Jesus Christus - mehr als ein König
Eine Auslegung des Matthäusevangeliums

VI. Der verworfene König und sein Weg zum Königreich in Herrlichkeit

Jesus Christus - mehr als ein König

Mit Vers 53 beginnt ein neuer großer Abschnitt, der in Kapitel 17 endet. In Kapitel 12 haben wir gelernt, dass das jüdische Volk gerichtet und zur Seite gestellt wird. In Kapitel 13 finden wir als Folge, wie sich das Königreich angesichts der Abwesenheit des Königs entwickelt. Kapitel 13,53 bis zum Ende von Kapitel 14 zeigt dann, dass der Herr noch immer der Segnende ist, der Jahwe des Psalms 132. Er ist auf dem Berg, um zu segnen und in den ewigen Segen einzuführen. Im 15. Kapitel lernen wir, welchen Stand das Volk Israel eigentlich hätte einnehmen sollen – und wo sie moralisch in Wirklichkeit standen. Im 16. Kapitel führt der Herr die Versammlung ein, bevor Er in Kapitel 17 das Königreich in Herrlichkeit vorstellt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den von Matthäus immer wieder aufgegriffenen Wechsel der Epochen des Handelns Gottes mit den Menschen.

In Kapitel 12 haben wir vor uns gehabt, dass das Volk Israel und ganz besonders die Führer des Volkes Jesus in höchstem Maß verunglimpft und damit auch verworfen haben. Sie haben Ihm vorgeworfen, im Namen Satans Dämonen auszutreiben. Auf diese Bosheit konnte Jesus nur antworten, indem Er sein Volk – für eine Zeit – verwarf. Das verdeutlicht Er dadurch, dass Er in Kapitel 13 in sechs Gleichnissen vom Königreich der Himmel zeigt, dass die Aufrichtung seines Königreichs in Macht und Herrlichkeit verschoben werden müsse.

Anstelle dieses herrlichen Reiches würde sein Königreich jetzt eine geheimnisvolle Gestalt annehmen. Der König, der noch auf der Erde war, würde in den Himmel zurückkehren und von dort aus dieses Königreich regieren. Seine Knechte hier auf der Erde würden an seiner Stelle stehen, aber nicht, um zu regieren, sondern um das Evangelium zu verkündigen und um Zeugen für Gott zu sein. Zugleich würde der verworfene Herr etwas ganz Neues schaffen – die Versammlung (Gemeinde, Kirche) Gottes (Kapitel 16).

In der Vollendung des Zeitalters würde der König dann seine Engel aussenden, um Gericht zu halten. Und dann würde Er auch als König wiederkommen, um sichtbar zu regieren (Kapitel 17). Diesen Punkt führt der Herr an dieser Stelle noch nicht weiter aus. Er zeigt in der Szene der Verklärung ein kurzes Bild davon; das Gericht selbst werden wir erst später in den Kapiteln 24 und 25 in einem weiteren, großartigen Panorama erklärt bekommen.

Einleitende Gedanken zu den Kapiteln 13,53–15,39

Zuvor aber zeigt der Herr Jesus noch Folgendes:

  1. Der schlimme und traurige Zustand des Volkes muss noch mehrfach sichtbar werden, damit niemand auf die Idee kommen kann, der Herr habe im Affekt gehandelt, als Er das Volk zur Seite stellte (13,53–58; 14,1–13).
  2. Der Herr würde nie ohne ein Volk hier auf der Erde sein. Wenn die Seinen Ihn verwarfen, wollte Er sich andere erwählen, die an Stelle seines Volkes hier Zeugen auf der Erde sein sollten. Das sind die Nationen (Kapitel 15) und das ist die Versammlung (Kapitel 16).
  3. Auch wenn das Volk den Herrn verwarf, würde Er es sich nicht nehmen lassen, wo immer es möglich war, Wunder der Gnade und Barmherzigkeit zu vollbringen.
  4. Nachdem der Herr am Ende von Kapitel 12 gezeigt hat, wer seine wahre Familie ist, und nachdem selbst seine Vaterstadt Ihn am Ende von Kapitel 13 verworfen hatte, zeigt Er, welcher Weg für „seine Familie“, die Seinen, zu beschreiten war, während der König in den Himmel zurückgekehrt sein würde.
  5. Vor diesem Hintergrund zeigt uns der Anfang des 14. Kapitels den Weg derer, die sich auf die Seite des verworfenen Herrn und Königs stellen. Herodes und sein Königtum des Abfalls von Gott sind Hinweise auf den Fürsten dieser Welt und sein satanisches System. Sie werden die Treuen verfolgen. So, wie Johannes als Herold des Königs ermordet wurde, würde auch Christus, der Messias, beseitigt werden. So bereitet der Herr seine Jünger auf die Zeit seiner Abwesenheit vor, in der sie als seine Nachfolger von der Welt und ihren Führern ebenso verfolgt würden.
  6. Diese Verse zeigen uns auch prophetisch, was am Ende passieren wird, wenn noch einmal ein falscher König herrschen wird – der Antichrist. Dann wird dieser genauso wie Herodes die wahren Jünger Jesu verfolgen.
  7. Immer wieder stellt uns Christus ein Panorama des Wechsels der Haushaltungen und seines Handelns in den verschiedenen Zeitperioden mit den Gläubigen vor, die jeweils auf unterschiedliche Weise von Ihm regiert werden.

Verse 53–58: Als Prophet in der eigenen Stadt verkannt

„Und es geschah, als Jesus diese Gleichnisse vollendet hatte, begab er sich von dort weg. Und er kam in seine Vaterstadt und lehrte sie in ihrer Synagoge, so dass sie sehr erstaunten und sprachen: Woher hat dieser solche Weisheit und die Wunderwerke? Ist dieser nicht der Sohn des Zimmermanns? Heißt nicht seine Mutter Maria, und seine Brüder Jakobus und Joseph und Simon und Judas? Und seine Schwestern, sind sie nicht alle bei uns? Woher hat nun dieser das alles? Und sie nahmen Anstoß an ihm. Jesus aber sprach zu ihnen: Ein Prophet ist nicht ohne Ehre, außer in seiner Vaterstadt und in seinem Haus. Und er tat dort nicht viele Wunderwerke wegen ihres Unglaubens“ (Verse 53–58).

Die Schlussverse dieses Kapitels zeigen, wie die Menschen der Heimatstadt unseres Herrn auf die Worte und das Wirken Jesu reagiert haben. Wenn wir den Bericht von Markus hinzuziehen (Mk 6,1–6), erkennen wir, dass der Herr schon nach der Heilung der Tochter des Jairus in seiner Heimatstadt diese Verachtung erleben musste (vgl. Mt 9,23–26). Bei Markus geht es darum, dass die Menschen den Dienst des vollkommenen Dieners ablehnten. Matthäus zeigt uns mehr, dass sie ihren Messias ablehnten, der in Wort und Tat zu ihnen gekommen war.

Anscheinend finden wir hier die zweite öffentliche Verwerfung des Herrn in seiner früheren Heimatstadt, wenn wir einmal von der ständigen Ablehnung des Herrn Jesus durch die Pharisäer und Schriftgelehrten absehen. Der Bericht in Lukas 4,16–30 scheint sich auf einen früheren Zeitpunkt im Dienst des Herrn zu beziehen als unser Text. Von Anfang an warf man Ihn aus der Mitte der Juden hinaus. Hier, nach Matthäus 13 und Markus 6, ist Christus offenbar nach Nazareth zurückgekehrt und erneut verworfen worden.

Obwohl Ihn die Juden abgelehnt haben und Er selbst sein eigenes Volk verwerfen musste, bemühte Er sich immer noch – bis ans Ende, ja sogar noch durch seine Diener in der Apostelgeschichte auch nach seinem Tod – um sein irdisches Volk. So lehrt Er sie in ihrer Synagoge. Von einer Synagoge Gottes ist keine Rede.

Trotz der Abneigung der Menschen lesen wir, dass die Worte des Herrn immer noch einen großen Eindruck machten. Das hatten wir schon in Matthäus 4,24 gesehen. Auch am Ende der Bergpredigt lesen wir: „Als Jesus diese Reden vollendet hatte, da erstaunten die Volksmengen sehr über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten“ (7,28.29). Immer wieder haben die Worte des vollkommenen Königs solche Eindrücke hinterlassen.

Christus – der Sohn des Zimmermanns

Aber was war die Folge dieser Eindrücke? Offenbar Neid und Missgunst. „Woher hat nun dieser das alles?“ Er hat doch keine Ausbildung und ist kein Gelehrter, sagten sie gewissermaßen. Sie wollten sich einfach nicht damit abfinden, dass einer der Ihren eben doch keiner von ihnen war, sondern jemand, der eine ganz andere Herkunft besaß. Sie neideten Ihm diese Stellung und dieses Charisma, auch diese Anerkennung vonseiten der Menschen. Alles das zeigt: Der König und sein Königreich werden in der Nähe und in der Ferne seines Heimatortes verworfen.

„Ist dieser nicht der Sohn des Zimmermanns?“ Was für eine Verachtung spricht aus diesen Worten! Sie wussten, dass Er nur der Sohn eines Zimmermanns war. Den kannten sie als einen einfachen, nicht beachtenswerten Menschen. Vermutlich war Joseph auch bereits gestorben, sonst würde man im zweiten Teil der Evangelien irgendeinen Hinweis zu seiner Person erwarten können.

Kann es auch sein, dass sie Ihn aus ihrem Land hinaustreiben wollten, weil sie wussten oder zumindest befürchteten, dass Er sie viel besser kannte, als wie sie Ihn zu kennen meinten – und das machte ihnen Angst? Er konnte in ihre Herzen sehen und sah dort den unbegründeten Hass. Ahnten sie, was für ein Urteil Er darüber und über sie selbst hatte?

Im Markusevangelium verspotten diese Menschen Jesus nicht nur angesichts seiner Abstammung, sondern auch wegen seines eigenen Berufes: „Ist dieser nicht der Zimmermann?“ (Mk 6,3). Was für eine Herablassung ist im Kontrast dazu die Tatsache, dass der Schöpfer des Universums sich bewusst dafür entschieden hat, in eine solch einfache Familie hineingeboren zu werden, um nicht Professor oder Schriftgelehrter, sondern schlicht Zimmermann zu werden! Wenn wir daran denken, dass Er ständig mit Holz gearbeitet hat – an ein Holz wurde Er gehängt! Dass Er ständig mit Nägeln gearbeitet hat – Nägel wurden durch seine Hände und Füße geschlagen! Von Beginn seines Arbeitslebens an wurde Er auch äußerlich immer wieder an sein Ende auf dieser Erde erinnert! Wir bewundern Ihn dafür.

Die Bewohner Nazareths wussten auch, dass seine Mutter und seine Brüder ganz einfache Leute waren, die sich in nichts von den anderen unterschieden.1 Das Verständnis dieser Menschen ging nicht über das hinaus, was das natürliche Herz wahrnehmen konnte. So erleben wir eine Geringschätzung, die diese Menschen zum Anlass nahmen, sogar Anstoß am Herrn Jesus zu nehmen. Dieses Wort bedeutet nicht, dass sie sich innerlich einfach über Ihn ärgerten. Sie nahmen Anstoß um den Preis ihres Lebens. Das heißt: Sie lehnten den Herrn als ihren König ab und gingen deshalb ewig verloren, weil sie damit den zurückwiesen, der zu ihrer Rettung gekommen war! So ernst ist es, wenn man sich gegen den Herrn Jesus stellt!

Der Prophet und seine Ehre

Jesus hat eine Antwort auf diese herablassenden und stolzen Fragen: „Ein Prophet ist nicht ohne Ehre, außer in seiner Vaterstadt und in seinem Haus.“ Selbst wenn ein Prophet vollkommen ist wie Christus, wird er in seiner Heimat abgelehnt. Die Menschen haben einen solchen Menschen von Kindesbeinen an gekannt. Sie wollen sich nicht damit abfinden, dass jemand ihresgleichen von dem großen Gott in besonderer Weise im Dienst benutzt wird. Es sind Neid und Missgunst, die hier eine große Rolle spielen. Denn warum soll ein anderer etwas Besonderes sein?

Ein Prophet, der zu einem Volk kommt, wird im Allgemeinen anerkannt. Aber man darf ihn nicht von Kindheit an kennen. Sonst wäre er ja „ganz normal“. So war das beim Herrn. Letztlich ist Er von allen abgelehnt worden, aber doch besonders von denen, die Ihn während seiner Jugendjahre umgeben hatten (vgl. Joh 7,5; Mk 3,21). Dazu gehörte auch seine Familie, seine Brüder. Das schmerzte unseren Retter! Aber Er nahm diese Verwerfung an. Auch darin sehen wir seine Vollkommenheit.

Auch in der christlichen Zeit erleben wir dieses Phänomen. Natürlich gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen Christus und uns. Er ist vollkommen – wir sind von Natur sündige Menschen. Bei uns können die Mitmenschen und auch die Christen manchen Schwachpunkt ausmachen, eine Vielzahl von Sünden aufzählen, die wir begangen haben. Aber ist es nicht so, dass ein Diener des Herrn oft mehr an anderem Ort und in anderem Land geschätzt wird als in der Heimat, wo man ihn von früher her kennt und wo ihm vielleicht Neid und Eifersucht entgegenschlagen, sicher auch seine Vergangenheit eine Rolle spielen mag? Wenn man die Berichte mancher Diener des Herrn liest und hört, stellt man fest, dass sich dieses Verhalten – leider – oft auch unter Gläubigen eingestellt hat.

Die Worte des Herrn haben, wie so oft in diesem Evangelium, auch eine Bedeutung im Hinblick auf die verschiedenen Haushaltungen. Wir haben am Anfang dieses Kapitels gesehen, dass der Herr Jesus „aus dem Haus hinausging und sich an den See setzte“. Dort war das Haus ein Sinnbild des Volkes und Systems Israel. So auch hier. Der Prophet war zu seinem eigenen Volk gekommen. Aber „sein Haus“, das Haus Israel, wollte Ihn nicht. Sie nahmen Anstoß an Ihm. Der Prophet Gottes besaß keine Ehre bei den Seinen, seinem eigenen Haus, denn Er war dort der Verworfene.

Die Folgen der Ablehnung

Der Herr muss aus dieser Ablehnung Konsequenzen ziehen: „Und er tat dort nicht viele Wunderwerke wegen ihres Unglaubens.“ Der Herr hätte so gerne gerade in seiner Heimat gewirkt. Er konnte es nicht. Es lag nicht daran, dass Er keine Kraft mehr für solche Wunder gehabt hätte. Die war bei Ihm immer vorhanden gewesen. Aber moralisch sah Er sich außerstande, weiter für die Menschen seiner Stadt tätig zu sein.

Markus zeigt uns, dass der vollkommene Diener überhaupt nicht mehr in dieser Umgebung wirken konnte, weil das Volk Ihn dort ablehnte (vgl. Mk 6,5). Dann spricht Markus von einigen, wenigen Ausnahmen, wo Er doch etwas in dieser „alten“ Umgebung wirken konnte. Matthäus zeigt uns mehr, dass die Aufgabenbreite des Königs von Gott deutlich eingeschränkt worden ist. Aber als König konnte Er seine Aufgaben nicht ganz einschränken lassen. Denn Er hatte die Macht, auch weiter zugunsten seines Volkes zu wirken. Wo immer es möglich war – wenn es auch nicht viele Wunderwerke waren – tat Er das. Es war der Unglaube des Volkes, der Ihn daran hinderte, mehr zu wirken.

Das ist auch heute nicht anders. Wo der Unglaube – besonders in ehemals christlichen Gebieten – dazu führt, dass das Evangelium nicht mehr offen verkündigt werden darf, wird Gott nicht zum Segen wirken können. Wenn in unserem Land sogar unter christlicher Flagge die biblische Lehre verworfen wird, sind die Kanäle des Segens verstopft. Aber das gilt auch für solche, die bekennen, an den Herrn Jesus zu glauben. Wo wir durch praktischen Unglauben geprägt sind, kann Gott nur wenig segnen.

So endet das Kapitel traurig. Am Anfang stand der Sämann, der Glauben bewirken wollte und bewirken konnte. Am Ende stehen die Menschen, die so in ihrem Unglauben verharren, dass sie ein weiteres Wirken des Sämanns begrenzen. Gott sei Dank – Christus hat sich in der Ausführung seines Auftrags nicht beirren lassen.

Die Gnade erschöpft sich nicht: Ein neuer Appell an die Juden (Mt 14)

Verse 1–13: Der falsche König (Herodes) verwirft den Vorläufer des wahren Königs

„Zu jener Zeit hörte Herodes, der Vierfürst, die Kunde von Jesus und sprach zu seinen Dienern: Dieser ist Johannes der Täufer; er ist von den Toten auferstanden, und darum wirken solche Kräfte in ihm. Denn Herodes hatte Johannes gegriffen, ihn gebunden und ins Gefängnis gesetzt, wegen Herodias, der Frau seines Bruders Philippus. Denn Johannes hatte ihm gesagt: Es ist dir nicht erlaubt, sie zu haben. Und er wollte ihn töten, fürchtete aber die Volksmenge, weil sie ihn für einen Propheten hielten. Als aber der Geburtstag des Herodes begangen wurde, tanzte die Tochter der Herodias vor ihnen, und sie gefiel dem Herodes; weshalb er mit einem Eid zusagte, ihr zu geben, was irgend sie erbitten würde. Sie aber, von ihrer Mutter angewiesen, sagt: Gib mir hier auf einer Schale das Haupt Johannes' des Täufers. Und der König wurde traurig, aber um der Eide und um derer willen, die mit zu Tisch lagen, befahl er, es zu geben. Und er sandte hin und ließ Johannes im Gefängnis enthaupten. Und sein Haupt wurde auf einer Schale gebracht und dem Mädchen gegeben; und sie brachte es ihrer Mutter. Und seine Jünger kamen herzu, hoben den Leichnam auf und begruben ihn. Und sie kamen und verkündeten es Jesus. Als aber Jesus es hörte, zog er sich in einem Schiff von dort zurück an einen öden Ort für sich allein“ (Verse 1–13).

In Kapitel 13 hat der Herr Jesus sein eigenes Königreich vorgestellt. In diesen Versen erfahren wir etwas von dem Königreich dieser Welt. Christus wird in dem Reich, das Ihm zusteht, hinausgeworfen. Das offenbart etwas von der Finsternis, die das weltliche Reich kennzeichnet.

In diesen Versen wird die Verwerfung des Herrn bestätigt. Denn der Mord an seinem Vorläufer und Herold bedeutet nichts anderes, als dass der Herr selbst ebenfalls verworfen ist. Wer seinen Vorläufer umbringt, wird nicht ruhen, bis er auch den König dieses Vorläufers beseitigt haben wird. Denn dieser ist der eigentliche Konkurrent um den Königsthron. Tatsächlich würde der Herr Jesus später noch mit dem bösen König Herodes zu tun haben. Dieser würde dann nicht die Macht besitzen, Jesus umzubringen. Aber geringschätzig behandeln konnte Herodes Ihn doch (vgl. Lk 23,11).

Herodes – ein Bild des Antichristen

Es handelt sich hier um Herodes Antipas, einen Sohn von Herodes dem Großen oder Herodes I., von dem wir in Matthäus 2 bereits gelesen haben. Dieser war kurz nach dem Kindermord, als er versucht hatte, auch Jesus umbringen zu lassen, unter großen Schmerzen gestorben. Sein Königreich wurde danach aufgeteilt und von sogenannten „Tetrarchen“2 regiert. Einer von ihnen war nun sein Sohn Herodes Antipas, dessen Herrschaftsgebiet Galiläa und Peräa umfasste. Er ist ein „leuchtendes“ Vorbild vom Antichristen, dem falschen König (das zweite Tier in Offenbarung 13). Während wir jedoch meistens Vorbilder im Blick auf das religiöse Handeln des Antichristen finden, ist Herodes mehr ein Bild von dem Antichristen in seiner politischen Macht und Falschheit. Auf diese Weise finden wir diesen bösen Menschen vor allem im Alten Testament vorhergesagt, während er im Neuen Testament als Ergänzung zum weltlichen Machthaber, dem Römischen Kaiser der Endzeit (das erste Tier in Offenbarung 13), vor allem als religiöses Oberhaupt in Erscheinung tritt. Es ist der Mann, der gegen Christus handelt, indem Er dessen Platz für sich beansprucht und sogar einnimmt. Der Herr spricht von diesem Menschen in Johannes 5: „Ich bin in dem Namen meines Vaters gekommen, und ihr nehmt mich nicht auf; wenn ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr aufnehmen.“ (Vers 43). Wir sehen in diesen Versen aber auch, was sich nach der endgültigen Verwerfung des Herrn, die sich in dem Kreuz auf Golgatha widerspiegelt, auf der Erde abspielen sollte. Das heißt, dass wir in die Zeit blicken, in der das neue Zeitalter begonnen hat. Das Königreich der Himmel besitzt dann die geheimnisvolle Gestalt mit dem verworfenen König im Himmel. Das würde Satan ausnutzen und dafür sorgen, dass andere Könige auf der Erde das Sagen bekommen: die „Herodes dieser Welt“. Tatsächlich finden wir nicht von ungefähr, dass in der Apostelgeschichte ein Neffe dieses Herodes und damit ein Enkel von Herodes dem Großen gegen die Christen aufstehen würde. Von Anfang an war „das Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam“ (2. Thes 2,7). Diese Gesetzlosigkeit wird ihre volle Offenbarung finden, wenn der Antichrist offenbart ist. Bis dahin sehen wir die Vorboten dieser Gesetzlosigkeit in geheimnisvoller, das heißt nicht offener Form, tätig. Satan hat nämlich von Anfang an seine Leute gegen Christus in Stellung gebracht. Und wie viele Johannes gab es nach Johannes dem Täufer, die dessen „Schicksal“ als Gefangene teilten.

Wie das Volk, so der König

Wenn wir wissen wollen, warum das Volk Christus verwarf und warum dann Christus das Volk zur Seite stellen musste, müssen wir uns diesen König anschauen. Gerechte warf er ins Gefängnis. Den Willen von Gottlosen erfüllte er. Er fürchtete die Menschen – nicht Gott. Und er ließ sich von seinen Gefühlen und Begierden treiben. Das war der Zustand des Volkes, dem er vorstand. Dabei gilt folgendes Sprichwort: Ein Volk bekommt den König, den es verdient. So repräsentiert dieser gottlose König ein gottloses Volk.

Es sind die beiden Grundarten der Sünde, die wir bei Herodes wiederfinden. In 1. Mose 6,11 lesen wir: „Und die Erde war verdorben vor Gott, und die Erde war voll Gewalttat.“ Verdorbenheit und Gewalttat sind die Kennzeichen dieser Welt und der Sünde überhaupt. Sie werden hier zum Kennzeichen von Herodes und damit des Volkes Israel. Dieser Mann findet Gefallen am Tanz seiner Tochter, was zum Mord an Johannes dem Täufer führt. Das ist nichts anderes als Gewalttat! Beides finden wir beim Volk der Juden in der damaligen Zeit wieder. Seine Verdorbenheit wird durch falsche Lehren und falsche Moral immer wieder deutlich gemacht. Und die Gewalttat gipfelt in dem Mord am Herrn Jesus.

Der Prophet, der seinen Herrn darstellte

Herodes hörte von den Zeichen, die der Herr Jesus getan hatte. Auch wenn Johannes der Täufer wohl kein einziges Zeichen vollbracht hat, erinnerte Herodes die Kunde von Jesus an diesen treuen Mann. Denn – und das lesen wir erst hier – er hatte Johannes umbringen lassen. Von diesem treuen Propheten hatten wir in Matthäus 3 gelesen, dass er als Vorläufer des Herrn Buße predigte und taufte und dann den Herrn Jesus als König in Israel einführen wollte. In Kapitel 11 haben wir gefunden, dass Johannes nur eine ganz kurze Zeit öffentlich dienen konnte, weil er ins Gefängnis geworfen wurde. Hier in Kapitel 14 erfahren wir nun, was Anlass für diese Gefangennahme war. Aber sein Dienst war so eindrucksvoll, dass die Nachricht von Jesus sofort mit dem Dienst von Johannes verbunden wurde. Die Frage, die sich an uns richtet, ist, ob man unseren Dienst auch direkt mit der Person und dem Werk des Herrn Jesus in Verbindung bringen würde.

Wir wissen nicht, in welcher Weise Herodes und die Herodianer dem jüdischen Glauben anhingen. In Markus 8,15 lesen wir, dass der Herr Jesus vom Sauerteig des Herodes spricht. Das zeigt den verderblichen Charakter von Herodes und seinen Nachfolgern. Da die Herodianer häufiger zusammen mit den Pharisäern als mit den Sadduzäern auftreten, ist nicht auszuschließen, dass sie tatsächlich eine Auferstehung der Toten für möglich hielten (vgl. Kap. 22,23). Jedenfalls schlug das Gewissen dieses Königs, als er vom Herrn Jesus hörte. So sehr war er offenbar betroffen, dass er dachte, Johannes der Täufer sei von den Toten auferstanden. Das ist schon ein bemerkenswertes Wort, denn eine Auferstehung aus den Toten war nur in Verbindung mit besonderen Auferweckungen (durch Elia bzw. Elisa) bekannt – und so etwas hätte sich im Blick auf Johannes sicher sehr schnell herumgesprochen.

Zudem war Herodes durchaus kein zimperlicher Mann. Er dürfte beispielsweise von den Mordplänen seines Vaters gewusst haben, als dieser versuchte, Jesus als kleines Kind auszurotten. Er selbst war ebenfalls ein hartgesottener Mensch. Wieso ließ er sich hier auf einmal so beeindrucken? Offenbar traf die Nachricht von Jesus, der zwar in seiner Heimatstadt verachtet wurde, den „Nerv“ mancher Menschen in der Ferne. Sogar ein abgestumpftes Gewissen wie das von Herodes ist auf einmal beunruhigt, obwohl er zu einem Geschlecht gehört, dass Auferstehungen eigentlich für unmöglich hielt. Herodes Agrippa II., ein Verwandter, musste sich einmal die Frage von Paulus anhören: „Warum wird es bei euch für unglaubhaft gehalten, wenn Gott Tote auferweckt?“ (Apg 26,8).

Matthäus – wie auch Markus und Lukas – nimmt diese Gelegenheit zum Anlass, um über die Ermordung von Johannes zu berichten. Der Herr schätzte die Treue dieses Mannes so sehr, dass wir von seinem Tod einen dreifachen Bericht finden. Er starb als Märtyrer.

Der wahre Charakter von Herodes

Herodes hatte die Frau seines Bruders, wahrscheinlich Herodes Boethos, auch Herodes Philippos I. genannt, genommen. Dieser Bruder hatte offenbar kein Herrschaftsgebiet erhalten und ist also nicht der gleichnamige Vierfürst. Johannes der Täufer hatte Herodes ernstlich bezeugt, dass Herodes, der selbst verheiratet war, durch diese Tat (doppelten) Ehebruch beging. Diese Anklage wollte Herodes nicht auf sich sitzen lassen und nahm Johannes daher gefangen, wahrscheinlich in der Bergfestung Machärus, die sich östlich des Toten Meeres im heutigen Jordanien befindet.

Man kann in Bezug auf diese Situation einen Vergleich mit David ziehen. Auch zu David kommt einmal ein Prophet, nämlich Nathan, der ihm seinen Ehebruch mit Bathseba vorhalten muss. Durch eine derartige Botschaft setzten Propheten sehr oft ihr Leben aufs Spiel. So war es bei Johannes dem Täufer. Wie aber reagiert David? Er beugt sich vor seinem Gott, bekennt seine Sünde und ist innerlich am Boden zerstört, so dass Gott ihm wieder Gnade schenken kann. Nicht so Herodes. Sein Gewissen war zweifellos getroffen. Aber bei ihm sehen wir weder Reue noch Umkehr.

Besonders scharf reagierte die Frau von Herodes – Herodias – auf den Vorwurf von Johannes. Daher lesen wir in Markus 6,19, dass sie diese Anklage nicht auf sich sitzen lassen wollte. So trieb sie ihren Mann an, Johannes zu töten. Matthäus, der von dem wahren König schreibt, zeigt uns hier, dass der falsche König selbst für diese Tötungsabsicht verantwortlich war, auch wenn seine Frau dahinter steckte, wie Markus berichtet. Denn Herodes machte sich diese Wut seiner unrechtmäßigen Frau zu eigen. – Wir sollten nicht übersehen, dass wir heute in einer Zeit leben, in der eine vergleichbare öffentliche Anklage zwar nicht mit dem Tod, wohl aber mit einer gerichtlichen Verurteilung geahndet werden kann, auch und gerade in einem scheinbar so christlichen Land wie Deutschland.

Herodes im Licht der Schrift

Herodes wurde nicht durch sein Gewissen davon abgehalten, Johannes zu töten. Man kann hier sicher die Worte des Herrn an Nikodemus anführen: „Dies aber ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Denn jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht bloßgestellt werden.“ (Joh 3,19.20). Man kann auch Worte der Söhne Korahs auf diesen Mann anwenden, die wir in Psalm 49 finden: „Doch der Mensch, der in Ansehen ist, bleibt nicht; er gleicht dem Vieh, das vertilgt wird. Dieser ihr Weg ist ihre Torheit ... Man legt sie in den Scheol wie Schafe, der Tod weidet sei; und am Morgen herrschen die Aufrichtigen über sie; und ihre Gestalt wird der Scheol verzehren, fern von ihrer Wohnung.“ (Ps 49,13–15) Diese Könige werden wie Tiere beschrieben, so wie sich Herodes von seinen Trieben leiten ließ. Auch er wurde vertilgt – und was ist ihm geblieben von seiner Ehre?

Im Markusevangelium lesen wir, dass Herodes Respekt vor diesem Mann hatte, den er für gerecht und heilig hielt. Aber er hatte keine Kraft gegen die Sünde, da er sie letztlich liebte, „denn von wem jemand überwältigt ist, diesem ist er auch als Sklave unterworfen“ (2. Pet 2,19). Matthäus stellt diesen Mann in seinem eigentlichen Charakter seiner Königsherrschaft dar. Er besaß keine Lebensprinzipien, keine bleibenden Werte – im Gegensatz zu Christus, der sich und seinem Wesen immer treu blieb. Herodes wollte Johannes töten, während der Herr den Jüngern angesichts der Volksmenge gesagt hatte, selbst die eigenen Feinde zu lieben.

Herodes fürchtete die Volksmenge – der Herr lebte vor seinem himmlischen Vater, wie Er es den Jüngern in Matthäus 6 auch aufgetragen hatte. Er tat das, was der Vater wollte, auch wenn es Ihn selbst den Tod kostete. Von einer Geburtstagsfeier des Herrn lesen wir überhaupt nichts, geschweige denn davon, dass Er auf leichtsinnige Weise einen Eid aussprach, wie Herodes es hier tat. Hatte der Herr in der Bergpredigt nicht deutlich vor dem Schwören gewarnt?

Die treibende Kraft bei Herodes

Herodes, der falsche König, lässt sich von seinen Augen leiten. Ihm gefällt der Tanz der „Tochter der Herodias“ (Vers 6; wie exakt ist übrigens auch hier wieder Gottes Wort: Sie war nicht seine Tochter, denn sie stammte aus der ersten Ehe seiner zweiten Frau.) Vorher ließ er sich von Menschenfurcht leiten (Vers 5) – deshalb handelte er nicht nach seinen Überzeugungen. Jetzt lässt er sich von seinen Gefühlen leiten (Vers 7), so dass er schwört, dem Mädchen zu geben, was auch immer sie erbitten würde. Aus Vers 9 können wir sogar schließen, dass Herodes von der Tochter seiner Frau derart fasziniert war, dass er nicht nur einmal diesen Schwur ausspricht. Wie warnt uns das davor, unsere Emotionen zu den Beherrschern unserer Worte und unseres Lebens zu machen. Und als nach diesem freigiebigen Angebot des Herodes dessen eigene Frau die Tochter instrumentalisiert und von ihm den Kopf des Johannes fordert, handelt er gegen seine eigenen, allerdings verborgenen Überzeugungen. So setzte sich seine Frau gegen ihren eigenen Mann durch, auch wenn sie wusste, dass er eine gewisse Achtung vor Johannes hatte. Aber wie in manchen anderen Fällen, die in der Schrift genannt werden, war auch hier der Mann schwächer als die Frau.

Als er diese grausame Forderung vernahm, war es wieder Menschenfurcht, die ihn dazu brachte, seinem Schwur zu entsprechen und Johannes tatsächlich enthaupten zu lassen. Obwohl sich das Mädchen wohl schon an manche Brutalität gewöhnt hatte, kann man sich nicht vorstellen, dass sie nicht einen Ekel angesichts des abgeschlagenen Kopfes empfand. Dieses Bild muss sie während ihres ganzen Lebens verfolgt haben: der ungerechte Mord an einem Gerechten, den sie und ihre Mutter verlangt hatten.

Die Jünger von Johannes

„Und seine Jünger kamen herzu, hoben den Leichnam auf und begruben ihn.“ Noch einmal lesen wir hier von den Jüngern des Johannes. Offenbar war er ein solch beeindruckender Mann, dass es noch immer Jünger von ihm gab, auch wenn er schon länger im Gefängnis saß und von Anfang an die Menschen auf den Herrn Jesus hinwies und zu Ihm führte. Selbst in Apostelgeschichte 19 lesen wir noch von Jüngern des Johannes. Zeigt uns das nicht etwas von der Treue dieses heiligen Propheten Gottes?

Wir lernen an dieser Stelle, dass es Gottes Wille ist, dass ein Gestorbener begraben wird. Diese Jünger zeigten Respekt vor der Person von Johannes, indem sie ihn – das ist seinen Leib – begruben. Sie hatten keine Angst, wie wir das später auch bei Nikodemus und Joseph von Arimathia in Bezug auf den Herrn Jesus finden. Genau wie ihr Meister fürchteten sie nicht die Verfolgung vonseiten des Herodes.

Am Anfang des Kapitels haben wir gelesen, dass die Nachricht der Taten Jesu zu Herodes kam. Seine Reaktion war, dass sein Gewissen schlug, ohne dass es nachhaltige Auswirkungen auf ihn gehabt hätte. Lukas berichtet davon, dass er Jesus sehen wollte. Aber er wollte nicht umkehren von seinen bösen Taten.

Jetzt lesen wir, dass die Nachricht von der Ermordung des Johannes zu Jesus kam. Die Jünger dieses treuen Propheten haben sich die richtige Adresse für ihre Mitteilung gesucht. Wer, wenn nicht Er, konnte sie in vollkommener Weise trösten? Und wie reagiert der Herr?

Die Reaktion Jesu auf die Ermordung des Johannes

„Als aber Jesus es hörte, zog er sich in einem Schiff von dort zurück an einen öden Ort für sich allein.“ Der Herr empfand, dass hier nicht nur ein treuer Mann verworfen und ermordet wurde. Er wusste, dass diese Ermordung ein Vorbote seiner eigenen, endgültigen Verwerfung durch das Volk darstellte. Die Schatten des Kreuzes zeichneten sich immer deutlicher ab. Denn wenn die Juden den Vorläufer des Königs hassten, wie viel schlimmer würde sich dieser Hass gegen den wahren König richten. Das sagt der Herr Jesus später einmal ausdrücklich: „Ich sage euch aber, dass Elia schon gekommen ist, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm getan, was irgend sie wollten. Ebenso wird auch der Sohn des Menschen von ihnen leiden. Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes dem Täufer zu ihnen sprach.“ (Mt 17,12.13). Natürlich – Er war gekommen, um das Werk der Erlösung zu vollbringen. Und es ist auch wahr, dass Er als der ewige Gott längst wusste – ja schon zuvor wusste –, was auf Ihn zukommen würde. Er wusste auch, dass Johannes ermordet werden würde und dass er jetzt ermordet worden war. Aber nun hörte Er es durch diese Boten – und Er zog sich zurück. Kein Wort des Gerichts oder des Zornes Gottes kam über die Lippen dessen, der als der Sohn des Menschen jedes Recht dazu gehabt hätte. Er erduldet alles als der Stumme, der einmal wie ein Lamm zur Schlachtung geführt werden sollte.

Aus Markus 6,30 wissen wir, dass diese Mitteilungen mit der Rückkehr der Jünger von ihrer Wunder-Predigt-Mission zusammenfielen. Dort lernen wir, dass der Herr seinen Jüngern beibringen muss, dass es nicht auf äußere Wunderwerke ankommt, sondern dass die stille Gemeinschaft mit dem Vater letztlich das ist, was zählt. Denn als der vollkommene Diener bildet der Herr – passend zum Markusevangelium – seine Jünger hier im Dienst für Gott aus. Sie müssen lernen, zu sein wie ihr Meister.

Matthäus aber zeigt uns, dass sich der Herr in dem tiefen Bewusstsein, was auf Ihn selbst zukommen würde, zurückzog, um für sich allein zu sein. Dort in der Stille hat Er sicherlich im Gebet mit seinem Vater geredet. Er lehnte sich nicht gegen seine Verwerfung auf, sondern nahm sie aus der Hand des Vaters, der Ihn gesandt hatte. Aber diese Worte zeigen uns auch, dass die Welt für das Herz des Herrn Jesus nichts hatte.

Matthäus berichtet uns immer wieder, dass der Herr Jesus allein war bzw. sich zurückzog, um allein zu sein (vgl. z.B. auch Vers 23; 24,3). Das war der „Ort“, wo der von Gott gesandte Messias die Gemeinschaft mit seinem Vater pflegen konnte.

Verse 13.14: Der Verworfene verwirft nicht das Schwache

„Und als die Volksmengen es hörten, folgten sie ihm zu Fuß aus den Städten. Und als er ausstieg, sah er eine große Volksmenge, und er wurde innerlich bewegt über sie und heilte ihre Schwachen.“ (Verse 13.14).

Die Ruhe währte nicht lange, weil die Volksmengen sofort hörten, wo sich der Herr aufhielt. Und wieder stand der Herr seinem Volk zur Verfügung, obwohl es Ihn so deutlich abgelehnt hatte. Was für eine Barmherzigkeit und was für eine Selbstlosigkeit spricht aus diesem Handeln unseres Meisters! Er hatte Erbarmen mit denen, die „erschöpft und hingestreckt waren wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36).

Aber Christus stand seinem Volk nicht nur zur Verfügung. Er war innerlich bewegt und heilte die Schwachen, die offensichtlich krank daniederlagen. Das ist der wahre Messias – der König, der sich nicht um seine Ehre, sondern um die Armen und Geplagten seines Volkes kümmerte. Die Gleichgültigkeit Nazareths und die Bosheit des Herodes hatten Christus nicht verändert! Er erfüllte damit die prophetischen Worte aus Psalm 40: „Ich habe die Gerechtigkeit in der großen Versammlung verkündet; siehe, meine Lippen hemmte ich nicht – Herr, du weißt es! Deine Gerechtigkeit habe ich nicht im Innern meines Herzens verborgen; deine Treue und deine Rettung habe ich ausgesprochen, deine Güte und deine Wahrheit nicht vor der großen Versammlung verhehlt.“

Trotz des Widerstands blieb der Herr auf dem Weg, den sein Vater Ihm gesagt hatte. Der falsche König und die falschen Hirten lassen die Armen und Kranken liegen (vgl. Hes 34,4.21). Der Christus wird zwar von den Starken verachtet und verworfen, Er selbst aber gibt die Armen und Schwachen nicht auf. Bis zuletzt kümmert Er sich um sie, um ihre Herzen für Gott zu gewinnen.

Dass es Christus vor allem um ihre Seele und ihr Herz ging, lernen wir aus Markus 6,34. Dort ist von den Heilungen keine Rede, wohl aber von seinem Predigen. Der Herr hat sicher beides getan. Aber Matthäus zeigt uns mehr – in Übereinstimmung mit dem Thema seines Buches –, dass der Herr als Messias für sein Volk wirkte. Markus zeigt uns, dass der vollkommene Diener sah, was für diese Menschen besonders notwendig war: Sie hatten die Botschaft Gottes nötig. So predigt Er.

Verse 15–21: Ein Wunder der Gnade für sein Volk

„Als es aber Abend geworden war, traten die Jünger zu ihm und sprachen: Der Ort ist öde, und die Zeit ist schon vergangen; entlass die Volksmengen, dass sie hingehen in die Dörfer und sich etwas zum Essen kaufen. Jesus aber sprach zu ihnen: Sie haben nicht nötig wegzugehen; gebt ihr ihnen zu essen. Sie aber sagen zu ihm: Wir haben nichts hier als nur fünf Brote und zwei Fische. Er aber sprach: Bringt sie mir her. Und er befahl den Volksmengen, sich auf dem Gras zu lagern, nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte auf zum Himmel und segnete sie; und er brach die Brote und gab sie den Jüngern, die Jünger aber gaben sie den Volksmengen. Und sie aßen alle und wurden gesättigt. Und sie hoben auf, was an Brocken übrig blieb, zwölf Handkörbe voll. Die aber aßen, waren etwa fünftausend Männer, ohne Frauen und Kinder“ (Verse 15–21).

Ein prophetischer Überblick

Die drei nun folgenden Begebenheiten – die Speisung, die Schifffahrt und der anschließende Segen in der Gegend Genezareths – zeigen uns nicht nur die Macht und Güte unseres Herrn und Retters. Sie belehren uns, ganz im Charakter dieses Evangeliums, über das Handeln des Messias-Gottes mit den Seinen.

Zuerst gibt der Evangelist uns, aber besonders dem Volk Israel damals, eine prophetische Schau auf das Handeln Gottes durch seinen Messias mit seinem irdischen Volk. Wenn sie Ihn angenommen hätten, wäre der machtvolle Segen ihre damalige direkte Zukunft gewesen. Zugleich zeigt der Herr, dass Er zwar sein Volk beiseitesetzen musste, es aber nie aufgegeben hatte, solange seine eigene Verwerfung nicht endgültig durch die Kreuzigung ausgeführt und auch der nachträgliche Zeuge des Geistes Gottes, Stephanus, ermordet worden war.

Als das jedoch geschehen war, musste der Herr sein Volk zur Seite stellen. Das sehen wir bildlich in der nun folgenden Szene. Er „entlässt“ sein Volk und dringt darauf, dass seine Jünger – ein Hinweis auf die gläubigen, jüdischen Übriggebliebenen – in ein Schiff steigen, um an das gegenüberliegende Ufer zu fahren. Der Herr ist nicht bei ihnen, sondern auf dem Berg, was darauf hin deutet, dass Er jetzt im Himmel ist. Sie befinden sich auf dem See, also noch auf der Erde, und müssen sozusagen ohne Ihn durch die Schwierigkeiten der Zeiten gehen. Aber nach großen Nöten und Wellen – ein Hinweis auf die große Drangsalszeit (vgl. Mt 24,21) – wird Er wieder zu seinem Volk kommen. Dann, wenn Er zu seinem Volk gekommen ist, hören die Verfolgungen und Prüfungen sofort auf.

Aber der Herr kommt nicht allein – Er bringt Petrus mit, der zuvor aus dem Schiff ausgestiegen ist. Petrus ist hier ein Bild von der Versammlung, die zu Christus in die Herrlichkeit entrückt wird, bevor Er wieder sichtbar auf diese Erde kommt. Denn sie wird zusammen mit Christus auf die Erde zurückkommen (vgl. 1. Thes 3,13).

Was wird die Folge seines Wiederkommens sein? Zunächst Ruhe für sein Volk, dann aber auch Segen für die ganze Erde. Davon sprechen die letzten drei Verse dieses Kapitels.

Das einzige Wunder, das in allen Evangelien berichtet wird.

Die Speisung der 5.000 Männer zuzüglich Frauen und Kinder ist das einzige Wunder, das uns in allen vier Evangelien berichtet wird. Wir wissen, dass die Gefangennahme des Herrn, die Verhöre, die Kreuzesleiden, der Tod und die Auferstehung in allen vier Evangelien einen breiten Raum einnehmen. Von den Taten des Herrn aber wird ansonsten immer nur in bestimmten Evangelien berichtet. Daher dürfen wir schließen, dass in dieser Begebenheit, die viermal erzählt wird, eine ganze besondere Bedeutung liegt.

In der Einleitung hatten wir schon gesehen, dass jedes Evangelium einen bestimmten Plan, eine besondere Zielrichtung hat. So dürfen wir nicht meinen, dass die Speisung der 5.000 in allen vier Evangelien mit derselben Botschaft verbunden wird. Und dennoch gibt es eine Grundaussage in diesem Wunder, die bei allen Evangelisten dieselbe ist. Gott ist zu seinem Volk gekommen, um diesem sowohl die äußerlichen als auch die innerlichen Bedürfnisse zu stillen.

Worin liegen nun die Unterschiede in den vier Evangelien? Wenn man beispielsweise die Person unseres Retters in diesem Wunder betrachtet, so wird Er im Matthäusevangelium als Messias gezeigt, der dem Bedürfnis seines Volkes vollkommen zu begegnen weiß, zugleich aber seine Jünger als seine Untertanen im Königreich in die Pflicht nimmt, sich um das Wohl der Menschen zu kümmern (Mt 14,16). Im Markusevangelium sehen wir Ihn mehr als den vollkommenen Diener, der seine Jünger anhand dieses „Falles“ zu besseren und einsichtsvolleren Dienern erziehen will, damit sie lernen, wie man die Bedürfnisse anderer stillt, denn der Herr fordert seine Jünger immer wieder auf, tätig zu werden und nach den Broten zu sehen (Markus berichtet uns ausführlicher über die Unterhaltung des Herrn mit seinen Jüngern, Mk 6,35–38).

Im Lukasevangelium finden wir Ihn als den vollkommenen Menschen, der die Bedürfnisse der Menschen aus eigener Erfahrung als Mensch kennt. Diesen Bedürfnissen entspricht Er im Aufblick zu seinem Gott und in Abhängigkeit von Ihm. Lukas gibt den kürzesten Bericht (nur 6 Verse berichten über diese Begebenheit), weil bei ihm die Fürsorge im Mittelpunkt steht.

Im Johannesevangelium schließlich finden wir das vom Himmel gekommene Wort Gottes, Christus Jesus, den Sohn des Vaters, der selbst alles in die Hand nimmt und den Bedürfnissen der Volksmenge auf göttliche Weise begegnet. Der Herr selbst fordert die Jünger auf, sich um die Versorgung zu kümmern – Er muss nicht von seinen Jüngern daraufhin angesprochen werden (Joh 6,5). Diese Art der Betrachtung könnte man in gleicher Weise auf die Sicht der Jünger, der Volksmenge und der Umstände in allen vier Evangelien anwenden.

Abend

In Vers 15 lesen wir, dass es Abend geworden war. Diese Beschreibung der Tageszeit hat wohl gerade im Matthäusevangelium eine über die Zeitangabe hinausgehende Bedeutung. Der Herr hatte sich wiederholt an das Volk gewandt, um diesem im Hinblick auf die irdischen Bedürfnisse zu helfen. Aber das Volk wollte nicht. Selbst dann, wenn Christus Wunder auf Wunder getan hat, ließ dieses Wohltun die Herzen der Menschen kalt.

So glich das Volk dem Pharao, von dem Jeremia sagt: „Man rief dort: Der Pharao, der König von Ägypten, ist verloren; er hat die bestimmte Zeit vorübergehen lassen.“ (Jer 46,17) Das Volk hatte die von Gott gegebene Zeit verstreichen lassen, ohne Buße zu tun. So war es Abend geworden, und der Herr muss sich bald von seinem Volk abwenden. Nacht und Wüste – das sind Kennzeichen des Zustands Israels, übrigens bis heute. Leider müssen wir hinzufügen, dass dies inzwischen auch der Zustand der „christlichen Welt“ ist, wie wir sie heute kennen.

Wir bewundern unseren Herrn, dass Er noch einmal zugunsten seines Volkes tätig wird, bevor die Nacht anbricht. Aber auch das hat letztlich nichts genutzt. Für das Volk würde jetzt eine Nacht kommen, die erst mit der Erscheinung der Sonne der Gerechtigkeit (vgl. Mal 3,20) ein Ende finden wird. Viele Gerichte stehen für dieses Volk noch aus.

Die Gleichgültigkeit und Hilflosigkeit der Jünger

Die Jünger erkennen, dass es ein Problem gibt. Denn die Volksmenge war den ganzen Tag bei Jesus gewesen – und wie sollten sie jetzt am Abend ihren Hunger stillen? Dabei müssen wir bedenken, dass sie ihren Meister wohl bei seiner heilenden und rettenden Arbeit unterbrechen – vielleicht auch bei seinem Predigen, von dem wir im Markusevangelium lesen. Sie denken, sehr menschlich und vielleicht sogar in einer gewissen Fürsorge, dass die Leute ja irgendwie und irgendwann etwas essen müssen. Aber bei der Lösung dieses Problems beziehen sie ihren Herrn in seiner Allmacht nicht mit ein.

Für sie gibt es daher nur einen Ausweg: Diese Menschen sollten schleunigst nach Hause laufen. Wir müssen wohl nicht nur nach europäischem Standard davon ausgehen, dass die Volksmengen viel zu spät angekommen wären, um noch irgendetwas kaufen zu können. Dass der Herr allein in der Lage war, diese Menschen zu sättigen, kam ihnen keine Sekunde lang in den Sinn. Ob das bei uns immer so anders ist ...?

So zeigt der Vorschlag der Jünger einerseits ihre Hilflosigkeit, andererseits aber auch ihre Rücksichtslosigkeit. Wie wenig waren die Herzen der Jünger in die Allgenugsamkeit der Gnade eingegangen, die in dem Herzen des Herrn Jesus vorhanden war. Hatten sie denn gar nichts von ihrem Meister gelernt, der sich immer wieder gerade um das Schwache seines Volkes kümmerte? Die Jünger hatten kein Herz der Fürsorge für diese Menschen, worin wir ihnen so oft gleichen. Weg von Jesus sollten die Menschen gehen; was für ein Vorschlag der Jünger! Ihnen war es offenbar egal, ob sie „auf dem Weg verschmachten“ (vgl. Mk 8,3). Hauptsache, sie mussten sich nicht um das Problem kümmern. Ihr Motiv war nicht, den Herrn zu entlasten, sondern diese Schwierigkeit loszuwerden.

Damit sind sie bei ihrem Herrn jedoch an der falschen Adresse! „Jesus aber sprach zu ihnen: Sie haben nicht nötig wegzugehen; gebt ihr ihnen zu essen.“ Damit zeigt der Herr seinen Jüngern die Ursache des Problems auf. Sie hatten für diesen Fall nicht vorgesorgt. Aber der Messias lässt sie nicht aus der Verantwortung heraus. Immer wieder zeigt Er ihnen im Verlauf dieser Geschichte, dass Er lieber ein geringeres Wunder täte, nur um sie einzubeziehen und in die Pflicht zu nehmen – denn natürlich hätte Er auch aus dem Nichts heraus schaffen können.

Gebt ihr ihnen zu essen – das ist auch die Aufforderung, die der Herr heute an uns richtet. Die Seinen haben geistliche Speise nötig. Dafür möchte Er uns gebrauchen. Niemanden von seinen Jüngern lässt Er hier aus. Er spricht nicht zu Petrus und Johannes allein, Er wendet sich an alle. So auch heute. Und dasselbe gilt für die Bedürfnisse der Ungläubigen. Niemanden lässt Er außen vor. Wir alle stehen in der Verantwortung, die richtige Speise zur richtigen Zeit parat zu haben.

Vielleicht sind wir manchmal geneigt, im Unterschied zu den Jüngern auf unsere Kräfte und Fähigkeiten zu vertrauen. Da dürfen wir von den Jüngern lernen, dass wir selbst zu gar nichts in der Lage sind. Was haben wir schon dem Herrn anzubieten?

Den Herrn kennenlernen

Die Jünger sind ehrlich: „Sie aber sagen zu ihm: Wir haben nichts hier als nur fünf Brote und zwei Fische.“ Aber ist das wirklich nichts? Die Beurteilung, dass diese fünf Brote und zwei Fische nichts sind, ist menschlich und in Anbetracht der weit über 5000 Menschen sicher rational. Aber wir dürfen nicht menschlich denken, wenn es um den Herrn, seinen Segen und um (geistliche) Nahrung geht. Es bleibt wahr, dass wir nüchtern sein müssen und auch unsere eigenen Kräfte nicht überschätzen dürfen. Der Herr hat uns einen Verstand und die Fähigkeit zu logischem Denken auch nicht gegeben, damit wir diese über Bord werfen. Aber Gott weist uns immer wieder darauf hin, dass der (persönliche) Glaube Mauern überwinden kann, die eigentlich unüberwindbare Hindernisse darstellen.

Kannten denn die Jünger nicht mehr die Wunder, die der Herr Jesus schon vollbracht hatte? Kannten sie nicht die Wunder, die im Alten Testament gewirkt worden waren? Gott wirkte durch Elia, dass das Mehl im Topf nicht ausging und das Öl im Krug nicht abnahm (vgl. 1. Kön 17,16). Durch Elisa hatte der Herr eine wunderbare Vermehrung des Öls in einem einzelnen Krug bewirkt (vgl. 2. Kön 4,4–6). Zudem wussten die Jünger, dass in Anwesenheit Elisas mit zwanzig Gerstenbroten und Jungkorn in einem Sack hundert Männer gesättigt worden waren (2. Kön 4,42–44). Kennen nicht auch wir manche wunderbare Wirkungen des Herrn in unserer heutigen Zeit, nicht nur, was die geistliche Speise für Gläubige betrifft? Wir dürfen dem Herrn vertrauen, dass Er gerade in den Situationen zu helfen bereit ist, in denen menschliche Kräfte letztlich nichts bewirken können.

Jesus entlässt seine Jünger nicht aus dem Dienst: „Bringt sie mir her“ – nämlich die Brote und Fische. Wir wissen nicht, mit welchen Gefühlen die Jünger dem Herrn Jesus diese wenigen Lebensmittel gebracht haben. Aus Johannes 6 lernen wir, dass es nicht einmal die Jünger waren, welche die Brote und die Fische dabei hatten, sondern ein kleiner Junge, der für sich vorgesorgt hatte. Aber sie tun das, was der Herr ihnen auftrug.

Ein Überblick über das Wunder

Im Folgenden möchte ich einen Überblick über das eigentliche Wunder geben, zu dem wir jetzt kommen, wie es in allen vier Evangelien dargestellt wird:

  Speisungs-Wunder
1. Bibelstellen Matthäus 14,15–21; Markus 6,35–38

Lukas 9,12–17; Johannes 6,5–13

2. Volksmenge Es waren Juden
3. Zeitangabe Abend
4. Beginn des Wunders Jünger wollen Volksmenge wegschicken
5. Wer soll Speise geben? Jesus fordert die Jünger auf, Speise zu geben
6. Charakter Verantwortung
7. Anzahl an Broten 5 (Gerstenbrote)
8. Anzahl an Fischen 2
9. Lagerung auf Gras (zu je 50 und 100)
10. „Reste“ 12 Handkörbe voll
11. Beteiligte Menschen 5000 Männer, neben Frauen und Kindern
12. Folgehandlung Jünger werden auf den See weggesandt

Die bildhafte Bedeutung des Speisungswunders

1. Was ist die Kernaussage dieses Wunders?
Grundsätzlich scheint der Geist Gottes uns den Platz des Messias in seiner irdischen Herrlichkeit und seiner Sorge für sein Volk und die Menschen ganz allgemein zeigen zu wollen. Der Herr Jesus beweist in einer ersten Erfüllung von Psalm 132,15, dass Er in Wahrheit der Sohn Gottes, der König Israels, der Messias ist, der Speise schenken und die Armen sättigen wird.
Dieses Wunder hat einen deutlich dispensationalen Charakter, wie es im Matthäusevangelium auch an anderen Stellen zu finden ist. Der Messias ist von seinem Volk verworfen worden und setzt es für eine Zeit beiseite. Das wird in dieser Begebenheit illustriert: Nachdem Er der Volksmenge noch einmal einen Beweis seiner Fürsorge gegeben hat, sie aber letztlich doch nicht an Ihn glaubt, „entlässt“ Er sie (V. 22).

2. Was symbolisieren die Brote und die Fische?
Brot ist gebackenes Korn. Spricht das nicht vom Tod des Herrn Jesus als die Grundlage für die wahre Speise der Menschen, um sie ewig glücklich zu machen? Johannes gibt uns eine darüber hinausgehende Erklärung. Diese finden wir nicht bei Matthäus – aber sie ergänzt die Belehrung unseres Evangelisten. Denn aus Johannes 6 lernen wir, dass Er selbst das lebendige Brot aus dem Himmel ist (Joh 6,51). Auf der einen Seite finden wir Ihn in Johannes 12,24 im Bild des Weizenkorns, das durch den Tod gehend viel Frucht bringt. Das ist eine Belehrung, die man im Fest der Wochen – also der Gründung der Versammlung am Pfingsttag – wiederfindet. Die Versammlung Gottes nährt sich von Christus und ist ein Zeugnis des gestorbenen und auferstandenen Christus.
In Johannes 6,9 lesen wir nun, dass es sich bei unserem Wunder um Gerstenbrote handelte. Gerste ist das erste Korn, das reif wird, und es ist auch dasjenige, das bei dem Fest der Erstlingsgarbe (3. Mo 23,9–14) gebracht wurde. Das geschah am Tag nach dem Sabbat, also am Sonntag, dem Auferstehungstag unseres Herrn. Es scheint daher ein Hinweis auf seine Auferstehung zu sein. So dürfen auch wir uns von dem Auferstandenen nähren, der durch den Tod gegangen ist. Ohne den Sühnungstod wäre der Herr Jesus durch sein vollkommenes Leben zwar der Maßstab für uns Menschen, zugleich aber auch ein Grund der Verurteilung. Denn Er hat Gott gezeigt, dass ein Mensch Ihn verherrlichen kann – das hätte ewig für uns zur Anklage gedient. Weil Er aber für uns gestorben ist, kann auch der vollkommene Mensch Jesus tägliche Nahrung für uns sein, weil Er uns zugleich neues, ewiges Leben geschenkt hat, so dass wir Ihm nachfolgen können in einem Leben der Verherrlichung Gottes. Wir ernähren uns von unserem gestorbenen Retter, indem wir im Wort Gottes von seinem Leiden und Sterben lesen und uns dabei mit Ihm beschäftigen. Das wird uns zur Anbetung führen.
Gerste wurde übrigens geerntet, als Noomi nach Jahrzehnten der Abwesenheit nach Kanaan zurückkehrte (Rt 1). Dort traf sie bzw. Ruth auf Boas („in Ihm ist Stärke“), ein Hinweis auf den auferstandenen Herrn. Er wird sein irdisches Volk Israel nach Jahrhunderten der Verirrungen zum Segen zurückführen. Dazu ist es nötig, dass sie Ihn als ihren Messias anerkennen und sich gewissermaßen an Ihm nähren.
Während der Herr in Johannes 6 das Brot als Hinweis auf sich selbst erklärt, sagt Er zu den Fischen nichts weiter. Das macht uns vorsichtig in der Auslegung. Aus Johannes 21,9.13 wissen wir, dass der Herr bei einer späteren Gelegenheit noch einmal Fische (und auch Brot) für seine Jünger bereithält. Offenbar aß auch Er Brot (Honigscheibe) und Fisch (Lk 24,42.43; Joh 21,15). So hatten sie – im Bild gesprochen – Gemeinschaft miteinander im Genuss dessen, was seine Person darstellte. Es ist Nahrung, die von Ihm kommt. Und alles, was von Ihm geschenkt wird, spricht von seiner Herrlichkeit – auch in der geistlichen Anwendung. Könnte der Fisch ein Bild von Christus sein, der die Wasser und Fluten des Gerichtes Gottes über sich erduldet hat (vgl. Jona 2; Ps 42,7)? Sein Tod wird verglichen mit der Zeit, die Jona im Bauch des Fisches verbrachte (Mt 12,40). Dann hätten die Fische mit dem verworfenen, leidenden und gestorbenen Christus zu tun. Die Wassermassen des aufgewühlten Meeres (Jes 57,20) sind aufgestanden gegen den Herrn der Herrlichkeit (Ps 2,1–3; Apg 4,25–27).
Man könnte auch sagen, dass Christus uns nicht nur die grundlegende und notwendige Nahrung für unser Glaubensleben schenkt (die Brote), sondern darüber hinaus viel mehr, als wir benötigen (die Fische), so dass unser Tisch übervoll ist und der Becher überfließt (vgl. Ps 23,6).
Einen letzten Gedanken möchte ich mit den Broten und den Fischen verbinden. Um Brote herzustellen, muss man arbeiten – nämlich Korn backen. Fische aber wachsen von selbst, man muss sie nur noch angeln. So ist es auch im Dienst für den Herrn. Vieles, was ein Diener weitergibt, hat er sich in der Gegenwart Gottes „erarbeitet“, indem er die Bibel gelesen, zu dem Herrn gebetet und gute Erklärungen gelesen hat. In kürzerer oder längerer Arbeit hat er das dann so verarbeitet, dass daraus ein (hoffentlich) nützlicher Beitrag für andere hervorkommt (Brote). Aber es ist im Dienst auch immer wieder so, dass der Herr auf einmal etwas schenkt, wofür man gar nichts getan hat – es ist einfach eine Gabe von oben, die man weitergeben darf (Fische). Haben wir das nicht alles schon erlebt, z. B. in Gesprächen am Büchertisch?

3. Wovon sprechen die fünf Brote und die zwei Fische?
Zunächst einmal ergeben beide zusammen sieben und zeigen, dass die Fülle des Herrn im Schenken vollständig und vollkommen allen unseren Bedürfnissen genügt. Warum aber fünf Brote? Es könnte ein Hinweis sein auf das, was der Mensch zur Verfügung stellen kann, wenn der Herr ihn auffordert, die Bedürfnisse anderer Menschen zu stillen. Insofern könnte man sagen, dass die Zahl „fünf“ auch an dieser Stelle ein Bild der Schwachheit des Menschen ist, wenn er unter Verantwortung gestellt wird. Man wird feststellen, dass die Zahl „fünf“ auch an anderen Stellen mit dem Menschen in seiner Verantwortung, der er häufig nicht gerecht wird, und mit seiner Schwachheit zu tun hat. Denken wir grundsätzlich an die fünf Finger und Zehen einer Hand bzw. eines Fußes, an die fünf Sinne etc., denken wir weiter an die fünf törichten und die fünf klugen Jungfrauen. Übrigens hatte auch David gerade fünf Steine ausgewählt, um Goliath zu besiegen.
Die zwei Fische scheinen von der unendlichen Gnade des Herrn zu sprechen, die mehr gibt, als das, was wir nötig haben. Wir finden die Verbindung von Gnade mit der Zahl 2 auch in Johannes 4,43 und Lukas 10,35. Der Herr schenkt den Volksmengen ein wunderbares Zeugnis – auch davon redet die Zahl zwei immer wieder – von seiner unermesslichen Gnade.

