Er lehrte sie vieles in Gleichnissen (Band 1)

Der Sauerteig

Er lehrte sie vieles in Gleichnissen (Band 1)

Der Herr Jesus rundet die Beschreibung darüber, in welcher Weise sich das Reich der Himmel historisch entwickeln würde, mit dem kurzen Gleichnis vom »Sauerteig« ab:

„Ein anderes Gleichnis redete er zu ihnen: Das Reich der Himmel ist gleich einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Maß Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war“ (Mt 13,33).

Hier wird uns nicht wie im vorigen Gleichnis die äußere Größe vorgestellt, die dieses Reich in der Welt annehmen würde, sondern ein innerer Vorgang innerhalb des Reiches. Auch ist es nicht »ein Menseln, also der Herr selbst, der guten Samen sät oder etwas pflanzt. Vielmehr sehen wir eine Frau tätig, die ein wenig Sauerteig nimmt und ihn mit drei Maß Mehl vermengt. Das scheint hier die einfache Bedeutung von „verbergen“ zu sein. Es ist weder nötig noch zwingend, eine innere Verbindung zu Vers 35 und 44 herzustellen, wo ebenfalls dieses Wort benutzt wird. Nein, diese Frau tat nichts Heimliches, sondern etwas ganz Alltägliches. Sie wollte Sauerteig-Brot backen, und dann handelt man so.

Der Herr gebraucht also ein ganz normales Bild aus dem tagtäglichen Leben. Die »drei Maß Mehl« bilden dabei – ganz im Gegensatz zum »Acker« – einen begrenzten Bereich vor, den ein bestimmter innerer Vorgang durchdringen, ganz durchdringen würde. Unter diesem eingeschränkten Bereich haben wir die Christenheit zu verstehen, das Reich der Himmel in der gegenwärtigen Gestalt. In diesem Bereich würde sich ein Grundsatz Raum verschaffen und allem seinen Charakter verleihen. Darauf weist die Wirkung des »Sauerteigs« hin: „bis es ganz durchsäuert war.“

Was bedeutet »Sauerteig«?

Daß »Sauerteig« in der Schrift niemals ein Bild von etwas Gutem ist, ist absolut wahr und beachtenswert (2. Mo 12,15; 3-Mo 2,11; Mt 16,6; i.Kor 5,6.7; Gal 5,9). Jeder Jude wußte es. Deswegen ist es auch völlig abwegig, darin in unserem Gleichnis ein Bild des Evangeliums sehen zu wollen, das einmal die ganze Welt durchdringt. Die Wahrheit Gottes verschafft sich nicht auf diese Weise Zugang zu den Herzen der Menschen, wie Sauerteig notwendigerweise und ungehemmt alles, was ihm ausgesetzt wird, durchsäuert. Allein das Gleichnis vom »Sämann« genügt, um das zu belegen. Durchaus nicht alle Hörer des Wortes nahmen es auf. Ganz im Gegenteil, nur bei einer Gruppe konnte das gewünschte Ergebnis erreicht werden. Und daß nicht die ganze Welt bekehrt wird, unterstreicht auch das Gleichnis vom »Unkraut im Ackere Bleiben nicht die Söhne des Bösen bis zur »Ernte«, bis zur Vollendung des Zeitalters, bestehen, um dann gerichtet zu werden?

Und doch scheint es hier nicht die Absicht des Herrn zu sein, unter dem Bild des »Sauerteigs« einen unbedingt bösen Grundsatz vorzustellen, böse Lehre zum Beispiel. Wir hatten schon im Gleichnis vom »Senfkorn« in Verbindung mit den »Vögeln« einen ähnlichen Gedanken vor uns. Bei anderer Gelegenheit warnte einmal der Herr Seine Jünger vor dem „Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer“ und meinte damit ihre Lehre (Mt 16, ii.12). Und das scheint hier in noch allgemeinerem Sinn der Gedanke zu sein: Eine gewisse Lehre oder ein bestimmter Grundsatz würde die ganze Masse in den gesetzten Grenzen durchdringen und kennzeichnen.

Kollektive Betrachtungsweise

Bei dieser kollektiven (zusammenfassenden) Betrachtungsweise des Reiches der Himmel, bei der der Herr alles in ein Bild zusammenfaßt und keinen Raum für Unterschiede läßt, zielt Er offenbar nicht auf eine sittliche Beurteilung der Zustände ab. Wenn Er direkt die Entwicklung des Bösen schildern wollte, würde Er gewiß auch Ausnahmen von der allgemeinen Abwärtsentwicklung aufzeigen, wie Er das im Gleichnis vom »Unkraut im Acker« tat.

