Der zweite Brief an die Korinther

Kapitel 6

Der zweite Brief an die Korinther

Als Mitarbeiter Gottes setzt Paulus im vorliegenden Kapitel durch den Geist das Werk der Ermahnungen fort. Er sah die Korinther in ihrer götzendienerischen, sündenverseuchten Stadt, wo ihr inneres Leben in steter großer Gefahr war, von dem Bösen erneut beeinflusst zu werden. Deshalb war er eifrig bemüht, sie zur Nüchternheit und Wachsamkeit zu ermuntern, jede Verbindung mit der Welt und ihren Grundsätzen abzulehnen. „Mitarbeitend aber ermahnen wir auch, dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt“ (Vers 1). Er spricht hier nicht, wie bei den Galatern, die Befürchtung aus, dass er vielleicht „vergeblich an ihnen gearbeitet habe“, dass sie etwa keine wahren Christen seien (Gal 4, 11); aber er bittet sie dringend, auf der Hut zu sein, dass ihnen die Gnade nicht umsonst gebracht sei, zumal da „jetzt die Zeit der Annehmung, der Tag des Heils“ sei. Es war jene Zeit, von der der Prophet Jesaja gesprochen, dass nämlich, wenn Christus durch die Juden verworfen worden sei, die Segnung auf die Heiden kommen sollte. Dieser große Gnadentag, dessen Erstlinge die ersten Christen waren, war angebrochen, und wie schrecklich für sie, wenn sie gleich den Juden ihre Errettung vernachlässigten oder versäumten!

In den vorhergehenden Kapiteln hatte der Apostel von den großen Grundsätzen und der Quelle seines Dienstes gesprochen; und jetzt erinnert er daran, auf welche Art und Weise er seinen Dienst inmitten der vielfachen Umstände ausgeübt habe (Vers 3–10). Dieser Dienst war vor allem ein Dienst Gottes. Paulus vertrat Gott selbst darin, indem er zu den Menschen in Seinem Namen sprach. Er erfüllte diesen Dienst wie einer, der sowohl das hohe Vorrecht, als auch die ernste Verantwortlichkeit desselben kennt. Im Gefühl seiner Schuldigkeit gegen Gott und seiner Abhängigkeit von Ihm widmete er sich diesem Dienst mit einem Eifer und einer Hingabe, die demselben ganz entsprachen. Er war stets beflissen, in allen Dingen ohne Anstoß zu sein und in allen Umständen und Versuchungen den wahren und göttlichen Charakter seines Dienstes aufrecht zu erhalten. „Indem wir in keiner Sache irgendeinen Anstoß geben, damit der Dienst nicht verlästert werde, sondern in allem uns erweisen als Gottes Diener in vielem Ausharren usw.“ (Verse 3–4). Lehre und Leben standen bei ihm in völliger Harmonie. Mit ausharrender Geduld vermied er alles, was irgendwie Ursache zur Lästerung des Dienstes hätte werden können. Er erwies sich überall und unter allen Umständen als Diener Gottes. Zuerst in den mannigfachen äußern Bedrängnissen, in welchen er erprobt wurde: „in Drangsalen, in Nöten, in Ängsten, in Streichen, in Gefängnissen, in Aufständen, in Mühen, in Wachen, in Fasten“ (Verse 4–5). Auch wandelte er „in Reinheit“, sowohl im Umgange mit Gott, als auch mit Menschen; „in Erkenntnis“, von deren Tiefe und Weite jeder Brief Zeugnis gibt; „in Langmut, in Gütigkeit, im Heiligen Geist, in ungeheuchelter Liebe“ (Vers 6). Wir finden hier nicht nur einfach den sittlichen Zustand seiner Seele beschrieben, sondern zugleich die Wirkungen des Geistes Gottes in ihm. In Vers 7 nennt er die Werkzeuge, die er in diesem Dienst anwandte: „im Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch die Waffen der Gerechtigkeit“, der praktischen ausgelebten Gerechtigkeit „zur Rechten und zur Linken“. Ferner haben wir in Vers 8 und 9 die Umstände, durch welche der Feind ihn und seine Mitarbeiter in Verlegenheit zu bringen suchte. Sie gingen „durch Ehre und Unehre, durch böses Gerücht und gutes Gerücht, als Verführer“ in den Augen der Welt, die sie als gefährliche Schwärmer betrachtete, „und als Wahrhaftige“, deren Innerstes stets wahr und offen vor Gott dalag; „als Unbekannte“ bei der Welt „und Wohlbekannte“ bei Gott; „als Sterbende“, die durch große und viele Drangsale stets am Rand des Todes entlang gingen, „und siehe, wir leben“, weil sie aufrecht erhalten wurden durch die mächtige Hand Gottes; „als Gezüchtigte“, indem sie im Feuer der mannigfachsten und schwersten Verfolgungen geläutert wurden, „und nicht getötet“ (vergl. Römer 8, 36. 37; 1. Kor 15, 30. 31); „als Traurige“, in den äußeren Versuchungen, „aber allezeit uns freuend“, im Hinblick und im Vertrauen auf Gott; „als Arme“, entblößt von den Dingen dieser Welt, aber viele reich machend“, durch die Mitteilung der herrlichen und ewig bleibenden Güter Gottes; „als nichts habend und alles besitzend“ (Vers 10), ja, alles in Christus Jesus (vgl. 1. Kor 3,22.23)

