lukas ist, den er in seinen Briefen dreimal nennt (Kol 4,14; 2. Tim 4,11; Phlm 24). Deshalb hieß dieses Evangelium schon sehr früh das „Evangelium nach Lukas“.

2.1. Externe und interne Belege

Es gibt eine Reihe von externen Belegen, die man anführen kann. Die frühen Kirchenväter, wie z. B. Irenäus, Justin der Märtyrer, Eusebius, Tertullian, Clemens, Alexandrinus und andere nennen Lukas eindeutig mit Namen. Irenäus schreibt: „Auch Lukas, der Begleiter des Paulus, hat das von diesem verkündigte Evangelium in einem Buche niedergelegt.“ Hieronymus sagt: „Lukas, der antiochische Arzt, war, wie seine Schriften zeigen, des Griechischen sehr gut kundig. Als Begleiter des Apostels Paulus und Gefährte auf seiner ganzen Wanderschaft hat er ein Evangelium geschrieben...“.3 Das sogenannte Muratorisches Fragment (Kanon Muratori) nennt als drittes Evangelium ebenfalls eindeutig „Lukas“.

Es macht wenig Sinn, an diesen Aussagen zu zweifeln, denn warum sollte die alte Kirche einen Nicht-Augenzeugen, einen Nicht-Apostel und einen Nichtjuden zum Verfasser eines Evangeliums machen, wenn er es nicht wirklich ist?

Es gibt interne Hinweise in dem Evangelium selbst, die die externen Beweise untermauern. Dazu zählen z. B. das Vokabular (Lukas ist an manchen Stellen präziser in der Verwendung medizinischer Ausdrücke als andere Schreiber), das besondere Interesse eines Arztes an Menschen und das exzellente Griechisch, in dem nur ein gebildeter Mann schreiben konnte. Als weiterer Beleg gilt die Einheit von Evangelium und Apostelgeschichte, die beide an Theophilus gerichtet sind. Beide Bücher ähneln sich in Stil und Wortschatz. In der Einführung zur Apostelgeschichte werden wir sehen, dass dieses Buch nur von Lukas geschrieben sein kann.

2.2. Zweifel

Wie bereits bemerkt, gibt es wenig Zweifel daran, dass Lukas tatsächlich der Schreiber dieses Buches ist. Einige Kritiker meinen allerdings anmerken zu müssen, dass ein Werk mit einer persönlichen Widmung an eine bestimmte Person (im konkreten Fall Theophilus) üblicherweise den Namen des Verfassers tragen müsse. Allerdings gibt es nachweislich andere alte Dokumente, wo das ganz ähnlich ist.

Andere melden Zweifel an, ob Lukas tatsächlich der von Paulus erwähnte Arzt ist. Als Argument wird angeführt, dass man der altkirchlichen Überlieferung nicht zu sehr trauen solle und der Verfasser keine erkennbare Beziehung zu Paulus gehabt habe. Beiden Argumenten sollte man keine zu große Bedeutung beimessen. Natürlich muss man nicht alles glauben, was die Kirchenväter schreiben. Wenn ihr Zeugnis allerdings so einstimmig ist, wie im Fall von Lukas (und anderen), gibt es wenig Gründe, es nicht anzunehmen. Und was die Verbindung zu Paulus betrifft, so ist gerade Lukas – mehr als die anderen Evangelisten – von dem Prinzip des Paulus geprägt: „Dem Juden zuerst als auch dem Griechen“ (Röm 1,16; 2,9.10). Es gibt jedenfalls deutlich mehr Argumente, die dafürsprechen, dass es sich bei dem Autor tatsächlich um „Lukas, den geliebten Arzt“ handelt.

2.3. Lukas

Lukas nennt seinen Namen selbst nicht. In der Apostelgeschichte spricht er allerdings mehrfach in der „Wir-Form“. Er bleibt also bescheiden im Hintergrund. Paulus erwähnt ihn in seinen Schriften dreimal:

  • „Es grüßt euch Lukas, der geliebte Arzt, und Demas“ (Kol 4,14)
  • „Lukas ist allein bei mir“ (2. Tim 4,11)
  • „Es grüßt dich ... Lukas, mein(e) Mitarbeiter“ (Phlm 23.24)

Diesen Versen kann man folgendes entnehmen:

  1. Lukas war von Beruf Arzt. Beim Lesen seines Evangeliums erkennt man sein Interesse an medizinischen Sachverhalten. Er kannte sich mit der „Spezies Mensch“ besonders gut aus und deshalb wundert es uns nicht, dass gerade er über den vollkommenen Menschen schreibt, der kommt, um Menschen aus ihrem Sündenelend zu retten. Er beschreibt die Geburtsgeschichte des Menschen Jesus ganz anders als Matthäus. Als Arzt schreibt er, wie Gott als der große Arzt in Jesus die durch die Sünde hervorgerufenen Wunden heilen kann. Er gebraucht Ausdrücke wie „starkes Fieber“ (Lk 4,38) oder „voller Aussatz“ (Lk 5,12). Er spricht von der medizinischen Versorgung des unter die Räuber Gefallenen (Lk 10,34). Er beschreibt eine Frau, „die achtzehn Jahre einen Geist der Schwäche hatte und zusammengekrümmt und ganz unfähig war, sich aufzurichten“ (Lk 13,11). Offenbar hatte Lukas als Arzt eine sehr einfühlsame Art.
  2. Lukas war ein gebildeter Mann. Das zeigt sich deutlich in seinen beiden Büchern. Sie sind von hoher literarischer Qualität und überzeugen durch Stil, Aufbau und Wortschatz. Das Griechisch des Lukas gilt als exzellent. Er gebraucht in seinen beiden Büchern fast dreihundert Worte, die kein anderer Verfasser benutzt, d. h., er zeichnet sich durch einen besonders reichen Wortschatz aus.
  3. Lukas war kein gebürtiger Jude, sondern sehr wahrscheinlich ein Grieche. Darauf deutet jedenfalls sein griechischer Name hin. Lukas bedeutet „der Erleuchtete, der Licht spendende“. In Kolosser 4 steht er im Gegensatz zu denen „die aus der Beschneidung (d. h. aus den Juden) sind“ (Kol 4,11).4 Ihm kommt damit die besondere Ehre zu, als einziger heidnischer Autor einen Teil der Bibel geschrieben zu haben.
  4. Lukas war ein treuer Mitarbeiter des Paulus. Er hat ihn auf einigen Reisen begleitet und war bis zum Ende bei ihm. Während seiner zweiten (und letzten) Gefangenschaft war Lukas allein bei ihm und half ihm. Es ist offensichtlich, dass Paulus für diesen treuen Bruder eine besondere Zuneigung hatte.

Man nimmt allgemein an, dass Lukas aus Antiochien stammt. Dies ist jedoch keineswegs gesichert. Manche denken, er sei ein freigelassener Sklave aus dem Haus des Theophilus in Antiochien gewesen. Wann er sich dem christlichen Glauben zugewandt hat, ist unbekannt. Auch über sein Ende gibt es unterschiedliche Spekulationen. Er soll im Alter von über 80 Jahren in Griechenland als Märtyrer gestorben sein.

Wir konzentrieren uns auf das, was die Bibel uns über Lukas sagt. Die „Wir-Berichte“ in der Apostelgeschichte (Apg 16,10–17; 20,5–15; 21,1–18; 27,1–28,16) zeigen, dass er zum ersten Mal während der zweiten Missionsreise mit Paulus zusammen war.5 Zum ersten Mal wird er in Troas erwähnt (Apg 16,10). Von dort ging es nach Philippi (Apg 16,11–17), wo die beiden sich scheinbar wieder trennten. Einige Jahre später – während der dritten Missionsreise – ist Lukas erneut dabei. Von Philippi aus begleitet er Paulus nach Jerusalem (Apg 20,5–15; 21,1–18). Auch auf der Reise nach Rom ist er sein Begleiter (Apg 27,1–28,16). Während der ersten Gefangenschaft in Rom ist Lukas bei Paulus (Kol 4,14, Phlm 24) und bei der zweiten Gefangenschaft finden wir Lukas erneut in der Nähe von Paulus (2. Tim 4,11).6

2.4. Lukas und Paulus

Es ist unverkennbar, dass Lukas in seinen beiden Büchern eng mit Paulus verbunden ist. In der Apostelgeschichte dokumentiert sich das darin, dass er zeitweise Reisebegleiter des Paulus war. In seinem Evangelium ist die Verbindung eher innerlich. Paulus war der „Apostel der Nationen“ (Röm 11,13). Er war „ein auserwähltes Gefäß“, den Namen des Herrn zu tragen „sowohl vor Nationen als Könige und Söhne Israels“ (Apg 9,15). Genau das sehen wir bei Lukas. Der Sohn des Menschen kommt zu dem irdischen Volk Gottes (den Juden zuerst), doch die Gnade kann nicht auf ein Volk beschränkt bleiben. Sie zeigt sich allen Menschen.

