Der Prophet Daniel

Kapitel 5

Der Prophet Daniel

In diesem und dem nächsten Kapitel stellt der Geist Gottes uns verschiedene Begebenheiten vor, die im Gleichnis oder prophetisch von dem reden, was in den letzten Tagen sein wird. Wir haben nicht so sehr die allgemeinen Charakterzüge der Herrschaft der Nationen, sondern bestimmte Ausbrüche des Bösen, mit denen nur Gott handeln kann. In Daniel 5 sehen wir offenbare Gottlosigkeit und eine Leugnung von allem, was Gott heißt. In Kapitel 6 finden wir, dass der Mensch sich selbst zu Gott macht. So wird es in den herannahenden Tagen sein. Einerseits wird ein allgemeiner Abfall und eine Leugnung Gottes eintreten; andererseits wird dies die Verehrung des Menschen in der Anerkennung des Herrschers des Römischen Reiches, ihm göttliche Ehren zu erweisen, zur Folge haben.

In Nebukadnezar sahen wir eine große Nachsicht Gottes; er wurde am Ende zu wahrer Erkenntnis Gottes gebracht, aber bei Belsazar haben wir ein schnelles und vernichtendes Gericht. Es ist sehr auffallend, dass bei der Veranstaltung dieses großen Festes so viele Edle und Personen von hohem Rang eingeladen waren, dass aber Daniel und die Mutter des Königs nicht genannt werden. Zweifellos würden sie nicht den Wunsch gehabt haben, auf einem solchen Fest gefunden zu werden, wenn man sie eingeladen hätte. Wenn sie eingeladen worden wären, hätten sie es nicht vermeiden können, zu erscheinen. Es war sicherlich ein glänzendes Fest, auf dem an Wein und Belustigungen alles geboten wurde; aber der Gipfel der Gottlosigkeit wurde erreicht, als man die goldenen Gefäße, die man aus dem Tempel des Hauses Gottes in Jerusalem weggenommen hatte, zu diesem Fest herbrachte. Diese Gefäße wurden verunreinigt, indem man Wein aus ihnen trank. Sie suchten so über den Gott Israels zu triumphieren, der in ihren Augen machtlos gewesen war, die Wegnahme der Gefäße zu verhindern. Sie rühmten auch die Götter von Gold und Silber, von Kupfer, Eisen, Holz und Stein als solche, die ihnen diesen großen Sieg verschafft hatten.

Gott kann nicht länger Nachsicht üben. Er greift in einer höchst feierlichen Weise ein, um seine eigene Herrlichkeit und Majestät zu schützen. Der König sieht die Finger einer Menschenhand erscheinen auf dem Kalk der Wand des königlichen Palastes, im Licht des Leuchters gegenüber. Er, der einst die beiden Tafeln von Stein für Israel mit seinem Finger beschrieb, schrieb jetzt eine Botschaft der Warnung in Bezug auf das Gericht, das den gottlosen König unmittelbar treffen sollte. Denn der Becher der Ungerechtigkeit war jetzt voll, und die Gerichte, die Gott durch Jesaja und Jeremia über den König von Babel angekündigt hatte, sollten sich jetzt erfüllen. Aber auch jetzt noch handelt Gott nicht ohne eine letzte Warnung.

Der eben noch so kühne König ist jetzt von panischem Schrecken erfasst, seine Gesichtsfarbe verändert sich, die Bänder seiner Hüften lösen sich, und seine Knie schlagen aneinander. In seiner Angst ruft er laut nach den Beschwörern, Chaldäern und Wahrsagern. Er verspricht ihnen, sie mit Purpur zu bekleiden und ihnen eine goldene Kette um ihren Hals zu hängen, wenn sie die Schrift lesen und ihre Deutung anzeigen würden, ja, dass der, der dies konnte, als Dritter im Königreich herrschen sollte. Gott macht wieder die Weisheit der Weisen zunichte, denn keiner konnte dem Verlangen des Königs entsprechen. Da geriet der König in große Angst, die durch die Unfähigkeit seiner Weisen, die Schrift zu deuten, noch vermehrt wurde, und seine Gewaltigen wurden mit ihm bestürzt.

Dann tritt, aufgrund der Worte des Königs, die Königin in das Haus des Gelages. Sie war zweifellos die Mutter des Königs. Wir mögen uns an 1. Könige 15,13 erinnern, wo wir sehen, dass eine Königinmutter abgesetzt wurde, oder auch an 1. Könige 2,19, wo die Stellung Bathsebas, der Mutter Salomos, beschrieben wird. Es war eine Stellung, ähnlich der, die früher die Königinmutter in China einnahm.