4. Was kann man aus der Zahl 5000 ableiten?
Die Zahl 5000 lässt sich in die Faktoren 5 und 1000=103 zerlegen. Die Bedeutung der 5 hatten wir schon bei den 5 Broten behandelt. Die Zahl 10, die hier in potenzierter Form vorliegt, wird in der Bibel häufig in Verbindung mit der Verantwortung des Menschen vor Gott gebraucht (10 Gebote, 10 Jungfrauen). Vielleicht kann man daher sagen, dass die Volksmenge noch einmal ein vollkommenes Zeugnis der Gnade des Herrn bekommen hat und nun unter der Verantwortung steht, dementsprechend zu handeln. Die folgenden Kapitel zeigen, dass diese Menschen dazu nicht in der Lage waren, sondern wieder nur ihre vollkommene Schwachheit (5) zum Vorschein kommt.
Wenn man diese Szene als Bild des Segens sieht, den der Herr Jesus im Tausendjährigen Reich schenken wird, dann mag man mit der Zahl 5000 in ganz besonderer Weise den Ausdruck von Schwachheit verbinden. Obwohl der Mensch dann nicht mehr dem Einfluss des Teufels ausgesetzt ist – dieser ist gebunden (Off 20,2) –, ist er genauso schwach und sogar böse, dass er sich sofort nach dem Ende dieser Friedenszeit wieder vom Teufel verführen lässt und gegen Christus kämpft (Off 20,7–10).
Wenn wir uns nur die gewaltige Größe der Zahl 5000 vor Augen halten, können wir auch daran denken, dass der Herr hier der Hirte ist, den wir aus vielen alttestamentlichen Bibelstellen kennen. „Und er ließ sein Volk wegziehen wie Schafe und leitete sie wie eine Herde in der Wüste“ (Ps 78,52). „Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte, die Lämmer wird er auf seinen Arm nehmen und in seinem Schoß tragen, die Säugenden wird er sanft leiten“ (Jes 40,11; vgl. auch Ps 23). Er führt die große Schar der Seinen auf grüne Weide (nicht von ungefähr ist hier von Gras die Rede), um sie zu versorgen. Er kümmert sich um seine Schafe. Was für eine Zuversicht darf uns das geben!

5. Was bedeuten die zwölf Handkörbe?
Zunächst einmal hat man den Eindruck, dass mehr übrig bleibt als ursprünglich vorhanden war. Das muss uns beeindrucken. „Zwölf“ spricht wie die Zahl „sieben“ von Vollkommenheit (4x3; 4+3), bezieht sich jedoch in der Regel auf die vollkommene Verwaltung göttlicher Dinge, hier auf der Erde durch den Menschen. In diesem Wunder mögen die zwölf Handkörbe auf die Quellen der Kraft für den Armen in Israel in Gegenwart des Königs aufmerksam machen. Wie hier in diesem Wunder hat die Zahl „zwölf“ eigentlich immer mit der Erde zu tun, und zwar in einer vollkommenen Regierung (12 Apostel, 12 Stämme Israels), aber auch mit der Souveränität Gottes (12 Tore, 12 Grundlagen im neuen Jerusalem: Off 21,12–14).
Vielleicht zeigen diese Handkörbe auch, dass der Herr Jesus im Tausendjährigen Friedensreich die zwölf Stämme seines irdischen Volkes zum Segen der Menschen im Allgemeinen benutzen wird. Dabei werden sie durch die 12 Apostel (nicht den Apostel Paulus) angeführt, die aus dem Volk Israel stammten (Off 21,12). Sie werden auf Thronen sitzen und regieren. Sie werden zum Wohl des Volkes und der Welt handeln.
Für jeden der zwölf Jünger gab es einen Handkorb voll. Im allgemeinen Verständnis dieser Begebenheiten erkennen wir, dass, wenn sich der Herr an dieser Stelle zwar sozusagen ein letztes Mal an sein ganzes Volk wendet, er aber mit seinem Volk doch noch nicht abgeschlossen hat. Er hat es nicht vollständig aufgegeben. Es wird noch einmal eine Zeit geben, in der Er seinem irdischen Volk Speise bereiten wird. Daher bleibt etwas für den zukünftigen Segen seines Volkes hier schon übrig: für jeden Stamm sozusagen ein Handkorb voll.
Man könnte sich auch fragen, warum der Herr so viel neues Brot hervorgebracht hat, dass sogar noch etwas übrig bleibt. Ist das nicht Verschwendung? Wir lernen hieraus, dass der Herr immer mehr schenkt als das, was Menschen nötig haben. Jeder konnte sich nicht nur satt essen, sondern sogar noch mehr als das. Es gibt niemanden, dessen Bedürfnisse durch das Werk des Herrn und sein Wirken nicht gestillt werden könnten. So war es auch beim Passahlamm in 2. Mose 12. Das Lamm war nie zu klein für ein Haus, höchstens das Haus zu klein, um ein ganzes Lamm zu essen.
Darüber hinaus ist interessant, dass der Herr das Übriggebliebene aufsammeln lässt. Damit beugt er einer Verschwendung vor und lehrt uns eine gewisse Sparsamkeit – nicht im Austeilen, wohl aber im Verwalten. Er zeigt uns, auch in den kleinsten Dingen sorgsam zu sein. Und konnte der Herr mit diesen Brocken nicht genau die Bedürfnisse derjenigen – nämlich der Jünger – stillen, die jetzt nur für andere tätig gewesen waren? Christus sorgt dafür, dass keiner seiner Jünger leer ausgeht. Wer für Ihn tätig ist, wird von Ihm auch seine Speise erhalten, einen ganzen Korb voll.
Der Herr möchte auch nicht, dass seine Jünger denken, alles geschehe mit Hilfe von Wundern. Direkt nach dem Wunder sollen sie wieder auf ganz „natürliche Weise“ handeln und das einsammeln, was übrigblieb.

6. Wie kann man dieses Wunder nun auf die heutige Zeit beziehen?
Der Herr Jesus benutzt das, was der Diener des Herrn in seiner Schwachheit und Verantwortung vor Gott besitzt (5 Brote). Aber der Herr gibt seinen Dienern noch weit mehr aus seiner übervollen Gnade (2 Fische). Diese 2 Fische sprechen auch von dem Zeugnis, das die Jünger vor der Welt ablegen (für ein glaubhaftes Zeugnis benötigt man immer mindestens zwei). Der Herr nimmt nun das wenige, was in den Händen seiner Diener ist und verwandelt es in unfassbare Vielfalt und Größe. Dazu benutzt Er wieder seine Jünger, die das, was Er in seiner Vollkommenheit gibt, hier auf der Erde verwalten und weitergeben dürfen (12 Jünger, 12 Handkörbe). Sogar das, was übrig bleibt (12 Handkörbe), würde vollkommen für alle Bedürfnisse reichen.

7. Warum finden wir dieses Wunder als Einziges in allen vier Evangelien wieder?
Dieses Wunder hat ganz offenbar eine zentrale Bedeutung, und zwar sowohl im Hinblick auf die Herrlichkeit des Herrn, der hier als der Jahwe, der Herr des Alten Testaments, vor uns steht, als auch im Hinblick auf die Aufgaben, die Jünger für Ihn auf der Erde ausführen sollen. Der Herr tritt als Sohn Gottes auf, der aus seiner eigenen Fülle weitergibt. Er ist der Mensch, der die Bedürfnisse der Menschen an eigenem Leib erfahren hat. Er ist der Diener, der den Menschen zu Hilfe kommt. Und Er ist der Messias, der sein Volk retten möchte.
Dieses Wunder ist wie ein letztes großes Zeichen an das Volk. Das erkennen wir daran, dass der Herr dieses Zeichen nicht in Jerusalem und auch nicht in einer Synagoge tut, sondern an einem Platz, wo man den Messias am wenigsten vermuten würde: an einem öden Ort in der Wüste. Dadurch wird die Großartigkeit dieses Wunders noch mehr hervorgehoben.
Schließlich verbindet sich dieses Wunder des Herrn damit, dass Er unmittelbar danach sein Volk „entlässt“. Wie schon betrachtet, soll dadurch auf die endgültige Beiseitesetzung des Volkes hingewiesen werden. Im Bild war es das letzte Mal, dass sich der Herr an das ganze Volk wendet. Daher finden wir das Zeichen in allen vier Evangelien.

Praktische Überlegungen zu dieser Begebenheit

Zum Abschluss der Beschäftigung mit diesem Gleichnis möchte ich noch auf ein paar Einzelheiten eingehen. In Vers 19 zeigt der Herr, dass man nur dann in der Lage ist, seinen Segen aufzunehmen, wenn man Ruhe hat. Es ist vor allem Markus, der uns zeigt, dass die Volksmenge in 50 Reihen à 100 Menschen gelagert hat. Aber auch Matthäus zeigt uns, dass der Herr kein Gott der Unordnung ist.

Die Antwort der Jünger auf die Frage, was sie denn hätten, um die Volksmenge zu versorgen, zeigt, dass sie nicht verstanden hatten, dass es keine Frage ist, was man hat, sondern wen man hat. Der Herr Jesus bedeutet dem sündigen Fleisch von Jüngern genauso wenig wie einem ungläubigen Menschen. Dabei ist gerade seine Person der entscheidende Unterschied! Wenn Er im Mittelpunkt steht, ist immer Hoffnung da.

Der Segnende und seine Jünger

Wenn man sich in die Lage der Jünger hinein versetzt, muss die in Vers 19 berichtete Situation sehr angespannt gewesen sein. Sie haben mehr als 5000 Menschen auf dem Boden lagern lassen. Dann gehen sie mit fünf Broten und zwei Fischen zu dem Herrn. Wenigstens die ersten Reihen müssen gesehen haben, dass es nur diese wenigen Brote gab. Dann dankte der Herr, wie Er immer wieder betete, selbst wenn Er sich unmittelbar danach als der Sohn Gottes offenbaren sollte (vgl. Joh 11,41). Ob die Jünger mit offenen Augen dem Gebet zugehört haben, um zu sehen, was mit den Broten und den Fischen passierte?

Wir wollen hier auch verstehen, dass nur der Segen des Herrn, hier also sein Gebet, die uns anvertrauten Gaben wirksam macht. Wir sollen das uns Anvertraute zu Ihm bringen. Aber an seinem Segen und an seinem Wirken ist alles gelegen! Das Wunder ist nicht von uns, sondern allein von Ihm abhängig!

Dann brach der Herr das Brot, wie Er es immer getan hat. Da geschieht das Wunder. Der Herr gibt einem Jünger nach dem anderen die Brote, von denen Er Stücke abbricht. Aber die Brote werden nicht kleiner. Von den Fischen lesen wir hier nichts weiter, aber auch sie sind an die Volksmenge gegangen. Der Herr erwartete von den Jüngern den Glauben, dass sie Ihm nicht nur die Brote gaben, sondern dass sie auch die Brote wieder mitnahmen3 – vielleicht in den 12 Handkörben, wo auch immer diese herkamen.

Der Segen hängt vom Herrn ab! – und verwendet unseren Besitz

So wirkt der Herr auch heute nicht auf Vorrat, sondern erwartet von uns, dass wir das Wenige, was wir haben, Ihm geben, damit Er es vervielfältigen kann. Er wünscht, dass wir damit zu Ihm kommen und anfangen auszuteilen, auch wenn noch nicht die eigentlich nötigen Nahrungsmittel-Mengen für 5000 Menschen vorhanden sind. Nach und nach wird Er dann das schenken, was nötig ist. Das, was wir zur Verfügung haben, reicht ohnehin nie für die Bedürfnisse der Menschen bzw. der Gläubigen.

Was für eine Gnade, dass Er jeden von uns für dieses wunderbare Tun einsetzen möchte. Wir müssen nur dazu bereit sein. Denn ein bisschen hat jeder von uns, sonst wäre er nicht gläubig. Dann dürfen wir nicht auf uns und unser Weniges schauen, erst recht nicht meinen, wir besäßen viel oder könnten selbst segnen, sondern wir dürfen auf Ihn sehen, mit Ihm rechnen und Ihn wirken lassen. Auf diese Weise können auch wir heute noch zum Segen für andere sein.

Sicherlich sollten wir unser Unvermögen fühlen, wenn der Herr uns einen Dienst anvertraut. Aber wir sollten uns die Worte des Psalmisten zu eigen machen: „Sie blickten auf ihn und wurden erheitert, und ihre Angesichter wurden nicht beschämt.“ (Ps 34,6) Und keiner von uns sollte sagen: „Ich bin aber noch so unwissend, und es gibt so viele andere, die es besser tun können.“ Das waren die Worte von Mose, als er den Auftrag des Herrn einfach nicht ausführen wollte: „Sende doch, durch wen du senden willst!“ (2. Mo 4,13). Jeder sollte einfach das geben, was er hat. Denn es ist nicht richtig zu warten, bis man vermeintlich „genug“ hat. Dann wartet man nämlich bis an sein Lebensende. Wir dürfen in allem mit dem Herrn rechnen – Er wird unsere geringen Gaben segnen, wie ja auch zu den besten Gaben sein Segen nötig ist.

Paulus sagt in anderem Zusammenhang: „Denn wenn die Bereitschaft vorhanden ist, so ist jemand angenehm nach dem, was er hat, und nicht nach dem, was er nicht hat.“ (2. Kor 8,12) Und im Buch der Weisheit lesen wir: „Da ist einer, der ausstreut, und er bekommt noch mehr; und einer, der mehr spart, als recht ist, und es ist nur zum Mangel. Die segnende Seele wird reichlich gesättigt, und der Tränkende wird auch selbst getränkt“ (Spr 11,24.25).

In einem Gleichnis in unserem Evangelium wird der Herr später noch deutlich machen, dass es darauf ankommt, die uns anvertrauten Talente für Ihn einzusetzen. Wir werden vermutlich alle zugeben, dass wir eher ein Talent erhalten haben, nicht zwei, fünf oder zehn. Aber es ist nicht richtig, das eine Talent zu verbergen bzw. zu vergraben. Wir sollen damit handeln – für unseren Herrn! Denn für Ihn ist nichts zu klein, wenn es Ihm gebracht wird. Ohne uns will Er nicht handeln, so wie Er hier nicht einfach ein Wunder aus dem Nichts tun wollte. Er hat das Schwache auserwählt (1. Kor 1,27), weil Er sich in dem Schwachen dieser Welt verherrlichen will. Dazu müssen wir aber alles, was wir besitzen, zuerst zu Ihm bringen, auch und gerade im Dienst für unseren Herrn.

Verse 22–33: Die Schifffahrt der Jünger – ein langer Weg der Übriggebliebenen

„Und sogleich nötigte er die Jünger, in das Schiff zu steigen und ihm an das jenseitige Ufer vorauszufahren, bis er die Volksmengen entlassen habe. Und als er die Volksmengen entlassen hatte, stieg er auf den Berg für sich allein, um zu beten. Als es aber Abend geworden war, war er dort allein. Das Schiff aber war schon mitten auf dem See und litt Not von den Wellen, denn der Wind war ihnen entgegen. Aber in der vierten Nachtwache kam er zu ihnen, gehend auf dem See. Als aber die Jünger ihn auf dem See gehen sahen, wurden sie bestürzt und sprachen: Es ist ein Gespenst! Und sie schrien vor Furcht. Sogleich aber redete Jesus zu ihnen und sprach: Seid guten Mutes, ich bin es; fürchtet euch nicht! Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, wenn du es bist, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf den Wassern. Er aber sprach: Komm! Und Petrus stieg aus dem Schiff aus und ging auf den Wassern und kam zu Jesus. Als er aber den starken Wind sah, fürchtete er sich; und als er anfing zu sinken, schrie er und sprach: Herr, rette mich! Sogleich aber streckte Jesus die Hand aus, ergriff ihn und spricht zu ihm: Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und als sie in das Schiff gestiegen waren, legte sich der Wind. Die aber in dem Schiff waren, warfen sich vor ihm nieder und sprachen: Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn!“ (Verse 22–33).

Nachdem der Herr Jesus einen Vorgeschmack auf das Tausendjährige Königreich gegeben hat, das Er schon von je her für sein Volk vorgesehen hatte, zeigte Er nun, dass die Aufrichtung dieses Reiches verschoben werden musste. Diesen Gedanken finden wir hier stärker als in den anderen Evangelien. Wir haben schon gesehen, dass Er deshalb sein Volk „entlassen“ musste. Dieses Wort wurde in diesem Abschnitt schon einmal benutzt: Die Jünger wollten die Volksmenge bereits vor der Speisung entlassen (Vers 15); das aber ließ Christus nicht zu. Jetzt aber musste Er seine Jünger darüber belehren, dass seine Beziehung zu seinem Volk wirklich dem Ende entgegen ging. Das hatten auch die Jünger zu lernen. Wir lesen: „Und sogleich nötigte er die Jünger, in das Schiff zu steigen und ihm an das jenseitige Ufer vorauszufahren, bis er die Volksmengen entlassen habe.“ Er sonderte also seine Jünger von der Volksmenge ab, bevor Er der Masse des Volkes den Rücken zukehrte. Mit einem Volk, das seinen Messias ablehnte, durften die Jünger des Messias nicht länger verbunden bleiben.

Er musste sie „nötigen“. Offensichtlich wollten die Jünger nicht ohne weiteres aufbrechen. Warum nicht? Man könnte sich vorstellen, dass sie bei ihrem Herrn bleiben wollten. Das wäre sicher ein guter Gedanke gewesen. Aus dem Bericht von Johannes entnehmen wir jedoch, welche Situation damals vorlag: „Als nun Jesus erkannte, dass sie [die Volksmengen] kommen und ihn ergreifen wollten, um ihn zum König zu machen, zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein.“ (Joh 6,15) Die Menschen wollten Jesus zum König machen. Ob das nicht auch für die Jünger die lange ersehnte Gelegenheit war, die sie immer wieder beschäftigte, jetzt bei einem anerkannten König zu bleiben?

Der Herr erkannte ihre Gedanken und ließ nicht zu, dass sie sich in falschem Glanz sonnten. Daher schickte Er sie fort, ja Er nötigt sie, an das jenseitige Ufer vorauszufahren. Er selbst wollte zunächst noch die Volksmengen „entlassen“.

Das prophetische Bild der Schifffahrt

Damit möchte ich das prophetische Bild erklären, das der Herr Jesus hier aufzeigt.

Der Herr auf dem Berg: Er verlässt sein Volk, das in Sünde lebt

Endgültig hat der Herr sein Volk, das im Bild der Volksmengen hier vor uns tritt, entlassen, als Er nach vollbrachtem Werk, also nach dem Tod und der Auferstehung, in den Himmel auffuhr, auch wenn Er sich in Person von Stephanus ein letztes Mal mit dem Angebot der Gnade und Umkehr an sein Volk wandte. Die Himmelfahrt Jesu ist ja etwas, was wir interessanterweise gerade bei Matthäus nicht finden. Dieses Auffahren in den Himmel finden wir in unserer Begebenheit allerdings vorgeschattet im Aufsteigen Jesu auf den Berg, wo Er dann allein war, um zu beten.

Dieses Beten hat eine positive Bedeutung. Aber das Weggehen bedeutete zugleich Gericht! „Ich werde davongehen, an meinen Ort zurückkehren, bis sie sich schuldig bekennen und mein Angesicht suchen. In ihrer Bedrängnis werden sie mich eifrig suchen.“ (Hos 5,15) Das sehen wir in diesem Abschnitt. Aber erst, wenn das Volk bzw. die gläubigen Übriggebliebenen des Volkes der Juden dazu kommen, in der Bedrängnis den Herrn zu suchen, wird Er sich ihnen wieder zuwenden und aus dem Himmel zu ihnen kommen – wie Er hier zu dem Schiff kam.

Die Nacht ist damit auch ein Bild der Zeit, in der Er abwesend ist. Sie spricht vom bösen Zeitlauf, in dem wir uns befinden. Sie weist aber auch auf die Zeit hin, in der das Volk Israel in Finsternis lebt und keine Beziehung zu seinem Gott im Himmel, dem Messias hat.

Der Herr auf dem Berg: Der Herr verwendet sich im Himmel für die Seinen

Wir lesen im Neuen Testament nichts davon, dass der Herr Jesus im Himmel beten würde. Aber wir lesen, dass Er sich dort für die Seinen verwendet (vgl. Röm 8,34; Heb 7,25). Wir wissen nicht, wie wir uns das konkret vorstellen können. Jedenfalls sollten wir nicht meinen, Christus müsse im Himmel auf die Knie fallen vor seinem Gott und Vater. Das ist ein abwegiger Gedanke, der durch keine Schriftstelle gestützt wird. Kraft seines vollbrachten Werkes steht Er dort vor Gott, seinem Vater. Wenn der Vater Ihn sieht, der für die Gläubigen gestorben ist, dann wirkt Gott in allem zugunsten seines geliebten Sohnes.

Die Jünger im Boot: die gläubigen Übriggebliebenen

Seine Jünger hat der Herr auf eine Schiffsreise an das gegenüberliegende Ufer geschickt – allein. In Matthäus 8 haben wir gesehen, dass der Herr eine Schifffahrt gemeinsam mit ihnen machte. Hier sind die Jünger ein Bild von den gläubigen Juden, die zum Herrn Jesus gehören, die Ihn aber nach seiner Himmelfahrt nicht mehr auf der Erde bei sich haben. So gilt beides: Einerseits ist Er bei ihnen („Siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters“ – Er macht sich mit den Seinen eins und ist bei ihnen). Andererseits ist Er auf dem Berg, sodass sie die konkreten Umstände allein erleben müssen. Aber sie wissen, dass Er im Himmel für sie da ist.

Die 12 mussten die Reise allein antreten, ohne Ihn. Aber Er kennt die Gefahren des Weges, den Er ja selbst „gegangen“ ist. Daher kommt Er denen, die Ihm auf diesem Weg „folgen“, im richtigen Augenblick zu Hilfe.

Das Schiff: das jüdische System

Die Jünger befanden sich in einem sicheren Schiff, das vielleicht ein Hinweis auf das jüdische System ist, zu dem die Jünger und damit die gläubigen Übriggebliebenen damals gehörten. In diesem ursprünglich von Gott gegebenen Judentum gab es eine gewisse Sicherheit, die auch dem Sturm und den Wellen trotzte.

Der Wind und die Not: die große Drangsal Jakobs

Von diesem Sturm und den Wellen lesen wir nicht sofort. Aber als sie mitten auf dem See waren, litt das Schiff Not von den Wellen. Manche denken bei dem See daran, dass er ein Symbol für die ungläubigen Nationen ist, die Israel umgaben, gewissermaßen umtosten und eine Gefahr für das Volk darstellten. Ich habe diesen Gedanken in Verbindung mit Kapitel 13,1 bereits erklärt. Aber vielleicht ist der See hier auch einfach ein Hinweis auf die Umstände, in denen sich das Volk Israel im Allgemeinen und der gläubige Überrest im Besonderen wiederfand und künftig befinden wird.

Bei der Erklärung zu Matthäus 10 haben wir bereits gesehen, dass der Herr Jesus später auch in Matthäus 24 die künftige Drangsal der Juden vorstellt. Jeremia spricht von der Drangsal Jakobs (Jer 30,7), der Herr Jesus von der großen Drangsal (Mt 24,21). Daniel erklärt in seinem Buch, dass es noch eine Jahrwoche – also sieben Jahre – großer Gerichte und Nöte für Israel geben wird (vgl. Dan 9,26.27). Das wird eine Zeit furchtbarer Gerichte sein, die es ihresgleichen noch nie gegeben hat. Der Herr Jesus sagt dazu: „Wenn jene Tage nicht verkürzt würden, so würde kein Fleisch errettet werden.“ (Mt 24,22)

Die vier Nachtwachen – die Sonne der Gerechtigkeit

Aber der Herr Jesus wird wiederkommen. Das wurde den Jüngern nach seiner Himmelfahrt gesagt: „Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird ebenso kommen, wie ihr ihn habt auffahren sehen in den Himmel.“ (Apg 1,11) So kommt der Herr in der vierten Nachtwache zu den Jüngern. In Markus 13,35 finden wir die Einteilung der Nacht in vier Nachtwachen:

  1. abends: 18–21 Uhr
  2. Mitternacht: 21–24 Uhr
  3. Hahnenschrei: 0–3 Uhr
  4. frühmorgens: 3–6 Uhr

Die letzte Zeit ist die sogenannte vierte Nachtwache. Das zeigt uns, dass wir es wirklich mit dem Ende der Zeitrechnung zu tun haben. Denn aus anderen Stellen wissen wir, dass der Herr Jesus auf die Erde als „Sonne der Gerechtigkeit“ kommen und somit ein neuer Tag anbrechen wird (vgl. Mal 3,20). Dabei wird der Herr Jesus als Sonne der Gerechtigkeit mit Gericht in Verbindung stehen, das dem Segen des Tausendjährigen Reiches vorausgehen wird (vgl. 2. Sam 23,3.4; Off 1,16). Die vierte Nachtwache ist die Zeit vor dem Sonnenaufgang. Vor der Sonne ist der Morgenstern zu sehen. Als Erlöste der Gnadenzeit erwarten wir den Herrn Jesus in dieser Herrlichkeit, bevor der Tag anbricht. Er wird uns zu sich entrücken (Off 22,16.17; 1. Thes 4,16 ff.).

Für die gläubigen Übriggebliebenen aber ist diese Zeit die schlimmste Periode der Drangsalszeit. Dann wird der Herr Jesus zu seinem irdischen Volk zurückkommen. Das Resultat seines Kommens wird bemerkenswert sein: „Und als sie in das Schiff gestiegen waren, legte sich der Wind“ (Vers 32). Das Kommen des Herrn Jesus für sein Volk wird Ruhe und Frieden mit sich bringen. Denn Er wird alle Feinde seines Volkes besiegen und vernichten. Der Römische Kaiser, der sich mit dem Antichristen gegen das Volk Israel verbündet, wird dann mit diesem in den Feuersee geworfen werden (vgl. Off 19,19–21).

Eine furchtbare Drangsalszeit

Wir wissen, dass die Jünger ihren Messias erwarten werden. Sie halten Ausschau danach, wann der Messias mit seinen Füßen auf dem Ölberg stehen wird (vgl. Sach 14,4). Für sie wird der Herr also als Retter und Ersehnter erscheinen.

Die Tatsache, dass die Jünger den Herrn hier jedoch für ein Gespenst hielten, zeigt uns, wie groß die Not im Schiff gewesen sein muss. Sie waren nicht in der Lage, den Herrn sofort zu erkennen. Das spricht noch einmal deutlich davon, dass die Drangsalszeit, durch welche die gläubigen Juden künftiger Tage hindurchgehen müssen, furchtbar sein wird.

Aber die Jünger künftiger Tage, die viel schlimmere Drangsale und Verfolgungen erleben müssen, werden dabei auf ihren Messias warten, der sich ihnen am Ölberg offenbaren wird (vgl. Sach 14,4). Auch wenn die 12 Jünger den Herrn in dieser Schiffssituation für ein Gespenst hielten, so freuten sie sich doch, in dieser Person kurze Zeit später den Herrn der Herrlichkeit erkennen zu können. Wir wollen im Übrigen bei der Beurteilung der Jünger nicht vergessen, dass Jesus der erste Mensch war, der auf Wasser laufen konnte. Das musste, trotz aller Erfahrungen, mehr als überraschend für sie gewesen sein ...

Die Ruhe nach dem Sturm – der Beginn des Friedensreichs

Nachdem der Herr das Schiff bestiegen hatte, „legte sich der Sturm“. Diese Stille deutet auf die Ruhe und Freude im Tausendjährigen Friedensreich hin. Hierüber prophezeit Maleachi: „Aber euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen mit Heilung in ihren Flügeln. Und ihr werdet ausziehen und hüpfen wie Mastkälber.“ (Mal 3,20) Wir können uns wohl kaum vorstellen, was für eine gewaltige Freude für die gläubigen Juden mit dem Kommen des Herrn verbunden sein wird. Im Propheten Jesaja lesen wir vom Zornesausbruch des Herrn: „Im Zornesausbruch habe ich einen Augenblick mein Angesicht vor dir verborgen, aber mit ewiger Güte werde ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr; dein Erlöser ... Meine Güte wird nicht von dir weichen und mein Friedensbund nicht wanken, spricht der Herr, dein Erbarmer“ (Jes 54,8.10).

Es gibt auch in Psalm 107 eine wunderbare Illustration dieser Zeit. „Die sich auf Schiffen aufs Meer hinabbegeben, auf großen Wassern Handel treiben ... Er spricht und bestellt einen Sturmwind, der hoch erhebt seine Wellen ... es zerschmilzt in der Not ihre Seele. Sie taumeln und schwanken wie ein Betrunkener, und zunichte wird all ihre Weisheit. Dann schreien sie zu dem Herrn in ihrer Bedrängnis, und er führt sie heraus aus ihren Drangsalen. Er verwandelt den Sturm in Stille, und es legen sich die Wellen. Und sie freuen sich, dass sie sich beruhigen, und er führt sie in den ersehnten Hafen. Mögen sie den Herrn preisen wegen seiner Güte und wegen seiner Wundertaten ...“ (Ps 107,23–32). Das ist gut übertragbar auf die Geschichte der Juden. Die gläubigen Übriggebliebenen werden sich zu Gott wenden und Ihn in ihrer Not rufen. Dann führt Er sie in den ersehnten Hafen der Ruhe und Freude ein. Was für eine Veränderung wird das in ihrem Leben sein!

Der Glaube der gläubigen Übriggebliebenen

Diese gläubigen Juden werden dann vor dem Herrn, der als ihr Erlöser kommt und sie von allen Feinden befreien wird, niederfallen und Ihn anbeten: „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn!“ Im Blick auf die Jünger damals muss man fragen: Kannten sie Ihn denn wirklich noch nicht, dass sie angesichts dieses machtvollen Handelns so erstaunt waren (vgl. Mk 6,51)?

Wir können auch an Thomas denken, der bei der zweiten Zusammenkunft der Jünger acht Tage nach der Auferstehung des Herrn zu diesem sagte: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28) Thomas ist genauso wie Nathanael ein prophetisches Bild dieser gläubigen Übriggebliebenen. Nathanael sagte über den Herrn: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels.“ (Joh 1,49) Das sind die Worte, die später einmal der Überrest aussprechen wird.

So werden die gläubigen Juden den Messias als Erretter erleben. Denn Er wird sprechen: „Sie sind ja mein Volk, Kinder, die nicht treulos sein werden; und er wurde ihnen zum Erretter“ (Jes 63,8). Sie werden die Erfahrung machen, die Jesaja schon viele Jahre zuvor aufgeschrieben hat: „Und nun, so spricht der Herr; der dich geschaffen hat, Jakob, und der dich gebildet hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. Wenn du durchs Wasser gehst, ich bin bei dir, und durch Ströme, sie werden dich nicht überfluten; wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt werden, und die Flamme wird dich nicht verbrennen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, ich der Heilig Israels, dein Erretter ... Weil du teuer, wertvoll bist in meinen Augen und ich dich lieb habe ...“ (Jes 43,1–4).

Petrus – ein Bild der Versammlung

Aber es gibt „Größeres als dieses“. Das hat der Herr zu Nathanael gesagt, als dieser in dem Herrn den Sohn Gottes, das heißt den Messias, erkannte (Joh 1,50). Der Herr weist ihn darauf hin, dass er den Sohn des Menschen sehen würde. So zeigte der Herr bei dieser Schifffahrt ebenfalls, dass es etwas ganz Besonderes gibt, was mit Ihm gerade als Mensch in Verbindung steht.

  1. Erstens sehen wir, dass der Herr nicht alleine zu den Jüngern im Schiff kam. Er hatte Petrus bei sich. Aus Stellen wie 1. Thessalonicher 3,13 wissen wir, dass der Herr Jesus zusammen mit den Gläubigen des Alten Testaments und mit seiner Versammlung auf diese Erde zurückkommen wird: Euch aber mache der Herr „untadelig in Heiligkeit vor unserem Gott und Vater, bei der Ankunft unseres Herrn Jesus mit allen seinen Heiligen.“ In 2. Thessalonicher 1,10 lesen wir: „... wenn er kommt, um an jenem Tag verherrlicht zu werden in seinen Heiligen.“ Er wird nicht allein kommen, sondern insbesondere seine Versammlung bei sich haben. Von dieser ist Petrus an dieser Stelle ein Bild.
  2. Diese Gläubigen der Gnadenzeit sind nicht so sehr durch Schauen als vielmehr durch Glauben gekennzeichnet. Das finden wir bei Petrus, der bereit war, die Sicherheit des Schiffes zu verlassen, um auf dem See gehend zum Herrn zu kommen. Wie anders als mit dem Begriff „Glauben“ könnte man diesen Schritt von Petrus bezeichnen. So haben sich die gläubigen Juden sehr schnell von dem sicheren Schiff, dem Judentum, verabschiedet (Heb 13,13: „Deshalb lasst uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagerns, seine Schmach tragend“) und sind aus dem „Schiff“ des jüdischen Systems gestiegen, um allein auf der Grundlage des Glaubens dem Herrn nachzufolgen, um ewig bei Ihm zu sein. Wir finden hier die christliche Stellung, die außerhalb des Judentums ist.
  3. Das „Schiff“ bestand aus dem „Gesetz der Gebote in Satzungen“ (Eph 2,15), die menschlich gesprochen viel Halt geben, aber für einen Christen nicht den adäquaten Schutz darstellen. Er ist durch den lebendigen Glauben und auf dem Grundsatz des Glaubens an den Herrn Jesus richtig aufgehoben, auch wenn das nach außen hin als unsicheres Terrain angesehen werden mag. So befiehlt Paulus später die Christen nicht einer Sammlung von Gesetzen an, sondern „Gott und dem Wort seiner Gnade“ (Apg 20,32).
  4. Das Wort Versammlung ist die Übersetzung des griechischen Wortes „ekklesia“, das Herausgerufene bedeutet. So wurde Petrus gewissermaßen aus dem Schiff herausgerufen, aus der Mitte der zwölf Jünger, um ganz bei dem Herrn zu sein. Für uns heißt das, dass wir aus dieser Welt, aus den Nationen und aus den Juden zu Ihm, zu Gott, herausgerufen worden sind.
  5. Leider ist auch der Weg der Versammlung, was ihren geschichtlichen Weg unter Verantwortung betrifft, keine „Erfolgsgeschichte“. Das erkennen wir sehr schnell, wenn wir Offenbarung 2 und 3 lesen. Judas spricht davon, dass das Kommen des Herrn für die Seinen nach 1. Thessalonicher 4,16 ein Akt göttlicher Barmherzigkeit ist (Jud 21); das spricht von einem äußerlich elenden Zustand. So ist der Weg der Versammlung durch viel Versagen gekennzeichnet. Das erkennen wir auch bei Petrus. So gewaltig sein Glaube war, dass er als einziger Mensch außer dem Herrn Jesus auf Wasser gelaufen ist, so beginnt er doch zu sinken. Aber genauso, wie der Herr Petrus nicht untergehen lässt, verlässt Christus auch die Versammlung nicht. Er muss sie tadeln: Kleingläubige! – aber seine Hand ist da, um sie zu retten.
  6. Manche haben gefragt, wann der Herr für seine Versammlung kommen wird. Aus Stellen wie Matthäus 25,6 – dem Mitternachtsruf, dass der Bräutigam da ist – bzw. Lukas 12,38, wo der Herr in der zweiten oder dritten Nachtwache kommt, denken manche, dass wir uns heute in der dritten oder vielleicht vierten Nachtwache befinden. Man darf aber nicht vergessen, dass sich Zeiten und Zeitpunkte ausschließlich auf sein Kommen auf diese Erde zur Aufrichtung seines herrlichen Königreichs beziehen, niemals jedoch auf sein Kommen für die Versammlung. Das wird uns z. B. beim Lesen von 1. Thessalonicher 4 und 5 deutlich. Daher sollte man nicht versuchen, die verschiedenen Bilder und Gleichnisse miteinander zu vermischen.
  7. Es gibt noch eine weitere schöne Verbindung mit der Versammlung. Denn der Herr ging erst „in“ das Schiff, nachdem Er mit Petrus zusammengetroffen war. Zuvor war Er nahe bei dem Schiff, nicht jedoch auf dem Schiff. So wird der Herr Jesus, wenn Er für seine Versammlung kommen wird, zwar selbst und persönlich vom Himmel herabkommen, aber seine Füße nicht auf die Erde stellen. Denn Er wird uns rufen und wir werden Ihn in den Wolken treffen, in der Luft, wo Er uns dann in Empfang nehmen wird, um uns mit in den Himmel zu nehmen (1. Thes 4,17).

Die Versammlung im Matthäusevangelium

Das Bild der Versammlung wird an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt. Ist es jedoch von ungefähr, dass gerade derjenige, der hier bildlich die Versammlung vorstellt, zugleich derjenige ist, dem die erste Offenbarung über die Versammlung gegeben wird? Zudem ist es gerade Matthäus, der dieses Bild aufgreift und in Kapitel 16 und 18 als einziger Evangelist die Bemerkungen des Herrn Jesus über seine Versammlung wiedergibt. Denn Matthäus zeigt uns die unterschiedlichen Haushaltungen. Mit dem Weggehen des Herrn Jesus in den Himmel und dem Kommen des Heiligen Geistes auf diese Erde begann eine vollkommen neue Zeit. Sie wird beendet, wenn der Herr Jesus sagt: „Komm hier herauf“ (Off 4,1), also mit der Entrückung, von der wir in 1. Thessalonicher 4 lesen.

Was für ein Erlebnis muss es für die Jünger gewesen sein, als der Herr zusammen mit Petrus wieder in das Schiff stieg. Sie waren – fast – sprachlos, außer diesem Ausruf über den Sohn Gottes. Mit was für Augen sie Petrus angeschaut haben? Darüber schweigt die Schrift, da sie keine Menschenverherrlichung möchte. Wir können wohl annehmen, dass nun die Nacht vorbei war. Vielleicht kamen die ersten Strahlen der Dämmerung vom Ufer her. So wird die furchtbare Angst der kleinen Herde der gläubigen Juden ein Ende finden, wenn Christus mit seiner Versammlung auf diese Erde kommt. Die Strahlen der Sonne werden groß und größer!

Praktische Lehren aus der Schifffahrt

Im Folgenden möchte ich noch einige praktische Punkte aus dieser Begebenheit ableiten. Im engeren Sinn, so habe ich versucht zu zeigen, finden wir in den Jüngern Belehrungen über den Weg der gläubigen Übriggebliebenen aus den Juden. Aber wir dürfen diese Verse auch auf uns und unsere Zeit anwenden.

Not in unseren Schiffen

Wie oft kann uns der Wind entgegen sein. Wohlgemerkt – hier befanden sich die Jünger auf einem Weg, den der Herr ihnen aufgetragen hatte. Gerade dann, wenn wir einen Auftrag vom Herrn bekommen haben, ist es leicht möglich, dass wir in widrige Umstände kommen. Einerseits prüft uns unser Herr, ob wir seinen Auftrag auch in Schwierigkeiten ausführen. Andererseits ist der große Widersacher des Herrn – Satan – ständig tätig. Er versucht immer zu verhindern, dass der Wille des Herrn in unserem Leben geschieht.

Im Gegensatz zu der vorherigen Schifffahrt (Mt 8,26), als der Herr den Wind schalt, hören wir von solchen Worten des Herrn in unserem Kapitel nichts. Dort kam der Wind somit deutlich von Satan, während wir das hier nicht mit Bestimmtheit sagen können. In jedem Fall ließ Christus diesen Sturm zu, wie Er das auch im Leben Hiobs tat, ja letztlich sogar guthieß, weil Er ein Ziel mit Hiob erreichen wollte und weil Er mit seinen Jüngern zum Ziel kommen möchte. Sie sollen allein auf Ihn vertrauen.

Gründe für Stürme im Leben von Gläubigen

„Sturm“ im Leben eines Gläubigen kann ganz unterschiedliche Ursachen haben.

  1. Stürme sind das normale Teil eines Christen in dieser Welt. Davon spricht Petrus in seinen Briefen (vgl. 1. Pet 4,12). Sie sind ein Zeichen, dass wir Gläubige sind und nicht zu dieser Welt gehören, die uns ablehnt und wie unseren Meister beseitigen möchte, wenn sie es könnte.
  2. Gott kann „vorsorglich“ „Stürme“ senden, damit wir vor dem Sündigen bewahrt werden. Ein Beispiel dafür ist Paulus (2. Kor 12).
  3. Gott züchtigt uns durch Stürme (vgl. Heb 12). Er tut es aus Liebe! Gott sieht eine Wurzel in unserem Leben, vielleicht auch einen Mangel im Blick auf das Widerstehen gegen das Böse, ohne dass dies für andere Menschen bereits sichtbar ist. Und dann benutzt Gott seine Zucht, um uns zu wappnen, damit wir nicht fallen bzw. dieses Problem (zum Beispiel Selbstgerechtigkeit) in unserem Denken und in unserer Gesinnung erkennen und verurteilen (vgl. Hiob).
  4. Stürme können eine direkte Folge eines Fehlverhaltens sein, wie es zum Beispiel Paulus erleben musste (Apg 21,26.27). Er hatte sich dazu verleiten lassen, als Christ in jüdische Gesetzesgebräuche zurückzukehren.
  5. Manchmal verbindet Gott durch Stürme in unserem Leben eine Botschaft an uns nahestehende oder umgebende Menschen. Mose wurde todkrank – aber die Botschaft richtete sich an seine Frau (2. Mo 4,24 ff.).
  6. Zuweilen möchte Gott durch schwere Umstände in unserem Leben das „Gold des Glaubens“ sichtbar machen. So handelte Er mit Abraham (vgl. 1. Mo 22).
  7. Darüber hinaus sind „Stürme“ wie Krankheit in unserem Leben auch schlicht ein Erinnern daran, dass wir noch in der alten, ersten Schöpfung leben. Als Folge des Sündenfalls – nicht eigener Sünde! – können solche Stürme dann auftreten (vgl. Röm 8,22).
Stürme von Gott – Stürme von Satan

Manche Stürme sendet Gott direkt aus einem der obigen Gründe, manche lässt Er durch das Handeln von Satan zu. Satan kann uns herausfordern, wie er das bei Hiob getan hat. Wie gut ist es, dass wir wissen dürfen, dass er nur so viel tun kann, wie Gott zulässt. Wir sollten aber nicht übersehen, dass der Herr auch selbst – wie im Leben von Jona – Widerstand und Stürme herbeirufen kann, um falsche Weichenstellungen, die wir in unserem Leben vorgenommen haben, zu korrigieren. Denn Ihm liegt an uns.

Der Herr ist auch heute geistlicherweise auf dem Berg. Ich habe schon die beiden Stellen angeführt, die zeigen, dass Er sich im Himmel für die Seinen verwendet. Er tut das, damit sie nicht sündigen, damit die äußeren Umstände, die ihnen entgegen sind, sie nicht dazu bringen, zu sündigen und sich von Gott loszusagen. Wie gewaltig groß ist sein Dienst im Himmel. Keiner von uns würde den sicheren Hafen, den Himmel, erreichen, wenn Er nicht für uns tätig wäre.

Natürlich ist im absoluten Sinn das Werk Jesu am Kreuz vollkommen ausreichend zur Erlösung und Errettung derer, die an den Herrn Jesus glauben. Aber genau so, wie Petrus ohne das Wirken Jesu nicht wiederhergestellt worden wäre, würden auch wir durch unsere Sünden in den geistlichen Ruin getrieben. Wir würden viel öfter sündigen, wenn der Herr sich nicht als der Hohepriester für uns im Himmel verwenden würde, damit wir nicht sündigen (vgl. Heb 2,18; 7,25). Und wir würden nicht wieder aufstehen, wenn Er nicht, nachdem wir gesündigt haben, seinen Dienst als Sachwalter ausüben würde (vgl. 1. Joh 2,1.2). Sein heutiger Dienst ist von unschätzbarem Wert!

Im persönlichen und auch im gemeinsamen Glaubensleben können solche Stürme auftauchen. Wohl dem, der sich bewusst macht, dass der Herr uns nicht allein gelassen hat, sondern dass Er auf dem Berg für uns tätig ist. Dabei wissen wir aus Erfahrung, dass die Not manchmal lange andauern kann. Und lasst uns immer bedenken: Der Herr kennt unsere Übungen, „denn worin er selbst gelitten hat, als er versucht wurde, vermag er denen zu helfen, die versucht werden“ (Heb 2,18).

Bei den Jüngern kam der Herr erst in der vierten Nachtwache. So kommt Er auch bei uns zur rechten, aber nicht unbedingt zur schnellsten Zeit. Wir wünschten uns in der Regel, dass Er doch sofort kommen möchte, um uns aus der Not zu helfen. Aber nachher wissen wir, dass es gut war, dass Er nicht sofort gekommen ist. Nicht, dass wir uns wieder in eine solch schwierige Lage zurücksehnten. Aber wir durften doch Erfahrungen mit dem Herrn machen, die wir nicht mehr missen wollen und die wir nötig hatten. Denn der Herr – und Er allein – weiß, was gut für uns ist. Daher wollen wir uns gegenseitig zurufen, Ausharren und Geduld zu lernen, auch wenn die Not sehr groß und andauernd sein kann – wie hier bei den Jüngern.

Wir sollten aus dieser Begebenheit auch lernen, dass wir uns nicht selbst helfen können. Vielleicht haben wir uns schon angewöhnt, selbst Hand anzulegen, wenn der Herr nicht eingreift. Und bis zu einem gewissen Grad mag das auch helfen.

Wohl uns, wenn wir bereit sind zu warten. Saul war dazu nicht bereit. Samuel hatte ihm gesagt, dass vor dem Kämpfen gegen die Philister eine gemeinsame Opferung in Gilgal stattfinden sollte. Dazu würde er als Prophet kommen, aber es würde sieben Tage dauern (vgl. 1. Sam 13,8–15). Weil Saul aber merkte, dass sich sein Volk aus Angst davonmachen würde, nahm er die Dinge selbst in die Hand.

Unser Urteil über Saul könnte übermäßig hart sein. Hatte er nicht die von Samuel verlangten sieben Tage gewartet? Ja, das hatte er. Das war schon eine beeindruckend lange Zeit angesichts des aus Sicht des Volkes übermächtigen Gegners: der Philister. Ob wir bereit gewesen wären, überhaupt so lange zu warten? Sind wir heute einmal bereit, auf die Hilfe des Herrn ein paar Stunden oder Tage zu warten?

Bei Saul ging es um Leben und Tod – darum handelt es sich bei uns oft nicht. Aber Saul war eben nicht mehr bereit, auch auf Samuel zu warten. Und angesichts der bedrohlichen Umstände schlachtete er dann vor der Zeit die Opfer. Was war die Antwort des Herrn darauf: „Nun aber wird dein Königtum nicht bestehen“ (1. Sam 13,14). Wie dankbar dürfen wir sein, wie gnädig Gott oft mit uns heute spricht.

Christus – ein Gespenst?

Dann, in der vierten Nachtwache, kam der Herr Jesus zu seinen Jüngern. Aber wie Er kam, muss uns zur Bewunderung führen: „Er kam zu ihnen, gehend auf dem See.“ Die Jünger waren durch die Umstände gefangen und fühlten sich von diesen bedroht und niedergebeugt. Nicht so ihr Meister. Als der Schöpfer hatte Er sich schon mehrfach erwiesen. Das würde Er auch hier gleich noch einmal tun. Derjenige, der die Naturgesetze geschaffen hat, ist nicht an sie gebunden.

Aber das ist nicht alles, was wir bedenken müssen, wenn wir den Herrn hier auf dem See gehen sehen. Auch in seinem Leben und Dienst hat Er sich nie von den Umständen, dem „See“, beherrschen lassen. Er ging auf dem See, weil Er gekommen war, den Willen seines Vaters auszuführen. Da mochten die Umstände schwer oder leicht sein: Immer stand sein Vater und dessen Werk vor seinen Augen. Selbst der Widerstand kurz vor dem Kreuz veranlasste den Herrn nicht, sich von diesem Kurs abbringen zu lassen.

Schließlich denken wir an die heutige Zeit. Er ist derjenige, der im Himmel (auf dem Berg) für uns tätig ist. Von da aus kommt Er uns in unseren schweren Lebensumständen zu Hilfe. Er ist nicht gebunden durch Wetter, Wasser und Unruhe. Das alles kann Ihm nichts anhaben. Er kann auf dem Wasser gehen und Er kann die Wellen und den Wind plötzlich zum Schweigen bringen. Er ist der Herr und Christus von allem und über allem.

Wie reagierten die Jünger nun, als der Herr schließlich kam? „Es ist ein Gespenst! Und sie schrien vor Furcht.“ Obwohl sie schon eine ganze Zeit mit dem Herrn Jesus unterwegs waren, erkannten sie Ihn nicht. Nun können die meisten von uns nicht mitreden, wenn wir an die Situation der Jünger denken. Sie haben eine ganze Nacht ununterbrochen gerudert, und das nicht nebenbei. Wenn es heißt, dass das Schiff Not von den Wellen litt, dann handelte es sich nicht um ein laues Lüftchen! Und wer konnte erwarten, dass der Herr über den See gehend zu ihnen kommt!

Die Frage ist, wie es bei uns aussieht. Wenn man in schwieriger See ist und deshalb ständig im Gebet zu seinem Herrn schreit, sollte man Ihn auch als den Handelnden erwarten! Aber oft erkennen wir Ihn gar nicht, obwohl Er längst eine Antwort auf unsere Gebete gegeben hat oder gerade gibt. Im Gegenteil – wir erschrecken dann noch und halten sein Eingreifen nur für eine Wahnvorstellung.

Dabei wussten die Jünger genau, und wir wissen das auch, dass es keine Gespenster gibt. Aber dann, wenn auf einmal eine vollkommen unerwartete Situation eintritt, ist man oft nicht mehr in der Lage, nüchtern zu urteilen. Ob wir wohl wirklich auf das Eingreifen des Herrn warten und Ihn dann auch in den Umständen erkennen?

Die Antwort des Herrn

Es ist schön zu sehen, dass der Herr eine Antwort auf die Furcht der Jünger hat. Er lässt sie nicht im Stich, wie Er später auch Petrus nicht im Stich lassen würde. „Seid guten Mutes, ich bin es; fürchtet euch nicht!“ Rund 100 Mal finden wir in der Bibel diese Ermunterung, sich nicht zu fürchten. Der Herr möchte weder, dass seine Jünger unter der Last der Umstände zusammenbrechen, noch dass sie erschrecken, wenn Er in wunderbarer Macht und Gnade zu ihren Gunsten eingreift. Er macht uns Mut, auszuharren und auf Ihn zu sehen. Noch hatte Er ja nicht den Wind und die Wellen beseitigt. Gerade deswegen brauchten sie weiter Mut.

„Ich bin es“ – was für eine Sicherheit geben diese drei Wörter! Er selbst war da und zeigt auch uns, dass Er nicht nur auf dem Berg ist, sondern direkt in unsere Umstände hineinkommt. Er war es, den sie doch kannten und von dem sie wussten, dass Er sie lieb hatte. Hier stand der „Ich bin“, Jahwe, ihr Bundes-Gott, auf ihrer Seite. Wie konnten sie da noch Furcht haben?

Weil Er es war, sollten sie sich nicht fürchten. Weder vor Ihm noch vor den Wellen noch vor unbekannten Gefahren. Wenn Er ihnen Mut zusprach und sogar bei ihnen war, was sollte sie dann noch beschädigen können? Dann war jede Furcht überflüssig. – So begegnet der Herr auch uns heute noch, um uns aufzurichten.

Der große Glaube von Petrus

Wir wissen nur von zwei Menschen in der langen Menschheitsgeschichte, die auf Wasser gelaufen sind: Christus und Petrus. Das deutet an, was für eine gewaltige Leistung Petrus hier vollbracht hat, genauer gesagt, was Jesus für ein Wunder für Petrus bewirkt hat. Wir alle trauen das Christus zu – „Im Meer ist dein Weg, und deine Pfade sind in großen Wassern, und deine Fußstapfen sind nicht bekannt“ (Ps 77,20) –, aber Petrus?

„Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, wenn du es bist, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf den Wassern. Er aber sprach: Komm!“ Wer von uns hätte diesen Mut gehabt? Petrus hatte ihn. Er ist nicht einfach aus dem Schiff ausgestiegen, um zu seinem Meister zu laufen. Er antwortete zuerst einmal auf die ersten Worte des Meisters und wartete dann auf den Auftrag zu kommen. Petrus war sich bewusst, dass der Herr hier die Gesetze der Schöpfung aushebelte. Kein Mensch kann auf Wasser laufen. Aber er sah, dass der Herr das tat. Und so bittet er seinen „Herrn“ – wann immer die Jünger Christus angesprochen haben, nannten sie Ihn Herrn oder Meister! – dass Er ihn rufe.

Petrus wusste, dass er nur dann wie sein Herr auf dem Wasser laufen konnte, wenn dieser ihm dafür den Auftrag gab. Und genau das wollte er – diesen Ruf erhalten. Was für ein Mut spricht aus seinen Worten, und was für ein Glaube muss letztlich doch vorhanden gewesen sein, sonst könnten wir uns nicht vorstellen, dass Jesus ihn wirklich herbeigerufen hätte. Manche meinen, dass Petrus aus Sensationslust oder Neugierde, aus übermäßiger Begeisterung auf dem Wasser zu seinem Meister laufen wollte. Und tatsächlich lässt sich die Motivlage nicht so einfach unterscheiden bei Menschen – manchmal trifft beides zusammen. Bibelausleger, die diesen Gedanken haben, fühlen sich bestätigt darin, dass Petrus tatsächlich begann zu sinken. Allerdings gibt es auch eine andere Seite. Wir dürfen nämlich diese beiden Phasen seines Laufens auf dem Wasser nicht miteinander verbinden. Ohne Glauben hätte Petrus zunächst einmal nicht auf Wasser laufen können – der Unglaube kam später.

Der bekannte Bibelausleger Charles H. Mackintosh sagte hierzu einmal sinngemäß: „Warum haben wir so wenig Glaubenserfahrungen mit unserem Herrn? Weil wir nicht den ersten Schritt aufs Wasser wagen. Wenn Petrus nicht gewagt hätte, auf das Wasser zu treten, so hätte er diese Erfahrung in seinem Leben nie gemacht!“ Wir machen so wenig echte Glaubenserfahrungen, weil wir den Herrn so selten auffordern, uns einen konkreten Auftrag dieser Art zu geben.

Dabei geht es nicht darum, dem Herrn zu sagen: „Befiehl mir, dies oder das zu tun!“ Das könnte nämlich unserem Eigenwillen entspringen. Daher sind folgende Schritte wichtig, die wir bei Petrus hier erkennen können:

  1. Wer wirklich im Glauben handeln will, der muss sich sicher sein, dass es der Wille des Herrn ist, nicht der eigene. Daher: „Wenn du es bist ...“ Es muss die vorsichtige, zurückhaltende und in gewisser Hinsicht an sich selbst zweifelnde Frage sein: „Bist du es wirklich? Nur wenn du mich dazu aufrufst, will ich es tun.“
  2. Wer wirklich im Glauben handeln will, möchte gehorsam sein. Daher wartet er auf einen Auftrag des Herrn: „Herr, ... so befiehl mir ...“. Nur wer nicht im Eigenwillen, sondern im Gehorsam handelt, wird einen Glaubensschritt dieser Art gehen können.
  3. Wer wirklich im Glauben handeln will, hat den Herrn vor Augen: „zu dir zu kommen“. Es geht nicht um irgendein Handeln, um irgendeinen Auftrag. Es geht darum, dass wir zum Herrn gehen und dass Er das Ziel unseres Handelns ist. Ein schönes Vorbild finden wir in Philipper 3,12 ff. Wer im Glauben handelt, möchte da sein, wo Christus ist. Er möchte nicht selbst im Mittelpunkt stehen, sondern sieht von sich weg, um auf Ihn zu sehen und bei Ihm zu sein.
  4. Wer wirklich im Glauben handeln will, wird über den Umständen stehen bzw. gehen: „auf den Wassern“. Glaube bedeutet, nicht von Umständen bestimmt zu sein, sondern unabhängig von den Umständen zu handeln. Diese haben keine Gewalt über den Glaubenden, sondern das Ziel – Christus – bestimmt seinen Weg und sein Handeln.

Wir sehen in diesen Versen auch, dass die Initiative von Petrus ausgeht. Natürlich stützt der Herr Jesus unseren Glauben. Aber Er freut sich darauf, wenn wir einen Schritt des Glaubens beginnen, ohne Ihn dabei außen vor zu lassen. Warum lesen wir hier eigentlich nichts von den anderen elf Jüngern? Keiner von ihnen besaß den Glaubensmut, den wir bei Petrus erkennen. Äußerlich war es sicherer, im Schiff zu bleiben. Aber kann es einen besseren Platz geben, als zu dem Herrn Jesus hinzulaufen, selbst wenn es auf solch unsicherem Gelände wie Wasser ist?

Petrus sagte nicht: „Hilf mir dabei!“ Er sagte Ihm auch nicht: „Bitte mich ...“ Petrus war sich bewusst, dass es eines ganz konkreten Befehls bedurfte, damit das wahr werden konnte, was wahr wurde. Denn dann stieg Petrus wirklich aus dem Schiff aus. Das war keine überhastete Aktion. Das alles war wohlüberlegt. Petrus rechnete mit seinem Meister und wurde nicht enttäuscht.

Wie schwer fällt es uns, die Sicherheit des Schiffes aufzugeben, um einfach im Glauben auf Christus auf dem Wasser zu gehen. Daran sehen wir, dass Petrus wirklich für den Glauben in Bezug auf das Unsichtbare steht. Er vertraute, dass der Herr auch bei ihm gegen jedes Naturgesetz handeln würde, so dass er auf dem Wasser laufen konnte. Christus allein muss die Kraft und der Beweggrund für solche Glaubenstaten sein: Wenn du es bist ... Zugleich ist Christus das Vorbild, denn Er lief auf dem Wasser – so auch Petrus!

Schritte im Glaubensleben von Petrus

Als Jünger von Johannes dem Täufer war Petrus vermutlich durch diesen zur Buße gebracht worden. Eines bestimmten Tages führte ihn sein Bruder Andreas dann zu Jesus (Joh 1,42). So kam er in Verbindung zum Herrn. Später erhielt er von diesem den Auftrag, Menschenfischer zu werden. Was ging dem voraus? Petrus war vor Ihm auf die Knie gefallen, weil er seinen praktischen Zustand als sündigende Person erkannt hatte: „Geh von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr.“ (Lk 5,8) Dann bleibt er bei Jesus und wird sein Nachfolger – das ist tatsächlich die Voraussetzung, um dem Herrn zu dienen.

Hier finden wir nun, dass er erneut zu seinem Meister will. Denn Christus zieht ihn an. Und bei Ihm zu sein ist ihm viel wichtiger, als endlich aus dem Sturm ans andere Ufer gerettet zu werden. Hauptsache: bei seinem Meister sein! Aber – und das sehen wir dann sofort – das einzige, was er im Glaubensleben gerade nicht aus den Augen verlieren sollte, ist genau das, was auch wir immer wieder aus den Augen verlieren: die Person unseres Herrn Jesus Christus.

Petrus geht auf dem Wasser

„Und Petrus stieg aus dem Schiff und ging auf den Wassern und kam zu Jesus.“ Den Herrn zu bitten, ist eine Sache. Auf dem Wasser dann auch wirklich zu gehen, eine ganz andere. Petrus tut das. Hier ist er nicht der ungestüme Mann. Er hatte zunächst den Auftrag des Herrn abgewartet, um dann diesem auch Folge zu leisten.

Stellen wir uns diese Situation vor! Wind und Wellen umtoben das Schiff. Petrus trotzt diesen und steigt aus dem Schiff aus. Diese Erfahrung hat keiner der anderen Jünger gemacht, nur er. Und er geht auf den Wassern. Wir lesen nichts von vorsichtigen Schritten des Prüfens. Denn hier gibt es nichts zu prüfen. Petrus wusste genauso gut wie wir es wissen, dass man nicht auf dem Wasser gehen kann. Aber der Auftrag des Herrn war für ihn so überzeugend, dass er ihm Folge leistete.

Für uns ist es unbedingt notwendig, dass wir einen Auftrag des Herrn haben und erkennen, wenn wir etwas Bestimmtes für Ihn tun wollen. Wenn Er aber dann gesagt hat: „Komm!“ – dann sollten wir auch gehen, selbst wenn es aus menschlichen Erwägungen eigentlich unmöglich, unpassend oder sogar dumm ist. Würden wir nicht jedem sagen, der aus einem Schiff aussteigen wollte: „So dumm wirst Du doch nicht sein zu meinen, Du könntest auf dem Wasser laufen!“ Nur der Auftrag des Herrn machte diese Unmöglichkeit möglich.

Warum konnte Petrus auf dem Wasser gehen? Einmal, weil er dazu einen Auftrag des Herrn besaß, und zum zweiten, weil er auf den Herrn sah. Er ging zu Jesus, ja wir lesen sogar: „Er kam zu Jesus.“ Fast wäre er dort gewesen, da schaute er auf den starken Wind und fürchtete sich.

J. N. Darby hat darauf hingewiesen, dass es für Petrus (und uns) keinen Unterschied macht, ob es stürmt oder nicht. Unter beiden Umständen ist es unmöglich, auf dem Wasser zu laufen! Für jemanden, der im sicheren Schiff sitzt, ist es ein Unterschied, ob Wind kommt oder nicht. Für jemanden jedoch, der auf den Wassern läuft, spielt der Wind keine Rolle. Denn er hat es sowieso mit einer menschlichen Unmöglichkeit zu tun.

Das Entscheidende ist: Worauf schauen wir als Gläubige? Auf den Wind – oder auf Christus? Das ist natürlich leichter geschrieben als getan, aber es ist die Frage, die der Herr uns in diesem Abschnitt vorstellt.

„He did not let go my hand!“ (Er ließ meine Hand nicht los!)

Als Petrus, vom Wind beeinflusst, weg von Christus sieht, ändert sich alles. Er beginnt zu sinken. Wir können uns kaum vorstellen, was es bedeutet, auf dem Wasser gehen zu können. Aber wir können uns gut vorstellen, was für eine Panik ausbrechen muss, wenn man mitten auf einer stürmischen See ist und zu sinken beginnt, und das noch in der Dämmerung. Dann nämlich hat man verloren. Dabei bleibt es ein Geheimnis, wie wir verstehen sollen, dass Petrus „auf den Wind sah“, der ja unsichtbar ist. Waren es die Wellen? Blickte er einfach aus Angst von seinem Meister weg? Wir wissen es nicht.

Was wir alle aber wissen, ist, dass der Herr unseren Glauben sucht und auch prüft. Und jemand, der im sicheren Schiff bleibt, ist insofern sicherer dran als jemand, der im Glauben über das Wasser geht. Aber er erlebt auch nicht die Erfahrung wahren Glaubens. Und er erlebt nicht die Macht und Zuwendung des Meisters, wie Petrus sie erfuhr.

Ich bin sehr dankbar, dass wir die Geschichte des Sinkens von Petrus hier finden. Sonst käme noch jemand von uns auf die Idee, dass dann, wenn man einen Schritt des praktischen Glaubensvertrauens gegangen ist, alles glatt und leicht geht. Die Glaubenserfahrung, die Petrus hier gemacht hat, konnte ihm niemand mehr nehmen. Aber auch nicht das Bewusstsein, dass nur ein einfältiger und ständiger Blick auf Christus vor dem Untergang rettet. Überhaupt ist es nur die starke Hand unseres Retters, die uns vor dem Untergang bewahren kann. Er kann uns über die Gesetze seiner Schöpfung erheben, selbst wenn wir zu zweifeln beginnen.

Petrus wusste, an wen er sich wenden musste, als er zu sinken begann. Er versucht nicht auf sinnlose Weise, selbst mit der Situation klar zu kommen oder die anderen in dem Schiff um Hilfe zu rufen. Er weiß, dass allein Christus ihm helfen kann. So ruft, ja schreit er: „Herr, rette mich!“ Und der Herr rettet ihn.

Ein amerikanischer Liedermacher (Don Francisco), der diese Begebenheit in Gedicht- und Liedform gebracht hat, beschreibt dieses doppelte Wunder und beendet das Lied damit, dass Petrus erst viel später erfasst hat, dass der Herr ihn nicht nur auf dem Wasser laufen ließ.

My insides turned to water and my mind went blank and numb.
I climbed across the gunwale looking straight into His eyes
But long before I reached His side, the wind began to rise
I forgot Him in an instant and I sank just like a stone
I cried out, „Jesus save me!“ and His hand was on my own.

„Oh man of little faith,“ He said, „what made you doubt My word.
Have you been this long with Me without knowing what you've heard?“
We climbed into the boat and all at once the wind was gone
The sea turned calm and gentle and the day began to dawn.
We knelt amazed and worshipped Him for the power He displayed
For all that we had seen had left us wondering and dismayed
It was not till after Pentecost I began to understand
That even when I doubted Him He did not let go my hand.

Die Macht des Herrn war auch und gerade dann da, als er zu sinken begann. Als die Zweifel aufkamen, streckte der Meister seine Hand aus, um Petrus zu ergreifen. Der Dichter sagt dazu: „Ich schrie laut: Jesus, rette mich! – und seine Hand hielt meine fest.“ Oft brauchen wir nach einer solchen Erfahrung Zeit, bis wir ein stückweit verstehen, was der Herr für uns getan hat. „It was not till after Pentecost that I really understand: Even when I doubted him, he did not let go my hand!“ (Es war erst nach Pfingsten, dass ich wirklich verstand: Auch wenn ich Ihm nicht ganz vertraut hatte, ließ Er doch meine Hand nicht los!)

Der Herr war die ganze Zeit auf dem Wasser, in stürmischer See. Ihm konnte das Unwetter nichts anhaben. Aber Er ließ nicht zu, dass derjenige, der einen gewaltigen Glauben – weit über den seiner Jüngerkollegen hinaus! – offenbart hatte, im Wasser versank.

Es war nur noch eine kleine Strecke, die Petrus fehlte, um nicht mehr zum Herrn, sondern mit dem Herrn zu gehen. Henri Rossier spricht von „einer Minute weiteren Glaubens“ (es waren wohl nur Sekunden ...), dann wäre Petrus nicht gesunken. Aber gerade das letzte Stück ist oft dasjenige, bei dem wir beginnen, in unserem Glauben zu scheitern. Oft ist es das schwerste. Aber der Herr gibt keinen der Seinen auf.

Der Tadel des Meisters

Vielleicht ist man als Leser enttäuscht, wenn man die Worte des Herrn hört: „Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Hatte Petrus nicht einen gewaltigen Glauben offenbart? Zweifellos. Aber wenn der Herr sieht, dass jemand Glauben offenbart, möchte Er ihn dazu bringen, dass der „Glaube ... vollendet“ werde (Heb 12,2; Jak 2,22).

Zu den elf Jüngern hatte der Herr hier nichts zu sagen. Sie hatten keine Glaubenserfahrung mit Ihm gemacht. Und müssen nicht auch wir beklagen, wie wenig Erfahrungen wir mit dem Herrn machen, weil wir Ihn so selten bitten: „Befiehl mir, zu dir zu kommen auf den Wassern“? Petrus hat seinen Meister in einer einzigartigen Weise kennengelernt, wie er Ihn vorher nicht kannte. Schreibt er davon nicht etwas in seinem Brief? „... die ihr durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werdet zur Errettung, die bereit ist, in der letzten Zeit offenbart zu werden“ (1. Pet 1,5). Er hatte diese Macht des Herrn kennengelernt, nicht pauschal, nicht allgemein, sondern ganz persönlich! Und das ist ein Wunsch, der für uns alle erfüllbar ist.

Noch einmal auf dem See

Das Gehen auf dem See war noch immer nicht vorüber. Wir finden darüber keine weitere Erwähnung, aber Petrus musste ja mit dem Herrn wieder in das Schiff zurück. Wir lesen nichts davon, dass der Herr ihn trug. Eine weitere Erfahrung ganz persönlicher Art war es für Petrus, mit dem Herrn zusammen auf dem Wasser zurück ins Schiff zu gehen – offenbar an seiner Hand.

Und in dem Moment, in dem sie das Schiff erreichten und hinein stiegen, legt sich der Wind. Eine wunderbare Erfahrung, die nicht nur Petrus, sondern auch die anderen machen dürfen. Wir alle gehören vermutlich zu denen, die keinen Petrus-Glauben besitzen. Aber auch uns lässt der Herr nicht im Stich. Er kommt in unsere Umstände, um in der vierten Nachtwache – gerade dann, wenn Er uns seine Gegenwart erleben lässt – diese Umstände zu verändern. Auf einmal schenkt Er vollkommene Ruhe und Rettung.

Ob wir dann auch vor Ihm niederfallen, dem Sohn Gottes? Petrus hatte mehr als das kennengelernt, aber er hatte seinen Herrn und Meister auch als den Sohn Gottes kennengelernt. Oft dürfen auch wir Ihn so erleben, wie Er uns nicht nur neuen Mut in schwierigen Umständen gibt, sondern dann auch die Umstände verändert. Er ist unser Herr – so huldigen wir Ihm.

Verse 34–36: Der Segen des Tausendjährigen Friedensreichs

„Und als sie hinübergefahren waren, kamen sie ans Land, nach Genezareth. Und als die Männer jenes Ortes ihn erkannten, schickten sie in jene ganze Gegend und brachten alle Leidenden zu ihm; und sie baten ihn, dass sie nur die Quaste seines Gewandes anrühren dürften: und so viele ihn anrührten, wurden völlig geheilt“ (Verse 34–36).

Zum Abschluss dieses Kapitels erhalten wir dann noch einen wunderbaren Hinweis auf den Segen des Tausendjährigen Friedensreichs, das beginnen wird, wenn der Herr Jesus zu seinem Volk gekommen ist und es nach durchlebter Drangsalszeit gerettet haben wird. Dann wird Er als die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen mit Heilung in ihren Flügeln (vgl. Mal 3,20).

So lesen wir hier, dass aus der ganzen Gegend die Leidenden zu Ihm gebracht wurden. Nur die Quaste seines Gewandes (vgl. 4. Mo 15,37–40) wollten sie anrühren, und so wurden sie in wunderbarer Weise geheilt. Das werden die Menschen erfahren, die im Tausendjährigen Friedensreich – besonders am Anfang – zum Messias kommen werden. Jeder, der sich Ihm unterwirft, wird gerettet werden, oder wie es hier heißt, „völlig geheilt“ werden. Das wird eine wunderbare Zeit sein, wo die äußeren Krankheiten, die uns alle heute mehr oder weniger kennzeichnen, für alle diejenigen Vergangenheit sein werden, die sich zu dem Herrn Jesus wenden. Römer 8 zeigt uns, was für eine wunderbare Befreiung von Knechtschaft das sein wird (Röm 8,21).

Die Quaste zeigt uns, dass auch das Tausendjährige Reich mit dem Gesetz Gottes verbunden ist. Während wir heute dem Gesetz gestorben sind (vgl. Röm 7,6; Gal 2,19), so dass der Gläubige nicht unter Gesetz steht, wird das im Tausendjährigen Reich wieder anders sein. Aus Stellen wie Hesekiel 40–48, welche die Zeit des Tausendjährigen Friedensreichs charakterisieren, wissen wir, dass der neue Bund (vgl. Jer 31,31–34) das Volk wieder unter das Gesetz stellt. Aber der Segen ist nicht mehr davon abhängig, ob das Volk das Gesetz auch wirklich einhalten wird. Dennoch bekommen die einzelnen Gesetze wieder ihre Gültigkeit. Der Herr hatte die Quaste ausdrücklich angeordnet (4. Mo 15,40), damit sich das Volk an das Gesetz erinnert. Diese Gebote sind nicht die Lebensregel des Christen (vgl. Röm 10,4). Daher tragen Christen keine Quaste, und deshalb spricht diese Begebenheit in der prophetischen Sicht auch nicht von unserer heutigen Zeit.

Das Kapitel, das mit der traurigen Hinrichtung von Johannes dem Täufer begonnen hatte, endet somit in einer Szene größter Ruhe und herrlichen Glücks. Gerade in diesem Evangelium lesen wir immer wieder davon, dass der Herr Jesus auf diese Weise zum Wohl der Kranken und Schwachen tätig war (4,24; 8,16; 9,12; usw.). Wenn es doch so weitergegangen wäre ... Aber es war nur ein kleiner Schimmer von dem, was einmal durch den Messias Wirklichkeit werden wird. Bis dahin würde noch eine lange Zeit vergehen, denn es gab zu viele Juden, die diesen Messias rundherum ablehnten, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden.

Aber genau an dem Platz, an dem Christus verworfen wurde, hier auf der Erde und besonders in Israel, wird Er einmal als Friedefürst erscheinen und angebetet werden. So wie es hier die Gegend war, wo Christus zuvor besonders verworfen worden war, wo Er die meisten Wunderwerke getan hatte und dennoch hinausgeworfen worden war – an diesem Ort verherrlichte Er sich an den Kranken und Schwachen.

Die Verwerfung Israels führt zur Versöhnung der Welt (Mt 15)

Dieses 15. Kapitel schließt nahtlos an die Kapitel 13 und 14 an. Wir haben gesehen, dass das Volk Israel seinen Messias verworfen hat. Die Folge war, dass Christus sein Volk ebenfalls zur Seite stellen musste. Dennoch nutzte Er jede Gelegenheit, die sich Ihm bot, den Juden Segen anzubieten.

In dem 15. Kapitel zeigt uns der Geist Gottes nun noch einmal, warum der Herr sein Volk richten musste. Jetzt sind es nicht so sehr ihre Werke als vielmehr ihre stolze, traditionsbewusste Heuchelei, die besonders bei den Führern des Volkes zum Vorschein kam (Verse 1–9) und ihr innerer Zustand (Verse 10 -20), der so verabscheuungswürdig war, dass es dafür nur Gericht geben konnte. Das Gericht über Israel führt jedoch zur Versöhnung der Welt (vgl. Röm 11,15). Diese finden wir in der Heilung der Tochter der kananäischen Frau vorgebildet (Verse 21–28). Heißt dies, dass das irdische Volk Gottes ohne Hoffnung ist? Sicherlich nicht. Daher schließt der Herr im Anschluss wieder eine große Heilung am See Galiläas an (Vers 29–31), die uns einen erneuten Blick auf den Segen am Anfang des Tausendjährigen Friedensreiches tun lässt.

Aber auch das ist noch nicht das Ende. Denn der Herr wird im Tausendjährigen Königreich nicht nur sein Volk, sondern alle Menschen, die Ihn annehmen wollen, segnen. Dieser Segen wird uns in der Speisung der 4000 Männer zuzüglich Frauen und Kinder vorgestellt (Verse 32–39). Insgesamt finden wir in diesem Kapitel aber einen traurigen Zustand des Volkes. Wir sehen, dass die Juden sich des Namens Gottes und des Namens des Messias bedienten, um einen Mantel der Frömmigkeit anzuziehen, unter dem Bosheit und Gottlosigkeit ihr Spiel trieben.

Verse 1–9: Der äußere Zustand der Juden: Heuchelei

„Dann kommen Pharisäer und Schriftgelehrte von Jerusalem zu Jesus und sagen: Warum übertreten deine Jünger die Überlieferung der Ältesten? Denn sie waschen ihre Hände nicht, wenn sie Brot essen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Und warum übertretet ihr das Gebot Gottes um eurer Überlieferung willen? Denn Gott hat geboten und gesagt: ‚Ehre den Vater und die Mutter!‘ und: ‚Wer Vater oder Mutter schmäht, soll des Todes sterben.‘ Ihr aber sagt: Wer irgend zum Vater oder zur Mutter spricht: Eine Opfergabe sei das, was irgend dir von mir zunutze kommen könnte – der wird keineswegs seinen Vater oder seine Mutter ehren. Und so habt ihr das Gebot Gottes ungültig gemacht um eurer Überlieferung willen. Ihr Heuchler! Treffend hat Jesaja über euch geweissagt, indem er spricht: ‚„Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren.‘“ (Verse 1–9).

In diesen ersten neun Versen lernen wir etwas über den Zustand der Juden, dargestellt durch die Führer dieses Volkes. Der Herr Israels würde den Zustand des Volkes offenbaren, der sich als nackt und bedürftig herausstellte – im zweiten Teil des Kapitels ab Vers 21 würde sich der Herr selbst offenbaren und den nackten und bedürftigen Zustand derer zudecken, die in Aufrichtigkeit zu Ihm kommen.

Offenbar hatten einige Juden den Schriftgelehrten und Pharisäern etwas von der Speisung der 5000 erzählt (Kapitel 14,14–21). Möglicherweise hatten die Pharisäer dann nachgefragt, ob auch die Jünger etwas von den Broten gegessen hatten, was noch einmal darauf schließen lässt, dass die 12 Handkörbe voller Brotreste den Jüngern als Speise dienten. Besonders wichtig war den Führern der Juden jedoch die Frage, ob die Jünger die Brote mit gewaschenen Händen gegessen hatten.

Mit was für einer Kälte treten sie vor den Herrn der Herrlichkeit! Wieder fällt auf, dass auch hier – ähnlich wie in Kapitel 12,2 – nur die Jünger beschuldigt werden, nicht jedoch der Herr. Hatte Er vielleicht gar nichts gegessen nach dem langen Tag, als Er die 5000 Männer und ihre Frauen und Kinder mit dieser Wunderspeisung versorgt hatte?

Den Schriftgelehrten und Pharisäern ist die Autorität der Überlieferung der Ältesten so wichtig, dass sie um dieser Sache willen eigens aus Jerusalem zu Jesus kommen, um Ihm Vorwürfe zu machen. Gleichen sie nicht dem ersten König in Israel, Saul? Dieser wollte sich nicht darüber freuen, dass David die Feinde des Volkes Israel besiegen konnte, die Philister. Er nahm selbst solche Siege zum Anlass, gegen David aufzustehen, um ihn zu töten (vgl. 1. Sam 23). So auch hier: Die Führer in Israel freuen sich nicht über die Speisung der 5000 Menschen, die Heilungen in Genezareth, sondern versuchen erneut, Jesus zu Fall zu bringen. So wie Saul fühlten sich auch diese Menschen in ihrer Ehre und Autorität angegriffen, dass es jemand gab, den Gott in größerem Maß benutzte als sie. „Warum übertreten deine Jünger die Überlieferung der Ältesten?“ ist nicht nur eine Frage, sondern ein konkreter Vorwurf. Sie wollten immer noch nicht wahrhaben, dass vor ihnen der Gesetzgeber selbst stand, der Gott des Volkes Israel, der die Autorität besaß, sein Gesetz zu verschärfen, den tieferen Sinn anzugeben und auch die Traditionen der Ältesten in Israel als reine Menschengebote zu entlarven (vgl. Mt 5).

Den Juden ging es nicht um das Waschen schmutziger Hände. Wichtig waren ihnen eher ihre Zeremonien, hier also ein zeremonielles Waschen und die damit verbundene Autorität, die sie mit diesen Dingen ausüben konnten. Ihre Ältesten hatten irgendwann einmal das Gesetz eingeführt, dass ein Jude vor jeder Nahrungsaufnahme seine Hände zu waschen hatte. Im Talmud kann man nachlesen, dass es sich sogar um zwei Vorgänge handelte, also um ein zweimaliges Begießen der Hände. Es war im Übrigen ein genauer Ablauf des Reinigens von den jüdischen Rabbinern festgelegt worden.

Zuerst mussten die Hände rein gewaschen werden. Dann mussten die Fingerspitzen der zehn Finger zusammengehalten und hochgehalten werden, so dass das Wasser an den Ellenbogen herablief. Dann waren die Hände nach unten zu halten, damit das Wasser auch wieder nach unten ablief. Danach wurde frisches Wasser ausgegossen, während man die Hände wieder hochhob, unten noch zweimal, wenn die Hände wieder nach unten gehalten wurden. Die Waschung selbst wurde vollzogen, indem die Faust der einen Hand in der hohlen anderen Hand gerieben wurde.

Nachdem die Hände gewaschen worden waren, mussten sie, bevor man aß, nach oben gehalten werden. Wenn sie nach dem Essen gewaschen wurden, mussten die Hände dann nach unten gehalten werden, und zwar so, dass das Wasser nicht auf die Beine lief. Das Gefäß musste erst in der rechten, dann in der linken Hand gehalten werden. Das Wasser wurde zuerst auf die rechte und dann auf die linke Hand ausgegossen. Bei jedem dritten Mal mussten die Worte wiederholt werden: „Gesegnet bist du, der du uns das Gebot des Händewaschens gegeben hast.“ Es wurde intensiv darüber gestritten, ob der Becher des Segens oder das Händewaschen zuerst kam; ob das Handtuch auf den Tisch oder auf die Couch gelegt werden sollte; und ob der Tisch vor dem endgültigen Waschen sauber gemacht werden sollte oder erst danach.

Das Einhalten dieser überlieferten Regeln vermissten die Schriftgelehrten bei den Jüngern des Herrn. Ihnen ging es dabei offensichtlich nicht um den fehlenden Vorgang des Waschens als solchen, sondern darum, dass sie Gründe suchten, um den Herrn zu verunglimpfen. Dafür hatten sie diesen langen Weg auf sich genommen und zeigten damit, dass nicht nur sie, sondern Jerusalem, für das sie stehen, und Israel, für das Jerusalem steht, in einem bösen Zustand lebte.

Man mag sich fragen, woher diese Traditionen der Juden überhaupt kamen. Reichten die zehn Gebote des Herrn und die weiteren Ausführungsbestimmungen, die man von 2. Mose bis 5. Mose findet, nicht aus? Es wird letztlich der menschlichen Natur entsprosst sein, die dahin neigt, gerne Gebote aufzustellen und zu befolgen – zur eigenen, innerlichen Befriedigung.

Exkurs: Die Idee der Überlieferungen bei den Juden

Die Juden vor und während der Zeit des Herrn – jedenfalls die orthodoxen Schriftgelehrten und Pharisäer – glaubten daran, dass es sowohl ein geschriebenes Gesetz als auch ein mündliches Gesetz gebe. Sie gründeten diese Überzeugung auf 2. Mose 34,27 („Und der Herr sprach zu Mose: Schreibe dir diese Worte auf; denn entsprechend diesen Worten habe ich mit dir und mit Israel einen Bund geschlossen.“), indem sie lehrten, dass Mose zwar einen großen Teil der Belehrungen in das (schriftliche) Gesetz aufgenommen habe, ihm aber auch ein mündliches Gesetz gegeben worden sei.4 Dieses sei von Generation zu Generation weitergegeben und durch die Ältesten bewahrt worden. Sie waren sogar so anmaßend, das mündliche Gesetz über das schriftliche zu heben.

Einer ihrer Ältesten hat in dem sogenannten Traktat „Berachoth“ niedergelegt: „Die Worte der Schriftgelehrten sind lieblich über die Worte des Gesetzes hinaus. Denn die Worte des Gesetzes sind leicht und gewichtig, die Worte der Schriftgelehrten aber gewichtig.“ Die geschichtlichen Umstände machten es nötig – so die Verteidiger dieser Traditionen –, das mündliche Gesetz aufzuschreiben (im Talmud). In diesem können wir teilweise absurde Umschreibungen und böse Hinzufügungen zum Gesetz erkennen, die von den Alten unter dem Vorwand gemacht wurden, sie kämen von Gott. Das erinnert uns an manche Texte, die heute von einigen dem Wort Gottes hinzugefügt werden (Mormon, Suren, Verlautbarungen des Heiligen Stuhls, usw.).

An dieser Stelle wollen wir ein kurzes Beispiel für unsinnige Hinzufügungen anschauen. In 2. Mose 34,26 lesen wir: „Du sollst ein Böckchen nicht kochen in der Milch seiner Mutter.“ Das mündliche Gesetz hat dies ausgedehnt und bestimmt, es sei eine Sünde, zur gleichen Zeit Fleisch zu essen und Milch zu trinken. Die Ältesten gingen dann sogar so weit zu erklären, dass wenn ein Topf Milch überkoche und von der Milch etwas auf ein Stück Fleisch tropfe, dieses Fleischstück unrein werde und wegzuwerfen sei. Butter, die aus Milch gemacht wird, durfte ebenfalls nicht zusammen mit Fleisch gegessen werden ...

Dieses Beispiel und die Strategie der Ältesten zeigt unmittelbar, wie unannehmbar ihre Überlieferungen waren. Sie waren nicht nur eine Hinzufügung zum Gesetz Gottes, sie standen teilweise sogar in direktem Widerspruch zu Anordnungen, die Gott gegeben hatte. Zudem hatten sie einen ganz bedeutenden Makel: Sie kamen nicht von Gott, sondern von Menschen, die meinten, Gottes Wort ergänzen zu müssen. Damit wurde jedes dieser Gebote zu einem Zeichen des Ungehorsams, wie der Herr im weiteren Verlauf noch zeigen wird.

Der Herr weist die Überlieferungen zurück

Die Antwort des Herrn erscheint auf den ersten Blick äußerst scharf: „Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Und warum übertretet ihr das Gebot Gottes um eurer Überlieferung willen?“ (Vers 3) „Diese Worte sind das Todesurteil für menschliche Traditionen und Überlieferungen, die für verbindlich in göttlichen Dingen erhoben werden“, schreibt ein Ausleger. Traditionen sind wie ein Schleier, der den Menschen den wahren Sinn des Wortes Gottes verhüllt.

Das Halten von Traditionen führt dazu, dass man Gott in äußerlicher Weise dienen möchte. Das ist der Charakterzug jeder fleischlichen Religion, welchen Namen sie sich auch beilegen mag. Sie ersetzt die Forderungen Gottes durch Formen, die das Fleisch befriedigen und den eigenen Willen gewähren lassen. Das Ganze bezeichnet der religiöse Mensch in seiner Verblendung dann noch als Gottesdienst, obwohl Gott gar nicht nach seinen Gedanken gefragt wird.

Wir selbst wollen ebenfalls aufpassen. Denn auch wir können sogar gute Auslegungen zu falschen Traditionen machen. Aber wenn wir sie recht nutzen, führen sie uns zu der eigentlichen Quelle zurück, zum Wort Gottes.

Man könnte fragen, ob denn das Gebot des Händewaschens nicht sinnvoll ist. Natürlich ist es nicht verkehrt, sich vor dem Essen die Hände zu waschen. Aber davon stand kein einziges Wort im Alten Testament. Und um das eigentliche Gebot ging es den Juden auch gar nicht, sondern um das Einhalten von menschlichen Gesetzen, die ihre eigene Autorität festigten. Ihre Vorschriften standen jedoch teilweise direkt, immer jedoch indirekt im Widerspruch zum Gebot Gottes. Denn eingehalten werden mussten die Gebote, die Gott gegeben hatte. Und wenn Traditionen zu Geboten erhoben werden, die Menschen einhalten müssen, dann werden sie den göttlichen Geboten automatisch gleichgesetzt oder sogar über sie erhoben. Das taten die Pharisäer mit diesen menschlichen Hinzufügungen und setzten damit letztlich die Gedanken Gottes beiseite. Aus diesem Grund verurteilt der Herr hier diese Überlieferungen der Juden. Dabei tritt Er nicht in eine abstrakte Diskussion über Traditionen ein, sondern wendet sich direkt an das Gewissen seiner Zuhörer.

Wie gesagt gingen die Juden tatsächlich oft so weit, sich durch ihre Überlieferungen direkt gegen Gottes Gebote zu stellen. Es war ihnen beispielsweise „erlaubt“, unreines Fleisch und unreine Getränke zu sich zu nehmen – im Gesetz Gottes ausdrücklich verboten (vgl. 3. Mo 11) –, solange man die Überlieferungen der Ältesten hielt und sich die Hände zeremoniell vorher wusch. Und dann wurde noch hinzugefügt, mit welcher Hand man sich zuerst waschen musste, usw. ...

Das Thema Überlieferungen und Traditionen ist auch in der heutigen Zeit sehr aktuell. Denn es ist menschlich, alles mit menschlichen Überlegungen festzulegen, wenn Gott keine einzelnen Anweisungen gegeben hat. An dieser Stelle möchte ich gerne zwei Gedanken weitergeben, die William Kelly in seinen Auslegungen zum Markus- und Matthäusevangelium formuliert hat:

„Ein wichtiger Grundsatz im Wort Gottes lautet: Gott ist unendlich weise und heilig; wo Er nicht irgendeine ausdrückliche Vorschrift niedergelegt hat, heißt es: Wehe dem, der die Freiheit einschränkt! Im Gegensatz dazu nutzt der Mensch solche Lücken und erlässt dort, wo Gott kein Gesetz niedergelegt hat, sein eigenes. Aber Gott hatte keine Vollmacht zur Gesetzgebung gegeben; und die Hälfte aller Streitfragen und Spaltungen, die in der Christenheit aufgetreten sind, entspringen eben hieraus. Der Mensch nimmt in seiner Hast, Schwierigkeiten zu lösen, Zuflucht zu solchen Maßnahmen und will seinen eigenen Willen durchsetzen, wo Gott, anstatt irgendetwas ausdrücklich zu regeln, die Dinge zur Herzensprüfung offen gelassen und deshalb absichtlich auf ein Gebot verzichtet hat.“

„Der Herr weist sofort auf die offensichtliche Tatsache hin, dass sich die Schriftgelehrten und Pharisäer in ihrem Eifer für die Traditionen der Ältesten geradewegs gegen das klare, positive Gebot Gottes stellten. Ich glaube, dass dies die unveränderliche Folge von Tradition ist, egal bei wem sie gefunden wird. Wenn man sich die Geschichte der Christenheit anschaut und irgendeine Regel nimmt, die irgendwann eingeführt worden ist, wird man feststellen, dass sie diejenigen, die ihr folgen, in einen Gegensatz zu den Gedanken Gottes führt.“

Der Christ und Überlieferungen5

Wenn wir über die Frage nachdenken, welche Bedeutung und etwaige Gültigkeit Überlieferungen für uns Christen heute haben, müssen wir zunächst feststellen, dass der Herr Jesus hier ein Beispiel nennt, das offensichtlich im Widerspruch zu den Geboten Gottes stand. Er führt es deshalb an, weil die Juden ihre Traditionen häufig neben oder sogar über das Wort Gottes stellten. Damit waren diese Überlieferungen verkehrt und ein Gräuel in den Augen Gottes.

Oft wird es bei Christen nicht so weit gehen, doch auch wir müssen uns fragen, ob wir uns nicht ebenfalls Traditionen unterordnen, denen derart großes Gewicht beigemessen wird, dass ihre Einhaltung wie die eines Gesetzes verlangt wird. Manchmal stehen solche Traditionen im Widerspruch zu Gottes Wort, selbst wenn sie nicht mit einer konkreten Bibelstelle kollidieren. Oft geht es – wie bei den beiden Punkten in Matthäus 15 – um Vorschriften, die das äußerliche Verhalten betreffen.

Mancher Leser kennt wahrscheinlich aus seiner eigenen Erfahrung Beispiele von Traditionen, die äußere Kennzeichen und Verhaltensweisen von Menschen, Männern und Frauen, Ehepaaren und Familien betreffen. Es besteht die Gefahr, dass man ihnen einen geistlichen Wert gibt und sie damit auf eine Stufe mit dem Wort Gottes stellt. Wir erkennen im Licht von Matthäus 15, dass solche Traditionen inmitten der Versammlung Gottes keinen Platz haben. Natürlich räumt Gott der fleischlichen Freiheit keinen Platz ein, tun und lassen zu wollen, was man selbst will. Aber in diesen Versen zeigt der Herr sehr deutlich, dass Überlieferungen und Traditionen, wenn sie zum Maßstab des Handelns und Lebens erhoben werden, im Widerspruch zu Gottes Wort stehen.

Immer dann, wenn die Bibel sich gerade im Neuen Testament sehr konkret zu einzelnen Punkten äußert, wie zum Beispiel bei dem Bedecken der Frau, wenn sie „betet oder weissagt“ (1. Kor 11,5), dürfen wir das aber nie Tradition nennen. Genauso wahr ist, dass wir zu manchen Fragen des Lebens durch den Zusammenhang und „Geist der Schrift“ eine deutliche Antwort erhalten, auch wenn ein Punkt nicht wörtlich erwähnt wird. Auch in vielen anderen Fällen mag es gute Gründe für die eine oder andere Handlungsweise geben. Wir dürfen daraus aber keine Überlieferung machen, die den Gläubigen als Gesetz auferlegt wird.

Des Herrn Beurteilung von menschlichen Überlieferungen

Gott möchte durch sein Wort und seinen Geist auf das Gewissen des Menschen einwirken. Daraus folgt, dass alles, was die direkte Einwirkung der Schrift vonseiten Gottes unterbricht, Sünde ist. Der Mensch stellt sich damit nämlich auf den Platz Gottes. Auf diese Weise können wir sehr gut unterscheiden, ob etwas von Gott ist oder nicht. Natürlich hat Gott Hilfsmittel gegeben, damit wir sein Wort besser verstehen können – diese Abhandlung soll genau diesem Ziel dienen. Aber nichts darf das göttliche Wort schmälern. Dieses ist das Mittel, das Gott gewählt hat, um sich mit Sündern zu befassen und um seine Kinder aufzuerbauen.

Die Überlieferung dagegen ist weder ein Hilfsmittel zum Verständnis der göttlichen Gedanken, noch geht sie von Gott aus: Sie hat ihren Ursprung im Menschen. Wir finden auch im Neuen Testament und in der christlichen Zeit bereits während des Dienstes des Apostels Paulus den Versuch, sie einzuführen.

In der Versammlung von Korinth sehen wir dafür ein Beispiel. Vielleicht war es der erste Versuch des Feindes, menschliche Überlieferung einzuführen. Die Korinther hatten erlaubt, dass Frauen in den öffentlichen Versammlungen predigten. Der Apostel musste dies öffentlich tadeln. Er fragt sie: „Ist das Wort Gottes von euch ausgegangen?“ Das scheint darauf hinzuweisen, dass die Korinther die Beteiligung von Frauen zu einer Regel, zu einem „Wort Gottes“ gemacht hatten, obwohl es ihren eigenen Überlegungen entsprang. Natürlich mochte es für Menschen überzeugende Argumente geben: Die Menschen mochten überlegt haben: Wenn Frauen Gaben haben – warum sollen diese nicht genutzt werden? Wenn jedoch das Wort Gottes das Reden der Frauen ausdrücklich untersagt, konnte es diese Gabe überhaupt nicht geben. Es erlaubt, dass eine Frau weissagt (vgl. Apg 21,9). Aber es untersagt einer Frau zu lehren oder zu herrschen (1. Tim 2,12).

So zerstören Überlieferungen grundsätzlich die Autorität des Wortes Gottes und stellen dieses beiseite und machen das Wort Gottes ungültig.

Das Beispiel des Herrn: Ehre Vater und Mutter

Der Herr Jesus führt dann ein konkretes Beispiel an, das deutlich macht, wie sehr sich die Juden von den Geboten Gottes entfernt hatten. Er braucht nicht auf ein fingiertes Beispiel zurückzugreifen, wie es die Sadduzäer einmal taten, sondern kann sich beim „Schatz“ der Überlieferungen der Juden bedienen. Er benutzt dazu das fünfte Gebot vom Sinai: „Ehre den Vater und die Mutter“ (2. Mo 20,12) und: „Wer Vater oder Mutter schmäht, soll des Todes sterben“ (2. Mo 21,17). Das waren klare Gebote Gottes, die Er seinem Volk gegeben hatte.

Was hatten die Ältesten jetzt aus dieser Ansage Gottes gemacht? Sie hatten den Kindern – es geht hier nicht um kleine Kinder, sondern um erwachsene Kinder – die Möglichkeit gegeben, die Versorgung der Eltern zu umgehen: „Ihr aber sagt: Wer irgend zum Vater oder zur Mutter spricht: Eine Opfergabe sei das, was irgend dir von mir zunutze kommen könnte – der wird keineswegs seinen Vater oder seine Mutter ehren.“

Oft hatten älter gewordene Eltern die Unterstützung ihrer Kinder nötig. Denn damals gab es kein soziales Netz, wie wir es kennen, mit Rente und Pension. Deshalb hatte Gott das fünfte Gebot gegeben. Kinder sollten nicht nur Nutznießer der früheren Erziehung und Zuwendung der Eltern sein. Sie sollten dann später auch Verantwortung spüren und übernehmen, wenn die Eltern älter wurden und nicht mehr gut für sich selbst sorgen konnten.

Scheinbar weise Rabbiner hatten nun den Kindern eine Möglichkeit eingeräumt, dieses Gebot Gottes zu umgehen. Zwar bestärkten sie in vielen anderen Stellen die Notwendigkeit, die Eltern zu ehren. Aber wenn man das für die Versorgung der Eltern nötige Geld für eine Opfergabe des Tempels hörbar/sichtbar weihen würde, könnte dieses Geld nicht mehr den Eltern gegeben werden, denn es war damit dem Herrn geheiligt.

Letztlich spielte es keine Rolle, ob das Geld wirklich, dem Versprechen bzw. Schwur gemäß als Opfergabe zum Haus Gottes kam. Allein dadurch, dass man dem Geld das Ziel „Opfergabe“ zuwies, konnte man dieses Geld den Eltern nicht mehr geben, was auch immer man dann konkret mit diesem Geldbetrag unternahm. Das sah nach außen hin sehr fromm aus. Jemand stellt Gott und dessen Haus an die erste Stelle. In Wirklichkeit aber war es purer Ungehorsam dem Wort Gottes gegenüber. Denn Gott hatte geboten, die Eltern zu ehren und sich um sie zu kümmern. Wenn ein Israelit das für die Versorgung der Eltern nötige Geld Gott weihte, verachtete er Gottes Gebot und verunehrte damit den Gesetzgeber: Gott. Außerdem vernachlässigte er damit seine Eltern auf gehässige Weise.

Wie konnte Gott eine solche Opfergabe annehmen! Solch eine Anbetung ist wertlos für Gott. Man stand zwar vor den Augen vieler Menschen groß da; in den Augen Gottes aber war man ein Gesetzesübertreter. Das führt Jakobus in seinem Brief ebenfalls aus. „Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst ist dieser: Waisen und Witwen in ihrer Drangsal zu besuchen, sich selbst von der Welt unbefleckt zu erhalten“ (Jak 1,27). Wer meint, Gott dienen zu können, ohne seiner Verantwortung im irdischen Bereich nachzukommen, irrt und tritt Gottes Gebote mit Füßen.

Das offenbart Jesus in seiner Ergänzung: „Und so habt ihr das Gebot Gottes ungültig gemacht um eurer Überlieferung willen. Ihr Heuchler!“ Die Überlieferung, die so hoch gehalten wurde, erwies sich als ungöttlich und als direkter Widerspruch zu den Geboten Gottes. Diese Menschen hielten ihr eigenes Versprechen für wichtiger als das Befolgen des Wortes Gottes. Daher waren die Schriftgelehrten und Pharisäer in Wahrheit keine frommen Menschen, sondern Heuchler, die sich und ihre eigenen Gebote wichtiger nahmen als Gott. Sie gaben vor, die Seite Gottes zu vertreten, in Wirklichkeit jedoch lebten sie nur ihre eigenen Traditionen aus. Das war nichts anderes als Heuchelei. Wenn man nicht davor zurückschreckt, Gott um seine Rechte zu bringen, so wird man sich auch nicht scheuen, den Eltern ihr Recht zu verweigern.

Nebenbei bemerkt dürfen wir als Christen nicht vergessen, dass wir zwar nicht unter Gesetz stehen und somit das „Ehren der Eltern“ für uns nicht den Charakter eines „Gesetzes“ hat. Und doch führt Paulus gerade dieses „erste Gebot mit Verheißung“ an, um Kindern zu verdeutlichen, dass sie ihren Eltern gehorsam sein müssen. „Ehre deinen Vater und deine Mutter“ hat in diesem Sinn bis heute eine moralische Kraft für Menschen, die Gott ehren wollen (vgl. Eph 6,1–3). Auch in seinem Brief an Timotheus unterstreicht Paulus, was für eine Bedeutung das Verhalten von (erwachsenen) Kindern zu ihren Eltern hat. Sie sollen für ihre Eltern sorgen, wenn dies nötig wird (vgl. 1. Tim 5,4.8). Wer das nicht tut, „ist schlechter als ein Ungläubiger“. Insofern tut ein Christ viel mehr als jemand, der das Gesetz versucht zu halten. Aber er tut es nicht als jemand, der ein Gesetz erfüllt, sondern als jemand, der das neue Leben wirken lässt.

Exkurs: Weihe und Gelübde in Israel

Mit ihren Vorschriften pervertierten die Führer in Israel das, was Gott in seiner Weisheit als eine Möglichkeit freiwilliger Gelübde in Israel gegeben hatte. Wir lesen davon in 3. Mose 27, in 4. Mose 6 und an anderer Stellen. In 2. Könige 12,5.6 finden wir ein Beispiel für solche freiwillige Gaben für Jahwe. Dazu gehört auch das Hebopfer. Es handelte sich um ein Opfer, das man vom Boden in Richtung Himmel hob und damit Gott weihte, Ihm anbot.

Das erste Hebopfer finden wir in 2. Mose 25,2 in Verbindung mit dem Bau der Stiftshütte, des Zeltes der Zusammenkunft während der Wüstenreise. Hier weihte das Volk Gott Gold, Silber, Kupfer usw. Später wurden Schlacht- und Speisopfer als Hebopfer gebracht.

Aus 3. Mose 27 lernen wir, dass man sich selbst bzw. jemand aus der Familie weihen konnte (Verse 1 – 8), ein Opfertier (Verse 9.10), ein unreines Tier (Verse 11 – 13), ein Haus (Verse 14.15) sowie ein Feld bzw. Ernten (Verse 16 ff.). In diesem Zusammenhang ist auch von „verbannen“ die Rede (vgl. 3. Mo 27,28.29). Im Auftrag des Herrn verbanntes Gut gehört Ihm – war Ihm geweiht, für Ihn reserviert. Verbannte Menschen dagegen mussten getötet werden. Schließlich finden wir das Nasir-Gelübde in 4. Mose 6, bei dem sich ein Israelit Gott auf eine bestimmte Weise weihen und absondern konnte.

Wie kann man sich das alles konkret vorstellen? Beim Hebopfer finden wir, dass Gott und dem Heiligtum wertvolle Materialien geschenkt wurden. Bei Menschen war es so, dass sie sich in besonderer Weise Gott im Dienst zur Verfügung stellten. Vielleicht kann man sich das so vorstellen, dass sie wie die Gibeoniter (Jos 9) besondere Aufgaben im Heiligtum übernahmen. Samuel könnte dafür ein Beispiel sein. Zwar war er von Haus aus Levit; aber nach 1. Samuel 1,28 weihten seine Eltern ihn Gott für einen Dienst in Verbindung mit dem Heiligtum.

Man konnte auch sein Haus dem Herrn zur Verfügung stellen. Vielleicht darf man die Wohnstätte für den Propheten Elisa im Hause der Sunamitin als ein Beispiel verstehen (vgl. 2. Kön 4,8 ff.). Auch Ernten wurden Gott geweiht und kamen so den Priestern und Leviten zugute. Geldgaben wiederum konnten nach 2. Könige 12 für das Ausbessern des Tempels benutzt werden.

Nie aber war es Gottes Gedanke, dass etwas, das Ihm zur Verfügung gestellt wurde, einem anderen Gebot (wie dem, die Eltern zu ehren) im Wege stand. Während das Ehren der Eltern ein verpflichtendes Gebot war, konnte ein Israelit freiwillig von dem Übrigbleibenden Gott ein Hebopfer oder ein Gelübde bezahlen.

Das Urteil Gottes über die Pharisäer

Im siebten Vers macht der Herr deutlich, welche Eigenschaft die Pharisäer und Schriftgelehrten mitsamt ihrem Bestehen auf menschliche Traditionen prägte: „Ihr Heuchler! Treffend hat Jesaja über euch geweissagt, indem er spricht: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren.“ Sie waren Heuchler, die vorgaben, Gott zu dienen, in Wirklichkeit aber sich selbst dienten. Ihr Mund war wohl in der Lage, Gott (scheinbar) zu ehren. In ihrem Herzen jedoch waren sie weit entfernt von Gott. Deshalb war es ein vergeblicher Gottesdienst, der in den Augen Gottes keinen Wert besaß. Denn sie wollten nicht die Gebote Gottes verwirklichen, sondern ihre eigenen Überlegungen unter das Volk bringen.

Wie muss die selbstüberzeugten Führer des Volkes dieses vernichtende Urteil verärgert haben. Sie waren nicht bereit, umzukehren und Buße zu tun. Sie fühlten sich nur angestachelt in ihrem Zorn gegen den wahren Messias. Dabei übersahen sie, dass ihre Haltung letztlich sogar ein Gericht Gottes war. Wenn man das Zitat in Jesaja 29 im Zusammenhang liest, wird man erkennen, dass Gott das Volk aufgrund seiner Herzenshärte und seiner dauerhaft unbeugsamen Haltung des Ungehorsams zu geistlicher Blindheit verurteilt, die mit der Verhärtung des Herzens (vgl. die Verhärtung des Pharao) einhergeht. Leider gibt es auch heute dieselben Merkmale einer pharisäischen Haltung. Hüten wir uns, dass wir selbst keinen solchen Weg gehen. Sonst fallen wir unter dasselbe Urteil.

Verse 10–20: Der Messias zeigt die wahre Ursache für das Böse in Israel auf: ihr Herz

„Und er rief die Volksmenge herzu und sprach zu ihnen: Hört und versteht! Nicht was in den Mund eingeht, verunreinigt den Menschen, sondern was aus dem Mund ausgeht, das verunreinigt den Menschen. Dann traten seine Jünger herzu und sprachen zu ihm: Weißt du, dass die Pharisäer Anstoß genommen haben, als sie das Wort hörten? Er aber antwortete und sprach: Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerissen werden. Lasst sie; sie sind blinde Leiter der Blinden. Wenn aber ein Blinder einen Blinden leitet, so werden beide in eine Grube fallen. Petrus aber antwortete und sprach zu ihm: Deute uns dieses Gleichnis. Er aber sprach: Seid auch ihr noch unverständig? Begreift ihr nicht, dass alles, was in den Mund eingeht, in den Bauch geht und in den Abort ausgeschieden wird? Was aber aus dem Mund ausgeht, kommt aus dem Herzen hervor, und das verunreinigt den Menschen. Denn aus dem Herzen kommen hervor böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerungen; diese Dinge sind es, die den Menschen verunreinigen, aber mit ungewaschenen Händen essen verunreinigt den Menschen nicht“ (Verse 10–20).

Jesus zeigt einen heiligen Zorn über diese äußerliche Heuchelei der Pharisäer. Dies veranlasst Ihn, die Volksmenge herzuzurufen, um ihnen eine wichtige Belehrung über die Verunreinigung und das Böse des Menschen zu geben. Der Herr belehrt nicht die Pharisäer und Schriftgelehrten. Diese bösen Menschen wollten vielleicht mit dem Herrn diskutieren. Aber in ihren Gewissen annehmen wollten sie die Botschaft Gottes nicht. Hier war es leider zwecklos, weiter zu sprechen.

Die Volksmenge jedoch war sozusagen Befehlsempfänger der bösen Führer des Volkes. Und die Menschen stellten sich unter die Gebote der Pharisäer, weil für sie sonst die Gefahr bestand, von diesen ausgestoßen zu werden, wie man der Begebenheit in Johannes 9 (V. 22) entnehmen kann (vgl. auch Joh 12,42). Daher wendet sich Jesus an das Volk, um ihnen die Verkehrtheit der Traditionen der Juden aufzuzeigen. Nicht Speisen oder schmutzige Finger verunreinigen den Menschen, was seine moralische Stellung vor Gott betrifft. Aber das, was aus seinem Mund hervorgeht und seinen Keim im Inneren des Menschen hat, dies ist es, was dazu führt, dass ein Mensch unrein vor Gott dasteht.

Auf diese Belehrung hin bekommt der Herr keine Antwort, jedenfalls keine direkte. Aber die Jünger fühlen sich offenbar sehr unwohl in ihrer Haut. Ob sie ein wenig mit den Gedanken der Pharisäer sympathisierten? Sie merken jedenfalls, dass die Pharisäer von den Worten des Meisters nicht begeistert waren. Hatten die Jünger denn anderes erwartet, als sie den Herrn hörten? Offenbar hatten sie von ihrem Meister noch nicht ausreichend gelernt, was für Gedanken Gott über diese heuchlerischen Menschen hatte.

Wenn die Pharisäer Anstoß an den Worten des Herrn nahmen, so offenbarten sie damit nur ihre innere Haltung und zeigten, wo ihr Leben enden würde. Denn wenn sie sich an Christus stießen, würden sie verloren gehen. Anstoß nehmen heißt nämlich, zu Fall kommen und liegen bleiben. Von den meisten der Pharisäer müssen wir angesichts ihres offensichtlichen Widerstands gegen Christus leider annehmen, dass sie den Himmel verfehlt haben.

Der Herr Jesus zeigt in seiner Antwort an die Jünger den wahren Charakter dieser Menschen. Dabei müssen wir bedenken, dass sich diese Charakterisierung nicht zufällig genau im 15. Kapitel unseres Evangeliums findet, nämlich weil der Herr hier eine Kennzeichnung des Zustandes des ganzen Volkes vornimmt. Dieses stand im Begriff, den eigenen Messias nicht nur zu verwerfen, sondern auch zu ermorden. Sie waren Heuchler, weil sie vorgaben, Gott zu ehren, den Christus Gottes jedoch ans Kreuz brachten. Nur wenige Kapitel später lesen wir, dass sie genau das getan haben.

Der geistliche Zustand der Führer und des Volkes

Hier nun lernen wir, dass die Führer in Israel kein neues Leben hatten und geistlich blind waren: „Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerissen werden. Lasst sie; sie sind blinde Leiter der Blinden. Wenn aber ein Blinder einen Blinden leitet, so werden beide in eine Grube fallen.“

Was für ein Urteil des Herrn: Die Pharisäer glichen Pflanzen, die der himmlische Vater nicht gepflanzt hat. Sie hatten im Gegensatz zu Christus keinen himmlischen Vater. Sie konnten nicht sagen: „mein himmlischer Vater“. Aber nicht nur das, sie hatten überhaupt keine Beziehung zu Gott. Denn Er hatte sie nicht gepflanzt, Er kannte sie nicht (vgl. auch Mt 7,23), Er konnte sie nicht annehmen. Daher würde Er sie aus seinem Königreich ausreißen, wie Pflanzen aus dem Boden gerissen werden. Das Ende dieser Menschen musste daher furchtbar sein. Der Herr deutet damit an, dass sie kein neues Leben hatten, keine neue Geburt erlebt hatten (vgl. Joh 3,5–7). Somit besaßen sie auch keinen Platz im Königreich Gottes.

Aber nicht nur das. Sie waren auch geistlich blind. Sie besaßen keine geistliche Einsicht in die Gedanken Gottes. Sie waren unwissend, auch wenn sie sich dem Volk gegenüber als Führer und Wissende ausgaben. Aber wenn ein Blinder andere Blinde leitet, kann dies nicht gut gehen. Beide fallen in eine Grube. Das Ziel, was sie erreichen wollen, können sie nicht finden. Es reicht eben nicht aus, zu meinen, man sei wissend, und sich als wissend zu bezeichnen. Wenn nicht wahre Kenntnis Gottes und Beugung vor Gott vorhanden ist, bleibt man blind und kurzsichtig (vgl. 2. Pet 1,9).

Natürlich waren nicht allein die Pharisäer blind. Auch das Volk der Juden war blind. Aber die Verantwortung der Pharisäer, die vorgaben, sehend zu sein und andere führen zu können, war ungleich höher. Allerdings erkannten sie nicht, dass sie selbst vollkommen blind waren, die Gedanken Gottes erkennen zu können (vgl. Joh 9,39–41).

Noch ein weiteres Wort des Herrn Jesus ist auffallend: „Lasst sie“ – diese Pharisäer. Es ist ein Wort furchtbaren Gerichts. Denn es bedeutet auch: Es hat keinen Zweck mehr, sich mit ihnen zu beschäftigen (Hos 4,17). „Lasst sie. Sie wollen ihren eigenen Weg ohne Gott gehen. Auf diesem Weg können wir ihnen nicht folgen, wir können ihnen aber auch nicht mehr helfen, da sie sich nicht helfen lassen wollen.“

Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen (Heb 10,31). Es ist aber auch furchtbar, wenn sich Gott von einem Menschen abwendet, weil dieser auf eine mehrfache Ansprache nicht hören will und sein Herz verhärtet. Den Pharisäern war nicht mehr zu helfen. Wehe dem, dem heute nicht mehr zu helfen ist, weil sich Gott von ihm nach einer wiederholten vergeblichen Ansprache an das Gewissen abwendet.

Das erneute Unverständnis der Jünger

Der Vergleich mit Markus 7 macht klar, dass das Unverständnis der Jünger nicht (allein) mit den Worten des Herrn über die blinden Leiter zu tun hatte. Ihre Frage bezogen sie auf das, was wir in Vers 11 lesen, nämlich die Verunreinigung, die nicht von außen, sondern von innen heraus geschieht. Wir können den Herrn in seiner Langmut nur bewundern, dass Er auf die Bitte des Petrus und der anderen Jüngern eingeht und in Geduld die eigentlich klaren Worte weiter erklärt. Der Herr tut das jedoch nicht, ohne die Jünger zu tadeln: „Seid auch ihr noch unverständig?“ Er fragt sie gewissermaßen: „Steht Ihr äußerlich auf derselben Stufe wie die Pharisäer, die nicht verstehen können, weil sie nicht zu meinem himmlischen Vater gehören? Aber Ihr seid doch meine Jünger, die ich immer wieder über diese Dinge belehrt habe. Begreift Ihr nicht, was ich Euch und den Volksmengen sage?“

Offenbar hatten sich die Jünger vom äußeren würdevollen Eindruck der Pharisäer beeinflussen lassen, so dass sie nicht in der Lage waren, eine nüchterne Beurteilung ihrer Lehren anhand des Alten Testaments vorzunehmen. Hatte das alles auf sie abgefärbt, dass auch sie sich diesen Menschengeboten angeschlossen hatten? Wer gibt von sich selbst zu, dass er gesetzlich ist („ich bin doch entschieden dagegen“)? Dass er äußere Formen über das innere Wesen stellt („das Äußere ist doch deshalb enorm wichtig, weil es den inneren Zustand offenbart“). Oder wer gibt zu, dass er weltlich ist („sind wir nicht zur Freiheit berufen worden?“)?

Die Jünger erkannten damals noch nicht – sicher auch aufgrund der Tatsache, dass der Geist Gottes noch nicht in den Gläubigen wohnte –, dass das Alte Testament sozusagen ein Bilderbuch der Wirklichkeit ist, die der Herr in diesem Moment einführte. Wir haben keinen Anlass, die Jünger geringschätzig zu beurteilen. Denn auch uns geht es oft so, dass wir die einfachen Belehrungen der Schrift kaum oder gar nicht begreifen. Und wie oft bleiben wir bei äußerlichen Punkten stehen, statt uns die innere Wirklichkeit einer Belehrung zu eigen zu machen. Spätestens, wenn es darum geht, sie in den Lebensalltag zu übertragen, versagen wir oft. Wie dankbar dürfen wir da sein, dass unser treuer Herr auch uns gegenüber so langmütig ist.

Das Herz als Ursprung des Bösen

„Begreift ihr nicht, dass alles, was in den Mund eingeht, in den Bauch geht und in den Abort ausgeschieden wird? Was aber aus dem Mund ausgeht, kommt aus dem Herzen hervor, und das verunreinigt den Menschen.“ Nicht das, was man isst, macht einen Menschen unrein vor Gott. Natürlich gab es im Judentum Speisen, die einen Menschen gemäß dem Gesetz verunreinigten. Auch durch ein bestimmtes Verhalten oder durch Berühren von Dingen wurde man verunreinigt. Doch diese Verunreinigungen wollte der Herr nun geistlich verstanden wissen. Selbst wir Christen können uns durch äußeres Verhalten innerlich verunreinigen (vgl. 2. Joh 11; 1. Kor 10,18–21). Aber auch dann ist die Verunreinigung letztendlich die Folge eines innerlichen Ungehorsams. Denn die äußerlich sichtbare Tat ist die Folge dessen, was wir innerlich denken, wie wir innerlich zum Wort des Herrn stehen.

Der Urheber jeder Tat ist das Herz. Und dieses war bei den Pharisäern gottlos. Der Herr zeigt in den Versen 19 und 20, was im Herzen vorhanden sein kann. Er bestätigt damit seine früheren Worte: „Ihr Otternbrut! Wie könnt ihr Gutes reden, da ihr böse seid? Denn aus der Fülle des Herzens redet der Mund“ (Mt 12,34).

Dass das Herz von Natur aus böse ist, konnten die Zuhörer schon im Alten Testament nachlesen. Und doch wird bis heute von vielen geleugnet, dass der Mensch von Natur aus böse ist: „Arglistig ist das Herz, mehr als alles, und verdorben ist es; wer mag es kennen? Ich, der Herr, erforsche das Herz und prüfe die Nieren, und zwar um einem jeden zu geben nach seinen Wegen, nach der Frucht seiner Handlungen“ (Jer 17,9.10). Hier wird das Problem des Herzens beschrieben, von dem nach Sprüche 4,23 die Ausgänge des Lebens sind. Zugleich wird das Herz hier mit den Handlungen verbunden, die den wirklichen Herzenszustand widerspiegeln.

Wenn das Herz böse ist, kommen auch nur böse Taten hervor. Wenn das Herz durch Gott verwandelt wurde, werden das auch die Handlungen widerspiegeln. Oft sind es die Worte, die den wahren Zustand des Herzens offenbaren. Daher spricht der Herr in Vers 18 vom Mund – und wir wissen aus unserem eigenen Leben, dass unser Mund viel von dem zeigt, was in unserem Inneren los ist. Zwar kann man manches schauspielern, aber auf Dauer ist das nicht möglich. In Jakobus 3 lernen wir, was alles durch den Mund ausgedrückt werden und passieren kann.

Wenn man den Zustand des Herzens erkennt, hört man auf zu meinen, durch menschliche Anstrengungen könne man den Menschen verbessern. Etwas, was böse ist, kann nicht durch fleischliche Versuche besser werden. Es muss in und vor den Augen Gottes beseitigt und gerichtet werden. Man kann das Fleisch nicht verbessern – es ist vollständig wertlos vor Gott.

In Vers 19 nennt der Herr sieben Beispiele, die das Böse des Herzens offenbaren. Hier gab es nichts zu beschönigen: „Denn aus dem Herzen kommen hervor böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerungen; diese Dinge sind es, die den Menschen verunreinigen.“ Diese sieben Punkte sind nur exemplarisch vom Herrn ausgewählt worden. Sie fassen in präziser Weise den Zustand des Volkes zusammen.

Die Offenbarung eines bösen Herzens

  1. Böse Gedanken: Das Herz, das unabhängig von Gott arbeitet, bringt Gedanken hervor, die das Böse suchen. Sie wollen das Schlechte für den anderen, ihm Böses tun. Die Gedanken sind nur der Spiegel des Herzens! Und sie sind der Ausgangspunkt der anderen bösen Handlungen der Pharisäer und Schriftgelehrten.
  2. Mord: Der Mord ist natürlich eine äußerliche Handlung. Aber sie entspringt dem Herzen eines Menschen, das den anderen Menschen nicht ertragen kann, weil er vielleicht Fähigkeiten besitzt, die ich nicht habe. Oder, weil er mir etwas getan hat, was ich nicht weiter ertragen will. Einem anderen Menschen das Leben zu nehmen, ist ein furchtbarer Gedanke, der im Herzen entwickelt wird. Kain ist dafür ein Beispiel.
  3. Ehebruch: Der Herr hat dem Menschen die Ehe geschenkt. Aus 1. Mose 2,24 und Stellen wie Maleachi 2,16 lernen wir, dass Gott die Trennung von Ehepaaren verabscheut. Ich habe meinem Ehepartner versprochen, ihn bis an mein Lebensende zu lieben. Verkehre ich dann aber in intimer Weise mit einer anderen Person, mit der ich nicht verheiratet bin, ist dies Ehebruch! Gott verabscheut Ehebruch.
  4. Hurerei: Man könnte auch sagen: Unzucht. Hier wird diese Handlung unterschieden von Ehebruch. Dieser ist sozusagen ein Spezialfall von Hurerei. Es geht um jeden außerehelichen, intimen Verkehr von Mann und Frau, um jede gleichgeschlechtliche Partnerschaft oder auch um den Gräuel, dass Menschen mit Tieren verkehren oder Kinder sexuell missbrauchen. Gott hat nur die Ehe als Ort des intimen Zusammenseins von Mann und Frau geschenkt. Wer eine Frau außerhalb der Ehe begehrt, zeigt, dass sein Herz weit von Gott entfernt ist.
  5. Diebereien: Wer Dinge haben möchte, die ihm nicht gehören und auch nicht zustehen, zeigt, was für ein böses Herz in ihm steckt.
  6. Falsche Zeugnisse: Wie leicht sind wir unehrlich, wenn wir um ein Zeugnis gebeten werden. Wie oft lügen wir, um besser dazustehen, als es wahr ist. Ein Mensch, der als falscher Zeuge auftritt, offenbart sein böses Herz, das die Wahrheit nicht zu suchen scheint.
  7. Lästerungen: Das ist vielleicht das Schlimmste. Wer Gott lästert oder Autoritäten lästert, die Gott eingesetzt hat, macht sich im Blick auf Gott schuldig. Er ist nicht bereit, sich Gott und den von Ihm gegebenen Regierungen unterzuordnen. Er lässt sich durch Satan inspirieren, den großen Lästerer. Es geht um böses und unzutreffendes Reden über andere. Ein Herz, das sich so über Gott erhebt, kann nur böse in sich selbst sein.

Der Vergleich mit Markus 7,21–23 zeigt, dass diese sieben Punkte nur Beispiele sind. Es scheint, dass es sich um Beispiele handelt, die den Charakter des Judentums in besonderer Weise beschreiben. Sie hatten böse Gedanken über Gott und seinen Messias. Sie standen kurz davor, ihren eigenen Messias zu ermorden. Sie wollten das schon viel früher, als es ihnen dann gewissermaßen gelang. Sie betrieben Ehebruch, indem sie ihre eigentliche Beziehung zu dem Herrn leugneten. Aber nicht nur das, sie ließen sich mit jedem Götzen ein, der sich ihnen anbot. Raubten sie Gott nicht die Ehre und sogar die Opfer, die Ihm zustanden, wie Maleachi verschiedentlich zeigt? Verbanden sie sich nicht mit den heidnischen Befehlshabern und Soldaten, um Christus zu beseitigen? Als sie Christus ans Kreuz bringen wollten, waren sie sich nicht zu schade, falsche Zeugnisse auszusprechen. Und als Er am Kreuz hing, wagten sie es sogar, Ihn zu verlästern. Das war der wahre Zustand der Elite des Volkes Israel, der ein Spiegelbild des Zustands des ganzen Volkes war. Sie ehrten Gott mit den Lippen, aber ihr Herz war weit entfernt davon, sich Gott unterzuordnen.

Weil das so war, gab es für den Herrn nur eine Konsequenz: Er musste sich von diesem Volk abwenden. Das finden wir in Vers 21 dokumentiert.

Verse 21–28: Die Gnade wendet sich den verworfenen Heiden zu

„Und Jesus ging aus von dort und zog sich zurück in das Gebiet von Tyrus und Sidon; und siehe, eine kananäische Frau, die aus jenem Gebiet hergekommen war, schrie und sprach: Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter ist schlimm besessen. Er aber antwortete ihr nicht ein Wort. Und seine Jünger traten herzu und baten ihn und sprachen: Entlass sie, denn sie schreit hinter uns her. Er aber antwortete und sprach: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Sie aber kam und warf sich vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! Er aber antwortete und sprach: Es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden hinzuwerfen. Sie aber sprach: Ja, Herr; und doch fressen die Hunde von den Brotkrumen, die von dem Tisch ihrer Herren fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: O Frau, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst. Und ihre Tochter war geheilt von jener Stunde an“ (Verse 21–28).

Nachdem der Herr Jesus den bösen Zustand der Führer der Juden und damit auch des Volkes offenbart hat, wendet Er sich erneut (vgl. Kapitel 13,1) von seinem Volk weg und öffnet den Weg für die Nationen. Er geht in das Gebiet von Tyrus und Sidon. Dieser Ortswechsel ist bedeutsam, denn Tyrus und Sidon sind, was die biblische Geschichte betrifft, keine unbekannten Orte. Tyrus und Sidon liegen im heutigen Libanon, also im Norden von Israel.

In seiner Scheltpredigt hatte der Herr in Matthäus 11 beide Städte zusammen erwähnt: „Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Bethsaida! Denn wenn in Tyrus und Sidon die Wunderwerke geschehen wären, die unter euch geschehen sind, längst hätten sie in Sack und Asche Buße getan. Doch ich sage euch: Tyrus und Sidon wird es erträglicher ergehen am Tag des Gerichts als euch“ (Mt 11,21.22). Damit werden die Sünden von Tyrus und Sidon auf eine Stufe mit denen von Chorazin und Bethsaida gestellt, nur dass der Herr nicht selbst dort gewirkt hatte. Es war also keine unbelastete Gegend, in die der Herr ging.

Und wenn man die Prophetie im Alten Testament anschaut, war gerade Tyrus der Inbegriff von Hochmut, Unzucht und Götzendienst, auch von Reichtum und Handel (vgl. Hes 28 – die Weissagung über Tyrus und Satan; Jes 23; Hes 26). Tyrus und Sidon gehörten zu Kanaan (1. Mo 10,15 ff.) und sind damit schon in den Fluch Noahs eingeschlossen: „Verflucht sei Kanaan! Ein Knecht der Knechte sei er seinen Brüdern!“ (1. Mo 9,25).

Aus Steinen werden Kinder geboren

Nach Josua 19,29 ging das Erbteil von Aser bis nach Tyrus. Eigentlich war es die Aufgabe des Volkes Israel gewesen, auch in diesen Regionen die Kanaaniter auszutreiben: „Denn mein Engel wird vor dir hergehen und wird dich bringen zu den Amoritern und Hethitern und den Perisitern und den Kanaanitern, den Hewitern und den Jebusitern; und ich werde sie vertilgen“ (2. Mo 23,23; vgl. auch 5. Mo 7,1). Aber das Volk hat sich als untreu erwiesen und diesen Auftrag nicht vollständig ausgeführt. Das wird sich einmal ändern, wenn der Messias wieder zu seinem Volk zurückkehren wird. Aber wenn Er als Sohn Davids regieren wird, werden die Kanaaniter keinen Platz in Israel haben (vgl. Joel 4,17; Sach 14,21).

Der Herr hat eine Botschaft für Menschen, die eigentlich gar keinen Platz in seinem Reich hatten. Auch wenn der Herr im Tausendjährigen Reich die Nationen segnen wird, heißt es doch von den Kanaanitern: „Und es wird an jenem Tag kein Kanaaniter mehr im Haus des Herrn der Heerscharen sein“ (Sach 14,21). Aber die Gnade ist stärker als der Fluch und überwindet ihn. Das sehen wir an der Frau, die aus dieser Gegend zu dem Herrn Jesus kommt. Gerade ihretwegen war Er gekommen, weil Er ihren Glauben sah und herausfordern wollte.

In Matthäus 3,8.9 hatten wir schon gesehen, dass Johannes der Täufer die Juden warnte: „Bringt nun der Buße würdige Frucht, und denkt nicht, bei euch selbst zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater; denn ich sage euch, dass Gott dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken vermag.“ Der Augenblick dafür war jetzt erneut gekommen. Die Juden waren zu stolz, sich innerlich unter das Gebot Gottes und den Messias zu beugen. Daher wendet sich der Herr „den Steinen“ zu. Und aus ihnen kämen Kinder für Gott hervor, die Ihm dienen würden.

Eine kananäische Frau kommt zu Jesus und schreit zu Ihm: „Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter ist schlimm besessen.“ Was für einen Glauben gab es in dieser Frau, dass sie als Fremde zu dem Messias Israels kommt! Sie weiß, dass nur Er helfen kann; deshalb scheut sie sich nicht, Ihn aufzusuchen, ja Ihn um Hilfe für ihre Tochter anzuschreien. Denn diese ist schlimm dran, sie ist von einem Dämon besessen. So war der Zustand der Heiden: Satan war ihr Fürst. So ist auch unser Zustand gewesen, wie wir Epheser 2 entnehmen können.

Die eigene Stellung und der eigene Zustand müssen erkannt werden

Man mag ein wenig über die Reaktion Jesu erstaunt sein: „Er aber antwortete ihr nicht ein Wort.“ War denn kein Glaube bei dieser Frau vorhanden? Gab es in ihrem Leben etwas, was nicht in Ordnung war und den Herrn dazu brachte, ihr nicht zu antworten? Nein, der Grund für das Schweigen des Herrn lag an etwas anderem. Diese Frau gehörte nicht zum Volk Israel. So hatte sie auch keine Ansprüche auf den Segen Israels. Wie kam sie dazu, Jesus „Sohn Davids“ zu nennen? Sie gehörte nicht zu den Kindern Davids, zu dem Volk Davids. So war Christus auch nicht „ihr“ Messias.

Es könnte sein, dass sie hoffte, Ihn durch diese Anrede günstig zu stimmen.6 Wenn ich diesen Herrn als König und Herrn anspreche, mag er mir vielleicht wohlgesonnener sein und den notwendigen Hilfsdienst ausführen, mögen ihre Gedanken gewesen sein. Aber sie hatte nicht verstanden, dass der Sohn Davids (zunächst) zu seinem eigenen Volk gekommen war, zu dem sie aber gar nicht gehörte. Und somit war hier eine Spur von Unaufrichtigkeit vorhanden, die der Herr bloßlegen muss.

Die Frau stellte sich somit auf einen Boden, der nicht der ihre war. Sie musste lernen, dass sie überhaupt keinen Anspruch auf eine Heilung durch den Herrn besaß. Denn welche Verheißungen hatte Gott für die Kanaaniter gemacht? Welcherart auch die Ratschlüsse Gottes sein mochten, die in Verbindung mit der Verwerfung des Herrn offenbart wurden (vgl. Jes 49,4–6), blieb Christus doch der Diener der Beschneidung, um den Auftrag Gottes an das Volk Israel zu erfüllen. Denn Gott wollte die Verheißungen an die Erzväter erfüllen. Diesen Auftrag gab unser Herr bis zum Ende dieses Evangeliums nicht auf.

Dennoch war bei dieser Frau Glaube vorhanden; sonst würden wir unseren Herrn nicht in dieser Weise reagieren sehen. Der Mut dieser Frau, so zu dem Herrn zu kommen, zeigte Ihm nämlich, dass sie die Lektion lernen würde, die Er ihr erteilen wollte, und Er sie damit nicht überforderte. Daher handelt Christus so hart, wie wir sicher empfinden, und setzt diese Prüfung sogar noch weiter fort.

Die Jünger – die Frau

Die Jünger des Herrn hatten das jedoch nicht erkannt. Sie sahen nur, dass dort eine Person auftrat, die dem Herrn scheinbar zur Last fiel, denn Er antwortete ja nicht. Daher wollten sie kurzen Prozess machen: „Entlass sie, denn sie schreit hinter uns her.“ Noch immer kannten sie das Herz ihres Meisters nicht, der nicht etwa deshalb schwieg, weil Er mit dieser Frau nichts zu tun haben wollte, sondern weil Er sie über ihre eigene Stellung und Rechtelosigkeit belehren wollte. Das müssen übrigens auch wir lernen: „Deshalb erinnert euch daran, dass ihr, einst die Nationen im Fleisch, die Vorhaut genannt werden von der sogenannten Beschneidung, die im Fleisch mit Händen geschieht, dass ihr zu jener Zeit ohne Christus wart, entfremdet dem Bürgerrecht Israels, und Fremdlinge betreffs der Bündnisse der Verheißung, keine Hoffnung habend, und ohne Gott in der Welt“ (Eph 2,11.12).

Diese Frau lernte schneller als die Jünger, so wie auch wir oftmals erleben, dass Menschen, die neu zum Glauben geführt werden, schneller in der Schule Gottes lernen als wir, die wir vielleicht Kinder gläubiger Eltern sind und von Kind auf in die Bibel eingeführt werden. Jesus antwortete seinen Jüngern: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“ Diese Antwort ist eigenartig. Denn warum wendet sich der Herr damit an die Jünger, nicht an die Frau?

Musste der Herr auch den Jüngern noch beibringen, dass Er nicht einfach zu dem Haus Israel, sondern zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gekommen war? Dachten auch sie noch immer, dass das Volk gar nicht so schlecht war, wie der Herr es ihnen gerade zuvor (Verse 1–20) gezeigt hatte? Wer sich als verloren ansah in seinem Haus, konnte Rettung bekommen. Der hatte sogar einen Anspruch auf Hilfe vonseiten des Herrn.

Der Sohn Davids ist auch der Sohn des Menschen, der den Nationen Gnade schenkt

Jesus hatte natürlich nicht von ungefähr gerade diesen Satz ausgesprochen. Denn Er richtete sich nicht nur an die Jünger, sondern auch an die Frau, die dabeistand. Sie scheint sofort erfasst zu haben, was der Herr auch ihr damit sagen wollte. Er konnte sich nicht an diese Frau wenden, denn Er war nicht zu ihr, der Fremden, gekommen. Aber wenn Er eine Botschaft an die verlorenen Schafe seines eigenen Hauses hatte, schloss Er die Fremden nicht vom Zuhören aus. Wenn sie in der richtigen Herzenshaltung zuhörten, würden sie einen reichen Segen erhalten. Denn der Sohn des Menschen überschreitet die Grenzen des Judentums. Und schon immer war es möglich, sich mit dem Volk Gottes einszumachen. Gerade dann, wenn man sich selbst als verloren ansah, konnten sich die Arme des Retters öffnen. Das zeigt auch die Geschichte der Rahab deutlich (Jos 2; 6,25).

Die Frau ist nicht beleidigt. Wie hätten wohl die Pharisäer auf eine solche Abfuhr des Herrn, einfach zu schweigen, reagiert? Und die Jünger? Auch wir sollten uns die Frage stellen, ob wir aus Trotz oder Resignation nicht sehr schnell aufgeben. Nicht so diese Frau! Sie spricht weiter mit dem Herrn Jesus, lässt aber nun den Titel „Sohn Davids“ und damit ihre Ansprüche an den Messias fallen und wirft sich vor dem Herrn einfach in ihrer Hilflosigkeit nieder: „Herr, hilf mir!“

Der Herr hatte sie durch seine harte Ansprache zu dem Bewusstsein ihres wahren Platzes vor Gott geführt. Sie verstand, dass sie keine Ansprüche auf den Messias Israels besaß. Sie wusste auch, dass sie verloren war und dass sie Hilfe nötig hatte. Das sagt sie dem Herrn. Er erkennt, dass sie einsichtig und demütig ist.

Aber noch immer kann Er ihr nicht helfen. Sie muss noch lernen, dass sie selbst auf seine direkte Hilfe keinen Anspruch hatte. Rechtlos zu sein bedeutet ja, überhaupt keinen Anspruch zu besitzen. Es genügt nicht, die eigene Not zu erkennen und einzugestehen. Es reicht auch nicht das Bewusstsein, dass der Herr Jesus der Not entsprechen konnte – das wusste diese Frau von Anfang an. Nein, man muss in die Gegenwart dessen treten, der helfen kann, obwohl man nicht einmal Anspruch auf irgendeine Hilfe hat. Alles ist Gnade! Denn diese Gnade kann sich sogar über den Fluch erheben, den Gott selbst über dieses Volk angesichts seiner zur Reife gekommenen Sünde aussprechen musste.

Ob uns das immer bewusst ist, dass wir ebenso wie diese Frau nach Epheser 2 auf überhaupt nichts irgendeinen Anspruch hatten? Wenn Er uns dennoch geholfen hat, dann aus reiner Gnade. Gnade trägt genau diesen Charakter: Die Liebe Gottes wendet sich Menschen zu, die nichts sind und keinen Anspruch auf sie geltend machen können.

Der Herr Jesus zeigt der Frau, dass sich seine Hilfe zunächst und in erster Linie an sein eigenes Haus Israel richtete: „Es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden hinzuwerfen.“ Die Frau versteht sofort, was Christus ihr damit sagen möchte. Sie ist in ihrem Herzen inzwischen so klein geworden, aber damit auch so offen für die Belehrungen des Herrn, dass sie erkennt, dass sie – die Fremde – nichts anderes als ein Hund ist: ein unreines, unwürdiges, verächtliches Wesen, ein Mensch ohne Ansprüche. Das Volk Israel dagegen, das sind die Kinder, die Anspruch auf das Brot Gottes hatten. Aber in ihrem Glauben ergreift sie, dass Gott auch aus Steinen, sogar aus unreinen Tieren Kinder erweckt.

Der Herr Jesus ist damit aber noch nicht zufrieden. Er weiß, dass diese Frau bereit ist, in ihrem Glauben noch weiter zu gehen. Sie stellt gewissermaßen eine Vorerfüllung des Wortes von Petrus dar: „Die ihr jetzt eine kurze Zeit, wenn es nötig ist, betrübt seid durch mancherlei Versuchungen; damit die Bewährung eures Glaubens viel kostbarer als die des Goldes, das vergeht, aber durch Feuer erprobt wird, befunden werde zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi“ (1. Pet 1,6.7). Der Herr prüfte den Glauben dieser Frau, wie Er viele hunderte Jahre zuvor den Glauben von Abraham getestet hatte, um diesen umso herrlicher hervorstrahlen zu lassen.

Bewährung im Glauben strahlt heller als Gold

Das erkennen wir aus der demütigen Antwort dieser Frau: „Sie aber sprach: Ja, Herr; und doch fressen die Hunde von den Brotkrumen, die von dem Tisch ihrer Herren fallen.“ Wieder spricht sie Jesus nicht als Messias an, sondern als Herrn. Sie bleibt sich bewusst, dass Er Autorität über sie hat. Und sie gibt zu, dass sie zu exakt den Hunden gehört, von denen Jesus gesprochen hat. Sie ist zufrieden mit den Brotkrumen, die vom Tisch herunterfallen. Diese Reste der Mahlzeit der Kinder, also des Volkes Gottes, reichen aus, um auch die Heiden mit dem Segen zu versorgen, den sie nötig haben.

Sie macht keine Ansprüche mehr geltend, sie bekennt sich zu der verworfenen Stellung der Heiden und nimmt dankbar die Gnade an, die Gott ihr schenken möchte. Eine hohe Meinung von sich selbst ist oft gepaart mit schwachem Glauben, eine demütige Gesinnung dagegen mit starkem Glauben.

Eine solche Haltung gab es nicht in Israel! Schon einmal hatte der Herr von einem großen Glauben gesprochen. Nur einmal! Und auch in diesem Fall war es ein Heide, der sich durch großen Glauben ausgezeichnet hatte: „Wahrlich, ich sage euch, selbst nicht in Israel habe ich so großen Glauben gefunden“ (Mt 8,10) sagt der Herr von dem heidnischen Hauptmann, der Ihm zutraute, ein Wunder auch aus der Ferne zu vollbringen, und der sich zugleich nicht für wert erachtete, dass der Herr unter sein Dach trat.

So zeigen diese beiden Fälle großen Glaubens, dass die Betroffenen voller Demut waren und zugleich ganz mit dem wunderbaren Eingreifen des Herrn zu ihren Gunsten – genau genommen zugunsten des Knechtes oder der Tochter – rechneten. Im Vergleich dazu erkennen wir den Unglauben des Volkes, den Kleinglauben der Jünger und den Abfall der Führer des Volkes Israel.

Wir finden in der Schrift noch andere Beispiele, die man zusammen mit dem Glauben und der Demut dieser Frau nennen kann.

  • Man mag an den sogenannten „verlorenen Sohn“ in Lukas 15 denken. Er steht für den künftigen Überrest des Volkes Israel, der zurückkehren wird, denn das Volk hat alle Ansprüche an Gott und den Messias durch die eigene Schuld verwirkt und muss gewissermaßen auf dem Boden, auf dem jetzt diese kananäische Frau zu Jesus kam, zu seinem Messias kommen. So wusste der verlorene Sohn, dass er keine Ansprüche auf die Liebe des Vaters besaß: „Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen“ (Lk 15,21). Was war die Antwort des Vaters? Er gab ihm das beste Kleid, einen Ring und Sandalen.
  • Ähnlich beugt sich auch Mephiboseth vor David: „Was ist dein Knecht, dass du dich zu einem toten Hund gewandt hast, wie ich einer bin?“ (2. Sam 9,8). Und was war die Antwort von David? Er nahm ihn zu sich, damit er beständig mit ihm an seinem Tisch essen sollte.

Auch der Herr kann nicht anders, als auf diesen Glauben der Frau zu antworten. „Und ihre Tochter war geheilt von jener Stunde an.“ So antwortet der Herr auch auf den Glauben heute, selbst wenn Er uns keine Gesundungswunder versprochen hat. Wer jedoch im Glauben auf den Herrn vertraut, wird Wunder in seinem Leben erfahren, auch wenn er keinen Anspruch darauf hat. Demut ist dafür unabdingbare Voraussetzung.

Verse 29–31: Segen im Tausendjährigen Königreich auch für Israel

„Und Jesus ging von dort weg und kam an den See von Galiläa; und als er auf den Berg gestiegen war, setzte er sich dort. Und große Volksmengen kamen zu ihm, die Lahme, Blinde, Krüppel, Stumme und viele andere bei sich hatten, und sie legten sie nieder zu seinen Füßen; und er heilte sie, sodass die Volksmenge sich verwunderte, als sie sah, dass Stumme redeten, Krüppel gesund wurden, Lahme umhergingen und Blinde sahen; und sie verherrlichten den Gott Israels“ (Verse 29–31).

Während sich der erste Teil dieses Kapitels mit dem Abfall Israels und dessen Beiseitesetzung beschäftigte, stellte uns der zweite Teil den Ruf der Heiden und ihre Rettung vor. Der dritte Teil offenbart nun die noch künftige Haushaltung: das Zeitalter des öffentlich anerkannten Königreiches in Macht.

Immer wieder zeigt uns der Evangelist Matthäus, dass der Herr trotz der Verwerfung durch sein Volk und seiner Verwerfung des Volkes zu diesem zurückkehrt. Sein Herz ist bei den Seinen, auch wenn das Herz seines Volkes nicht mehr bei Ihm ist. Aber Christus sieht voraus, dass sie einmal ihren kranken Zustand erkennen, einsehen und bekennen werden, um so zu dem Messias zu kommen, der sie heilen wird.

Zuerst haben wir gesehen, dass der Zustand der Juden so schlimm war, dass der Herr ihn in allem verurteilen muss. In diesem Zustand hat das Volk seinen Messias ans Kreuz gebracht. Daraufhin hat sich Christus als der Sohn des Menschen den Heiden zugewandt (Verse 21–28), die in den Genuss des Heils Gottes kamen. In dieser Zeit leben wir heute. Paulus sagt von dieser Zeit: „Es sei euch nun kund, dass dieses Heil Gottes den Nationen gesandt worden ist; sie werden auch hören“ (Apg 28,28).

Aber auch diese Periode wird vorübergehen, und dann wird der Herr wieder neu zu seinem irdischen Volk kommen, genau genommen zu den gottesfürchtigen Übriggebliebenen, die auf ihren König warten. Das finden wir prophetisch in den Versen 29 bis 31 vorgebildet.

Der Herr kommt nach Galiläa zu den Armen seiner Herde, die in Finsternis wohnen (vgl. Jes 8,23–9,6). Seine Gegenwart und sein Wirken sind für diese Menschen das Licht Gottes, das ihre Finsternis vertreibt.

Jesaja 29 und Matthäus 15

Wir hatten schon gesehen, dass Jesus den Pharisäern gegenüber Jesaja 29 als eine Art Gerichtsurteil zitiert. In den drei jetzt vor uns stehenden Versen handelt es sich zwar nicht direkt um ein Zitat aus Jesaja 29. Und doch greift der Heilige Geist den Gedankengang des Propheten wieder auf. In Jesaja liest man von Gericht, aber auch von einer Segensverheißung. Gleiches sehen wir hier in Matthäus 15.

„Ist es nicht noch eine ganz kurze Zeit, dass der Libanon sich in einen Baumgarten verwandeln und der Baumgarten dem Wald gleichgeachtet werden wird? Und an jenem Tag werden die Tauben die Worte des Buches hören, und aus Dunkel und Finsternis hervor werden die Augen der Blinden sehen. Und die Sanftmütigen werden ihre Freude in dem Herrn mehren, und die Armen unter den Menschen werden frohlocken in dem Heiligen Israels“ (Jes 29,17–19). Jesaja spricht von dem Heiligen Israels, Matthäus weist auf den Gott Israels hin, den die Juden verherrlichten (Mt 15,31).

Noch einmal erinnern uns diese Verse an Jesaja 35: „Er selbst [Gott] kommt und wird euch retten. Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden; dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und jubeln wird die Zunge des Stummen. Denn es brechen Wasser hervor in der Wüste und Bäche in der Steppe“ (Verse 4–6). Es wird eine wunderbare Zeit sein, wenn alle Kranken zu Ihm gebracht werden, der sie heilen wird. Nach Sacharja 14,4 wird der Herr auf den Ölberg kommen, um sein Volk zu retten und zu segnen. So finden wir Ihn auch hier auf einem Berg, um seinem Volk das Heil zu bringen.

Dann wird das Volk erkennen, dass ihr Messias derjenige ist, „den sie durchbohrt haben“ (Sach 12,10). Sie werden wehklagen und die Erfüllung des großen Sühnungstages erleben (3. Mo 23,26–32). Sie werden über ihre Sünden trauern und erkennen, warum sie krank und hilflos sind. Ihre eigenen Sünden haben sie dahin gebracht, wie Gott es durch Mose vorhergesagt hatte: „Wenn du nicht darauf achtest, alle Worte dieses Gesetzes zu tun, die in diesem Buch geschrieben sind, dass du diesen herrlichen und furchtbaren Namen, den Herrn, deinen Gott, fürchtest, so wird der Herr deine Plagen und die Plagen deiner Nachkommenschaft außergewöhnlich machen: große und andauernde Plagen und böse und andauernde Krankheiten. Und er wird alle Seuchen Ägyptens über dich bringen, vor denen du dich fürchtest; und sie werden an dir haften“ (5. Mo 28,58–60). Nun aber nehmen sie Ihn auf als ihren Retter, indem sie ihre Sünden bekennen.

Jeder, der zu Ihm kommt, um sich Ihm zu unterwerfen und seine segnende Hand zu erleben, wird geheilt werden. Was für einen Vorgeschmack durften die Juden damals erleben. „Und sie verherrlichten den Gott Israels.“ Das wird auch im Tausendjährigen Königreich des Herrn so sein. Das lesen wir in Jesaja 61,1–3. Alles, was der Herr damals getan hat und auch in Zukunft tun wird, verherrlicht den Gottes Israels. Dieser Titel ist ein bemerkenswerter Ausdruck der Treue Gottes gegenüber seinem Volk, obwohl dieses Ihn so verunehrt hatte – den Gott des Himmels. Er steht auch weiter zu seinem Volk als der Gott Israels und wird sie – einmal – in den Segen des Friedensreichs einführen.

Verse 32–39: Christus – der Segen für alle Menschen, die Ihn annehmen wollen

„Als Jesus aber seine Jünger herzugerufen hatte, sprach er: Ich bin innerlich bewegt über die Volksmenge; denn schon drei Tage weilen sie bei mir und haben nichts zu essen; und ich will sie nicht hungrig entlassen, damit sie nicht etwa auf dem Weg verschmachten. Und die Jünger sagen zu ihm: Woher nehmen wir in der Einöde so viele Brote, um eine so große Volksmenge zu sättigen? Und Jesus spricht zu ihnen: Wie viele Brote habt ihr? Sie aber sagten: Sieben, und wenige kleine Fische. Und er gebot der Volksmenge, sich auf der Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote und die Fische, dankte und brach und gab sie den Jüngern, die Jünger aber gaben sie den Volksmengen. Und sie aßen alle und wurden gesättigt; und sie hoben auf, was an Brocken übrig blieb, sieben Körbe voll. Die aber aßen, waren viertausend Männer, ohne Frauen und Kinder. Und als er die Volksmengen entlassen hatte, stieg er in das Schiff und kam in das Gebiet von Magada“ (Verse 32–39).

Dem wunderbaren Segen für das Volk Israel folgt ein noch größerer Segen, der den universalen Segen Gottes für die Menschen vorstellt. Der Herr hatte die Tochter der kananäischen Frau geheilt. Er hatte viele Kranke geheilt. Nun segnet Er alle, die sich bei Ihm aufhalten, wo auch immer sie herkommen mochten.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Natürlich handelt es sich nicht um einen universalen Segen für alle Menschen unabhängig davon, ob sie sich bekehren und den Herrn Jesus als Retter annehmen. Buße und Bekehrung sind in der Schrift immer Grundvoraussetzung dafür, dass Gott Menschen dauerhaft segnen kann. Die Allversöhnungslehre lehnen wir auf der Grundlage der Bibel entschieden ab! Aber der Segen des Herrn, den wir in diesen abschließenden Versen von Kapitel 15 finden, wird ohne Einschränkung und Bedingung vorgestellt. Es ist der souveräne Herr, der auf diese Weise segnet.

Es folgt hier das zweite Speisungswunder, bei dem man sich natürlich sofort fragt, worin der Unterschied zu der ersten Speisung liegt.

Dazu greife ich auf die Tabelle zurück, die ich schon teilweise bei der ersten Speisung (Kap. 14,14–21) verwandt habe und die diese Unterschiede deutlich macht.

Ein Vergleich der Speisungswunder

Speisungen 1. Wunder 2. Wunder
1. Bibelstellen Mt 14,15–21; Mk 6,35–38;
Lk 9,12–17; Joh 6,5–13
Mt 15,32–38; Mk 8,1–9
2. Volksmenge Juden auch Nationen
3. Zeitangabe am Abend (eines Tages) nach 3 Tagen
4. Beginn des Wunders Jünger wollen die Volksmenge wegschicken Jesus will die Volksmenge speisen
5. Wer soll Speise geben? Jesus fordert die Jünger auf, Speise zu geben Jesus will ihnen selbst Speise geben
6. Charakter Verantwortung Gnade
7. Anzahl an Broten 5 (Gerstenbrote) 7
8. Anzahl an Fischen 2 wenige kleine Fische
9. Lagerung auf Gras (zu je 50 und 100) auf der Erde
10. „Reste“ 12 Handkörbe voll 7 (große) Körbe voll
11. Beteiligte Menschen 5000 Männer, neben Frauen und Kindern 4000 Männer, neben Frauen und Kindern
12. Folgehandlung Jünger werden auf den See weggesandt Jesus fährt zusammen mit seinen Jüngern im Schiff

Die Bedeutungen der Speisungswunder

1. Was ist die Kernaussage beider Wunder?
Grundsätzlich scheint der Geist Gottes uns den Platz des Messias, Christus, in seiner irdischen Herrlichkeit und seiner Sorge für sein Volk zeigen zu wollen. Der Herr Jesus beweist in einer ersten Erfüllung von Psalm 132,15, dass Er in Wahrheit der Sohn Gottes, der König Israels, der Messias ist.

2. Warum gibt uns Gott zwei ähnliche Begebenheiten?
Weil Er uns damit ein doppeltes Zeugnis des künftigen Segens im Tausendjährigen Reich sowohl für das Volk Israel als auch für die ganze Welt, für alle Nationen, geben kann.

3. Was unterscheidet beide Wunder?
Das erste hat einen haushaltsmäßigen Charakter, wie wir diesen in diesem Evangelium immer wieder finden. Nachdem der Herr sein Volk für eine Zeit beiseitesetzen musste, weil es Ihn verworfen und ans Kreuz gebracht hat, wird Er im Tausendjährigen Friedensreich wieder zu seinem Volk zurückkommen. Er wird es zuvor durch Drangsale zur Umkehr, Einsicht und zum Bekenntnis führen. Dann kann Er es in vollkommener Weise segnen und sogar zu einer vollkommenen Regierung über die Erde anleiten. Das Speisungs-Wunder selbst ist eine Vorwegnahme dieses Segens, denn der Herr verlässt die Jünger danach, um auf den Berg zu gehen – ein Bild von der heutigen Zeit.
Beim zweiten Wunder scheint im Vordergrund zu stehen, dass der Herr in seiner eigenen, vollkommenen und souveränen Gnade aus seiner Fülle Segen schenkt. Die Zahl 7 weist in der Bibel immer wieder auf Vollständigkeit und Vollkommenheit hin. So bleibt Christus nach diesem Wunder bei den Seinen und fährt zusammen mit ihnen im Schiff zum nächsten Zielort. Dieser Segen wird – prophetisch gesprochen – seine vollkommene Erfüllung ebenfalls im Tausendjährigen Friedensreich finden, wenn Er nicht nur sein irdisches Volk Israel, sondern die ganze Welt – darauf weist die Zahl 4 hin – segnen wird. Aber schon heute ist Er dieser Segnende, der keine Grenzen von Familien, Nationen oder Völkern kennt, sondern alle vollkommen (geistlich) speist, die zu Ihm kommen.
Das erste Speisungswunder muss im Norden des Sees Genezareth stattgefunden haben. Es ist von naheliegenden Dörfern die Rede, sicherlich Julias, Bethsaida, Kapernaum und Umgebung. So bestand der größte Teil des Publikums hier aus Juden. Das ist bei dem zweiten Speisungswunder anders. Nach Markus 7,31 befand sich der Herr nun in der Dekapolis, also östlich des Jordan. Daher dürfte hier ein erheblicher Teil der Volksmenge aus Mischvolk und Nationen bestanden haben. Das passt auch zu der Botschaft dieses Wunders, zu dem Segen, der sich nicht auf Israel beschränkt, sondern für alle Nationen geschenkt wird.

4. Wer ist der Handelnde?
Es ist auffallend, dass die Jünger beim ersten Speisungswunder die zunächst Aktiven sind. Sie kommen auf den Herrn zu, weil sie erkennen, dass die Speisung der Volksmenge ein Problem ist (Mk 7,35). Im Johannesevangelium finden wir wiederholt, dass der Herr als der Initiator und Handelnde vorgestellt wird – so auch bei diesem Bericht. Offenbar hat Er nach den Einleitungsworten der Jünger Philippus besonders geprüft (Joh 6,5). Aber der zeitliche Hinweis in Markus 6,35 zeigt deutlich, dass zunächst die Jünger aktiv waren. So arbeiten alle drei synoptischen Evangelisten heraus, dass die Jünger die Volksmenge loswerden wollten, während das Herz des Herrn dazu nicht bereit war. Er stellt die Jünger unter Verantwortung, weil Er sie auffordert, den Menschen Speise zu geben.
Im zweiten Wunder ist das anders. Dort geht tatsächlich alles vom Herrn aus. Er will segnen und die Menschen „voll“ entlassen. Diese Unterscheidung passt auch zu der prophetischen Bedeutung der Ereignisse. Wenn es um die Juden geht, so stellt der Herr sein Volk und dort besonders die Verständigen unter Verantwortung (vgl. Dan 11,33). Wenn es aber um den universellen Segen künftiger Tage geht, der auch die Nationen einschließt, so handelt der Herr von sich aus. Alles geht von Ihm selbst aus.

5. Drei Tage
Der Herr weist seine Jünger darauf hin, dass die Volksmenge schon drei Tage bei Ihm weilt und nichts zu essen hat. Nun aber will Er sich ihrer annehmen und sie mit Brot sättigen. Die Zahl Drei ist in der Bibel im Allgemeinen ein Symbol für die Offenbarung oder Bestätigung des wahren Charakters einer Person, einer Sache oder eines Vorgangs. Das sehen wir z. B. an der Tatsache, dass es drei Personen der Gottheit gibt oder dass der Herr Jesus drei Tage im Grab war. Da gerade der Tod Jesu und seine Auferstehung mit der vollen Offenbarung des Wesens Gottes verbunden sind – Er ist Licht und Liebe – werden diese beiden Glaubensfundamente verschiedentlich mit der Zahl Drei verbunden. Man denke zum Beispiel an die drei Stunden der Finsternis. Am dritten Tag ist Er auferstanden, und so können wir hier folgende Anwendung machen: Erst auf der Grundlage seines vollbrachten Werkes am Kreuz, das Christus durch seine Auferstehung siegreich vollendet hat, kann Er den Menschen neues Leben und dauerhaften Segen schenken.
Diese drei Tage erinnern uns auch an eine Weissagung Hoseas: „‚Kommt und lasst uns zu dem Herrn umkehren; denn er hat zerrissen und wird uns heilen, er hat geschlagen und wird uns verbinden. Er wird uns nach zwei Tagen wieder beleben, am dritten Tag uns aufrichten; und so werden wir vor seinem Angesicht leben ... Sein Hervortreten ist sicher wie die Morgendämmerung; und er wird für uns kommen wie der Regen, wie der Spätregen die Erde benetzt'“ (Hos 6,1–3). In einer solchen Weise kam der Herr damals zu seinem Volk. So wird Er erneut kommen, nicht nur für sein Volk, von dem Hosea spricht, sondern auch für die ganze Erde. Sein Segen wird die Erde benetzen und zu Frieden und Glück führen.
Bedenken wir auch, dass der Herr die einzelnen Tage exakt gezählt hat. Er hatte vierzig Tage lang gefastet und wusste wirklich, was Hunger für einen Menschen bedeutete. Niemals schickt Er einen Menschen hungrig fort, der sich bei Ihm aufhält.

6. Was symbolisieren die Brote und die Fische?
Die Bedeutung der Brote und der Fische haben wir uns ausführlich bereits in Verbindung mit dem ersten Speisungswunder angesehen (Seite 49 f.). Einen Unterschied zu der ersten Speisung muss man allerdings berücksichtigen. Von der zweiten Speisung berichten nur Matthäus und Markus. Hier finden wir dieses Mal keinen Hinweis auf die Getreideart der Brote. Es ist zwar möglich, dass sie wieder aus Gerste hergestellt worden sind. Konkret wissen wir das allerdings nicht. Da es sich offensichtlich um eine spätere Jahreszeit handelt (Markus berichtet beim ersten Mal vom grünen Gras, beim zweiten Mal nicht mehr), kann es sich sehr wohl auch um anderes Getreide gehandelt haben.
Es fällt auf, dass es im Unterschied zum ersten Wunder keine genau bezeichnete Anzahl von Fischen gab – wenige kleine Fische. Erneut lesen wir bei Matthäus nichts von Resten der Fische, die übrig blieben. Denn das, was der Herr an außergewöhnlichem Segen (Fischen) schenkt, reicht Er so dar, dass es exakt passend ist. Er ist jedem ganz speziell und persönlich zugedacht.

7. Wie sind die sieben Brote und die sieben (großen) Körbe zu deuten?
Wie schon gesagt spricht die Zahl „sieben“ an vielen Stellen von göttlicher Vollständigkeit und Vollkommenheit. Beim zweiten Wunder steht der Mensch (als Instrument Gottes) nicht so sehr im Vordergrund wie beim ersten Speisungswunder. Dieses Mal wird das Handeln Jesu besonders betont, während die Jünger beim ersten Wunder wesentlich stärker bei der Ordnung der Volksmenge und beim Finden der Brote beteiligt waren. Im Mittelpunkt stehen der Herr und sein Mitleid für das Volk. Er reicht entsprechend ihren Bedürfnisse vollkommen dar. Und selbst das, was „übrig bleibt“, entspricht einem vollkommenen Charakter und somit dem Geber. So war Fülle an Brot zur Nahrung da, es reichte vollkommen aus für alle Menschen, die dort versammelt waren. Sogar das Übermaß ist ein vollkommenes.

8. Wofür stehen die 4000 Männer?
Christus weiß den Bedürfnissen aller Menschen zu begegnen. Dies passt auch zu der Zahl vier, in der wir die Universalität vorgestellt bekommen (4 Himmelsrichtungen; 4 Flüsse im Garten Eden; 4 Ecken der Erde, Off 20,8; 4 Evangelien; ...). Aber wenn Gott heute etwas schenkt, dann stellt Er den empfangenden Menschen immer unter Verantwortung (10). Hier sogar aufgrund des überreichen Segens und Gebens unter eine besondere Verantwortung, wie man an der Zahl Drei in der Zerlegung 1000 = 103 erkennen kann (vgl. oben die Auslegung der „Drei Tage“).

Schlussgedanken zur zweiten Speisung

Dieser letzte Abschnitt von Kapitel 15 zeigt uns, dass Christus von sich aus zum Segen der Menschen tätig ist. Alles geht von Ihm aus. Wir erkennen hier das Herz des Herrn, der innerlich bewegt ist und die Menschen segnen möchte. Noch einmal sehen wir, wie die Jünger – im Gegensatz zu der kananäischen Frau – wenig Glauben hatten. Sie hatten offensichtlich noch nicht gelernt, dass ihr Meister Herr jeder Situation ist, so dass auch die Speisung von über 4000 Menschen für Ihn kein Problem darstellt. Er hatte doch bereits eine noch größere Volksmenge gesättigt! Später muss Er seinen Jüngern erneut diese beiden Wunder ins Gedächtnis rufen, als sie vergessen hatten, Brote mitzunehmen (Kap. 16,5–12), und Markus schreibt: „Denn sie waren durch die Brote nicht verständig geworden, denn ihr Herz war verhärtet.“ (Mk, 6,52) Wie schnell vergessen auch wir die Güte und Allmacht unseres Gottes, wo Er uns doch so oft schon geholfen hat!

Auch die größten Wunder vollbringt der Herr Jesus in Abhängigkeit von seinem himmlischen Vater. Er selbst offenbarte sich als der Herr des Alten Testaments, als der Gott des Himmels und der Erde. Und doch dankte Er seinem himmlischen Vater für das, was dieser Ihm gab. Was für eine Demut dessen, der in sich selbst der Höchste von allen und allem ist!

Während der Herr Jesus nach der ersten Speisung seine Jünger aufforderte, alleine in ein Schiff zu steigen, geht Er jetzt mit ihnen. „Und als er die Volksmengen entlassen hatte, stieg er in das Schiff und kam in das Gebiet von Magada.“ Alles geschieht in Ordnung und Ruhe. Und dann begleitet der Herr seine Jünger (vgl. Mk 8,10), um in Abhängigkeit von seinem Vater zusammen mit ihnen die nächsten Schritte zu gehen.

Die 7 Wunder in Matthäus 14 und 15

In den Kapiteln 8 bis 12 berichtete Matthäus von 14 Wundern des Herrn Jesus. Sie führten aber nicht dazu, dass das Volk seinen Messias, von Gott gesandt, annahm. In Kapitel 13 fanden wir Ihn als den Verworfenen, der seinerseits diese Verwerfung annahm. Dennoch wurde Er nicht müde, für sein Volk zu wirken. Nicht von ungefähr fanden wir daher sieben weitere Zeichen in den Kapiteln 14 und 15:

  1. Die Heilung der Schwachen (14,13.14)
  2. Die Speisung der 5000 (14,15–21)
  3. Das Gehen auf dem Wasser und Stillen des Windes (14,22–33)
  4. Die Heilung aller Leidenden (14,34–36)
  5. Die Heilung der Tochter der kananäischen Frau (15,21–28)
  6. Die Heilung der Lahmen, Blinden, Krüppel, Stummen (15,29–31)
  7. Die Speisung der 4000 (15,32–39)

Aber auch diese Zeichen hinterließen keinen nachhaltigen Eindruck bei dem Volk und seinen Führern. Die Verwerfung des Herrn schritt weiter voran!

Der verworfene König führt seine Versammlung ein (Mt 16)

Nachdem wir in Kapitel 13 gesehen haben, dass der verworfene Herr eine Vorschau über die Entwicklung des Königreichs der Himmel gibt, auch über den inneren Wert, den der Herr darin findet, hat uns Kapitel 14 in einer bildhaften Form den Überblick über die Zeit der Gnade vorgestellt. In Kapitel 15 konnten wir lernen, dass der Herr sich angesichts der Bosheit der Führer des Volkes Israel von diesem abwendet, um den Segen zu den Nationen zu bringen.

Der Unglaube der Juden, repräsentiert durch ihre Führer, offenbart sich auch in Kapitel 16 noch einmal. Diese Verhärtung nimmt der Sohn Gottes zum Anlass, seinen Jüngern zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die göttlichen Gedanken über sein „Meisterwerk“ (wie es von Auslegern genannt worden ist), nämlich die Versammlung (Gemeinde, Kirche) des Herrn und Gottes, zu offenbaren. Es handelt sich „nur“ um eine Ankündigung, die in Kapitel 18 noch ergänzt wird. Die eigentliche Bildung der Versammlung finden wir in der Apostelgeschichte, die Lehre über die Versammlung in den Briefen des Apostels Paulus. Die Ankündigung der Versammlung führt dazu, dass sich der Herr noch mehr von den Juden zurückzieht, den Jüngern zugleich jedoch noch eine wichtige Belehrung über wahre Jüngerschaft mitgibt.

Kein anderer Evangelist als nur Matthäus spricht von der Versammlung. Das ist sehr passend, denn Matthäus wendet sich an Juden, für die das Beiseitestellen des irdischen Volkes Gottes mitsamt ihres von Gott gegebenen Gottesdienstes ein regelrechter Schock war. Ihnen macht Er deutlich, dass Gott nun eine neue Sache einführt, die den alten Gottesdienst und auch das irdische Volk Gottes für eine Zeit hier auf der Erde ersetzen würde. Es ist Matthäus, der die verschiedenen Haushaltungen betont. Daher ist er das von Gott inspirierte Werkzeug, von diesem Meisterwerk Gottes zu sprechen.

Während uns Kapitel 15 die Gnade zeigt, die Gott in der Person seines Sohnes den Nationen erweist, geht Kapitel 16 über diesen Gedanken hinaus. Hier werden wir Zuhörer des Ratschlusses Gottes, der vor Grundlegung der Welt gefasst wurde und nun das erste Mal Menschen mitgeteilt wird durch eine göttliche Person, die zugleich Mensch ist. So machen wir hier geradezu wegen des furchtbaren Unglaubens und Abfalls der Führer des Volkes Israel einen großen Schritt nach vorne, was das Offenbaren der göttlichen Gedanken betrifft.

In diesem Kapitel werden wir folgende Belehrungen des Herrn erhalten:

  1. Die endgültige Verwerfung des Herrn Jesus (Verse 1–12)
  2. Das Bekenntnis, dass Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist (Verse 13–17)
  3. Das Bauen und die Sicherheit der Versammlung (Vers 18)
  4. Das Ende des Zeugnisses an das Volk der Juden (Verse 19.20)
  5. Den Tod und die Auferstehung des Herrn (Verse 21–23)
  6. Der Weg des Jüngers (Verse 24- 26)
  7. Das Wiederkommen Christi (Verse 27.28).

Verse 1–4: Kein Zeichen für ein abtrünniges Volk Israel

„Und die Pharisäer und Sadduzäer kamen herzu, und um ihn zu versuchen, baten sie ihn, ihnen ein Zeichen aus dem Himmel zu zeigen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Wenn es Abend geworden ist, sagt ihr: Heiteres Wetter, denn der Himmel ist feuerrot; und frühmorgens: Heute stürmisches Wetter, denn der Himmel ist feuerrot und trübe Das Aussehen des Himmels wisst ihr zwar zu beurteilen, aber die Zeichen der Zeiten könnt ihr nicht beurteilen? – Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht begehrt ein Zeichen, und kein Zeichen wird ihm gegeben werden als nur das Zeichen Jonas. Und er verließ sie und ging weg“ (Verse 1–4).

Noch einmal hatte sich Jesus in göttlicher Gnade seinem Volk gegenüber gezeigt, als Er die Volksmengen von 4000 Männern zuzüglich Frauen und Kindern gesättigt hatte. Was für eine Reaktion würde diese Barmherzigkeit bei dem Volk und seinen Führer auslösen? Das lesen wir in den ersten Versen dieses Kapitels.

Zwei Gruppen von Juden, die sich grundsätzlich als Konkurrenten feindlich gegenüberstanden, machen gemeinsame Sache: die Pharisäer und die Sadduzäer. Während die Pharisäer besonders durch Heuchelei (vgl. Lk 12,1) und Gesetzlichkeit gekennzeichnet waren (vgl. Mt 15,1–20), stehen die Sadduzäer für Modernismus und Rationalismus. Sie glaubten nicht an eine Auferstehung (vgl. Mt 22,23), sondern nur an das, was sie sehen und anfassen konnten.

Wie traurig und gefährlich, wenn sich zwei feindliche Gruppen zusammentun in der Ablehnung einer bestimmten Person. Ein solches Zweckbündnis kann nie von Dauer sein und verfolgt meistens zerstörerische Zwecke. Auch heute kann man erleben, wie sich eigentlich feindliche Menschen verbinden, um gegen Christus und diejenigen, die Ihm treu nachfolgen wollen, zu opponieren. Und zukünftig werden sich die Menschen wieder vereinen, um gegen Christus und sein irdisches Volk anzukämpfen (vgl. Ps 2,2).

So auch hier. Das Ziel der Pharisäer und Sadduzäer ist es, Christus zu versuchen. Diese beiden Gruppen kamen eigentlich nie in aufrichtiger Gesinnung zu dem Herrn. Sie wollten Ihn herausfordern, um Ihn zu Fall zu bringen. Ob sie ihren Einfluss unter dem Volk durch seine Wunder, seine Autorität und seine transparente Ehrlichkeit schwinden sahen und Ihn deshalb herauszufordern suchten? „Sie baten ihn, ihnen ein Zeichen aus dem Himmel zu zeigen.“ Auf diese Herausforderung konnten sich diese beiden miteinander verfeindeten Gruppen einigen. Die Pharisäer wollten ein Wunder sehen; für die Sadduzäer war diese Versuchung akzeptabel, weil sie nicht an Himmlisches glaubten und daher davon überzeugt waren, dass der Herr kein solches Zeichen tun konnte. Dabei hatte er schon so viele unbestreitbar vollbracht.

Wunder

Vermutlich glaubten die Führer des Volkes, sich auf biblischem Boden zu befinden. So werden sie sich auf den Propheten Maleachi berufen haben, der in Maleachi 3,23.24 vor dem Kommen des wahren Messias das Auftreten Elias vorhersagte. Gerade dieser Prophet war ein großer Zeichenprophet. Solche Zeichen sind schon immer für sensationslüsterne Menschen faszinierend gewesen.

Man muss auch bedenken, dass es Zeichen in Israel immer mal wieder gegeben hat. Ich erinnere an Josua, für den ein Tag durch ein Wunder Gottes verlängert wurde (vgl. Jos 10,12 ff.), an Elia, für den Feuer vom Himmel fiel (vgl. 1. Kön 18,36 ff. und 2. Kön 1,10) usw. Aber diese Zeichen wurden Männern Gottes gegeben, die im Glauben auf Gott vertrauten und das immer wieder bewiesen hatten. Hinzu kommt, dass die Pharisäer und Sadduzäer offenbar ein Zeichen forderten, das alle bisherigen in den Schatten stellen sollte. Es musste „aus dem Himmel“ kommen. Aber woher sollten ihrer Meinung nach die bisherigen Zeichen gekommen sein: von der Erde? Von Satan?

Der Herr Jesus geht zunächst scheinbar nicht auf diese boshafte Herausforderung ein. Und doch erteilt Er in göttlicher Würde diesen bösen Menschen eine Abfuhr. Wollten sie damit sagen, dass der Herr bislang nur Zeichen „von der Erde“ getan hatte? Wir haben schon gesehen, dass allein in den Kapiteln 8 bis 12 von 14 Wunder des Herrn berichtet wird. In den Kapiteln 14 und 15 haben wir weitere sieben Wunder vor uns gehabt. Und noch immer wollten diese sektiererischen Menschen ein Zeichen aus dem Himmel sehen?

Der Herr war und ist nicht bereit, Sensationslust zu befriedigen. Als Messias war Er nicht gekommen, um auf der Basis von Wundern angebetet zu werden. Wunder sind es nicht, die Menschen zur Bekehrung führen, auch wenn der Herr Wunder getan hat, um das Wort Gottes zu erfüllen und Gott zu verherrlichen. Aber Ihm kam es immer auf das Herz an.

Das Wetter-Gleichnis des Herrn

Jesus antwortet ihnen mit einer Art Gleichnis. Die Pharisäer und Sadduzäer waren in der Lage, aufgrund des Aussehens des Himmels – diesen Blick auf den Himmel greift der Herr aus der Versuchung dieser Menschen auf – eine Wettervorhersage zu geben. Das war offenbar eine besondere Spezialität damals. Es gibt nämlich Berichte aus dem Talmud, dass zum Beispiel am letzten Tag des Laubhüttenfestes aller Augen auf die Richtung des Rauches achteten, der von den Opfern aufstieg. Und je nach Richtung freuten sich die Armen (über eine vermutlich schlechte Ernte, so dass die Reichen nicht noch reicher wurden) oder die Reichen (über eine vermutlich gute Ernte).

In den irdischen, materiellen Dingen des Lebens waren sie zu Hause. Das sind auch heute viele Menschen, die in materiellen Themen sehr bewandert sind. Aber die Zeichen der Zeit verkennen sie, wenn sie meinen, es sei Friede und Sicherheit (vgl. 1. Thes 5,3), aber das plötzliche Erwachen beim Ausbrechen des Gerichts sie ereilen wird.

So auch bei den Pharisäern und Sadduzäern. Was war ihre eigentliche Aufgabe als Führer des Volkes Gottes? Sie sollten geistliche Leiter sein. Aber auf ihrem ureigensten Gebiet waren sie blind und taub: „Darum rede ich in Gleichnissen zu ihnen, weil sie sehend nicht sehen und hörend nicht hören noch verstehen“ (vgl. Mt 13,13–15). Durch ihre Frage bewiesen diese Menschen, dass die von Christus angeführte Weissagung Jesajas wie die Faust aufs Auge zu der geistlichen Gesinnung dieser Leute passte.

Manche Ausleger haben sich gefragt, ob diese Bildersprache des Herrn auch eine geistliche Belehrung für die Pharisäer beinhaltete. Nun darf man nicht den Schluss aufgrund von Matthäus 13,13 ziehen, dass der Herr überhaupt nicht mehr „wörtlich“ mit diesen Menschen geredet hat. Auch müssen nicht alle Bilder, die der Herr verwendet, notwendigerweise eine geistliche Bedeutung besitzen. Und dennoch gibt es gerade bei diesen beiden gleichnishaften Bildern eine geistliche Beziehung, die exakt zu der damaligen Situation passt. Daher erscheint es mir sinnvoll, sie an dieser Stelle anzuführen.

Schauen wir uns zunächst die wörtliche Bedeutung an: Der abendliche feuerrote Himmel in Israel kommt daher, dass der Wind Wolken nach Westen über das Mittelmeer abgetrieben hat, so dass die Sonne dahinter besonders rot erscheint. Das ist normalerweise ein Zeichen dafür, dass am nächsten Tag schönes Wetter ist, denn der Regen kommt eher vom Westen, also vom Mittelmeer, nicht von Osten.

Das war ein Bild von der Tatsache, dass Christus zu seinem Volk gekommen war, um es zu segnen und in das Königreich einzuführen. So wäre es gekommen, wenn das Volk seinen Messias angenommen hätte. Aber das Gegenteil war der Fall, wie wir in dem ersten Teil dieses Evangeliums gesehen haben. So kam jetzt der Abend für das Volk, dem die Nacht folgen sollte, eine Nacht, die für das Volk nunmehr schon 2000 Jahre währt. Sie ist nicht das Ergebnis des Wunsches Christi, sondern der Sünde des Volkes!

Weil es für das Volk „Abend“ war, zeigt der Herr auch noch das bekanntermaßen schlechte Wetter an. Wenn nämlich frühmorgens der Himmel feuerrot ist, hat der Wind während der Nacht die Wolken vom Meer über das Land getrieben, so dass die Sonne dahinter nun rot erscheint. Das jedoch lässt stürmisches Wetter erwarten.

Das stand dem Volk nunmehr bevor. Die Wolken hatten sich zusammengetrieben durch die Verwerfung des Messias. Sie würde den Höhepunkt in seiner Kreuzigung erreichen. Dann allerdings kämen unwetterähnliche Zeiten auf das Volk zu, die in der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 nach Christus einen ersten Höhepunkt finden würden, und in einem latenten und zuweilen stark aufbrandenden Antisemitismus in vielen Ländern weitere Gipfelpunkte erreichen sollte. Der Herr wird nach Matthäus 24 noch einmal zu seinem Volk kommen – auch dann wird es zunächst ein „feuerrotes“ Gericht über das ungläubige Volk geben. Das wird wirklich ein Zeichen sein, wie man in Matthäus 24,30 nachlesen kann! Dann aber kommt Er auch für seinen leidenden Überrest zum Segen: aus dem Osten. Er wird nämlich auf dem Ölberg für sie erscheinen (Sach 14,4).

Zum zweiten Mal das Zeichen Jonas

So gab der Herr diesen Fragestellern anstelle eines Zeichens eine deutliche Warnung mit auf den Weg. „Sie sind blinde Leiter der Blinden“ (Mt 15,14), hatte der Herr über sie gesagt. Diese Warnung schließt Er nun in gewisser Weise mit dem Hinweis auf das Zeichen Jonas ab. „Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht begehrt ein Zeichen, und kein Zeichen wird ihm gegeben werden als nur das Zeichen Jonas.“ (vgl. Mt 12,39) Was für eine Zurechtweisung! Dieses Geschlecht – das heißt alle diejenigen, die in dieser Weise durch puren Unglauben gekennzeichnet waren und sich offen gegen den Herrn Jesus stellten und in späteren Zeiten in derselben Weise handeln würden – trug zwei Kennzeichen:

  1. Sie waren böse. Das beschreibt ihren inneren Zustand, ihre Gesinnung, die sie inzwischen viele Male offenbart hatten. Sie waren solche, die sich als Elite des Volkes Gottes sahen. Der Herr muss ihnen sagen, dass sie Ungöttliche waren, deren ganzes Wesen im Widerspruch zu Gott stand.
  2. Sie waren ehebrecherisch. Das bedeutet, dass sie Heuchler waren, wenn sie vorgaben, als Führer des Volkes Gottes eine lebendige Beziehung mit Gott auszuleben. Stattdessen pflegten sie das eigene Ich, waren Instrumente Satans und ließen sich mit solchen Menschen ein, die Feinde Gottes waren. Das war in den Augen Gottes nichts anderes als Ehebruch.

Diese Worte des Herrn Jesus beinhalten einen Rückbezug auf manche Prophetien im Alten Testament, in denen Gott die Bosheit und ehebrecherische Haltung seines irdischen Volkes seinen Geboten gegenüber beklagt. Stellvertretend hierfür sei Jesaja 57,3–5 zitiert: „Und ihr, naht hierher, Kinder der Zauberin, Nachkommen des Ehebrechers und der Hure! ... Seid ihr nicht Kinder des Abfalls, Nachkommen der Lüge, die ihr für die Götter entbranntet unter jedem grünen Baum, die ihr Kinder in den Tälern schlachtetet unter den Klüften der Felsen?“ (vgl. auch Jes 50,1; Jer 3,8; 9,2; Hes 16,32.38; 23,45; Hos 2,1–7; 3,1; 7,4).

Wie konnte Christus ihnen ein weiteres Zeichen geben, nachdem sie die vielen bereits gezeigten Wunder offenbar in ihrem Widerstand gegen Ihn einfach ablehnten und als normale Gesundungen etc. darstellen wollten? Der moralische Zustand des Volkes war schon ein Zeichen an sich, und zugleich der Beweis, dass das Gericht unmittelbar bevorstand. Das Kommen des Herrn auf diese Erde war sogar das größte Zeichen – Ihn aber lehnten sie ab. Auch 21 Wunder reichten ihnen nicht aus. Ein 22. hätte diese Gesinnung auch nicht geändert. Wer Christus und sein Tun nicht hören und anerkennen will, wird auch durch die offensichtlichen Beweise der Gottheit des Herrn nicht überzeugt werden.

Das erinnert an die Worte Abrahams an den reichen Mann, die uns in Lukas 16 berichtet werden, als dieser wünschte, dass Lazarus zu den noch lebenden Verwandten gehe, um sie dringend zu warnen. „Er sprach aber zu ihm: Wenn sie nicht auf Mose und die Propheten hören, werden sie auch nicht überzeugt werden, wenn jemand aus den Toten aufersteht“ (Lk 16,31). Hier nun war der Sohn Gottes selbst zugegen. Wer nicht auf Ihn hören will, den werden auch keine 100 Zeichen überzeugen. In Wahrheit waren sie, wie Johannes das von Anfang an erkannt und deutlich gemacht hatte, „Otternbrut“, die von Satan inspiriert war. Immer wieder bewiesen sie diesen Zustand.

Daher gibt der Herr diesen Menschen kein anderes Zeichen als das, was Er ihnen schon einmal gegeben hat: das Zeichen Jonas (vgl. Mt 12,39.40). Bei dieser ersten Mitteilung des Zeichens erläutert Jesus das Zeichen: „Denn so wie Jona drei Tage und drei Nächte in dem Bauch des großen Fisches war, so wird der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte in dem Herzen der Erde sein.“ Nach den weiteren Wundern ist der Herr noch nicht einmal bereit, eine solche Erläuterung zu geben. Es ist das Zeichen Jonas. Wer diese Warnung verstehen will, mag sie sich zu Herzen nehmen. Wer nicht, der wird die Konsequenzen auf sich nehmen müssen.

Das Beiseitestellen Israels und die Predigt der Nationen

Die Pharisäer und Sadduzäer wollten die „Zeichen der Zeiten“ nicht verstehen. Sie hätten es gekonnt, wenn sie sich dem Herrn unterworfen hätten. Aber sie wollten es nicht. Es besteht die Gefahr, dass auch wir Christen durch einen gleichgültigen Lebenswandel nicht mehr in der Lage sind, die Zeichen der Zeiten zu erkennen. Dabei spricht der Apostel Paulus davon, dass wir sie eigentlich erkennen müssten: „Und dieses noch, da wir die Zeit erkennen, dass die Stunde schon da ist, dass wir aus dem Schlaf aufwachen sollen ... Die Nacht ist weit vorgerückt und der Tag ist nahe ...“ (Röm 13,11–14). Das ist ein Appell an unsere Herzen!

Das Zeichen Jonas spricht vom Tod und von der Auferstehung des Herrn. Das ist die Predigt, die Christus seinem Volk noch einmal gibt. Gerade durch den Tod und die folgende Auferstehung könnten sie erkennen, dass Er den Auftrag Gottes ausführte.

In Matthäus 16 hat das Zeichen Jonas jedoch noch eine weitere Bewandtnis, wie wir schon beim Überdenken von Kapitel 12 gesehen haben. Es ist ein ähnlicher Gedanke wie der, den der Herr in Lukas 11,30 anführt. Jona war für eine Zeit im Meer verschwunden. Das würde dem Volk Israel widerfahren, nachdem sie den Herrn Jesus an das Kreuz gebracht hätten. Ihre Zerstreuung unter den Nationen, dem Völkermeer, wäre die Rettung für die Nationen (vgl. Röm 11,15).

Dieser Untergang Israels ist – wie die Fahrt Jonas im Fisch für die Niniviten – eine eigene Botschaft. Sie wird nach der Einschaltung der Verse 5 bis 12 in Vers 13 auch wieder aufgenommen. Denn Jona ist ein Bild auf den Herrn, der aus dem Tod kommend den Nationen das Evangelium predigte. Das war zugleich eine Gerichtsbotschaft für das Volk Israel, das mit dem Tod Jesu beiseite gesetzt wurde. Diese Verwerfung bleibt bestehen, bis die Vollzahl der Nationen eingefahren sein wird (vgl. Röm 11,25).

Jesus verlässt Israel!

Jesus unterstreicht diese Botschaft durch sein Handeln: „Und er verließ sie und ging weg.“ Er macht noch einmal deutlich, dass das Volk vor einem gravierenden Wechsel stand. Als der vom Volk Verworfene nahm Er diese Verwerfung an und wendete sich anderen zu – den Nationen. Das sehen wir ab Vers 13. Auch Er verwarf in diesem Sinn sein Volk, sein eigenes Volk!

Seinen Jüngern hatte Er das schon in Kapitel 15,14 gesagt: „Lasst sie“. Jetzt lässt auch Christus sie – was für ein Gerichtsurteil!

Wieder einmal sehen wir, dass Matthäus immer wieder auf diesen Wechsel der Haushaltungen zu sprechen kommt. Das sehen wir bei weitem nicht so deutlich bei Markus und Lukas. Aber Matthäus zeigt mehrfach in diesem Abschnitt, dass sich die Zeiten grundsätzlich ändern würden. Dieses Verlassen ist nicht einfach ein „Auf Wiedersehen“ sagen. Es handelt sich um ein deutliches Zeichen des Weggehens und Wegwendens. Der Herr kann sein Volk nicht mehr als Volk Gottes anerkennen. Der Zeugnischarakter dieses Volkes für Gott geht dem Ende entgegen!

Das hängt natürlich direkt mit den Führern des Volkes Gottes zusammen. Schon Sacharja hatte auf diesen Umstand hingewiesen: „Und ich vertilgte drei Hirten in einem Monat. Und meine Seele wurde ungeduldig über sie, und auch ihre Seele wurde meiner überdrüssig. Da sprach ich: Ich will euch nicht mehr weiden; was stirbt, mag sterben, und was umkommt, mag umkommen; und die Übrigbleibenden mögen einer des anderen Fleisch essen“ (Sach 11,8.9).

Manche Ausleger denken bei diesen drei Hirten an die drei führenden Gruppen in Israel: Pharisäer, Sadduzäer und Herodianer (bzw. Schriftgelehrte). Der Herr offenbart hier nicht, wie Er sie vertilgen würde. Aber sie hätten keine Zukunft. So lässt der Herr hier zwei dieser drei Gruppen stehen und wendet sich den Nationen zu. Das Volk dagegen folgt seinen Führern und kommt mit diesen um.

Gründe für das Weggehen des Herrn

Warum kann der Herr diesen radikalen Schnitt an dieser Stelle ziehen? Es handelt sich letztlich um eine Art Wiederholung der Szene aus Matthäus 13,1. Bis dahin hatte der Herr 14 Wunder für sein Volk getan – ohne Wirkung. Wenn es eine Wirkung gab, dann seine radikale Verwerfung, die des Messias.

In den Kapiteln 14 und 15 hatte der Herr nun noch einmal sieben Wunder für sein Volk getan. Und wieder blieb die Wirkung aus. Erneut führte sein Handeln nur dazu, dass sich die Führer des Volkes direkt gegen Jesus stellten. So blieb dem Gesalbten Gottes letztlich nichts anderes übrig, als sein Volk zu verlassen. Wir lesen immer wieder, mit was für einem Herzen voller Traurigkeit der Herr das getan hat. „Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an“ (Joh 1,11). So konnte auch Er die Seinen, die sich als Nachfolger Satans erwiesen, nicht mehr annehmen. Er verlässt sie.

Dieses Verlassen ist zugleich die Antwort auf eine in diesem Evangelium nunmehr in siebenfacher Weise zu findende Ablehnung durch diese beiden Gruppen von Juden: die Pharisäer und die Sadduzäer:

  1. Matthäus 9,11: „Und als die Pharisäer es sahen [das Zu-Tisch-Liegen der Sünder und Zöllner mit Jesus], sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Lehrer mit den Zöllnern und Sündern?“ Das ist der erste Angriff der Pharisäer gegen Christus. Sie verwerfen seine Gnade für Sünder und Zöllner.
  2. Matthäus 9,34: „Die Pharisäer aber sagten: Durch den Fürsten der Dämonen treibt er die Dämonen aus.“ Damit verwerfen sie die Person und die Kraft des Heiligen Geistes, durch die und durch den Christus hier auf der Erde wirkte.
  3. Matthäus 12,2: „Als aber die Pharisäer es sahen, sprachen sie zu ihm: Siehe, deine Jünger tun, was am Sabbat zu tun nicht erlaubt ist.“ Damit verwerfen diese Menschen die Nachfolger des Herrn Jesus.
  4. Matthäus 12,14: „Die Pharisäer aber gingen hinaus und hielten Rat gegen ihn, wie sie ihn umbrächten.“ Damit verwerfen die Pharisäer den Segen des Herrn und den Herrn des Sabbats.
  5. Matthäus 12,24: Die Pharisäer aber sagten, als sie es hörten: Dieser treibt die Dämonen nicht anders aus als durch den Beelzebul, den Fürsten der Dämonen.“ Damit stellen die Pharisäer den Herrn und vor allem den Geist Gottes auf eine Stufe mit Satan, seinem Widersacher.
  6. Matthäus 15,1: „Dann kommen Pharisäer und Schriftgelehrte von Jerusalem zu Jesus und sagen: Warum übertreten deine Jünger die Überlieferung der Ältesten?“ Damit verwerfen die Pharisäer die Gebote des Herrn.
  7. Matthäus 16,1: „Und die Pharisäer und Sadduzäer kamen herzu, um ihn zu versuchen.“ Damit verbanden sich Feinde, um gegen Christus aufzutreten und ihn zu Fall zu bringen. Sie rebellieren gegen den Gesalbten Gottes. Das ist das Kennzeichen von jemand, der Gott oder seinen Christus „versucht“.

Nach dieser siebenfachen Verwerfung kann Christus nichts anderes tun, als sich von diesen bösen und ehebrecherischen Menschen abzuwenden. In ehebrecherischer Weise verbinden sich zwei Feinde miteinander, um ihren noch größeren Feind – Gott in der Person des Herrn Jesus – zu bekämpfen. Darauf kann es nur das Gericht Gottes geben, sie nicht mehr als Teil seines Volkes anzuerkennen.

Verse 5–12: Der Einfluss falscher Lehrer auf die Jünger des Herrn

„Und als die Jünger an das jenseitige Ufer kamen, hatten sie vergessen, Brote mitzunehmen. Jesus aber sprach zu ihnen: Gebt Acht und hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer. Sie aber überlegten bei sich selbst und sagten: Weil wir keine Brote mitgenommen haben. Als aber Jesus es erkannte, sprach er: Was überlegt ihr bei euch selbst, Kleingläubige, weil ihr keine Brote mitgenommen habt? Versteht ihr noch nicht, erinnert ihr euch auch nicht an die fünf Brote für die fünftausend und wie viele Handkörbe ihr aufgehoben habt, noch an die sieben Brote für die viertausend, und wie viele Körbe ihr aufgehoben habt? Wie, versteht ihr nicht, dass ich euch nicht von Broten sagte: Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer? Da verstanden sie, dass er nicht gesagt hatte, sich zu hüten vor dem Sauerteig der Brote, sondern vor der Lehre der Pharisäer und Sadduzäer“ (Verse 5–12).

Bevor der Herr die konkreten Folgen der Verwerfung Israels zeigt, lässt Er uns nicht im Unklaren darüber, was für eine gefährliche Wirkung durch die falschen und bösen Lehren der Pharisäer und Sadduzäer für wahre Jünger ausgehen kann.

Der Anlass für diese Belehrung war offensichtlich, dass die Jünger vergessen hatten, Brote auf eine Reise mitzunehmen. Der Herr geht nicht auf diesen Mangel ein, dessen Bedeutung wir in dieser Weise heute vielleicht kaum nachvollziehen können. Die Jünger damals mussten jedoch für jede Mahlzeit vorsorgen, wenn sie unterwegs waren. Oftmals wussten sie sicher nicht, wie lange es dauern würde, bis sie wieder an einer Stelle wären, wo man Brote kaufen konnte. So dachten sie zunächst an die materiellen Brote. Denken nicht auch wir oft in erster Linie an unseren Köper und das Materielle, anstatt auf das viel wichtigere Geistliche zu sinnen?

Der Herr will seine Jünger aber nicht über materielle Dinge belehren. Sie dagegen verstanden ihren Meister wieder einmal nicht, weil nicht nur die Pharisäer und Schriftgelehrten, sondern auch sie selbst so sehr mit irdischen, materiellen Dingen beschäftigt waren. Der Herr gibt ihnen eine geistliche Belehrung über falsche Lehre; sie jedoch denken nur daran, dass sie keine ausreichenden Nahrungsmittel mitgenommen hatten.

Die Jünger waren im Unterschied zu den Pharisäern und Sadduzäern keine Feinde des Herrn und auch nicht bösartig. Aber der Herr muss sie „Kleingläubige“ nennen. Sie hatten bei sich selbst überlegt, ohne direkt auf ihren Meister zuzugehen. Es ist immer gefährlich, sich um sich selbst zu drehen und sich mit sich selbst zu beschäftigen. Das zeugt von einem schlechten Gewissen.

Der Zweifel an der Fürsorge des Herrn für die Seinen

Aber wenn der Herr den Jüngern auch ihren kleinen Glauben nennen muss – und wie oft muss Er das auch bei uns tun –, so neigt Er sich doch zu ihnen herab. Er zeigt ihnen nämlich zunächst, dass jede Sorge um die materielle Versorgung vollkommen unnötig war. Sie hatten doch inzwischen schon zweimal erlebt, in was für einer wunderbaren Weise der Herr 5000 und dann auch 4000 Menschen versorgt hatte. Warum zweifelten sie daran, dass Er dies immer wieder auch für sie tun könnte?

Allerdings sollten wir bedenken, dass wir keinen Grund haben, mit Fingern auf die Jünger zu zeigen. Wie oft haben wir selbst die gütige Hand unseres Herrn erlebt. Aber schon kurze Zeit später scheinen wir alles vergessen zu haben. Leider hat uns Erfahrung oft nicht klug gemacht. Wir sind so sehr mit unseren materiellen Bedürfnissen und Sorgen beschäftigt, dass wir keinen Blick mehr für das Unsichtbare haben, kein Vertrauen zu unserem Herrn im Himmel, dass Er immer in der Lage ist, uns zu versorgen, wie und wo Er will. Dieses Vertrauen dürfen wir neu entstehen lassen. Wir müssen lernen, nicht von unseren menschlichen Überlegungen bzw. überhaupt vom Menschen auszugehen, um dann zu versuchen, uns zu Gott zu erheben. Besser gingen wir immer von der Sichtweise Gottes aus, der sich dem Menschen gegenüber in wunderbarer Weise offenbart. Aber solange wir nicht die Beziehung von allem zu Christus bzw. die Beziehung von Christus zu allem ins Auge fassen, können wir gar nichts richtig verstehen. Die Offenbarung Gottes in Christus unberücksichtigt zu lassen, war schon immer ein großer Fehler der Menschen.

Was war nun die eigentliche Zielrichtung der Belehrung des Herrn? Er wollte seinen Jüngern klar machen, dass die Bosheit der Pharisäer und Schriftgelehrten sehr leicht auch auf wahre Jünger übergreifen kann. Allein der Unglaube – man könnte auch sagen: die Konzentration auf den Verstand – der Jünger in den Umständen der fehlenden Brote zeigt deutlich, dass diese Gefahr wirklich vorhanden ist. Auch heute sind wir in Gefahr, falschen Lehrern nicht sofort Einhalt zu gebieten und zu meinen, mit unserem Verstand alles beurteilen zu können.

Die Lehre der Pharisäer und Sadduzäer

Seit jeher war es für Gläubige leichter, einen bösen Lebenswandel und eine falsche Moral zu entlarven als eine falsche Lehre. Schon Richter 17–21 zeigen dieses Phänomen. In den Kapiteln 17 und 18 finden wir die falsche Lehre, geistlichen Götzendienst. Kein Aufruhr ist zu sehen angesichts dieses Wegwendens von Gott. Als es aber um Homosexualität und falsche Moral ging (Kapitel 18–21), finden wir einen regelrechten Aufschrei im Volk.

Bis heute ist es so, dass moralische Sünden, wie wir sie in 1. Korinther 5 finden, wesentlich leichter von uns als Sünde empfunden werden als falsche Lehre. Wir erkennen sie oft erst sehr spät; und dann haben wir davor bei weitem keine solch große Abscheu wie vor falscher Moral. Wie wichtig ist es hier, sich das Empfinden durch die Bibel prägen zu lassen!

Der Herr warnt nun hier vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer. In der Parallelstelle in Markus 8,15 warnt Er auch vor dem Sauerteig der Herodianer. Das ist die Lehre der Freizügigkeit und Weltlichkeit. Man kann fragen, warum Matthäus diesen Punkt nicht wiedergeben sollte. Eine Antwort scheint darin zu liegen, dass Matthäus hier den Rahmen der bösen Lehren geben soll. Er beschreibt sozusagen die konservative Richtung böser Lehren (Pharisäer) und die liberale Richtung böser Lehren (Sadduzäer), welche die beiden äußeren Markierungslinien böser Lehren aufzeigen. Markus spricht von der Lehre der Herodianer, die eine besondere Gefahr in politischer Hinsicht darstellt, aber irgendwo zwischen dem Gedanken der Sadduzäer und dem der Pharisäer liegt. Zudem scheint es dem Geist Gottes in unserem Evangeliums besonders um die religiösen Gefahren zu gehen.

Was bedeuten diese bösen Lehren?

Was ist nun unter diesen beiden bösen Lehren zu verstehen? Wir haben schon in Verbindung mit Kapitel 13 gesehen, dass Sauerteig das Böse in seinem fortschreitenden, nicht aufzuhaltenden Charakter beschreibt. Es ist eine Lehre, die sich ihren Weg gewissermaßen selbst bahnt. Daher ist sie so gefährlich. Denn sie benötigt kaum Katalysatoren, die sie weiterbefördern. Sie ist in ihrem Wesen so attraktiv, dass es einer direkten Kraftanstrengung bedarf, um sie zum Stillstand zu bringen (Feuer, Hitze, der Tod des Herrn).

  • In Lukas 12,1 wird die Lehre der Pharisäer als Heuchelei bezeichnet. Aus Matthäus 15 erkennen wir, dass es sich dabei besonders um religiöse Traditionen, Zeremonien und Rituale handelt, die über das Wort Gottes gestellt werden. Es ist also das Vorgeben von echter Lehre, Religiosität und Gottesfurcht (Heuchelei), was in Wirklichkeit jedoch menschliche Gebote und menschliche Traditionen sind, die anderen auferlegt werden und das Wort Gottes zur Seite stellen. Es geht um den Buchstaben und nicht um die Gesinnung. Es ist ein Wegnehmen des Wortes Gottes und ein Hinzufügen. Es ist damit auch ein Widerspruch zu den Geboten Gottes. Es sind Traditionen ohne Christus, ohne Gott!
    Diese Lehre ist deshalb so gefährlich, weil sie den menschlichen Empfindungen entspricht. Das Fleisch des Menschen ist dafür empfänglich. Der Mensch sehnt sich nach einem menschlichen Rahmen für sein Handeln. Und Menschengebote sind deswegen so anziehend, weil das Gewissen durch sie nicht berührt wird. Wenn man sie tut, entgeht man einer Strafe, egal, mit was für einem Motiv man handelt. Dadurch werden sie den Geboten Gottes oft vorgezogen.
  • Die Lehre der Sadduzäer ist genauso gefährlich. Die Sadduzäer stellten die direkte Gegenbewegung zu den Pharisäern dar. Sie glaubten nicht an die Auferstehung (vgl. Mt 22,23), sie leugneten alles Übernatürliche, was nicht mit dem menschlichen Verstand erklärbar war. Damit waren sie auf der einen Seite Freidenker und Modernisten, sowie auf der anderen Seite Rationalisten und Materialisten. Sie vertraten eine Lehre ohne Christus und ohne Gott. Der Himmel kam bei ihnen nicht vor. Die Hölle natürlich auch nicht. Sie waren durch Unglauben gekennzeichnet (Apg 23,8).

Paulus zeigt den Kolossern in seinem Brief, wie wir diese beiden Denkrichtungen nach der Himmelfahrt des Herrn bezeichnen können: In Kolosser 2,16–23 haben wir die Lehre der Ritualisten und Traditionalisten, die bestimmte Tage und Zeremonien über das Wort Gottes und die Person des Herrn stellen. In Kapitel 2,8 haben wir die Philosophen und die modernen Theologen, die ohne Gott und sein zuverlässiges Wort auskommen. Moderne Theologie ist oftmals nichts anderes als Philosophie, nur dass sie diese mit dem Namen Gottes zu verbinden sucht. Das ist letztlich noch schlimmer, weil es einen Anschein von Gottseligkeit gibt, man in Wirklichkeit aber für Gott und seinen Christus keinen Platz hat.

Beide Denkrichtungen treiben bis heute ihr Spiel. Sie sind „tätig“, um die Christen zu verwirren und von der einfältigen Nachfolge hinter dem Herrn Jesus abzuziehen. Daher müssen auch wir uns warnen lassen, weder die Traditionen noch die rationalistischen Lehren mit ihrem Freidenkertum unser Denken und Handeln beeinflussen zu lassen. Beides ist sehr gefährlich und führt vom unserem eigentlichen Ziel weg: dem Herrn Jesus zu dienen.

Verse 13–20: Der Sohn des lebendigen Gottes kündigt den Bau der Versammlung an

„Als aber Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi gekommen war, fragte er seine Jünger und sprach: Wer sagen die Menschen, dass ich, der Sohn des Menschen, sei? Sie aber sagten: Die einen Johannes der Täufer; andere aber Elia; und wieder andere Jeremia oder sonst einer der Propheten. Er spricht zu ihnen: Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei? Simon Petrus aber antwortete und sprach: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Glückselig bist du, Simon, Bar Jona; denn Fleisch und Blut haben es dir nicht offenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist. Aber auch ich sage dir: Du bist Petrus; und auf diesen Felsen werde ich meine Versammlung bauen, und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Königreichs der Himmel geben; und was irgend du auf der Erde binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein, und was irgend du auf der Erde lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein. Dann gebot er den Jüngern, niemand zu sagen, dass er der Christus sei“ (Verse 13–20).

Mit diesen Versen kommen wir zu einer weiteren, entscheidenden Wende in diesem Evangelium. In Kapitel 13 hatten wir bereits gesehen, dass der Herr symbolisch das Haus (Israels) verlässt, um sich an den See (der Nationen) zu begeben. In den jetzt vor uns stehenden Versen sehen wir nicht nur, dass sich der Herr von Israel wegwendet. Er gibt Israel nunmehr auf als den Träger der Verheißungen und Zeugen Gottes hier auf der Erde. An seine Stelle tritt eine neue Schöpfung, die nicht Teil der ersten, sondern Teil der zweiten, himmlischen Schöpfung ist. Wie bereits erwähnt, haben es Ausleger Gottes „Meisterwerk“ genannt: die Versammlung (Gemeinde, Kirche).

Jesus nimmt diesen Wechsel nicht irgendwo in Israel vor. Allein schon die Ortswahl zeigt, wie es um Israel bestellt war. Der Herr kam in das Gebiet von Cäsarea Philippi. Das ist ein Ort ganz im Norden von Israel, rund 40 Kilometer nördlich des Sees von Galiläa (Genezareth), am Fuß des Hermon, an der Grenze zum Libanon und zu Syrien; gewissermaßen heidnisches Land.

Auch der Name dieses Ortes ist bedeutsam. Der Sohn von Herodes dem Großen, der Tetrarch Philippus, errichtete hier die Hauptstadt seines Herrschaftsgebiets. Wie einige andere Orte (z.B. Caesarea Maritima an der Mittelmeerküste) wurde die Siedlung zu Ehren des römischen Kaisers (Caesar) „Caesarea“ benannt; zur Unterscheidung erhielt der Ort den Namenszusatz „Philippi“, denn Philippus wollte sich mit dieser Stadt auch selbst einen Namen machen.

So steht dieser Ort für die Fremdherrschaft Israels (Caesarea), für den Hochmut in Israel (Philippi) sowie für die Usurpation des Landes durch fremde Könige (Herodes und Philippus). Israel war hochmütig geworden, wie die Führer des Volkes soeben noch bewiesen hatten. Aber es war gar nicht mehr in der Lage, das von Gott geschenkte Land selbst zu regieren und zu verwalten. Die Königsherrschaft hatten sie längst an andere abgeben müssen.

An diesem Ort fragt Jesus seine Jünger: „Wer sagen die Menschen, dass ich, der Sohn des Menschen, sei?“ Er kannte die Antwort schon, keine Frage. Aber Er wollte den Jüngern bewusst machen, mit was für einer Unsicherheit die Juden Ihn beurteilten. Zugleich wollte Er ihren Glauben sichtbar machen, indem Er ihnen die Gelegenheit gab, die Wahrheit auszusprechen. Denn wenn sie auch zuweilen nur einen kleinen Glauben besaßen, hatten sie doch Glauben.

Die Meinungen in der Volksmenge über die Person Christi

Wenn man die Antwort der Jünger hört, so könnte man auf den ersten Blick beeindruckt sein von dem Urteil der Menschen. Hier geht es nicht um die Meinung der Pharisäer und Sadduzäer. Sie lehnten Jesus rundweg ab, wie wir immer wieder gesehen haben. Der Herr wollte die Meinung der Volksmengen, die sich bislang noch nicht feindlich, wohl aber oftmals gleichgültig seinem Wirken gegenüber gezeigt hatten, offenbar machen. Was war deren Urteil? „Sie aber sagten: die einen Johannes der Täufer; andere aber Elia; und wieder andere Jeremia oder sonst einer der Propheten.“ Waren dies nicht alles Personen höchsten Ansehens in Israel? Gewiss!

  1. Johannes der Täufer war allen noch in Erinnerung geblieben. Der Herr selbst hatte ihn als den Größten von Frauen geborenen Menschen bezeichnet (vgl. Mt 11,11). Er hatte zwar keine Wunder vollbracht, aber sein Wirken besaß eine solche moralische Kraft, dass sich nicht einmal die Pharisäer und Sadduzäer dieser Autorität zu entziehen wussten (vgl. Mt 3,7; 21,26).
  2. Elia war der Inbegriff des Propheten im Alten Testament. In einer geradezu einmaligen Furchtlosigkeit trat er in Israel auf und vollbrachte viele Wunder. Sogar Regen konnte er für dreieinhalb Jahre verhindern, Feuer vom Himmel werfen lassen! Zudem ist er nie gestorben, sondern im Sturmwind in den Himmel aufgefahren (2. Kön 2,11).
  3. Jeremia war der Prophet, der das längste Bibelbuch geschrieben hat (nicht nach Kapiteln gerechnet, sondern nach der Textlänge). Zwar war sein Einfluss offenbar vergleichsweise gering gewesen, denn weder der König noch das Volk hörten auf die Worte dieses Mannes. Dennoch war zumindest im Nachhinein sehr deutlich geworden, dass Gott aufseiten dieses Mannes stand. Allein unser Bibelbuch zeigt mindestens zwei Erfüllungen der Weissagungen von Jeremia (2,17; 27,9).
  4. Einer der Propheten: Die Menschen wollten sich nicht festlegen. So waren sie sich nicht einig, ob Jesus vielleicht doch einer der anderen bekannten Propheten war. Diese standen in Israel insgesamt in einem sehr hohen Ruf, wenn man auch, wie bei Jeremia erwähnt, oftmals nicht auf ihre Hinweise reagieren wollte und sie sogar hingerichtet hatte. Aber die Klasse der Propheten wurde doch insofern geachtet, als man zugab, dass sie von Gott selbst besonders begabt worden waren. Und hinterher berief man sich gerne auf sie (vgl. Mt 23,29).

Waren die Meinungen also nicht sehr beachtlich, die wir hier lesen? Auf den ersten Blick schon. Aber in Wirklichkeit war das Gegenteil der Fall. Denn einerseits waren sich die Menschen nicht einig, wer hier vor ihnen stand. Jeder hatte seine eigene Meinung, und offenbar hatte keiner von ihnen erkannt, dass hier „mehr als Jona“ und „mehr als Salomo“ (vgl. Mt 12,41.42) vor ihnen stand. Andererseits hatte diese personale Zuordnung im Blick auf Propheten keine nachhaltige Wirkung auf die Volksmengen ausgeübt. Denn warum nahmen sie dieses besondere Werkzeug Gottes dann nicht an und beugten sich unter seine Worte?

Das schlechte Gewissen der Volksmenge

Das Nennen dieser vier Personengruppen zeigt zugleich, dass die Volksmengen letztlich doch ein schlechtes Gewissen hatten, wie sie mit Männern Gottes und auch mit dem Herrn umgingen:

  1. Johannes der Täufer war, wie das Volk wusste, ermordet worden. Aber schon Herodes dachte, dass Johannes in der Person Jesu aus den Toten auferstanden sei (vgl. Mt 14,1). Dabei hätte er genauso wie das Volk wissen können und müssen, dass Jesus längst lebte, als Johannes noch tätig war. Aber das schlechte Gewissen ließ weder Herodes noch die Juden, die sich Gott nicht unterwerfen wollten, klare Gedanken über diese von Gott gesandte Person fassen.
  2. Elia war ein Gerichtsprophet für sein eigenes Volk. Er hatte die eigentümliche Aufgabe, durch das Verhindern von Regen Gericht über das Volk Israel zu bringen. Von diesem Gericht sprach unser Herr schon im ersten Abschnitt unseres Kapitels. Hatte das Volk instinktiv das Bewusstsein, dass das Wirken Jesu letztendlich Gericht für das Volk Israel bedeutete?
    Zudem war Elia angekündigt als der Vorläufer des Messias (vgl. Mal 3,23.24), der den großen und furchtbaren Tag des Herrn einläuten würde. Das war ein Tag des Gerichts, der mit der Rute Gottes verbunden war!
  3. Jeremia wurde von manchen als derjenige verstanden, der Jesaja 53 erfüllt hätte oder erfüllen würde. Man berief sich auf Jeremia 11,19, was eine Erfüllung von Jesaja 53,7 darstellen sollte. Damit gab es eine Verbindung von Jeremia mit dem Messias, von dem Jesaja in diesem Kapitel spricht. Auch wenn diese Deutung verkehrt ist, zeigt dieser Hinweis, in was für einer hohen Achtung dieser Prophet jedenfalls nach seinem Tod gestanden hat. Sein Buch zeugt davon, dass auch er ein regelrechter Ankündiger der Gerichte Gottes über sein Volk war.
  4. Zum Schluss noch „ein“ Prophet. Die Juden wussten, dass in 5. Mose 18,18 ein Prophet, Mose gleich, angekündigt worden war. So war es eine besondere Ehre – vermeintlicherweise –, wenn Jesus auf die Stufe dieses Propheten gestellt wurde. Und tatsächlich kam diese Vorstellung der Wirklichkeit am nächsten.

Aber diese unterschiedlichen Namensnennungen zeigen doch, dass die Volksmengen nicht erkannten, dass hier Emmanuel vor ihnen stand, Gott selbst, der zu seinem Volk gekommen war. Genau genommen waren sogar alle Vergleiche Beleidigungen der Person Jesu. Wenn man an den bestmöglichen Vergleich – an Johannes den Täufer – denkt, dann hatte der Herr Jesus von diesem gesagt: „Unter den von Frauen Geborenen ist kein Größerer aufgestanden als Johannes der Täufer“ (Mt 11,11). Es war der größte Gläubige im Alten Testament. Aber was fügte der Herr hinzu? „Der Kleinste aber im Reich der Himmel ist größer als er.“ Wenn aber in dem damals noch kommenden Königreich selbst der Kleinste größer sein würde als Johannes, wie verletzend musste dann dieser Vergleich für den Herrn, den Herrn der Herrlichkeit gewesen sein. Wie offenbarte die Nennung dieser Namen, dass das Volk keine Ahnung hatte, wer in Ihm wirklich vor ihnen stand. Petrus und seine Mitjünger hatten nur die besten Namen genannt, die im Volk genannt wurden – der Herr war ja auch Fresser und Weinsäufer genannt worden (Mt 11,19)!

Wie traurig, dass unser Herr so verkannt wurde. Aber man muss neues Leben besitzen, um Ihn im rechten Licht sehen zu können (Joh 17,3). Auch heute gehen die Meinungen über Jesus weit auseinander. Die wenigsten erkennen in Ihm den ewigen Sohn Gottes, der Mensch geworden ist. Wie freut sich der Herr dann darüber, dass es noch solche gibt, die seine Herrlichkeit bewundern.

Bevor wir zum Ausspruch von Petrus kommen, müssen wir noch den Titel überdenken, den der Herr sich hier gibt. Er fragt die Jünger ja nicht, welche Meinung die Menschen ganz generell von Ihm haben, sondern von Ihm, dem Sohn des Menschen. Warum nennt Er sich gerade hier mit diesem Titel?

Der Sohn des Menschen

Folgende Punkte verbinden sich mit diesem Ausdruck, den der Herr, wie wir schon früher gesehen haben, immer wieder für sich selbst verwendet:

  1. Der Titel „der Sohn des Menschen“ weist mehr als jeder andere Titel darauf hin, dass Jesus wirklich Mensch ist. Er wird nicht Sohn eines Menschen oder Sohn der Menschen genannt, sondern der Sohn des Menschen. Damit ist nicht so sehr gemeint, dass Er in Wahrheit nur eine Person als Mutter hatte, nicht jedoch einen menschlichen Vater, obwohl das wahr ist und vielleicht ebenfalls in diesem Ausdruck (wegen der gewählten Einzahl „des“) steckt. Aber Er ist nicht einfach Sohn von Menschen. Sohn des Menschen heißt, dass Er der Inbegriff dessen ist, was „Mensch“ sein bedeutet. Davon spricht nämlich das Wort „Sohn“. Wenn von Sohn die Rede ist, ist damit nicht das Kind von jemandem gemeint, sondern derjenige, der exakt den Charakter trägt von der Person, von der er Sohn ist. Jesus ist nicht einfach Sohn irgendeines Menschen. Er ist der Sohn des Menschen schlechthin. Wenn man jemanden sucht, der Mensch ist, so wie Gott ihn geschaffen hat und wie Gott ihn wollte, dann Er! Wobei wir immer zu berücksichtigen haben, dass Er im Unterschied zu uns kein Geschöpf ist.
    Das unterscheidet Christus auch von Daniel und Hesekiel, die im Alten Testament jeweils als „Menschensöhne“ bezeichnet werden. Sie waren Söhne von Menschen. Auch da war es ein besonderer Titel, aber nicht in dieser Exklusivität, wie wir es hier bei dem Herrn finden. So finden wir in diesen Bezeichnungen dieser beiden Propheten – wie im Deutschen – keinen Artikel, wie er bei dem Herrn verwendet wird, um ganz speziell auf Ihn hinzuweisen.
  2. Durch diesen Titel wird der Herr nicht mit dem irdischen Volk Gottes in Israel verbunden, sondern der Horizont ist viel weiter gefasst und schließt alle Menschen ein. Gerade dieser Gedanke ist im Zusammenhang von Matthäus 16 von großer Bedeutung. Denn der Herr hatte sich soeben von den Führern des Volkes Israel und damit vom Volk insgesamt abgewandt. Er stand unmittelbar davor, eine Offenbarung vorzunehmen, die sich auf die Versammlung bezog, die mit dem Beiseitesetzen der Vorzugsstellung des Volkes Israel verbunden war. Der Sohn des Menschen öffnet den Blick für alle Nationen, für alle Menschen.
  3. Als Sohn des Menschen ist Jesus ein leidender Mensch (vgl. Vers 21; vgl. Mt 8,20; 12,40), aber auch ein danach verherrlichter Mensch, wie ebenfalls Vers 21 zeigt (vgl. Vers 27; Mt 19,28). So steht dieser Titel mit den Leiden am Kreuz und mit der Herrlichkeit danach in Verbindung. Nicht von ungefähr finden wir direkt im Anschluss an diesen Abschnitt die erste Ankündigung des Herrn, dass Er leiden und sterben müsse, aber auch auferweckt werden würde.
  4. Der Sohn des Menschen ist auch der Richter der Menschen. Das wird aus Stellen wie Matthäus 25,31, Johannes 5,27, Offenbarung 1,13 und so weiter, deutlich. Derjenige, der hier auf der Erde gelitten hat, ist zugleich derjenige, der das Gericht an denjenigen ausführen wird, die Ihn hier haben leiden lassen. Schon in unserem Kapitel (in Vers 27) wird dieser Charakterzug des Sohnes des Menschen aufgegriffen. Er kommt, um Vergeltung im Positiven und im Negativen zu üben.
  5. Der Titel „Sohn des Menschen“ spricht auch von der Herrschaft, die der Herr Jesus über alles Geschaffene ausüben wird. Diesen Gedanken findet man schon im Alten Testament in Psalm 8: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du auf ihn Acht hast? Denn ein wenig hast du ihn unter die Engel erniedrigt; und mit Herrlichkeit und Pracht hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt“ (Ps 8,5–7; vgl. auch Ps 80,18). Auch der Prophet Daniel spricht von dieser Herrschaft (vgl. Dan 7,13.14). Matthäus greift diesen Gedanken auf und spricht zum Beispiel in Kapitel 24,30 von dieser Herrschaft. In Hebräer 2 wird dieser Gedanke noch einmal bestätigt.

Der Herr Jesus stellt seine Jünger auf eine Probe

Nachdem sich Jesus mit der Bezeichnung als Sohn des Menschen schon von Israel entfernt hat, geht Er noch weiter. Zunächst stellt Er seine Jünger auf die Probe. Die Menschen hatten durch ihr Urteil bewiesen, dass sie keine Ahnung hatten, wen sie wirklich vor sich hatten. Würden die Jünger ihnen gleichen? „Er spricht zu ihnen: Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?“ In Kapitel 17,4.5 werden wir lernen, dass Petrus sich in einer Hinsicht nicht von dem Volk unterschied. Dort stellte er den Herrn tatsächlich auf eine Stufe mit Propheten wie Mose und Elia. Hier jedoch finden wir etwas anderes. So ist das bei uns Gläubigen leider immer wieder: Wenn wir uns vom Geist Gottes leiten lassen, erkennen wir große Herrlichkeiten des Herrn Jesus. Wenn wir dem Fleisch die Oberhand lassen, wird unser geistlicher Blick verdunkelt sein.

Nur einer der Jünger reagiert sofort auf diese Frage des Herrn. Manches Mal sieht man Simon Petrus in fleischlichem Übereifer handeln. Hier jedoch nicht. Er sagt: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Ist das eine besonders erwähnenswerte Aussage? Vers 17 unseres Kapitels macht sehr klar, dass es sich in der Tat um etwas ganz Besonderes handelt, was Petrus hier gesagt hat.

Wir wollen das im Folgenden kurz zu verstehen suchen. Denn die Beurteilung des Herrn lautet: „Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Glückselig bist du, Simon, Bar Jona; denn Fleisch und Blut haben es dir nicht offenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist.“

Warum nennt der Herr seinen Jünger Petrus an dieser Stelle „glückselig“, also gesegnet durch wahres Glück von oben? Er macht deutlich, dass Petrus hier eine Aussage getroffen hat, die er sich nicht als Mensch von Fleisch und Blut, also als ein Mensch der ersten Schöpfung, selbst ausdenken konnte. Nur eine göttliche Offenbarung vonseiten des Vaters Petrus gegenüber machte es möglich, eine solche Bezeichnung des Herrn Jesus vorzunehmen. Glückselig war Petrus deshalb, weil er diese Offenbarung des Vaters bekam, auf sie hörte und keine eigenen Gedanken einzuflechten suchte.

Die Aussage von Petrus

Was aber war so Besonderes an der Aussage von Petrus?

  • „Du bist der Christus“ – das war keine neue Offenbarung und Aussage. Das war längst im Alten Testament bekannt. In Jesaja 61,1 lesen wir: „Der Geist des Herrn, Herrn, ist auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat [das ist nichts anderes als der Ausdruck: Christus, Gesalbter], den Sanftmütigen frohe Botschaft zu bringen ...“ Jesus ist der wahre Gesalbte, von dem Jesaja hier spricht. Auch Daniel sprach von diesem Messias (das ist das hebräische Wort für König, Christus). In seiner faszinierenden Prophetie über die 70 Jahrwochen spricht der Prophet davon, dass der Messias weggetan werden und nichts haben würde. Das ist das Kreuz Jesu! – Wir sehen, die Aussage, „Du bist der Christus“, ist überhaupt nichts Neues für einen Juden. Denn auch Nathanael hatte den Herrn längst als den „König Israels“ er- und anerkannt (Joh 1,49), als der Herr noch vor seinem öffentlichen Dienst stand.
  • Gott, Sohn Gottes: Auch diese Seite der Person des Herrn war nicht unbekannt. In Psalm 2,7 heißt es beispielsweise davon: „Der Herr hat zu mir gesprochen: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“ In Apostelgeschichte 4,25–28 lesen wir, dass Petrus gerade diesen Psalm direkt auf den Herrn Jesus bezieht. Von Ihm ist in diesem Psalm die Rede! Dabei gilt es zu bedenken, dass der Herr in diesem Ausspruch über den Sohn Gottes nicht in seiner ewigen, wesenseigenen Gottheit gesehen wird, sondern als der von Gott ankündigte König, der das Siegel und die Salbung Gottes trägt; der auf dieser Erde als der Gesalbte Gottes anerkannt und eingesetzt wurde. Diese Bedeutung verbindet sich mit der Ankündigung Gabriels an Maria: „Das Heilige, das geboren werden wird, wird Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35). Auch hier geht es nicht um den ewigen Gott, sondern darum, dass der Mensch, der geboren werden sollte, Jesus, von Gott als der Gesalbte anerkannt würde. Das ist durchaus in Übereinstimmung damit, dass Er der ewige Gott ist, doch dieser Ausspruch betont diese Seite nicht. Auch Nathanael bekannte den Herrn Jesus als Sohn Gottes, nämlich als den König, der von Gott Autorität und Siegel besaß. Aber der Herr Jesus zeigt ihm, dass seine Herrlichkeit als Sohn des Menschen größer ist als diese Seite seiner Sohnschaft (vgl. Joh 1,49–51).
    Schon der Prophet Jesaja spricht von dem kommenden Messias als Sohn Gottes. „Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären und wird seinen Namen Immanuel nennen“ (Jes 7,14). Gott selbst würde also als „Gott mit uns“ von einer Jungfrau geboren auf diese Erde kommen. Oder, wie es kurze Zeit später heißt: „Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst“ (Jes 9,5). Dieses Kind wäre also nicht einfach ein Mensch unter Menschen, auch nicht nur der Sohn des Menschen, sondern der starke Gott selbst.

Nun stellt sich die Frage: Wenn doch der Herr Jesus sowohl als Messias als auch als Sohn Gottes, also als Gott selbst, im Alten Testament angekündigt worden war, was liegt dann an besonderem Inhalt in diesem Bekenntnis vor, das Petrus hier ausspricht?

Die Offenbarung des Vaters über seinen Sohn

Der Hauptpunkt scheint darin zu liegen, dass Petrus von Christus als vom Sohn des lebendigen Gottes spricht. Was liegt in dieser Aussage verborgen? Sie bedeutet, dass der Herr nicht nur der im Alten Testament angekündigte Sohn Gottes ist, von Gott als Sohn hier auf dieser Erde anerkannt. Nein, Christus ist selbst der ewige Gott, der Gott, der Leben in sich selbst besitzt, nicht nur durch die Salbung von oben. Er ist die Quelle des Lebens, der Lebensspender, derjenige, der das göttliche Leben anderen weitergeben kann. Diese Vollmacht besitzt nur der ewige Gott, der in sich selbst Leben hat.
Diese Aussage finden wir im Alten Testament nicht wieder. Natürlich war bekannt, dass der Herr, der Ewige, Leben hat. In 5. Mose 5,26 spricht Mose von dem „lebendigen Gott“. Auch Hiskia spricht von dem lebendigen Gott (vgl. Jes 37,4). Aber wir lesen an keiner Stelle, dass der Messias als der ewige Gott gezeigt wird, der selbst in eigener Lebenskraft souverän ist.

Hier ist also nicht nur vom Sohn Gottes die Rede. Hier wird deutlich, dass der Sohn – wir haben weiter oben gesehen, dass dieser Titel nicht meint: Kind, sondern dass der Sohn den Charakter dessen trägt, von dem er Sohn ist – selbst als der lebendige Gott beschrieben wird. Es ist das Ziel des Geistes Gottes, dass wir dieses Bewusstsein bekommen: Jesus Christus ist der ewige, der lebendige Sohn Gottes. So schreibt es auch der Apostel Johannes in seinem Brief: „Wir wissen aber, dass der Sohn Gottes gekommen ist und uns Verständnis gegeben hat, damit wir den Wahrhaftigen erkennen; und wir sind in dem Wahrhaftigen, in seinem Sohn Jesus Christus. Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben“ (1. Joh 5,20).

Diese Tatsache, dass der vor den Jüngern stehende Mensch Jesus, der kurz zuvor noch von den Pharisäern und Sadduzäern versucht worden ist, der ewige, lebensspendende Gott ist, hatte bislang niemand gesagt. Es ist eine himmlische Wahrheit, die Petrus sich nicht ausdenken konnte, die er auch nicht durch die Betrachtung des Lebens des Herrn hätte verstehen können. Es war eine direkte Offenbarung des Vaters nötig, damit Petrus zu dieser gewaltigen Aussage kommen konnte. Bis heute gibt es viele Christen, die nicht in der Lage sind, diese Herrlichkeit in dem Herrn Jesus zu erkennen, obwohl die Wahrheit nun schon 2000 Jahre lang bekannt ist.

Wir brauchen nicht zu glauben, dass Petrus damals schon verstanden hat, was er hier ausdrücken durfte. Aber er war das Werkzeug, das Gott benutzen konnte, weil Petrus in der konkreten Situation nicht fleischlich handelte und dachte, sondern einfach das weitergab, was ihm der Vater unmittelbar vor dem Aussprechen dieser gewaltigen Wahrheit offenbart hatte. Wir wollen jedoch bedenken, dass Glaube nötig war, persönlicher Glaube, um diese Herrlichkeit des Herrn Jesus auszusprechen. Denn Petrus reproduziert hier nicht einfach, was er gehört und gelernt hat. Es ist sein eigener, geistlicher Besitz geworden, den er hier weitergeben darf, selbst wenn er dessen Bedeutung sicher erst nach dem Kommen des Heiligen Geistes auf die Erde erfasst hat. Ein Mensch kann den ganzen Umfang dieser Aussage ohnehin nicht ergründen.

Leben aus dem Tod

Der Herr Jesus spricht an anderer Stelle selbst davon: „Denn wie der Vater Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, Leben zu haben in sich selbst; und er hat ihm Gewalt gegeben, Gericht zu halten, weil er des Menschen Sohn ist“ (Joh 5,26.27). Hier wird auch die wichtige Beziehung zwischen dem Sohn des Menschen und dem lebendigen Gott deutlich. Nicht mit dem Messias sondern mit dem Sohn des Menschen in seinem Charakter der Zuwendung zu allen Menschen wird dieser Wesenszug des Herrn verbunden. „Sohn des lebendigen Gottes“ ist kein Titel, den der Herr sich erworben hätte. Es ist ein ewiger Wesenszug seiner Person, der von dem Augenblick an auch im Blick auf Ihn als Mensch wahr war, als Er durch Gott gezeugt geworden war.

Das ist aber noch nicht alles. Gerade die weiteren Verse machen deutlich, dass die hier offenbarte Wahrheit eine direkte Beziehung zum Tod des Herrn aufweist. Petrus geht über das Kreuz und das Grab hinaus, wenn er diesen Titel des Herrn nennt. Es handelt sich um Auferstehungsleben, das hier mit dem Herrn Jesus verbunden wird. Paulus drückt das in einem Brief so aus: „Als Sohn Gottes in Kraft dem Geist der Heiligkeit nach durch Toten-Auferstehung erwiesen“ (Röm 1,4). Diese Lebenskraft des Herrn, die Autorität, auch als Mensch Leben in sich selbst zu besitzen, hat sich erwiesen, als Er am Kreuz gestorben war. Denn gerade als Sohn besaß Er die Fähigkeit, Kraft und Autorität, in eigener Machtvollkommenheit wieder aufzuerstehen.

Dort mag man beginnen zu zweifeln: Wo ist denn dieses Leben, das göttliche Leben, wenn Er sterben musste? Die Antwort ist so einfach wie ergreifend: Gerade in seinem Tod hat der Herr bewiesen, dass Er diese Kraft in sich selbst besitzt. Er ist nämlich kraft seines unauflöslichen Lebens selbst auferstanden aus den Toten. „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, damit ich es wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Gewalt, es zu lassen, und habe Gewalt, es wiederzunehmen“ (Joh 10,17.18).

Christus hat nicht nur den Tod besiegt, sondern zugleich Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht (vgl. 2. Tim 1,10). Dass Jesus Christus aus dem Tod Leben hervorgebracht hat, und zwar nicht Leben, das Ihm geschenkt worden wäre, sondern Leben, das Er selbst besaß und erwiesen hat, beweist, wie wahr die Worte von Petrus sind. Zugleich bestätigen sich damit die Aussagen des Herrn, die wir in Matthäus 11 betrachtet haben: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen und es Unmündigen offenbart hast“ (Vers 25). Und nicht nur das: „Niemand erkennt den Sohn, als nur der Vater.“ Gewaltig ist hier, dass der Vater etwas von dieser Herrlichkeit, die wir nur bewundern können, den Seinen offenbart hat.

Prüfung und Wertschätzung

Wir haben gesehen, dass der Herr Jesus seine Jünger in gewisser Hinsicht prüft. Diesen Test macht der Herr gewissermaßen auch mit uns heute. Denn Er wünscht, dass wir ein hörbares Bekenntnis aussprechen von dem, was wir glauben und an Ihm erkennen können. Ob wir – im Nachhinein – ein Bekenntnis aussprechen, das wir von Paulus in 1. Timotheus 3,16 finden: „Und anerkannt groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit: Er, der offenbart worden ist im Fleisch, ist gerechtfertigt im Geiste, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen ...“?

Natürlich wissen wir, dass der Herr Jesus dieses Bekenntnis damals wie heute nicht nötig hat. Er weiß, wer Er ist. Er wusste auch, was die Jünger glaubten. Aber Er freut sich über Jünger, die Ihn in seiner Herrlichkeit kennen und bekennen. Deshalb ist die Antwort des Herrn auf die Aussage von Petrus genauso gewaltig wie die Offenbarung des Vaters an Petrus.

Der Herr spricht Petrus nicht nur „glückselig“. Er macht nicht nur deutlich, dass eine solche Aussage nicht auf menschlichen Überlegungen beruhen kann – Fleisch und Blut, der Inbegriff des menschlichen Daseins (vgl. z.B. Eph 6,12; Gal 1,16). Er zeigt auch, dass es eine göttliche Offenbarung aus dem Himmel war, die Petrus in die Lage versetzte, diese gewaltigen Worte über den Herrn Jesus auszusprechen.

In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, wie der Herr seinen Jünger anspricht: „Simon, Bar Jona“. Simon war der alte Name von Petrus, bevor er den Herrn Jesus kennenlernte (vgl. Joh 1,42). Er war der Sohn (Bar) Jonas. Aber aufgrund seiner Abstammung, selbst wenn sie mit einem für Juden so bedeutungsvollen Namen wie Jona verbunden war, hatte Petrus diese Gedanken nicht bekommen. Nein, dazu bedurfte es einer Offenbarung Gottes, die mit einem ganz anderen, einem neuen Namen für diesen Mann in Verbindung stand: mit Petrus. Der Herr selbst hatte ihm diesen Namen gegeben – jetzt füllt Jesus diesen neuen Namen mit einer besonderen Botschaft.

Eine neue Offenbarung – von dem Herrn Jesus: die Versammlung

Nicht nur Vers 16, sondern auch der 18. Vers ist von besonderer Bedeutung. Wenn man sich hier jede einzelne Aussage des Herrn anschaut, ist man überwältigt von der Fülle, die in diesem Vers zu finden ist: „Aber auch ich sage dir: Du bist Petrus; und auf diesen Felsen werde ich meine Versammlung bauen, und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen.“

Zunächst möchte ich gerne aufzeigen, dass der Herr in den Vers 18 eine gewisse Parallelität zu den Versen 16 und 17 gelegt hat.

  1. Der Vater hatte Petrus etwas offenbart – hier offenbart der Herr Jesus eine bislang unbekannte Sache, ein Geheimnis.
  2. Der Vater hatte Petrus den wahren Namen des Herrn Jesus offenbart: Er ist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Der Herr nunmehr gibt Petrus dessen Namen, einen neuen Namen: Du bist Petrus.
  3. Der Inhalt der Offenbarung war, wer der Herr Jesus wirklich ist. Und auf der Grundlage dieser Person, des ewigen Sohnes Gottes, offenbart der Herr Jesus seinem Jünger Petrus jetzt, dass Er etwas ganz Neues schaffen würde, die Versammlung (Gemeinde, Kirche).

Diesen drei Punkten werden wir uns noch näher widmen, wenn wir die einzelnen Teile des Verses vor uns haben. Zuvor erscheint es mir jedoch noch wichtig, auf einen besonderen Aspekt hinzuweisen. Petrus bekam die Offenbarung über die Versammlung, nachdem er von der Herrlichkeit der Person des Herrn Jesus gezeugt hat. Das ist ein Grundsatz der Schrift: Je mehr die Person des Herrn Jesus und seine Herrlichkeit vor unseren Herzen steht, desto mehr werden wir von der ganzen Wahrheit des Wortes Gottes verstehen. Gott wird sie uns offenbaren.

Wenn Christus unsere Herzen nicht erfüllt, wird unsere Erkenntnis über die biblische Wahrheit gering bleiben. Je höher unsere Wertschätzung Christi ist, desto mehr geistliche Energie besitzen wir auch, die Welt zu überwinden. Wenn ein Gläubiger geistlicher ist als ein anderer, dann hängt das unmittelbar mit der Kenntnis und Wertschätzung der Person Christi zusammen. Jede Kraft im Lebenswandel und im Zeugnis eines Christen hängt von der Wertschätzung ab, die er Christus entgegen bringt.

Das erkennen wir auch daran, dass Petrus glückselig genannt wird, bevor die Rede von der Versammlung ist. Christus muss jenseits der Versammlung gesehen und anerkannt werden – Er ist viel wichtiger als die Versammlung. Zunächst und vor allem muss Christus von jedem ganz persönlich erkannt werden. Dann im zweiten Schritt geht es auch um seine Versammlung.

Sohn und Vater stehen auf einer Stufe

1. „Aber auch ich sage dir“: Mit diesen fünf Wörtern (bzw. vier im Grundtext) stellt sich der Herr Jesus auf dieselbe Stufe wie der Vater. Der Vater hatte etwas offenbart und gesagt – jetzt auch der Sohn. Der Sohn ist nicht geringer oder weniger Gott als der Vater. So, wie der Vater Gott ist, sind auch der Heilige Geist und der Sohn Gott. So konnte der Herr Jesus mit voller Autorität sagen: Auch ich ... Der Herr Jesus war nicht nur auf der Erde, um Gott und auch den Vater zu offenbaren. Das ist wahr (vgl. Joh 1,18). Aber der Herr konnte auch in eigener Machvollkommenheit als der ewige Gott reden. Das tut Er hier. Es wichtig, dass wir das verstehen, weil es sofort den Charakter der Versammlung aufzeigt, die der Herr jetzt offenbaren würde. Sie hat nicht in erster Linie mit dem Menschen Jesus zu tun, sondern ist auf einer göttlichen, himmlischen Offenbarung und Grundlage gebaut worden.

2. „Du bist Petrus“: Nur große Machthaber haben Namen verändert. Wir kennen das von Nebukadnezar, der die Namen von Daniel und seinen Freunden veränderte (vgl. Dan 1,7). Ähnliches taten Neko, der König von Ägypten, und andere Könige. Aus Johannes 1,42 und Markus 3,16 wissen wir, dass der Herr Jesus schon viel früher diese Namensänderung vorgenommen hat. Denn Er ist der oberste Machthaber. Daher hat Er ein Recht dazu. Jetzt bestätigt Er diese frühere Namensgebung und verbindet sie mit einer besonderen Botschaft.
Wir erkennen, dass der Herr seinem Jünger nicht einfach als Ausdruck seiner Macht einen neuen Namen gab. Dieser Name hat einen herrlichen „Inhalt“. Petrus (gr. petros) bedeutet Stück eines Felsens, Stein. Petrus ist also nicht ein oder der Fels, sondern ein Teil davon. Zugleich zeigt die frühzeitige Namensgebung durch den Herrn, dass Gott längst im Voraus wusste, was Er diesem Jünger offenbaren wollte und dass es die Wahl Gottes war, nicht eine zufällige Verkettung günstiger Umstände im Leben von Petrus.

Die Versammlung hat eine felsenfeste Grundlage

3. „Und auf diesen Felsen werde ich meine Versammlung bauen“: Zunächst fällt auf, dass unser Herr nicht einfach weiterspricht mit „auf diesen Felsen ...“, sondern ein „und“ einfügt. Das ist ein erster Hinweis darauf, dass Er keinesfalls vorhat, die Versammlung auf die Person Petrus zu bauen, sondern dass er hier einen zusätzlichen Gedanken offenbart. Darüber hinaus sagt Er nicht: „auf dir“ oder „auf diesem“ (nämlich dem Stein, Petrus), sondern der Herr führt ein neues, weiteres Wort ein, das „Petrus“ (gr. petros) zwar ähnlich ist, aber sich davon unterscheidet.

4. Der Herr sagt: auf diesem Felsen (gr. petra). Wenn man diese Aussage etwas umschreiben wollte, könnte man sagen: Auf diesen Felsen, wovon du, Petrus, ein Stein oder ein Teil bist, werde ich meine Versammlung bauen.
Dass Jesus nicht Petrus als Grundlage der Versammlung meint, wird auch durch die Wahl des Demonstrativpronomens („diesen“) deutlich. Dadurch, dass dieses Pronomen im Grundtext vorangestellt wird, macht der Herr deutlich: Auf diesen einen, nicht auf irgendeinen anderen, nein auf diesen Sohn des lebendigen Gottes – und damit kein Zweifel darüber aufkommen kann, fügt Er hinzu: nämlich den Felsen (und nicht dem Stein davon) – werde ich meine Versammlung bauen.
Dass dieser Fels Christus selbst ist, wird auch durch andere Stellen deutlich gemacht. Paulus schreibt, inspiriert durch den Geist Gottes, in 1. Korinther 10,4, wenn er von dem Felsen in der Wüste spricht: „Der Fels aber war der Christus.“ Christus ist Gott – so ist der Fels göttliches Material: „Der Fels: Vollkommen ist sein Tun; denn alle seine Wege sind recht“ (5. Mo 32,4).

5. Die Versammlung hat ein sicheres Fundament: Sie ruht auf dem Felsen, auf Christus. Aber sie ruht nicht auf dem Messias Israels und auch nicht auf dem Menschen Jesus. Sie ruht auf Ihm, dem ewigen, dem lebendigen Gott. Das ist die Bedeutung dieses Verses. Denn der Fels bezieht sich auf die neue Offenbarung, die der Vater Petrus gegeben hatte, als dieser vom Sohn des lebendigen Gottes sprach. Das wird im letzten Teil unseres Verses auch noch einmal deutlich. Das Fundament ist deshalb so stabil, weil es göttlich, ewig und himmlisch ist. Es ist wahr, dass der Mensch Christus Jesus das Haupt des Leibes der Versammlung ist (vgl. Kol 1,18; Eph 4,15). Aber davon spricht der Herr hier noch nicht. Das ist das Geheimnis, das Paulus erst später offenbaren sollte. Hier geht es um das Fundament und dann um den Baumeister. Und beides ist der Herr Jesus als der ewige Gott.

Die Versammlung hat einen vollkommenen Eigentümer und Baumeister

6. „Meine Versammlung“: Wir finden den Ausdruck Versammlung (gr. ekklesia, Herausgerufene) mehrfach in der Schrift, hier jedoch zum ersten Mal. In seiner großen Rede spricht Stephanus von der „Versammlung in der Wüste“ (Apg 7,38), also von einer jüdischen Versammlung. In Ephesus finden wir später eine heidnische Versammlung (Apg 19,32), die in Verwirrung war. Beide Beispiele aber haben nichts mit der Ekklesia zu tun, von welcher der Herr Jesus an dieser Stelle spricht. Sie sind nicht vergleichbar mit den Herausgerufenen, die der Herr für sich und für Gott haben wollte und haben würde. Diese neue Versammlung, von der Er hier spricht, ist seine Versammlung, eine Versammlung von Menschen, die Er selbst zusammenführen würde. Das zeigt, dass Er selbst diese Versammlung schaffen würde. Sie ist, wie gesagt, sein „Meisterwerk“.
Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in diesem Sinn keine Versammlung oder Kirche. Es gibt keine alttestamentliche Kirche; es gibt auch keine allgemeine Kirche aller Gläubigen Alten und Neuen Testaments. Es gibt aber die Kirche des lebendigen Sohnes Gottes.

7. Wer gehört zu dieser Versammlung? Auch wenn wir das natürlich nur angedeutet finden – die Lehre über die Versammlung finden wir erst in den Briefen des Apostels Paulus –, geben uns diese Verse schon einen ersten, wichtigen Hinweis darauf.
Es sind Herausgerufene (ek-klesia). Es sind solche, die aus einer alten Umgebung herausgerufen werden, um zu einer neuen Einheit zusammengeführt zu werden. Sie mögen Juden oder Heiden sein, jetzt bilden sie zusammen die Versammlung des Sohnes Gottes.
Es sind Steine (petros) – wie Petrus hier genannt wird. Sie haben keine Existenzberechtigung außerhalb des Felsens, aus dem sie genommen werden, denn sie sind aus demselben Material wie der Fels, ja sie sind gewissermaßen Teil des Felsens. So haben die Gläubigen, die zur Versammlung gehören, ewiges, göttliches Leben, das der Herr ihnen geschenkt hat.
Sie gehören von nun an auch praktisch zu dem Herrn Jesus. Es ist seine Versammlung, das heißt die Gläubigen gehören direkt zu Ihm. Das bedeutet auch, dass ihr Leben persönlich und gemeinsam in Verantwortung vor Ihm geführt werden muss.

8. Wer ist der Baumeister der Versammlung? Wir wissen aus anderen Stellen des Neuen Testaments, dass die Versammlung Gott gehört (vgl. 1. Kor 1,2) und von Gott gebildet und gebaut wird (vgl. 1. Kor 12,24). Der Herr Jesus ist Gott. Daher ist es kein Widerspruch, wenn wir hier lesen, dass der Herr Jesus die Versammlung baut und dass Er der Eigentümer der Versammlung ist. Er ist ihr Architekt, ihr Planer, ihr Baumeister und ihr Eigentümer. Kein anderer hatte diese „Idee“ – Er, der Sohn des lebendigen Gottes, hat sie vor Grundlegung der Welt als seine Versammlung bestimmt.
Christus ist auch der Baumeister des irdischen Hauses Gottes, des irdischen Volkes Israel. Davon spricht der Prophet Nathan zu David in 2. Samuel 7,12.13: „Wenn deine Tage erfüllt sein werden und du bei deinen Vätern liegen wirst, so werde ich deinen Nachkommen nach dir erwecken, der aus deinem Leib kommen soll, und werde sein Königtum befestigen. Der wird meinem Namen ein Haus bauen; und ich werde den Thron seines Königtums befestigen in Ewigkeit.“ Aber dabei geht es um ein irdisches Königtum, ein irdisches Königreich. Die Versammlung dagegen ist eine himmlische Schöpfung.

Voraussetzung: Tod, Verherrlichung des Herrn sowie Sendung des Heiligen Geistes

9. Wann wurde die Versammlung gebaut? Der Herr Jesus spricht hier in der Zukunftsform: „Ich werde bauen“. Die Versammlung gab es damals noch nicht. Es gab auch noch keine Wurzeln der Versammlung, wie es manche meinen, indem sie sagen, die Versammlung sei das geistliche Israel. Das alles wird durch diesen einen Vers direkt widerlegt. Der Herr würde die Versammlung erst noch bauen. Durch den Schlussteil dieses Verses und durch Vers 21 wird angedeutet, dass die Versammlung erst gebaut werden konnte, nachdem der Herr Jesus den Tod und Satan besiegt hatte. Er musste zuvor sterben.
Das wird durch Epheser 1 bestätigt, wo wir finden, dass zunächst die Macht vorgestellt wird, die an Christus wirkte in seiner Auferstehung, bevor das erste Mal in diesem Brief über die Versammlung Gottes gesprochen wird (vgl. Eph 1,20.22). Aus Apostelgeschichte 1.2 wissen wir zudem, dass der Herr Jesus zur Rechten Gottes verherrlicht werden und danach den Heiligen Geist auf diese Erde senden musste. Erst dann – an Pfingsten – konnte die Versammlung wirklich gebaut werden.

10. Der Ausdruck „bauen“ fällt auf. Damit wird die Versammlung hier als ein Bauwerk gesehen, das der Herr Jesus baut. Dabei steht hier wie in Epheser 2,20–22 das göttlich vollkommene Bauen des Herrn Jesus im Vordergrund. Das, was Er tut, ist immer vollkommen. So kommen nur „Steine“, die aus dem Felsen gehauen wurden, in dieses Bauwerk. Kein Ungläubiger kann sich hier einschleichen. Im Unterschied dazu wird dieses Bauwerk im Neuen Testament zuweilen auch als das Werk der Gläubigen hier auf der Erde gesehen, das unter menschlicher Verantwortung gebaut wird (z. B. 1. Kor 3,10–15). Dann ist das Ergebnis nicht vollkommen, sondern von der Treue des Menschen abhängig. Hier sind viel Versagen, Sünden und sogar Zerstörung zu beklagen. Aber diesen Gesichtspunkt stellt der Herr Jesus in Matthäus 16 nicht vor.
Nur Christus selbst baut an dieser Versammlung. Petrus hat diesen Punkt gut verstanden, so dass er auch in 1. Petrus 2,4.5 nicht davon spricht, dass die Gläubigen bauen, sondern dass sie „aufgebaut werden“. Es ist die souveräne Arbeit des Herrn und Gottes, das Haus zu bauen. Unter diesem Blickwinkel haben wir Menschen keinen Anteil am Werk dieses Hauses.

11. Auffallend ist auch, dass dieser Ausdruck „bauen“ bereits in 1. Mose 2 vorkommt. „Und Gott der Herr ließ einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, und er entschlief. Und er nahm eine von seinen Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch; und Gott der Herr baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau, und er brachte sie zu dem Menschen“ (Verse 21.22). Tatsächlich ist Eva ein Vorbild auf die Versammlung. So, wie sie „gebaut“ wurde (in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta, steht an dieser Stelle tatsächlich dasselbe Wort wie in Matthäus 16), hat der Herr Jesus auch seine Versammlung gebaut. Das schöne ist, dass es einen zweiten Vergleichspunkt gibt. Eva ist aus Adam „entnommen“ worden. So sind die Steine, welche die Versammlung bilden, ebenfalls aus dem Felsen, aus Christus, entnommen. Sie sind seiner Natur teilhaftig, haben dasselbe Leben wie Er, tragen seinen Charakter. Und damit verbindet sich ein dritter Gedanke. Adam „entschlief“ – das war die Voraussetzung dafür, dass Eva geschaffen werden konnte. Auch die Versammlung konnte nur entstehen, weil Christus „entschlief“. Das spricht von seinem Tod am Kreuz, den Er auf sich genommen hat aus Liebe zu seiner Versammlung (vgl. Eph 5,25).

Ein himmlisches Meisterwerk, das nicht zerstörbar ist

12. „Und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen.“ Mit dieser Aussage schließt dieser inhaltsreiche Vers. Weder der Tod noch derjenige, der die Macht des Todes hat, das ist der Teufel (vgl. Heb 2,14), können irgendetwas gegen die Versammlung des Sohnes des lebendigen Gottes ausrichten. Hier geht es nicht um den Ort, wo die Verlorenen sind. Die „Pforten“ oder Tore sprechen vom Sitz der Verwaltung und Regierung. Stellen wie Ruth 4,1–6 zeigen das. Hier ist also der Regent des Hades und des Todes gemeint. Das ist Satan. Aber er kann die Versammlung nicht überwältigen. Sie hat ein sicheres Fundament – den Felsen, Christus. Sie hat einen vollkommenen Baumeister – Ihn selbst, den Sohn des lebendigen Gottes. Er hat den Tod überwunden und den zunichte gemacht, der die Macht des Todes hat (vgl. Heb 2,14). Daher kann die Versammlung nie mehr getrennt werden von Ihm, ihrem Retter und Eigentümer. Sie ist in diesem Sinn unbezwingbar. Das können wir nur verstehen, wenn wir den Gedanken von Epheser 2 und nicht den unserer Verantwortung in 1. Korinther 3 mit diesen Versen verbinden. Denn unser Handeln hat alles zerstört. Aber Gott sei Dank – das, was Er tut, ist und bleibt vollkommen. Dadurch lässt Er nicht zu, dass Satan die Versammlung überwältigt, genauso, wie Er nicht zuließ, dass Balak und Bileam das Volk Israel durch einen Fluch zerstörten (vgl. 4. Mo 24–26). Was für eine Sicherheit für die Versammlung liegt in diesen Worten!7

13. Mit diesem neuen Bauwerk ist eine sehr ernste Seite für das Volk Israel verbunden: Bislang war das Volk Israel der Zeuge Gottes auf der Erde. Nachdem der Herr sich von seinem Volk abwenden musste, vollzog Er mit diesem großartigen neuen Bauwerk zugleich das Gericht an seinem irdischen Volk. Anstelle seines irdischen Volkes würde jetzt diese Versammlung als sein Zeuge auf der Erde dienen. Israel hat somit aufgehört, Leuchter Gottes zu sein. Denn der Sohn des lebendigen Gottes hat sich einen neuen Leuchter gewählt: die Versammlung. Zur Zeit der Unterredungen, die wir in Matthäus 16 finden, war sie noch zukünftig. Aber die Offenbarung der göttlichen Gedanken zeigt, dass dieser Schritt nun unaufhaltbar war. Später erklärt der Herr das in dem Gleichnis vom Weinberg: „Den Weinberg wird er an andere Weingärtner verpachten, die ihm die Früchte abliefern werden zu ihrer Zeit“ (Mt 21,41). Bemerkenswerterweise verwendet der Herr hier ein ähnliches Bild von Felsen und Stein, wenn Er von dem verworfenen Stein und dem Eckstein spricht.

14. Abschließend darf noch eine schöne Seite vor uns kommen, die hier angedeutet wird: Die Versammlung muss himmlischer Natur sein. Alles, was auf der Erde ist, wird einmal „begraben“ werden, selbst die Schöpfung als solche. Die Versammlung dagegen kann vom Tod nicht angetastet werden. Als Erklärung dafür bleibt nur: Sie ist himmlischer Natur. Sie kommt aus dem Himmel, sie gehört zum Himmel, sie wird ihren ewigen Aufenthaltsort im Himmel haben. Menschen, auch Gläubige, gehen heim. Aber die Versammlung bleibt. Und wenn die Erde nicht mehr der passende Aufenthaltsort für sie sein wird, geht sie, verbunden mit dem in ihr wohnenden Heiligen Geist, in den Himmel. Als Braut Christi wird sie ewig bei Ihm, ihrem geliebten und sie liebenden Bräutigam sein.

Petrus greift diese Offenbarung in seinem Brief auf

Petrus muss von diesen Aussagen überwältigt gewesen sein. Wir wissen nicht, wie viel er davon verstanden hat. Aber eines wissen wir: Er hat dieses Thema nicht vergessen. Denn in seinem ersten Brief spricht Er von den Steinen, von denen auch er einer war (petros). Zwar benutzt er hier das vom Herrn Jesus in Matthäus 21,42 ff. verwendete Wort für Stein, nicht „petros“. Dennoch ist augenscheinlich, dass er mit den „lebendigen Steinen“ auf diese Offenbarung des Herrn zurückkommt. Noch ein weiteres Wort hat Petrus nachhaltig beeindruckt: lebendig. Er durfte sagen, dass der Herr Jesus der Sohn des lebendigen Gottes ist. In seinem Brief spricht er von:

  • einer lebendigen Hoffnung (1. Pet 1,3);
  • dem lebendigen Wort Gottes (1. Pet 1,23);
  • dem lebendigen Stein, das ist Christus selbst (1. Pet 2,4);
  • lebendigen Steinen, das sind er und alle Gläubigen (1. Pet 2,5);
  • dem lebendig gemachten Herrn, nachdem Er gestorben war (1. Pet 3,18).

Paulus sollte später ebenfalls dieses Wort aufgreifen, wenn er von der Versammlung des lebendigen Gottes schreibt (1. Tim 3,15). So haben wir die Versammlung des Sohnes des lebendigen Gottes, was von der lebendigen Kraft des Herrn spricht, und die Versammlung des lebendigen Gottes. Es ist dieselbe Versammlung, und wir wissen, dass Vater und Sohn eins sind (vgl. Joh 10,30).

Der Baumeister und sein Bauwerk

Bevor ich auf eine sehr traurige Verdrehung der in diesen Versen offenbarten Wahrheit eingehe, möchte ich Vers 18 kurz als einen großartigen Architektenplan des Herrn Jesus, des Sohnes des lebendigen Gottes, veranschaulichen:

  1. Der Architekt: Ich sage dir“ – der Sohn des lebendigen Gottes, ist der Offenbarer und der Entwickler, der Architekt des nun folgenden, großartigen Planes Gottes.
  2. Das Baumaterial: „Du bist Petrus“: Das zu bauende Haus besteht aus lauter lebendigen Steinen, von denen Petrus einer ist. Nur solche Steine, neugeborene Menschen, werden zu diesem Bauwerk verwendet.
  3. Das Fundament: „Und auf diesen Felsen“: Dieses Bauwerk steht auf einem sicheren, vollkommenen Fundament. Es ist unzerstörbar, vollständig, fest. Es ist Christus (vgl. 1. Kor 3,11).
  4. Der Bauherr: „werde ich bauen“: Der Bauherr steht in der Mitte der Auflistung seines Bauwerks. Er ist es, der dieses Bauwerk beaufsichtigt, der es sich erdacht hat, der die Anweisungen gibt. Er baut – niemand anders!
  5. Der Eigentümer: „meine“: Die Versammlung, dieses großartige Bauwerk, gehört niemand anderem als dem Herrn Jesus selbst. Er ist der Eigentümer, Ihm gehört die Versammlung. So stehen Bauherr und Eigentümer – dieselbe Person – im Mittelpunkt dieses Verses!
  6. Das Bauwerk: „Versammlung“: Christus spricht von einem Bauwerk. Die Versammlung ist eine Schöpfung, eine Neuschöpfung. Sie gehört nicht zur ersten, sondern zur neuen Schöpfung. Sie ist der Ausdruck der großartigen Gedanken und Vollkommenheit Gottes.
  7. Die Bautätigkeit: „bauen“: Es entsteht nichts von selbst. Es muss gebaut werden, und Christus selbst führt dieses Bauen durch. Aber unter welcher Voraussetzung? Um bauen zu können, musste Er zuerst sterben, auferstehen und in den Himmel auffahren. Das alles ist Vergangenheit, und wir werden es nie vergessen! Aber dann, mit der Sendung des Heiligen Geistes auf diese Erde, begann seine Bautätigkeit – und Er übt sie bis heute aus. Er nimmt die Steine und fügt sie zu einem vollkommenen, zu jeder Zeit vollständigen Bauwerk zusammen. Nie sehen wir eine Ruine, immer ist alles in Maßarbeit vollkommen schön.
  8. Die Sicherheit und Stabilität des Bauwerks: „Und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen“: Die Sicherheit des Bauwerks wird durch den Architekten, das Fundament, den Bauherrn, den Eigentümer sicher gestellt. Es ist eine Sicherheit, die auch darauf beruht, dass es sich um ein Werk der zweiten Schöpfung handelt. Nichts kann dieses Wunderwerk antasten. Der Tod Jesu ist die Grundlage der Sicherheit, daher kann auch die unsichtbare Schöpfung dieses Werk nicht antasten. Es hat Ewigkeitswert!

Es ist nicht von ungefähr, dass vier der hier aufgelisteten Punkte und Funktionsträger auf eine einzige Person führen. Im natürlichen Leben sind Architekt, Bauherr, Eigentümer und Bauende meistens nicht dieselben Personen. Und wenn wir das Fundament und die Sicherheit des Werks noch hinzuzählen, stehen sechs der acht Punkte mit Christus in direkter Verbindung. Er ist alles für seine Versammlung – sie ist für Ihn eine Herzensangelegenheit.

Die falsche Lehre der Römisch-Katholischen Kirche

Abschließend zu diesem Vers möchte ich noch zeigen, dass die Römisch-Katholische Kirche gerade diese Worte in mehrfacher Weise falsch verstanden bzw. sogar verdreht hat und dadurch eine böse, falsche Lehre verbreitet:

  1. Die Versammlung ruht auf dem Felsen, nicht auf dem Stein Petrus: Die Römisch-Katholische Lehre gründet ihr Festhalten an Päpsten als Nachfolger von Petrus unter anderem auf die falsche Auslegung, dass der Herr hier gesagt habe, die Versammlung ruhe auf diesem schwachen, versagenden Menschen und Apostel. Was für eine armselige Grundlage hat sich dieses System hier ausgesucht. Petrus war ein hervorragendes Werkzeug in den Händen des himmlischen Vaters und des Herrn Jesus, viel treuer als wir alle. Aber schon die nächsten Verse unseres Kapitels zeigen, wie sündig er war, so dass der Herr ihn sogar mit Satan ansprechen musste. Was für ein Licht wirft das auf die Unfehlbarkeitslehre, die sich die Päpste zugeschrieben haben.
  2. Abgesehen davon finden wir im Neuen Testament, dass nicht Petrus sondern Paulus das Geheimnis der Verwaltung der Versammlung anvertraut worden ist. Es ist geradezu die Ironie Gottes: Die Römisch-Katholische Kirche hat sich bei der Auswahl des Apostels vertan.8 Denn Petrus spricht in seinen Briefen nicht einmal das Wort „Versammlung“ aus; und auch in seinen Predigten finden wir keinen einzigen Hinweis darauf. Petrus hatte in der Versammlung keinen anderen Platz als jeder andere Gläubige – denselben Platz, den auch jeder Gläubige heute einnehmen darf. Er war als Apostel zweifellos ein besonderes Werkzeug in der Hand Gottes, stand aber nicht über der Versammlung.
  3. Der Herr Jesus hat hier keinen Stellvertreter für sich auf der Erde eingerichtet. Er hat Petrus schlicht einen Auftrag gegeben, von dem wir in Matthäus 18 und Johannes 20 sehen, dass Er ihn auch auf andere Personen erweiterte.
  4. Die Versammlung wird hier in ihrer Vollkommenheit gesehen, was Grundlage, Wesen, Darstellung und Baumeister betrifft. Die Römisch-Katholische Kirche hat dagegen die Seite der Verantwortung des Menschen, wie sie in 1. Korinther 3 vorgestellt wird, und die Seite des göttlichen Wirkens, miteinander vermischt. Bis heute meint sie, die biblische Versammlung (Gemeinde, Kirche) sei (allein) sichtbar in der Römisch-Katholischen Kirche, in dem Arbeiten und Wirken dieser „Kirche“. In Wirklichkeit gibt es viele Gläubige außerhalb dieses Systems. Man muss sich sogar fragen, wie viele lebendige Steine es innerhalb dieser Kirchenmauern geben mag. Das, was Päpste und ihre Anhänger gebaut haben, bewirkte letztlich den Ruin der wahren Kirche Gottes, des lebendigen Organismus, der aus allen Gläubigen besteht. Diese irdische Kirche, mag sie es noch so oft wiederholen, ist nicht die Kirche des Sohnes des lebendigen Gottes.
  5. Die Versammlung hat ein ewiges, himmlisches Fundament. Ihr Wesen ist nicht von dieser Welt. Die Römisch-Katholische Kirche dagegen hat ein Reich hier auf dieser Erde aufgebaut, das einmal als Babylon, die Hure, gerichtet und zerstört werden wird (vgl. Off 17.18). Als „Vatikan“ hat sie nicht nur eine Bank und andere menschliche Einrichtungen, sondern sie versteht sich auch als eine weltliche Macht.
  6. Versammlung und Königreich sind zwei verschiedene Dinge. Dieser Gedanke hat bereits mit Vers 19 zu tun. Hier hat die Römisch-Katholische Kirche eine Vermischung vorgenommen, in dem sie keinen Unterschied zwischen den Vorrechten der göttlichen Versammlung und der Verantwortung des einzelnen Gläubigen macht. Taufe und andere sogenannte Sakramente, die mit der Versammlung Gottes nichts zu tun haben, werden in das kirchliche System eingebracht. Sogar das Seelenheil verknüpft diese sogenannte Kirche mit der Mitgliedschaft an ihrem Kirchensystem.

Die Schlüssel des Königreichs

Damit kommen wir zu dem Vorrecht und der Verantwortung, die der Herr Petrus überträgt. „Ich werde dir die Schlüssel des Königreichs der Himmel geben; und was irgend du auf der Erde binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein, und was irgend du auf der Erde lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein.“

Dieser Vers ist nicht leicht zu verstehen, wenn man den Zusammenhang besieht. In Vers 18 hat der Herr von der Versammlung und ihrem unangreifbaren Fundament gesprochen. Jetzt aber überträgt der Herr seinem Jünger Petrus eine Aufgabe im Königreich der Himmel. Das zeigt deutlich, dass es nicht mehr einfach um die Versammlung als solche geht. Mit Schlüsseln baut man nicht, sondern man verwaltet und regiert. Das Königreich wird auch nicht gebaut; selbst Christus „baut“ es nicht. Er ist der König davon, sei es sichtbar auf der Erde oder für Menschen unsichtbar im Himmel.

Petrus sollte Schlüssel dieses Königreichs bekommen und darin eine Aufgabe wahrnehmen, die der abwesende König im Himmel nicht hier auf der Erde ausführen konnte. Auch an dieser Stelle benutzt der Herr die Zukunftsform, die zeigt, dass es um Aufgaben geht, die damals in der Zukunft lagen, offenbar in der Zeit, in welcher der Herr Jesus die Versammlung bauen würde. Wir haben schon gesehen, dass diese Versammlung zwei Seiten hat:

  1. die göttliche Seite (Eph 2,20–22; 1. Pet 2,4–6), in der das vollkommene Wirken Gottes gezeigt wird. Hier gibt es keinen Makel, alles entspricht dem göttlichen Handeln, göttlichen Maßstäben.
  2. die menschliche Seite (1. Kor 3,10–15), in der die Verantwortung des Menschen gesehen wird. Manche Gläubige handeln Gott gemäß, andere, letztlich leider alle, versagen in ihrem verantwortlichen Wirken am Haus Gottes.

Diese zweite Seite finden wir an manchen Stellen im Neuen Testament wieder, beispielsweise in Offenbarung 2 und 3, wo der „Weg“ der Kirche auf der Erde beschrieben wird. Unter dem Blickwinkel der Verantwortung von uns Menschen gesehen geht alles dem Ruin entgegen, den wir in der Beschreibung der Versammlung in Laodizea wiederfinden.

Diese Seite hat mit dem Königreich der Himmel zu tun. Wir haben schon früher gesehen, dass es dabei nicht um den Himmel geht. Petrus hat keine Schüssel erhalten, um an einer Himmelspforte zu stehen, durch die er Menschen in den Himmel lässt oder zurücksendet. Diesen Gedanken kennt die Bibel nicht. Dieses Königreich ist auf der Erde. Und wenn der Weg der Versammlung auf dieser Erde betrachtet wird, man könnte auch sagen, das Zeugnis der Versammlung als Leuchter für Gott hier auf der Erde, dann berühren sich die beiden Themen: Versammlung und Königreich. Im Königreich geht es mehr um die persönliche Seite eines Christen, in der Versammlung steht dagegen der gemeinschaftliche Aspekt im Vordergrund.

Petrus hat Aufgaben im Königreich übertragen bekommen. Er bekam sie ganz persönlich. Er hat Menschen nicht bekehrt, denn er konnte Menschen nicht das Heil zusprechen oder absprechen. Und doch hat er für diese Erde eine regierende Aufgabe bekommen, was die Aufnahme von Menschen in den Bereich der Christenheit betraf. Nicht die Versammlung regiert und herrscht in diesem Reich. Aber einzelne Gläubige haben vom Herrn in der Anfangszeit der Gnadenzeit eine solche Funktion übertragen bekommen. Das erkennen wir an dem Symbol des Schlüssels. Besonders die Taufe scheint hier eine wichtige Funktion zu haben.

Schlüssel

Wenn wir „Schlüssel“ in der Schrift finden, stellen sie einen Hinweis auf eine Regierung dar. In Jesaja 22,22 geht es um die Regierung, die der Herr Jesus als der wahre David im Tausendjährigen Reich ausüben wird. Dieser Gedanke wird vom Herrn selbst in Offenbarung 3,7 im Sendschreiben an Philadelphia aufgegriffen. Er öffnet Türen und schließt andere. Er hat die Autorität und Kompetenz zu diesem regierenden Handeln hier auf der Erde. Dabei spricht der Schlüssel im Unterschied zum Schwert nicht von Regierung in Macht und Gericht, sondern mehr von einer Verwaltung, die jemand übernimmt.

So war es auch bei Petrus. Es ist nicht zu übersehen, dass er in der Anfangszeit des Christentums eine solche Funktion unter den Aposteln wahrgenommen hat. Wir finden, wie er die Tür in Apostelgeschichte 2 für diejenigen Juden aufschließt, die bereit waren, sich von ihren ungläubigen Verwandten zu trennen, um sich aus dem Judentum in das Christentum – in das Königreich der Himmel – zu begeben: „Lasst euch retten von diesem verkehrten Geschlecht!“ (Apg 2,40). Später tat Petrus dasselbe für die Samariter (Apg 8,14–17) und für die Heiden (Apg 10,34–48).

So schloss Petrus für die verschiedenen Gruppierungen von Menschen, die damals unterschieden werden konnten, die Tür auf, um in das Königreich der Himmel eintreten zu können. Keiner war zu Beginn, nachdem der Herr Jesus in den Himmel aufgefahren war, in diesem Bereich, außer den Jüngern des Herrn. Und eine Gruppe nach der anderen wurde von Petrus hineingelassen: nicht in den Himmel, auch nicht zur Bekehrung, wiewohl Petrus die Buße und den Glauben an Jesus predigte. Denn die Autorität, Menschen in den Himmel hineinzulassen, besitzt nur Gott selbst. Er allein schenkt Menschen ewiges Leben.

Aber in den Bereich des Segens auf dieser Erde – und das ist kein anderer Bereich als die Versammlung Gottes, gesehen unter dem Blickwinkel der Verantwortung des Menschen – führte Petrus die Menschen, die kommen wollten. Solche, welche die Herrschaft des Herrn anerkennen würden, egal ob es Juden oder Heiden waren, bekamen Zutritt zu diesem Reich. Ihnen öffnete Petrus die Tür.

Erkenntnis (Belehrung) und Taufe

Nun haben Ausleger darauf hingewiesen, dass Petrus „Schlüssel“ (in der Mehrzahl) und nicht nur einen Schlüssel bekommen hat. Die Frage ist, ob dieser bildliche Begriff in dieser Weise wörtlich ausgelegt werden muss, was die Anzahl der Schlüssel betrifft. Grundsätzlich müssen wir nicht von mehreren Türen ausgehen. Es gibt eine Tür, durch die man in das Königreich der Himmel eintreten kann. Insofern musste Petrus nicht drei verschiedene Schlüssel betätigen, um Juden, Samariter und Heiden zu Christus zu führen.

Dennoch ist von Schlüsseln die Rede. Man mag das auf die drei aufeinanderfolgenden Etappen beziehen (Apg 2.8.10), bei denen Gläubige der Versammlung hinzugetan wurden. Vielleicht kann man bei mehreren Schlüsseln auch an Folgendes denken. Jesus spricht zu den Gesetzgelehrten in Lukas 11,52: „Wehe euch Gesetzgelehrten! Denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen; ihr selbst seid nicht hineingegangen, und ihr habt die gehindert, die hineingehen wollen“ (vgl. auch Mt 23,13). Dann könnte man unter einem Schlüssel die Erkenntnis verstehen, die notwendig ist, um den richtigen Weg zu gehen. Mit anderen Worten: Petrus hat die Aufgabe übertragen bekommen, die Menschen über den Weg zu belehren, den sie gehen müssen, um in dieses Königreich hineinzugehen.

Diesen Gedanken kann man mit Matthäus 28,18–20 verbinden. Dort sagt der Herr Jesus: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde. Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu bewahren, was ich euch geboten habe.“

Der eine Schlüssel ist dann die Lehre und Belehrung, durch die man die Nationen zu Jüngern macht und ihnen Erkenntnis weitergibt. Die Pharisäer hatten Menschen den Zugang zu dieser wahren Erkenntnis verwehrt. Sie meinten, selbst weise zu sein (auch wenn der Herr Jesus verschiedentlich deutlich macht, dass sie letztlich töricht waren), wollten aber diese Weisheit nur in ihren eigenen Reihen zulassen. Das einfache Volk benötigte aus ihrer Sicht diese Einsicht nicht. Das kennen wir auch heute in einer großen Kirche, die im Widerspruch zu Gottes Wort behauptet, dass nur die Kirche lehren darf (obwohl die Kirche belehrt wird). Diese Lehre bleibt inmitten des „Klerus“, während das einfache Volk angeblich kein Recht besitzt, Lehrfragen zu besprechen. So steht diese Kirche in der Tradition der Pharisäer.

Matthäus 28,19 zeigt dann noch einen zweiten Schlüssel. Diesen stellt nach diesem Vers die Taufe dar, durch die ein Mensch zumindest äußerlich zu einem Jünger des Herrn wird und somit in das Königreich eingeht. Die Tatsache, dass der Herr hier seine Macht mit dem Tun der Jünger verbindet, wie das in Matthäus 16,19 mit dem Handeln von Petrus verbunden wird, könnte eine Bestätigung dieses Gedankengangs sein.

Allerdings gilt es zu bedenken, dass in Matthäus 28 alle Jünger angesprochen werden, in Matthäus 16 dagegen nur Petrus. Zudem gibt der Herr, was die Schlüssel betrifft, in Matthäus 16 keine konkrete Auslegung, die wir eigentlich erwarten müssten, wenn der Herr mit den Schlüsseln eine besondere Belehrung für uns verbinden wollte, die über ein grundsätzliches Handeln in regierender Verwaltung hinausgehen sollte. Zudem lesen wir an keiner Stelle, dass Petrus selbst getauft hätte. Wir lesen nur, dass er Anweisung gab, Menschen zu taufen.

Das Binden und Lösen

Petrus erhält jedoch nicht nur Schlüssel. Er bekommt auch Autorität zum Binden und Lösen hier auf der Erde. Was auch immer in der heutigen Zeit mit dem Himmel zu tun hat und dort getan wird, hat nichts mit dieser verwaltenden Aufgabe von Petrus (und später der von der Versammlung, Mt 18,18) zu tun. Darüber hat niemand auf der Erde Macht. Petrus konnte Dinge auf der Erde binden und lösen – und nur dort!

Was ist nun mit dem Binden und Lösen gemeint? Die Jünger damals wussten das sicher sofort einzuordnen. Wir können wohl vor allem an zwei Dinge denken, die von den Rabbinern mit dem Binden und Lösen verbunden wurden und daher den Jüngern geläufig waren:

  1. Petrus bekam die Autorität, in der Verkündigung die Gebote zu benennen, die vom Herrn Jesus stammten und damit Gültigkeit für die Jünger hatten; das ist das „Binden“ der Gebote auf die Jünger. Man kann dieses Binden mit Matthäus 28,20 verbinden, wo es heißt: „Lehrt sie zu bewahren, was ich euch geboten habe.“ Das Lösen betrifft die Kehrseite. Wenn es sich um Menschengebote handelte wie die von den Schriftgelehrten (vgl. Mt 15,2), so konnte Petrus diese als vom Menschen stammend benennen, mit der Konsequenz, dass sie nicht zu halten waren. In diesem Sinn wurden diese Gebote gewissermaßen von den Jüngern gelöst.
    Es ist klar, dass es nicht darum geht, dass Petrus festlegen konnte, welche Anweisungen „Gottes Gebote“ waren und welche nicht. Gott selbst hat das festgelegt. Und für uns ist das ganze Wort Gottes bindend in seiner Autorität über unser Leben. Aber damals war das Wort Gottes noch nicht als Buch vollendet in den Händen der Christen. So bekam Petrus die Autorität übertragen, für Menschen deutlich zu machen, was von oben kam und was nicht.
  2. Ein zweiter Gedanke, der damals mit dem Binden und Lösen verbunden wurde, ist das Binden von einem Bann auf Menschen. Wenn jemand ein Gebot übertreten hat, dann konnte aufgrund des Gesetzes ein Bann über so jemanden ausgesprochen werden, so dass er keine Gemeinschaft mehr mit dem Volk Gottes pflegen durfte. Wenn jemand ein ausreichendes Bekenntnis abgelegt hatte, konnte er wieder in die Gemeinschaft des Volkes Gottes aufgenommen werden. Das ist die Erklärung, die wir aus Matthäus 18,18 kennen. Vielleicht ist Hiob 42,9.10 ein alttestamentlicher Hinweis auf diese Autorität, die Gott damals selbst wahrnahm, die Petrus jedoch hier im Neuen Testament übertragen bekommen hat.
Praktische Beispiele des Bindens und Lösens

Wie muss man sich das bei Petrus jetzt ganz praktisch vorstellen? Wir finden in der Apostelgeschichte, dass Petrus in Apostelgeschichte 2,40.41 den Menschen, die in Aufrichtigkeit Buße getan hatten, eine Art Sündenvergebung zuspricht, und zwar allein für diese Erde. Das ist der Gedanke der Taufe. Darum wurden diejenigen, die sich von dem damals lebenden verkehrten Geschlecht retten ließen und zu dem Herrn Jesus wandten, getauft. Petrus hat keine Autorität über Sündenvergebung für den Himmel. Diese liegt allein bei Gott. Aber was die Erde betraf, bekam er von dem Herrn eine solche Autorität übertragen. Zugleich waren diese Menschen dadurch – was die Darstellung der Versammlung (Gemeinde, Kirche) Gottes betrifft – in praktischer Gemeinschaft mit den Gläubigen. Von einer speziellen Aufnahme (oder Zulassung), wie wir sie heute im Allgemeinen kennen, lesen wir in der Anfangszeit des Christentums noch nichts. Denn wer sich zu dem Herrn Jesus bekannte, wollte mit den Gläubigen zusammen den Herrn anbeten. Verschiedene kirchliche Wege, wie wir sie heute leider kennen, gab es damals noch nicht.

In Apostelgeschichte 3,17 verkündet der Apostel Petrus, dass die Juden den Herrn Jesus in Unwissenheit ans Kreuz gebracht hatten. Damit befreit er sie von dem Bann, mit erhobener Hand gesündigt zu haben (vgl. 4. Mo 15,30.22). Das wäre nämlich eine Sünde gewesen, für die es kein Opfer der Vergebung gab. Diese Autorität besaß nicht jeder Jünger. Petrus bekam sie hier vom Herrn speziell übertragen.

In Apostelgeschichte 5 sehen wir, dass Petrus einen Bann auf Ananias und seine Frau Sapphira bindet. Sie hatten den Heiligen Geist belogen, und Petrus bindet diese Sünde und ihre Folgen auf diese beiden Gläubigen. Wer hier die Frage der ewigen Errettung hineinbringt, kann weder das Handeln von Petrus verstehen noch das Handeln Gottes, diese Menschen zu töten (eine Sünde zum Tod, vgl. 1. Joh 5,16). Ein solcher Gedanke würde nur Verwirrung stiften, denn er versteht nicht, dass diese Zucht Gottes keineswegs bedeutet, dass Ananias und Sapphira nun ewig verloren wären.

Gerade diese Handlung von Petrus verdeutlicht übrigens sehr schön, was der Herr Jesus seinem Jünger hier sagt: Es würde im Himmel gebunden bzw. gelöst sein, was er auf der Erde band bzw. löste. Petrus bindet die Sünde auf diese beiden Personen. Der Himmel – das heißt der Vater im Himmel – erkennt dies an und bestätigt es, indem Er diese beiden Menschen von der Erde wegnimmt. Das, was Petrus tat, war auch im Himmel gebunden. So bestand die Autorität von Petrus im positiven wie im negativen Sinn mit weit reichenden Auswirkungen.

Ähnliches finden wir in Apostelgeschichte 8, wo der Zauberer Simon sich zwar äußerlich auf die Seite der Nachfolger des Herrn gestellt hatte, innerlich aber weit von Gott entfernt war. Sein einziges Ziel war es, große Machtwunder zu tun – jetzt im Namen des Herrn. Petrus bindet die Sünde an diesen bösen Mann und sagt: „Dein Geld fahre samt dir ins Verderben, weil du gemeint hast, dass die Gabe Gottes durch Geld zu erwerben sei! Du hast weder Teil noch Anrecht an dieser Sache“ (Apg 8,20.21).

In diesem Sinn kann man den zweiten Teil von Matthäus 16,19 auch als eine praktische Erklärung des ersten Teils verstehen, so dass man gar nicht weiter überlegen muss, was unter den Schlüsseln im Einzelnen zu verstehen sein mag. Zugleich zeigen uns diese praktischen Erwägungen, dass die Gedanken des Königreichs und der Versammlung zwar klar unterschieden werden müssen, letztlich aber nicht zu trennen sind.

Den Zusammenhang von Versammlung und Reich haben wir schon in Matthäus 13 gesehen, wo der Herr das Königreich der Himmel direkt mit der Perle, der Versammlung, verbindet. Hier in Matthäus 16 sehen wir es in Bezug auf die Offenbarung, die der Herr Petrus macht. Und wenn wir uns näher mit dem Thema „Versammlung“ beschäftigen, werden wir sehen, dass die göttliche Seite der Versammlung immer wieder neben die Seite unserer Verantwortung gestellt wird. Und dann sind wir sogleich bei dem Thema „Königreich der Himmel“.

Daher gehören die Belehrungen von Matthäus 16,19 sowie 18,18 und Johannes 20,23 zu einem gemeinsamen Themenkreis. In Matthäus 16,19 führt der Herr den Gedanken des Bindens und Lösens ein und zeigt, dass in der Anfangszeit besonders Petrus diese Aufgabe übertragen bekam. Später würde dann nach Matthäus 18 die Versammlung dieses Binden und Lösen übernehmen. Nach dem Kreuz bestätigt der Herr, dass in der Anfangszeit gerade die Apostel Autorität zum Lösen und Binden bekamen (vgl. Joh 20,23). Denn die Versammlung war soeben erst gebildet worden und musste zunächst durch die Apostel belehrt werden, was Binden und Lösen eigentlich bedeutet.

Petrus und die anderen Apostel waren der Versammlung allerdings nur in der Anfangszeit gegeben. Heute gibt es keine Apostel mehr. Ihre Aufgaben werden nun im Blick auf die Versammlung nicht mehr von Einzelnen, sondern von der Versammlung insgesamt wahrgenommen. Es scheint, als ob Petrus in Matthäus 16 letztlich als Repräsentant der anderen Jünger gesehen wird, für die er ja dieses großartige Bekenntnis des Herrn Jesus ausgesprochen hat. Denn der Herr hatte nicht Petrus, sondern die Jünger insgesamt danach gefragt, was sie von Ihm zu sagen wussten.

Und die Jünger in Johannes 20,19–23 sind wiederum ein Bild der ganzen Versammlung, die nach ihrer Etablierung auf der Erde diese Aufgabe von den Aposteln übernehmen würde.

Im Blick auf Matthäus 16 halten wir fest, dass Petrus sicher stärker als die anderen Jünger die Aufgabe bekommen hat, regierende Verantwortung auf der Erde zu übernehmen. Später sehen wir, dass auch Paulus in dieser Autorität tätig war, indem er Menschen dem Satan überlieferte, wenn es notwendig war. Das war keine Aufgabe, die er sich wünschte. Aber wenn es notwendig war, so war er bereit, diese Autorität auszuüben. In 1. Korinther 5,5 schreibt er dies den Korinthern, in 1. Timotheus 1,20 schreibt er seinem Mitarbeiter Timotheus, dass er diese züchtigende Handlung ausführen solle.

Bindet sich der Himmel an falsche Entscheidungen?

Zum Schluss möchte ich noch auf die Frage eingehen, ob der Himmel sich auch an falsche Entscheidungen hier auf der Erde bindet. Dieser Punkt ist natürlich in Verbindung mit Matthäus 18,18 besonders wichtig, wenn es um Versammlungsentscheidungen geht. Aber schon hier spielt dieser Punkt hinein, weil es um eine fehlbare Person, nämlich Petrus geht, dem eine Entscheidungskompetenz zugebilligt wird, die solch gewaltige Auswirkungen hat, dass sich sogar der Himmel an diese Entscheidungen hält.

Die Frage hierbei ist: Bindet sich der Himmel an ein falsches Lösen oder Binden, das hier auf der Erde geschieht? Als erste Reaktion möchte man schnell sagen: Nein, das ist unmöglich. Im Himmel kann nichts Bestand haben, was unbiblisch und damit im Widerspruch zu Gott steht.

Dennoch erscheint mir eine solche Antwort zu kurz gegriffen: Es geht hier nicht um Fragen des Ratschlusses Gottes, der natürlich immer in vollkommener Übereinstimmung mit den Gedanken und Wünschen Gottes steht. Im Alten Testament gibt es manche Beispiele, dass Gott entsprechend den Worten eines Führers des Volkes Gottes handelte, auch wenn diese Worte nicht in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes waren (vgl. z.B. 4. Mo 11,14) oder in einer inneren Verfassung ausgesprochen wurden, die nicht geistlich war (vgl. z.B. 4. Mo 16,15).

Mein Eindruck ist, dass es in Matthäus 16,19 um die Frage von Autorität geht. Autorität hat der Herr Jesus seinem Jünger Petrus übertragen. Und gerade diese Autorität würde im Himmel Anerkennung finden. Gleiches gilt für die Versammlung (Mt 18,18) und auch für die Jünger insgesamt (vgl. Joh 20,23).

Natürlich geht der Herr davon aus, dass Petrus in Übereinstimmung mit der ihm übertragenen Verantwortung diese Autorität ausübt und sich an Gottes Wort hält. Aber dieser inhaltliche Punkt steht hier nicht im Mittelpunkt. Gott hat es gefallen, Petrus und später anderen eine Autorität zu übertragen. Und an diese delegierte, weitergegebene Autorität hält Er sich.

Dass es notwendig ist, falsch angewandte Autorität zu korrigieren, ist in der Schrift immer wieder zu finden. Aber diese Korrektur muss grundsätzlich von demjenigen ausgehen, der die Autorität übertragen bekommen hat. Paulus konnte Petrus, wie wir in Galater 2 lesen, ins Angesicht widerstehen. Aber korrigieren musste sich Petrus dann selbst und entsprechend, um in unserem Bild zu bleiben, die Tür wieder neu aufmachen.

Die Versammlung löst das Volk Israel als Zeuge auf der Erde ab

Der Abschnitt endet mit einem bemerkenswerten Gebot bzw. Verbot des Herrn: „Dann gebot er den Jüngern, niemand zu sagen, dass er der Christus sei.“ Diese Anweisung des Herrn können wir nur in Verbindung mit den vorherigen Versen gut verstehen. Der Herr hatte sich von den Führern des Volkes Israel weggewandt. Er hatte danach etwas gänzlich Neues eingeführt, seine Versammlung. Diese würde das Volk Israel als Gottes Zeugen auf der Erde ersetzen.

Damit war auch das Zeugnis Gottes an sein Volk beendet. Er hatte diesem seinen König gesandt (vgl. Röm 15,8) – aber sie hatten Ihn abgelehnt. Nun würde es eine solche Botschaft nicht mehr für das irdische Volk Gottes geben. Es hatte aufgehört, Volk Gottes zu sein. Wir wissen, dass dies endgültig erst mit der Kreuzigung und der Beiseiteschaffung des letzten Zeugen des Geistes Gottes, Stephanus, der Fall sein würde. Aber was den Grundsatz betrifft, hatte Gott dem Volk Israel von jetzt an keine spezielle Botschaft mehr auszurichten.

Ab diesem Zeitpunkt war der Herr nicht mehr der Christus, der Messias des Volkes Israel, sondern der Sohn des Menschen für alle Nationen, der Sohn des lebendigen Gottes, der seine Versammlung baut. Das war – für das Volk Israel – eine sehr ernste Botschaft. Es ist letztlich eine Gerichtsankündigung.

Wir Christen dürfen nicht vergessen, dass mit dem christlichen Bekenntnis etwas Ähnliches passieren wird. Das sehen wir in Offenbarung 3, wo wir davon lesen, dass der Herr der Versammlung in Laodizea (Off 3,14 ff.) ausrichten lässt, dass Er sie aus seinem Mund ausspeien würde. Denn bei ihr fehlt die Wirklichkeit göttlichen Lebens. Laodizea steht für den Zustand in der bekennenden Kirche, der heute vorherrscht und auch bei dem Kommen des Herrn Jesus zur Entrückung noch vorhanden sein wird. Dann gibt es keine wahre Kirche mehr auf der Erde. Für das Volk Israel wird es danach eine neue Chance geben, den Herrn Jesus als Messias anzunehmen, jedenfalls für die gottesfürchtigen Übriggebliebenen. Für die Christenheit gibt es eine solche zweite Chance nicht. Sie wird nie wieder als Zeuge Gottes und des Sohnes des lebendigen Gottes hier auf der Erde eingesetzt werden. Ihr Gericht steht kurz bevor.

Verse 21–23: Die erste Ankündigung des Herrn, dass Er sterben und auferstehen würde

Von da an begann Jesus seinen Jüngern zu zeigen, dass er nach Jerusalem hingehen müsse und von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten vieles leiden und getötet und am dritten Tag auferweckt werden müsse. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihn zu tadeln, indem er sagte: Gott behüte dich, Herr! Dies wird dir nicht widerfahren! Er aber wandte sich um und sprach zu Petrus: Geh hinter mich, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, denn du sinnst nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist“ (Verse 21–23).

Es ist eigentümlich, dass unser Herr gerade in Verbindung mit der Ankündigung der Versammlung und dem Verbot, den Juden zu verkünden, dass Er der Christus sei, zum ersten Mal davon spricht, dass Er leiden und getötet und auferweckt werden müsse.9 Dies zeigt, dass es die Versammlung nur auf der Grundlage des Todes des Herrn Jesus geben konnte. Das dürfen auch wir nie vergessen!

Es macht aber auch deutlich, dass die Verwerfung des Herrn Jesus hiermit unabwendbar war, wenn sie auch noch nicht vollständig vollzogen war. Der Herr zeigt den Jüngern, dass es jetzt nur noch diesen einen Weg zum Wohl der Menschen gab: Leiden und Tod. Dass dieser Tod mit den Juden direkt in Verbindung stand, macht die Erwähnung von Jerusalem deutlich. An diesem Ort würde Er zum Tod verurteilt werden. Es musste die Hauptstadt der Juden sein, wo der König der Juden sterben sollte.

Erkennen wir, dass wir hier den Sohn des lebendigen Gottes vor uns haben? Nur Er wusste im Vorhinein, was auf Ihn zukommen würde. Kein Mensch kann vorher sagen, was mit ihm passiert. Das liegt allein in Gottes Hand. Aber der Herr war kein „normaler“ Mensch, obwohl Er vollkommen Mensch war. Er ist Gott selbst und war genau mit diesem Ziel gekommen, am Kreuz für andere Menschen zu sterben.

„Von da an“ – eine ganz neue Zeitrechnung begann. Der Herr hatte abgeschlossen mit der alten Zeit und beginnt eine neue Zeit, die mit seiner Versammlung in Verbindung steht. Zunächst werden noch einmal die drei Hauptgruppen genannt, die für den Tod des Herrn verantwortlich sein würden. Es sind die Führer des Volkes der Juden. Die Ältesten, die zur Zeit Josuas noch dafür sorgten, dass das Volk in Gottesfurcht lebte (vgl. Ri 2,7), waren hier die Ersten, die den Herrn verurteilten. Die Hohenpriester, von denen es ohnehin nur einen einzigen geben sollte und die schon durch die Missachtung dieser Vorschrift zeigten, was ihnen das Gebot Gottes wert war, machten sich mit diesen Führern eins. Diejenigen, die Gott vor dem Volk vertreten sollten, brachten denjenigen, der sich als der Sohn des lebendigen Gottes, also als Gott selbst erwiesen hatte, ans Kreuz. Mit diesen beiden Gruppen schlossen nun auch noch die Schriftgelehrten einen Pakt, sie, die aus den Schriften des Alten Testaments hätten wissen können und müssen, wer der Messias ist und dass nur Jesus dieser König sein konnte.

Wie großartig aber auch, dass der Herr sofort darauf hinweist, dass Er nach seinem Leiden und Sterben auch auferweckt werden müsse. Diese Hoffnung stellt der Herr seinen Jüngern sofort neben die traurige Botschaft.

Wir müssen im Übrigen bedenken, was das für ein harter Schlag für die Jünger war, die immer damit gerechnet hatten, dass ihr Meister die Herzen und Gewissen der Juden würde erreichen können. Sie rechneten auch in dieser Situation noch damit, dass Jesus sein Reich in Macht und Herrlichkeit aufrichten würde. Stattdessen aber spricht Er jetzt vom Tod: „Nein“, sagt Er ihnen gewissermaßen, „ich werde leiden und sterben müssen. Aber das ist nicht das Ende. Ich werde Leben aus dem Tod hervorbringen – so, wie Du, Petrus, von mir als dem Sohn des lebendigen Gottes gesprochen hast.“

Satan in der Gestalt des Petrus

Petrus kann nicht stehen lassen, was der Herr über sich und das Ende seines irdischen Lebens sagt. Hier lernen wir ihn von einer ganz anderen Seite kennen als in den vorherigen Versen. Dort war er das Sprachrohr des Vaters. Kaum zu glauben, dass ein solcher Gläubiger nur kurze Zeit später ein Satan, ein Widersacher des Herrn werden kann. So sind wir Menschen, so sind wir Gläubigen! Man kann die größten Offenbarungen erhalten haben, man kann mit der größten geistlichen Gabe ausgestattet sein, und dennoch komplett fleischlich denken und handeln. Petrus tat das in diesem Augenblick.

„Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihn zu tadeln, indem er sagte: Gott behüte dich, Herr! Dies wird dir nicht widerfahren!“ Wir können Petrus – menschlich – sehr gut verstehen. Soeben hatte er sagen dürfen, wer sein Herr wirklich ist: der Sohn des lebendigen Gottes. Wie konnte er da akzeptieren, dass dieser lebensspendende Herr, der Leben in sich selbst besitzt, sein Leben verlieren sollte? Das konnte und durfte nicht sein. Musste er nicht auch jetzt wieder, so könnte er gedacht haben, das Sprachrohr des Vaters werden, indem er seine feste Überzeugung weitergab?

Aber Petrus wurde hier nicht durch den Heiligen Geist geleitet, sondern durch seine Gefühle. Vermutlich dachte Petrus auch an seine eigene Zukunft. Vielleicht hatte ihn das Lob Jesu, das heißt die Anerkennung, dass das, was er gesagt hatte, nicht von ihm selbst, sondern direkt vom himmlischen Vater stammte, doch innerlich ein wenig hochleben lassen und vor den anderen Jüngern stolz gemacht. Jetzt wollte er beweisen, dass er wirklich stärker war als seine Mitjünger. Wenn sie „schwach“ schwiegen – er nicht! Er wollte mannhaft Widerstand leisten gegen eine solche, aus seiner Sicht falsche Überlegung des Herrn. Und: War das vielleicht eine weitere Prüfung, der sie der Herr unterzog?

Zudem waren die Jünger, wie wir immer wieder sehen, solche Männer, die einen klaren Blick für das Diesseits hatten. Wenn der Herr als König seine Herrschaft jetzt antreten würde, wären sie seine Minister. Hier würde manches an Ehre für sie abfallen. Wenn aber der Herr starb, würde für sie nichts übrig bleiben. Vermutlich waren Petrus und die anderen Jünger wie auch wir oft nur mit einem Ohr bei der Sache. Von der Auferstehung hatte er wahrscheinlich gar nichts mehr gehört. Es reichte, dass der Herr von dem Tod sprach – und das passte Petrus nicht.

Was galt es zu tun? Natürlich: dem Herrn wehren, damit Er von seinem – aus Sicht der Jünger falschen – Plan abrückte. Petrus benutzt dazu sehr starke Worte: „Gott behüte dich, Herr!“ Das heißt eigentlich: „Gott sei dir gnädig!“ – eine Redewendung, die in 2. Samuel 20,20; 23,17 mit „Fern sei es“, also mit „auf keinen Fall!“, übersetzt wird.

Ohne die Wortstudie von „Gott sei dir gnädig!“ an dieser Stelle zu weit treiben zu wollen, ist es auffallend, dass Petrus gerade diese Wortwahl trifft. Denn diesen Ausdruck finden wir auch in Hebräer 8,12: „Denn ich werde ihren Ungerechtigkeiten gnädig sein, und ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken“ und in der Septuaginta zum Beispiel in 4. Mose 14,19: „Vergib doch die Ungerechtigkeit dieses Volkes nach der Größe deiner Güte.“ Gnade in diesem Sinn kann nur Gott üben. Er tut dies gerade in Verbindung mit der Vergebung von Sünden und Ungerechtigkeiten.

Petrus war sich nicht bewusst, dass er damit den Herrn vor dem Erlösungswerk „verschonen“ wollte. Ohne den Tod Jesu hätte es keine Vergebung, keine Rechtfertigung, keine Erlösung, keine Rettung, keine Versammlung und keine Hoffnung gegeben. Hätte Petrus daran gedacht, hätte er den Herrn zweifellos nicht „getadelt“. Stellen wir uns das vor: Derjenige, der den Wind und die Wellen getadelt hat, wird hier von seinem eigenen Geschöpf zurechtgewiesen! Petrus ist sich immerhin bewusst, dass er einen Höheren vor sich hatte, als er selbst war. Denn er spricht nicht direkt vor den anderen Jüngern zum Herrn, auch wenn diese nach Markus 8,33 in direkter Nähe standen. Petrus nahm seinen Herrn beiseite, um ihm seine Sicht der Dinge vorzustellen. Aber er nimmt sich das Recht heraus, den Herrn sehr zu tadeln. Martin Luther hat das übersetzt mit: „Er fuhr ihn an.“ Petrus war offenbar aufgeregt und aufgebracht. Er war der Meinung, dass der Herr hier auf einem falschen Weg ist. Der Herr! Damit hatte der erste der Jünger seine Kompetenzen bei Weitem überschritten!

Der scharfe Verweis des Herrn

Die Antwort des Herrn mag uns erstaunlich hart vorkommen. Zunächst bewundern wir seine Ruhe, in der Er sich an Petrus wendet und ihm antwortet. Dann aber sind wir betroffen von den Worten: „Geh hinter mich, Satan! Du bist mir ein Ärgernis.“ Das Besondere an dieser Anrede des Herrn ist, dass es außer der Person Satans nur einen Menschen gibt, der als „Satan“, als Widersacher, persönlich bezeichnet wird. Das ist Petrus. Von Judas sagt der Herr später, dass er ein Teufel, ein Verleumder, sei (vgl. Joh 6,79). Aber dort ist nicht die Rede von dem Teufel! Der Herr spricht von einem Teufel. Satan aber ist ein Name, der Name einer Person.

Petrus wird direkt als „Satan“ bezeichnet. Warum? Weil er für den Herrn ein Ärgernis war. Das heißt nicht, dass der Herr Jesus sich über Petrus „ärgerte“ und aufgeregt war, wie wir diesen Ausdruck heute verstehen könnten. Ein Ärgernis ist ein Fallstrick, durch den jemand zu Fall kommt. Wir wissen nicht, was Satan im Blick auf den Herrn genau im Ziel hatte. Denn der Teufel kannte den Ratschluss Gottes nicht. Er wusste nicht, dass das Kreuz die Grundlage der Erlösung vieler Menschen sein würde. Was er wollte, war die Pläne Gottes zu zerstören und den Herrn Jesus zu beseitigen. Er wusste allerdings nicht, was sein Tun letztlich bewirkte.

Petrus nun erwies sich durch das, was er gerade tat, als Widersacher Gottes und des Herrn. Satan war der große Widersacher des Herrn. Das hatte er schon zu Beginn des öffentlichen Dienstes des Herrn gezeigt, als er Ihn dreimal versuchte. Seine erste Handlung als Satan, als er sich als dieser Feind Gottes offenbarte, bestand darin, Gott gleich sein zu wollen und gegen Gottes Anweisungen zu handeln (vgl. Hes 28,15 ff.). Nun war er tätig, um Jesus zu beseitigen. Dazu benutzte er die Menschenmassen. Zugleich versuchte er, den Herrn von dem Weg des Gehorsams abzubringen. Und dieses Ziel Satans sprach Petrus an dieser Stelle aus. Wir können nicht sagen, dass er von Satan instrumentalisiert wurde, denn der Teufel konnte gar nicht wissen, was genau hier geschah. Aber Petrus behinderte – wie Satan – den Herrn auf seinem Weg zum Kreuz. Daher musste er hinter den Herrn treten.

Natürlich wäre das Leben des Herrn viel leichter gewesen, wenn Er sofort sein Königreich aufgerichtet hätte, ohne zu sterben. Das hatte Satan dem Herrn in der dritten Versuchung „schenken“ wollen. Aber dann wäre Er vom Weg des Gehorsams seinem himmlischen Vater gegenüber abgewichen. Und daher war dieser Vorschlag ein Ärgernis, das den Herrn auf einen Weg der Unabhängigkeit führen würde.

Deshalb, und offensichtlich nur deshalb nennt der Herr Petrus an dieser Stelle Satan. Denn exakt das war das große Ziel Satans, den Herrn von dem Weg des Gehorsams auf einen Weg der Sünde zu führen. Petrus und die anderen Jünger haben viel Versagen während des gut dreijährigen Dienstes des Herrn gezeigt. Aber an keiner anderen Stelle wird einer von ihnen Satan genannt. Hier jedoch, weil Petrus – zwar unwissentlich, aber ausdrücklich – direkt gegen den Weg der Erlösung, den Ratschluss Gottes, vorgeht. Das machte sein Auftreten so dramatisch. Deshalb wollte der Herr Satan aus seinem Blickfeld hinwegbringen und befiehlt: „Geh hinter mich, Satan!“ Petrus sollte nicht absolut verschwinden, aber doch mit seinem bösen Ansinnen aus den Augen des Herrn wegtreten. Denn diese waren auf das Ziel gerichtet, dass der Vater seinem Sohn für diese Erde gegeben hatte: das Kreuz und die anschließende Auferstehung.

Eine Unterscheidung dürfen wir allerdings nicht übersehen: Als Satan selbst den Herrn angriff, wies ihn dieser mit den Worten ab: „Geh hinweg, Satan!“ (Mt 4,10). Mit dieser bösen Persönlichkeit wollte der Herr nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Mit Petrus dagegen pflegte Er weiterhin Gemeinschaft, wie man es schon sechs Tage später auf dem Berg der Verwandlung10 sehen kann (Mt 17,1 ff.).

Wir wollen deutlich sehen, dass wir nie das Recht besitzen, eine andere Person „Satan“ zu nennen. Nur der Herr konnte das kraft seiner Autorität und seiner Vollkommenheit tun. Und Er tat dies nur in diesem einen Fall, wo es um seinen Weg der Erlösung ging. Wir sollten uns hüten, jemand in irgendeiner Weise mit dem Namen Satans in Verbindung zu bringen. Natürlich können wir in dem einen oder anderen Fall erkennen, dass Satan wirkt oder sogar Satanismus praktiziert wird. Das aber ist etwas anderes, als eine Person Satan zu nennen.

Dann zeigt Jesus noch deutlich die Motive, die Er bei Petrus entdeckt hat. Wir wissen, dass wir Motive nicht beurteilen dürfen. Der Herr aber kann sie erkennen. „Du sinnst nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist.“ Petrus hing offensichtlich (zusammen mit seinen anderen Jüngern) immer noch an der menschlich faszinierenden Idee, der Herr würde jetzt sein Reich in großer Macht aufrichten, so dass auch sie als Jünger einen wichtigen Platz in der Öffentlichkeit würden einnehmen können. Aber gerade das war nicht der Weg Gottes. Petrus verstand dies offenbar nicht, vielleicht aber wollte er es sogar nicht verstehen. Ihm war das Diesseits wichtig, sein eigenes Ansehen und das, was vor Menschen zählt. Aber Gott hatte einen anderen Weg vor. Später erst erkannte Petrus ihn als den einzig richtigen. Hier aber musste er noch dazulernen.

Verse 24–27: Der Weg des Herrn bestimmt den Weg der Jünger

„Dann sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach. Denn wer irgend sein Leben erretten will, wird es verlieren; wer aber irgend sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden. Denn was wird es einem Menschen nützen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber seine Seele einbüßt? Oder was wird ein Mensch als Lösegeld geben für seine Seele? Denn der Sohn des Menschen wird kommen in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, und dann wird er einem jeden vergelten nach seinem Tun“ (Verse 24–27).

Schon in Kapitel 10,38.39 hatten wir diese Ermahnung gesehen, die der Herr Jesus hier noch einmal seinen Jüngern mitgibt. Allein die Tatsache, dass der Herr nun wieder nicht mehr allein zu Petrus spricht, sondern zu allen Jüngern, zeigt an, dass die Haltung von Petrus auch die anderen Jünger kennzeichnete. Sie alle hofften darauf, dass der Herr jetzt in mächtiger Weise seine Königsherrschaft antreten würde. Die Antwort des Herrn ist: „Ich werde leiden und sterben. Und Euer Weg ist der gleiche. Ihr könnt das Erlösungswerk nicht vollbringen. Aber Ihr sollt meine Jünger sein und euer Kreuz aufnehmen. Nur so seid Ihr wahrhaft meine Jünger!“

In Matthäus 10 ging es besonders um das Setzen der richtigen Prioritäten im Leben eines Jüngers. Natürliche Beziehungen haben keinen Vorrang vor der Beziehung des Herrn, so wichtig sie an und für sich auch sind. Aber der Herr kommt vor allem anderen (ohne dass das andere dadurch vernachlässigt werden dürfte).

In Matthäus 16 geht es mehr um die grundsätzliche Lebensausrichtung des Jüngers. Der Herr wünscht, dass wir Ihm wirklich nachkommen. Das heißt, dass wir den Weg, den Er als Mensch gegangen ist, auch gehen wollen: ein Leben für Gott, ein Leben in Absonderung vom Bösen und bösen Menschen, ein Leben in Gemeinschaft mit den Gläubigen. Christus geht sogar davon aus, dass wir seinem Weg folgen wollen. Dazu aber ist eine innere Haltung nötig, die wir bei unserem Meister sehen: Man muss sich selbst verleugnen und sein Kreuz aufnehmen und dann auch konsequent seinen Weg gehen. Gerade das ist „Nachfolge“, wie der Herr sie uns zeigt. Während das „Nachkommen“ den äußeren Weg bezeichnet, weist uns „Nachfolge“ auf die innere Haltung und deren Konsequenzen hin. Der Herr nennt dazu drei Schritte, die wir uns kurz ansehen:

Drei Schritte der Jüngerschaft

a) Sich selbst verleugnen: Der Jünger sieht nicht auf sich, genauso wie der Herr nicht sich selbst verherrlichen wollte. Der Jünger weiß, dass es nicht um ihn geht, sondern allein um den Herrn. Nicht die eigene Person steht im Mittelpunkt, sondern sein Meister, dem er nachfolgen möchte. Das eigene Ich hat in der wahren Jüngerschaft keinen Platz. Es steht einem Jünger bei seiner Nachfolge nur im Weg. Denn wer sich wichtig nimmt, kann nicht bereit sein zu leiden (es sei denn, er möchte dadurch im Mittelpunkt stehen, und dann ist das keine Nachfolge des Herrn). Sich selbst verleugnen heißt auch, aufzuhören, sich selbst zu leben.
Schon dieser erste Punkt, den wir nicht „trainieren“ können, weil wir das nur mit einer fleischlichen Anstrengung täten, sondern der schlicht das Wegschauen von sich selbst bedeutet, ist eine große Herausforderung in unserem Leben. Der Herr lässt diese Ermahnung unmittelbar auf seine Worte an Petrus folgen, der noch nicht gelernt hatte, sich selbst zu verleugnen. Man darf sich im Selbstgericht nicht verschonen. Wenn man das täte, verschonte man das Fleisch. Das hätte zur Folge, dass dieses wirksam würde.

b) Sein Kreuz aufnehmen: Landläufig wird hierunter verstanden, das jeder so sein Kreuz, sein „Päckchen“ zu tragen hätte. Der eine plagt sich mit ständigen Rückenschmerzen herum, der nächste ist seit einigen Jahren arbeitslos und der dritte ist depressiv. Nun sind alle diese drei Beispiele sehr ernst zu nehmen und nicht einfach vom Tisch zu wischen. Sie sind Teil dessen, was wir die (im positiven Sinn) erziehende Hand unseres Vaters nennen, die Teil seines regierenden Handelns mit uns ist. Aber das ist es nicht, was der Herr meint, wenn Er uns ermahnt, unser Kreuz aufzunehmen.
Es geht auch nicht um das Kreuz des Herrn – also den Weg der Erlösung, den Er für uns gegangen ist. Diese Erlösung hat Er allein am Kreuz für uns vollbracht. Aber das war eine einmalige Sache, die nur Er als der vollkommen Sündlose tun konnte!
Nein, wir selbst sollen unser Kreuz aufnehmen. Wir müssen uns kein Kreuz suchen! Wer sich selbst verleugnet, für den kommt das Kreuz geradezu automatisch. Wenn im Altertum bei den Römern jemand gekreuzigt wurde, musste er sich selbst das Kreuz bis an den endgültigen Kreuzigungsort tragen. Er ging so durch die Stadt und wurde von allen Menschen, für die das ein Schauspiel war, gesehen, verspottet und gedemütigt. Wir wissen aus Johannes 19,17, dass auch Jesus sein eigenes Kreuz trug!
Wer nun in einer solchen Weise beladen zu seinem Todesort ging, wusste, dass sein Leben zu Ende ging. So sollen auch die Jünger des Herrn mit ihrem eigenen Leben abgeschlossen haben. Damit ist nicht wie bei a) das Fleisch des Jüngers gemeint, ohne dass dieses ausgeschlossen wäre. Aber ein Jünger sollte in dieser Welt, das heißt von und in dieser Gesellschaft, nichts mehr erwarten. Er hat mit den Freuden und Schönheiten, den Genüssen und Vorzügen dieser Welt abgeschlossen. Sein Ziel liegt in einer anderen Welt, und seine Freude ist eine himmlische. Dass dies mit Leiden verbunden ist, weil man nicht verstanden wird, weil man als ein Ausgestoßener gilt, weil man keine Gemeinschaft mehr in dieser Welt sucht, versteht sich von selbst und ist wesentlicher Teil des Bildes des „Kreuzes“. Ob wir in dieser Hinsicht schon mit dieser Welt abgeschlossen haben? Das heißt ja nicht, dass wir nicht die von Gott gegebenen Freuden des irdischen Lebens annehmen dürfen, wozu auch Ehe, Kinder und seine Schöpfung zählen. Aber auch hier gilt, dass diese nicht unser ganzes Sinnen und Trachten ausmachen dürfen.

c) Christus nachfolgen: Nun kommt noch das Ziel, das der Jünger verfolgen soll. Er hat einen Vorläufer: Jesus Christus, seinen Herrn. Diesem und niemand anderem soll er folgen. Nur Er ist unser Meister, von dem wir lernen und geführt werden. Er ist unser Vorläufer, den wir nachahmen, der uns inspiriert, der uns vorgemacht hat, wie unser Leben aussehen soll. Wir folgen nicht Jüngern, auch nicht dieser oder jener Versammlung, sondern allein Christus. Ein Jünger muss bereit sein, Ihm auf seinem Weg zum Kreuz zu folgen. Nur dann sind wir wirklich auf dem Weg Jesu! Es ist eine sehr gefährliche Sache, an Jesus zu glauben, ohne Ihm nachzufolgen. Denn Christen sind durch ihre Bekehrung andere Menschen, als sie es vorher waren. Wer das nicht praktisch auslebt, muss sich fragen, ob er wirklich Christ ist.

In diesen drei Punkten sehen wir also, wie unsere Gesinnung sein soll:

  • uns selbst gegenüber: sich selbst verleugnen;
  • dieser Gesellschaft gegenüber: sein Kreuz aufnehmen;
  • dem Herrn gegenüber: Ihm nachfolgen.

Wir werden dem Herrn nur dann nachfolgen (können), wenn wir uns selbst und dieser Gesellschaft gegenüber die richtige Gesinnung haben. In allen drei Bereichen haben wir dazuzulernen. Denn wie oft steht unser eigenes Leben, meine Seele, mein Ich, im Vordergrund, das wir zu retten suchen. Wer aber sein irdisches Leben zu retten sucht, wird es letztlich verlieren. Das heißt, er wird das eigentliche Ziel, wofür Gott ihn vorgesehen hat, nicht erreichen.

Das Leben des Jüngers

Wer bereit ist, selbst auf Kosten seines eigenen Lebens dem Herrn nachzufolgen, weil es dem Jünger auf nichts anderes ankommt als auf die Wertschätzung des Meisters, ja darauf, Ihn zu verherrlichen in seinem Leben, der wird das Ziel seines Lebens erreichen. Es geht nicht darum, das Leben einfach aufs Spiel zu setzen. Unser Ziel als Jünger ist es, um des Herrn willen bereit zu sein, unser Sinnen nicht auf das irdische Leben zu setzen, sondern auf den Herrn und seine Nachfolge. Dieses Motiv hat Bestand vor Gott.

Thema dieser Verse ist nicht, wie man ein Jünger wird. Der Herr spricht zu solchen, die bereits Jünger sind. Daher müssen sie nicht ihr Leben einsetzen, um vom Herrn gerettet oder als Jünger angenommen zu werden. Der Herr formuliert hier einfach seinen Anspruch an diejenigen, die als seine Jünger eine Beziehung zu Ihm haben.

Dieser Ausspruch über das Leben des Jüngers kommt insgesamt – mit geringen Abweichungen – sechsmal in den Evangelien vor. Vermutlich waren es vier verschiedene Gelegenheiten, wo der Herr über das Retten und Verlieren des Lebens gesprochen hat. So wichtig war Ihm dieser Gedanke der Jüngerschaft (je zweimal in Matthäus und Markus und je einmal in Lukas und Johannes).

In einer Einschaltung führt der Herr diesen Gedanken nun fort, indem Er ein Extrem zeigt. Es ist unmöglich, die ganze Welt zu gewinnen und zu vereinnahmen. Aber nehmen wir den Fall an, dass ein Mensch das schaffte: Was für einen Nutzen hätte er davon, wenn er seine Seele dafür einbüßt, das also, was in den Augen Gottes unauflösbar ist und ewig besteht? Damit ist nicht gemeint, dass er stirbt, sondern dass man das eigentliche Ziel des Lebens verpasst. Das wird zu dauerhaftem Schaden sein. Wenn es sich um einen Menschen handelt, der sich nicht bekehrt hat, dann geht er ewig verloren. Wenn er bekehrt ist, dann wird er keinen Lohn mitnehmen können in die Ewigkeit. Darauf kommt der Herr in Vers 27 zu sprechen. Denn bei Jüngerschaft geht es auch um Lohn und Belohnung.

Zuvor möchte ich noch auf das interessante Wort des Herrn im zweiten Teil von Vers 26 eingehen. „Oder was wird ein Mensch als Lösegeld geben für seine Seele?“ Der Herr spricht nicht davon, was wir als Lösegeld annehmen für unser Leben, sondern was wir Gott dafür anbieten können, als Gegenwert für die notwendige Rettung unserer Seele. Die Antwort, die der Herr hier nicht ausspricht, lautet schlicht: Nichts! Selbst der Besitz der ganzen Welt reicht nicht aus, um das zu begleichen, was wir durch die Sünde in unserem Leben angerichtet haben.

Leben für Leben muss bezahlt werden. Das zeigt uns den Wert, den unsere Seele in den Augen Gottes besitzt. Sie ist unsterblich – und nichts haben wir Menschen für diesen unendlich hohen Wert anzubieten. Wir können nur dankbar das Werk des Herrn Jesus dafür annehmen; das allerdings geht über die Belehrung dieses Verses hinaus.

In Anlehnung an Offenbarung 18,13, wo wir lernen, dass Babylon – also der Endzustand der römisch-katholischen Kirche – sogar Handel mit Menschenseelen trieb, kann man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass auch heute manche Kirchen der Meinung sind, man könne doch etwas für die eigene Seele, für das Leben, anbieten. Das ist nichts anderes als Handel mit dem Leben von Menschen zu führen. Das kirchliche System mag daran verdienen. Aber dies geschieht auf Kosten der wertvollen Seelen, die um den Preis ihres Lebens auf eine falsche Spur geschickt werden!

Der Lohn für Jünger

In dem letzten Vers, der zu diesem Abschnitt gehört, kehrt Jesus zu den Gedanken von Vers 25 zurück. Wenn jemand bereit ist, sein Leben um des Herrn willen zu verlieren, dann wird er dafür großen Lohn erhalten. Dieser Vers ist eine Ermutigung für Jünger, dass sie nicht für immer einem verworfenen Christus nachzufolgen haben. „Denn der Sohn des Menschen wird kommen in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, und dann wird er jedem vergelten nach seinem Tun.“ Die Belohnung gibt es also im Tausendjährigen Friedensreich.

In dieses Reich kommt der Herr zusammen mit seinen Engeln. Hier offenbart Er noch nicht, dass auch wir, die Gläubigen der Gnadenzeit, also seine Versammlung, mit Ihm auf die Erde kommen werden (vgl. 2. Thes 1,10). Auch seine Engel werden dabei sein. Das wird dann keine Zeit der Verleugnung, der Leiden, des Kreuzes sein, sondern eine einzigartige Herrlichkeit, auch für uns. Es ist die Herrlichkeit, die der Vater seinem Sohn, dem Sohn des Menschen, schenken wird, der einmal hier gelitten hat und verachtet war, dann aber mit himmlischer Herrlichkeit bekleidet sein wird.

Es gab eine Zeit, von der wir in Philipper 2,7 lesen, wo sich der Sohn Gottes zu nichts machte – das heißt sich selbst der äußeren Herrlichkeit entäußerte, die Ihm immer zu eigen war und die Er dem Wesen nach auch nicht abgelegt hat, ja nicht ablegen konnte. Aber äußerlich sichtbar war das nicht. So sehr hat Er sich erniedrigt. Aber diese Zeit ist heute für Jesus längst beendigt. Sichtbar werden wird das allerdings erst, wenn Er mit seinen Heiligen und mit seinen Engeln in Herrlichkeit auf diese Erde kommen wird.

Typischerweise spricht Matthäus von der Herrlichkeit des Vaters. Denn alles, was der Herr hier tut, war zur Ehre seines Vaters, war im Auftrag seines Vaters. Daher wartet Er auch darauf, dass sein Vater Ihn mit dessen Herrlichkeit, die letztlich jedoch keine andere ist als die Herrlichkeit des Sohnes Gottes, bekleiden wird. Der Sohn kommt mit der Herrlichkeit des Himmels, um dann als der Sohn des Menschen auf dieser Erde zu regieren, wie der nächste Vers zeigt.

Wir haben in diesem Kapitel schon gesehen, wie charakteristisch dieser Titel „Sohn des Menschen“ für die künftige Zeit ist. Nicht der Messias kommt wieder, um Lohn zu geben, sondern der Sohn des Menschen, dem wir nachfolgen und der sein Reich, seine Herrschaft, antreten und sein Gericht hier auf der Erde ausüben wird.

Er wird jedem vergelten nach seinem Tun, wie wir auch aus Offenbarung 22,12 lernen. Es kommt also ganz offensichtlich auf das Tun an, wenn es um Belohnung geht. Es ist nicht wichtig, was Jünger für gute Gedanken haben, was aus ihrer Sicht getan werden könnte oder was andere gut tun können und sollen. Entscheidend ist, was man selbst getan hat. Auch Gebet für andere und das Werk des Herrn ist in diesem Sinn „Tun“. Ein Jünger muss aktiv sein – sonst handelt es sich nicht um einen Jünger. Das zeigt der Herr hier deutlich an. Ob Er uns als solche findet, die für ihren Herrn und Meister, den Sohn des Menschen, der sie erlöst hat, tätig sind?

Der letzte Vers unseres Kapitels gehört eigentlich zu Kapitel 17, was den Inhalt betrifft, so dass wir ihn in Verbindung mit dem nächsten Abschnitt anschauen werden.

Die Arten des Unglaubens in diesem Kapitel

In seinen Auslegungen über das Wort Gottes, genannt Synopsis, geht J. N. Darby am Ende in sehr interessanter Weise auf die verschiedenen Arten des Unglaubens ein, den man in diesem Kapitel finden kann. Ich gebe diese wichtige Belehrung gerne skizzenhaft und etwas erweitert wieder.

  1. Die stärkste Form des Unglaubens ist die vollständige Ablehnung des Herrn als Messias und Emmanuel, die wir bei den Pharisäern und Sadduzäern finden. Sie lehnen Christus und seine Zeichen ab und fordern in ihrer Dreistigkeit ein Zeichen vom Himmel. Das ist nichts anderes als Abfall von Christus und Gott. Der Eigenwille dieser Menschen stand im Mittelpunkt ihres Handelns und sollte von Gott befriedigt werden.
  2. Die zweite Form des Unglaubens finden wir in den Jüngern. Sie hatten einen vergesslichen Unglauben, indem sie die Werke des Herrn nicht mehr in praktischer Erinnerung hatten. Ihr Kleinglaube (Vers 8) war fehlendes Zutrauen in die Wundermacht ihres Herrn.
  3. Die dritte Form des Unglaubens ist die Gleichgültigkeit, die wir in den Meinungen der Volksmenge sehen. Sie glaubten, dass Jesus kein normaler Jude war. Selbst in ihren Augen war Er mindestens ein Prophet. Aber ihre Ignoranz und Gleichgültigkeit siegte über ein Herz, das sich Ihm im Gehorsam verschreiben wollte.
  4. Schließlich finden wir bei Petrus noch den Unglauben des Fleisches, das auf das sinnt, was der Menschen ist, nicht auf das, was Gottes ist. Das Fleisch im Gläubigen kann sich nicht zu Gott erheben, sondern zieht sich und andere nach unten, wenn es freie Bahn erhält.

