Samuel - der Mann Gottes

Die Begegnung Samuels mit Saul

Samuel - der Mann Gottes

Saul kommt nun in die Stadt Samuels und erkundigt sich: „Ist der Seher hier?“ (1. Sam 9,11). Gott hatte seinen Diener bereits auf Sauls Kommen vorbereitet, ebenso wie Petrus später vom Geist auf das Kommen der Abgesandten des Hauptmanns Kornelius vorbereitet wurde (Apg 10,19.20). Gott hatte Samuel sogar die Stunde gesagt, in der Saul zu erwarten war (1. Sam 9,16). „Du kennst mein Sitzen und mein Aufstehen, du verstehst meine Gedanken von fern“ (Ps 139,2).

Der neue König war gekommen, und obwohl Samuel wusste, wie äußerst zuwider die ganze Angelegenheit dem Willen Gottes war, durfte er ihm keine Schwierigkeiten in den Weg legen. Der Mann der Wahl Israels musste gesalbt werden und seinen Platz an der Spitze des Volkes einnehmen. Kein König begann jemals seine Regierung unter günstigeren Umständen als Saul. Sowohl der HERR als auch Samuel waren zur Hand, um ihm Rat und Hilfe zu sein, wenn er es zu würdigen gewusst hätte. So war der Zusammenbruch, als er kam – und wie bald trat er ein! –, nur die Schuld des Königs selbst. Die Güte Gottes, die dem Repräsentanten des Eigenwillens des Volkes alle Hilfsquellen zur Verfügung stellte, ist zu bewundern und mag uns eine heilsame Lehre sein. Denn wir können nicht leugnen, dass wir selbst mitunter ganz anders handeln, wenn Dinge geschehen, die wir nicht gutheißen können. Zu leicht offenbaren wir einen Geist hartnäckigen Widerstands, der den Ausgang, den wir von Herzen wünschen, völlig vereitelt. Ach, wenn wir solche Angelegenheiten doch mehr Gott überließen, damit Er wirken kann, wie es in seinen Augen gut erscheint! Er wird niemals versäumen, dem Glauben früher oder später zu Hilfe zu kommen.

Die Mädchen sagten Saul und seinem Begleiter, dass sie Samuel bald treffen würden, da er auf dem Weg zur Höhe sei, um dort zu opfern. Diese Worte lassen uns aufmerken, wenn wir uns an die Anweisungen in 5. Mose 12,11 und anderen Stellen erinnern: Danach sollte Israel im Land an keinem anderen Ort Opfer darbringen als nur an dem Ort, „den der HERR, euer Gott, erwählen wird, um seinen Namen dort wohnen zu lassen“. Silo war zuerst der göttlich bestimmte Mittelpunkt (Jer 7,12), aber wegen der Sünde des Volkes war jetzt alles in Unordnung. Die Stiftshütte stand zwar noch dort, wo Josua sie errichtet hatte (Jos 18,1), aber der HERR hatte sie verlassen (Ps 78,60). Die Lade war woanders, so dass – welche priesterlichen Funktionen die Familie Aarons für das Volk auch ausüben mochte – sicher keine Möglichkeit bestand, das Blut des Sündopfers hineinzutragen und auf den Sühndeckel zu sprengen. Und gerade das war ja die Grundlage für das Handeln Gottes mit seinem Volk. Der neue Mittelpunkt war bis jetzt noch nicht benannt worden, denn Zion kam erst in Sicht, als David König wurde. Es bildete einen Teil der neuen Ordnung der Dinge, die Gott dann in unumschränkter Gnade aufrichtete. Als in den Tagen Salomos der Tempel gebaut war, ließ Gott sich herab, noch einmal inmitten seines Volkes zu wohnen und das Heiligtum mit der Herrlichkeit seiner Gegenwart zu erfüllen. Aber für den Augenblick musste der Fromme in ähnlicher Weise mit Gott wandeln wie Abraham, und das tat Samuel. Er lebte in aller Einfalt, genoss persönliche Gemeinschaft mit Gott und diente seinem strauchelnden Volk, so wie sich die Gelegenheit bot. Als später der Tempel gebaut war und von Gott anerkannt wurde, beging man natürlich eine Übertretung, wenn man dann auf den Höhen anbetete. Dennoch wurde diese Übertretung allgemein üblich, und sogar einige der besten Könige Israels duldeten sie (2. Kön 12,4; 14,4; 15,4 usw.). Das war nichts anderes als eine ernste Vernachlässigung des geschriebenen Wortes Gottes.

