Was Paulus den Kolossern noch sagen wollte …
Eine Auslegung zu Kolosser 4

Das Verhalten Ungläubigen gegenüber (Kol 4,5-6)

Die Verse 5–6 beschäftigen sich mit den gesellschaftlichen Beziehungen, die jeder Christ hat. Wir sind zwar nicht von der Welt (Joh 15,19; 17,14.16), leben jedoch in der Welt (Joh 17,11). Wir haben soziale Beziehungen zu unseren Mitmenschen. Als Licht der Welt sind wir von ihrem bösen Treiben getrennt. Als Salz der Erde leben wir jedoch mitten unter ihnen. Wir sollen Zeugen für unseren Herrn sein, ohne uns mit ihnen zu vermischen.

„Wandelt in Weisheit gegenüber denen, die draußen sind, die gelegene Zeit auskaufend“ (Kol 4,5).

In Weisheit wandeln

Der Wandel umfasst die komplette Lebensführung des Christen. Das Wort bedeutet wörtlich „umhergehen“. Es umfasst unser Gebaren und Benehmen, das andere von uns wahrnehmen. Der Wandel des Gläubigen wird im Neuen Testament an vielen Stellen behandelt. Im Kolosserbrief hatte Paulus vorher in Kapitel 1,10, 2,6 und 3,7 davon gesprochen.

Hier sagt er nun, dass der Wandel von Weisheit geprägt sein soll und das speziell solchen gegenüber, die draußen sind. Weisheit ist Einsicht oder Fähigkeit. Weisheit hat mit Erkenntnis zu tun, geht aber darüber hinaus. Erkenntnis ist Einsicht in Gottes Gedanken. Sie ist wichtig. Weisheit hingegen bedeutet, Erkenntnis richtig anzuwenden1.

Es ist göttliche Weisheit, die der menschlichen Philosophie gegenüber ist. Diese Weisheit haben wir nicht aus uns selbst, sondern sie kommt von Gott. Jakobus nennt sie die „Weisheit von oben“ (Jak 3,17), um die wir jederzeit bitten können (Jak 1,5). Als Christen sollen wir lebende Beispiele von der Wahrheit sein, die wir gelernt haben. Wir sind wie Lichter in der Welt, die das Wort des Lebens (das ist niemand anders als der Herr Jesus selbst) nicht zuerst reden, sondern „darstellen“ und zeigen (Phil 2,16). Ein unpassendes Benehmen kann ein gesprochenes Wort sehr leicht wirkungslos machen. Weisheit bedeutet hier konkret, dass wir uns im Lebensalltag so verhalten, dass wir den Menschen keinen Anlass geben, zu Recht mit Fingern auf uns zu zeigen. Salomo weist darauf hin, dass es der Weise ist, der Seelen gewinnt (Spr 11,30)

Menschen, „die draußen sind“ umfasst hier alle Menschen, die nicht zu Christus und damit nicht zur Familie Gottes gehören (Mk 4,11; 1 Tim 3,7). Die Thessalonicher werden aufgefordert, dass sie „ehrbar“ wandeln sollen „vor denen, die draußen sind“, und niemand nötig zu haben (1. Thess 4,12). Das vollkommene Vorbild ist unser Herr Jesus selbst. Sein Verhalten ungläubigen Menschen gegenüber war zu jedem Zeitpunkt von großer Weisheit gekennzeichnet. Seine Weisheit ist jeder fleischlichen und menschlichen Diplomatie haushoch überlegen.

Die gelegene Zeit auskaufen

Zeit ist eine der Gaben unseres Schöpfers, die Er uns Menschen gegeben hat. Wir sollten sie weder verschwenden noch totschlagen. Das Wort, das Paulus hier gebraucht, ist jedoch nicht das Wort, das an anderen Stellen für „Zeit“ gebraucht wird und das einen Zeitraum oder ein Zeitintervall beschreibt. Das Wort, das hier steht, beschreibt vielmehr den „richtigen Zeitpunkt“, einen „geeigneten Augenblick“ oder die „rechte Zeit“. In Römer 5,6 wird das Wort mit „bestimmte Zeit“ und in Galater 6,10 mit „Gelegenheit“ übersetzt. Es geht um bestimmte Zeitpunkte und Gelegenheiten, die wir nicht verpassen sollen. Die gelegene Zeit auszukaufen meint deshalb nicht einfach, in der uns zur Verfügung stehenden Zeit so viel wie möglich zu tun (also möglichst 24 Stunden am Tag für Ihn zu arbeiten), sondern es geht vielmehr darum, einen guten und richtigen Gebrauch von der Zeit zu machen. Gott möchte, dass wir im richtigen Moment das Richtige tun.

Die Epheser werden ähnlich motiviert: „Gebt nun Acht, wie ihr sorgfältig wandelt, nicht als Unweise, sondern als Weise, die die gelegene Zeit auskaufen, denn die Tage sind böse. Darum seid nicht töricht, sondern verständig, was der Wille des Herrn sei“ (Eph 5,15–17). Jeder Tag bietet Gelegenheiten, um unseren Glauben durch unsere Lebensführung (Taten und Worte) zu bezeugen Diese Gelegenheiten sollten wir nicht verpassen.

„Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt, so dass ihr wisst, wie ihr jedem Einzelnen antworten sollt“ (Kol 4,6).

Das Wort in Gnade

Nachdem Paulus in Vers 5 über die Lebensführung (den Wandel) des Christen gesprochen hat, geht es nun konkret um unsere Worte, d.h. um das, was wir verbal von uns geben. Das Verhalten steht nicht ohne Grund an erster Stelle. Werke und Worte gehören untrennbar zusammen (Lk 24,19; 2. Thes 2,17) und gehen Hand in Hand. Beides – Werke und Worte – werden von den Menschen wahrgenommen, mi denen wir zu tun haben. Danach werden wir von ihnen beurteilt.

Paulus gebraucht hier den Ausdruck „Wort“. Damit ist das gemeint, was wir sagen. Es geht um unsere Gespräche, die wir mit ungläubigen Menschen (Arbeitskollegen, Nachbarn usw.) führen. Jeder Tag im Leben bietet Gelegenheit zu Kontakten mit Menschen, die draußen sind. Wir sollten sie nutzen und nicht verstreichen lassen. Wenn wir mit ihnen reden, soll etwas von der Gnade sichtbar werden, in der wir selbst stehen und aus der wir jeden Tag leben. Wir sollen den Menschen gegenüber freundlich und mild sein. Das vollkommene Beispiel ist erneut unser Herr. In Lukas 4,22 lesen wir, dass die Menschen über seine „Worte der Gnade“ staunten, die sie hörten. Psalm 45,3 bestätigt, dass „Holdseligkeit“ über seine Lippen ausgegossen ist. Selbst die Diener seiner Feinde mussten zugeben, dass nie ein Mensch so wie Er geredet hatte (Joh 7,46). In Gnade zu reden bedeutet in einer freundlichen Art den Gesprächspartner zu gewinnen.

Das negative Gegenstück ist, wenn wir Ungläubigen gegenüber arrogant und unhöflich auftreten. Titus wurde aufgefordert, sich „selbst als ein Vorbild guter Werke“ darzustellen ... „in der Lehre Unverfälschtheit, würdigen Ernst, gesunde, nicht zu verurteilende Rede, damit der von der Gegenpartei beschämt wird, da er nichts Schlechtes über uns zu sagen hat“ (Tit 2,7–8). Andere sollte Titus daran erinnern „... niemand zu lästern, nicht streitsüchtig zu sein, milde, alle Sanftmut zu erweisen gegen alle Menschen“ (Titus 3,2). Den Ephesern schreibt Paulus: „Kein faules Wort gehe aus eurem Mund hervor, sondern was irgend gut ist zur notwendigen Erbauung, damit es den Hörenden Gnade darreiche“ (Eph 4,29). Wir müssen lernen, unsere Zunge im Zaum zu halten und zu kontrollieren und das zu reden, was dem ungläubigen Hörer nützlich ist. Unüberlegter Gebrauch der Zunge kann sehr schnell zu unnötigen Konflikten führen (vgl. Jak 3,1–12).

Das Wort mit Salz gewürzt

Worte der Gnade sind jedoch keine faden Worte, die ohne Geschmack sind und ihr Ziel nicht erreichen. Sie sollten im Gegenteil mit Salz gewürzt sein. Salz war in der damaligen Zeit vor allem ein Mittel, das verhinderte, dass Nahrungsmittel faul wurden und verdarben. Das Wort „würzen“ bedeutet eigentlich „wohlgeordnet“, „gut gefügt“ oder „zurecht gemacht“. Es kommt außer in unserem Vers noch in Markus 9,50 und Lukas 14,34 vor (beide Mal in Verbindung mit Salz). Einerseits soll unsere Rede ohne Plattitüden, Witzeleien und Falschheiten sein (Eph 5,4; Kol 3,8–9). Dummes Geschwätz kann nur schädlich sein (vgl. Pred 10,1).