W. Kelly schreibt: „Obwohl also unser Evangelium im Wesentlichen einen nichtjüdischen Charakter trägt, indem es an einen Nichtjuden gerichtet und von einem Nichtjuden geschrieben ist, beginnt es mit einer Ankündigung Christi, die jüdischer ist als irgendeine in den anderen Evangelien. Ähnlich handelte auch Paulus in seinem Dienst. Er fing bei den Juden an. Doch bald lehnten die Juden zunehmend das Wort ab und erwiesen sich als unwürdig des ewigen Lebens. Daraufhin wandte Paulus sich an die Nichtjuden. Das gilt auch für unser Evangelium“.7

2.5. Die Arbeitsweise des Lukas als Werkzeug in Gottes Hand

Wie bereits bemerkt, zählt Lukas zu den Gebildeten seiner Zeit. Das ist deutlich an seinem Sprachstil, dem Aufbau und Inhalt seiner beiden Bücher zu erkennen. Seine beiden Prologe (Lk 1,1–4; Apg 1,1–2) entsprechen dem Stil damaliger Historiker. Wir erkennen, wie der Heilige Geist die natürliche Begabung eines Menschen mit seiner geistlichen Befähigung verbindet und einen Mediziner beauftragt, unter der Leitung des Heiligen Geistes über den Sohn Gottes als wirklichen Mensch zu schreiben.

Lukas zählt zu den wenigen Verfassern, die überhaupt eine Aussage zu der Art und Weise machen, wie sie schreiben. Wenn wir seinen Prolog lesen (Lk 1,1–4) lernen wir folgendes über seine Arbeitsweise:

  1. Lukas war selbst kein Augen- und Ohrenzeuge. Er hat sein umfangreiches Werk sorgfältig recherchiert und unter der Leitung des Heiligen Geistes aufgeschrieben. Es liegt auf der Hand, dass dies – vom menschlichen Standpunkt betrachtet – eine gewisse intellektuelle und wissenschaftliche Qualifikation erforderte.
  2. Lukas bestätigt Dinge, die „unter uns völlig geglaubt“ werden. Es geht bei dem, was er schreibt, also um Tatsachen, die der christlichen Welt bekannt waren, jedoch noch einmal ausdrücklich bestätigt werden sollten. Theophilus sollte darüber Sicherheit haben.
  3. Lukas bezieht sich auf Augenzeugen und deren Berichte. Er äußert sich dazu weder positiv noch negativ. Es ist davon auszugehen, dass Lukas damit nicht die möglicherweise schon existierenden Evangelien von Matthäus und Markus meint, sondern andere – nicht inspirierte – Berichte.8 Es fällt auf, dass Lukas nicht direkt sagt, dass er von diesen Quellen Gebrauch gemacht hat.
  4. Lukas arbeitet sehr sorgfältig. Er will nichts Unbedachtes, Unwahres oder Ungeprüftes schreiben. Der Leser soll sich fest auf die Aussagen verlassen können. Lukas garantiert für die Zuverlässigkeit seiner Aussagen.
  5. Lukas schreibt der „Reihe“ nach, d. h. mit System und einer bestimmten Ordnung. Er ist allem „genau nachgegangen“ und zwar „von Anfang an“. Gemeint ist keine chronologische Ordnung, sondern eine thematische Ordnung. Das Wort „genau“ bedeutet akribisch, d. h. mit höchster Genauigkeit. Der Ausdruck „von Anfang an“ zeigt, dass der Bericht des Lukas vom Ursprung ausging. Er stellt die Umstände, die dem Leben unseres Herrn vorausgingen und die Ihn sein ganzes Leben lang bis zu seiner Himmelfahrt begleitet haben, sorgfältig vor.

Man hat Lukas den „Geschichtswissenschaftler“ unter den Evangelisten genannt, weil er besonders sorgfältig zu Werke ging. Als Historiker genießt er hohe Anerkennung für seine geographische Genauigkeit und seine Sorgfalt. Dennoch ist er mehr als ein akribisch arbeitender Historiker. Bei allem bleibt wahr, dass Lukas vom Heiligen Geist geleitet war, als er sein Evangelium schrieb. Seine systematische Vorgehensweise leugnet keineswegs die Inspiration durch den Heiligen Geist. Vielleicht ist gerade das der Grund, warum der Apostel Paulus Lukas in 1. Timotheus 5,18 mit den Worten zitiert: „Denn die Schrift sagt“. Die Aussage bezieht sich auf Lukas 10,7. Es ist das einzige Mal, dass Paulus nicht aus dem Alten, sondern aus dem Neuen Testament zitiert. Damit ist klar, dass der Heilige Geist die intellektuellen Fähigkeiten des Schreibers benutzt hat, ein solches Evangelium zu schreiben.

3. Verfassungszeit und Ort der Niederschrift

Es ist erstaunlich, wie viele Seiten Menschen mit Dingen füllen können, zu denen die Bibel schweigt. Dies gilt auch für die Zeit und den Ort der Niederschrift des Lukasevangeliums. Solchen Fragen im Detail nachzugehen, mag am Rande eine gewisse untergeordnete Bedeutung haben, ist jedoch häufig müßig und führt nicht zum besseren Verständnis des Bibelbuches selbst.

Bibelkritische Ausleger erklären bisweilen, Lukas habe deutlich später geschrieben als allgemein angenommen. Sie siedeln das Evangelium zwischen 75 und 85 n. Chr. an (oder sogar noch deutlich später). Diese Interpretation unterstellt jedoch gerne, dass Christus die Zerstörung Jerusalems nicht genau voraussagen konnte (Lk 21,6). Da Jerusalem 70 n. Chr. zerstört wurde, meint man, die drei synoptischen Evangelien müssten danach entstanden sein. Diese Ansicht ist jedenfalls nicht haltbar und muss zurückgewiesen werden.

Man kann die Zeitspanne relativ gut festlegen. Ein erster Hinweis ist, dass Paulus in 1. Timotheus 5,18 Lukas zitiert. Dieser Brief ist etwa 63/64 n. Chr. geschrieben worden. Damit muss das Lukasevangelium zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen sein. Zudem ist sicher, dass Lukas die Apostelgeschichte später geschrieben hat als sein Evangelium (vgl. Apg 1,1). Die Apostelgeschichte endet ihre Berichterstattung mit der ersten Gefangenschaft des Paulus, d. h. etwa um 60/61 n. Chr. Das Evangelium muss deshalb vorher geschrieben worden sein. Man kann daher davon ausgehen, dass Lukas sein Evangelium zwischen 55 und 60 n. Chr. geschrieben hat – und damit wahrscheinlich etwas später als Matthäus und Markus.

