Der Prophet Daniel

Kapitel 3

Der Prophet Daniel

In den nun folgenden vier Kapiteln werden geschichtliche Ereignisse berichtet, die eine deutliche prophetische Beziehung zu Dingen haben, die noch zukünftig sind. Ähnliche Beispiele werden uns auch in den beiden ersten Büchern Mose berichtet. Im Neuen Testament wird darauf Bezug genommen als Bilder von den Leiden, die auf Christus kommen sollten, und von den Herrlichkeiten danach.

In diesen vier Kapiteln werden uns verschiedene Charakterzüge gezeigt, die den Lauf der Nationen kennzeichnen. In Kapitel 3 ist es der Götzendienst, das Gesetz der Einheit in allgemeiner Anbetung. In Kapitel 4 wird das Haupt ein Tier, das das Gottesbewusstsein verliert. In Kapitel 5: Gottlosigkeit und Verunehrung Gottes. In Kapitel 6: Selbsterhebung und Vergöttlichung des Menschen. In allen diesen Ereignissen endet die Geschichte in der Erhebung des einen wahren Gottes. In der ersten Geschichte wird Gott von den Nationen anerkannt. In der zweiten bekennen die Nationen Ihn als den Gott des Himmels. In Kapitel 5 trifft das Gericht den bösen König. In Kapitel 6 wird Gottes Macht mit Autorität festgestellt und sein Reich als ein Reich anerkannt, das nie zerstört werden wird und dessen Herrschaft bis ans Ende währt.

In Kapitel 2 ist uns der ganze Lauf der Zeiten der Nationen vorgestellt worden, der mit Nebukadnezar beginnt und mit Rom endet, aber die letzte Phase Roms ist durch deutliche Unterschiede gegenüber dem gekennzeichnet, was Rom einst war. Zuerst gab es einen kaiserlichen Diktator, der allein regierte, aber in der letzten Zeit finden wir zehn Könige an der Regierung, die ihre Macht dem Tier geben. Das Buch der Offenbarung redet von der Todeswunde, die das Tier erlitten hat (Off 13,3). Aber nachdem sie geheilt worden ist, wird das Tier in seiner ursprünglichen Macht gesehen, jedoch in einer anderen Form. Johannes blickt in seiner Weissagung auf eine Zeit, wo jene Macht aufgehört haben würde, die Herrschaft auszuüben. Aber wenn seine Todeswunde geheilt sein wird, werden sich alle über das Tier verwundern, dass es war und nicht ist und da sein wird (Off 17,8). Es wird wiederhergestellt werden durch die Macht Satans.

Im zweiten Kapitel wird Nebukadnezar als das Haupt von Gold gesehen. Er empfängt die Macht und das Reich direkt aus der Hand Gottes. Jetzt aber, in dem Hochmut seines Herzens und in Nichtachtung alles dessen, was Gott ihm über die nachfolgenden Königreiche offenbart hatte, beschließt er, ein Bild ganz aus Gold zu machen, das seine Macht darstellen sollte, die weder Gegenspieler noch Nachfolger haben würde. Die Höhe des Bildes war sechzig und seine Breite sechs Ellen. Die erste Zahl ist das Produkt von sechs mal zehn und erinnert uns daran, wie sehr Nebukadnezar ein Bewusstsein seiner Verantwortlichkeit gegenüber dem wahren Gott mangelte. Sechs dagegen mag daran erinnern, dass er sich auch seiner Verantwortung gegenüber den Menschen nicht bewusst war. Die Zahl des Tieres in der Offenbarung ist drei mal sechs. Sie stellt eine Dreieinheit zwischen dem Drachen, dem Tier und dem falschen Propheten dar.

