Einführende Vorträge über 1. und 2. Könige

2. Könige 10

Jehu lässt die siebzig Söhne Ahabs in Samaria töten

Doch dieses furchtbare Werk war noch nicht zu Ende, denn Ahab hatte siebzig Söhne. Es scheint dem menschlichen Vorstellungsvermögen völlig unmöglich zu sein, dass eine Familie mit siebzig Söhnen untergehen könnte. Und Ahab hatte siebzig Söhne in Samaria. Jehu musste sich nun mit ihnen befassen, und er war genau der Typ von Mensch, der bei einer derartigen Maßnahme gänzlich gefühllos bleibt. Also schreibt er an die Ältesten von Samaria. Isebel hatte den Ältesten einen Brief mit einem anderen Auftrag geschrieben: Naboth um sein Erbe zu bringen. Gott verurteilt diese Tat nun mit aller Schärfe. Jehu schreibt als nächstes einen Brief an die Ältesten von Samaria, damit die Nachkommen Ahabs vollständig ausgerottet würden: „Und nun, wenn dieser Brief zu euch kommt – bei euch sind ja die Söhne eures Herrn und bei euch die Wagen und die Pferde und eine feste Stadt und Waffen –, so erseht den besten und tüchtigsten aus den Söhnen eures Herrn, und setzt ihn auf den Thron seines Vaters; und kämpft für das Haus eures Herrn. Aber sie fürchteten sich sehr und sprachen: Siehe, die zwei Könige konnten vor ihm nicht standhalten, und wie sollten wir bestehen?“ (2. Kön 10,2–4). Also schrieb er zum zweiten Mal einen Brief, und nun wurde sein voller und wahrer Sinn offenbar: „Wenn ihr für mich seid und auf meine Stimme hört, so nehmt die Köpfe der Männer, der Söhne eures Herrn, und kommt morgen um diese Zeit zu mir nach Jisreel.“ (2. Kön 10,6).

Jehu tötet Ahabs Anhang in Jisreel

Die Tat war geschehen. „Und es geschah, als der Brief zu ihnen kam, da nahmen sie die Söhne des Königs und schlachteten sie, siebzig Mann, und legten ihre Köpfe in Körbe und sandten sie zu ihm nach Jisreel“ (2. Kön 10,7). Und dort wurden sie gefunden, und Jehu geht hin, um die Bluttat zu rächen. „Und es geschah am Morgen, da ging er hinaus und trat hin und sprach zum ganzen Volk: Ihr seid gerecht! Siehe, ich habe eine Verschwörung gegen meinen Herrn gemacht und habe ihn ermordet; wer aber hat alle diese erschlagen? Wisst denn, dass nichts zur Erde fallen wird vom Wort des Herrn, das der Herr gegen das Haus Ahabs geredet hat; und der Herr hat getan, was er durch seinen Knecht Elia geredet hat. Und Jehu erschlug alle, die vom Haus Ahabs in Jisreel übriggeblieben waren, und alle seine Großen und seine Bekannten und seine Priester, bis er ihm keinen Entronnenen übrigließ“ (1. Kön 10,9–11). So wurde das Wort des Herrn vollendet.

Jehu lässt die Brüder Ahasjas töten

Aber Jehu befand sich im Geist dieser schonungslosen Rache, und als er hinging, begegneten ihm die Brüder Ahasjas, des Königs von Juda. Auch sie waren nicht wenige. Als er sie fragte, wer sie seien, antworteten sie: „Wir sind die Brüder Ahasjas und sind herabgekommen, um die Söhne des Königs und die Söhne der Herrscherin zu begrüßen“ (1. Kön 10,13b). Wie ernst war die Hand Gottes ausgestreckt! Ihr Vater, der Bruder des Königs, war mit dem König hinabgezogen, und er hatte dort sein Ende gefunden. Nun waren seine Brüder aus demselben königlichen Geschlecht in jenes Haus hinabgezogen – böser Verkehr verdirbt gute Sitten. Sie waren „herabgekommen, um die Söhne des Königs und die Söhne der Herrscherin zu begrüßen. Und er sprach: Greift sie lebend! Und sie griffen sie lebend und schlachteten sie bei der Zisterne von Beth-Eked, 42 Mann“. Wie offenkundig war die Hand Gottes zum Gericht ausgestreckt. „Und er ließ keinen von ihnen übrig“ (1. Kön 10,13f).