Über den Ort, an dem Lukas geschrieben hat, ist ebenfalls viel spekuliert worden. Eine Reihe konservativer Ausleger geht davon aus, es sei in Cäsarea gewesen, wo Lukas auf der Reise nach Rom mit Paulus einen Zwischenstopp einlegen musste. Wir lassen die Fragen offen. 4. Adressaten

Lukas ist der einzige Evangelist, der einen Adressaten konkret benennt. Er schreibt seine beiden Bücher an einen Mann mit Namen Theophilus (Lk 1,3; Apg 1,1). Im Evangelium nennt er ihn „vortrefflichster Theophilus“, in der Apostelgeschichte redet er ihn mit „o, Theophilus“ an.9

Die förmliche Anrede lässt erkennen, dass Theophilus ein hochgestellter und gebildeter Grieche gewesen sein muss. Er wird ebenso angeredet wie Felix (Apg 24,3) und Festus (Apg 26,25). Wie er in Kontakt mit der christlichen Botschaft gekommen war, in welcher Beziehung er zu Lukas stand und was Lukas konkret veranlasst hatte, ihm zu schreiben, ist unbekannt. Es ist denkbar, dass Theophilus konkret um die beiden Berichte gebeten hatte und Lukas diesem Wunsch nachkam.

Dabei ist klar, dass das Buch nie für die private Bibliothek des Theophilus gedacht war, sondern für einen breiten Leserkreis bestimmt ist. Es war von Anfang an die Absicht des Heiligen Geistes, dass dieses Buch als Teil des Wortes Gottes verbreitet werden sollte. Es ist davon auszugehen, dass Theophilus selbst am Anfang diesen an ihn gerichteten Bericht verbreitet hat, sodass er schon früh unter den ersten Christen kursierte.

Im weitesten Sinn sind alle Menschen Zielgruppe des Evangeliums. Dennoch fokussiert das Lukasevangelium besonders auf Menschen aus den Griechen, für die Gott sein Heil ebenso vorgesehen hat wie für die Juden. Paulus handelte stets nach dem Grundsatz: Zuerst die Juden und dann die Griechen (Röm 1,16; 2,9.10). Genau das finden wir bei Lukas wieder. Er verschweigt nicht, dass das Heil Gottes zu den Juden kam. Er verschweigt ebenso wenig, dass Jesus alle Menschen retten will.

Folgende Tatbestände bestätigen die Annahme:

  • Es werden an manchen Stellen jüdische Ortsangaben erklärt, die ein Heide nicht unbedingt kennen musste (z.B. Lk 4,31; 24,13).
  • Der Stammbaum Jesus geht – im Gegensatz zu Matthäus – bis auf den ersten Menschen, auf Adam, zurück.
  • Lukas verbindet seine Zeitangaben zweimal mit den Regierungszeiten römischer Kaiser (Lk 2,1; 3,1)
  • Lukas gebraucht teilweise Worte, die heidnischen Lesern besser vertraut waren, als es z.B. Matthäus tut, der vornehmlich an die Juden schrieb. Er vermeidet im Gegensatz Ausdrücke, die typisch jüdisch sind, wie z.B. Abba (vgl. Mk 14,36 mit Lk 22,42), Rabbi (vgl. Mt 23,5–7; Joh 1,38.49 mit Lk 11,43; 20,45–47) oder Hosanna (vgl. Mt 21,9; Mk 11,9–11; Joh 12,13 mit Lk 19,36–38).
  • Lukas zitiert wenig aus dem Alten Testament und wenn er es tut, wählt er fast immer die griechische Übersetzung (die Septuaginta).
  • Lukas verweist selten darauf, dass die Schriften des Alten Testamentes im Leben Jesu erfüllt wurden.

Das macht klar, dass das Lukasevangelium ursprünglich besonders Nichtjuden ansprach, die im griechischen Kulturkreis zu Hause waren. Es zeigt deutlich, dass Gott nicht nur ein Gott der Juden ist, sondern „auch der Nationen“ (Röm 3,29).

5. Anlass und Zweck

Kaum ein Verfasser eines Bibelbuches formuliert den Anlass und Zweck deutlicher und klarer als Lukas es tut. Der Leser soll die Zuverlässigkeit der Dinge erkennen, über die er schreibt. Lukas will einen historisch exakten Bericht über das Leben und Sterben von Jesus Christus schreiben – und zwar beginnend mit seiner Geburt bis hin zu seiner Auferstehung und Himmelfahrt.

Man kann die Absicht des Lukas als apologetisch bezeichnen, denn sein Evangelium hilft, den christlichen Glauben gegen Angriffe zu schützen und den Gläubigen ein sicheres Fundament zu geben, auf dem sie stehen können. Sein Bericht ist eine vollständige und treffliche Darstellung des christlichen Heils, die sich auf das Leben und Sterben des Heilandes gründet. Lukas schreibt über die Gnade, aber ganz besonders über den, in dem sie erschienen ist (Tit 2,11).

Und doch wäre es zu wenig, das Lukasevangelium auf eine Verteidigung christlicher Glaubenswahrheiten zu reduzieren. Es geht keineswegs nur um Information, sondern vielmehr darum, den Glauben der Leser zu wecken und zu fördern und vor allem die Person unseres Herrn als Mensch groß zu machen. Lukas beschreibt die Person des Herrn Jesus, der kommt, um Menschen mit Gott zu versöhnen. Der Herr Jesus selbst formuliert es so:

„... denn der Sohn des Menschen ist gekommen, zu suchen und zu erretten, was verloren ist“ (Lk 19,10).

Dieser Vers gilt zu Recht als ein Schlüsselvers des ganzen Evangeliums.

Lukas lädt jeden Menschen – sei er Jude oder Heide – ein, den Retter Jesus Christus glaubend anzunehmen. Diejenigen, die das getan haben, werden von Lukas eingeladen, von Ihm zu lernen und so zu leben, wie Er gelebt hat (vgl. 1. Joh 2,6).

6. Charakter und Inhalt

6.1. Sein Leben – Der Sohn des Menschen

Der größte Teil des Evangeliums beschreibt das Leben des Sohnes des Menschen. Lukas beginnt mit seiner Geburt und schreibt dann über seinen Dienst in Galiläa. Sehr ausführlich wird sein Weg nach Jerusalem beschrieben, wo Er am Ende sein Leben gibt. Es ist bezeichnend, dass gerade Lukas den Ausruf des Hauptmanns am Kreuz mit den Worten wiedergibt: „Wahrhaftig, dieser Mensch war gerecht“ (Lk 23,47). Diese Aussage könnte eine weitere Überschrift über das Evangelium sein.

Lukas spricht häufig von dem „Sohn des Menschen“. Dabei fällt besonders auf, dass der Herr sich in den Evangelien ausschließlich selbst so bezeichnet. Niemand anders benutzt diesen Titel für Ihn.

Was bedeutet es, dass Er der „Sohn des Menschen ist“? Zunächst ist diese Bezeichnung ein Titel, der aus dem Alten Testament bekannt ist. Er ist mit der Regierung und Herrschaft des Herrn Jesus im 1000-jährigen Reich verbunden (vgl. Ps 8,5–7; 80,18; Dan 7,13).10 Auch im Neuen Testament wird der Ausdruck „Sohn des Menschen“ in diesem Sinn gebraucht, besonders im Matthäusevangelium (z. B. Mt 10,23;13,41; 16,27.28; 19,28; 24,27; 25,31; 26,64).

Doch dann zeigt der Begriff „Sohn des Menschen“ auch, dass Er wirklicher Mensch ist. Natürlich war auch Adam ein Mensch und doch hätte Er nie „Sohn des Menschen“ genannt werden können, denn er wurde nie von einer Frau geboren. Christus ist vollkommen Mensch und zugleich vollkommen Gott. Wenn der Herr sich also selbst „Sohn des Menschen“ nennt, besteht Er darauf, dass Er – obwohl ewiger Gott – zugleich wirklich und vollständig Mensch geworden ist und bleibt.

Die Tatsache, dass Er „Sohn des Menschen ist“, ist einerseits damit verbunden, dass Er sich tief erniedrigte und nicht einmal wusste, wohin Er sein Haupt zum Schlafen hinlegen sollte (Lk 9,58). Als Sohn des Menschen hat Er sein Leben gegeben (Lk 9,22). Als Sohn des Menschen ist Er jetzt allerdings zur Rechten Gottes (Apg 7,56).

6.2. Sein Opfer – Das Friedensopfer

Jeder Evangelist stellt das Werk vom Kreuz unter einem anderen Gesichtspunkt vor. Matthäus und Markus zeigen das Schuldopfer und das Sündopfer. Johannes stellt das Brandopfer in den Vordergrund. Bei Lukas ist es offensichtlich, dass er besonders über das Friedensopfer schreibt.

