Dies ist das ewige Leben
Eine Auslegung des ersten Johannesbriefes

Summa Summarum

Dies ist das ewige Leben

Summa Summarum“ ist lateinisch und bedeutet „alles in allem“ (wörtlich: Summe der Summen). Das scheint mir die beste Überschrift für den letzten Abschnitt des ersten Johannesbriefes zu sein. Tatsächlich stellen die Verse 18 bis 21 eine ebenso knappe wie bewundernswerte Zusammenfassung des ganzen Briefes dar, gleichsam die Quintessenz des Gesagten, die Quersumme von allem.

Während der Apostel seinen Brief zum Abschluss bringt, erinnert er an manches, was er zuvor geschrieben hat, und zieht gewisse Schlussfolgerungen. Dabei wiederholt er in drei aufeinander folgenden Versen die uns schon bekannte Wendung „Wir wissen“ und benutzt wieder das Wort für ein bewusstes, inneres Wissen (gr. ordn). Diese innere Erkenntnis, die allein der Heilige Geist vermitteln kann, steht, wie stets in diesem Brief, im Gegensatz zu dem angeblichen Wissen derer, die Zweifel säen und von Christus wegführen. Kinder Gottes jedoch tragen das tiefe Bewusstsein in sich, dass alle Schätze der göttlichen Weisheit und Erkenntnis nur in Ihm zu finden sind.

So werden zum Abschluss des Briefes „Summa Summarum“ drei bemerkenswerte Feststellungen getroffen, die jeweils mit diesem „Wir wissen“ eingeleitet werden. Ja, „wir wissen“ um diese Tatsachen, und niemand kann uns in unserem Geist darin erschüttern.

Die neue Natur – ihr Wesen

„Wir wissen, dass jeder, der aus Gott geboren ist, (wörtlich: jeder aus Gott Geborene) nicht sündigt; sondern der aus Gott Geborene bewahrt sich, und der Böse tastet ihn nicht an“ (1. Joh 5,18).

Das erste „Wir wissen“ beschäftigt sich mit dem, was typisch für das Leben ist, das wir von Gott empfangen haben: Die neue Natur sündigt nicht. Es geht hier nicht mehr um konkrete Sünden, wie sie unter Kindern Gottes vorkommen (Verse 16.17). Mit Vers 18 kehrt der Apostel vielmehr zur abstrakten Betrachtungsweise zurück: Der aus Gott Geborene sündigt nicht, wenn wir ihn nach der ihm eigenen Natur betrachten. Wie in Kapitel 3, Vers 9, ist auch hier mit „sündigen“ nicht das Begehen einer Sünde gemeint, sondern bezeichnet einen fortlaufenden Prozess, ein beständiges Sündigen. Solch ein Lauf aber ist mit der neuen Geburt oder der neuen Natur völlig unvereinbar.

Dass der aus Gott Geborene nicht sündigt, ist, wie bemerkt, eine abstrakte Aussage. Der Schreiber vergisst dabei nicht für einen Augenblick, dass der Gläubige zwei Naturen hat und daher auch in Sünde fallen kann (Kap. 1,8; 2,1; 5,16). Aber er denkt hier nur an das, was aus Gott geboren ist. Und dann ist dies die beglückende Wahrheit: Das neue Leben kann nicht sündigen.

„... sondern der aus Gott Geborene bewahrt sich.“ Auch hier wird nicht auf irgendein aktuelles Geschehen Bezug genommen, sondern es wird auf eine allgemein gültige Wahrheit hingewiesen. Der Gläubige wird grundsätzlich entsprechend sei ner Natur, der neuen Natur, handeln: Er bewahrt sich. Praktisch mag er davon abweichen und nicht wachsam sein. Doch das ist eine andere Frage. Hier wird er nur in der neuen Natur gesehen, wie sie der Sünde entgegengesetzt ist. Diese abstrakte Ausdrucksweise stellt die Wahrheit so vor, wie sie grundsätzlich ist. Darin liegt ein großer Segen.

