Der Prophet Micha

Kapitel 4,9-5,14: Der momentane Verfall Israels und seine zukünftige Wiederherstellung (II)

Nach der Vision über die unvergleichliche Herrlichkeit des 1000jährigen Reiches wendet sich Micha der nahen Zukunft Jerusalems und seiner Bewohner 1 zu. Der moralische Niedergang des Königtums (Mich 4,9) und die Verwerfung des Messias (Mich 4,14) werden die Gefangenschaft des Volkes in Babylon nach sich ziehen (Mich 4,9–13), außerdem den Einfall in das Land durch den Assyrer vor dem 1000jährigen Reich (Mich 5,4–8). Diese Aufeinanderfolge von aus unserer Sicht vergangenen und zukünftigen Ereignissen wird durch den Ausdruck „an jenem Tag“ (Mich 5,9) oder durch das Wort „nun“, das fünfmal wiederholt wird (Mich 4,9.10.11.14; 5,3), kenntlich gemacht.

4. Jerusalem und Babylon: Kap. 4,9–13

Die Gefangenschaft in Babylon und die Errettung: V. 9.10

  • Das erste „nun“ (V. 9): In einer ergreifenden Beschreibung vergleicht Micha die Leiden Jerusalems mit Geburtswehen. Die Schuld der letzten Könige Judas (besonders Jojakim und Zedekia) wird die Ankunft des Gerichts beschleunigen. Juda wurde durch Nebukadnezar nach Babylon weggeführt.
  • Das zweite „nun“ (V. 10): Der gleiche Vers, der die Gefangenschaft vorhersagt, kündigt die Rückkehr des Überrests in sein Land durch Kores an. Dies ist die Freude der Geburt, die den Schmerzen der Niederkunft folgen (Joh 16,21).

Die zukünftigen Belagerungen Jerusalems und die Errettung: V. 11–13

- Das dritte „nun“ (V. 11): Die Prophezeiung führt uns nun in die Zukunft. Lange Zeit wurde das Volk von seinen Feinden mit Füßen getreten (Jes 18,7). Am Ende dieser Zeitspanne der Erprobung werden Bündnisse von Nationen, die von Edom und dem Assyrer angeführt werden (Ps 83,3.6.7), Jerusalem belagern – mit dem Ziel, die Stadt zu zerstören und zu entweihen (V. 11). Aber Gott wird den Rat der Gottlosen zunichtemachen, um die Seinen zu erretten. Er wird Jerusalem, der „Tochter Zion“, Macht verleihen, um ihre Feinde mit Füßen zu treten und zu vernichten. Dieser Sieg wird mit einer Ernte verglichen, bei der diese Feinde die Garben sind, die der HERR zur Ausführung des Gerichts an sein Volk übergibt (Jes 41,15.16; Jer 51,33).

Der Überrest erklärt am Schluss dieser Verheißung der Errettung, dass die ganze Beute dem HERRN geweiht werden wird. Ebenso war es auch zur Zeit Josuas gewesen, als das Land erobert wurde (Jos 6,19). David handelte zu Beginn seines Königtums in Israel auf dieselbe Weise (2. Sam 8,11).

5. Der Assyrer und der Überrest Israels: Kap. 4,14–5,8

Die zukünftige Ankunft des Assyrers: Kap. 4,12

- 2 Das vierte „nun“: Der HERR ruft den Assyrer dazu auf, sich zu sammeln wie eine „Tochter des Gedränges“ und gegen Jerusalem, die „Tochter Zion“, hinaufzuziehen, um die Züchtigung gegen das untreue Volk auszuführen. Dies sind nicht mehr Bündnisse von Nationen, die das Land Israel umgeben, sondern es ist der Assyrer, der Feind des Endes, der sich auf Geheiß Gottes als Rute seines Zorns im Gericht erhebt (Jes 10,5).

