Der Prophet Micha

Kapitel 3,1-4,8: Der momentane Verfall Israels und seine zukünftige Wiederherstellung

1. Der moralische Verfall der Häupter und der Fürsten: Kap. 3,1–4

Der Prophet ergreift mit diesem Befehl wieder das Wort: „Hört doch, ihr Häupter Jakobs und ihr Fürsten des Hauses Israels“ (Kap. 3,1). Er erinnert die Führer des Volkes daran, dass sie für das Wohl des Volkes verantwortlich waren und es auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Rechts führen sollten. Aber ihr persönlicher moralischer Zustand war schlecht. Anstatt einen Geist der Reue zu offenbaren, hassten sie das Gute und liebten das Böse. Über eine solche Haltung wird in Jesaja 5,20 ein Wehe ausgesprochen.

Israel war die Herde des HERRN, der Gegenstand seiner Fürsorge. Die Häupter des Volkes hatten im Gegensatz dazu als schlechte Hirten die Herde zu ihrer Beute gemacht. Bildlich gesprochen hatten sie den ihnen anvertrauten Schafen die Haut abgezogen, dann das Fleisch von ihren Gebeinen, wobei sie ihnen die Knochen brachen, um sie schließlich zu essen. Besteht für die geistlichen Führer nicht in allen Zeiten die Gefahr, über die Besitztümer zu herrschen, anstatt Vorbilder der Herde zu sein (1. Pet 5,2.3)? Sollten wir uns nicht vielmehr befleißigen, das Beispiel des guten Hirten, des großen Hirten der Schafe, der die Gerechtigkeit geliebt hat, nachzuahmen (Ps 45,6.7; Heb 1,9).

Der Tag des Gerichts kommt am Tag der ruhmreichen Herrschaft des Christus. Dann wird die Herde gesegnet, aber Gott wird nicht auf das Schreien ihrer bösen Führer antworten. Sie hatten sich geweigert, denen Aufmerksamkeit zu widmen, die in Not waren. Der HERR wird ihnen auf dieselbe Weise vergelten, indem nun er es ablehnen wird, zu hören (Spr 21,13). Welch ein ernster Unterschied zur unverwelklichen Krone der Herrlichkeit, die den treuen Dienern verheißen wird (1. Pet 5,4)!

2. Das Urteil über die untreuen Propheten: Kap. 3,5–12

Micha wendet sich jetzt an die Propheten. Indem sie ihre eigenen Interessen zum Nachteil der Interessen des Volkes verfolgen, führen diese zwar echten, aber untreuen Propheten das Volk in die Irre. Wie zur Zeit Hesekiels (Hes 13,1.10) versprechen sie den Frieden und wiegen das Volk so in trügerischer Zuversicht. Anstatt mit Kühnheit den Willen Gottes zu verkündigen, schmeicheln sie dem Volk und ermutigen es zu sündigen. Sie sind bereit, ihre Botschaft an ihre persönlichen Interessen anzupassen, und verkündigen denen Frieden, die ihnen materielle Güter versprechen. Andernfalls prophezeien sie den Krieg. Gott wird sich ihnen deshalb nicht mehr offenbaren und sie in moralischer Finsternis zurücklassen. Dies wird zu ihrer Schande und Beschämung sein. Welch eine ernste Warnung für uns! Wenn jemand, der eine geistliche Gnadengabe empfangen hat, diese zu seinem eigenen Vorteil gebraucht und die göttliche Botschaft verfälscht, kann Gott aufhören ihm seine Gedanken kundzutun und ihn zu seiner Beschämung sich selbst überlassen.

Ein treuer Prophet: V. 8

Der Prophet kennzeichnet jetzt seine Position im Gegensatz zu der der bösen Propheten. Ein treuer Diener befindet sich immer unter der Leitung des Geistes des HERRN, welcher ein Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit ist (2. Tim 1,7). Die Kraft des Dieners ist nicht seine eigene, sondern die, welche Gott ihm durch seinen Geist verleiht: „Nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist, spricht der HERR der Heerscharen“ (Sach 4,6). Die Schrift ist reich an Beispielen für schwache Zeugen, die in der Schlacht Kräftigung und Stärkung erfuhren: Gideon, Barak, Jeremia, Daniel und der Apostel Paulus (Heb 11,34; 2. Kor 12,10).

Die Botschaft an die weltlichen und religiösen Führer: V. 9–11

Die Botschaft, die von Micha übermittelt wird, ist traurig: Er muss Jakob seine Übertretung und Israel seine Sünde kundtun. Der Prophet richtet sich gleichzeitig an die weltliche Macht (die Häupter und Fürsten) und an die religiöse Macht (die Priester und Propheten). Die Häupter und die Fürsten haben das Gericht (oder Recht) und die Gerechtigkeit, die beiden Grundlagen des Thrones Gottes (Psalm 89,15) verlassen. Zion, der Berg der königlichen Gnade, und Jerusalem, der Ort, wohin Gott das Gedächtnis seines Namens gelegt hatte, sind auf diese Weise verunreinigt und entweiht worden.

Außerdem haben sich alle Führer, sowohl weltlich als auch geistlich, durch die Macht des Geldes fortreißen lassen. Die Richter nahmen Geschenke an, obwohl es das Gesetz verbot, „denn das Geschenk blendet die Sehenden und verkehrt die Worte der Gerechten“ (2. Mo 23,8; 5. Mo 16,19).1 Viel schlimmer noch war, dass die Priester, die das Volk über die Dinge Gottes hätten belehren sollen (Mal 2,7), einen Lohn verlangten. Die Propheten schließlich ließen sich ihre Botschaften bezahlen. Hesekiel erklärt, dass solche Propheten Lüge wahrsagen (Hes 13,9; 21,34; 22,28). Im Gegensatz dazu ist es die Aufgabe eines treuen Propheten, das Geheimnis des HERRN zu empfangen, um es an sein Volk weiterzugeben (Amos 3,7). Welch eine schreckliche Gefahr in allen Bereichen ist doch die Geldliebe, „eine Wurzel alles Bösen“ (1. Tim 6,10).

Die falschen Propheten verschlimmern ihre Situation noch dadurch, dass sie sich auf die Gegenwart Gottes in ihrer Mitte berufen: „Ist nicht der HERR in unserer Mitte?“ (V.11). Israel hatte in der Wüste anlässlich des Streits von Meriba dieselbe Frage gestellt (2. Mo 17,7). Das Volk zweifelte also an der Gegenwart Gottes und an seiner Macht, um für das Volk Sorge zu tragen. Zur Zeit Michas argumentieren die Propheten genau andersherum. Gott war kurz davor, wegen der Untreue seines Volkes seine irdische Wohnung zu verlassen. Die Propheten gaben vor, Gott dazu zu zwingen, in ihrer Mitte zu bleiben, um ihnen Straffreiheit zu gewähren: „Kein Unglück wird über uns kommen!“ (V. 11). Später, zur Zeit Jeremias, setzte das Volk aufs Neue sein Vertrauen in Worte der Lüge, indem es sagte: „Der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN ist dies!“ (Jer 7,4). Dies ist eine moralische Entartung, welche sich bei der Christenheit heute wiederholt und seinen Höhepunkt erreichen wird, wenn der falsche Prophet „sich in den Tempel Gottes setzt“ und sich als der Antichrist Gott entgegenstellen wird (2. Thes 2,4). Lasst uns nicht vorgeben, uns in der Gegenwart des Herrn zu befinden, wenn wir uns davor weigern, Böses zu richten!

Die Ankündigung des Gerichts: V. 12

Micha schließt mit einem Wort des Gerichts, das auf die Anmaßungen der religiösen und politischen Oberhäupter des Volkes antwortet. Die Hauptstadt des Königreiches Israel und der Tempel, der Sitz der Gegenwart des HERRN, werden zerstört und der Verwüstung preisgegeben werden. Diese Erklärung Michas wird später von den Fürsten Jerusalems zur Zeit Jojakims zitiert werden, um die Worte der Warnung durch Jeremia zu rechtfertigen und den Propheten vor dem Tod zu retten (Jer 26,18).

Jesaja weist auf die Hoffnung einer zukünftigen Wiederbelebung hin (Jes 32,12–18). Micha bestätigt dieses Wiederaufleben im direkt darauf folgenden Teil seiner Botschaft.

3. Die Wiederherstellung Jerusalems in Pracht und Herrlichkeit: Kap. 4,1–8

Wenn das Haus des HERRN gemäß den Regierungswegen Gottes mit seinem untreu gewordenen Volk zerstört werden musste (Mich 3,12), so musste es nach dem Ratschluss seiner souveränen Gnade ihm gegenüber wiederaufgebaut werden (Mich 4,1). Der Prophet setzt diese Wiederbelebung an das „Ende der Tage“, womit er auf die glückliche Zeit des 1000jährigen Reiches hinweist.

Zion, das herrliche Zentrum der Regierung der Welt: V. 1.2

Die Worte Michas sind exakt dieselben wie die seines Zeitgenossen Jesajas (Jes 2,2–4). Diese bemerkenswerte Wiederholung (durch den Mund zweier unabhängiger Zeugen) bestätigt den Vorsatz Gottes, sein irdisches Volk zu segnen und durch es die ganze Erde, unter der Herrschaft des Messias, des Herrn Jesus. Diese Segnung ergibt sich aus seinem Tod und seinem Werk der Versöhnung.

Heute ist die Versammlung „der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“ Gottes (1. Tim 3,15) und der Bote seiner Gnade gegenüber den Menschen inmitten einer Schöpfung, welche seufzt und die Erlösung erwartet. Nach der Entrückung der Versammlung in den Himmel werden Jerusalem, die Stadt des großen Königs, der Berg Zion und der Tempel des HERRN das irdische Zentrum der Segnung sein, ebenso die Quelle des Gesetzes, des Wortes des HERRN und der Erkenntnis des wahren Gottes (Jer 31,33.34).

Frieden und Wohlstand: V. 3.4

Im letzten Jahrtausend der Weltgeschichte und der Menschheit werden die Auswirkungen der beiden Flüche – über die Erde (1. Mo 3,17) und über den Menschen (1. Mo 4,11) – aufgehoben werden. Das Gericht wird zur Gerechtigkeit zurückkehren (Ps 94,15). Alle Nationen werden allumfassenden Frieden und Wohlstand genießen. Die Kriegswaffen werden in Werkzeuge umgewandelt, mit denen das Land bebaut werden kann, das dann völlig seine Frucht hervorbringen wird. Der Weinstock und der Feigenbaum, zwei Bilder von Israel, werden jedem Menschen und seinem Nächsten Schatten und Sicherheit bieten (Sach 3,10).

Wandeln im Namen des HERRN, unseres Gottes: V. 5

Der treue Überrest erklärt, dass er nicht nur auf den Pfaden des Gottes Jakobs (V. 2) wandeln wird, sondern auch im Namen des HERRN. Im Gegensatz zu den Nationen, die einst ihren eigenen Göttern nachgefolgt waren, wird Israel dem allein wahren Gott nachfolgen, „immer und ewig“. Sie werden ihre schrecklichen Götzen endgültig verlassen.

Die Herde des HERRN: V. 6–8

Der HERR, der eine Hirte Israels, wird sein Volk unter seinem Stab sammeln (Mich 2,12.13). Er wird sich all seiner Schafe, der verletzten und der ausgestoßenen, annehmen und sich sogar um die kümmern, die einst die göttliche Züchtigung auf sich gezogen hatten. Sie werden sich unter dem Schutz Migdal-Heders, des Herdenturmes, befinden. Diese denkwürdige Station im Leben des Patriarchen Jakob nach dem Tod Rahels (1. Mo 35,21) wird zum Symbol der zukünftigen Herrlichkeit der Nation unter dem Zepter des Christus sein.

Fußnoten

  • 1 Die Söhne Samuels waren in diese Sünde gefallen (1. Sam 8,3).
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