In der Versammlung der Satrapen, Statthalter usw. fällt es auf, dass Daniel nicht erwähnt wird. Ob er eine Mission empfangen hatte, die ihn von dem Schauplatz fernhielt, oder ob er auf andere Weise verhindert war, zugegen zu sein, wird uns nicht erzählt, aber es wurde Anzeige gegen die Juden erstattet, wenn auch nicht gegen Daniel persönlich. Man hat richtig gesagt, dass keine gesellschaftliche Verwirrung der zu vergleichen ist, die durch religiöse Gegensätze hervorgerufen wird. Der König hielt es für eine politische Notwendigkeit, alles in einer gemeinsamen Anbetung zu vereinigen, indem er, unter Androhung der Todesstrafe, allen befahl, das Bild anzubeten.

Wo keine Furcht Gottes ist, da ist keine wahre Kraft, kein Grundsatz, um vor einer solchen Anbetung bewahrt zu bleiben. Wenn das Leben eines Menschen oder selbst sein Lebensunterhalt von dem Gehorsam gegenüber den Befehlen eines Diktators abhängt, wird er sich einem solchen unweigerlich beugen und äußere Formen der Anbetung mit mehr oder weniger starken Gewissensbissen ausüben. Aber wenn auch ein Daniel nicht anwesend war, um für Gott und seine Wahrheit einzutreten, so waren doch andere, wenn auch nur wenige, die ihrer Überzeugung in Bezug auf das, was sie Gott schuldig waren, treu bleiben wollten und die sich weigerten, sich vor dem Bild zu beugen und es anzubeten. Wir sahen sie als treue Mitgenossen Daniels in Kapitel 1, aber hier werden sie auf die Probe gestellt, ob sie auch ohne ihren Führer standzuhalten vermochten. Wir sehen, dass Gott sie dazu fähig machen konnte. Die schönste Musik, die so stark auf die Gefühle wirkt, übte keinen Zauber auf sie aus und vermochte sie nicht zu der falschen Anbetung zu verleiten. Manche mögen sich versteckt haben und so der Aufmerksamkeit der Regenten entgangen sein, aber diese drei Männer hatten ihre Stellung in der Verwaltung, so dass sie vor den Augen der Menschen nicht verborgen bleiben konnten, und so kam ihr Tun zur Kenntnis des Königs.

Wenn Verfolgung vermieden werden kann, ohne dass dadurch Gott verunehrt wird, so richten wir nicht darüber, wenn ein Christ davon so gut wie möglich Gebrauch macht. Wir mögen in römischkatholischen Ländern wohnen, wo Prozessionen häufig sind, besonders an sogenannten heiligen Tagen, und wo solchen Gewalt droht, die ihre Knie vor den Bildern und Reliquien nicht beugen, wenn sie vorübergetragen werden. Wenn wir zu solchen Zeiten zu Hause bleiben und die Straßen meiden, durch die die Prozessionen ziehen, mögen wir nutzlose Verfolgungen vermeiden. Wir können zu einer passenderen Zeit ein Wort reden oder ein Traktat anbieten.

Wegen dieser drei Männer gerät der König in großen Zorn und befiehlt, Sadrach, Mesach und Abednego herbeizubringen. Aber des Mannes Zorn bewirkt nicht die Gerechtigkeit Gottes, und Gott würde bald zeigen, dass Er machen konnte, dass der Grimm des Menschen Ihn preisen musste und dass Er mit dem Rest des Grimmes sich umgürten würde (Ps 76,11).

Dem König lag es in erster Linie daran, einen Eindruck auf sie zu machen, und darum gibt er ihnen eine weitere Gelegenheit, nachzugeben. War es Vorsatz, dass sie seinen Göttern nicht dienen und das goldene Bild nicht anbeten wollten? Er warnt sie dann; wenn sie gehorchten, sollte es ihnen gut gehen, wenn aber nicht, so sollten sie in derselben Stunde in den Feuerofen geworfen werden, und „Wer ist der Gott“, sagt er, „der euch aus meiner Hand erretten wird?“ Aber Gott hatte gesagt: Gehorcht meinem Wort, und es wird euch gut gehen. Sie waren bereit, dem König treu zu dienen, aber wenn er ihr Gewissen zu vergewaltigen suchte, so wollten sie, wie Petrus in späteren Tagen, sagen: „Ob es vor Gott recht ist, auf euch mehr zu hören als auf Gott, urteilt ihr.“ Hier gab es keinen Kompromiss, sondern mit einem Mund sprachen sie zu dem König: „Wir halten es nicht für nötig, dir ein Wort darauf zu erwidern. Ob unser Gott, dem wir dienen, uns aus dem brennenden Feuerofen zu erretten vermag – und er wird uns aus deiner Hand, o König, erretten – oder ob nicht, es sei dir kund, o König, dass wir deinen Göttern nicht dienen und das goldene Bild, das du aufgerichtet hast, nicht anbeten werden“ (V. 17.18).