Die Vorschriften über das Friedensopfer zeigen uns, dass es (mit Ausnahme des Fettes und des Blutes) vollständig gegessen wurde – und zwar von dem opfernden Priester, der priesterlichen Familie und dem Opfernden. Vor allem aber war es die Speise Gottes (3. Mo 3,11,16; 7,11–23). Das zeigt, dass es beim Friedensopfer besonders um Gemeinschaft geht. Es überrascht deshalb nicht, dass dieses Opfer häufig mit Danksagung und Freude verbunden ist – zwei Elemente, die wir im Lukasevangelium ebenfalls finden.

Dass Lukas tatsächlich dieses Opfer vor Augen hat, wird deutlich, wenn wir die Leidensgeschichte unseres Herrn in diesem Evangelium verfolgen. Nur Lukas erwähnt die Bitte des Herrn, der Vater möge seinen Feinden vergeben, weil sie nicht wissen, was sie tun (Lk 23,34). Natürlich trugen seine Mörder die volle Verantwortung und doch öffnet der Herr ihnen mit diesen Worten die Tür der Gnade. Er stellt sie auf die Stufe eines Totschlägers, für den es die Möglichkeit einer Zufluchtsstätte – und damit der Gnade – gab. Dann denken wir an die Worte der Gnade und den gehängten Räuber neben Ihm: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). „Mit mir“ ist ein Ausdruck himmlischer Gemeinschaft im Paradies. Und schließlich berichtet nur Lukas, dass Jesus sich ganz am Ende noch einmal an seinen Vater wendet und sagt: „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Es ist ein Ausdruck von Gemeinschaft zwischen Sohn und Vater.

6.3. Inhaltsübersicht

Nach einem kurzen Prolog zum Ziel und zur Methodik der Berichterstattung berichtet Lukas ausführlich über die Geburt des Heilandes und deren Begleitumstände. Dabei wird ebenfalls über seinen Vorläufer – Johannes der Täufer – gesprochen. Dieser Teil des Buches endet mit einigen wenigen Hinweisen zur Kindheit und Jugendzeit des Sohnes des Menschen.

Ab Kapitel 3 geht es zunächst um die Vorbereitung zum Dienst, der danach beginnt und sich zunächst auf Galiläa konzentriert. Der Sohn des Menschen kümmert sich um Menschen, redet mit ihnen, beruft Jünger und weitet seinen Dienst nach und nach aus. Die Ereignisse dieser Phase des Wirkens Jesu umfassen einen Zeitraum von ca. 1 ½ Jahren und sind geprägt von verschiedenen Wundertaten und Heilungen. Zugleich erkennen wir in dieser Phase des Wirkens Jesu bereits deutlichen Widerstand durch die religiösen Führer der Juden.

Ab dem Ende von Kapitel 9 geht der Weg nach Jerusalem. Lukas beschreibt besonders ausführlich, was auf diesem Weg geschah und welche Belehrungen Jesus gibt. Dieser Teil des Lukasevangeliums enthält im Wesentlichen Berichte, die wir in den übrigen Evangelien nicht finden. Sie zeigen, wie die Güte und Liebe unseres Heiland-Gottes sich in der Person des Herrn Jesus um Menschen kümmert, sie heilt und sie belehrt. Die Sorge des Heilandes gilt dabei nicht nur den Verlorenen, sondern Er kümmert sich auch um seine Jünger und gibt ihnen wichtige Hinweise, wie sie in der Praxis des Lebens seine Jünger sein können. Auch in diesem Abschnitt zeigt sich der Widerstand seiner Gegner deutlich. Immer wieder greifen sie den Herrn Jesus an (vgl. Lk 11,29–32; 13,10–17; 13,31–33; 14,1–6).

Als Er schließlich in Jerusalem ankommt, zeigt Lukas, wie Er seinen Dienst dort vollendet. Die Beschreibung beginnt erneut mit einigen Auseinandersetzungen mit den religiösen Führern. Der Konflikt spitzt sich zu, denn Jesus gibt keine diplomatischen Antworten, sondern spricht Klartext. Schließlich nehmen sie Ihn gefangen und töten Ihn. Lukas berichtet über die Ereignisse im Garten Gethsemane, spricht darüber, dass Petrus Ihn verleugnet. Er erwähnt verschiedene Verhöre, Misshandlungen und das Todesurteil. Danach geht Er zum Kreuz, lässt sein Leben und wird begraben.

Doch Er bleibt nicht im Tod. Die Menschen sollen den Lebenden nicht unter den Toten suchen. Er erscheint seinen Jüngern, gibt ihnen letzte Anweisungen, segnet sie und kehrt in den Himmel zurück. Lukas erwähnt – wie Markus – die Himmelfahrt des Sohnes des Menschen, der auch im Himmel wahrer Mensch bleibt (Apg 7,56).

7. Besonderheiten

Das Lukasevangelium ist von einer ganzen Reihe von Besonderheiten geprägt, die hier nur exemplarisch aufgezeigt werden können.

7.1. Das Evangelium des Heils für alle Menschen

Die Worte „Heil“, „Rettung“, „Retter“, „Erretter“ oder „retten“ kommen häufiger vor als in den übrigen Evangelien. Dieses Heil Gottes kommt in der Person Jesu zu den Menschen (Lk 2,20; 3,6).

Dem aufmerksamen Leser wird sofort auffallen, dass Lukas nicht nur davon schreibt, dass das Heil in Jesus Christus für sein irdisches Volk gekommen ist, sondern dass das Heil, das Gott in Ihm anbietet, von jedem Menschen angenommen werden kann. Jesus bietet der Welt Versöhnung an (2. Kor 5,19).

Als der Heiland geboren wird, spricht der Engel von großer Freude, die für das ganze Volk sein wird (Lk 2,10). Wenig später loben die Engel Gott und sprechen von Frieden auf der Erde und vom Wohlgefallen an den Menschen (Lk 2,14). Als Simeon das Kind Jesus auf seine Arme nimmt, lobt er Gott und sagt: „meine Augen haben dein Heil gesehen, das du bereitet hast vor dem Angesicht aller Völker: ein Licht zur Offenbarung für die Nationen und zur Herrlichkeit deines Volkes Israel“ (Lk 2,30–32). Sein Vorläufer Johannes zitiert das Alte Testament mit den Worten: „und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen“ (Lk 3,6). Als Jesus seinen Dienst beginnt, stehen zwei Personen im Mittelpunkt, die nicht aus Israel waren, nämlich eine Witwe aus Sarepta und Naaman aus Syrien (Lk 4,25–27). Ganz am Ende sagt der Herr seinen Jüngern, dass in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden sollen „allen Nationen, angefangen von Jerusalem“ (Lk 24,47).

Begriffe wie Gnade und Barmherzigkeit kommen häufiger vor als in den anderen Evangelien. Dabei zeigt Lukas, dass unser Herr ein besonderes Interesse an Einzelpersonen hatte und sich nicht nur um die Volksmengen gekümmert hat. Auch Kinder fanden sein besonderes Interesse. Lukas spricht neunmal von einer „Witwe“ oder von „Witwen“.

Dabei waren es besonders Menschen am Rand der Gesellschaft, um die der Herr sich kümmert. Dazu einige Beispiele:

Die Liebe Jesu zu Personen am Rand Referenzstelle
Eine stadtbekannte Sünderin Lukas 7,36–50
Einzelne Zöllner Lukas 5,27–32 (Levi); Lukas 19,1–10 (Zachäus)
Die Berufsgruppe der Zöllner Lukas 5,30; 7,34; 18,9–14
Die verhassten Samariter Lukas 10,25–37
Eine verkrümmte Frau Lukas 13,10–17
Aussätzige Menschen Lukas 17,11–19; 5,12–16
Eine rechtlose Witwe Lukas 18,1–8
Eine arme Witwe Lukas 21,1–4
Der Verbrecher am Kreuz Lukas 23,39–43

Das bedeutet allerdings nicht, dass der Herr kein Herz für die Reichen und Angesehenen des Volkes hatte. Lukas berichtet, dass Er zu Gast bei dem Pharisäer Simon war (Lk 7,36–47). Der reiche Mann war Ihm genauso wichtig, wie der arme Lazarus (Lk 16,19–31). Das Gleichnis vom reichen Kornbauern zeigt ebenfalls, dass Ihm das Schicksal eines reichen Mannes nicht gleichgültig war. Das Entscheidende bei einem Menschen ist für den Sohn des Menschen nicht der Status oder die Herkunft, sondern, ob jemand erkennt, dass er verloren ist und einen Retter braucht.