„... und der Böse tastet ihn nicht an.“ „Der Böse“ ist des Apostels Johannes Bezeichnung für den Teufel (Kap. 2,13.14; 3,12; 5,19). In Kapitel 3, Vers 8, nennt er ihn denn auch direkt so: Teufel. Nun, der Teufel ist machtlos in der Gegenwart eines Kindes Gottes, das sich bewahrt. Er mag kommen, um – wie bei dem Herrn – durch Verlockungen Eingang in die Seele zu finden. Aber er wird keinen Erfolg haben, wenn wir wachsam sind. Denn das neue Leben ist ein vollkommenes, göttliches Leben und kann durch den Bösen nicht angetastet werden. In dieser Weise betrachtet ist der Gläubige vor dem Bösen sicher. Der Teufel kann ihn weder antasten oder beunruhigen noch ihn vom guten Hirten der Schafe trennen, der gesagt hat: „Ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren in Ewigkeit, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben“ (Joh 10,28).

Wenn wir die Dinge von der praktischen Seite her betrachten, so wissen wir, dass es Unwachsamkeit und Sünde auf unserer Seite sind, die es dem Bösen ermöglichen, uns doch in bestimmter Weise anzutasten und unser Gewissen zu verletzen. Deshalb brauchen wir, wie es ein anderer Apostel ausdrückt, „die ganze Waffenrüstung Gottes“, damit wir gegen die Listen des Teufels zu bestehen vermögen (Eph 6,11). Das ist sicher nicht die Betrachtungsweise unseres Briefes. Aber es wird daraus doch deutlich, dass wir lernen müssen, die abstrakt vorgestellte Wahrheit auf die Praxis anzuwenden. Wenn sich der Gläubige wirklich bewahrt und in der Gemeinschaft mit Gott und dem Sohn lebt entsprechend der neuen Natur, dann kann ihn der Böse nicht antasten und verletzen.

Die neue Natur – ihr Ursprung

„Wir wissen, dass wir aus Gott sind, und die ganze Welt liegt in dem Bösen“ (1. Joh 5, 19).

Das zweite „Wir wissen“ bezieht sich auf die Quelle unseres geistlichen Seins. Die aus Gott Geborenen wissen, dass die neue Natur in Gott ihren Ursprung hat. Sie sind „aus Gott“, sind „aus Gott geboren“. Das sind Feststellungen von äußerster Wichtigkeit, wie wir noch sehen werden.

„Aus Gott“ geht zurück auf Kapitel 4, Vers 4: „Ihr seid aus Gott, Kinder.“ Der Gedanke wird weitergeführt in Kapitel 5, Vers 18: „... jeder, der aus Gott geboren ist.“ Es ist die Beschreibung dafür, dass unser ganzes geistliches Leben in Gott seinen Ursprung findet. Wie sich das aus Gott entspringende Leben manifestiert (offenbart), hat Johannes soeben in Vers 18 geschildert. Überhaupt fasst Johannes in diesem 18. Vers alles das zusammen, was er über die neue Natur und ihre Auswirkungen in seinem Brief gesagt hat.

Wenn wir heute Kinder Gottes sind, so verdanken wir dies Gott, Seiner Macht und Liebe. Wir sind „aus Gott“. Aber die Tatsache unserer Gotteskindschaft ist nicht allein ein Grund zur Freude derer, die dieses Vorrecht besitzen. Wie der Nachsatz deutlich macht, wird auch ein starker Gegensatz zu allem hergestellt, was nicht „wir“ ist.

„... und die ganze Welt liegt in dem Bösen.“ Das ist der Gegensatz: auf der einen Seite „wir“, auf der anderen „die ganze Welt“. Und worin besteht der Unterschied? Wir sind aus Gott geboren - die ganze Welt liegt in dem Bösen. Scharfe, unüberbrückbare Kontraste!