Das waren kühne, furchtlose Worte, die vollkommenes Vertrauen auf Gott bewiesen, aber auch vollkommene Unterordnung unter seinen heiligen Willen; Gehorsam bis zum Tod. Lieber wollten sie ihr Leben verlieren, als es zu retten. Dies wird sein Gegenbild in zukünftigen Tagen haben, wenn die treuen Zeugen Gottes sich weigern werden, sich vor dem zu beugen, was sie als falsch erkennen. Manche werden ihr Leben zu retten suchen, indem sie nachgeben und den Falschen anbeten, aber es wird ewigen Tod für sie bedeuten (siehe Off 14,9.10). Manche der Treuen werden zum Tod gebracht werden, aber wenn sie ihr natürliches Leben verlieren, so werden sie mit dem Christus leben und herrschen während seiner tausendjährigen Regierung (s. Off 20,4). Der größte Teil wird bewahrt und sicher durch die Drangsal hindurchgebracht werden.

So sehen wir es in Daniel 3. Der König ist außer sich vor Wut gegen diese treuen Männer, die in seinen Augen doch nur Sklaven waren. Darum befiehlt er, den Ofen siebenmal mehr zu heizen, als zur Heizung hinreichend war. Wie lebendig wird hier die große Drangsal der letzten Tage geschildert! Wie die Hitze des Ofens keinen früheren Vergleich hatte, so wird es auch mit der Zeit der Drangsal Jakobs sein. Nie hat es eine Zeit so schrecklicher Leiden gegeben, wie sie solche zu ertragen haben werden, und nie wieder wird eine solche Zeit folgen. Wird uns doch gesagt, dass, wenn jene Tage nicht verkürzt würden, kein Fleisch gerettet werden würde, aber um der Auserwählten willen werden sie verkürzt werden.

Der König fordert auch Gott heraus, als wenn Er nicht imstande wäre, einzugreifen. Dies ist bemerkenswert, wenn wir uns an seine Worte und Taten im vorigen Kapitel erinnern. Als er die Offenbarungen, die er gesucht hatte, empfangen hatte, konnte er sagen: „In Wahrheit, euer Gott ist der Gott der Götter und der Herr der Könige.“ Da konnte er niederfallen vor dem Knecht Gottes und ihm fast göttliche Ehre erweisen. Jetzt, wo seine Macht und Autorität infrage steht, scheint er alles vergessen zu haben. Hierin gleicht er dem Volk Gottes vor alters, die sich erinnerten, dass Gott ihr Fels und der Höchste ihr Erlöser war. Trotzdem heuchelten sie Ihm mit ihrem Mund, und mit ihrer Zunge logen sie Ihm, denn ihr Herz war nicht fest gegen Ihn (Ps 78,35–37). Jetzt wird die Sache zu einer Frage zwischen Nebukadnezar und dem wahren Gott.