Hiermit schließt die Beschreibung der Quelle und des Charakters des evangelischen Dienstes, eines Dienstes, der über alle Schwierigkeiten triumphierte und der in einem irdenen Gefäß die große und herrliche Kraft Gottes offenbarte. Zugleich redet hier der Apostel über dies alles mit einer Offenheit, die wir in seinem ersten Brief an die Korinther noch nicht finden konnten. Zu jener Zeit war er ihretwegen in Furcht für ihr Heil; jetzt aber öffnet die Freude über die Wiederherstellung ihres sittlichen Zustandes seinen Mund und macht sie in vollem Vertrauen mit all den Umständen und Schwierigkeiten bekannt, die mit seinem Dienst verbunden waren. Er schüttet sein ganzes Herz vor ihnen aus. Welch ein Bild des Eifers und der Hingebung enthüllt sich da vor unsern Blicken! Ach, wie beschämend und zugleich ermunternd für uns! Und welches war der tiefste Beweggrund, dass er in diesem Dienst mit solch ausharrender Geduld und Treue voranging? Nur die innige Liebe zu seinem Herrn und das tiefe Gefühl von der Wichtigkeit des ihm anvertrauten Dienstes. Er war ein Diener des Christus, Der ihn als einen Boten der freien, für alle offen stehenden Gnade berufen hatte. Dass er jetzt den Korinthern, die seine geliebten Kinder im Glauben waren und zu denen er die innigste Zuneigung fühlte, sein ganzes Herz so offen darlegte, geschah auch deshalb, um in ihren Herzen ein gleiches Vertrauen gegen ihn hervorzurufen. „Unser Mund ist zu euch aufgetan, ihr Korinther, unser Herz ist weit geworden. Ihr seid nicht verengt in uns, sondern ihr seid verengt in eurem Innern. Zur gleichen Vergeltung aber (ich rede als zu Kindern) werdet auch ihr weit“ (Verse 11–13). Er wünscht, dass sie seine väterliche Zuneigung, die von seinem Herzen gegen sie ausströmte, erkennen und erwidern möchten. Sie alle fanden Raum in seinem mit Liebe erfüllten Herzen, ja sogar einen ganz bevorzugten Platz; und sehnlichst wünschte er, dass auch ihr Herz sich gegen ihn erweitern und jeden Argwohn fahren lassen möchte.