Ebenso wie wir wissen, dass wir aus Gott geboren sind, so wissen wir auch, dass die ganze Welt in dem Bösen, dem Teufel, liegt. Hier haben wir wieder eine Verbindung zu Vers 18. Während wir Gläubigen jenseits der Macht Satans sind und nicht von Christus getrennt werden können, steht der Rest der Menschheit – „die ganze Welt“ – unter der Macht des Teufels. Als der Fürst der Welt (Joh 12,31; 14,30; 16,11) hat er sie vollständig unter seiner Kontrolle, ihr selbst unbewusst. Sie „liegt“ in dem Bösen. Das drückt Passivität aus, in der nicht einmal versucht wird, gegen den Bösen zu kämpfen. Das wäre auch nutzlos, denn er hat das Ganze komplett in seiner Gewalt.

So zeigt uns dieser kurze Vers noch einmal die zwei Familien, von denen auch schon vorher in diesem Brief die Rede war, am deutlichsten in Kapitel 3, Vers 10. In unserer Stelle aber ist auch in dieser Hinsicht der Gipfelpunkt erreicht: Was nicht „wir“ ist, ist die „Welt“. Die Menschen dieser Welt werden es als Anmaßung empfinden, wenn eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Christen von sich behauptet, Kinder Gottes zu sein, während die ganze Masse der übrigen Menschen in dem Bösen liegen soll. Aber das ist, was Gott sagt, und „wir wissen“, dass es wahr ist.

Noch eine praktische Bemerkung! Wenn zwischen Christus und dem Teufel eine so scharfe Trennung besteht, sollte das nicht sein Gegenstück in der Trennung des Gläubigen von der Welt finden? In Gottes Augen ist diese Trennung grundsätzlich und unüberbrückbar. Dadurch, dass wir „aus Gott“ sind, hat Er uns in eine Stellung, die christliche Stellung, gebracht, die tatsächlich alles andere ausschließt. Ist es dann nicht zutiefst beschämend, wenn wir mit der Welt liebäugeln und die von Gott gezogenen Grenzen verwischen? Es ist aber auch gefährlich. Denn wir bewegen uns in diesem Fall auf dem Territorium des Bösen und bieten ihm die Gelegenheit, uns zur Sünde zu verleiten.

Die neue Natur – ihr Gegenstand

„Wir wissen aber, dass der Sohn Gottes gekommen ist und uns Verständnis gegeben hat, damit wir den Wahrhaftigen erkennen; und wir sind in dem Wahrhaftigen, in seinem Sohn Jesus Christus. Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben“ (1. Joh 5, 20).

Das dritte und abschließende „Wir wissen“ führt uns zum absoluten Höhepunkt des Briefes – zum Sohn Gottes selbst als dem Gegenstand des Glaubens und dem Mittelpunkt unserer Herzen. Zugleich stellt er die Grundlage für die in den Versen 18 und 19 erwähnten Beziehungen zu Gott dar, deren sich die Gläubigen erfreuen.

Den Wahrhaftigen erkennen

„Wir wissen aber, dass der Sohn Gottes gekommen ist.“ Die erhabene Wahrheit, dass der Sohn Gottes in diese Welt gekommen ist, hat uns in diesem Brief schon öfter beschäftigt. Er ist „gesandt“ worden, Er ist „offenbart“ worden, aber Er ist auch „gekommen“. Alle drei Aussagen, so hatten wir gesehen, reden nicht allein von dem Wunder Seiner Menschwerdung, sondern auch von Seiner ewigen Existenz vor allem Erschaffenen und vor aller Zeit. Wir kennen Christus als bereits gekommen, besitzen Ihn schon als den Gegenstand für unsere Herzen. Das ist ebenso gewaltig wie die neue Natur und deren göttlicher Ursprung. Während die Juden noch auf einen Anderen warten, wissen wir, dass der Sohn Gottes gekommen ist.

