Was Paulus den Kolossern noch sagen wollte …
Eine Auslegung zu Kolosser 4

Grüße an die Gläubigen (Kol 4,15-16)

Nachdem Paulus die Grüße seiner Mitarbeiter ausgerichtet hatte, wendet er sich nun den Briefempfängern zu und lässt sie Grüße an andere ausrichten. Das alles war ein Herzensanliegen von Paulus und keine Formalität.

„Grüßt die Brüder in Laodizea und Nymphas und die Versammlung, die in seinem Haus ist“ (Kol 4,15).

Grüße an Laodizea und die Versammlung im Haus von Nymphas

Das Wort „grüßen“ steht im Imperativ, d.h. es ist ein klar formulierter Wunsch bzw. eine Aufforderung. Obwohl Paulus um die Brüder (d.h. die Geschwister) in Laodizea in Sorgen war, hinderte ihn das nicht, ihnen Grüße auszurichten. Das Wort „Brüder“ lässt an die Gemeinschaft in der Familie Gottes denken.

Über die Identität von Nymphas hat es manche Spekulation gegeben. Manche denken, dass es sich um eine Schwester handelt und sprechen von „ihrem“ Haus. Nun ist es nicht undenkbar, dass es Zusammenkünfte im Haus einer Frau gab (vgl. Apg 12,12). Dennoch ist es unwahrscheinlich, hier an eine Schwester zu denken. Letztlich ist die Frage von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend ist, dass die Versammlung in diesem Haus war und dass es Gläubige gab, die ihr Haus für die Geschwister öffneten. Wir finden das im Neuen Testament wiederholt. Die Zusammenkünfte in Kolossä fanden im Haus von Philemon statt. (Phlm 2). Gleiches galt für das Haus von Aquila und Priscilla in Ephesus (1. Kor 16,19) und später in Rom (Röm 16,5).

Der Ausdruck „Versammlung“ meint in diesem Vers die Zusammenkünfte der Gläubigen. Das Wort kommt im Neuen Testament häufig vor und der Zusammenhang entscheidet, ob es sich um die Summe der Gläubigen (weltweit oder lokal) oder um die Zusammenkünfte handelt. Das Haus selbst ist selbstverständlich keine Versammlung, sondern ein Versammlungsraum, in dem die Zusammenkünfte der Gläubigen stattfinden.

Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass es die Versammlung von Hierapolis ist, die hier gemeint ist, von der Paulus vorher gesprochen hatte. Es wäre sonderbar gewesen, wenn die Versammlung dort keine Grüße bekommen hätte. Offensichtlich gab es zwischen den drei benachbarten Versammlungen gute Kontakte, so dass Briefe und Grüße problemlos übermittelt werden konnten.

Der Vorgang zeigt, dass es nicht nur zwischen Brüdern und Schwestern gute Beziehungen gibt, sondern dass es zwischen örtlichen Versammlungen ebenfalls eine enge Verbindung und Harmonie gibt und sie keine voneinander losgelösten lokalen Einheiten sind. Ähnliches finden wir in Römer 16,16 und 1. Korinther 16,19, wo Grüße von mehreren Versammlungen an eine Versammlung erwähnt werden. Im Römerbrief sind es „alle Versammlungen des Christus“ (also weltweit), im 1. Korintherbrief sind es „die Versammlungen Asiens“ (also in einer bestimmten Region).

„Und wenn der Brief bei euch gelesen ist, so macht, dass er auch in der Versammlung der Laodizeer gelesen werde und dass auch ihr den aus Laodizea lest“ (Kol 4,16).

Austausch von Briefen

Der Brief an die Kolosser war speziell für sie und ihre Bedürfnisse geschrieben. Dennoch wusste Paulus, dass der Inhalt zugleich für die Glaubenden in Laodizea nützlich sein würde. An Timotheus schreibt Paulus, dass alle Schrift nützlich ist (2. Tim 3,16)1 d.h. für den Gläubigen. Was für die eine Versammlung nützlich war und galt, war für alle Versammlungen nützlich und gültig.

Das zeigt erneut, welch ein inniges Band von Verbundenheit es unter örtlichen Versammlungen gibt. Die Bibel spricht zwar nicht ausdrücklich von der „Einheit von Versammlungen“2, macht jedoch völlig klar, dass örtliche Versammlungen nicht unabhängig voneinander sind. Sie sind eine örtliche Darstellung der gesamten Versammlung weltweit und bilden in diesem Sinn durchaus eine Einheit.

