Unterredungen über den ersten Brief an die Korinther

Kapitel 10,14 - 11,16

Unterredungen über den ersten Brief an die Korinther

Der Schluß von Kapitel 10 sowie die nachfolgenden Kapitel beschäftigen uns mit einem neuen Gegenstand, nämlich der Ordnung und den Einrichtungen der Versammlung als Leib Christi.  In bezug auf den „Leib“ sowohl als auch auf das „Haus“ unterscheidet sich der erste Brief an die Korinther wesentlich von dem an die Epheser.  Der Epheserbrief zeigt uns die Versammlung, wie sie „wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn“.  Er redet von ihr als einer „Behausung Gottes im Geiste“, zeigt sie uns aber auch als den mit seinem verherrlichten Haupt im Himmel verbundenen Leib.  Die Versammlung ist hier der Leib Christi gemäß den ewigen Ratschlüssen Gottes.  Schließlich spricht der Epheserbrief noch von der Versammlung als dem Weibe Christi, das mit Ihm eine Einheit bildet, indem die zwei ein Fleisch sind, obschon dieses Weib Ihm unterworfen ist.  Es ist das Weib, so wie Christus die Versammlung sieht, aber Er „reinigt“ sie hienieden, auf daß Er sie sich selbst heilig und tadellos in der Herrlichkeit darstelle. Demgegenüber betrachtet der erste Korintherbrief, wie wir gesehen haben, die Versammlung als ein durch den Menschen errichtetes Haus.  Hier ist der Mensch verantwortlich für die beim Bauen verwendeten Stoffe und auch für die Ordnung, die in diesem Hause herrschen soll.  Und wenn es sich um die Versammlung als Leib Christi handelt, so stellt uns der erste Brief an die Korinther ebenfalls etwas ganz anderes vor Augen als der Epheserbrief.  Ebenso wie das Haus wird hier der Leib vom Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit des Menschen aus betrachtet.  Die Art und Weise der Betätigung wird beschrieben, die erforderlich ist, um Christum hienieden darzustellen.  Dieser Gedanke wird durch all die Kapitel, die wir noch zu betrachten haben, bis zum Schluß von Kapitel 14 fortgeführt.  Es ist Aufgabe der Versammlung, die dem Leibe Christi obliegenden Verrichtungen, sowie seine Einheit zur Darstellung zu bringen.  Von welch großer praktischer Wichtigkeit dieser Gesichtspunkt ist, geht schon daraus hervor, daß wir, und wären wir auch nur zu zwei oder drei, gehalten sind, die Einheit des Leibes Christi in dieser Welt und die dieser Einheit geziemende Ordnung sichtbar darzustellen. Aus diesem Grunde ist der dem Tisch des Herrn in den Versen 14–22 des vorliegenden Kapitels angewiesene Platz sehr bemerkenswert.  Zunächst und als Hauptpunkt gilt festzustellen, daß es in dieser Welt eine Darstellung der Einheit des Leibes gibt. Diese Einheit besteht. Es ist nicht unsere Sache, sie zu machen.  Da ist, wie im Epheserbrief gesagt wird, ein Leib und ein Geist.  Das hat Gott getan.  Und nun ist es an uns, die wir hienieden sind, diese Einheit vor der Welt darzustellen.  Tatsächlich gibt es nur einen einzigen Platz, wo dies geschehen kann: der Tisch des Herrn. Das „eine Brot“, das wir auf dem Tische haben, und an dem wir alle teilnehmen, ist das sichtbare Zeichen, daß wir alle ein Leib sind.  Ob die Welt es sehen will oder nicht, ändert nichts an dieser Tatsache.  Ich wiederhole: Da ist ein Zeugnis, das einzige, das von dieser Einheit abgelegt werden kann, ein Zeugnis, von Gott aufgerichtet.  Und gerade dieser Umstand macht das Mahl des Herrn (in diesem seinem Teil, denn wir reden hier noch nicht vom Mahl des Herrn als Gedächtnismahl) so überaus bedeutungsvoll für uns.  Laßt es uns nie vergessen!  Versammeln wir uns nicht um den Tisch des Herrn, um an diesem einen Brote teilzunehmen, so verraten wir damit eine sträfliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Zeugnis der unserer Verantwortlichkeit anvertrauten Darstellung der Einheit. Doch erinnern uns diese Verse auch daran, daß wir uns noch über eine andere Tatsache Rechenschaft geben sollten, und zwar darüber, daß man auch um den Tisch des Herrn versammelt sein kann, ohne die Einheit des Leibes darzustellen.  Dies scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein, der sehr ernst zu unseren Gewissen redet. 