Doch beachten wir die Zielsetzung Seines Kommens, wie sie hier vorgestellt wird! Er ist als wahrer Mensch gekommen, nicht nur, um uns durch Seinen Sühnungstod ewiges Leben zu schenken, sondern um uns auch Verständnis zu geben, damit wir den Wahrhaftigen erkennen.

Wunderbares Vorhaben des Herrn! Tatsächlich ist Er allein imstande, das vollkommene Bild des unsichtbaren Gottes in dieser Welt der Finsternis zu sein. Den Wahrhaftigen zu erkennen bedeutet nichts Geringeres, als Gott zu erkennen. Und mit „erkennen“ (gr. ginosko) wird der Nachdruck eher auf den Erwerb der Erkenntnis gelegt als auf deren Besitz. Da „erken- nen“ im Präsens (Gegenwartsform) steht, wird das Erkennen des Wahrhaftigen als ein kontinuierlicher Vorgang dargestellt. Es ist beachtenswert, dass im Gebet des Herrn in Johannes 17 genau derselbe Gedanke in genau derselben Konstruktion ausgedrückt wird: „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Vers 3).

Im Griechischen steht für „wahrhaftig“ und „wahr“ jeweils dasselbe Wort (glethinds). Gott ist der Wahre, der allein wahre Gott. Wie in Kapitel 2, Vers 8, bei wahrhaftiges Licht“ wird „wahr“ in Gegensatz gesetzt zu dem, was gefälscht, unecht, unwahr ist. Gott ist nicht allein die Quelle der Wahrheit, sondern

Er ist auch der eine, der einzige wahre Gott. Welch ein unermessliches Vorrecht, Ihn zu erkennen und zu genießen, Ihn in zunehmendem Maß im Glauben zu erfassen! Die Fähigkeit, das Verständnis dazu hat uns der Sohn gegeben, schon heute. Ohne dieses Verständnis würde uns die Offenbarung Gottes in Christus nichts nützen, wie vollkommen sie auch ist. Dass das Verständnis mit dem Besitz des ewigen Lebens einhergeht, erwarten wir nach allem, was wir in diesem Brief gesehen haben, nicht anders. Das oben zitierte Wort aus dem Gebet des Herrn bestätigt das.

In dem Wahrhaftigen sein

Gott, den Wahrhaftigen, erkennen zu können, ist indes noch nicht die ganze Fülle der Segnung. Mit einem „Und“ fügt der Apostel noch einen wesentlichen Bestandteil hinzu: „... und wir sind in dem Wahrhaftigen, in seinem Sohn Jesus Christus.“ Auch in Vers 18 und Vers 19 hatte er jeweils mit einem „Und“ eine separate Feststellung angefügt. Hier nun erfahren wir, dass wir „in dem Wahrhaftigen sind“.

Das drückt keine Absicht aus, sondern eine bestehende Tatsache. Wir haben schon wiederholt in diesem Brief die Wahrheit vor uns gehabt, dass wir in Gott blähen (wohnen). Hier nimmt sie die Form an, dass wir in dem Wahrhaftigen sind. Als Teilhaber der Natur Gottes sind wir in Ihm, sind befähigt, uns Seiner zu erfreuen. Die zunehmende Erkenntnis Dessen, der wahr ist, ist nur deswegen möglich, weil wir in Ihm sind. Die Beziehung schließt das Erkennen ein.

„... und wir sind in dem Wahrhaftigen, in seinem Sohn Jesus.“ Bemerkenswerte Erweiterung des Gedankens! Dass wir in dem Wahrhaftigen sind, wird dadurch erklärt, dass wir in Seinem Sohn Jesus Christus sind. Das will sagen: Unsere Sicherheit, in dem allein wahren Gott zu sein, liegt darin, dass wir in Seinem Sohn sind. Davon hatte der Herr vor Seinem Tod gesprochen: „An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch“ (Joh 14,20). „Jener Tag“ ist die heutige Zeit.