Der Überrest ergreift nun das Wort, um den göttlichen Ursprung des Gerichts anzuerkennen („man hat eine Belagerung gegen uns gerichtet“ 3). Der Prophet offenbart den Grund für dieses Gericht: „Mit dem Stab schlagen sie den Richter Israels auf die Wange.“ Der einstige Hass und die Verachtung der Juden in Bezug auf Christus sind die tiefe Ursache für ihr Gericht am letzten Tag. Der Heiland hatte angesichts der Beleidigungen und der schlechten Behandlung seitens des Volkes geschwiegen, wodurch er das prophetische Wort, das ihn betraf, erfüllte (Jes 50,6; 53,7; Mt 26,67). Jetzt ist der Tag der Vergeltung gekommen: Die überflutende Geißel wird die Widerspenstigen hinwegraffen (Jes 28,15.18.19), während dieselbe Erprobung den treuen Überrest zur Buße führen wird (Sach 12,10).

Die Ankunft des Retters: Kap. 5,1

In diesem außergewöhnlichen Einschub offenbart Gott seinen ewigen Vorsatz hinsichtlich der Ankunft des Messias, des Königs Israels. Der Stadt Bethlehem-Ephrata 4 wird die Ehre zuteil werden, der Ort der Geburt des Heilands zu sein. Bethlehem (was „Brothaus“ bedeutet) war schon die Stadt der Geburt Davids (Lk 2,4.11). Hier musste der wahre „Sohn Davids“ geboren werden. Die Erwähnung von Ephrata (was „Fruchtbarkeit“ bedeutet) weist auf die Geburt Benjamins hin (1. Mo 35,15–20). Während er von seiner Mutter „Sohn meines Schmerzes“ und von seinem Vater „Sohn der Rechten“ genannt wurde, war er der „Liebling des HERRN“ (5. Mo 33,12), eine ergreifende Anspielung auf den geliebten Sohn des Vaters.

Ephrata erinnert auch an den Tod Rahels und an ihr Grabmal (1. Mo 48,7). Aus diesem Ort des Todes kommt der Spross des Lebens, des ewigen Lebens, hervor – der, dessen Ursprünge „von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her“ sind. Jesaja offenbart einige seiner herrlichen Titel: „Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst“ (Jes 9,5). Das Wort „mir“ zeigt an, dass die Ankunft des Christus den Vorsatz Gottes erfüllen wird.

Die Folgen der Verwerfung des Messias: Kap. 5,2

Nach dieser göttlichen Offenbarung der Gedanken des HERRN im Blick auf seinen Sohn greift der Prophet seine Botschaft an Israel wieder auf, um die Folgen der Verwerfung des Messias seitens des Volkes anzukündigen. Das „darum“ bezieht sich auf die Aussage, dass man dem Messias auf die Wange geschlagen hatte (Mich 4,14). Gott bringt Zerstreuung und Leiden über Israel, welche abermals mit den Schmerzen beim Gebären verglichen werden (vgl. Mich 4,10). Hier steht eher das Ende dieser Leiden im Blickpunkt. Bis zu seiner Errettung wird der Überrest Judas („der Rest seiner Brüder“) das Los des zerstreuten Israels teilen.

Christus, der König und Hirte, und sein Volk: Kap. 5,3–8

Das fünfte „nun“ (V. 3): Es wird nicht mehr der Richter, der geschlagen wurde, erwähnt, sondern der König, der Hirte, wird eingeführt, um mit Kraft und Gerechtigkeit in der Majestät des Namens des HERRN zu herrschen. Seine Größe wird allgemein anerkannt, während er seine Herde in Sicherheit nähren und führen wird. Er selbst ist der Friede (Eph 2,14), diese Wohltat, die der Mensch seit dem Sündenfall verzweifelt gesucht hat.