Wenn die Söhne des Reiches auch fast aus dem Blickfeld verschwanden, so waren sie doch vorhanden, und ihr zukünftiges Teil zu zeigen wurde nicht vergessen. Auch im Gleichnis vom »Netz im Meer« werden die »Guten« von den »Faulen« unterschieden. Weder wird das »Unkraut« zu »Weizen«, noch werden die »Faulen« zu »Guten«. In beiden Gleichnissen wird denn auch das Gericht über die Bösen eingeführt.

Hier aber finden wir kein Gericht; denn es geht nicht um das ursprüngliche Säen des Wortes und um das individuelle Ergebnis davon. Da ist vielmehr die Masse der Christenheit, und sie ist durch ein allgemeines Bekenntnis zu Christus gekennzeichnet. Es gibt solch eine Sache auf der Erde, wo man sich äußerlich zu dem Namen Christi bekennt, und dieses Lehrsystem ist für den gesamten Bereich charakteristisch. Ob das Bekenntnis echt oder unecht ist, wird außer acht gelassen, weil dies vorzustellen nicht das Ziel des Gleichnisses ist. Vielmehr gibt uns der Herr hier eine historische Sicht, ein äußeres Bild des Reiches.

Geistliche Beurteilung

Dabei überläßt Er es dem geistlichen Beurteilungsvermögen der Seinen, den wahren Zustand der Dinge zu erkennen und zu beurteilen. Und hilft uns dabei nicht gerade der Umstand, daß der Herr Jesus hier von »Sauerteig« spricht? Wenn er überall in der Schrift als Bild des Verderbens benutzt wird, wird uns dann nicht mehr als deutlich, daß der Herr anhand des Gleichnisses vom »Sauerteig« im Grunde keine gute Entwicklung andeutet? Nein, der »Sauerteig« und seine Wirkung stehen nicht für wahres Christentum, für Glauben und ewiges Leben. Ein geistliches Gemüt würde das rasch erfassen.

Von welcher Art muß wohl auch die den ganzen Bereich durchdringende christliche Lehre sein, wenn sie bei einer derart weltlich gewordenen, nach Macht und Einfluß strebenden Christenheit Anklang findet, wie sie uns im Gleichnis vom »Senfkorn« geschildert wurde?

Daß der treue Herr doch auch uns die Augen öffnen könnte über den wahren Zustand der Christenheit! Wir sagen das nicht in einem hochmütigen, anklagenden Sinn. Auch reden wir nicht von Personen, sondern von dem System als solchem. Aber muß es uns nicht tief schmerzen, wenn heute in der ganzen Christenheit weithin ein soziales Evangelium verkündigt wird, während man den wahren „Glauben des Evangeliums“, die eigentliche christliche Lehre (Phil 1,27), weitgehend aufgegeben hat? Und besteht nicht die Gefahr, daß auch wahre Kinder Gottes von dem allgemeinen Sog mit fortgerissen werden? Müssen wir nicht befürchten, ja beobachten, daß auch in dem Bereich wahrer christlicher Gemeinschaft immer mehr soziale, philanthropische (menschenfreundliche) und demokratische Grundsätze Eingang finden?

So haben diese Gleichnisse des Herrn gewiß auch für uns Kinder Gottes nicht nur eine belehrende, sondern auch warnende Stimme.

Zusammenfassung

In den drei Gleichnissen vom Reich der Himmel (»Unkraut im Acker«, »Senfkom« und »Sauerteig«) gibt uns der Herr drei Beschreibungen darüber, wie sich das Reich der Himmel auf der Erde während der Abwesenheit des Königs entwickeln würde. Dabei handelt es sich bei diesem Reich – das sei nur zur Erinnerung gesagt – um jenen Bereich auf der Erde, wo die Autorität des Herrn in irgendeiner Form anerkannt wird. Es ist ein äußerer Bereich, dessen Entwicklung für alle erkennbar ist.

Das erste Bild zeigt uns eine Mischung von Gut und Böse. Das »Unkraut« überwuchert den Weizern, die Ernte als solche ist verdorben. Dann sehen wir einen »großen Baum« – eine große politische Macht, die aus einem unscheinbaren Anfang erstand. Und schließlich ein allgemeines (Lehr-)Bekemitnis zu Christus, ohne daß auf den persönlichen Zustand des einzelnen eingegangen wird.

Damit enden die Belehrungen des Herrn den Volksmengen gegenüber, und Er verläßt das Ufer des Sees. Drinnen im Haus erklärt Er dann Seinen Jüngern das Gleichnis vom »Unkraut im

Acker«, wie wir es bereits betrachtet haben. Und weil sich die Frage erheben würde, ob das alles nicht eine gewaltige Fehlentwicklung sei und warum der Herr sie dulde, fügt Er vier weitere Gleichnisse an. Sie sollen uns als nächstes beschäftigen.

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