Zugleich benutzt er dann diese zärtliche Verwandtschaft im Geist, um sie zu ermahnen, den Platz zu bewahren, auf den Gott sie gestellt! Er ist bemüht, sie von allem zu trennen, was das Fleisch anerkennt, von jeder Verbindung mit demselben, wodurch diesem irgend ein Wert vor Gott eingeräumt würde, ja, von allem, wodurch die Stellung eines Menschen verleugnet würde, der sein Leben und sein Interesse in der neuen Schöpfung hat, deren Haupt der verherrlichte Christus ist. „Seid nicht in einem ungleichen Joch mit Ungläubigen“ 1, begebt euch in keine Gemeinschaft, in keine Verbindung mit ihnen; „denn welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? und welche Übereinstimmung Christus mit Belial? oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern?“ (Verse 14–16). Wir befinden uns als Christen in der Welt: sie ist der Schauplatz unserer Tätigkeit; aber wir sind nicht von der Welt. Der Herrlichkeit des Christus teilhaftig geworden, haben wir unser Bürgerrecht, unser Leben und unsere Beziehung droben, wohin Christus schon eingegangen ist; und darum muss auch unser Betragen und der Beweggrund all unserer Handlungen ganz und gar verschieden sein von denen, die von der Welt sind. Unsere Grundsätze, unsere Gedanken über alles Sichtbare, unsere Wünsche und Neigungen, unsere Hoffnungen, unser Verhältnis zu Gott, kurz, alles steht im völligen Gegensatz zu dieser Welt. Darum sollen wir als Christen völlig abgesondert dastehen; denn nur die wahren Christen als solche bilden den Tempel Gottes. „Denn ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes, wie Gott gesagt hat: Ich will unter ihnen wohnen und wandeln, und Ich werde ihr Gott sein, und sie werden Mein Volk sein“ (Vers 16). Gott will nicht, dass Ungläubige, solche, die Ihn nicht kennen, die tot in Sünden und Übertretungen und Kinder des Zorns sind, zu Seinem Tempel gehören. Wie könnte der heilige und lebendige Gott inmitten eines solchen Tempels wohnen und wandeln? Wie könnte Er solche anerkennen, die grundsätzlich Seinen Sohn verworfen haben? Würde nicht der Eifer Seiner Heiligkeit sie verzehren müssen? O, wie wenig wird die Heiligkeit dieses Tempels von denen erkannt, die bemüht sind, Gläubige und Ungläubige zu gemeinsamer Anbetung und Teilnahme an den Vorrechten der Kinder Gottes zu vereinen, oder die persönlich in einer solchen Vereinigung beharrlich vorangehen! Zugleich ist es aber auch eine große Unehre für Gott und Seinen heiligen Tempel. Manche suchen sich zwar dadurch zu beruhigen, dass sie obige Ermahnung des Apostels allein auf die Heiden anwenden. Aber ich frage: Gibt es vor Gott einen moralischen Unterschied zwischen einem Ungläubigen, der noch Heide ist, und einem solchen, der sich „Christ“ nennt? Beide sind Feinde Gottes; beide sind tot in Sünden und Übertretungen; beide werden ohne eine neue Geburt das Reich Gottes weder sehen, noch in dasselbe eingehen. Und wenn es auch wahr ist, dass der Namenchrist durch sein Bekenntnis äußerlich mit Christus in Verbindung steht, so wird er darum ein umso schwereres Urteil davontragen als der Heide! Es besteht ebenso wenig eine Gemeinschaft zwischen ihm und dem Gläubigen, wie zwischen diesem und einem Heiden, wie zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, wie zwischen Licht und Finsternis usw.