Kann eine Versammlung von sich sagen, daß sie die Einheit am Tische des Herrn darstelle, wenn sie, wie in Korinth, innerlich gespalten und in schlechtem geistlichen Zustand ist, voller Eifersüchteleien und Streitigkeiten, und ohne praktische Einigkeit?  Gewiß nicht!  „Ich rede als zu Verständigen“, sagt der Apostel, „beurteilt ihr, was ich sage!“ (V, 15).  Wenn auch der Tisch des Herrn der Ausdruck der Einheit des Leibes Christi ist, so haben wir dennoch nicht das Recht, zu behaupten, daß wir diesen Tisch haben und also die Einheit des Leibes darstellen, wenn wir im praktischen Leben uneins sind.  Denn beachten wir es wohl: Dieser ganze Brief handelt nicht, wie der Epheserbrief, von dem, was Gottes Ratschlüsse enthalten, sondern von unserer Verantwortlichkeit und von der praktischen Darstellung dessen, was Gott aufgerichtet hat.  Wir können also durch unsere Schuld das unermeßliche Vorrecht verlieren, die Grundwahrheit zu verkündigen, daß es in dieser Welt einen Leib Christi gibt, von dem alle Christen, eins miteinander, Glieder sind.  Gott sei Dank, dieser eine Leib bleibt in Seinen Augen bestehen.  Wenn wir aber untreu sind, wird er durch uns vor den Augen der Welt nicht mehr zur Darstellung kommen.  Welch ein Verlust für den Herrn und für Sein Zeugnis! In Vers 16 fährt der Apostel fort: „Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus?  Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus?“ Zu dem Ausdruck „Gemeinschaft“ möchte ich bemerken, daß sie einen zwiefachen Charakter hat.  Aus dem 1. Brief des Johannes, Kapitel 1, ersehen wir, daß, dank dem Umstand, daß wir das ewige Leben besitzen, „unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohne Jesus Christus ist“.  Dort wird uns die Gemeinschaft als ein Genuß und ein gemeinsames Teil mit dem Vater und dem Sohne dargestellt.  Wir genießen den Sohn, wie Ihn der Vater genießt, und den Vater, wie Ihn der Sohn genießt, und wir können an allem Teil haben, was Ihr Teil ist.  In unserem Kapitel ist dagegen die Gemeinschaft das gemeinsame Teilnehmen der Gläubigen an allen Segnungen, die uns durch das Blut Christi gebracht worden sind. Das geht nicht so weit wie das Teil, das wir bei Johannes finden, aber es ist dennoch eine unermeßlich große Segnung.  An dieser Stelle wird zuerst der Kelch und dann das Brot genannt.  Weshalb, ist nicht schwer zu verstehen.  Es ist das Blut Christi, dem wir alle diese Segnungen verdanken.  Durch Sein Blut sind wir erkauft, gerechtfertigt, geheiligt, haben wir Frieden erlangt, treten wir ins Heiligtum ein, sind wir zu Gott gebracht und befähigt worden, vor Gott zu stehen, ohne ein Gewissen von Sünde zu haben.  Mit einem Wort, das Blut Christi ist stets Quelle und Ausgangspunkt all unserer Vorrechte.  Der Kelch ist ein Kelch der Segnung. Wir haben Gemeinschaft mit diesem Blut, d. h. wir genießen, und zwar gemeinsam, alles, was uns dieses Blut bringt.  Sollten wir da diesen Kelch nicht segnen?  „Das Brot, das wir brechen“, ist „ die Gemeinschaft des Leibes des Christus.“ Gemeinsam genießen wir die Teilhaberschaft an diesem Leibe und machen uns eins mit ihm.  Wenn das eine Brot auf den Tisch gelegt wird und wir brechen es, so bringen wir damit gemeinsam zur Darstellung, daß wir alle zusammen zu diesem einen Leibe gehören: wir stellen die Einheit dar. 