7.2. Das Evangelium der Freude und des Lobes

Die Worte „Freude“ und „sich freuen“ kommen bei Lukas häufiger vor als bei den übrigen Evangelien. Wer das Evangelium annimmt, kann sich freuen. Lukas beginnt zwar seinen Bericht mit einem Menschen (Zacharias), der stumm ist und Gott nicht loben kann. Doch schon in Verbindung mit der Geburtsankündigung des Johannes ist von Freude und Jubel die Rede (Lk 1,14). Das setzt sich mit den Engeln und den Hirten fort, die über die Geburt des Heilandes staunen (Lk 2,10). Im Verlauf der Berichterstattung lesen wir immer wieder von der Freude der Menschen, die den Herrn kennenlernten. Zweimal ist sogar von der „Freude im Himmel“ die Rede (Lk 6,23; 15,7) und von der Freude des Retters, wenn Er einen Verlorenen retten konnte (Lk 15,6.9). Der letzte Satz des Evangeliums lautet: „Und sie warfen sich vor ihm nieder und kehrten nach Jerusalem zurück mit großer Freude; und sie waren allezeit im Tempel und lobten und priesen Gott“ (Lk 24,52.53). So veränderte die Gnade Gottes durch das Werk des Herrn Menschen – und sie führt bis heute zu echter und großer Freude.

Eng verbunden mit der Freude ist das Lob. Lukas beginnt und schließt sein Evangelium damit. Am Anfang ist es Maria (Lk 1,46), sodann Zacharias (Lk1,68), die Engel, (Lk 2,13), die Hirten (Lk 2,20) und der alte Simeon (Lk 2,28). Am Ende sind es die Jünger (Lk 24,53). Freude zeigt sich im Lobgesang. Vier solcher Lobgesänge sind in der Tat charakteristisch für das Lukasevangelium:

Der Lobgesang Marias Lukas 1,46–56
Der Lobgesang Zacharias‘ Lukas 1,68–79
Der Lobgesang der Engel Lukas 2,13–14
Der Lobgesang Simeons Lukas 2,29–32

Lukas spricht ebenfalls mehrfach davon, dass Menschen Gott verherrlicht haben. Die Hirten taten es bei der Geburtsankündigung (Lk 2,20). Die Menschen verherrlichten Gott, weil ein Gelähmter geheilt wurde (Lk 5,26). Ebenso geschah es, als der junge Mann in Nain auferweckt wurde (Lk 7,16). Auch die zusammengekrümmte Frau, der aussätzige Samariter und der Blinde von Jericho verherrlichten Gott (Lk 13,13; 17,15; 18,43). Schließlich ist es der römische Hauptmann, der Gott verherrlicht, nachdem der Heiland sein Leben gegeben hatte (Lk 23,47).

7.3. Das Evangelium der Gemeinschaft

Wir haben schon gesehen, dass Lukas über das Friedensopfer – und damit von Gemeinschaft – spricht. Es wundert uns daher nicht, dass Lukas dieses Thema wiederholt aufgreift. Der Herr Jesus ist auffallend oft in Häusern zu Besuch und einige Male lesen wir, dass Er mit Menschen gegessen hat.

Im ersten Kapitel spricht Lukas davon, dass Gott „sein Volk besucht“ und „Erlösung bereitet hat (Lk 1,68). Es war die herzliche Barmherzigkeit Gottes „in der uns besucht hat der Aufgang aus der Höhe“ (Lk 1,78). Später verherrlichten die Menschen Gott und sagten: „Ein großer Prophet ist unter uns erweckt worden, und: Gott hat sein Volk besucht“ (Lk 7,16).

Jeder Evangelist nennt Häuser, in denen Jesus war. Keiner jedoch so viele wie Lukas. Folgende Häuser werden ausschließlich von Lukas erwähnt:

  • Das Haus des Pharisäers (Lk 7,36–50), in dem sich die Gnade gegenüber einer sündigen Frau zeigt
  • Das Haus Marthas (Lk 10,38–42), in dem Maria das gute Teil der Gemeinschaft zu den Füßen des Meisters erlebt
  • Das Haus des Obersten der Pharisäer (Lk 14,1–4), wo der Herr trotz der Feindschaft der Menschen seine Gnade zeigt
  • Das Haus des Zachäus (Lk 19,1–10), in das der Heiland Rettung bringt

Darüber hinaus erwähnt Lukas das Haus, das noch nicht voll ist (Lk 14,23) und das Haus des Vaters (Lk 15,25), in dem der verlorene Sohn aufgenommen wird. Diese beiden Häuser sprechen ebenfalls von Gemeinschaft.

Häufiger als in jedem anderen Evangelium kommt der Ausdruck „zu Tisch liegen“ vor –, oft verbunden mit einem Besuch in einem Haus. Gleich zu Beginn seines Dienstes macht Ihm Levi ein großes Mahl in seinem Haus und eine große Menge Zöllner und andere lagen mit Ihm zu Tisch (Lk 5,29). Ganz am Ende des Evangeliums kehrt der Herr bei den Jüngern in Emmaus ein, liegt mit ihnen zu Tisch und nimmt das Brot (Lk 24,30). Besonders zu Herzen gehend ist der Augenblick, wo Jesus sich mit seinen Jüngern zu Tisch legt, um ihnen dann das Mahl des Herrn einzusetzen (Lk 22,14).

7.4. Das Evangelium des Gebets

Lukas spricht auffallend oft davon, dass der vollkommene Mensch Jesus gebetet hat. Lukas erwähnt einige Male lediglich die Tatsache, dass Er gebetet hat, an einigen Stellen zeigt er ganz konkret, was Jesus im Gebet gesagt hat.11