Die Trennung von der Welt wird aber jedenfalls mannigfache Leiden, Schmach und Verfolgung hervorrufen, und dies umso mehr, je mehr die Trennung verwirklicht wird. Der Hass beginnt, sobald wir Christus bekennen und in dem offenbaren Treiben der Sünde nicht mehr mitlaufen; sobald wir aber auch mit den gottesdienstlichen Übungen der Kinder dieser Welt jede Gemeinschaft abbrechen, die vor Gott ebenso verwerflich ist wie die Gemeinschaft mit der Sünde, wird die Feindschaft noch größer. Dies sehen wir beim Apostel, und wir werden es zu aller Zeit bei allen treuen Zeugen des Christus feststellen. Wie wird es anders sein können, wenn wir durch Wort und Wandel die Werke der religiösen Welt und ihre Grundsätze, selbst das Beste in ihren Augen, ihre gottesdienstlichen Übungen, wofür sie sogar glauben Gottes Sanktion zu haben, verurteilen? Wenn nur Gott auf unserer Seite ist! Er hat gesagt: „Deshalb geht aus ihrer Mitte und sondert euch ab, spricht der Herr, und rührt Unreines nicht an“, aber Er fügt, da Er wohl weiß, was die Folge dieser Absonderung sein wird, die tröstliche Zusage hinzu: „Und Ich werde euch aufnehmen, und Ich werde euch zum Vater sein, und ihr werdet Mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige“ (Verse 17+18). Er will in der Mitte derer sein, die sich von der Welt getrennt haben; Er will unter ihnen wohnen, wie Er früher in der Wüste unter Israel wohnte. Er will mit denen, die Seinen Tempel ausmachen, in dem Verhältnis eines Vaters zu seinen Söhnen und Töchtern stehen. Dies ist die besondere Verwandtschaft, in die Gott mit uns eintritt, und die Er, sobald wir abgesondert von der Welt unsern Wandel führen, praktisch verwirklichen will. Bemerkenswert ist auch die zärtliche Ausdrucksweise: „Ich werde euch zum Vater sein“. Und wer ist es, der so spricht? „Der Herr, der Allmächtige“, der Gott, Der sich Abraham als der „Allmächtige“ und Israel als „Herr“ oder „HERR“ offenbarte; der Gott, Der Abraham aus Ur in Chaldäa führte und ihn als Fremdling in Kanaan beschirmte und segnete, und Der Israel aus Ägypten erlöste, Der das Meer vor dem Volk trocknete und vierzig Jahre in der Wüste vor ihm herzog und es in allem versorgte! Und derselbe Gott, „der Herr, der Allmächtige“, erklärt jetzt den Seinigen, dass Er „ihr Vater“ sein will. Er tritt mit ihnen in die innigste Verwandtschaft; Er will das zärtlichste Verhältnis mit ihnen verwirklichen, während sie durch die Wüste dieses Erdenlebens gehen. Deshalb können sie in den schwersten Versuchungen ausrufen: „Wenn Gott für uns ist, wer mag wider uns sein?“ Er leitet sie als Seine geliebten Kinder, sorgt für sie wie ein Vater und pflegt sie, wie eine Mutter ihre Kinder pflegt. Auch weiß Er alles, sieht alles und vermag alles! Welch ein Trost inmitten einer versuchungsvollen und feindlich gesinnten Welt! Seine unsichtbare Gegenwart ersetzt hienieden alles und eröffnet zugleich dem Auge des Glaubens den herrlichen und ewigen Genuss einer himmlischen Freude, die wir bald mit allen Heiligen, mit allen Kindern dieses treuen Gottes und Vaters teilen werden!

Es ist aber sehr bemerkenswert, dass Gott Seine Verheißung, Vater sein zu wollen, hier unmittelbar mit dem „Sichtrennen von der Welt“ verbindet. Wir haben aus der Mitte der Ungläubigen auszugehen, um in praktischer Weise in diese Beziehung als Söhne und Töchter einzutreten. Wir können dieses Verhältnis praktisch nur dann verwirklichen, wenn wir uns von der Welt getrennt haben. Nach dem Maß, wie dies geschehen ist, wird auch jene innige Verwandtschaft hienieden genossen werden. Gott wird weder die Kinder der Welt als Söhne und Töchter anerkennen, weil sie nie in dieses Verhältnis zu Ihm eingetreten sind, noch kann Er jene, die mit der Welt in Gemeinschaft bleiben, die süße Verwirklichung genießen lassen; denn die Welt hat Seinen Sohn verworfen, und „die Freundschaft der Welt ist Feindschaft wider Gott, und wer irgend ein Freund der Welt sein will, stellt sich als Feind Gottes dar“ (Jak 4,4). Sobald wir aber von der Welt getrennt sind, werden wir praktisch die ganze Innigkeit und Wahrheit dieses Verhältnisses als Söhne und Töchter erfahren und seine gesegneten Folgen genießen.

Fußnoten

  • 1 Dieser Vergleich ist wohl dem Alten Testament entnommen, wo es verboten war, verschiedene Tiere, z. B. einen Ochsen und einen Esel, unter ein Joch zu bringen (3. Mose 19,19).
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