In Kapitel 11 bedeuten Blut und Leib (das Blut vom Leibe getrennt) den Tod.  Durch die Teilnahme am Abendmahl verkündigen wir Seinen Tod, feiern wir das Gedächtnis Seiner selbst und Seiner Leiden. Auf das nun Folgende möchte ich im einzelnen nicht näher eingehen.  Der Apostel stellt den Tisch des Herrn dem jüdischen Altar gegenüber und nennt als Gegensatz dazu den Tisch der Dämonen.  Er zeigt, daß, wenn auch das Götzenbild an sich nichts ist, sich hinter ihm die Dämonen verbergen – eine ernste Sache –, und er will nicht, daß die Christen am Tisch der Dämonen sitzen.  Der Heide hat Gemeinschaft mit den Dämonen.  Der Jude, der an den Opfern teilnimmt, hat Gemeinschaft mit dem Altar; und der Christ, der am Tische des Herrn teilnimmt, hat Gemeinschaft mit Christo. Wie steht es mit uns?  Wünschen wir die Einheit des Leibes darzustellen, oder machen wir es wie die Welt, indem wir gehen, wohin es uns gut dünkt?  Laßt uns verständig sein und den Herrn nicht zur Eifersucht reizen! Die Verse 23–33 enthalten die Mahnung, daß nicht jeder sein eigenes Interesse, sondern das des anderen suche – die ganz natürliche Folge der Tatsache, daß wir ein Brot, ein Leib sind.  Der Apostel schließt mit den Worten: „Ob ihr nun esset oder trinket oder irgend etwas tut, tut alles zur Ehre Gottes“ (V. 31).  Bei dieser Stelle möchte ich einen Augenblick verweilen.  Ein Christ mit zartem und ängstlichem Gewissen fragt sich oft: Ist es recht oder unrecht, dies oder jenes zu tun?  Das könnte ich ihm auch nicht sagen.  Aber im Wort  Gottes findet ein solcher eine vollkommene Richtschnur, die für alle Umstände seines Lebens paßt, mag es sich handeln um Essen und Trinken, um Ruhen oder Tätigsein, um Haus oder Reise, um Einladungen oder Teilnahme an Festen oder um irgendwelche Beziehungen zu der Welt, mit einem Wort, um alles; und diese Richtschnur heißt: die Ehre Gottes. Wie aber kann ich alle diese Dinge zur Ehre Gottes tun?  Indem ich ein Nachahmer des Herrn bin, der nur diese Richtschnur hatte.  „Seid meine Nachahmer“, ruft Paulus, „gleichwie auch ich Christi!“ (Kap. 11,1).  Dann ist alles einfach.  Wenn ich mich dieser Richtschnur bediene, so weist sie mir ohne Zögern, ohne Gewissensunruhe den rechten Pfad.  Sie wird den ganzen Wandel des Christen in dieser Welt regeln.  Es steht auch geschrieben: „Was irgend ihr tut, arbeitet von Herzen, als dem Herrn und nicht den Menschen“ (Kol 3,23).  Recht oder nicht recht tun heißt also: Tue ich es für Ihn? Bin ich z. B. im Zweifel, ob ich dieses oder jenes Haus aufsuchen, ob ich diesen oder jenen Besuch machen soll, so brauche ich mich nur zu fragen: Tue ich es für Christum?  Kann ich einen Besuch nur dann machen, wenn ich den Herrn gleichsam draußen lassen muß, sollte ich mich dann dazu verstehen?  Würde ich in diesem Fall nicht besser darauf verzichten?  Nein, ich kann meinen Herrn nicht vor der Türe lassen, wie man seinen Mantel im Vorraum läßt.  Christus verdient einen anderen Platz.  Hat Er diesen Platz in meinem Herzen, dann muß ich Ihn mitnehmen. Auf diese Weise werden unsere einfachsten Beziehungen ohne Schwierigkeiten vollkommen geregelt.  Möge Gott uns schenken, Seinen Gedanken in dieser Hinsicht zu entsprechen!  Wenn dem so ist, wird in unserem Leben alles gut gehen, und Gott wird verherrlicht werden.