In unserer Stelle haben wir übrigens noch einmal ein Beispiel dafür, wie Johannes oft unmerklich von Gott zu Christus übergeht. Er gibt sich gleichsam keine Mühe, zu erklären, wen er mit „Er“ oder „Ihm“ meint. Besonders deutlich war das in Kapitel 3, Vers 2, zu sehen. Er hatte soeben von uns als Kindern Gottes gesprochen, und unmittelbar darauf sagt er, dass wir Ihm gleich sein werden. „Ihm“ – das ist Christus. Warum redet er so? Weil der Sohn ebenso Gott ist wie der Vater. In dem Wahrhaftigen zu sein bedeutet eben auch, in Seinem Sohn Jesus Christus zu sein.

Der Sohn – eine lebendige, göttliche Person

Doch Er ist nicht nur eine Idee, sondern eine lebendige, göttliche Person. Deswegen wird hinzugefügt: „Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben.“ Welch ein erhabenes Zeugnis der Gottheit unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus! Und welch eine Stellung haben wir in Ihm erlangt! Wir wollen einen Augenblick dabei stehen bleiben und sehen, wie unser Glück mit Gott selbst und mit Seinem Sohn Jesus Christus verbunden ist.

Wenn es um die Frage der Natur geht, so ist es Gott, aus dem und in dem wir sind. Was aber die Person angeht, die alles zustande gebracht hat und in der allein wir Gott erkennen und in Gottern können, so ist es Sein Sohn Jesus Christus. In Ihm, dem gestorbenen und auferstandenen Menschen, haben wir alles erlangt. So wandert der Blick von Gott, dem Wahrhaftigen, zu Seinem Sohn, der Mensch geworden ist. Doch auch dieser Sohn ist – im Gegensatz zu allen falschen Göttern – der wahrhaftige Gott.

Er ist auch das ewige Leben. Christus ist sowohl die Verkörperung als auch die Quelle des Lebens, das Gott entspringt und den Gläubigen gegeben worden ist. In Ihm besitzen wir das ewige Leben. Wer den Sohn hat, hat das Leben, hatten wir in Vers 12 gesehen. Das aber ist ein ewiger Besitz - den Sohn zu haben und in Ihm das ewige Leben. Wer könnte die Grenze dessen ausmessen, was sich hier vor unseren Augen entfaltet?

Der Apostel Johannes hatte zu Anfang festgestellt, dass Gott Licht ist (Kap. 1,5). Später fügte er dann hinzu: „Gott ist Liebe“ (Kap. 4,8.16). Das sind die beiden Wesenszüge Gottes. Hier aber kommt ein Drittes hinzu, so dass man sagen könnte: Gott ist (im Ergebnis) auch Leben. Das aber umschreibt den ganzen Inhalt des ersten Johannesbriefes: Gott als Licht – Liebe – Leben. Und das alles ist Er für uns, die Seinen, ist es in Seinem Sohn Jesus Christus.

So schauen wir in Anbetung zu dem allein wahren Gott empor, erblicken Ihn in Seinem Sohn Jesus Christus, den Er zu uns gesandt hat. Und in dem Maß, wie wir uns Seiner in Seinem geliebten Sohn erfreuen, erfahren wir in praktischer Weise, was das ewige Leben ist. „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh 17,3).

Damit schließt sich der Kreis und wir gelangen inhaltlich zurück an den Anfang des Briefes. Denn „Gemeinschaft mit

dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus“ zu haben (Kap. 1,3), setzt ein Erkennen der Personen der Gottheit voraus, ja sie besteht darin. Heute ist dieses Erkennen noch bruchstückhaft. Einmal aber, Geliebte, wird es vollkommen sein, zur ewigen Verherrlichung des Vaters und des Sohnes und zu unserer nie endenden Freude.

