Samuel - der Mann Gottes

Saul und die Eselinnen

Samuel - der Mann Gottes

Nun erscheint der Mann nach der Wahl des Volkes, der Mann, der dem fleischlichen Sinn des Volkes entsprach. Es ist bemerkenswert, dass wir ihm das erste Mal in Verbindung mit Eseln begegnen. Das steht in auffallendem Gegensatz zu dem Mann nach Gottes Wahl, der für Schafe und Lämmer zu sorgen hatte (Ps 78,70–72). Wohl hatte Saul die Aufgabe, die verlorenen Eselinnen zu suchen, aber als sie schließlich gefunden wurden, war nicht er es, der sie fand (1. Sam 9,20). David andererseits befreite unter Lebensgefahr ein Lamm von zwei grausamen Feinden, von einem Löwen und von einem Bären (1. Sam 17,37). Welche Belehrungen drängen sich uns hier auf! Der Esel ist ein Bild des armseligen, ungestümen Fleisches, denn „ein Hohlkopf gewinnt ebenso wenig Verstand, wie ein Wildeselsfohlen als Mensch geboren wird“ (Hiob 11,12). Jedes erstgeborene Kind in Israel musste mit einem Lamm gelöst werden, genauso wie das Erstgeborene des Esels (2. Mo 13,13). Schafe und Lämmer dagegen sind im Wort Gottes immer Bilder von Gottes eigenem, wahrem Volk. Saul hatte weder das Herz noch die Fähigkeit, wie ein Hirte für das Volk Gottes zu sorgen. Er mochte ein Führer gewesen sein, aber ein Hirte war er nicht.

Saul war aus dem Stamm Benjamin. Dieser Stamm war für seine Halsstarrigkeit bekannt (Ri 20; 21) und aus diesem Grund jetzt einer der kleinsten Stämme Israels (1. Sam 9, 21). Der Name Saul bedeutet „der Erbetene“, denn er war die Antwort auf das fleischliche Verlangen des Volkes. So stellte er auf bemerkenswerte Weise das Fleisch dar. War ein solcher Mann geeignet, das beständige Böse eines aufsässigen Volkes zu zügeln? Das Fleisch kann niemals das Fleisch niederhalten. Haben wir das nicht bereits bei unseren Versammlungsschwierigkeiten lernen müssen? Was das Fleisch nur verschlimmern kann, das vermag die Kraft und Gnade des Heiligen Geistes völlig zu beseitigen. Wie oft hat sich dies in der Versammlung Gottes bestätigt!

Saul schien von Samuels Existenz und von den wunderbaren Wegen Gottes mit ihm nichts gewusst zu haben. Darin erinnert er uns an den König Belsazar, der im Augenblick seiner großen Angst Daniel anscheinend nicht kannte, obwohl sein Großvater Nebukadnezar einige bemerkenswerte Erlebnisse mit Daniel gehabt hatte (Dan 5,11). Belsazar war allerdings ein Heide, während Saul einem Volk angehörte, das mit dem HERRN in Verbindung stand. Tatsache bleibt: Das Fleisch ist niemals weder an dem Tun Gottes noch an den Werkzeugen interessiert, die Er benutzt. Das Fleisch mag dunkel etwas von den Wegen Gottes hören, aber das Herz bleibt davon völlig unberührt. Gott war zu jenem Zeitpunkt mehr an Samuel als an irgendeiner anderen Person in der Welt interessiert, denn Samuel stand zu Ihm in ständiger Beziehung, weil das Volk Gottes auf den falschen Wegen ging. Und doch schien Samuel Saul völlig unbekannt gewesen zu sein!

In seiner Not – wegen der verlorenen Eselinnen – hatte Saul offenbar nicht das Bedürfnis, Gott zu befragen. Es ist wunderbar für uns, zu wissen, dass unser Gott sich sowohl für große als auch für kleine Angelegenheiten interessiert. Hätte heute ein Kind Gottes seine Eselinnen verloren, würde es diese Sache sicher nicht als zu belanglos für Gott ansehen, denn werden wir nicht durch Gottes Wort ermuntert, „in allem durch Gebet und Flehen mit Danksagung unsere Anliegen vor Gott kundwerden“ zu lassen (Phil 4,6)? Aber Saul hatte einen ausgezeichneten Knecht. Dieser erzählte Saul, dass in der Stadt, der sie sich näherten, ein Mann Gottes sei, und schlug Saul vor, diesen zu befragen. Knechte spielten auch eine wichtige Rolle, um Naaman, den Syrer, zu segnen (2. Kön 5). Wir sollten aus diesen Begebenheiten lernen, niemals den Rat und den Dienst selbst des niedrigsten Boten zu verachten.