Jehu lässt alle Baalspriester umbringen

Als nächstes sehen wir ihn gemeinsam mit Jonadab, dem Sohn Rekabs. Die beiden Männer teilen in gewisser Weise eine bestimmte Charaktereigenschaft miteinander. Denn Jonadab war kompromisslos in der Umsetzung seiner eigenen Grundsätze und auch Jehu führte auf seine Weise mit einer gewissen Radikalität das Werk aus, zu dem Gott ihn erweckt hatte. Jehu hatte das Gefühl, dass in den Königshäusern Gericht nötig war. Aber er hatte auch noch etwas Weitergehendes im Sinn. Es gab noch ein schlimmeres Übel gegen den Namen des Herrn in Israel: die Anbetung Baals. Hierbei agiert er nun mit genau jener Kompromisslosigkeit. Er schlägt ein großes Fest aller Baalsanbeter vor, gibt sich selbst als Schirmherr dieser Anbetung aus, ruft alle Diener und Priester Baals zusammen und achtet mit größter Sorgfalt darauf, dass keiner der Diener des Herrn unter ihnen ist. Dementsprechend versammelten sich alle in demselben Gebäude und ihr Herz war so freudig erregt, wie das Herz derer, die dem Herrn anhingen, in ihnen gesunken sein musste, dass einer, der so blutrünstig und entschlossen war, sich offenbar entschieden hatte, ein Schutzherr Baals und der Feind des Herrn zu sein. Aber zumindest hier konnte Jehu seinen eigenen Entschluss umsetzen. Er ließ seine Soldaten, seine Hauptleute und Kriegsleute in das Haus kommen, und sie schlugen die Baalspriester mit der Schärfe des Schwertes. Und sie „brachten die Bildsäulen des Baalhauses heraus und verbrannten sie; und sie rissen die Bildsäulen des Baal nieder; und sie rissen das Haus des Baal nieder und machten Aborte daraus bis auf diesen Tag. So vertilgte Jehu den Baal aus Israel“ (2. Kön 10,26–28).

Jehus Eigenwille: Die Beibehaltung der goldenen Kälber

Auch wenn es ein schreckliches Übel zu sein schien und zweifellos auch war – es war eine völlige Entehrung Gottes –, an das Jehu seine Hände gelegt hatte, so sehen wir doch, wie wenig das Herz dieses Mannes nach den Gedanken Gottes war. „Nur von den Sünden Jerobeams, des Sohnes Nebats, die er Israel zu begehen veranlasst hatte, von denen wich Jehu nicht ab: von den goldenen Kälbern, die in Bethel und in Dan waren“ (2. Kön 10,29). Es gab einen Schandfleck und bei jedem nicht wiedergeborenen und nicht erneuertem Menschen kommt ein solcher zum Vorschein. Wer sich um den Willen Gottes kümmert, wird dabei einen Teil dieses Willens ignorieren zum Nachteil des gesamten Willens. Und genau das beschreibt der Apostel Jakobus so treffend, wenn er sagt, dass der Mensch, der in einem Punkt versagt, an allen schuldig ist, denn wenn es ein Gewissen gegenüber Gott gäbe, hätte dieser eine Punkt sein Gewicht. Jakobus spricht hier nicht von einem Versagen. Er spricht nicht von einem Menschen, der in dem Bestreben, den Willen Gottes zu tun, durch Unachtsamkeit oder Leichtsinn scheitert. Das ist leider das Los von jedem, der nicht auf der Hut ist. Tatsächlich aber spricht Jakobus hier von Eigenwille und Bösartigkeit, denn es ist auch dann Eigenwille, wenn sich dieser nur in einer einzigen Ausprägungsform zeigt. Doch so verhält sich keine Seele, die aus Gott geboren ist. Kein Mensch, der aus Gott geboren ist, wird sich absichtlich und mutwillig der Sünde hingeben, und sei es auch nur in der kleinsten Sache. Er mag trauern müssen, er mag sich schämen müssen, er mag sich verurteilen und hassen müssen, aber gerade das zeigt, dass er es nicht absichtlich und systematisch und ohne Gewissen tut. Im Gegenteil: Wo er versagt, trauert er vor Gott über sein Versagen. Nun beschreibt Jakobus nichts dergleichen, sondern die schlichte und sorglose Übertretung des Gesetzes Gottes. Hier sehen wir es bei Jehu. Wie groß der Eifer Jehus gegen den schuldigen König Israels, den schuldigen König Judas und die Anbetung Baals auch sein mochte, es gab etwas, das er Gott zurückhielt. Es gab eine innere Kammer seines Herzens, die noch nicht erreicht war. Und dort gab es einen Götzen und dieser Götze war der alte Götzendienst – die goldenen Kälber.