In seinen weiteren Ausführungen (Kap. 11,2–16) berührt der Apostel eine Sache, die auf den ersten Blick als eine untergeordnete Frage erscheint, und zu der, wie ich annehmen möchte, wohl die Korinther Veranlassung gegeben hatten.  Soll ein Weib mit bedecktem oder unbedecktem Haupt zu Gott beten?  Es ist eine Frage zweiten Ranges, der aber Gott große Bedeutung beimißt.  Ohne Zweifel war es nötig, daß die Korinther darüber Bescheid wußten, denn der Apostel schreibt: „Ich will aber, daß ihr wisset.“ Ich habe mich oft gefragt, warum der Apostel diese Frage in Verbindung mit solch wichtigen Wahrheiten behandelt hat.  Und ich habe mir die Antwort gegeben, daß in den Augen Gottes nichts ohne Bedeutung ist, wenn es sich um die Verherrlichung Christi handelt.  Ob ein Weib mit bedecktem oder unbedecktem Haupt betet, ist Gott nicht gleichgültig.  Diese Sache berührt nämlich, im Vorbild, die Beziehungen Christi zu Seiner Versammlung, des „Mannes“ zum „Weibe“.  Wir finden hier, unter einem anderen Charakter, das Verhältnis wieder, von dem Epheser 3,10 mit den Worten redet: „auf daß jetzt den Fürstentümern und den Gewalten in den himmlischen Örtern durch die Versammlung kundgetan werde die gar mannigfaltige Weisheit Gottes“.  Hier lesen wir: „Darum soll das Weib eine Macht auf dem Haupte haben, um der Engel willen“ (V. 10).  Nach diesem Wort schauen die Engel, wenn ihre Augen auf dem ihrem Mann unterworfenen Weibe ruhen, darin die mannigfaltige Weisheit Gottes und werden mit ihr bekannt. Gott wollte ihnen in der Erscheinung des Weibes, das ihr Haupt bedeckt hat, ein Beispiel geben von der Unterwürfigkeit des „Weibes“ unter ihren „Mann“, der Kirche unter Christum. Das ist ohne Zweifel der Grund, weshalb wir hier vor diese Frage gestellt werden, obschon es sich in dem besonderen Fall einfach um etwas handelte, was das Verhalten der Frauen in den Versammlungen betrifft. Der Apostel gibt drei Gründe an, weshalb das Weib, „das betet oder weissagt“, sich bedecken soll. Den ersten findet er in der Schöpfung: „Denn der Mann ist nicht vom Weibe, sondern das Weib vom Manne; denn der Mann wurde auch nicht um des Weibes willen geschaffen, sondern das Weib um des Mannes willen“ (V. 8. 9); den zweiten in der Natur: „Oder lehrt euch nicht auch selbst die Natur, daß, wenn ein Mann langes Haar hat, es eine Unehre für ihn ist? usw.“ (V. 14, 15). Die Natur wird zum Zeugen dafür angerufen, daß das Weib ein Zeichen seiner Unterwürfigkeit unter den Mann auf dem Haupt haben soll. Das paßt freilich wenig zu den frauenrechtlichen Anschauungen von heute. Man wird stets Frauen finden, die bereit sind, hierüber zu streiten, denn es gefällt ihnen immer weniger, einen Platz der Abhängigkeit einnehmen zu sollen. Um solchen den Mund zu schließen, nennt der Apostel einen dritten Grund, die Schicklichkeit: „Wenn es aber jemand gut dünkt, streitsüchtig zu sein, so haben wir solche Gewohnheit nicht, noch die Versammlungen Gottes“ (V. 16). Eine gewisse Ordnung und Wohlanständigkeit, gemäß dem, was sich schickt, sollten in den Versammlungen Gottes beobachtet werden. Es handelt sich also hier nicht nur um den Platz, der dem Weib in der Schöpfung und nach der Natur zukommt, sondern auch um die Ordnung in der Kirche, um das, was der Versammlung Christo gegenüber geziemt. Im 11. Verse fügt der Apostel noch hinzu: „Dennoch ist weder das Weib ohne den Mann, noch der Mann ohne das Weib im Herrn.“ Damit führt er die gegenseitige Stellung von Mann und Weib auf den gemeinsamen Boden zurück: im Herrn steht das Weib auf dem gleichen Boden wie der Mann, so daß dieser nicht daran denken darf, seine Gefährtin zu unterjochen. Sie ist seine Gehilfin. Er ist ihre Stütze. Aber im Herrn sind sie eins. So gibt es also eine Ordnung, die in den Beziehungen zwischen Ehegatten zu beachten ist, damit Der, welcher aller Herr ist, in der Versammlung verherrlicht werde.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel