"Siehe, Mein Knecht"

Kapitel 7 - Der Mensch entlarvt und Gott geoffenbart

In Kapitel 6 hatten wir die Enthüllung und Verurteilung der sozialen und politischen Welt. In diesem Kapitel finden wir die Verurteilung der rein formalen Religion des Fleisches (V. 1–13); die Enthüllung des menschlichen Herzens (V. 14–23); und die Offenbarung des Herzens Gottes (V. 24–37).

Markus 7,1–5. Das Kapitel beginnt mit den religiösen Führern des Volkes, die zum Herrn Jesus kommen. Leider tun sie es ohne Empfinden für ihre Bedürfnisse und ohne Gefühl für seine Gnade, sondern um Christus zu widerstehen, indem sie meinen, bei seinen Jüngern einen Fehler zu finden, weil sie Brot mit ungewaschenen Händen assen. Die Religion dieser Menschen bestand im Hochhalten der Tradition ihrer Vorfahren und in der Erfüllung gewisser äusserer Formen und Zeremonien, was im Grunde jedem möglich ist und vor den Menschen zu einem guten Ruf verhilft, aber das Herz fern von Gott lässt.

Markus 7,6–13. In seiner Antwort an diese Männer enthüllt der Herr die Leere ihrer Religion, die nur aus äusserlichen Formen besteht. Erstens macht sie die Menschen zu blossen Heuchlern, wie die Schrift es beweist, denn Jesaja sagt von solchen: «Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir.» Heuchelei täuscht etwas vor, was man nicht ist. Durch ihre religiösen Handlungen bezeugten sie grosse Frömmigkeit vor Menschen und durch ihre Worte bekannten sie, Gott zu ehren; in Wirklichkeit waren ihre Herzen weit von Gott entfernt (Jes 29,13; Hes 33,31).

Zweitens zeigt der Herr, dass eine solche Religion «vergeblich» ist. Sie mag ihren Anhängern zu einem guten Ruf für Frömmigkeit vor Menschen verhelfen, aber in den Augen Gottes ist sie wertlos.

Drittens setzt sie das klare Wort Gottes zugunsten menschlicher Tradition auf die Seite. Der Herr nennt ein Beispiel von diesem grossen Übel. Das Wort Gottes gibt den Kindern klare Anweisungen, ihre Eltern zu ehren. Aber sie hatten eine Überlieferung, aufgrund der sie bezeugen konnten, dass sie ihr Vermögen für Gott auf die Seite gelegt hatten. Indem sie ihren Besitz als «Korban» bezeichneten, was Gabe für Gott bedeutet, konnten diese Mittel nicht dazu benützt werden, bedürftigen Eltern zu helfen. Durch ihre Überlieferung stellten sie so das Wort Gottes auf die Seite, entzogen sich ihrer Verantwortung ihren bedürftigen Verwandten gegenüber und dienten ihrer eigenen Habsucht.

Der Ernst dieses Abschnittes wird erhöht, wenn wir daran denken, dass diese Pharisäer und Schriftgelehrten aus Jerusalem die religiösen Führer des Überrestes waren, der aus Babylon zurückgekehrt war. Wohl gab es in den Tagen des Herrn einen kleinen, schwachen Überrest inmitten dieser Zurückgekehrten, der den Herrn fürchtete, seines Namens gedachte und nach Erlösung in Israel ausschaute. Aber leider war die Masse in den schrecklichen Zustand abgesunken, der von diesen Führern ausgelebt wurde. Sie waren keine Götzendiener mehr. Äusserlich waren sie sehr fromm, und mit ihren Lippen legten sie ein schönes Bekenntnis vor Gott ab. Aber wir erkennen, dass dies alles möglich und das Herz doch weit von Gott entfernt ist und das Wort Gottes durch die Traditionen der Menschen auf die Seite gestellt wird.

Markus 7,14–16. Nachdem der Herr die Scheinheiligkeit der äusserlichen Religion des Fleisches aufgedeckt hatte, zeigte Er dem ganzen Volk, dass die Quelle der Verunreinigung nicht ausserhalb des Menschen, sondern in seinem Innern liegt. Die Waschung der Hände, Becher und Gefässe befasst sich nur mit der Verunreinigung von aussen, aber die moralische Verunreinigung entspringt der inneren Quelle, dem Bösen des menschlichen Herzens. Damit wird die Wurzel jeder weltlichen Religion des Fleisches enthüllt, die sich einfach mit dem Äusserlichen befasst und das Herz unberührt lässt. Gott aber beschäftigt sich mit dem Innern und wirkt am Gewissen und am Herzen. Die wirkliche Quelle der Verunreinigung eines Menschen ist nicht seine Umgebung, sondern er selbst. Es ist wohl wahr, dass wenn der Mensch als das, was er ist – ein gefallenes Geschöpf –, sich in den Bereich des Bösen und der Versuchung begibt, seine Begierden in ihm durch seine Umgebung angeregt werden. Aber trotzdem bleibt die Quelle des Bösen in ihm selbst. Ein Engel hätte durch Sodom gehen können, ohne verunreinigt zu werden, nicht aber ein Lot. In dem Engel gibt es kein böses Herz, das auf die Sünde reagiert hätte, aber Lot hatte ein solches.

Markus 7,17–23. Allein mit seinen Jüngern geht der Herr näher auf dieses Thema ein und erklärt seine Illustration. Moralisch Böses hat seine Wurzel im Herzen, unabhängig von der Form, die es annehmen mag. Es können böse Gedanken, böse Taten wie Ehebruch, Hurerei, Mord, Dieberei oder Betrug, böse Blicke oder böse Worte in Lästerung, Hochmut und Torheit sein. «Alle diese bösen Dinge gehen von innen aus und verunreinigen den Menschen.»