Eine unerwartete Warnung

Nach all dem Erhabenem, was vor uns gestellt wurde, mag es uns überraschen, dass der Apostel seinen Brief mit einer kurzen, aber sehr ernsten Warnung abschließt. Doch der Heilige Geist hält es für notwendig, sie uns noch mit auf den Weg zu geben.

„Kinder, hütet euch vor den Götzen!“ (1. Joh 5, 21).

Noch einmal wendet sich der Schreiber mit der liebreichen Anrede „Kinder“ (gr. teknia) an alle Glieder der Familie Gottes. Ob wir schon länger auf dem christlichen Weg sind oder erst kürzlich zum Glauben kamen; ob wir schon in Erfahrung gereift sind oder noch am Anfang stehen – wir alle sind angesprochen.

Die Verbform bei „hütet euch“ trägt einen grundsätzlichen, hier stark zusammenfassenden Charakter. Die Ermahnung gilt für die ganze Zeit, während der Kinder Gottes auf der Erde sind. Wir sollen sie beständig und zu jedem Zeitpunkt ernsthaft beachten.

Was aber ist mit „Götzen“ gemeint? Wenn wir uns der Absicht des Briefes erinnern – nämlich, dass wir uns der praktisehen Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn erfreuen sollen –, so wird deutlich, dass Johannes nicht von heidnischen Götzenbildern spricht.

Nein, da gehen Gefahren von der Welt aus, die in dem Bösen liegt. Vor ihnen müssen wir uns hüten. Diese Gefahren zielen auf unser Herz ab. Alles, was sich zwischen Christus und unser Herz schiebt; alles, was unsere Zuneigungen von dem Herrn Jesus abzieht und auf sich hinlenkt – das ist ein Götze. Ein Götze kann eine Sache oder eine Person sein. Tatsächlich kann uns alles zum Götzen werden: unser Beruf, unsere Hobbys, unser Besitz, ja selbst unsere Kinder, um nur einige Beispiele zu nennen.

Wir müssen Acht haben auf unsere Herzen. Gestatten wir ihnen, mit etwas anderem inniger beschäftigt zu sein als mit Christus? Der Sohn Gottes muss den ersten Platz in unseren Zuneigungen haben. Wie könnten wir sonst das ewige Leben, von dem wir in diesem Brief so viel gehört haben, ausleben und offenbaren? Wie anders könnten wir glücklich sein, wenn nicht der Heiland den beherrschenden Platz in unserem Herzen und Leben hat?

Wir haben von Jesus Christus gesehen, dass Er der wahrhaftige Gott ist. Dann aber ist jeder Gegenstand, der Ihm die Anbetung raubt, ein Götze. Dass in diesem Sinn auch böse, falsche Lehren, die uns vom Herrn Jesus wegziehen, dazugehören, ist ein nicht unwesentlicher Gesichtspunkt. Immer wieder wurden wir in diesem Brief- direkt oder indirekt – vor dem antichristlichen Geist gewarnt. Deswegen kommt dieser Ermahnung am Schluss des Briefes eine so umfassende Bedeutung zu. Und wir werden jetzt, so hoffe ich, auch besser verstehen, warum sie uns gegeben ist. Möge uns der Herr in der Kraft des Heiligen Geistes vor allen Götzen bewahren!

So endet dieser großartige erste Brief von Johannes. Er begann ohne jeden Gruß, und so schließt er auch. Ist das nicht allein schon ein stiller, bewegender Hinweis darauf, dass nur ein Name wert ist, genannt zu werden – der Name unseres Herrn Jesus Christus? In Ihm hat Gott sich völlig offenbart. Und es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel, der unter den Menschen gegeben ist, in dem wir errettet werden müssen.

Gott allein sei die Ehre und Seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn und Heiland, heute und auf den Tag der Ewigkeit!

Soli Deo Gloria

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