  1. Nur Lukas berichtet, dass Jesus anlässlich seiner Taufe durch Johannes gebetet hat (Lk 3,21). Damit zeigt Er von Beginn seines Dienstes an, dass Er der abhängige Mensch ist, der sich jeden Morgen das Ohr öffnen lässt (Jes 50,4).
  2. In Lukas 5,16 zieht der Herr sich von der Volksmenge zurück, um in Ruhe zu beten. Es ging Ihm nicht darum, populär zu sein, sondern den Willen Gottes zu erfragen. Sein Dienst und sein Gebet sind untrennbar miteinander verbunden.
  3. In Lukas 6 steht der Herr vor der wichtigen Entscheidung, seine Jünger auszuwählen. Diese Entscheidung trifft Er nicht, ohne eine ganze Nacht gebetet zu haben – ein Detail, das nur Lukas so erwähnt (Lk 6,12).
  4. In Lukas 9,16 betet Jesus, bevor Er Nahrung an die Menschen austeilt. Obwohl Er als Schöpfer Gottes alle Dinge geschaffen hat und alle Dinge für Ihn sind (Kol 1,16), dankt Er als abhängiger Mensch doch für das, was Gott den Menschen gibt.
  5. Lukas 9,18 sagt uns, dass Er „für sich allein betete“ und dann den Jüngern, die bei Ihm waren, eine Frage stellte. Danach spricht Er zum ersten Mal davon, dass Er leiden und sterben wird.
  6. Wenig später nimmt Er drei Jünger mit auf einen Berg „um zu beten“ (Lk, 9,28). Nur Lukas schreibt über das Gebet des Herrn und dass sich sein Angesicht dabei veränderte.
  7. In Lukas 10,17–22 kommen die siebzig Jünger voll Freude zurück und berichten über das, was sie vollbracht hatten. Jesus antwortet ihnen, dass der wahre Grund der Freude ein ganz anderer ist, nämlich dass ihre Namen im Buch des Lebens stehen. Und dann frohlockt Er im Geist und wendet sich im Gebet mit einem Lobpreis an den Vater.
  8. In Lukas 11,1 ist Jesus an einem „gewissen Ort“ und betet. Die Jünger hören dieses Gebet und bitten Ihn, Er möge sie lehren zu beten. Dieser Bitte kommt der Herr nach, und seine Antwort ist überaus lehrreich für Jünger im Reich Gottes.
  9. Kurz bevor unser Herr überliefert wird, ist Er mit seinen Jüngern auf dem Obersaal und setzt ihnen das „Mahl des Herrn“ ein (Lk 22,17.19). Es fällt auf, dass nicht gesagt wird, was Er gebetet hat, wohl aber, dass Er ein Dankgebet sprach.
  10. Kurze Zeit später hören wir Ihn zu Petrus sagen: „Simon, Simon! Siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sichten wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, damit dein Glaube nicht aufhöre“ (Lk 22,31–32). Der Herr sah im Voraus, was sein Jünger tun würde und Er betet für ihn.
  11. Besonders zu Herzen gehend ist das Gebet auf dem Ölberg (Lk 22,39–46). Zuerst fordert Er seine Jünger auf, zu beten. Danach zieht Er sich zurück, kniet nieder und betet die ergreifenden Worte: „Vater, wenn du willst, so nimm diesen Kelch von mir weg – doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe!“. Dieses Gebet war nicht einfach eine Ansprache an seinen Vater, sondern es war ein „ringender Kampf“, in dessen Verlauf sein Schweiß wie große Blutstropfen wurde.
  12. Noch einmal hören wir ein Gebet des Heilandes. Am Kreuz hängend, wendet Er sich an seinen Vater und betet für seine Feinde: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34). Damit erfüllte Er die Worte Jesajas, dass Er für die Übertreter Fürbitte tat (Jes 53,12).
  13. Wenige Stunden später wendet Er sich noch einmal an den Vater und ruft mit lauter Stimme: „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!“ (Lk 23,46). Dies ist das letzte Wort des Herrn am Kreuz. Es beweist das unerschütterliche Vertrauen des vollkommenen Menschen zu seinem Vater.
  14. Im letzten Kapitel lesen wir, dass der Herr im Haus der Jünger Brot nahm, es segnete und brach und dass die Jünger Ihn gerade an dieser Handlung erkannten (Lk 24,30–31). Offensichtlich kannten sie seine Dankgebete so gut, dass sie Ihn daran erkennen konnten. Das Gebet kennzeichnete Ihn.

7.5. Das Evangelium der Frauen

Das Lukasevangelium ist unter anderem das „Evangelium der Frauen“ genannt worden. Als wahrer Mensch wurde unser Herr „von einer Frau geboren.“ Lukas betont besonders die wertschätzende Haltung von Frauen Jesus gegenüber und umgekehrt. Lukas beschreibt zugleich den liebevollen Dienst von Frauen. Seine Mutter wird mehrfach erwähnt. Wie alle anderen Evangelien berichtet Lukas an keiner Stelle von einem Angriff von Frauen gegen den Herrn.

  1. Als erstes wird Elisabeth erwähnt. Sie ist eine gottesfürchtige Frau, die mit ihrem Mann auf den Messias wartet. Gott erweist seine Macht an ihr, indem Er ihr zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt noch einen Sohn schenkt (Lk 1).
  2. Lukas unterstreicht den hohen moralischen Wert von Maria, der Mutter Jesus, ohne dabei auch nur den geringsten Anlass zu einer wie auch immer gearteten „Marienverehrung“ zu geben.
  3. Als Jesus im Tempel dargestellt wird, treffen Joseph und Maria auf die Prophetin Anna, eine gottesfürchtige Beterin im Tempel (Lk 2,36–38).
  4. Relativ zu Beginn des Dienstes des Herrn heilt Er die Schwiegermutter von Petrus, die von einem schweren Fieber befallen war. Der Sohn des Menschen ist zugleich Gott. Er gebietet dem Fieber und die Frau wird gesund (Lk 4,38.39).
  5. In Kapitel 7,11–17 begegnet Jesus einer Witwe, die um ihren Sohn trauert, den der Herr über Leben und Tod wieder lebendig macht (Lk 7,11–17).
  6. Wenig später berichtet Lukas über eine stadtbekannte Sünderin. Jesus lässt sich von ihr die Füße salben, obwohl die Gastgeber die Frau verachteten. Doch der Herr wendet sich ihr zu und vergibt ihr die Sünden, weil Er ihren Glauben sieht und nicht bei ihrer Vergangenheit stehen bleibt (Lk 7,37–50).
  7. Am Anfang von Kapitel 8 werden einige Frauen erwähnt, die dem Herrn mit ihrem Vermögen dienten (Lk 8,1–3). Der Herr handelt damit im Gegensatz zu vielen Rabbinern seiner Zeit, die Frauen nicht als ihre Nachfolger zuließen.
  8. In Kapitel 8,43–48 bemerkt der Herr, dass eine Frau Ihn im Gedränge berührt, um von ihrem Blutfluss geheilt zu werden. Er lässt ihren Glauben nicht unbelohnt.
  9. Lukas berichtet weiter von Martha und Maria, die Jesus und seine Jünger zu Gast hatten und Ihm dienten. Besonders Maria ist ein leuchtendes Beispiel dafür, die Prioritäten richtig zu setzen und die Gemeinschaft zu den Füßen des Herrn zu genießen (Lk 10,38–42).
  10. In Lukas 13 wird die Heilung einer geistesschwachen Frau zum Anlass eines Disputes zwischen Jesus und einem Synagogenvorsteher. Jesus tat das Wunder am Sabbat und das missfiel diesem Mann (Lk 13,10–17).
  11. Einige Zeit später erklärt der Herr in einem Gleichnis, dass seine Jünger allezeit beten und nicht ermatten sollten. Er benutzt dazu das Beispiel einer Witwe, die einen Richter mit ihrem Anliegen bedrängt (Lk 18,1–8).
  12. Eine weitere Lektion erteilt der Herr den Menschen im Blick auf das finanzielle Geben. Dazu dient erneut das Beispiel einer Witwe, die arm war und alles, was sie hatte, in den Schatzkasten (die Kollekte) gab (Lk 21,1–4).
  13. Am Ende seines Weges sind es Frauen, die in der Nähe Jesu waren, als Er nach Golgatha ging. Sie wehklagen über Ihn (Lk 23,27–29).
  14. Als Er gestorben war, waren es wiederum Frauen, die zur Gruft kamen, um Ihn zu salben (Lk 23,55–56). Am Anfang von Kapitel 24 sind sie wiederum da, hören die Auferstehungsbotschaft des Engels und verkünden sie den Jüngern.

8. Sondergut

Das Lukasevangelium hat insgesamt 24 Kapitel und 1149 Verse.12 Ca. 250 der Verse sind – zumindest in ihrer Botschaft – teilweise identisch mit Matthäus, fehlen jedoch bei Markus. Ca. 520 Verse sind wiederum weder bei Markus noch bei Matthäus zu finden. Mehr als die Hälfte der Gleichnisse und Begebenheiten von Lukas zählen zu dem sogenannten „Sondergut“, d. h., sie finden sich in den Berichten der übrigen Evangelisten nicht.13 Dazu zählen sehr bekannte Begebenheiten wie die vom barmherzigen Samariter oder vom verlorenen Sohn. Es sind vor allem die Einleitung und der Reisebericht (Lk 9,51–19,27), die sich nur bei Lukas finden.