Wie furchtlos sind die Worte dieser treuen Männer. Sie kennen Gottes Macht, zu retten, wenn Er will, aber sie sind entschlossen, lieber zu leiden, als nachzugeben. Gott bewahrt sie nicht vor dem Feuerofen, wie Er auch sein Volk nicht davor bewahren wird, durch Leiden zu gehen, aber Er kann und wird sie in den Prüfungen bewahren, und sie aus diesen befreien. Sie werden gebunden in den Ofen geworfen, aber das Feuer wird von Gott gebraucht, sie von den Fesseln zu befreien, mit denen sie gebunden waren; und so wird es auch mit den Prüfungen geschehen, durch die der gottesfürchtige Überrest zu gehen hat. Sie mögen betrübt und verwirrt sein, aber in den tiefen Übungen der Seele, die sie durchzumachen haben, werden sie gereinigt und befreit werden. Die Knechte des Königs, die den Befehl des Königs auszuführen suchten, wurden von den Flammen verzehrt wie einst die Obersten mit ihren Fünfzig in den Tagen Elias, und so wird es auch in den kommenden Tagen wieder geschehen (vgl. 2. Kön 1,10.12 und Off 11,3–6).

In all ihrer Bedrängnis war Er bedrängt, und der Engel seines Angesichts hat sie behütet (Jes 63,9). So sehen wir es auch hier. Der König sieht vier Männer frei wandeln mitten im Feuer, und keine Verletzung ist an ihnen, und das Aussehen des Vierten ist gleich einem Sohn der Götter. Das ist wirklich ein wunderbarer Ausdruck. Er gleicht nicht einem Sohn des Menschen – obwohl beide Bezeichnungen in diesem Buch gebraucht werden.

Dann wendet sich der König an diese treuen Männer: „Ihr Knechte des höchsten Gottes, geht heraus und kommt her“ (V. 26). Die, die man aus seiner Gegenwart entfernt hatte, werden jetzt nahe gebracht. Der göttliche Name „der Höchste“ ist der Titel Gottes im Tausendjährigen Reich. Dadurch werden unsere Gedanken auf die kommenden Tage der Offenbarung der Macht und Herrlichkeit Christi hingelenkt. Alle werden zu Zeugen der großen Macht Gottes in der von Ihm bewirkten Befreiung. Wieder muss Nebukadnezar ausrufen: „Gepriesen sei der Gott Sadrachs, Mesachs und Abednegos, der seinen Engel gesandt und seine Knechte errettet hat, die auf ihn vertrauten und das Wort des Königs übertraten und ihre Leiber dahingaben, um keinem Gott zu dienen oder ihn anzubeten als nur ihrem Gott!

Aus dem Befehl des Königs, der dann folgt, möchten wir schließen, dass er wirklich ein bekehrter Mann war; aber Gott, der das Herz des Menschen kennt, wusste nur zu gut, dass keine wahre Buße zum Leben stattgefunden hatte. Wir werden an Johannes 2,24.25 erinnert, wo uns gezeigt wird, dass der Herr Jesus selbst sich nicht dem Menschen anvertraute, weil Er alle kannte und wusste, was in dem Menschen war. Diese treuen Männer, Sadrach, Mesach und Abednego, deren Leben die Satrapen, Statthalter und großen Leute zu vernichten gesucht hatten, wurden in der Landschaft Babel befördert. Wie es Daniel widerfuhr, so geschah es mit ihnen. Wir sehen darin die Bestätigung des Wortes Gottes: „Die mich ehren, werde ich ehren“ (1. Sam 2,30).

Die Kundgebung Nebukadnezars in diesen letzten drei Versen erfolgte etwa zehn Jahre nach seinem Befehl und zeigt, wie viele Psalmen es tun, zuerst das erreichte Ziel, um dann in den folgenden Versen zu schildern, wodurch dieses Ende erreicht worden ist. Nebukadnezar wird durch die Zeichen und Wunder, die Gott an ihm getan hat, dahin geführt, dieses öffentliche Bekenntnis abzulegen und Ihn als den höchsten Gott zu bekennen. Wenn er diese Lektion gelernt hat, so ist der Gegenstand seines Liedes die Größe und Allmacht Gottes (nicht seine eigene), sein ewiges Reich und seine Herrschaft über alles und durch alle Geschlechter hindurch. Dann legt er Rechenschaft darüber ab, was dieses Resultat bewirkt hat.

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