Aber Saul hatte noch eine Schwierigkeit. Würde Samuel für seine Dienste nicht eine Bezahlung verlangen? So sprach er zu seinem Knecht: „Siehe aber, wenn wir hingehen, was wollen wir dem Mann bringen? Denn das Brot ist ausgegangen in unseren Gefäßen ...; was haben wir?“ (1. Sam 9,7). Ihre Hilfsmittel waren fast erschöpft, denn sie waren schon eine Weile von zu Hause fort. Da antwortete ihm der Knecht: „Siehe, es findet sich in meiner Hand ein viertel Sekel Silber“ (etwa 1,32 Euro); „das will ich dem Mann Gottes geben, damit er uns über unseren Weg Auskunft gebe“ (1. Sam 9,7.8). Das arme, unwissende Fleisch kann sich nur schwer von dem Gedanken an eine Bezahlung lösen. Gnade ist ihm ein fremder Begriff. Das Fleisch kann Gott als Geber nicht begreifen. Doch alle, die seine Gnade erfahren haben, kennen Ihn als den großen Geber. Gott gab seinen eingeborenen Sohn, die Voraussetzung aller anderen Gaben, und mit Ihm gibt Er uns alles reichlich. Aus der gleichen freigebigen Gnade gehen die Gabe des Heiligen Geistes und ewiges Leben hervor. „Geben ist seliger als Nehmen“ (Apg 20,35). Obwohl das Fleisch immer meint, Gott fordere etwas (lies besonders Mt 25,24), bedenkt es niemals, dass Er viel erwarten darf. Das Beste, was man von Sauls 35 Cent sagen kann, ist, dass diese Summe wenigstens größer ist als das 5-Cent- oder 10-Cent-Stück, das heutzutage oft in kirchlichen Sammelbüchsen gefunden wird.

Hätte Saul die geringste Vorstellung von der Größe Gottes und von der sittlichen Würde des Mannes gehabt, der Ihn vertrat, so hätte ihm einfallen müssen, dass es passender gewesen wäre, eine Gnade zu erbitten, als zu versuchen, eine Auskunft mit „einem viertel Sekel Silber“ zu erkaufen. Aber das Fleisch ist in seinem sittlichen Verhalten gegen Gott genauso gleichgültig wie gegen die Gnade. Sauls Benehmen und das seines Knechtes deuten an, dass weder der eine noch der andere ein wirkliches Gefühl davon hatte, dass er es mit Gott zu tun hatte. Das war kein gutes Vorzeichen für den Mann, der bald Israels König sein sollte.

Sauls Besuch bei Samuel gewährt uns einen Einblick in das gewöhnliche, alltägliche Leben des Mannes Gottes (1. Sam 9,11–13). Was die beiden Bezeichnungen „Seher“ und „Prophet“ angeht – „Den, der heutzutage der Prophet heißt, nannte man früher den Seher“ (1. Sam 9,9) –: Ein Seher ist jemand, der etwas mitteilt, was er sieht (Hes 13,3), während der Prophet etwas verkündet, was ihm offenbart wurde. Was sehen wir? Können wir wirklich sagen: „Wir sehen ... Jesus, der ein wenig unter die Engel wegen des Leidens des Todes erniedrigt war“ (Heb 2,9)? Leben wir in den Worten von Johannes 16,14.15, wo der Herr von dem Heiligen Geist sagt: „Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er empfangen und euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, ist mein; darum sagte ich, dass er von dem Meinen empfängt und euch verkündigen wird“? Wenn der auferstandene und verherrlichte Christus unsere Seele erfüllt und wenn durch die Kraft des Heiligen Geistes jene neue Welt des Lebens und der Herrlichkeit vor uns ausgebreitet liegt, deren Mittelpunkt und Sonne unser Herr ist – dann haben wir etwas mitzuteilen. Bemühen wir uns daher, nicht nur Prediger von Lehren zu sein, sondern geistlicherweise „Seher“ und „Propheten“!

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