An dieser Stelle seien nur einige Beispiele genannt, die besonders mit dem Charakter des Evangeliums und der Botschaft der Gnade Gottes verbunden sind:

  • Was vor der Geburt des Heilandes geschah: Nur Lukas berichtet davon, dass die Geburten von Johannes und Jesus vorher angekündigt wurden. Gerade Lukas schreibt über wesentliche Ereignisse, die mit der Geburt verbunden sind.
  • Die Jugend des Herrn Jesus: Wir finden in der Bibel so gut wie keine Aussagen über die Jugendzeit des Herrn. Nur Lukas berichtet darüber. Wie jeder erwachsene Mensch, hat auch der Mensch Jesus eine Kindheit erlebt. Es bewegt uns zu lesen, dass Er seinen Eltern „untertan“ war (Lk 2,51) und dass Er zunahm „an Weisheit und an Größe und an Gunst bei Gott und Menschen“ (Lk 2,52).
  • Die Begebenheit von dem barmherzigen Samariter (Lk 10,25–37): Diese Geschichte zeigt einerseits den verlorenen Zustand jedes Menschen, der vor Gott flieht. Sie zeigt anderseits, wie barmherzig und gnädig der Herr ist, der sich liebevoll, sorgfältig und nachhaltig um Menschen kümmert, die in Not sind.
  • Die Begebenheit vom großen Abendmahl (Lk 14,16–24): Hier lernen wir, wie sich göttliche Gnade an unwürdigen Menschen erweist. Das irdische Volk Gottes war eingeladen. Doch weil es kein Interesse zeigte, wendet sich die Gnade nun zu den Nationen.
  • Das Gleichnis von den beiden Söhnen eines Vaters (Lk 15,11–32): Es zählt zu den „Klassikern“ der Predigt des Evangeliums und zeigt erstens, wie sehr Gott darauf wartet, dass verlorene Menschen zu Ihm kommen. Es zeigt zweitens, wie Gott solche Menschen annimmt und segnet. Es zeigt drittens, wie Menschen, die Gott äußerlich nah sind, doch innerlich weit weg von Ihm sein können.
  • Die Geschichte des reichen Mannes und des armen Lazarus (Lk 16,1–31): In dieser Begebenheit belehrt der Herr Jesus uns nicht nur, wie leicht wir falsch mit irdischem Besitz umgehen können, sondern Er zeigt vor allem die beiden finalen Destinationen auf, zu denen wir unterwegs sein können.
  • Die Heilung von zehn Aussätzigen (Lk 17,11–19): Der Herr Jesus heilt zehn aussätzige Menschen. Sie sollen sich anschließend dem Priester zeigen. Leider kehrt danach nur einer zu dem Herrn zurück, um Ihm für seine Rettung zu danken und Ihn zu ehren.
  • Das Gebet von Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9–14): Zwei ganz unterschiedliche Menschen sprechen zwei ganz unterschiedliche Gebete. Der eine wird angenommen, der andere nicht. Wir lernen, dass Buße, Selbstgericht und Selbstverleugnung nötig sind, um von Gott angenommen zu werden.
  • Die Bekehrung des Zachäus (Lk 19,1–10): Die Bekehrungsgeschichte fasziniert bereits Kinder. Sie lehrt uns erneut, wie die Gnade Menschen erreicht, die Sünder sind. Es sind Sünder, die unser Herr auswählt, um ihnen Gnade zu zeigen.
  • Die „Last Minute“-Kehrtwende des Räubers am Kreuz (Lk 23,39–43): Nur Lukas schreibt davon, dass der eine der beiden sich in den letzten Minuten seines Lebens an den Heiland wandte und gerettet wird.

9. Gliederung

Man kann dieses Bibelbuch unterschiedlich einteilen. Hier ein Vorschlag, der einer Gliederung in sieben Teile folgt.

(1) Kapitel 1,1–4 Prolog: Ziel und Methodik der Berichterstattung des Lukas

(2) Kapitel 1,5–2,52 Einleitung: Geburt und Kindheit des Sohnes des Menschen

Die Geburt Jesus wird ankündigt und beschrieben

  • Die Geburt des Johannes wird angekündigt (Kap. 1,5–25)
  • Die Geburt des Sohnes des Menschen wird angekündigt (Kap. 1,26–38)
  • Maria besucht Elisabeth (Kap. 1,39–56)
  • Johannes wird geboren (Kap. 1,57–80)
  • Jesus wird geboren (Kap. 2,1–20)
  • Jesus als Kleinkind im Tempel (Kap. 2,21–40)
  • Jesus als 12-Jähriger im Tempel (Kap. 2,41–52)

(3) Kapitel 3,1–4,13: Vorbereitung zum Dienst

Bevor der Dienst beginnt, tritt Johannes auf; Jesus wird getauft und in der Wüste versucht

  • Johannes der Täufer tritt auf und Jesus wird getauft (Kap. 3,1–22)
  • Das Geschlechtsregister Jesu bis auf Adam bzw. Gott (Kap. 3,23–38)
  • Der Sohn des Menschen wird in der Wüste versucht (Kap. 4,1–13)

(4) Kapitel 4-14-9,50: Der Sohn des Menschen wirkt in Galiläa

Der Dienst des Herrn Jesus in Galiläa wird ausführlich beschrieben. Dabei beweist Er seine Macht, erklärt seinen Dienst und weitet ihn aus.

  • Jesu Reden und Wirken in Nazareth und Kapernaum (Kap. 4,14–44)
  • Der Fischzug des Petrus (Kap. 5,1–11)
  • Ein Aussätziger wird geheilt (Kap. 5,12–16)
  • Diverse Auseinandersetzungen (Kap. 5,17–6,11)
  • Die Berufung der Jünger, Heilungen und Reden (Kap. 6,12–6,49)
  • Weitere Wunder (Kap. 7,1–17)
  • Johannes der Täufer (Kap. 7,18–35)
  • Jesus und die Frauen (Kap. 7,36–8,3)
  • Die Verkündigung des Wortes (Kap. 8,4–21)
  • Wundertaten in Galiläa und benachbarten Gebieten (Kap. 8,22–56)
  • Jesus und seine Jünger (Kap. 9,1–50)

(5) Kapitel 9,51–19,27: Auf dem Weg nach Jerusalem

Ausführliche Beschreibung dessen, was auf dem Weg nach Jerusalem geschieht und welche Belehrungen Jesus gibt

  • Ablehnung und Kosten der Nachfolge (Kap. 9,51–62)
  • Aussendung und Rückkehr der Siebzig (Kap. 10,1–24)
  • Der barmherzige Samariter (Kap. 10,25–37)
  • Jesus im Haus von Martha und Maria (Kap. 10,38–42)
  • Vom Wert des Gebetes (Kap. 11,1–13)
  • Jesus und die Pharisäer (Kap. 11,14–54)
  • Jesus belehrt das Volk (Kap. 12,1–21)
  • Jesus belehrt seine Jünger (Kap. 12,22–59)
  • Weitere Belehrungen (Kap. 13,1–14,35)
  • Verloren und gefunden (Kap. 15)
  • Weitere Belehrungen und Gleichnisse (Kap. 16)
  • Unterweisungen für Jünger (Kap. 17,1–18,34)
  • Ein Blinder wird geheilt (Kap. 18,35–43)
  • Jesus und Zachäus (Kap. 19,1–10)
  • Nahe bei Jerusalem (Kap. 19,11–27)

(6) Kapitel 19,28–23,56: Die Vollendung des Dienstes in Jerusalem

Jesus zieht in Jerusalem ein, wird festgenommen, misshandelt und lässt sein Leben am Kreuz

  • Jesu Einzug in Jerusalem und Reinigung des Tempels (Kap. 19,28–46)
  • Auseinandersetzung mit der religiösen Führerschaft (Kap. 19,47–20,47)
  • Belehrungen zur Endzeit (Kap. 21)
  • Belehrungen in Verbindung mit dem letzten Passah (Kap. 22,1–38)
  • In Gethsemane (Kap. 22,39–52)
  • Jesus wird verhört und verurteilt (Kap. 22,53–23,25)
  • Jesus am Kreuz (Kap. 23,26–49)
  • Jesus wird begraben (Kap. 23,50–56)

(7) Kapitel 24 Schlussakkord: Jesus lebt und kehrt in den Himmel zurück

Der auferstandene Herr erscheint seinen Jüngern, gibt sich zu erkennen, gibt letzte Anweisungen und kehrt in den Himmel zurück

  • Jesus lebt (Kap. 24,1–12)
  • Auf dem Weg nach Emmaus und zurück (Kap. 24,13–35)
  • Letzte Anweisungen an die Jünger und Himmelfahrt des Herrn (Kap. 24,36–53)

10. Praktische Lektionen

Jedes der vier Evangelien zeigt uns nicht nur wie groß und herrlich unser Herr ist, sondern fordert uns zugleich heraus, Ihm zu folgen. Sein Leben ist uns als Beispiel gegeben. Dies gilt umso mehr für die drei synoptischen Evangelien.