Markus 7,24–30. Nachdem das böse Herz des Menschen aufgedeckt worden ist, enthüllt sich in der Geschichte von der syro-phönizischen Frau in gesegneter Weise das Herz Gottes – ein Herz, das voll Liebe die Wahrheit aufrecht hält und gleichzeitig dem bedürftigen Sünder Gnade austeilt. Als der Herr durch diese Welt schritt, die Ihn verworfen hatte, wäre Er gern verborgen geblieben, um die demütige Gesinnung des Herrn Jesus zu offenbaren, die Ihn dazu führte, sich zu nichts zu machen. Aber in seiner Vollkommenheit, die in so grossem Kontrast zu allem stand, was Ihn umgab, konnte Er nicht verborgen bleiben. Wie jemand gesagt hat: «Güte gepaart mit Macht ist so selten in der Welt, dass dies nicht unbeachtet bleiben kann.»

Die Frau war eine Griechin, also eine Heidin, aber ihre tiefe Not brachte sie zum Herrn. Sie glaubte an die Macht des Herrn Jesus und an seine Gnade, die die Macht zugunsten heidnischer «Hunde» gebrauchen würde. Der Herr brachte ihren Glauben ans Licht, als Er sagte: «Lass zuerst die Kinder gesättigt werden, denn es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden hinzuwerfen.» Das war eine grosse Probe für den Glauben. Sie hätte einwenden können: «Dann bin ich also nur ein Hund und habe keine Ansprüche an den Herrn. Die Segnungen gehören nur den Kindern.» Ihr Glaube triumphierte aber über diese Schwierigkeit, indem sie die Wahrheit über sich anerkannte und auf die Gnade zurückgriff, die in seinem Herzen ist. Sie kann eigentlich sagen: «Ja, soweit es mich betrifft, ist es wahr, dass ich nicht den Platz eines Kindes beanspruchen kann. Ich bin nur ein Hund; aber mein ganzes Vertrauen stützt sich auf das, was Du bist, nicht auf das, was ich bin. Ich sehe, dass in Deinem Herzen eine solche Gnade vorhanden ist, dass Du einem Hund die Brosamen nicht verwehren kannst.» Das ist immer der Weg des Glaubens, dass wir die Erbärmlichkeit, die Verdorbenheit und Unwürdigkeit unserer Herzen zugeben und in der vollkommenen Gnade seines Herzens ruhen. Der Glaube ergreift Christus und ruht auf dem, wer Er ist und was Er getan hat.

Das war ein Glaube, den der Herr nicht zurückweisen wollte und nicht zurückweisen konnte. Er konnte nicht sagen: «Ich bin nicht so gut, wie du annimmst», oder: «Meine Gnade ist nicht so gross, wie du dir vorstellst.» Gepriesen sei sein Name! Seine Gnade übersteigt allen unseren Glauben, und Er freut sich, auf den kleinsten Glauben zu antworten. Der Glaube an Christus sichert also den Segen, und Er kann zur Frau sagen: «Um dieses Wortes willen geh hin; der Dämon ist von deiner Tochter ausgefahren.»

Markus 7,31–37. In der abschliessenden Begebenheit finden wir den Herrn wieder in Galiläa, unter seinem Volk Israel. Sie bringen einen Tauben zu Ihm, der schwer redete. Der Mann stellt in treffender Weise den Zustand dar, zu dem die Sünde das Volk heruntergebracht hat. Christus ist in ihrer Mitte mit Gnade und Kraft, um ihren Bedürfnissen zu begegnen. Aber die Sünde hat sie so verblendet, dass das Volk als Ganzes sich die heilende Wirksamkeit, die in Christus gefunden wird, nicht zu Nutzen machen kann.

Trotzdem kann ihre Sünde sein Herz voll Liebe nicht ändern. Deshalb schickt Er keinen weg, der Ihn nötig hat. Wenn Er schon eine Frau aus den Nationen nicht wegschickt, dann wird Er auch eine Bitte für einen Juden in Not nicht abweisen. Aber indem Er Gnade austeilt, hält Er in beiden Fällen die Wahrheit aufrecht. So lesen wir: «Er nahm ihn von der Volksmenge weg für sich allein.» Dass sie Ihn verwerfen, ist Ihm nicht gleichgültig. Wenn Er in ihrer Mitte wirkt, geschieht es aufgrund ihrer Bedürfnisse, und nicht, weil sie Juden sind. Die Sünde hat Juden und Heiden auf das gleiche Niveau gestellt, und die Gnade kann beide aufgrund ihrer Notlage segnen.

Indem der Herr Gnade erwies, schaute Er zum Himmel auf und seufzte. Er handelte immer in Abhängigkeit vom Vater und in Übereinstimmung mit der Gesinnung des Himmels. Wenn die Sorgen der Erde sein Herz brachen, so wurde Er durch den Himmel aufrecht gehalten. Das gilt auch für uns. Wenn die Sorgen der Erde unseren Geist niederdrücken, mögen wir wohl seufzen. Aber zu oft seufzen wir, ohne zum Himmel aufzublicken, und so werden wir entmutigt und beschwert. Wenn wir um uns her blicken, seufzen wir. Schauen wir aber auf zum Himmel, werden wir gestützt. Nachdem Er den Mann geheilt hatte, gebot Er ihnen, dass sie es niemand sagen sollten. Er war hier der vollkommene Diener. Er wollte seine wirksame Kraft und seine Gnade nicht dazu benutzen, sich selbst zu erhöhen. Seine Gesinnung war, sich selbst zu nichts zu machen. Aber Er konnte nicht verborgen bleiben. Das Volk erstaunte überaus und sagte: «Er hat alles wohlgemacht; er macht sowohl die Tauben hören als auch die Stummen reden.»

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