Nur unter dem Druck ganz außergewöhnlicher Umstände dürfen wir uns heute auf uns selbst zurückziehen. Die Versammlung ist der Leib Christi und die Wohnung des Heiligen Geistes, und die Gemeinschaft mit den Heiligen ist ein unaussprechliches Vorrecht, ja, eins der größten Vorrechte in unserer Haushaltung. Wer den Willen Gottes von Herzen wirklich tun will, mag in manchen Fällen in der Gemeinschaft sehr eingeschränkt sein, aber der Herr Jesus sagt in seiner Gnade: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte“ (Mt 18,20). Das ist eine Tatsache, deren Kostbarkeit so mancher im Übermaß erfahren hat. Aber selbst wenn ein treuer Gläubiger an irgendeinem Ort keinen Einzigen finden sollte, der gewillt ist, mit ihm den Weg des HERRN zu gehen, darf er „der Menge nicht folgen, um Böses zu tun“ (2. Mo 23,2). In einem solchen Fall muss man bereit sein, an diesem Ort allein zu stehen – in der Gewissheit, dass Gott uns nicht vergessen wird. Allerdings erfordert ein solcher Weg besondere Gnade und darf nur in tiefster Demut und größter Selbstverleugnung betreten werden, damit nicht Elias „Ich allein bin übrig geblieben“ (1. Kön 19,14) im Herzen aufkommt. Nichts könnte in geistlicher Hinsicht unheilvoller sein.

„Sobald nun Samuel Saul sah, antwortete ihm der HERR: Siehe, das ist der Mann, von dem ich zu dir geredet habe; dieser soll über mein Volk herrschen“ (1. Sam 9,17). Hätte Samuel sich später, als er in das Haus Isais kam, an diese Worte erinnert, so hätte er beim Anblick des ansehnlichen Eliab nicht so voreilig gesagt: „Gewiss, vor dem HERRN ist sein Gesalbter!“ Er irrte, denn Eliab war nicht der Gesalbte des HERRN. Eine andere imponierende Persönlichkeit war schon ein Fehlschlag gewesen, und Gott hielt nicht Ausschau nach einer zweiten. Der rötliche Hirtenknabe entsprach mehr seinem Geschmack, denn „der HERR sieht nicht auf das, worauf der Mensch sieht“ (1. Sam 16,6.7).

Samuel sagte Saul sofort zwei Dinge: erstens, dass die Eselinnen gefunden waren, und zweitens, dass er der ausersehene König über Israel war. Solche Worte von einem ihm vollkommen Fremden, an den er bisher noch keine Frage gerichtet hatte, war für Saul ein Beweis, dass er es mit einem Gott zu tun hatte, vor dem nichts verborgen war. Esel und Königtum, beides interessierte Ihn. Was für eine Hilfe hätte dies für Saul in späteren Jahren sein können, wäre er sich dessen bewusst gewesen! – Denken wir daran?

Bei dem folgenden Festessen bat Samuel den Koch, die Keule des Opfers (des Friedensopfers) Saul vorzulegen. Welch eine Belehrung für Saul, wenn er sie verstanden hätte! Die Keule des Opfertieres ist ein Bild von der Kraft Christi, mit der der Glaube rechnet und von der er sich nährt. Paulus verwirklichte dies, indem er sagte: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“ (Phil 4,13). Saul war im Begriff, ungeheure Verantwortlichkeiten auf sich zu nehmen, wofür mehr als menschliche Kraft nötig war, um sie zum Ruhm Gottes und zum Segen seines Volkes recht tragen zu können. Aber der Mensch sucht die Hilfe göttlicher Gnade erst dann, wenn er seine eigene Nichtigkeit und Unzulänglichkeit erkannt hat. Der arme Saul machte nie in seinem Leben diese Erfahrung.

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