Man hat das Lukasevangelium ein „Handbuch für Söhne“ genannt, die ihrem Vater Freude machen. Wir folgen dem Weg unseres Meisters, um von Ihm zu lernen und Ihm zu folgen, damit wir unseren Vater ehren. Im Leben des vollkommenen Menschen entdecken wir alles, was wir brauchen, um in seinen Fußspuren zu seiner Ehre zu leben.

Aus der Vielzahl der praktischen Anwendungen möchte ich drei Punkte nennen:

  1. Das Wort der Versöhnung ist in uns niedergelegt: Paulus schreibt: „Alles aber von dem Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat: Nämlich dass Gott in Christus war, die Welt mit sich selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend, und er hat in uns das Wort der Versöhnung niedergelegt. So sind wir nun Gesandte für Christus, als ob Gott durch uns ermahnte; wir bitten an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott“ (2. Kor 5,18–20).
    Das Lukasevangelium zeigt uns, wie Gott in Christus auf die Erde kam und den Menschen Versöhnung angeboten hat. Jetzt ist Er in den Himmel zurückgekehrt. Doch die Predigt geht weiter. Jetzt sind wir es, die den „Dienst der Versöhnung“ bekommen haben, um den Menschen die gute Nachricht Gottes zu sagen. So wie Christus ein Gesandter Gottes war, sind wir jetzt Gesandte für Christus, um den Menschen zu sagen: „Lasst euch versöhnen mit Gott“. Das Studium des Lukasevangeliums motiviert uns, diesen Dienst in der Gesinnung der Gnade und Barmherzigkeit zu tun, so wie der Herr es uns vorgelebt hat. Der Missionsauftrag unseres Herrn (Lk 24,44–49) ist heute noch ebenso aktuell wie damals. Noch immer sollen in seinem Namen „Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden allen Nationen“.
  2. Das Gebetsleben Jesu: Wir haben gesehen, dass das Gebet im Leben unseres Herrn einen hohen Stellenwert hatte und dass Er damit zeigte, dass Er nicht unabhängig von seinem Gott lebte. Das Neue Testament fordert uns wiederholt zum Gebet (zum Dank und zur Fürbitte) auf. Dabei ist das Gebetsleben unseres Herrn das größte Vorbild für uns. Obwohl Er Sohn Gottes war und bleibt, suchte Er als Mensch immer wieder den Kontakt zu seinem Vater im Himmel. Er fragte nach seinem Willen für sein Leben und seinen Dienst. Er ließ sich in seinem Zeitplan nicht von der Not der Menge bestimmen. Er tat nicht das, was vermeintlich nötig war, sondern das, was Gott wollte. Er ließ sich nicht davon leiten, ob die Menschen Ihm zustimmten oder ablehnten, sondern von dem, was sein Vater wollte. Er kannte immer wieder Momente, wo Er sich in die Stille zurückzog, sei es vor einem Dienst oder einer Entscheidung. Er äußerte seine Dankbarkeit im Gebet und pries seinen Gott. In all diesem ist Er unser perfektes Vorbild, dem wir gerne folgen. Wie leicht nehmen uns die Hektik des Alltags und die vermeintlichen Notwendigkeiten so in Beschlag, dass wir das Gebet vernachlässigen.
  3. Den Fußspuren des Meisters folgen: Obwohl alle vier Evangelien uns die Fußspuren des Herrn Jesus zeigen, gilt die Aufforderung von Petrus ganz besonders für das Lukasevangelium: „Denn hierzu seid ihr berufen worden; denn auch Christus hat für euch gelitten, euch ein Beispiel hinterlassend, damit ihr seinen Fußstapfen nachfolgt; der keine Sünde tat, noch wurde Trug in seinem Mund gefunden, der, gescholten, nicht wiederschalt, leidend, nicht drohte, sondern sich dem übergab, der gerecht richtet“ (1. Pet 2,21–23). Der Mensch Jesus Christus hat uns vorgelebt, wie Menschen zur Ehre Gottes leben können. Das zeigt ganz besonders Lukas.

Fußnoten

  • 1 Es ist denkbar, dass beide Bücher ursprünglich ein Doppelwerk waren. Die frühe Kirche hat jedoch nachvollziehbarerweise das Johannesevangelium als viertes Evangelium dazwischen geschoben, um die vier Evangelien in einer Reihe zu haben.
  • 2 Die Angabe basiert auf der Anzahl der Verse der einzelnen Bibelbücher. Sollte der Brief an die Hebräer – was nicht sicher ist – von Paulus geschrieben worden sein, kommt Paulus auf einen etwas höheren Anteil als Lukas.
  • 3 Beide Zitate nach E. Mauerhofer: Einleitung in die Schriften des Neuen Testamentes
  • 4 Lukas ist nicht mit dem in Römer 16,21 erwähnten Luzius zu verwechseln, der als Verwandter von Paulus ein Jude war. Einige Ausleger meinen das, weil Luzius tatsächlich die Verkleinerungsform von Lukas ist.
  • 5 Es kann keinen Zweifel geben, dass es Lukas ist, der diese „Wir-Form“ in der Apostelgeschichte gebraucht (vgl. dazu die Einführung in die Apostelgeschichte in dieser Serie). Wenn man das sogenannte Ausschlussverfahren anwendet, bleibt als Autor nur Lukas übrig.
  • 6 Es fällt auf, dass Lukas in den Briefen an die Galater, Römer, Korinther und Thessalonicher nicht genannt wird. Diese wurden alle in einer Zeit geschrieben, die durch die Apostelgeschichte nicht abgedeckt wird. In zwei Briefen, die aus der ersten Gefangenschaft geschrieben wurden (Kolosser und Philemon), wird er hingegen sehr wohl erwähnt.
  • 7 W. Kelly: The Gospel of Luke
  • 8 W. Kelly weist darauf hin, dass diese Berichte durchaus in guter Absicht erstellt worden sind und keineswegs das Werk falscher Lehrer sind. Allerdings ist er davon überzeugt, dass es sich nicht um vom Heiligen Geist inspirierte Berichte handelt, die damit nicht fehlerfrei sind (vgl. W. Kelly: The Gospel of Luke).
  • 9 Theophilus bedeutet „Freund Gottes“. Manche schließen aus der Tatsache, dass er in der Apostelgeschichte nicht mehr mit „vortrefflich“ angeredet wird, dass er sich in der Zwischenzeit bekehrt habe. Dies ist jedoch eine Vermutung, die nicht belegt werden kann.
  • 10 In Psalm 8 sehen wir den Sohn des Menschen über alle Werke der Hände Gottes gestellt. Alles in dieser Schöpfung wird Ihm unterworfen sein (vgl. Heb 2,7). In Psalm 80 geht es um seinen Herrschaftsanspruch im Blick auf das wiederhergestellte Volk Israel, dessen König Er sein wird. In Daniel 7 steht sein Herrschaftsanspruch über die Nationen im Vordergrund. Alles wird Ihm einmal unterworfen sein.
  • 11 Auch die anderen Evangelien zeigen, dass Jesus gebetet hat. Lukas berichtet jedoch mindestens von acht Gebeten, die von den übrigen Evangelisten nicht erwähnt werden. Dazu zählen z. B. die drei Gleichnisse, die mit dem Gebet verbunden sind (Lk 11,5-13; 18,1-8; 18,9-14).
  • 12 Zum Vergleich: Matthäus hat 1068 Verse, Markus 666 und Johannes 879
  • 13 Eine ausführliche Auflistung findet sich bei A. C. Gaebelein: The Gospel of Luke (in: The annotated Bible).
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