Gründe für den Eigenwillen Jehus

Der Grund dafür ist klar: Jehu kümmerte sich um sich selbst und nicht um Gott. Außerdem waren die goldenen Kälber eine politische Religion, deren Beibehaltung der Politik der zehn Stämme entgegenkam; denn hätten die zehn Stämme keine goldenen Kälber gehabt, wären sie zu dem Herrn nach Jerusalem zurückgekehrt. Es war das entscheidende Mittel, um ein anderes Zentrum zu haben, denn wenn Jerusalem sowohl für die zehn Stämme als auch für die zwei Stämme das eine Zentrum gewesen wäre, hätten sich die zwölf Stämme Israels vereinigt, und wenn sie sich in der Anbetung Gottes vereinigt hätten, hätten sie sich unter demselben König vereinigt. Aber um die Kluft zwischen den beiden Königreichen zu festigen und zu vertiefen, hatte Jerobeam, der Gründer des Königreichs Israel, der Sohn Nebats, einen äußerst listigen Plan ausgeheckt. Um ein Königreich errichten zu können, musste er auch eine Religion etablieren, denn wenn ein so wichtiges gemeinsames Band wie die Religion aufgelöst wird und die Menschen in Bezug auf die Religion gespalten sind, kann man in der Politik nicht auf sie zählen. Das ist gerade eine der großen Ursachen der politischen Schwäche im momentanen Zustand der Welt, denn es gibt keinen Zusammenhalt und folglich zerbrechen alle politischen Grundlagen in jedem Land und jeder Sprache. Die Notwendigkeit dafür war also offensichtlich. Jerobeam hatte mit der Errichtung der Ersatzreligion begonnen und Jehu keine Absicht sie aufzugeben. Er liebte das Königreich und seinen Platz darin. Er liebte es mehr als Gott, denn er war ein Mann, der nicht aus Gott geboren war. Und daher hatte sein offensichtlicher Eifer, woher auch immer er sich speiste, seine Grenzen. Mehr noch, sein Eifer scheiterte völlig, denn die Anbetung der Kälber wurde von Jehu immer noch aufrechterhalten. Unglaube ist niemals konsequent. Der Glaube mag scheitern, aber der Glaube verlangt nach Beständigkeit. Ohne Beständigkeit kann der Glaube nicht glücklich sein. Jehus Gewissen befand sich jedoch bei alledem nicht einmal in Übung. Jehu achtete nicht darauf, von ganzem Herzen im Gesetz des Herrn, des Gottes Israels, zu leben; denn er wich nicht von der Sünde Jerobeams, die die ganzen zehn Stämme zur Sünde verführte.

Die Konsequenz des Eigenwillens

Die Folge war, dass der Herrn ihn beurteilte. Seine relative Treue wurde von Gott anerkannt und bis zur vierten Generation sollten auf dem Thron Israels Könige aus dem Haus Jehus sitzen. Das Königreich Israel existierte nur vergleichsweise kurz, aber das Haus Jehu sollte darin vier Generationen lang herrschen. Auf diese Weise kam Gott zu seinem Ziel. Aber es sollte keine wirklich dauerhafte Linie geben, denn Jehu hatte kein wirkliches Gewissen gegenüber Gott gezeigt. Wie anders als David! In Davids Herz war es, dem Herrn ein Haus zu bauen, und der Herr muss den ersten Platz einnehmen: Der Herr würde David ein Haus bauen. Er würde es Davids Sohn überlassen, ihm ein Haus zu bauen. So legte Gott damals den Grundstein für eine dauerhafte Linie in Juda und nicht in Israel.

Aber wir haben hier ein bemerkenswertes Beispiel für die Regierungswege Gottes. Die Treue Jehus, soweit sie letztlich ging, brachte ihm ein gewisses Maß an Segen von Gott in dieser Welt ein. Selbst ein schlechter Mensch kann, wenn er in bestimmten Dingen treu ist, Gott gehören, und Gott wird niemals der Schuldner eines Menschen werden. Ist also die Treue eines Menschen lediglich für die Welt, so wird er auch in der Welt dafür belohnt. Jehu dachte jedoch überhaupt nicht an die Ewigkeit. In diesen Tagen begann der Herr also, Israel zu strafen. Es war klar, dass es keinen Segen geben konnte – keinen wirklichen, echten Segen. Jehu, der immer noch den Weg Jerobeams verfolgte, machte es unmöglich; und so endet seine Herrschaft.

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