Der verworfene König kommt als Verherrlichter im Tausendjährigen Reich (Mt 17)

In Kapitel 16 haben wir nicht nur gesehen, dass die Verwerfung des Herrn Jesus endgültig ist, sondern auch, dass der Herr seine Verwerfung zum Anlass nimmt, Petrus und den Jüngern eine Offenbarung zu geben von dem, was im Herzen Gottes vor Grundlegung der Welt gewesen ist: von seiner Versammlung. Diese Offenbarung der Versammlung wird Petrus gegeben, nachdem er den Herrn Jesus als den Sohn des lebendigen Gottes erkannt hat.

In Kapitel 17 finden wir nun, dass der Herr seinen Jüngern – besonders drei von ihnen – eine weitere Offenbarung gibt. Dieses Mal geht es um die Herrlichkeit, die Jesus als der Sohn des Menschen im Königreich besitzen wird, wenn dieses in Macht und Herrlichkeit aufgerichtet werden wird. Schon am Ende von Kapitel 16 hat der Herr Jesus von diesem Kommen in seinem Reich gesprochen. Es ist das zweite Kommen des Herrn, das auch für uns noch zukünftig ist.

Daraus lernen wir, dass nicht nur die Versammlung das Volk Israel als Zeugnis Gottes auf der Erde ersetzt und dass auch nicht nur die Herrlichkeit des Sohnes des lebendigen Gottes an die Stelle seiner messianischen Herrlichkeit tritt. Auch das Königreich wird eine andere Gestalt bekommen als von den Juden angenommen. Es gehört nicht zum alten Bund, sondern zu einem neuen. Hier finden wir den Herrn nicht als Messias sondern als Sohn des Menschen. Er löst das alte System vollständig ab. Das Gesetz und die Propheten waren bis auf Johannes. Jetzt aber werden diese großen Instrumente Gottes für sein Volk abgelöst durch einen Größeren: durch Jesus allein. Damit vergehen die alttestamentlichen Schriften nicht. Aber der Herr würde nach und nach zeigen, dass schon in diesen Schriften der neue Bund angekündigt worden war.

Im Anschluss an diese Offenbarung zeigt der Herr dann, was für einen Zustand sein Volk haben wird, wenn Er auf diese Erde ein zweites Mal kommen wird, und was für einen Charakter seine heutigen und seine zukünftigen Jünger tragen werden.

16,28: Die Ankündigung einer Offenbarung des Königreichs

„Wahrlich, ich sage euch: Es sind einige von denen, die hier stehen, die den Tod nicht schmecken werden, bis sie den Sohn des Menschen haben kommen sehen in seinem Reich“ (Kapitel 16,28).

Wir haben schon am Ende von Kapitel 16 gesehen, dass der letzte Vers eigentlich zu Kapitel 17 gehört. Dennoch passt er auch zum vorherigen Vers. Jesus hatte von sich als vom Sohn des Menschen gesprochen und diese Herrlichkeit mit der seines Vaters verbunden, wenn Er als Mensch zusammen mit seinen Engeln zur Lohnvergabe kommen wird.

Diesen Gedanken greift Er jetzt auf. Der Herr möchte den Jüngern Mut machen. Er möchte ihnen zeigen, dass Er selbst sterben und auferstehen würde. Aber auch für die Jünger würde es ein Leben der Hingabe und Selbstverleugnung sein. Am Ende allerdings würde der Vater nicht nur dem Sohn des Menschen, sondern auch dessen Jüngern eine großartige Herrlichkeit schenken. Davon spricht Er in Vers 28.

Christus kann nur „einige“ von seinen Jüngern mitnehmen, gerade diejenigen, die durch ihren Dienst und ihre Hingabe eine besondere Treue immer wieder bewiesen hatten. Sie sollten den Tod nicht schmecken, bis sie den Sohn des Menschen haben kommen sehen in seinem Reich. Viele haben gerätselt, was damit gemeint sein könnte. Einige meinten, diese Jünger würden nicht sterben, bis der Herr Jesus sein Königreich aufrichtet. Das ist vergleichbar damit, dass nach der Aussage des Herrn über seinen Jünger Johannes („Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme“, Joh 21,22) manche dachten, Johannes würde nicht sterben. Wir können heute sicher sagen, dass diese Auslegung falsch ist, denn alle Jünger sind gestorben. Aber weder hat das Königreich des Herrn in äußerer Machtentfaltung begonnen – und gerade davon ist hier die Rede –, noch ist der Herr Jesus wiedergekommen.

Andere meinten, es könnte das Kommen des Herrn nach seinem Tod und seiner Auferstehung gemeint sein. Aber auch diese Erscheinung entspricht nicht dem Charakter der sichtbaren Entfaltung des Königreichs. Denn der Herr ist nur Gläubigen erschienen, nicht jedoch der Welt und den Menschen insgesamt. Wieder andere haben an die Zerstörung Jerusalems gedacht: Aber was für eine Herrlichkeit des Herrn und der Seinen steht damit in Verbindung? Wir müssen sagen: Keine!

Alles wird einfach, wenn wir der Führung des Geistes Gottes folgen. Er spricht davon, dass einige den Tod nicht erleben werden, bis sie den Herrn Jesus in einer bestimmten Weise gesehen hätten. Und genau in den Folgeversen kommt dann eine solche Herrlichkeit seiner Person vor uns, dass wir sicher sein können: Die Begebenheit in Kapitel 17,1–8 ist gemeint. Sonst nichts.

Es ist wahr: Oft kratzen wir nur an der Oberfläche dessen, was wir in der Schrift finden. Aber der Herr stellt die Dinge nicht kompliziert dar. Wir müssen oft viel schlichter denken. Das können wir bei Kindern lernen. Wenn wir der klaren Führung des Geistes Gottes folgen, werden wir Gottes Gedanken verstehen. Dann werden die Dinge sehr klar. So auch hier.

Auf drei Punkte dieses Verses gehe ich ein:

  1. Der Herr Jesus wird hier erneut als Sohn des Menschen vorgestellt. Das zeigt, dass es nicht nur um seine Herrschaft über das Volk Israel geht, sondern um seine Herrlichkeit gegenüber der ganzen Schöpfung. Wir erblicken seine Autorität, die Er in der Zukunft auch als Mensch über alle Menschen haben wird. Wir haben diese Verbindung mit seinem Titel als Sohn des Menschen bereits gesehen.
  2. Die Herrlichkeit des Vaters wird hier mit dem Reich des Herrn, der „in seinem Königreich“ kommen wird, verbunden. Die Herrlichkeit des Vaters und die des Sohnes gehören zusammen und sind untrennbar miteinander verbunden. Der Vater schenkt seine Herrlichkeit seinem Sohn, dem Sohn des Menschen. Dieser kommt in seinem Reich, und doch ist es nach Matthäus 13,43 kein anderes Reich als das des Vaters. Es sind nur unterschiedliche Blickwinkel. Hier sehen wir, dass Christus selbst der Herr in seinem Königreich sein wird. Dieses gehört niemand anderem als nur Ihm.
  3. Das Kommen des Sohnes des Menschen steht direkt mit alttestamentlichen Vorhersagen in Verbindung. In Daniel 7 finden wir eine solche Weissagung: „Ich schaute in Gesichten der Nacht: Und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie eines Menschen Sohn; und er kam zu dem Alten an Tagen und wurde vor ihn gebracht. Und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völker, Völkerschaften und Sprachen dienten ihm; seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen wird, und sein Königtum ein solches, das nicht zerstört werden wird“ (Verse 13.14). Diese Szene wird in den folgenden Verse unseres Evangeliums entfaltet.

Kapitel 17, Verse 1–8: Das Königreich en miniature

„Und nach sechs Tagen nimmt Jesus den Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, mit und führt sie für sich allein auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihnen verwandelt; und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, seine Kleider aber wurden weiß wie das Licht. Und siehe, Mose und Elia erschienen ihnen und unterredeten sich mit ihm. Petrus aber hob an und sprach zu Jesus: Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine. Während er noch redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke, und siehe, eine Stimme erging aus der Wolke, die sprach: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe; ihn hört. Und als die Jünger es hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Und Jesus trat herzu, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht. Als sie aber ihre Augen erhoben, sahen sie niemand als Jesus allein“ (Verse 1–8).

In den ersten acht Versen dieses Kapitels dürfen wir einen Blick werfen auf die einzigartige Darstellung des Königreichs, wie drei Jünger sie mit dem Herrn Jesus erlebt haben. Woher wissen wir genau, dass es sich um eine solche Entfaltung des Reiches handelt? Einmal haben wir das aus dem Zusammenhang der vorherigen Verse gesehen. Aber wir haben eine zusätzliche Bestätigung dieses Gedankens, eine inspirierte Auslegung dieser Begebenheit. Denn einer der damals anwesenden Jünger, Petrus, sollte später einiges über diese Herrlichkeit aufschreiben:

„Denn wir haben euch die Macht und Ankunft unseres Herrn Jesus Christus nicht kundgetan, indem wir ausgeklügelten Fabeln folgten, sondern als solche, die Augenzeugen seiner herrlichen Größe geworden sind. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Herrlichkeit, als von der prachtvollen Herrlichkeit eine solche Stimme an ihn erging: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ Und diese Stimme hörten wir vom Himmel her ergehen, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren. Und so besitzen wir das prophetische Wort umso fester, auf das zu achten ihr wohl tut, als auf eine Lampe, die an einem dunklen Orte leuchtet, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen“ (2. Pet 1,16–19).

Petrus und seine Mitjünger sind nicht irgendwelchen Erzählungen gefolgt, erst recht nicht Märchen oder Fabeln. Der Herr hatte ihnen in seiner Gnade sogar nicht nur vom Königreich erzählt – das hat Er natürlich öfter getan –, sondern Er hat sie auch teilhaben lassen an dieser zukünftigen Herrlichkeit. Sie waren direkte Augenzeugen seiner herrlichen Größe, die mit der „Macht und Ankunft“ – also mit der zukünftigen Gegenwart des Herrn auf dieser Erde – zu tun hat. Die Tatsache, dass Petrus auch die Stimme und die konkreten Worte des Vaters erwähnt, lässt keinen Zweifel zu, auf welche Begebenheit er sich bezieht. Er bestätigt auch noch einmal, dass die Jünger mit dem Herrn auf einem Berg waren, den er hier „heilig“ nennt. Diese Erscheinung sollte das Festhalten an dem prophetischen Wort und an dem moralischen Licht stärken, das dieses prophetische Wort über die Zukunft schon heute auf das Leben der Jünger des Herrn wirft. Immer wieder lernen wir im Neuen Testament, dass wir unser Leben aus der Perspektive der Zukunft heraus führen sollen.

Das prophetische Wort war an und für sich nicht neu. Das Alte Testament ist voll von Hinweisen, Weissagungen und Bildern über das Tausendjährige Friedensreich. Aber hier konnten die Jünger dieses Reich – wenn auch nur kurz – regelrecht erleben. Gerade dadurch wurde dieses prophetische Wort des Alten Testaments befestigt und bestätigt für sie.

Der Bericht über die Verwandlung in den Evangelien

Wir finden den Bericht über diese sogenannte Verklärung (Verwandlung, das Strahlen) des Herrn in den drei synoptischen Evangelien Matthäus, Markus und Lukas. Wir können gut verstehen, dass Johannes nicht davon berichtet. Denn er spricht von der ewigen, unübertrefflichen Herrlichkeit des Sohnes des Vaters, die Ihm von Ewigkeit zu Ewigkeit zu eigen ist. Markus zeigt uns, wie der Diener, der sich so sehr erniedrigt hat, in eine zukünftige Herrlichkeit gekleidet wird, die nicht mehr an diese Niedrigkeit erinnern lässt. Der Vater erweist seinem Knecht eine besondere Ehre. Markus betont besonders die Reinheit des Herrn. Und er zeigt, dass Gottes Antwort auf seine Reinheit hier auf der Erde auch darin besteht, diese einmal vor aller Welt in wunderbarem Glanz deutlich zu machen (vgl. Mk 9,3).

Lukas dagegen beschränkt sich nicht auf das zukünftige Königreich. Bei ihm heißt es daher auch nicht, dass der Sohn des Menschen „in seinem Reich“ kommt, sondern dass die Jünger „das Reich Gottes“ sehen würden (Lk 9,27). Er spricht von einer Szene, die bei uns heute schon Wirklichkeit sein kann. Er zeigt, wie wir im Reich Gottes eine himmlische Gemeinschaft als Gläubige mit dem Vater und dem Sohn „in der Wolke“ genießen dürfen. Daher ist auch von „etwa acht Tagen“ die Rede, nicht von den sechs Tagen, die Matthäus und Markus nennen. Das mag eine Frage der Ausdrucksweise sein, wie auch wir heute von acht Tagen – wir meinen eine Woche – sprechen, während sechs Tage den genauen Termin benennt. Aber die Zahl 8 ist immer wieder das Symbol für die Ewigkeit. Wenn es bei den Festen des Herrn einen achten Tag gab, dann steht dieser nicht für das Tausendjährige Friedensreich, sondern für die dann beginnende Ewigkeit. Das ist der Bereich der neuen Schöpfung. Wir dürfen geistlicherweise schon heute in dieser neuen Schöpfung leben und die Gemeinschaft des Vaterhauses, von der Johannes 14,2 spricht, in der jetzigen Zeit vorweg genießen (vgl. Joh 14,23).

Lukas ist der Evangelist, der uns in die Briefe des Apostels Paulus einführt. Daher bezieht sich Lukas immer wieder, wenn Matthäus und Markus auf eine zukünftige Zeit hinweisen (gerade in den prophetischen Reden), auf die heutige Zeitperiode. In Lukas dürfen wir miterleben, dass der Vater seinem Sohn, dem vollkommenen Menschen Jesus Christus, durch diese Verwandlung eine Ermunterung auf dem Weg zum Kreuz schenkt, nachdem der Herr gerade zum ersten Mal von seinem Tod sprechen musste. Er stellt Ihm die vor Ihm liegende Freude vor, um derentwillen Er das Kreuz erduldete. Ausdrücklich heißt es hier, dass Mose und Elia „in Herrlichkeit“ erschienen (Lk 9,31), und zwar als Antwort Gottes auf die bewusste Abhängigkeit Jesu im Gebet.

Bei Matthäus finden wir einen weiteren Gesichtspunkt. Die Jünger waren sicherlich durch die Ankündigung des Todes des Herrn entmutigt. Die verkehrte Reaktion von Petrus beweist, dass sie nicht erfassten, was der Herr sagte, und sich mit dieser „Zukunft“ auch so nicht abfinden wollten. Da gibt ihnen Gott nicht nur einen Eindruck des Reiches Gottes, wie es bei Markus und Lukas heißt. Nein, Er lässt „sie den Sohn des Menschen kommen sehen in seinem Reich“ (Mt 16,28). So schenkt Gott ihnen eine großartige Ermutigung.

Nebenbei bemerkt sehen wir in der Tatsache, dass gerade derjenige der Evangelisten, der bei dieser Szene dabei war, als einziger nicht darüber berichtet, einen wunderbaren Beweis der Inspiration der Schrift. Die Frage ist nicht, wer menschlich gesprochen am passendsten für die jeweilige Berichterstattung ist. Der Geist Gottes kann sich über eine körperliche Anwesenheit hinwegsetzen, wenn es seinen göttlich vollkommenen Zielen entspricht.

Ein Blick auf das Tausendjährige Friedensreich

Matthäus lässt uns einen Blick in die Zukunft tun – auf das Tausendjährige Friedensreich, das Königreich in Macht und Herrlichkeit. Das wird durch die ersten Worte schon deutlich: „Und nach sechs Tagen ...“ Das „und“ verbindet diesen Vers direkt mit Vers 28 im vorigen Kapitel, wo von dem Kommen des Sohnes des Menschen gesprochen wird. Die sechs Tage haben ebenfalls eine wichtige Bedeutung. Gerade die Tatsache, dass Lukas von „etwa acht Tagen“ im Unterschied zu Matthäus spricht, deutet an, dass in dieser Unterscheidung eine Bedeutung liegt. Wir wissen aus 1. Mose 1 und 2, dass Gott, der Herr, nach der Erschaffung der Erde in sechs Tagen am siebten ruhte. Der Sabbattag war der Tag der Ruhe. Dort ist er ein Vorbild auf die Ewigkeit, in der Friede und Ruhe wohnen werden (vgl. 2. Pet 3,13). Das Tausendjährige Friedensreich dagegen ist durch die Herrschaft des Sohnes des Menschen geprägt. Er wird eine verwaltende, segensreiche und von Gerechtigkeit geprägte Herrschaft ausüben (vgl. Jes 9,6). So schuf Gott den Menschen am sechsten Tag, und dieser sollte über das Geschaffene herrschen (1. Mo 1,28). Sechs Tage wurde gearbeitet. Sechs lange Tage mussten Gott und der Herr Jesus wirken (vgl. Joh 5,17). Aber diese Arbeit wird einmal in eine segensreiche Regierung der Gerechtigkeit münden, so dass Frieden sein wird.

Jesus nimmt die Jünger nach sechs Tagen mit auf einen hohen Berg. Er nimmt nicht alle Jünger mit, sondern Petrus und Jakobus und Johannes. Die drei, die in besonderer Weise von Ihm ausgewählt worden sind, bei der Auferweckung der Tochter des Jairus (vgl. Mk 5,37) und in Gethsemane (Mt 26,37) dabei zu sein sowie seiner prophetischen Rede zuzuhören (vgl. Mk 13,3, hier zusammen mit Andreas). Es waren zugleich die drei Jünger, die dem Herrn in besonderer Weise nahe standen und mit großem Eifer nachfolgten. Sie sollten ein ausreichendes Zeugnis davon geben können, was hier geschah – nicht nur zwei, sondern drei Zeugen.11 So erleben die drei Zeugen etwas von den Leiden des Herrn (Gethsemane), von der Auferstehungskraft Jesu (Tochter des Jairus), von dem Ratschluss Gottes für diese Erde (sog. Endzeitrede, vgl. Mk 13,3 ff.) und von dem künftigen Friedensreich.

Ein hoher Berg

Mit diesen drei Jüngern ging der Meister auf einen hohen Berg. Viermal finden wir den Herrn Jesus zusammen mit seinen Jüngern auf oder an einem Berg.12

  1. In Matthäus 5,1 lesen wir, dass Er ihnen dort die Grundsätze des Königreichs der Himmel verkündigt.
  2. In Matthäus 15,29 lesen wir, wie der Messias durch seinen Dienst und besonders durch Wunder Segen auf dem Berg verbreitet, der auch in Zukunft in seinem Reich von Ihm ausgehen wird.
  3. Hier nun werden wir Ohrenzeugen der bildhaften Verkündigung der Herrlichkeit des kommenden Königreichs. Der hohe Berg erinnert uns an die majestätische Größe des kommenden Königreichs, weit erhaben über alle Einrichtungen und Gedanken der Menschen, ja auch getrennt von ihnen.
  4. Und in Matthäus 28,16 sehen wir, dass der Herr von einem Berg aus seine Jünger als Boten seines Königreichs aussendet.

Viele meinen, dass es sich bei diesem Berg um den Berg Tabor handelt, der am Ostrand der Jisreelebene ist. Durch seinen isolierten Standort und seine Höhe von 588 Meter ist er sehr markant; der Gipfel liegt mehrere hundert Meter über der umgebenden Landschaft. Andere denken eher an den Hermon. Das ist ein 2814 m hoher Berg im Grenzbereich zwischen Libanon, Syrien und Israel, der drei Gipfel hat, und in der Nähe von Cäsarea Philippi liegt. Das zeigt: Wir wissen bis heute nicht, um welchen Berg es sich genau handelt.

Auf dem Berg erleben die Jünger eine einzigartige Szene. Der Herr wird verwandelt. Für einige Augenblicke wird außer Kraft gesetzt, was wir in Jesaja 53,2 lesen: „Er hatte keine Gestalt und keine Pracht; und als wir ihn sahen, hatte er kein Ansehen, dass wir ihn begehrt hätten.“ Jeder Gläubige wird diese Herrlichkeit in der Zukunft erleben – die drei Jünger durften schon damals einen Voraus-Blick auf diese Herrlichkeit tun.

Belehrungen über das Friedensreich

Was können wir aus dieser Szene der Herrlichkeit in Bezug auf das Tausendjährige Friedensreich lernen? Und vor allem: Was erkennen wir im Blick auf die kommende Herrlichkeit des Sohnes des Menschen, der hier ganz offensichtlich im Mittelpunkt steht?

1. Das Königreich wird insgesamt durch größte Herrlichkeit geprägt sein.
Daher finden wir verschiedene Personen und Umstände mit dieser Herrlichkeit verbunden. Der Herr Jesus steht hier verherrlicht vor uns. Aber auch zwei Männer Gottes des Alten Testaments, die längst nicht mehr auf der Erde waren, kommen in verherrlichten Körpern auf den Berg und zum Herrn Jesus. Matthäus erwähnt, dass sowohl das Angesicht als auch die Kleider Jesu verwandelt wurden. Markus spricht nur von den Kleidern. Die Kleider sprechen von den Gewohnheiten und sind zugleich ein Hinweis auf die Stellung, die jemand einnimmt. Die Stellung des Herrn im Tausendjährigen Königreich wird eine andere sein als diejenige, die Er damals in Niedrigkeit eingenommen hat. Er wird die Herrlichkeit eines göttlichen Königtums besitzen.

2. Christus steht hier als wahrer König vor uns.
„Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne.“ Das Angesicht spricht besonders von der persönlichen, äußerlich sichtbaren Herrlichkeit. Diese wird in Zukunft von der damaligen Erscheinung in Demut grundlegend verschieden sein. Natürlich war die moralische Herrlichkeit des Herrn immer dieselbe. Aber diese Herrlichkeit wird in Zukunft für alle sichtbar sein – leuchtend hell wie die Sonne.
Aus Maleachi 3,20 erkennen wir, dass der Herr Jesus in dieser künftigen, hier vorhergesagten Zeit „als die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen wird mit Heilung in ihren Flügeln“. Für uns ist Er der Morgenstern, der vor Anbruch des Tages in der Nacht leuchtet und kommen wird. Denn wir leben geistlicherweise in der Nacht (vgl. Röm 13,12). Wir werden in der Nacht erleben, dass der Herr Jesus zu uns kommt, um uns in den Himmel zu führen (vgl. 1. Thes 4,16 ff.). Für das Volk Israel ist es jetzt ebenfalls Nacht. Denn sie haben keine Beziehung zu ihrem Gott. Aber nach der Nacht kommt der Tag – jedenfalls für das Volk Israel. Und dann wird der Herr Jesus für sie leuchten wie die Sonne. Es ist daher nicht von ungefähr, dass diese Charakterisierung als Sonne nicht bei Lukas oder Markus zu finden ist, deren Thema nicht in erster Linie das Friedensreich ist. Matthäus zeigt uns aber gerade diesen Charakter des Reiches. „Er hat der Sonne in ihnen ein Zelt gesetzt, und sie ist wie ein Bräutigam, der hervortritt aus seinem Gemach; sie freut sich wie ein Held, die Bahn zu durchlaufen. Vom Ende der Himmel ist ihr Ausgang, und ihr Umlauf bis zu ihren Enden; und nichts ist vor ihrer Glut verborgen“ (Ps 19,5–7). Herrlichkeit und Gericht werden so miteinander verbunden, wie es in der Zukunft auch der Fall sein wird.

3. Christus wird nicht nur König, sondern Herrscher und Richter sein.
Auch die Kleider des Herrn wurden weiß wie das Licht. Das zeigt uns, dass diese herrliche Erscheinung des Herrn nicht nur mit Frieden, sondern auch mit Gericht zu tun hat. Wenn wir die richterliche Offenbarung des Herrn in Offenbarung 1,16 ansehen, wo wir Ihn ebenfalls als den Sohn des Menschen sehen, „und sein Angesicht war, wie die Sonne leuchtet in ihrer Kraft“, dann zeigt uns das, dass das Kommen des Herrn mit einem Akt des Gerichts verbunden sein wird, nicht nur für die abgefallene Christenheit, sondern gerade für das abtrünnige Volk der Juden, wie wir in Matthäus 24 weiter lernen werden.

4. Christus wird im Reich mit den himmlischen Gläubigen verbunden sein.
Nur Matthäus spricht davon, dass das Angesicht des Herrn leuchtete. Diese Veränderung war für alle Anwesenden deutlich sichtbar. Dies erinnert uns auch an Matthäus 13,43, wo wir von den Söhnen des Reiches lesen, dass sie als Gerechte leuchten wie die Sonne im Reich ihres Vaters. Hier nun lernen wir, was die wahre Ursache für dieses Leuchten ist. Es ist das Strahlen des Messias, das zum Leuchten der Gerechten führen wird.
Das wird durch die plötzliche Erscheinung von Mose und Elia unterstrichen. Wir können uns gut vorstellen, dass sie den Herrn in ihre Mitte nahmen. Denn Er ist der Mittelpunkt des Himmels und der himmlischen Wesen. Er wird auch im kommenden Reich der Herrlichste inmitten aller Gläubigen sein.
Der Ausdruck „erscheinen“, den wir nach der Auferstehung des Herrn immer wieder in Bezug auf Ihn selbst finden (Lk 24,34; Apg 13,31; 1. Kor 15,5–8; 1. Tim 3,16), macht deutlich, dass es um verherrlichte Menschen geht.13 Diese beiden Männer stehen für die verherrlichten Gläubigen, die im Friedensreich zusammen mit dem Herrn Jesus als himmlische Menschen auf diese Erde kommen werden, um zusammen mit Ihm zu regieren. Mose ist der Prototyp für diejenigen Gläubigen, die heimgegangen sind und dann auferweckt werden, um bei Christus zu sein. Elia steht als einziger Israelit, der nicht sterben musste, sondern im Sturmwind in den Himmel geführt wurde, für diejenigen Gläubigen, die bei dem Kommen des Herrn Jesus leben werden und von Ihm verwandelt werden (vgl. 1. Thes 4,17).
Diese Gläubigen werden in herrlicher Gemeinschaft mit dem Sohn des Menschen auf dieser Erde sein. „Sie unterredeten sich mit ihm.“ Es ist erstaunlich, dass wir nicht lesen: Und Er unterredete sich mit ihnen. Nein, sie leben in einer wunderbaren Freiheit, die ihnen nicht die Ehrfurcht vor ihrem Meister nimmt, die aber eine kühne Freiheit ist, so dass sie selbst mit Ihm eine Unterredung führen können. So herrlich wird auch unsere Zukunft sein. Wie schon gesagt, deutet Lukas an, dass wir dies sogar schon heute genießen können.

5. Christus wird im Reich mit seinem irdischen Volk verbunden sein.
Auf dem Berg sind aber noch andere Menschen: Petrus, Jakobus und Johannes. Diese drei Jünger sind ein Bild der künftigen treuen Übriggebliebenen aus den Juden, der irdischen Gläubigen, die den Herrn Jesus als Messias hier auf dieser Erde erwarten werden. Sie werden dadurch gekennzeichnet sein, dass sie sich nicht von dem falschen Propheten und König, dem Antichristen, verführen lassen. Zur Zeit Jesus war der König Herodes ein solcher unrechtmäßiger König, denn er war kein Jude, sondern Edomiter. So ist er ein Vorbild auf den Antichristen künftiger Tage. Was den künftigen Überrest betrifft, so werden sie dem Herrn Jesus treu bleiben und vor der Aufrichtung des Königreichs durch große Drangsale hindurchgegangen sein. Dann werden sie – nicht vom Himmel aus, aber – als „irdische“ Gläubige in das Königreich des Herrn Jesus hineingebracht werden. Auch sie erleben die wunderbare Regierung Christi.

Mose und Elia – die Repräsentanten des Alten Testaments

Mose und Elia sind jedoch noch Hinweise auf eine zweite, gerade in diesem Abschnitt sehr wichtige Sache. Mose war der Gesetzgeber des Volkes Israels. Immer wieder wird in diesem Evangelium das Gesetz Moses zitiert. Der Herr Jesus tut das selbst als Erster (vgl. Mt 4,4) und hat das bislang schon fünfmal getan. In Johannes 1,17 lesen wir zudem: „Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben.“ Mose ist der große Gesetzgeber, natürlich unter der Hand Gottes. Elia dagegen ist der große Prophet. Das Alte Testament bezeugt das mehrfach. Er war der Prophet, der das Volk Israel, das sich von Gott weggewandt hatte, wieder zu Gott zurückführen wollte. So sehen wir auf dem Berg die beiden großen Repräsentanten des alten, jüdischen Bundes, gewissermaßen die Säulen des Alten Testaments. Wie schon gesagt, war der eine der einzige Jude bzw. genauer der einzige Israelit, der ohne sterben zu müssen in den Himmel gebracht wurde. Der andere war der einzige Mensch, der jemals von Gott selbst beerdigt wurde.

Warum ist das so wichtig hier? „Denn alle Propheten und das Gesetz haben geweissagt bis auf Johannes“ (Mt 11,13). Diese Szene des Tausendjährigen Reiches in unserem Abschnitt ist nicht nur ein wunderbares, herrliches Bild. Genauso wie wir in Matthäus 16 die Ablösung des Zeugen Israel durch einen neuen Zeugen, die Versammlung gesehen haben, lernen wir hier davon, dass die großen Instrumente Gottes im Alten Testament – das Gesetz und die Propheten – abgelöst werden. Hier nicht durch die Versammlung, sondern durch eine Person: „Jesus allein“ (Vers 8). Diesen Gedanken kann man mit Römer 3 verbinden: „Darum, aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden; denn durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde. Jetzt aber ist, ohne Gesetz, Gottes Gerechtigkeit offenbart worden, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten: Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesus Christus gegen alle und auf alle, die glauben“ (Verse 20–22).
Das Gesetz und die Propheten hatten ihren Dienst getan und erfüllt. Sie konnten das Volk nicht erretten, sondern nur aufmerksam machen auf die Sünde. Daher gehörten sie mit Johannes dem Täufer zum Alten Bund. Jetzt aber kam etwas ganz Neues durch den Herrn Jesus. Und diesen Wechsel finden wir gerade auf dem Berg der Verwandlung dargestellt, der im Blick auf das Tausendjährige Friedensreich zeigt, dass Gott in Christus etwas Neues schaffen würde, von dem Er allerdings die Gläubigen des Alten Testaments nicht ausschließen wollte. Dieses Königreich wird durch einen neuen Bund gekennzeichnet sein, wie der Herr Jesus in Verbindung mit dem letzten Passah und der Einführung des Abendmahls deutlich machen wird. Und dieser neue Bund hat einen Mittelpunkt, eine Person: Jesus allein!

Verwandeln

An dieser Stelle noch ein Wort zum Ausdruck „verwandeln“ (Vers 2). Dieses Wort finden wir nur viermal im Neuen Testament, neben der Parallelstelle in Markus 9 noch in Römer 12,2 und 2. Korinther 3,18. Wir kennen aus der Biologie den Begriff „Metamorphose“. Diesen Ausdruck verwendet der Geist Gottes an dieser Stelle, um die Umgestaltung des Herrn auf dem Berg zu kennzeichnen. Diese Umgestaltung war äußerlich sichtbar, betrifft aber eine innere Verwandlung. Sie geht innerlich vor und wird dann nach außen erkennbar.

Bei dem Herrn Jesus war keine Veränderung von einem sündigen Zustand in einen sündlosen nötig, wie bei uns Sündern. Bei Ihm war auch keine Verwandlung in dem Sinn notwendig, dass Er – wie wir – innerlich in Übereinstimmung mit den göttlichen Gedanken gebracht werden musste. Bei Ihm bestand diese Verwandlung darin, von einem erniedrigten, leidenden, gehorsamen Knecht zu einem erhöhten, verherrlichten und herrschenden Sohn des Menschen verändert zu werden.

Bei uns aber ist eine grundsätzliche Veränderung nötig, die während unseres Glaubenslebens auf der Erde, bis wir nach Geist Seele und Leib errettet worden sind, als eine ständige Veränderung verwirklicht wird. Das zeigen die beiden oben genannten Bibelstellen. Unser Sinn muss verwandelt werden, um nicht von den Einflüssen dieser Gesellschaft sondern durch Gott selbst geformt zu werden. Und das ist am besten dadurch möglich, dass wir den verherrlichten Herrn Jesus anschauen. So werden wir von Herrlichkeit zu Herrlichkeit verwandelt und leben in Übereinstimmung mit seinen Gedanken.

In der Realität der damaligen Szene waren Petrus und seine beiden Kollegen überfordert. Sie wussten nicht, was sie sagen und tun sollten. Statt zu schweigen und zu genießen, statt den Herrn machen zu lassen, kommt Petrus mit einem törichten Vorschlag: „Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten machen.“

Wer ist Jesus? Der geliebte Sohn des lebendigen Gottes!

Zunächst weise ich kurz auf die unterschiedlichen Titel des Herrn Jesus hin, die wir in diesem Zusammenhang in den drei synoptischen Evangelien finden. Matthäus spricht davon, dass Petrus Ihn „Herrn“ nennt. Markus zitiert Petrus mit dem Ausdruck „Rabbi“, Lukas mit dem Titel „Meister“. Matthäus benutzt den damals geläufigen (griechischen) Ausdruck für Herr oder Meister. Markus verwendet das Wort, dass die Jünger in ihren Unterhaltungen mit dem Herrn in aramäischer Sprache vermutlich verwendet haben: Rabbi. Es ist der Titel einer respektvollen Anrede an einen jüdischen Lehrer. Er ist der, der andere unterrichtet. Lukas hingegen verwendet das elegantere und klassischere, aber letztlich gleichbedeutende Wort für den Lehrer und Meister, das besonders von Autorität spricht.

Man kann kaum glauben, dass hier dieselbe Person wie in Kapitel 16,16 spricht. Petrus ist beeindruckt von der Szene, die er miterleben darf. Er sieht Personen in Herrlichkeit erscheinen und wird vielleicht schon damals an das erinnert worden sein, was diese Szene vorbildet: das Tausendjährige Friedensreich. Jedenfalls zeugt sein Vorschlag, Hütten zu machen, von einer Erinnerung an das Laubhüttenfest, von dem wir in 3. Mose 23,33–43 lesen. Das war ein Fest der Ruhe und Freude, an dem acht tagelang viele Opfer der Dankbarkeit und Freude gebracht wurden (vgl. 4. Mo 29,12–38). Es war ein Fest der Ernte (vgl. 3. Mo 23,39) und weist hin auf die Zeit, in der Gott die Ernte seines Volkes – alle Erlösten seines irdischen Volkes – einsammeln wird. Sieben Tage wohnte das Volk in Laubhütten (3. Mo 23,43).

Tatsächlich hat dieses Fest bereits eine erste Erfüllung gefunden. Als Gott im Sohn Mensch wurde und als Mensch auf diese Erde kam, „zeltete Er unter uns“ (Joh 1,14). Aber das Volk war nicht bereit für diese Ruhe, in die der Herr Jesus sein Volk einführen wollte, wie wir wiederholt in diesem Evangelium gesehen haben. Deshalb gab es keine Freude und keinen Frieden, sondern das Kreuz auf Golgatha, und damit verbunden die Verwerfung Israels durch Gott (vgl. Röm 11,15).

Aber das ist nicht das Ende. Gott wird mit seinem irdischen Volk Israel sein Ziel erreichen. Er wird noch einmal auf diese Erde kommen und sein Volk besuchen. Dann wird es eine wunderbare Friedenszeit geben. „Und es wird geschehen, dass alle Übriggebliebenen von allen Nationen, die gegen Jerusalem gekommen sind, Jahr für Jahr hinaufziehen werden, um den König, den Herrn der Heerscharen, anzubeten und das Laubhüttenfest zu feiern“ (Sach 14,16).

Petrus wird damals diese Zusammenhänge noch nicht verstanden haben, weil der Geist Gottes noch nicht auf der Erde wohnte. Aber irgendwie wurde er an dieses Laubhüttenfest erinnert und schlägt vor, Hütten zu machen. Das Traurige an seinem Vorschlag war nicht, eine Hütte zu machen. Das Törichte war, drei Hütten zu machen, als ob Mose und Elia, so großartig diese Männer auch waren, auf derselben Stufe wie Christus stünden. Zwar nennt Petrus den Herrn noch an erster Stelle. Aber nur als einen von drei mehr oder weniger gleichwertigen Personen. Entweder erhob er diese fehlerbehafteten Menschen auf die Stufe des sündlosen Herrn Jesus Christus, oder er erniedrigte den einzigartigen Christus auf die Stufe von sündigen Menschen. Beides war für Gott untragbar.

Wie schnell sind auch wir heute dabei, ähnlich wie Petrus Vorschläge zu machen, was für den Herrn zu tun ist. Von Petrus sollten wir lernen, nicht vorschnell zu denken oder zu handeln. Auf den Herrn und die Weisung des Vaters zu warten, bedeutet nicht, untätig zu sein. Aber ein gewisses Abwarten schadet nie. Hier beispielsweise hatte der Herr kurz zuvor von seinem Tod gesprochen, nicht jedoch vom Wohnen in Laubhütten.

Der Vater greift ein – zugunsten seines Sohnes

Wie würde der Herr Jesus auf diesen törichten Vorschlag reagieren? Wir staunen, dass Er in bewundernswerter Demut schweigt. Nicht der Herr Jesus schreitet ein. Es ist Gott, der auf diesen Angriff gegen die Ehre und Herrlichkeit unseres Herrn antwortet. Jesus ist so demütig, dass Er nicht gegen diesen Angriff vorgeht. Aber der Vater kann nicht schweigen, wenn der Sohn sich so sehr erniedrigt oder die Ehre des Herrn erniedrigt wird. Als Jesus in den Jordan ging, um getauft zu werden, und dort wie einer von vielen anderen des Volkes Israel aussah, der durch die Taufe seine Sünden bekannte, machte der Vater unmittelbar und unmissverständlich klar, dass hier sein geliebter Sohn war, der nicht nur sündlos war, sondern zugleich sein ganzes Wohlgefallen besaß (vgl. Mt 3,17). Er war nicht einer von vielen. Er war der Eine.

Hier antwortet der Vater genauso eindrücklich. „Während er noch redete, siehe, da überschattete sie ein lichte Wolke, und siehe, eine Stimme erging aus der Wolke, die sprach: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe; ihn hört.“ Die Antwort Gottes hat zwei Teile, die jeweils mit einem „siehe“ eingeführt werden. Noch während Petrus redete – Gott lässt ihn gar nicht ausreden, so gravierend ist dessen Fehler, so sehr ehrt der Vater hier seinen Sohn – kommt die göttliche Antwort.

  1. Gott benutzt ein alttestamentlich bekanntes Symbol seiner Gegenwart. Die Wolke, die nach 2. Mose 40,34 das Zelt der Zusammenkunft bedeckte und die Wohnung erfüllte und die nach 2. Chronika 7,1.2 auch den Tempel bewohnte, spricht von der direkten Gegenwart Gottes inmitten seines Volkes. Er wohnte in der Wolke bei seinem Volk. In diese Wolke konnte kein Mensch eintreten, weil er sofort vernichtet worden wäre.
  2. Durch das Beharren auf dem Götzendienst und den Abfall von Gott war es Gott nicht mehr möglich, inmitten seines Volkes zu wohnen. In Hesekiel 9–11 kann man nachlesen, wie daher dieses Symbol der Gegenwart Gottes inmitten seines Volkes, die Wolke, den Tempel und dann auch die Stadt verließ (und in den Kapitel 43 und 44, wie sie im Tausendjährigen Friedensreich wieder zurückkommen wird).
    Diese Wolke war seitdem nie wieder zurückgekehrt. Hier auf einmal jedoch erscheint sie wieder und überschattet „sie“. Petrus nennt sie in seinem Brief „die prachtvolle Herrlichkeit“ (2. Pet 1,17). Lukas 9,34 können wir entnehmen, dass diese Wolke sowohl den Herrn Jesus als auch Mose und Elia überschattete, vielleicht sogar auch die drei Jünger. Das ist ein Wunder! Denn zum ersten Mal hören wir davon, dass Menschen in diese Wolke der Gegenwart Gottes eintreten können, ohne umzufallen und durch die Heiligkeit Gottes vernichtet zu werden. Im Alten Testament konnte der Hohepriester nur einmal im Jahr und dann nicht ohne Blut und Weihrauch14 in das Allerheiligste treten. Hier sehen wir Menschen, die ohne ein direktes Opfer und ohne Weihrauch Gott nahen können. Das Werk des Herrn Jesus ist auch hier die Grundlage, ebenso sein Wohlgeruch. Denn auch wenn sein Werk de facto noch nicht geschehen war, sah es Gott in dieser Szene doch schon als geschehen an. So war die Wirklichkeit praktischer Gemeinschaft von Gott mit erlösten Menschen in der Person des Herrn schon gekommen, sodass die materiellen Dinge wie Blut und Weihrauch nicht mehr nötig waren.
  3. Der Vater spricht aus dieser Wolke heraus. Das bestätigt noch einmal, dass diese Wolke ein Hinweis auf die Gegenwart Gottes ist. Der Vater hat eine Botschaft. Sie ist an die Jünger gerichtet und lautet: Mose und Elia, so großartig diese Instrumente in der Hand Gottes waren, sind nicht zu vergleichen mit seinem Sohn. Sie waren Sünder und fehlerhaft, Er dagegen der Vollkommene, Sündlose! Die Gnade mag Mose und Elia in die gleiche Herrlichkeit bringen, in welcher der Sohn Gottes immer war, und diese Männer an die Seite des Herrn Jesus stellen – aber es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen ihnen und dem Herrn.
    Petrus hätte das schon wissen können. Er hatte kurz vorher die Einzigartigkeit der Person des Herrn bezeugt (vgl. Mt 16,14). Nachdem Petrus jetzt so versagt und die Offenbarung des Vaters vergessen hat, stellt der Vater klar: „Dieser“ – und sonst niemand – „ist mein geliebter Sohn“. Er ist nicht nur ein Prophet, der das Sprachrohr Gottes ist. Er ist nicht der Größte von drei Männern Gottes, von drei Propheten. Er ist der Sohn, mit dem der Vater eine ewige Beziehung genießt. Er ist nicht einfach ein Mensch, welcher der königliche Messias auf der Erde ist. Er ist der ewige Sohn des ewigen Vaters. Er ist auch nicht ein Sohn unter vielen. Er ist der Eine, der vom Vater geliebt wird. An Ihm und an Ihm allein hat der Vater sein Wohlgefallen. Er ist einzigartig.
  4. „Ihn hört“. Mose und die Propheten hatten ihre Aufgabe, hatten ihre Funktion. Aber jetzt ist der Sohn gekommen. Er stellt das Alte Testament nicht zur Seite, aber Er ist die Erfüllung des Alten Testaments. Auf Ihn weisen diese Weissagungen hin. Daher wurde jetzt nicht das Gebot ausgesprochen, auf Mose und die Propheten zu hören. Sie müssen letztlich verblassen und verschwinden, wenn es um Ihn geht. Wir können das heute nicht mehr nachvollziehen – aber dieser Punkt wirkte wie ein Paukenschlag für jeden gläubigen Juden! Denn diese beiden Männer und das, was sie repräsentierten, war der ganze Stolz der Juden; darauf setzen sie ihr ganzes Vertrauen! Das alles aber musste verblassen, als der Sohn in Erscheinung trat.
    Auch der Vorschlag von Petrus zählte nicht. Er hatte aus eigenem Antrieb gesprochen. So standen seine Worte in einem Gegensatz zu den Gedanken Gottes. Es zählt nur noch: „Ihn“, und Ihn allein, „hört“. Es ist diese Aufforderung, die sich auch an uns richtet: Wir sollen auf Ihn und auf Ihn allein hören.15 Er hat uns viel gesagt. Auf alles das sollen wir hören. Und wir dürfen mit Ihm Gemeinschaft pflegen: „Und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus“ (1. Joh 1,3).
  5. Das Verschwinden von Mose und Elia hat nichts damit zu tun, dass ihr Zeugnis wertlos wäre. Wie Petrus in seinem zweiten Brief sagt, könnte es kaum eine stärkere Bestätigung ihres Zeugnisses geben, als gerade durch diese Verherrlichung auf dem Berg. Denn diese Szene ist ja gerade die Erfüllung aller alttestamentlichen Weissagungen – auf diesen Augenblick hin haben sie prophezeit. Und es ist auch wahr, dass derjenige, der ein tiefes Verständnis der Gnade besitzt, einen viel größeren Respekt vor dem Gesetz hat als diejenigen, die Gnade und Gesetz miteinander vermischen und damit den Wert von beidem zerstören (vgl. Mt 9,16.17). Aber Mose und Elia waren nicht die Gegenstände des Zeugnisses Gottes, wie es Christus war. Zudem bezog sich ihr Zeugnis nicht auf himmlische Dinge, die jetzt durch den Sohn des Menschen, vom Himmel gekommen, sichtbar gemacht wurden. Sogar Johannes der Täufer weist darauf hin, dass diese himmlische Seite ein besonderes, einzigartiges Merkmal des Herrn ist (vgl. Joh 3,31–34). Der Herr Jesus selbst sagt dies ebenfalls von sich (Joh 3,13).
  6. Der Vater zeigt den Sohn in dieser Szene nicht als denjenigen, welcher der Liebe der Jünger würdig war, sondern als denjenigen, welcher der Gegenstand der Liebe und des Wohlgefallens des Vaters ist. So wird uns die Liebe des Vaters als Maßstab und Vorbild der unsrigen vorgestellt.
  7. Mit diesem Punkt einher geht auch, dass jeder Gedanke an eine Wiederherstellung des Alten, des alten Bundes, des alten Systems, verworfen wird. Jesus Christus als der Sohn des lebendigen Gottes und als der Sohn des Menschen erfüllt jetzt die Freude des Vaters und führt etwas Himmlisches, Neues ein. Alles andere muss weichen und wird nicht wieder hervorgeholt.
Jesus allein

Während wir hier keinen Hinweis darauf finden, was mit Mose und Elia geschah, sehen wir, dass die Jünger durch diese Ansprache des Vaters und den Eindruck der Herrlichkeit überfordert sind, auf ihr Angesicht fallen und sich sehr fürchten. Das ist immer die Folge, wenn das Fleisch in einem Gläubigen nicht durch Selbstgericht ganz praktisch den Platz im Tod zugewiesen bekommt: Man fürchtet sich. Hinzu kommt, dass die Jünger wussten, was das Erscheinen der Herrlichkeit Gottes im Alten Testament immer wieder bedeutete: Gericht für Sünder, die in der Gegenwart des heiligen Gottes standen (vgl. z.B. 4. Mo 12,5; 14,10; 16,19). Weder Gesetz noch Propheten konnten hier helfen. Aber der Herr!

Er lässt seine Jünger auch jetzt nicht fallen, sondern rührt sie an und macht ihnen neuen Mut: „Steht auf und fürchtet euch nicht.“ Sie brauchten keine Angst zu haben, denn sie hatten den bei sich, auf dem das ganze Wohlgefallen des Vaters ruht. Er rührte sie an – seine Hände ließen sie die Liebe des Vaters spüren, so wie einmal die Übriggebliebenen in Israel durch den Messias angerührt werden, wenn Er zu ihrer Rettung kommen wird.

„Als sie aber ihre Augen erhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.“ Der Vater hat dafür gesorgt, dass dem Herrn Jesus der Platz gegeben wird, der Ihm gebührt. Jetzt stellt Er sicher, dass auch die Jünger den richtigen Blick erhalten und bewahren. „Jesus allein“ – das ist die Herausforderung für uns selbst. Ihn kann man nicht groß genug machen! Einmal werden die gläubigen Juden auch diesen Blick finden, wie wir in Jesaja 53 und Sacharja 12,10 lernen. Jetzt galt das schon für die Jünger. Die Vision und die Erscheinung gingen vorüber – Jesus jedoch blieb!

Mose und Elia waren verschwunden. Auch die Szene der Herrlichkeit ist vorbei. Die Jünger waren noch nicht in der Lage, diese Herrlichkeit zu ertragen. Aber bis sie einmal kommen wird, bleibt der Eine, der durch die Zeiten hindurchführt: Jesus Christus. Es gibt eine größere Herrlichkeit als diejenige, die auf dem Berg sichtbar wurde. Das haben wir in Kapitel 16 gesehen. Aber jede Herrlichkeit gehört Ihm und ist etwas Besonderes in sich selbst. Denn es ist seine Herrlichkeit – und Er bleibt.

In dieser Begebenheit stellte Gott sicher, dass die Jünger nur noch Christus im Blickfeld hatten und keine Anstrengungen mehr hin zu Mose oder Elia unternahmen. Für uns gilt es, diese Lektion ganz praktisch zu lernen und unsere Augen nicht mehr von unserem Herrn zu wenden. Es kommt darauf an, Ihn zu sehen und anzuschauen. Ihn allein!

Verse 9–13: Das Kommen Elias vor der Wiederherstellung Israels

„Und als sie von dem Berge herabstiegen, gebot ihnen Jesus und sprach: Sagt niemand das Gesicht, bis der Sohn des Menschen aus den Toten auferstanden ist. Und die Jünger fragten ihn und sprachen: Was sagen denn die Schriftgelehrten, dass Elia zuerst kommen müsse? Er aber antwortete und sprach: Elia zwar kommt und wird alle Dinge wiederherstellen; ich sage euch aber, dass Elia schon gekommen ist, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm getan, was irgend sie wollten. Ebenso wird auch der Sohn des Menschen von ihnen leiden. Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes dem Täufer zu ihnen sprach“ (Verse 9–13).

Jesus verbot nicht nur, dass man Ihn weiter als den Christus verkündigte (vgl. Mt 16,20). Jetzt gebot Er auch, dass darüber hinaus diese Vision 16 weitererzählt würde, bis Er, der Sohn des Menschen, aus den Toten auferstanden sein würde. Die Jünger und das Volk erwarteten die Aufrichtung des herrlichen Königreichs Gottes. Nun mussten die Zwölf erkennen, dass ihnen nicht nur verboten wurde, von Ihm als Christus, dem König dieses Reiches, zu reden. Sie durften auch nichts von dem Charakter der Macht und Herrlichkeit dieses künftigen Königreichs weitergeben.

Der Herr konnte sich seinem irdischen Volk nicht mehr als Christus vorstellen. Er konnte ihnen aufgrund ihrer Ablehnung nicht einmal die Hoffnung auf eine herrliche Zukunft zeigen. Nur seinen Jüngern, die zu den gläubigen Übriggebliebenen gehörten, konnte Er Mut machen mit einem Blick auf diese Zukunft. Zugleich belehrt Er sie, dass Er dann nicht nur als Messias sondern als der Sohn des Menschen kommen würde. Als solcher würde Er zum Segen weit über Israel hinaus sein. Seine Erscheinung wird nicht die des Menschen Jesus sein, wie Er damals gekommen ist. Er wäre dann ein Mensch, der „aus den Toten auferstanden ist“. So finden wir hier – auch wenn Er nicht ausdrücklich auf seine Leiden hinweist wie in Kapitel 16,21 und später in Kapitel 17,22.23 – eine zweite Ankündigung seines Todes.

Die Frage der Schriftgelehrten zu Elia

Wieder hat man das Gefühl, dass die Jünger überhaupt nicht verstanden haben, was der Herr ihnen sagen wollte. Zwar waren sie den Worten ihres Meisters anscheinend gehorsam. Aber sie gehen überhaupt nicht auf diesen Hinweis des Herrn ein. Stattdessen sprechen sie über Elia.

Anscheinend nahmen sie die Meinung der Volksmengen, Jesus sei Elia (vgl. Mt 16,14) sowie die Erscheinung Elias auf dem Berg (vgl. Mt 17,3) zum Anlass, eine Bemerkung der Schriftgelehrten aufzugreifen, die diese im Beisein der Jünger immer wieder ausgesprochen hatten. Die Schriftgelehrten kannten sich gut im Alten Testament aus. Sie konnten viele Weissagungen zitieren. Was ihnen allerdings fehlte, war eine von Gott gegebene Einsicht und eine Unterwerfung unter das Gesetz. Das war ihnen nicht geschenkt, weil sie den Gesalbten Gottes ablehnten. So wussten sie intellektuell gut Bescheid, ohne diese Weissagungen richtig einordnen zu können.

Offenbar schauten aber auch die Jünger zu diesen Menschen hoch. Die Schriftgelehrten hatten sich einen Ruf inmitten der Juden erworben, der nicht spurlos an den Jüngern vorbeigegangen war. Wenn die Schriftgelehrten sich eine Meinung gebildet hatten, musste etwas daran sein. „Was sagen die Schriftgelehrten, dass Elia zuerst kommen müsse?“

Wie kamen diese Menschen zu der Frage nach Elia? Wir finden das hier nicht weiter erläutert, doch kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass diese bösen Menschen mit dieser Frage die Autorität des Herrn Jesus in Frage stellen wollten. Wenn Er wirklich der Messias gewesen wäre – und das hatten die Jünger doch gerade in besonderer Weise erlebt! –, hätte dann nicht zuerst Elia kommen müssen? Denn es war doch geweissagt worden, dass Elia vor dem großen Tag des Messias kommen sollte.

Der Herr Jesus ist auf diese Frage gewissermaßen vorbereitet. Er gibt eine vollkommene Antwort! „Elia zwar kommt und wird alle Dinge wiederherstellen; ich sage euch aber, dass Elia schon gekommen ist.“ Christus weist damit auf zwei verschiedene Zeitabschnitte hin:

Zwei Kommen von Elia

  1. Elia zwar kommt und wird alle Dinge wiederherstellen: Diese Aussage bezieht sich auf die Zeit kurz vor dem Kommen des Messias, wenn dieser sein Königreich in Macht und Herrlichkeit aufrichten wird (vgl. Mal 3,23). Dieses Ereignis liegt auch für uns noch in der Zukunft – und damit erst recht für die Jünger damals. Elia wird dann einen Zustand inmitten des Volkes erleben, der traurig ist und durch Entzweiung sogar inmitten der Familien geprägt ist. Es geht dabei also um den moralischen Zustand der Juden, der dann vorherrschen wird. In Apostelgeschichte 3,21 finden wir erneut den Hinweis auf die Wiederherstellung aller Dinge. Dort geht Petrus in seiner Rede allerdings nicht darauf ein, dass diese Wiederherstellung durch den zukünftigen Elia bewirkt wird, sondern führt sie auf die Ankunft des Sohnes des Menschen zurück.
  2. Elia ist schon gekommen: Elia war tatsächlich schon gekommen, aber sie – ein Wort scharfer Zurechtweisung der Schriftgelehrten und ihrer Freunde – „haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm getan, was irgend sie wollten“. Die Jünger erkennen sofort, dass der Herr hiermit niemand anderes meint als Johannes den Täufer. Das hatte Er ja bereits in Kapitel 11,14 erläutert. Elia war längst gekommen, aber die Führer des Volkes Israel haben diesen Menschen in seinem wahren Charakter verkannt. Sie haben verstanden, dass er sie zur Buße aufforderte. Aber das lehnten sie ab. Sie verwarfen seine Botschaft und mit seiner Botschaft auch ihn selbst. So ist seine Ermordung durch Herodes letztlich eine zwangsläufige Folge ihrer schon sehr früh sichtbaren Einstellung zu ihm.

In diesem Zusammenhang mag es nützlich sein, die verschiedenen Ankündigungen in Bezug auf Elia bzw. Johannes den Täufer im Alten Testament zu streifen. Wir haben das ansatzweise schon in Verbindung mit Kapitel 11 getan. Hier möchte ich die entsprechenden Stellen einmal vollständig zitieren.

Elia und Johannes der Täufer im Alten Testament
  1. Jesaja 40,3–5: „Stimme eines Rufenden: In der Wüste bahnt den Weg des Herrn; ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott! Jedes Tal soll erhöht und jeder Berg und Hügel erniedrigt werden; und das Höckerige soll zur Ebene werden, und das Hügelige zur Talebene! Und die Herrlichkeit des Herrn wird sich offenbaren, und alles Fleisch miteinander wird sie sehen; denn der Mund des Herrn hat geredet.“
    Diese Weissagung wird in Lukas 3,4.5 und in Matthäus 3,3 zitiert als ein direkter Hinweis auf Johannes den Täufer. Er hat diese Weissagung direkt erfüllt.
  2. Maleachi 3,1.2: „Siehe, ich sende meinen Boten, damit er den Weg vor mir her bereite. Und plötzlich wird zu seinem Tempel kommen der Herr, den ihr sucht; und der Engel des Bundes, den ihr begehrt: Siehe, er kommt, spricht der Herr der Heerscharen. Wer aber kann den Tag seinen Kommens ertragen, und wer wird bei seinem Erscheinen bestehen? Denn er wird wie das Feuer des Schmelzers sein und wie die Lauge der Wäscher.“
    Das Zitieren des ersten Teils von Vers 1 in Matthäus 11,10, Markus 1,2 und Lukas 7,27 zeigt deutlich, dass der erste Satz durch Johannes damals erfüllt wurde. Der zweite Teil dieses Verses in Verbindung mit Vers 2 zeigt jedoch ebenso klar, dass die eigentliche und endgültige Erfüllung der Weissagung in ihrer Gesamtaussage noch vor uns liegt. Sie wird geschehen, wenn der Herr Jesus noch einmal auf diese Erde kommen wird. Diesem Kommen geht das Feuer des Schmelzers und die Lauge der Wäscher voraus.
  3. Maleachi 3,23.24: „Siehe, ich sende euch Elia, den Propheten, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und furchtbare. Und er wird das Herz der Väter zu den Kindern und das Herz der Kinder zu ihren Vätern wenden, damit ich nicht komme und das Land mit dem Bann schlage.“
    Dieser Vers wird im Neuen Testament nicht direkt zitiert. Er bezieht sich tatsächlich nicht auf Johannes den Täufer, sondern auf einen Propheten, der kurz vor dem zweiten Kommen des Herrn Jesus der Wegbereiter des Herrn sein wird, und zwar im Namen und Charakter Elias. Vielleicht wird er einer der zwei Zeugen sein – oder sie beide sind die Erfüllung der Weissagung Maleachis –, von denen man in Offenbarung 11,6 lesen kann. Diese beiden Zeugen werden in der Kraft von Mose und Elia auftreten, das heißt, sie wirken ganz ähnliche Wunder wie diese.
    Und doch gibt es eine Anspielung auf Maleachi 3,24 im Neuen Testament. Vor seiner Geburt war Johannes angekündigt worden als ein Mann, der „in dem Geist und der Kraft Elias“ auftreten würde (Lk 1,17). Sein Anliegen war eine moralische Erfüllung der Weissagung Maleachis. Denn Johannes sollte tätig sein, „um die Herzen der Väter zu den Kindern zu bekehren und Ungehorsame zur Einsicht von Gerechten“ zu bringen.17 Johannes ist dies nicht gelungen, weil das Volk so widerspenstig war.

Als Johannes im aktiven Dienst war, bekannte er, dass er nicht Elia sei (vgl. Joh 1,21). Denn er war nicht die eigentliche und endgültige Erfüllung der Vorhersagen des Alten Testaments. Wir müssen dabei nicht glauben, dass Elia noch einmal in Person auf diese Erde kommen wird, um zum Volk Israel zu reden und es zur Umkehr zu bringen. Nein, der Mann, der einmal kommen wird, wird ähnlich wie Johannes in der Kraft und im Geist Elias auftreten, aber kein auferstandener und verherrlichter Elia sein.

Ein Ausleger weist darauf hin, dass dieser Mann nicht in Amerika, Europa oder Australien erscheinen wird, sondern nach Israel kommen wird. Da, wo Elia damals zeugte und wo auch Johannes der Täufer war, wird der angekündigte Elia sein Zeugnis ablegen. Sein Dienst ist beschränkt auf das Land Israel. Er wird auch nicht die Kirche oder Christenheit reformieren, sondern, wie gesehen, innerhalb des Volkes der Juden eine Wiederherstellung bewirken.

Der Herr Jesus bestätigt auch an dieser Stelle noch einmal, dass Er als der Sohn des Menschen leiden müsse – genau so wie sein Vorläufer Johannes. Dies war auch in Übereinstimmung mit den alttestamentlichen Propheten. Ähnliches sahen wir am Anfang des 14. Kapitels, wo die Ermordung von Johannes dem Täufer ein Symbol für die Verwerfung und letztlich Ermordung Jesu war. Der Herr hatte immer das Ende seines Lebens hier auf der Erde, seinen Tod, vor Augen. Aber die Ermordung von Johannes erinnerte Ihn in besonderer Weise daran – so wie sicher jede Sünde Ihn an seinen Kreuzestod denken ließ. Wie muss es Ihn aber geschmerzt haben, dass seine Jünger offenbar wenig Anteil an seinen Empfindungen nahmen: Es heißt lediglich, dass sie seine Ausführungen über Johannes verstanden hatten.

Zum Schluss noch ein Vergleich zwischen Elia und dem Herrn. Es gibt ein dreifaches Kommen von Elia: Zunächst trat er natürlich als Prophet im Alten Testament auf. Dann kam er zur Zeit Jesu in der Person Johannes des Täufers. Schließlich wird er vor dem Kommen des Herrn in Person eines Dritten in Israel auftreten. Auch bei dem Herrn Jesus lesen wir von einem dreifachen Kommen: Er kam vor 2000 Jahren auf diese Erde, um zu leiden und zu sterben. Er wird zur Entrückung aller Erlösten von Adam bis zum Ende der Gnadenzeit wiederkommen. Und Er wird auf diese Erde kommen, um in Macht und Herrlichkeit zu herrschen. Während aber für Elia drei Personen nötig sind, um dies alles zu erfüllen, bleibt der Herr immer derselbe. Er allein erfüllt das Herz und den Ratschluss Gottes!

Verse 14–21: Der traurige Zustand der Besten in Israel: der Jünger

„Und als sie zu der Volksmenge kamen, trat ein Mensch zu ihm und fiel vor ihm auf die Knie und sprach: Herr, erbarme dich meines Sohnes, denn er ist mondsüchtig und leidet schwer; denn oft fällt er ins Feuer und oft ins Wasser. Und ich brachte ihn zu deinen Jüngern, und sie konnten ihn nicht heilen. Jesus aber antwortete und sprach: O ungläubiges und verkehrtes Geschlecht! Bis wann soll ich bei euch sein? Bis wann soll ich euch ertragen? Bringt ihn mir her. Und Jesus gebot ihm ernstlich, und der Dämon fuhr von ihm aus; und der Knabe war geheilt von jener Stunde an. Da traten die Jünger für sich allein zu Jesus und sprachen: Warum haben wir ihn nicht austreiben können? Er aber spricht zu ihnen: Wegen eures Unglaubens; denn wahrlich, ich sage euch, wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so werdet ihr zu diesem Berg sagen: Werde versetzt von hier nach dort!, und er wird versetzt werden; und nichts wird euch unmöglich sein. Diese Art aber fährt nicht aus, als nur durch Gebet und Fasten“ (Verse 14–21).

In diesen Versen begegnen wir einem direkten Kontrast zu der Verwandlung des Herrn auf dem Berg. Dort war alles Herrlichkeit und Harmonie. Die Macht Satans war nicht zu erblicken. Alles war in vollkommener Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes, wenn wir einmal von dem törichten Vorschlag von Petrus absehen. Hier dagegen ist die Macht Satans mit Händen greifbar. Zuerst führte der Herr die Seinen in die Herrlichkeit ein, danach kommt Er zusammen mit ihnen sozusagen wieder in diese Welt herab. Wieder offenbart Er seine Vollkommenheit, in diesem Fall durch sein vollkommenes Mitgefühl und seine erhabene Macht.