Die Königin, die die Angst Belsazars zu beschwichtigen sucht, erinnert ihn daran, dass ein Mann in seinem Königreich war, in dem der Geist der heiligen Götter war, wie es in den Tagen Nebukadnezars, seines Vaters, in der Vergangenheit bekannt geworden war. Dann wird Daniel geholt, und der König sagt zu ihm: „Bist du Daniel?“ Es gibt Zeiten, wo Leute unbekannt werden, außer im Zeugnis des Gerichts. „Ich habe von dir gehört“, sagt der König. Darin zeigt sich seine Geringschätzung Gottes und alles dessen, was Ihm angehörte, dass sein Knecht Daniel, der in der Vergangenheit in solcher Weise von Gott gebraucht worden war und der eine solche Stellung des Vertrauens unter Nebukadnezar eingenommen hatte, jetzt für den König ein unbekannter Mann war. Einen ähnlichen Fall haben wir bei David, wenn er als der große Befreier des Volkes in die Gegenwart Sauls gebracht wird. Er hatte vor Saul als Harfenspieler gedient, um ihm Trost zu bringen, und doch stellt Saul die Frage: „Wer ist dieser junge Mann?“ Eine solche Stellung nimmt auch der Christ heute ein: unbekannt und doch gut bekannt, wie Paulus sagt. Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie Ihn nicht erkannt hat (1. Joh 3,1).

Der König verspricht Daniel große Belohnungen. Er mag gehofft haben, dass Daniel sanfte Dinge prophezeien würde, aber Daniel hat kein Verlangen nach den Gaben des Königs, auch wenn er es unternimmt, die Schrift zu lesen. Zuerst aber weist er darauf hin, wie Gott in Bezug auf Nebukadnezar gehandelt und seine Prophezeiungen bis zum letzten Buchstaben erfüllt hat. „Und du, Belsazar, sein Sohn, hast dein Herz nicht gedemütigt, obwohl du dies alles gewusst hast. Aber den Gott, in dessen Hand dein Odem ist und bei dem alle deine Wege sind, hast du nicht geehrt“ (V. 22.23). Wie treu sucht er den König zur Erkenntnis seiner Schuld zu bringen.

Wir sehen hier bei Daniel nicht dieselbe Sorge, wie er sie bei Nebukadnezar gezeigt hatte, auch versucht er nicht, den König zu überzeugen, seine Wege zu bessern, um eine Verlängerung der Tage der Ruhe zu erreichen. Dann übersetzt der Treue die geschriebenen Worte: Mene (Gezählt), Mene (Gezählt), Tekel (Gewogen), Upharsin (Zerteilt); Gott hat dein Königtum gezählt und macht ihm ein Ende. Dies wird zweimal gesagt, denn Gott wollte ausdrücklich betonen, dass es unmöglich sei, dass Er lüge. Was den König selbst betraf: Du bist auf der Waage gewogen und zu leicht befunden worden. Er hatte wirklich gesündigt und erreichte nicht die Herrlichkeit Gottes. Aber so ist es auch mit allen Menschen in unseren Tagen, und die Hand, die das Endgericht über diesen König ankündigte, hat auch in den Büchern Gottes die Aufzeichnungen über jeden Sünder. Und nach diesen Büchern wird der Sünder gerichtet, wenn sein Name nicht geschrieben gefunden wird in dem Buch des Lebens. Dann, als Letztes: Dein Königreich wird zerteilt und den Medern und Persern gegeben.

Wir haben keinen Bericht, dass der König der Botschaft glaubte, und es ist offenbar, dass keine Demütigung vor Gott bei ihm gefunden wurde. Daniel wird gebührend belohnt; aber in derselben Nacht wurde Belsazar, der König der Chaldäer, getötet. Es ist beachtenswert, dass Daniel, trotz seiner hohen Stellung, von Gott bewahrt wurde. Während die Schwelgereien des Königs ihren Fortgang nahmen, hatte Darius der Meder in der Stille den Fluss eingedämmt und seinen Lauf verändert, so dass das Flussbett bei seinem Eintritt in die Stadt trockengelegt wurde und die Stadt unter den Mauern hindurch eingenommen werden konnte. Darius war zweiundsechzig Jahre alt, als er das Reich bekam.

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