Um diese Zeit wird Christus, der große Verteidiger seines Volkes, einen wirksamen Schutzwall gegen seine Feinde errichten, was in den sieben Hirten und den acht Menschen-fürsten dargestellt wird. Tatsächlich wird der Überrest Jakobs einen Gegenangriff gegen den König des Nordens bis in sein Land hinein unternehmen, sodass das Ende des letzteren beschleunigt werden wird (Dan 11,44.45), welches hier von Micha vorhergesagt wird (V. 5). Der Überrest behält das souveräne Einschreiten des Christus zu seinen Gunsten in vollem Bewusstsein: „Er wird uns von Assyrien erretten.“

Zwei schöne Bilder werden angefügt, um den Überrest Jakobs zu beschreiben und dabei auf seinen König und Hirten hinzuweisen: (1) Der Tau und der Regen der Segnung für die Nationen. Dass Christus dies für sein Volk ist (2. Sam 23,4; Hos 14,5), erlaubt dem Überrest die göttlichen Segnungen an die Nationen auszuteilen. (2) Der Löwe, der Christus und seine Kraft symbolisiert (1. Mo 49,9), unterstreicht hier die siegreiche Macht des Überrests, der über all seine Feinde triumphieren wird.

Der Überrest, der sich dieser ihm zuteil gewordenen Gaben der Gnade und Macht bewusst ist, bringt alle Ehre seinem Messias (V. 8). Dies ist die Lektion aus einer langen Zeit der Erprobung: „Mit Gott werden wir Mächtiges tun; und er wird unsere Bedränger zertreten“ (Ps 60,14).

6. Das Wort des HERRN richtet die Abgefallenen: Kap. 5,9–14

Nach dieser erfrischenden Darstellung der Segnungen des 1000jährigen Reiches unter dem Zepter des Messias kündigt der HERR sein Gericht über die Abgefallenen in Israel und über die ganze Erde an.

  • Zuerst wird die Zerstörung der Kriegsmacht (Pferde, Wagen und Festungen), nämlich der Macht des Antichristen, geschehen (Dan 11,39).
  • Dann muss jeglicher Götzendienst abgeschafft werden. Der unreine Geist und die sieben Geister, die noch böser sind als er, waren gekommen, um das Haus, die untreue Nation, zu bewohnen (Lk 11,26). Wahrsagereien, Zauberer, geschnitzte Bilder, Bildsäulen und die Ascherim – alles muss verschwinden, bevor Gott wieder inmitten seines Volkes wohnen kann. Dieser Zustand der götzendienerischen jüdischen Nation in der letzten Zeit ist ein bewegendes Bild dessen, was die abgefallene Christenheit am Tag des Gerichts über das zweite Babylon sein wird (Off 18,2).
  • Schließlich erstreckt sich der Zorn Gottes auch auf die Nationen, die mit den abgefallenen Juden und dem Antichristen verbunden sind (V. 14). Diese Vergeltung wird an anderer Stelle durch die Weinlese der Erde versinnbildlicht (Off 14,17–20).

Alles Böse wird so von der Erde ausgerottet, damit die Herrschaft der Gerechtigkeit und des Friedens durch den Messias einsetzen kann, von dem dieses Kapitel einige Herrlichkeiten offenbart: sein ewiger Ursprung (V. 1), seine göttliche Herrlichkeit als Hirte (V. 3), sein Charakter als der, welcher den Frieden bringt (V. 4), der große Befreier (V. 8).

Fußnoten

  • 1 Die „Tochter Zion“ (V. 10.13).
  • 2 In einigen Übersetzungen steht dieser Vers zu Beginn des 5. Kapitels.
  • 3 In anderen Übersetzungen, u. a. in der frz. Darby-Übersetzung, steht hier statt „man“ das Pronomen „er“.
  • 4 Als die Hohenpriester und die Schriftgelehrten diese Prophezeiung vor Herodes zitieren, ersetzen sie im Zusammenhang mit Bethlehem „Ephrata“ durch „Land Juda“ (Mt 2,6). Christus, „der Löwe, der aus dem Stamm Juda ist“ (Off 5,5; vgl. Heb 7,14), musste im Land Juda geboren werden.
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