Damit zeigt uns der Herr Jesus erneut in vorbildlicher Weise, was in der Zukunft geschehen wird. Gott wird in Christus sein herrliches Königreich auf dieser Erde aufrichten (Mt 17,1–8). Er konnte das damals noch nicht tun, weil der Herr Jesus zunächst das Erlösungswerk vollbringen musste. So war es nötig, dass Christus starb und auferstand (Mt 17,9). Bevor Er seine Herrschaft aber antreten wird, kommt noch der „dritte“ Elia (Mt 17,10–13). Und wenn Er wiederkommen wird, wird das zum Segen seines Volkes sein, das Er gesund machen wird (Mt 17,14–21). Dass diese Begebenheit bei allen drei synoptischen Evangelisten direkt nach der Szene der Verwandlung des Herrn steht, verdeutlicht, dass es einen inneren Zusammenhang zwischen den beiden Abschnitten gibt.

Wir finden in der Begebenheit der Verse 14–21 einen Mann, dessen Sohn schwerkrank ist. Wir lesen von Jüngern, die nicht in der Lage sind, die ihnen vom Herrn übertragene Macht über Krankheiten einzusetzen (vgl. Mt 10,1). Wir sehen Satan, der seine ganze Macht dazu verwendet, Menschen in seine Gewalt zu bringen und dort zu halten. Aber da ist auch ein Mensch, der Gott selbst ist und diesem Elend in Macht und Gnade zu begegnen weiß.

Man fragt sich, warum dieser Abschnitt gerade an dieser Stelle steht und welche Bedeutung er in den verschiedenen Belehrungen des Herrn einnimmt. Bislang haben wir öfter gesehen, wie der geistliche Zustand inmitten des Volkes Israel war: sündig, elendig, ohne Gott und Gott nicht die Ehre gebend. Wir haben auch erkennen können, dass dieses Volk durch seine Führer vollkommen fehlgeleitet worden ist. Diese waren nicht nur elend, sie waren auch böse, lästerten Gott und den Herrn Jesus, und verwarfen Ihn in jeder erdenklichen Weise.

Die Jünger waren nicht besser als das übrige Volk

In diesem Abschnitt sehen wir nun, dass selbst die Jünger, die sich der Herr Jesus ausgesucht hatte, damit sie bei Ihm seien und Ihm dienten, letztlich nicht besser waren. Sie waren keine Ungläubigen wie die Führer des Volkes. Aber auch sie muss der Herr Jesus tadeln als ein „ungläubiges und verkehrtes Geschlecht“. Selbst die besten Leute des Volkes – im moralischen Sinn gesprochen – waren grundsätzlich nicht besser als das Volk. Auch sie zeigten durch ihren Lebenswandel und Unglauben, wie notwendig ein Erlöser für das Volk war. Auch sie brauchten einen Erlöser. Auch sie bewirkten durch ihren Unglauben, dass der Herr sein Königreich nicht sofort in Macht und Herrlichkeit aufrichten konnte. Er musste zunächst leiden und sterben und wird erst in Zukunft in Herrlichkeit regieren können. Daher finden wir sofort im Anschluss an diesen Abschnitt die zweite direkte Ankündigung der Leiden und des Todes des Herrn.

Zugleich stellt der Sohn dieses Menschen, der zu Jesus kommt, erneut den elenden und schlimmen Zustand des Volkes Israel vor. Emmanuel, Gott mit uns, war gekommen, um sein Volk in das herrliche Königreich einzuführen. Das Volk aber war sozusagen mondsüchtig und litt schwer. Das, was Gott vollkommen und zum Segen der Menschen erschaffen hatte – die Elemente dieser Erde – waren zu einer Bedrohung der Menschen geworden.

Vielleicht spricht der fehlende Hinweis auf die nähere Herkunft dieses Menschen, der einfach „Mensch“ genannt wird, noch von etwas Weiterem. Bislang lag der Fokus in diesem Evangelium auf dem Zustand des Volkes Israel. Jetzt, wo klar war, dass das Volk seinen König verworfen hatte und daher alle Ansprüche auf den König und sein Königreich verwirkt hatte, zeigte dieser König auf dem „Berg der Verklärung“, wie sein Reich einmal aussehen würde. Hätten dann nicht durch das Versagen der Juden die anderen Nationen ein Recht, in dieses Königreich einzugehen? Als Antwort darauf zeigt uns Gott in Form dieses Menschen, der weder Jude noch Heide genannt wird, dass es überhaupt niemanden gibt, der nicht unter der Macht Satans und der Sünde steht. Nicht nur das Volk Israel war durch die Sünde verunreinigt. Auch die Menschen im Allgemeinen waren gottlos und verloren und verwarfen den Herrn Jesus. Daher finden wir im Anschluss an diese Szene, dass nicht nur die Juden und ihre Führer den Herrn ans Kreuz brachten (Mt 16,21), sondern dass es ebenso die Menschen und damit die Heiden waren, die den Herrn töten würden (vgl. Mt 17,22.23). Alle Menschen sind vereint in ihrem sündigen, gottlosen Zustand.

Auf jeden Fall sehen wir hier – wenn wir den vorbildlichen Charakter dieser Abschnitte erkennen –, wie es in der Welt aussehen wird, wenn der König aus dem Himmel kommt, um sein Königreich auf der Erde aufzurichten. Was wird der Herr dann vorfinden? Er kommt auf eine Erde, die von Satan beherrscht und unterdrückt wird.

Aus Offenbarung 12,9 wissen wir, dass Satan während der Drangsalszeit auf die Erde geworfen wird, und zwar in der Mitte der von Daniel prophezeiten 70. Woche (vgl. Dan 9,27). Satan wird in einer bis dahin nicht gekannten Weise seine Macht ausüben, um wenn möglich Geist, Seele und Körper der Menschen zu zerstören. Genau davon ist die vor uns stehende Begebenheit ein Bild. Tatsächlich werden auch die verständigen Juden nicht in der Lage sein, die Menschen von der Macht Satans zu befreien. Sie müssen warten, bis der Sohn des Menschen auf die Erde kommen wird, um die Herrschaft Satans für immer zu beenden.

Manche Ausleger nehmen an, dass die Verklärung des Herrn in der Nacht geschah, weil dann das Strahlen seines Angesichts und seiner Kleider in besonderer Weise sichtbar wurde. Dadurch erklärt sich auch die Schläfrigkeit der Jünger, von der wir in anderen Evangelien lesen. So kann man auch verstehen, dass dieser Mensch im Anschluss an eine vielleicht besonders schlimme Nacht für seinen Sohn zu den Jüngern kam, die der Herr am Fuß des Berges zurückgelassen hatte.

Der Mensch hatte seinen Sohn zu den Jüngern gebracht, weil er hoffte und erwartete, dass diese den Jungen heilen und retten konnten. Man kann sich gut vorstellen, dass die Jünger einen besonderen Ehrgeiz an den Tag legten, um ihrem Meister (und auch den drei anderen Jüngern, den Führern unter ihnen) zu beweisen, dass sie auch gut alleine zurechtkommen. Wie tragisch dann das Resümee: „Sie konnten ihn nicht heilen.“ So sehr sich die Jünger auch anstrengten, waren sie nicht in der Lage, diesem Menschen zu helfen. Vermutlich haben sie es immer wieder erneut versucht! Mit Hände auflegen, mit Bedrohen, mit Gewalt – kein Ergebnis. Ihr Versagen vergrößerte sogar noch die Verzweiflung des Vaters. Er hatte auf Hilfe gehofft. Wenn aber nicht einmal die Jünger des großen Rabbis helfen konnten: Gab es dann überhaupt noch Hoffnung?

Die Ursache des Versagens der Jünger

Jesus zeigt, was die Ursache dieses Versagens war:

  1. „O ungläubiges und verkehrtes Geschlecht! Bis wann soll ich euch ertragen?“ Es gibt wohl keinen schärferen Verweis des Herrn an seine Jünger als diesen, wenn man von den Worten an Petrus in Kapitel 16 absieht. Der Herr spricht hier nicht von seinem Volk im Allgemeinen, sondern von denjenigen, die schon eine längere Zeit mit Ihm zusammen gewesen waren und von Ihm mit Macht ausgestattet worden waren, Kranke zu heilen (vgl. Mt 10,1).
  2. In 5. Mose 32,5 liest man davon, dass Mose das abtrünnige Volk Israel „ein verkehrtes und verdrehtes Geschlecht“ nennt. In Vers 20 nennt er es „ein Geschlecht voll Verkehrtheit“. In Apostelgeschichte 2,40 lesen wir, dass Petrus die Juden auffordert, sich „von diesem verkehrten Geschlecht retten“ zu lassen. In Philipper 2,15 schließlich nennt Paulus die ungläubigen Menschen um uns her „ein verdrehtes und verkehrtes Geschlecht“. Was für ein Verweis ist es dann, wenn der Herr seine Jünger an dieser Stelle mit diesem Titel bezeichnet!
  3. Sie waren keine Ungläubigen. Aber sie waren durch praktischen Unglauben gekennzeichnet. Und nicht nur das: Der Herr muss sie auch ein „verkehrtes“ Geschlecht nennen. Damit spricht Er von Menschen, die nicht geradlinig leben und handeln, sondern vom geraden Weg hinter dem Herrn Jesus her abkommen oder abgekommen sind.
  4. „Bis wann soll ich euch ertragen?“ Das erinnert uns an das Seufzen Moses: „Ich allein vermag dieses ganze Volk nicht zu tragen, denn es ist mir zu schwer“ (4. Mo 11,14). Während Mose jedoch Gott einen Vorwurf macht über den Unglauben des Volkes, tadelt der Herr die Jünger und ist weit davon entfernt, wie Mose aufzugeben. Der Herr ist nicht empfindungslos über unser Versagen! Im Gegenteil! Er fühlte diesen Unglauben viel stärker als Mose. Aber Er trägt diese Last auch weiter bereitwillig, um den Ratschluss Gottes auszuführen.
  5. Es ist schön zu lesen, dass der Herr den Hauptteil seines Tadels nur mit den Jüngern bespricht. Er muss sie bloßstellen (Vers 17), aber die konkrete Belehrung und Begründung ihres Versagens bespricht Er nur mit ihnen (Vers 19.20). Der Herr möchte unser Versagen nicht in die Öffentlichkeit zerren. Manchmal ist es nötig, die Dinge auch öffentlich klarzustellen. Immer jedoch ist eine über den Tadel hinausgehende Unterweisung in der Stille notwendig.
  6. Die Ursachen für das Versagen der Jünger, die der Herr Jesus in diesen Versen nennt, kann man also wie folgt zusammenfassen:
    a) Unglaube: Sie gebrauchten die vom Herrn Jesus übertragene Macht und Gnade nicht im Glauben, im schlichten und abhängigen Vertrauen auf Gott, sondern im Vertrauen auf sich selbst und die eigenen Anstrengungen. Was nutzt es, wenn der Herr die Macht auf die Erde brachte, wenn die Jünger nicht den Glauben hatten, sie in seinem Sinn zu benutzen?
    b) Verkehrtheit: Sie taten nicht einfach, was sie beim Herrn Jesus gesehen hatten. Er führte seine Wunder im Gehorsam und in Abhängigkeit von Gott und unter Gebet aus. Sie aber gingen einen eigenen Weg, hatten eigene Überlegungen und Vorstellungen und versagten dadurch.
    c) In Vers 21 fügt der Herr hinzu, dass bei den Jüngern Gebet und Fasten fehlte. Um solche Wunder ausführen zu können, bedarf es also eines Zustands der Seele, der in Übereinstimmung mit dem Herrn ist. Die Jünger hatten aus dem Auge verloren, dass sie aus eigener Kraft niemanden heilen konnten. Ihnen fehlte das Bewusstsein der vollkommenen Abhängigkeit von Gott. Zugleich aber handelten sie ohne zu fasten. Das heißt, sie haben nicht alles aus ihrem Leben weggetan, was sie von der vollen Konzentration auf Gott und sein Wirken ablenkte. Wir haben uns schon in Verbindung mit Matthäus 6,16–18 Gedanken über das Fasten gemacht. Beim Fasten geht es nicht um den Verzicht auf böse Dinge, sondern auf solche, die für eine gewisse Zeit nicht lebensnotwendig sind, die aber in der Nachfolge des Herrn ein Hindernis sein können – auch wenn sie an und für sich nicht schlecht sind.

In unserem Abschnitt zeigt der Herr somit, dass die Jünger weder der Beziehung zu ihrem Vater im Himmel noch der Beurteilung ihrer eigenen Person – wahres Selbstgericht – in gottgemäßer Weise entsprachen.

Das redet auch zu unseren Herzen. Wir werden die Gnade unseres Herrn – denn bei uns geht es nicht um Macht – nicht in kraftvoller Weise weitergeben können, wenn wir nicht durch wahrhaftes Vertrauen, durch echte Nachfolge und Nachahmung unseres Herrn, durch Abhängigkeit und Selbstgericht geprägt sind. Glaube heißt, dass wir uns das, was Gott uns schenkt – Macht, Gnade, Liebe, usw. – wirklich zunutze machen, indem wir fest darauf vertrauen, dass Er für jede Situation die richtige Antwort und die richtigen Mittel hat.

Glaube wie ein Senfkorn

Der Herr schließt noch eine weitere Belehrung über den Glauben an: „Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so werdet ihr zu diesem Berg sagen: Werde versetzt von hier nach dort!, und er wird versetzt werden; und nichts wird euch unmöglich sein.“ Dieses Gleichnis kann man vielleicht in zweierlei Hinsicht verstehen.

  1. In Matthäus 13,32 liest man, dass das Senfkorn kleiner ist als alle Samenkörner. Der Herr Jesus zeigt den Jüngern hier also, dass schon ein kleiner Glaube, wenn er aufrichtig und echt ist, ausreicht, um große Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Ein kleiner Glaube ist kein Kleinglaube, denn er ist echt. Kleinglaube ist zu beklagen, wenn man das, was man tun und glauben könnte, nicht tut, weil Sünde, Hochmut (das eigene Ich) oder Eigenwille im Weg steht.
    Kleiner Glaube dagegen ist dann vorhanden, wenn man sich der eigenen Unfähigkeit bewusst ist und damit zu Gott kommt. Genau das tat der Vater des mondsüchtigen Kindes hier. Das aktive Vertrauen mag noch gering sein, aber man weiß, dass man selbst nichts ausrichten kann. Es ist möglich, dass man sich nicht einmal bewusst ist, dass der Herr alles zu tun vermag (vgl. Mk 9,22). Aber man kommt doch zum Herrn Jesus in der Haltung, dass nur Er überhaupt helfen kann (vgl. Mk 9,24). Das ist genau der Parallelbericht über die Heilung des Mondsüchtigen. Während aber Unglaube Kraft in sich selbst sucht oder durch Sünde gar nicht zu Gott aufschaut, zeichnet sich ein kleiner Glaube dadurch aus, dass man Gott in die Situation hineinbringt
  2. Andererseits kann man auch daran denken, dass die Erwähnung des Senfkorns hier nicht notwendigerweise die geringe Größe des Glaubens angibt, sondern auch an eine weitere Eigenschaft des Senfs denken lässt. Es hat eine enorme Wuchskraft. In Kapitel 13 wird das unnatürliche Wachstum des Senfstrauchs betont. Dennoch wissen wir, dass der Schwarze Senf innerhalb eines Jahres bis zu zwei, manchmal sogar bis zu drei Metern hoch wachsen kann. Unter diesem Blickwinkel zeigt uns der Herr, dass der Glaube eine enorme Kraft entfalten kann. Er ist so stark, dass er sogar „Berge versetzen“ kann. Voraussetzung ist, dass wir nicht auf uns sehen, sondern unser ganzes Vertrauen auf unseren Gott, unseren Vater, setzen.

Der Herr Jesus verwendet hier Bildersprache, denn „Glaube“ kann nicht wie ein Senfkorn angefasst und abgemessen werden.18 Dadurch aber wird uns signalisiert, dass auch das „Berge-Versetzen“ bildlich zu verstehen ist. Der Berg ist hier ein Bild für große, menschlich unüberwindbare Hindernisse, die auf dem Weg des Jüngers auftauchen. Mit einem aufrichtigen Glauben, so klein er auch sein mag, kann aber jedes Hindernis zur Seite geschafft werden. Das ist die Botschaft der Worte des Herrn an dieser Stelle! „Nichts wird euch unmöglich sein.“ Was für eine Zusicherung!

Heißt das, dass wir jedes Hindernis in unserem Leben „wegbeten“ können? Natürlich nicht! Denn hier ist von Glauben die Rede. Als die Jünger mit dem Herrn im Boot Not litten (vgl. Mt 8,24) und als sie im Boot ohne den Herrn Not litten (vgl. Mt 14,24), war es Glauben, diesen Hindernissen mit Hilfe des Herrn standzuhalten. In beiden Fällen bedeutete echter Glaube nicht, den Wind wegzubeten, sondern um Kraft und Ausdauer zu beten. Haben die Jünger nicht trotz allen Widerstands letztlich ausgehalten?

Der Glaube ist also auch eine Hilfe vonseiten Gottes, um zu unterscheiden, wie mit dem Hindernis umzugehen ist, in welcher Weise das Hindernis überwunden werden soll. Wenn es aber der Wille des Herrn ist, dann kann mit Glauben sogar ein solch gewaltiges Hindernis wie ein Berg beseitigt werden. Wurde Petrus nicht aus dem Gefängnis befreit, obwohl er sogar zwischen zwei Soldaten gefesselt lag (vgl. Apg 12,6.7)? Auch der letzte Abschnitt unseres Kapitels ist ein weiterer Beweis dafür, wie ein Berg versetzt werden kann. Die Herausforderung für uns liegt heute darin,

  1. diesen echten, wenn auch kleinen Glauben zu verwirklichen, und
  2. dieses Unterscheidungsvermögen zu besitzen, um in der richtigen Weise für die Überwindung von Hindernissen zu beten.

Wir müssen verwirklichen, was Paulus geschrieben hat: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“ (Phil 4,13) – in uns selbst ist keine Kraft, aber die Kraft Gottes in Christus Jesus können wir uns zunutze machen, wenn wir allein auf Ihn schauen und nicht auf uns selbst bauen. Darüber hinaus hat der Herr gesagt: „Meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht“ (2. Kor 12,9). Wenn wir uns mehr bewusst wären, dass die Kraft des Herrn nur in äußerer Schwachheit vollbracht werden kann, würden wir weniger auf äußere Kraftentfaltung setzen und warten.

Auf Christus ist immer Verlass!

Wie großartig, dass der Herr Jesus dieses Versagen der Jünger nicht zum Anlass nimmt, den Mann, der zu Ihm kommt, und dessen Sohn einfach hängen zu lassen. Wie gut auch, dass dieser Mann, nachdem er von den Jüngern enttäuscht worden ist, nicht aufgibt, sondern zum Herrn geht. Er hatte letztlich mehr Glauben als die Jünger in diesen Umständen. Menschen werden andere Menschen am Ende immer enttäuschen – der Herr jedoch enttäuscht nie. Daher ist es auch für uns gut, unsere Kinder, unsere Nöte, ja uns selbst immer wieder zum Herrn Jesus selbst zu bringen.

Nachdem Er seine Jünger getadelt hat, nimmt Er sich des Knaben an. Er lässt den Jungen herbringen und muss „ernstlich“ gebieten, dass der Dämon, der in dem Jungen wohnte, ausfährt. Wir sehen, wie intensiv der Herr mit diesen Folgen der Sünde umgeht. Er treibt den Dämon nicht „so nebenher“ aus. Er verwirklicht in Vollkommenheit, was Er seinen Jüngern vorher tadelnd zeigen musste: mit Glauben Berge zu versetzen. Matthäus betont in diesen Versen besonders die Autorität des Herrn; daher wird die Heilung relativ kurz behandelt. Markus, der Jesus als vollkommenen Diener vorstellt, spricht sehr ausführlich über die Heilung als solche, um zu zeigen, wie der Diener vorgeht (vgl. Mk 9,20–27).

Wir sehen, dass der Herr Macht über Satan hat und diese auch dazu verwendet, diesem seine Beute zu entreißen. Der Herr hatte das in Matthäus 12,29 (vgl. Lk 11,22) angekündigt. Jetzt vollzieht Er nach und nach diesen Schritt.

„Und der Knabe war geheilt von jener Stunde an.“ Was der Herr zu tun beginnt, gelingt immer, und zwar sofort. Hier haben wir die Wundermacht des Emmanuel vor uns, der diejenigen vollständig befreit, die zu Ihm kommen, um gerettet zu werden. Satan muss Ihm gehorchen. Die Diener Satans ebenfalls. Und so vollzieht der Herr ein Stück dessen, was für uns in seiner vollständigen Entfaltung noch zukünftig ist: die Befreiung der Schöpfung von den Folgen der Sünde (vgl. Röm 8,21.23).

Verse 22.23: Die zweite Ankündigung des Todes des Herrn

„Als sie sich aber in Galiläa aufhielten, sprach Jesus zu ihnen: Der Sohn des Menschen wird in die Hände der Menschen überliefert werden, und sie werden ihn töten, und am dritten Tag wird er auferweckt werden. Und sie wurden sehr betrübt“ (Verse 22.23).

Der Herr hält sich wieder in Galiläa auf. Das war die Region, wo Er am meisten gewirkt hatte – Nazareth, Kapernaum, der See Genezareth – und wo man Ihn, obwohl die dort lebenden Menschen von den übrigen Juden selber verworfen wurden, in gleicher und sogar noch gravierender Weise verwarf.

Die zweite größere Ankündigung des Todes des Herrn – insgesamt schon die fünfte nach Kapitel 12,40; 16,21 ff; 17,9.12 – mag an dieser Stelle etwas unvermittelt wirken. Wenn man sich jedoch den Zusammenhang dieser Verse genauer anschaut, versteht man besser, wie passend diese beiden Verse hier sind. Der Hinweis auf die Lokalität bietet eine Erklärung. Denn Galiläa war verworfen in Israel – und der Herr der Verworfene in Galiläa. Ich möchte noch eine zweite Erläuterung geben:

In Kapitel 16 zeigt der Herr durch die erste Ankündigung, dass die Leiden vonseiten seines eigenen Volkes, das Ihn töten würde, die Grundlage für die Bildung der Versammlung sein würden. In unserem Kapitel zeigt Er nun, das seine Leiden und sein Tod die Grundlage für die aufgeschobene, zukünftige Aufrichtung des Königreichs in Macht und Herrlichkeit sind (Verse 1–8). Es ist kein Zufall, dass der Herr zuerst von seinem Tod als Grundlage der Versammlung spricht, denn sie gehört zu dem ewigen Ratschluss Gottes. Obwohl dies nicht auf das irdische Königreich des Herrn in Herrlichkeit zutrifft, vergisst Er es nicht und nennt es als Zweites. Die Jünger mussten nun lernen, dass selbst dieses Königreich nur auf der Grundlage seines Todes würde aufgerichtet werden können.

Interessanterweise gibt es hier eine Parallelität zu Kapitel 16. Dort führen der Unglaube und die Sünden der Juden zum Offenbaren der göttlichen Gedanken über die Versammlung, die keinen direkten Bezug zu Israel hat. Hier nun führen der Unglaube und die Sünden der Heiden – sie sind besonders mit den „Menschen“19 gemeint, was sich ja nicht auf Juden bezieht – zur Aufrichtung des Königreichs des Herrn in Macht und Herrlichkeit.

Jemand hat einmal zusammengestellt, was es ohne den Tod des Herrn nicht gäbe:

  1. ein Königreich in Herrlichkeit (Verse 1–8);
  2. Rettung für das Volk Israel (Verse 14–21);
  3. eine herrliche Zukunft, selbst nicht für die Besten des Volkes, die Jünger (Vers 17);
  4. eine Wiederherstellung der Beziehungen innerhalb des Volkes Israel (Vers 12);
  5. das Kommen Elias (Vers 11);
  6. Befreiung von der Macht Satans (Vers 18);
  7. die Versammlung (Gemeinde, Kirche; Kapitel 16);
  8. Gnade für Sünder und Erlöste.

Erneut nennt der Herr sich mit seinem bevorzugten Namen „Sohn des Menschen“. Und passend zu dem bereits erwähnten Kontext sagt Er, dass der Sohn des Menschen in die Hände von Menschen überliefert würde, die Ihn töten würden. Es ist nicht ausschließlich von Juden die Rede, sondern der Herr benutzt hier die allgemeine Formulierung „Menschen“, die sich sowohl auf Juden als auch auf Heiden beziehen kann. Erneut fügt Er dann hinzu, dass Er am dritten Tag auferweckt werden wird. Wenn Er zu den Jüngern von seinen Leiden spricht, fügt Er diese Hoffnung immer hinzu.

Haben die Jünger ihren Meister verstanden? Es hat den Anschein, dass sie erneut nur die eine Hälfte seiner Worte aufgenommen haben. Markus sagt das ausdrücklich: „Sie aber verstanden das Wort nicht und fürchteten sich, ihn zu fragen“ (Mk 9,32). Lukas verstärkt diesen Punkt noch (Lk 9,45). Durch die Berichterstattung von Matthäus erkennen wir nur, dass sie seinen Hinweis über die Auferstehung nicht erfasst haben. Natürlich war es traurig, dass der Herr sterben würde. Und deshalb konnten sie betrübt sein. Aber es scheint so, dass sie erneut nicht genau zugehört haben. So war der Herr auch hier in seinen Empfindungen letztlich allein. Denn wir lesen nicht, dass sie für Ihn oder mit Ihm betrübt waren. Sie dachten sicherlich daran, dass sie dann alleine zurückbleiben würden.

Was für ein Unterschied tritt zutage, wenn man später die Worte von Petrus liest, nachdem der Heilige Geist begann, in Ihm zu wohnen: „Jesus Christus, den ihr, obgleich ihr ihn nicht gesehen habt, liebt; an welchen glaubend, obgleich ihr ihn jetzt nicht seht, ihr mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude frohlockt“ (1. Pet 1,8). Große Traurigkeit wird hier ersetzt durch überschwängliche Freude. Diese ist nicht Ergebnis von Unnüchternheit, sondern beruht auf dem Glauben, der nicht sehen muss, sondern das Unsichtbare für wahr hält und so an dem festhält, der gestorben und auferstanden ist.

Verse 24–27: Sohn des Königs – Sohn Gottes

„Als sie aber nach Kapernaum kamen, traten die Einnehmer der Doppeldrachmen zu Petrus und sprachen: Zahlt euer Lehrer nicht die Doppeldrachmen? Er sagt: Doch. Und als er in das Haus eintrat, kam Jesus ihm zuvor und sprach: Was meinst du, Simon? Von wem erheben die Könige der Erde Zoll oder Steuer, von ihren Söhnen oder von den Fremden? Petrus sagt zu ihm: Von den Fremden. Jesus sprach zu ihm: Demnach sind die Söhne frei. Damit wir ihnen aber keinen Anstoß geben, geh an den See, wirf eine Angel aus und nimm den ersten Fisch, der heraufkommt, tu sein Maul auf, und du wirst einen Stater finden; den nimm und gib ihnen für mich und dich“ (Verse 24–27).

Der Herr kommt mit seinen Jüngern noch einmal in seine Stadt, nach Kapernaum. Dort spielt sich eine Begebenheit ab, die wir nur im Matthäusevangelium finden. Es ist klar, dass sie dadurch eine besondere Bedeutung in Bezug auf den Schwerpunkt dieses Evangeliums haben muss. Wir fragen uns also, warum Gott diese Begebenheit und dieses Wunder gerade in unserem Evangelium platziert hat.

Wenn Gottes Wort keine konkrete Antwort auf eine solche Frage gibt, müssen wir vorsichtig sein, in Absolutheit zu antworten. Dennoch scheint mir Folgendes beim Lesen dieser vier Verse aufzufallen:

Warum steht die Begebenheit der Doppeldrachme gerade im Matthäusevangelium

Der Herr Jesus bezeichnet sich als König bzw. Königssohn (Vers 25) – das ist das Thema unseres Evangeliums. Zugleich zeigt Er in dieser Begebenheit, dass Er der im Alten Testament vorhergesagte Emmanuel, „Gott mit uns“, ist, denn:

  1. Er ist allwissend: Er weiß, was Petrus mit den Einnehmern der Doppeldrachme besprochen hat, obwohl Er nicht an diesem Gespräch teilgenommen hat.20
  2. Er ist allmächtig: Er ist in der Lage, den entsprechenden Betrag durch ein Wunder herbeizuschaffen.

Zudem verbindet der Herr hier seine Herrlichkeit als Jahwe, Emmanuel, mit der Herrlichkeit des Messias. Denn im Blick auf die Tempelsteuer, weswegen die Einnehmer der Doppeldrachme auf Petrus zukommen, ist der Herr der Sohn Gottes, der sich seinem Volk gegenüber als Jahwe offenbart hat. In seiner Begründung aber spricht der Herr von den Königen der Erde. Er selbst war König – aber nicht irgendeiner: Er war der Messias Gottes, der Gesalbte. Gerade deswegen passt diese Begebenheit so gut in dieses Evangelium. Zudem konnten Juden und Christen, die aus dem Judentum stammten, diese Hinweise über die Tempelsteuer besonders gut verstehen. Matthäus muss daher für sie auch keine weiteren Erläuterungen dazu machen.

Wir sehen an dieser Begebenheit auch, dass der Herr der Schöpfer ist. Das hängt natürlich mit seiner Allmacht eng zusammen. Er bestimmt über seine Geschöpfe, das sind hier die Fische. Er bestimmt über das Geld. „Mein ist das Silber und mein das Gold, spricht der Herr der Heerscharen“ (Hag 2,8). Er offenbart sich als der, durch den und für den alle Dinge geschaffen worden sind (Kol 1,16; Heb 1,3). Dennoch staunen wir darüber, dass Er sich auch als Schöpfer so demütig und unterordnend verhält.

  1. Dieser Schöpfer ordnet sich als Mensch den irdischen Obrigkeiten unter (Vers 27 b).
  2. Dieser Schöpfer ist so demütig, dass Er sich auf die Stufe von Petrus stellt und diesen auf seine Stufe erhöht: In der Person von Petrus versetzt Er seine Jünger in sein eigenes Verhältnis zu seinem himmlischen Vater, und das im Blick auf den Gott, der in dem Tempel angebetet wurde.
  3. Dieser Schöpfer wird von seinem Volk verachtet und verworfen. Doch auch als Verworfener identifiziert Er sich weiter mit den Seinen und zeigt, dass Er ein Sohn seines Volkes ist und bleibt. Aber war Er nur ein „Sohn seines Volkes“? Nein, Er war sein König, Gott selbst, Jahwe.
  4. Wenn der Herr von Söhnen spricht, kann Er sich nicht auf Söhne des Volkes Israel im Allgemeinen beziehen. Denn vom Volk wurde ja die Steuer erhoben. Er bezeichnet sich somit als Sohn dessen, dem der Tempel gehörte, als Sohn Gottes. Dennoch ist Er, der Sohn, bereit, die Tempelsteuer zu bezahlen. Zudem verbindet Er Petrus nicht nur mit sich selbst, sondern macht sich mit diesem eins, als ob sie beide „Söhne“ auf einem gleichen „Rang“ wären..

In Kapitel 18 im Anschluss an diese Begebenheit lesen wir, dass dieser König seinen Jüngern eine Belehrung über Erniedrigung und Demut gibt. Hier zeigt Er zuvor seine moralische Größe und seine freiwillige Erniedrigung.

Wir haben diese Eigenschaften Christi auch an anderer Stelle schon gefunden. Hier aber sind sie von besonderer Bedeutung, weil der Herr in den Kapitel 16 und 17 das Beiseitestellen seines Volkes sowie das Aufschieben der Herrlichkeit des Königreichs gezeigt hat. Am Ende dieser Kapitel zeigt der Herr jedoch, dass Aufschieben nicht Aufheben heißt. Der Herr bleibt weiter König bzw. Sohn. Er ist derjenige, dem das Reich gehört. Er wird diesen Titel und diese Ansprüche nicht aufgeben, auch wenn es für eine Zeit so aussehen mag.

Die Doppeldrachmen-Steuer

Erneut finden wir in diesem Abschnitt ein Beispiel dafür, dass sich seine Ankläger nicht direkt an den Herrn wandten, sondern seine Jünger angingen (vgl. z.B. Mt 9,11; 15,12). Bei ihnen vermuteten sie – zu Recht –, leichteres Spiel zu haben. In diesem Fall gehen die Einnehmer der Doppeldrachmen zu Petrus. Er war für Außenstehende offenbar als erster Jünger immer wieder zu erkennen. Bezeichnend ist auch, dass sie ihn nicht fragten, ob er selbst die Steuer bezahlt hätte – denn das hatte er offenbar nicht, weil der Herr später sagt: „... gib ihnen für mich und dich.“ Sie hatten es lediglich auf den Herrn Jesus abgesehen! Das zeigt ihre Unredlichkeit in dieser Sache.

Man fragt sich zunächst, was es mit dieser Doppeldrachme auf sich hat. Aus 2. Mose 30,11–16 wissen wir, dass bei Volkszählungen (Vers 12) eine Sühnabgabe von einem halben Sekel21 zu leisten war. Dieses Sühngeld war jedoch nie als eine zu wiederholende Abgabe gedacht.

Diese Zusatzabgabe wurde offenbar zur Zeit Nehemias erhoben: „Und wir verpflichteten uns dazu, uns den dritten Teil eines Sekels im Jahr für den Dienst des Hauses unsers Gottes aufzuerlegen: für das Schichtbrot und das beständige Speisopfer und für das beständige Brandopfer und für das der Sabbate und der Neumonde, für die Feste und für die heiligen Dinge und für die Sündopfer, um Sühnung zu tun für Israel, und für alles Werk des Hauses unsers Gottes“ (Neh 10,33.34).

Interessanterweise finden wir schon in 2. Chronika 24,6 unter der Regierung des gottesfürchtigen Königs Joas einen Hinweis auf eine solche Tempelabgabe: „Da rief der König Jojada, das Haupt, und sprach zu ihm: Warum hast du die Leviten nicht aufgefordert, aus Juda und Jerusalem die Steuer einzubringen, die Mose, der Knecht des Herrn, der Versammlung Israels für das Zelt des Zeugnisses auferlegt hat?“ Eigenartig ist dies insofern, als wir in 2. Mose 30,16, worauf sich Joas offenbar bezieht, keinen Hinweis auf eine wiederholte Abgabe finden.

Wahrscheinlich hat sich diese zusätzliche Abgabe dann später eingebürgert, so dass Nehemia darauf Bezug nehmen konnte, dann auch die Verantwortlichen für den Tempel zur Zeit Jesu. Gott hatte diese Steuer nicht eingeführt, hat sie dann aber geduldet. So wendet sich der Herr Jesus hier auch nicht gegen diese Steuer als solche, sondern dagegen, dass sie von Ihm gefordert wird. Nach jüdischer Tradition wurde dieser Steuer am Ende des Monats Adar (vgl. Esra 6,15; Est 3,7; ungefähr März) erhoben, offensichtlich aber ging es hierbei um eine Tempelsteuer, die jeder Israelit ab Vollendung des 20. Lebensjahrs zu zahlen hatte, um den Erhalt des Tempels zu gewährleisten. Nur die Priester erhoben den Anspruch, von dieser Steuer ausgenommen zu sein, weil sie selbst für den Tempel „arbeiteten“. Allerdings gab es Schriftgelehrte, die ihnen dieses Recht absprechen wollten.

Übrigens gibt diese Begebenheit durch den Bezug auf die Tempelsteuer einen gewissen Hinweis auf die Abfassungszeit des Evangeliums. Offensichtlich stand dieser Tempel noch und war auch diese Steuer für die Empfänger dieses Evangeliums noch aktuell. Wenn das so ist, müsste die Abfassung dieses Evangeliums vor der Zerstörung des Tempels erfolgt sein (vgl. auch Mt 5,23; 23,16 ff.; 24,1 ff.).

Der „alte“ Simon

Petrus, auf das Geben der Steuer seines Herrn angesprochen, weiß nichts anderes zu tun, als sofort zu antworten: „Doch“ – natürlich habe sein Meister diese Abgabe bezahlt. Dabei muss man allerdings bedenken, dass die Frage genau so gestellt wurde, dass als Antwort erwartet wurde: „Ja, gewiss!“22 Petrus hat wieder einmal vergessen, zuvor seinen Meister zu fragen, was dieser denn wirklich getan hat bzw. was dieser antworten würde. Und von einem Gebet zu Gott lesen wir auch nichts. Man kann sich gut vorstellen, dass der Gedanke von Petrus war: „Mein Herr ist ein guter Jude. Er ist der beste Jude! Also wird Er diese Abgabe schon bezahlt haben, denn Er ist ja in allem vollkommen.“ Petrus wollte nicht den Hauch des Eindrucks entstehen lassen, dass sein Herr die Abgabe übersehen oder vergessen habe – ein menschlich nachvollziehbarer Gedanke. Er wollte sicherstellen, dass nur das Beste von seinem Meister gedacht wurde. Das Motiv war gut, aber es fehlte Petrus die Einsicht. Seine Antwort ist umso erstaunlicher, als er selbst ja – wie wir gesehen haben – die Steuer nicht bezahlt hatte. Bevor wir zu der Antwort unseres Herrn kommen, fällt noch der Titel auf, den diese Steuereintreiber dem Herrn geben: „euer Lehrer“. Aus diesen beiden Wörtern können wir Folgendes entnehmen:

  1. Diese Menschen hatten keine Beziehung zum Herrn Jesus. Es war nicht „unser“ sondern „euer“ Lehrer.
  2. Diese Menschen wollten sich dem Herrn Jesus nicht unterordnen. Er war nicht ihr Herr – er war für sie einer der vielen Lehrer, die es in Israel gab.
  3. Sie sahen in Christus nicht den König, nicht den Herrn, nicht Emmanuel, den Sohn Gottes, sondern nur einen Lehrer, jemanden, der andere belehrte und eine gewisse Weisheit besaß. Moralische Autorität wollten sie bei Ihm nicht anerkennen.

Aus dem 25. Vers lernen wir dann noch einmal, wer der Herr Jesus wirklich ist. Petrus kommt ins Haus, in dem der Herr anscheinend schon länger weilte. Er war offensichtlich nicht beim Gespräch von Petrus mit diesen Menschen dabei gewesen. Aber Er wusste alles, was sie miteinander besprochen haben. Er ist allwissend! Bevor Petrus irgendetwas zu Ihm sagen kann oder auch versuchen könnte, das entsprechende Geld zu beschaffen, kommt der Herr ihm zuvor, über das Thema zu sprechen. Es heißt ausdrücklich, dass Er diesem zuvorkam. Petrus musste eine weitere Lektion lernen – insofern war der Titel „Lehrer“ nicht verkehrt gewählt.

Freiheit für die Söhne

„Was meinst du, Simon? Von wem erheben die Könige der Erde Zoll oder Steuer, von ihren Söhnen oder von den Fremden?“, sind zwei Fragen des Herrn. Der Herr benutzt ein Bild, das nichts direkt mit der Tempelsteuer zu tun hat. Er spricht von Handels- bzw. Kopfsteuern, die der „politische“ König in seinem Land festlegen kann für alle seine Untertanen.

Handelssteuern werden in der Regel von Ausländern verlangt. In diesem Sinn könnte „Fremde“ sich auf Nicht-Israeliten beziehen. Dann wären die „Söhne“ alle Einheimischen. Da der Herr aber zugleich von der Steuer, offenbar der Kopfsteuer spricht, die gerade von den „Inländern“ zu zahlen ist, scheint sich der Herr doch mit dem Hinweis auf die „Fremden“ auf Aus- und Inländer und mit dem Hinweis auf die „Söhne“ auf die Familie des Königs zu beziehen. Es wäre absurd gewesen, wenn die Kinder des König Steuern hätten zahlen müssen, die letzten Endes an ihren Vater geht. Sie waren daher von dieser Pflicht ausgenommen.

Was möchte der Herr seinem Jünger nun vermitteln?

  1. Der Herr spricht Petrus mit seinem alten Namen an. Drückt das nicht sofort aus, dass Petrus nicht in der Kraft Gottes gehandelt hatte, sondern dass der „alte“ Petrus, das Fleisch des Jüngers, wirksam geworden war?
  2. Dennoch weist der Herr seinen Jünger in einer liebenswürdigen Weise zurecht. Wir lesen nicht, dass Er das vor den Steuerbeamten oder vor anderen Jüngern getan hätte. Er gibt Simon auch die Möglichkeit, seinen Fehler selbst zu entdecken und zu korrigieren, um für die Zukunft zu lernen.
  3. War der Herr eigentlich verpflichtet, diese Steuer zu bezahlen? Es ging um eine Steuer, die für den Tempel erhoben wurde, also mit dem religiösen System, mit dem jüdischen Gottesdienst, in Verbindung stand. Der Herr hätte sofort darauf hinweisen können, dass Er der Gott Israels, der Herr, war, für den die Tempelsteuer ja letztlich gegeben werden sollte. Aber das tut Er nicht sofort – Er benutzt einen Vergleich. Er möchte, dass Petrus selbst erkennt, wie abwegig es ist, diese Steuer von seinem Meister zu verlangen. Darauf hätte Petrus mit etwas Nachdenken auch kommen können.
  4. Zoll oder Steuern wurden doch nicht von der Familie der Könige erhoben, sondern von denjenigen, die nicht zur Familie gehörten. Bei diesem Ausdruck geht es hier nicht, wie wir gesehen haben, um Heiden, die nicht zum Volk Israel gehörten, sondern um solche, die nicht zur Familie des Königs gehörten.
  5. Der Herr verfolgt das Bild des Königs nicht weiter. Es ist zunächst nur ein Vergleich, der für Petrus und jeden anderen sofort einsichtig war. Die Lehre daraus aber bezieht Er jetzt auf die Tempelsteuer. Wem gehörte der Tempel – wer wohnte darin (eigentlich)? Gott. Also war sein Sohn, der Sohn Gottes, von dieser Steuer befreit. Der Herr sieht sich hier offenbar in der Stellung des Messias, des „Sohnes Gottes“ (Psalm 2), der von Gott als Sohn hier auf der Erde anerkannt wurde als Gottes Gesalbter.
  6. Wie schon erwähnt, verbindet sich der Herr mit seinem Jünger. Dieser hatte versagt. Das aber nimmt der Meister nicht zum Anlass, sich von diesem zu distanzieren. Nein, auch wenn Er hier deutlich zeigt, dass Er selbst der Sohn Gottes ist, so identifiziert Er sich mit Petrus und spricht von diesem und von sich als von „Söhnen“. Sie gehörten zur selben Familie. Was für eine Herablassung!

Petrus erkennt durch die Hinweise des Herrn sofort, dass er überhaupt nicht nachgedacht hatte, als er den Zollbeamten sagte, der Herr würde die Steuer bezahlen. Er selbst hatte doch nicht lange Zeit zuvor bezeugt, dass der Herr „der Sohn des lebendigen Gottes“ ist. Wie muss es ihn selbst beschämt haben, dass er das schon wieder aus den Augen verloren hatte.

„Demnach sind die Söhne frei“, fügt der Herr hinzu. Die Söhne sind nicht solche, die etwas zahlen müssen, sondern die mit ihrem Vater Erbgenossen sind. Ihnen wird gegeben, ihnen wird geschenkt, ihnen gehört alles!

Die Worte des Herrn erinnern mich an Johannes 8,36, wo wir seine Worte lesen: „Wenn nun der Sohn euch frei macht, werdet ihr wirklich frei sein.“ Wen der Sohn zum Freien erklärt, der ist frei. Und wer frei ist, der soll als Freier leben und sich nicht unter ein Joch bringen lassen!

Es ist bemerkenswert, dass unser Meister nicht von sich in der Einzahl spricht, sondern von Söhnen. Schon hier und erneut im Folgenden stellt Er Petrus und alle anderen Jünger in seiner vollkommenen Gnade auf eine Stufe mit sich selbst.

Der König und der Sohn Gottes: eine Person

Bevor wir zu dem Schlussvers dieses Kapitels kommen, schauen wir uns noch die beiden Seiten der Herrlichkeit des Herrn an, die der Herr Jesus hier selbst vorstellt. Zunächst spricht Er von den Königen der Erde. War Er nicht der wahre König, den Gott nach Psalm 2,6 auf der Erde als „sein König“ eingesetzt hatte? Das war Er! Nicht von ungefähr benutzt der Herr dieses Bild. Er möchte nämlich nicht nur zeigen, dass Er der Sohn Gottes ist, sondern dass der Sohn Gottes niemand anderes ist als derjenige, der als König Israels das unwiderlegbare Anrecht besaß, über Israel zu regieren.

Als Sohn dessen, welcher der Gott des Tempels in Jerusalem war, hatte Er zudem das Recht, alles, was in Verbindung mit dem Tempel stand, anzuordnen. Er war der Sohn über das Haus Gottes (Heb 3,6). Aber diese beiden „Personen“ – der König und der Sohn Gottes – waren keine zwei verschiedenen Personen. Es handelte sich um ein- und dieselbe Person. Das aber wollten weder die Tempeldiener noch die Schriftgelehrten noch die Juden anerkennen. Der Herr aber macht dies seinem Jünger und durch dieses Evangelium den Empfängern dieses Buches klar.

So steht der Herr auch in dieser Begebenheit in seiner vielfältigen Herrlichkeit vor uns. Er ist der Schöpfer. Er ist der wahre König, der Messias. Er ist der Sohn Gottes. Wir dürfen das anbetend bewundern.

Der Schöpfer und König erniedrigt sich

Der Schlussvers unseres Kapitels ist dann doppelt beeindruckend. Der Herr hatte soeben deutlich gemacht, dass Er diese Steuer nicht zahlen muss. Er war der Sohn Gottes, der frei war. Er war zudem der König Israels. Was für eine „Schuld“ hatte Er dann noch zu begleichen? Keine! Im Gegenteil: Er hatte das Recht, sowohl Zoll und Steuer als auch die Doppeldrachme einzunehmen.

Warum lesen wir dann, dass Er dennoch die Zahlung vornimmt? „Damit wir ihnen aber keinen Anstoß geben.“ Wenn unser Herr und Gott, der Herrscher und Gebieter über alles ist, in solch demütiger Weise gehandelt hat, wie viel mehr sind wir auch heute aufgefordert, solche Ansprüche von Menschen und in Besonderheit von der Obrigkeit zu erfüllen, auch wenn wir als Himmelsbürger (Phil 3,20) nicht mehr zur Erde gehören (vgl. Röm 13,5–7; 1. Pet 2,13–17). Wir sollten den Menschen dieser Welt nie einen Anlass zum Ärgernis oder zu Klagen geben.

Auch die Art und Weise, wie der Herr dafür sorgt, dass dieses Steuergeld beschafft wird, ist zu Herzen gehend:

  1. Der Herr hatte kein Geld bei sich. Er war hier auf der Erde der Arme! Wir lesen nicht von vielen Dingen, die Er besessen hätte. Wir lesen davon, dass Er „sein“ Kreuz trug. Wir lesen davon, dass „seine Kleider“ verteilt wurden. Nicht einmal einen Ort besaß Er, wo Er seinen Kopf hinlegen konnte. Und hier hatte Er nicht einmal eine Doppeldrachme, um sie für sich zu geben. Der Herr vertraute in allem darauf, dass sein Vater Ihm das geben würde, was Er nötig hatte, und zwar genau dann, wenn Er es nötig hatte.
  2. Der Herr vollbringt kein Wunder, durch das Er aus dem Nichts heraus das Geld herbeischafft. Der Herr tut ein Wunder, aber das Wunder besteht darin, dass Er auf das Bestehende zurückgreift. Er benutzt einen Fisch, so wie Gott für Jona einen Fisch bestellte und für Elia Raben. Dieser Fisch fand zur rechten Zeit am rechten Ort genau das Geldstück, das der Herr Jesus benötigte. Und er schwamm genau an der Stelle, wo Petrus seine Angel auswerfen würde. Der Herr greift seit der Schöpfung auf Bestehendes zurück; auch heute tut Er es, auch wenn Er als der Schöpfer-Gott weiter aus dem Nichts schaffen könnte.
  3. Wer würde einen Fisch zu seinem Bankier machen? Bei Gott sind alle Dinge möglich! Vielleicht kann man mit dieser Begebenheit auch den Gedanke an den Tod, mit dem der Fisch im Alten Testament verknüpft wird, als ein symbolisches Bild verbinden: Unsere ewigen Bedürfnisse werden durch den Tod Jesu beantwortet. Aus dem Wasser wurde der Fisch genommen, und aus den Tiefen die Bedürfnisse gestillt. „Tiefe ruft der Tiefe beim Brausen deiner Wassergüsse; alle deine Wogen und deine Wellen sind über mich hingegangen“ (Ps 42,8).
  4. Der Herr verbindet auch hier Petrus mit sich. Er stellt diesen erneut auf dieselbe Stufe wie sich selbst. „Gib ihnen für mich und dich.“ Der Herr war letztlich der Einzige, der direkt zur königlichen Familie gehörte. Aber Er zählt seine Jünger zu sich. Sie gehören zu Ihm. Er ist für sie wie ein Vater. „Für mich und dich“ – der Herr steht an der ersten Stelle, aber Er verbindet uns mit sich.
  5. Der Fisch bringt genau den Betrag, der zu zahlen ist: ein Stater, der zwei Doppeldrachmen entspricht. Das Wunder, das der Herr vollbringt, ist genau angemessen und passend: nicht mehr und nicht weniger, als der Herr benötigt für diese Steuer. Denn der Schöpfer des Universums lässt nichts umkommen.
  6. Selbst der größte Regierungsumfang, den Gott jemals dem gefallenen Menschen auf der Erde gegeben hatte – und zwar dem gewaltigen Herrscher Nebukadnezar, dem Haupt aus Gold (Dan 2) – umfasste nicht die Tiefe der Wasser und ihre unzähligen Bewohner. Nur dem Sohn des Menschen wird die Gewalt über das Wasser und die Fische geben. Schon in Psalm 8,9 wird das vorhergesagt – in unserer Begebenheit sehen wir diese Macht allerdings schon ganz praktisch offenbart. So musste der Herr auf diese Gewalt nicht warten, bis Er auferstanden war. Er erweist sich erneut als der ewige Gott und Gottes Sohn.

Mit diesem Abschnitt kann man noch einen weiteren Gedanken verbinden: Der Herr Jesus bezahlt das, was Ihm auferlegt wird, auch wenn Er nicht die Pflicht hatte, diese Steuer zu geben. Dadurch macht Er sich in seiner Gnade mit den gläubigen Übriggebliebenen des Volkes eins, von denen diese Doppeldrachme gefordert wurde. So wird seine moralische Schönheit, aber auch seine moralische Autorität sichtbar. Wer sich so demütig verhält, kann in vollkommener Weise über Erniedrigung sprechen.

Wir lernen aus diesem Verhalten des Herrn, dass wir nie auf unseren finanziellen Rechten bestehen sollten. Wenn Er es nicht getan hat, warum wir? Wie in dieser Szene wird der Herr uns das geben, was wir im Vertrauen auf Ihn bezahlen, auch wenn wir dazu nicht verpflichtet sind, es aber von uns gefordert wird. Es ist das große Wunder Christi und das praktische Wunder des Christentums, erhaben und zugleich demütig zu sein. Wir dürfen heute das Bewusstsein der Herrlichkeit genießen und durch diese Welt als Söhne der Herrlichkeit und Söhne Gottes gehen. Aber unser Herr ruft uns auf, demütig und sanftmütig zu sein, keinen Platz für sich oder Christus zu beanspruchen.

Matthäus 16.17 als Einführung zu den beiden Petrusbriefen

Zum Abschluss dieses interessanten Kapitels möchte ich noch auf eine schöne Verbindung der Kapitel 16 und 17 zu den beiden Petrusbriefen hinweisen:

  • Der 1. Petrusbrief gründet sich auf Matthäus 16, wo wir die Versammlung Gottes als das Haus Gottes finden. Das ist das große Thema des ersten Briefes von Petrus. Christus ist der Fels, auf dem die Versammlung ruht. Er ist der Sohn des lebendigen Gottes. Das zeigt Petrus in seinem Brief. Die Gläubigen sind durch die Auferstehung Christi aus den Toten zu einer lebendigen Hoffnung wiedergeboren worden. Gerade in dieser Auferstehung ist die Macht des Lebens des lebendigen Gottes offenbart worden. Christus ist als der lebendige Stein die Grundlage, auf der alles ruht. Wir sind lebendige Steine, die zu einem heiligen Tempel im Herrn aufgebaut werden.
  • Der 2. Petrusbrief gründet sich auf Matthäus 17. Petrus erinnert ausdrücklich an die Herrlichkeit der Verklärung, die ein Beweis der Ankunft des Reiches des Sohnes des Menschen ist. Und damit steht das Gericht in Verbindung, das Petrus in seinem zweiten Brief sehr ausführlich ankündigt.

Fußnoten

  • 1 Das ist übrigens auch ein deutliches Zeichen, dass Maria nie eine Sonderstellung unter den Gläubigen oder den Menschen überhaupt eingenommen hat. Sie wurde – wie die Brüder des Herrn – nie auf eine Stufe mit dem Herrn gestellt. Im Gegenteil!
  • 2 Tetrarch heißt übersetzt Vierfürst. Dieser Titel wurde ursprünglich dafür vergeben, dass ein Reich in vier Teile aufgeteilt wurde und ein Tetrarch über den vierten Teil des Reiches regierte. Später wurde dieser Begriff etwas allgemeiner gefasst als Herrschaft über einen Teil eines größeren Reichsgebietes. Ein Stiefbruder von Herodes Antipas, Herodes Philippos, war ebenfalls Vierfürst und regierte über Ituräa, Golan und Trachonitis. Ein weiterer Bruder von Herodes Antipas war Herodes Archelaus, der genauso als Vierfürst über Judäa, Samaria und Idumäa herrschte.
  • 3 In Johannes 6 lesen wir, dass der Herr die Brote verteilte. In diesem Evangelium wird Er uns als Sohn Gottes gezeigt, der niemandes bedurfte.
  • 4 Interessanterweise gibt es diese beiden Teile – schriftliche und davon zu unterscheidende mündliche Überlieferung – auch im Islam.
  • 5 Man muss an dieser Stelle anfügen, dass nicht immer, wenn es im Neuen Testament um „Überlieferungen“ geht, die Traditionen von Menschen gemeint sind. In 1. Korinther 11,2, 2. Thessalonicher 2,15 und 3,6 geht es um göttlich inspirierte Belehrungen des Apostels Paulus. Diese Überlieferungen sind also nichts anderes als Gottes Wort, das uns durch die Apostel und Propheten in inspirierter Weise „überliefert“ worden ist. Der Zusammenhang macht deutlich, dass in Stellen wie Galater 1,14 oder Kolosser 2,8 menschliche Überlieferungen gemeint sind.
  • 6 Vielleicht ist das auch der Grund, schreibt William Kelly, dass es heute manche ängstlichen Personen gibt, die nicht wissen, was mit ihren Sünden ist und die deshalb immer wieder das „Vater unser“ (Mt 6) beten, damit Gott ihnen positiv gesonnen ist. Sie kommen zu Gott als zu ihrem Vater und bitten Ihn, mit ihnen als mit Kindern zu handeln. Aber genau diese Stellung genießen sie gar nicht. Sind sie Kinder? Können sie wirklich sagen, dass Gott ihr Vater ist? Gerade davor würden sie zurückschrecken (obwohl das für jeden wahr ist, der Jesus Christus als seinen persönlichen Retter annimmt). Sie wünschten, dass es so ist, aber sie haben Angst, dass es nicht so ist. Daher haben sie auch kein „Recht“, auf dieser Grundlage zu dem Vater zu kommen.
  • 7 Zu diesem Punkt gibt es noch eine zu Herzen gehende Parallele im Alten Testament. Manche Ehefrauen von Männern Gottes sind Vorbilder auf die Versammlung Gottes. Eva, die Frau von Adam, gehört dazu. Ein schönes Beispiel ist auch Rebekka, die Ehefrau von Isaak. Wir wissen, dass sie gestorben ist. Aber eine Mitteilung über ihren Tod suchen wir im Alten und Neuen Testament vergeblich. Soll uns das nicht andeuten, dass die Versammlung nicht dem Tod unterliegt? Viele Gläubige sind in den vergangenen fast 2000 Jahren gestorben (heimgegangen). Die Versammlung ist in ihrer Existenz dadurch nie beeinträchtigt worden. Wenn der Augenblick kommt, dass der Herr Jesus wiederkommt, dann werden die lebenden Gläubigen verwandelt werden (1. Thes 4,17). Und die Versammlung? Sie wird von einem Augenblick auf den nächsten im Himmel sein. Der Tod hat sie nie „berührt“ und wird es auch nie tun. Die Amme Rebekkas, die mit ihr zu Isaak gezogen war (1. Mo 24,59), starb (1. Mo 35,8). Sie ist ein Bild des Zeugnisses der Versammlung auf der Erde, das tatsächlich zu Ende gehen wird. Aber die Versammlung als solche hat mit dem Tod nichts zu tun.
  • 8 In diesem Zusammenhang ist es interessant zu sehen, dass Petrus in der Apostelgeschichte Jesus als Christus verkündigt, als den angekündigten Sohn Davids (vgl. z.B. Apg 2,31.36; 3,18.20; 5,42). Stephanus erweitert dann den Blick am Ende seiner Leiden, wenn er davon spricht, dass er den Sohn des Menschen sieht (vgl. Apg 7,56). Erst Paulus verkündigt Jesus als Sohn Gottes, das aber sofort nach seiner Bekehrung (vgl. Apg 9,20). Hieran sehen wir, dass Petrus zwar die Offenbarung der Herrlichkeit des Sohnes des lebendigen Gottes und der Versammlung bekam, dass seine Hauptaufgabe jedoch das Königreich der Himmel war, nicht die Versammlung, während die Hauptaufgabe von Paulus in der Verwaltung der Versammlung bestand, beauftragt durch Gott selbst und den Herrn Jesus Christus.
  • 9 Genau genommen handelt es sich nicht um die erste Ankündigung. Denn schon in Matthäus 12,41 hat Er den Pharisäern und Schriftgelehrten gezeigt, dass Er als der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte in dem Herzen der Erde sein würde. Aber dort spricht Er noch nicht deutlich von seinen Leiden, sondern mehr in einer geheimnisvollen Weise von seinem Tod.
  • 10 Wahrscheinlich hat sich der Ausdruck „Berg der Verklärung“ durch die Bibelübersetzung Martin Luthers eingeprägt. Er benutzte für das Wort „verwandeln“ (Vers 2) den Ausdruck „verklären“.
  • 11 Interessanterweise verwendet Lukas eine andere Reihenfolge bei der Nennung der drei Namen als Matthäus und Markus. Schon bei der Nennung der drei in Verbindung mit der Auferweckung der Tochter des Jairus steht bei Lukas Johannes vor Jakobus. Offenbar bezieht sich der dritte Evangelist stärker auf die Aufgaben und die Stellung, die Petrus und Johannes später unter den ersten Christen eingenommen haben, während Matthäus und Markus die Reihenfolge der Berufung des Herrn (vgl. Mt 10,2) in den Vordergrund stellen.
  • 12 Zwei weitere Male lesen wir davon, dass der Herr auf einem Berg war. Nach Kapitel 4,8 maßte sich Satan an, den Herrn der Herrlichkeit auf einen sehr hohen Berg mitnehmen zu können, um Ihm alle Königreiche dieser Welt zu zeigen. Der Herr lässt das geschehen. Dann werden wir damit vertraut gemacht, dass wir es mit einem betenden König auf dem Berg zu tun haben (vgl. Mt 14,23). Dort war Er ganz allein.
  • 13 Markus nennt als ersten den Propheten-Diener Elia, denn Markus schildert uns den Propheten Jesus. Lukas spricht, passend zu seinem Thema, von zwei Männern, die kommen. Nicht beantworten kann man die Frage, wie man sich die Erscheinung der beiden Gläubigen des Alten Testaments vorstellen soll. Haben sie – für diese Szene – bereits Auferstehungskörper erhalten und mussten diese dann wieder abgeben? Gottes Wort schweigt darüber, so dass auch wir keine Spekulationen anstellen müssen, was danach mit diesen beiden Gottesmännern geschah.
  • 14 Weihrauch ist ein Hinweis auf die Grundlage der Versöhnung und auf den Wohlgeruch des Herrn Jesus für seinen Gott und Vater.
  • 15 Petrus lässt in seinem zweiten Brief bei der Beschreibung der Szene auf dem Berg diesen Hinweis „hört ihn“ aus, weil er dann nicht mehr nötig war. Inzwischen waren die Worte des Herrn Teil des Wortes Gottes – darauf war jetzt achtzugeben. Denn Christus spricht heute nicht getrennt von dem Wort Gottes zu uns. Hinzu kommt, dass, nachdem die Offenbarung des Neuen gekommen und bekannt war, diese Seite nicht mehr betont werden musste. Die Aufmerksamkeit sollte nun besonders auf das Wohlgefallen des Vaters an seinem Sohn gerichtet werden. Das war das Bleibende für die Jünger und ist es auch für uns heute.
  • 16 Der Ausdruck „Gesicht“ ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Begebenheit der Verklärung einen vorbildlichen Charakter trägt.
  • 17 Es ist interessant, dass die im Folgenden geschilderte Begebenheit gerade das Problem des Verhältnisses von Vater und Kind aufgreift. Der zu den Jüngern und dann zum Herrn Jesus kommende Mann hatte kein Verhältnis mehr zu seinem von einem Dämon besessenen Sohn. Aber der Herr „bekehrt“ sozusagen das Herz des Vaters zu seinem Kind und umgekehrt. Er erfüllt somit im Voraus das, was einmal der zukünftige Elia tun wird. Und es ist genauso bemerkenswert, dass der Herr Jesus auf dem Berg als der geliebte Sohn des Vaters gerade die Gunst und Gemeinschaft mit seinem Vater genoss – im Unterschied zum moralischen Zustand, der in Israel herrschte.
  • 18 Ich begründe die Annahme, dass es sich um eine Bildersprache handelt, an dieser Stelle ausdrücklich, weil ein Grundsatz der Schriftauslegung („Hermeneutik“) ist, dass die Schrift grundsätzlich wörtlich zu verstehen ist, wenn es keine deutlichen Signale dafür gibt, dass eine übertragende Bedeutung vorliegt. Dass es außer der buchstäblichen Bedeutung auch noch eine übertragene, bildliche Erklärung geben kann, ist darüber hinaus auch wahr.
  • 19 Hier bezeichnet der Herr Jesus diese Menschen nicht ausdrücklich als Heiden, jedoch werden wir in Kapitel 20 sehen, dass dort ausdrücklich von den Nationen die Rede ist.
  • 20 Es ist zwar nicht ganz auszuschließen, dass der Herr hier nicht weit entfernt von Petrus stand und das Gespräch mitbekommen hat. Dafür liefert der Bibeltext aber keinen Hinweis. Denn mehrfach lesen wir in den Evangelien, wie Juden einzelne der Jünger ansprachen, um eine Klage gegen den Herrn loszuwerden. Einmal heißt es dann ausdrücklich: „Als Jesus es hörte ...“ (Mk 2,17). Zudem ist nur von Petrus die Rede, dass er in das Haus eintrat (Vers 25). Offenbar war der Herr schon dort und erwartete seinen Jünger, der mit den Einnehmern allein gesprochen hatte.
  • 21 Eine Drachme, von der in unserem Text die Rede ist, war ¼ Sekel bzw. ¾ Denar, ein Doppeldrachme also ½ Sekel. Im Neuen Testament ist davon die Rede, dass der Tagesverdienst eines Arbeiters ein Denar war (vgl. Mt 20,2). Das heißt diese Jahresabgabe von einer Doppeldrachme betrug 1,5 Denar.
  • 22 Im Griechischen kann man durch die Form der Frage eine Antwortform sozusagen bewirken.
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