Einen ähnlichen Vorgang wie hier finden wir auch bei den sieben Briefen an die sieben Versammlungen in Offenbarung 2 und 3. Sie waren in ihrem Charakter sehr unterschiedlich und bekamen alle eine völlig unterschiedliche Botschaft, dennoch sollte jede der Versammlungen jeden Brief lesen. Im 1. Korintherbrief spricht Paulus zweimal darüber. In Kapitel 7,17 sagt er: „Doch wie der Herr einem jeden zugeteilt hat, wie Gott einen jeden berufen hat, so wandle er; und so ordne ich es in allen Versammlungen an“. In Kapitel 14,33 lesen wir: „Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens, wie in allen Versammlungen der Heiligen“. W. Kelly schreibt: „Jedenfalls geht aus allem hervor, dass die Versammlungen durch Bande der Liebe sowie der Bereitschaft, sich gegenseitig zu nützen, verbunden waren“.3

Die Briefe an örtliche Versammlungen wurden in den Zusammenkünften öffentlich vorgelesen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, denn das Kopieren eines Briefes bedeutete, ihn abzuschreiben und das brauchte viel Zeit. Den Thessalonichern sagt Paulus: „Ich beschwöre euch bei dem Herrn, dass der Brief allen heiligen Brüdern vorgelesen werde“ (1. Thes 5,27). Der Schwur zeigt, wie wichtig Paulus dieser Punkt war.

Der Brief aus Laodizea

Über diesen Brief hat es viele Spekulationen gegeben. Sicher ist nur, dass wir nichts Sicheres darüber sagen können. Was man wohl ausschließen kann – da sind sich viele bibeltreue Ausleger einig – ist, dass es einen Brief von Paulus an die Versammlung in Laodizea gegeben hat, der zum gleichen Zeitpunkt wie der an die Kolosser geschrieben und ebenfalls von Tychikus übergeben wurde. Einen solchen Brief würde der Autor selbst wohl kaum als Brief aus Laodizea bezeichnen, sondern eher als Brief an Laodizea. Außerdem macht es wenig Sinn, Grüße an die Gläubigen an einem Ort auszurichten, denen man zeitgleich einen eigenen Brief schreibt.

Unter den vielen Vorschlägen, die gemacht worden sind, machen nur zwei wirklich Sinn. Entweder handelt es sich um einen Brief, der in Laodizea vorlag und den Kolossern zur Verfügung gestellt werden sollte. Wenn es so ist, dann handelt es sich jedenfalls nicht um einen inspirierten Brief, denn dann hätte Gott dafür Sorge getragen, dass dieser Brief in den Kanon seines Wortes aufgenommen worden wäre. Das ist durchaus denkbar. Denken wir nur an den Brief des Apostels Johannes, den er in 3. Joh 1,9 erwähnte. Bei dieser Annahme bleibt die Frage nach dem Autor. War es Paulus, der zu einem anderen Zeitpunkt an Laodizea geschrieben hatte? Wir wissen es nicht.

Der zweite Gedanke, der häufig geäußert wird ist, dass es sich um den Brief an die Epheser handelt, der zum gleichen Zeitpunkt geschrieben und ebenfalls von Tychikus überbracht wurde. W. Kelly betrachtet das als eine wesentlich „natürlichere“ Erklärung als die oben angegebenen.4 Tychikus wird auf dem Weg von Ephesus nach Kolossä in Laodizea vorbei gekommen sein.

Diese Annahme basiert auf der Tatsache, dass im Brief an die Epheser in einigen wichtigen Handschriften die Ortsangabe fehlt. Deshalb – und auch wegen seines allgemeinen Charakters – sehen ihn manche als eine Art „Rundbrief“ an, der sich an mehrere Versammlungen in der Region Kleinasien wendet. Man folgt dieser – allerdings nicht bewiesenen – Annahme deshalb gerne, weil die beiden Briefe an die Kolosser und Epheser der Lehre nach zusammengehören. Die Lehre des Epheserbriefes folgt auf die des Kolosserbriefes. Wer die Wahrheit des Kolosserbriefes verstanden hat, kann dann die Wahrheit des Epheserbriefes verstehen. Wer praktisch verwirklicht, mit Christus gestorben und auferweckt zu sein, wird dann innerlich weiter geführt und versteht, dass er zugleich in Christus in die himmlischen Örter versetzt ist.

Fußnoten

  • 1 Im unmittelbaren Kontext sind damit allerdings die Schriften des Alten Testaments gemeint. Dennoch liegt die Antwort auf das komplette Wort Gottes, so wie wir es heute in Händen halten, auf der Hand.
  • 2 Das Neue Testament spricht von der „Einheit des Geistes“ (Eph 4,3), die wir bewahren sollen im Band des Friedens. Es ist eine Einheit unter Gläubigen, d.h. unter einzelnen Gliedern der Versammlung (im Bild eines Körpers gesehen). Darüber hinaus lesen wir von diesem geistlichen Leib, dass er „einer“ ist („da ist ein Leib“; Eph 4,4) und diese Einheit wir bekunden wir öffentlich, wenn wir das Brot brechen (1. Kor 10,17).
  • 3 W. Kelly: The Epistle of Paul to the Colossians
  • 4 W. Kelly: The Epistle of Paul to the Colossians
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