Mit Salz gewürzte Worte sind Worte, die nicht nur überzeugend, sondern rein, heilig und wahr sind. Salomo schreibt: „Der Prediger suchte angenehme Worte zu finden; und das Geschriebene ist richtig, Worte der Wahrheit“ (Pred 12,10). Worte der Gnade sind dann mit Salz gewürzt, wenn sie zum Nutzen anderer sind, wenn sie geistlich gesund machen und dem Verderben, das in der Welt ist, entgegenwirken (Mt 5,13). W. Kelly schreibt: „Salz stellt die bewahrende Heiligkeit dar, die erhaltende Energie der Rechtsansprüche Gottes inmitten des Verderbens“2. Wenn unsere Worte mit Salz gewürzt sind, haben wir keine Gemeinschaft „mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis“, sondern wir strafen sie (Eph 5,11).

Beachten wir, dass es in unserem Text nicht heißt, dass unsere Worte „allezeit in Salz und mit Gnade gewürzt“ sein sollen, sondern „allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt“. Die Gnade, in der wir stehen und aus der wir leben, muss immer als Motiv unseres Verhaltens und unserer Worte wirken. Doch dabei müssen Wahrheit und Gerechtigkeit unbedingt aufrecht erhalten bleiben. Worte der Gnade schließen Worte der Wahrheit nicht aus. Worte der Gnade erreichen das Herz, während das Salz das Gewissen erreicht. Beides ist nötig. Gnade und Wahrheit gehören untrennbar zusammen (Joh 1,17).3 Worte der Gnade stehen nie im Gegensatz zu der Heiligkeit Gottes. Das ist das Salz. Salz wirkt verborgen, übt aber eine positive Wirkung aus. Es ist zugleich ein Bild der Kraft Gottes, die uns vor dem Bösen bewahrt und uns heiligt.

Jedem Einzelnen antworten

Petrus fordert seine Briefempfänger auf: „Heiligt Christus, den Herrn, in euren Herzen. Seid jederzeit bereit zur Verantwortung gegen jeden, der Rechenschaft von euch fordert über die Hoffnung, die in euch ist“ (1. Petr 3,15). Das ist unmittelbar mit dem verbunden, was Paulus den Kolossern schreibt. Wenn wir unseren Herrn heiligen, dann haben wir Salz. Zugleich sind wir jederzeit bereit, mit Worten der Gnade zu den Menschen zu reden. Wir tun das in einer angemessenen Sprache, damit die Kraft des Evangeliums wirken kann. Die Voraussetzung ist gegeben. Wir „wissen“, wie wir einem jedem zu antworten haben. Das Wort „wissen“ hatten wir bereits in Kapitel 3,24. Es geht um ein bewusstes Wissen, eine Wahrnehmung, die man hat.

Jedem Einzelnen zu antworten ist nicht darauf beschränkt, dass wir nur konkrete Fragen beantworten, die uns von Ungläubigen gestellt werden. Es geht vielmehr darum, dass wir generell bereit sind, mit ihnen über unseren Glauben zu sprechen. Ein Beispiel für ein solches Gespräch ist die Unterhaltung unseres Herrn mit der Frau am Brunnen von Sichar (Joh 4). Er war bereit mit ihr zu reden. Er tat es mit Worten der Gnade, wobei das Salz nicht fehlte. Es gab im Leben der Frau einen wunden Punkt, und genau den berührte unser Herr in Liebe – und dennoch deutlich.

Unser Vers macht darüber hinaus zwei wichtige Dinge deutlich:

  1. Die Predigt des Evangeliums ist nicht darauf beschränkt, dass es öffentlich und vor möglichst vielen Menschen verkündigt wird. Das persönliche Gespräch hat eine große Bedeutung. Der Menschenfischer benutzt nicht nur das Netz, um möglichst viele Fische auf einmal zu fangen. Er benutzt zugleich die Angel, um einzelne Menschen für den Heiland der Welt zu gewinnen. Der Herr Jesus hat das nicht anders getan.
  2. In der „persönlichen Evangelisation“ gibt es kein „Schema F“. Jeder Gesprächspartner ist anders. Jede Gesprächssituation ist anders. Wir brauchen Weisheit, um in jedem Einzelfall die richtigen Worte zu finden und die richtigen Antworten zu geben.

H. Smith fasst diesen Vers mit folgenden Worten zusammen: „Wir tragen die Botschaft der Gnade weiter, die in Worten der Gnade ausgedrückt werden muss. Zugleich soll unsere Rede mit dem Salz der Heiligkeit gesalzen sein. Wenn wir so sprechen, wird unsere Gnade nicht dazu führen, dass wir leichtfertig über Sünden hinweggehen. Und unsere Treue wird nicht dazu führen, dass wir Sünder in Härte verdammen. Für diese Kombination von „Gnade“ und „Salz“ haben wir die Weisheit Christi nötig, der nicht nur immer wusste, seinen Fragern oder Feinden die richtigen Antworten zu geben. Er antwortete auch immer in der richtigen Art und Weise, um den Bedürfnissen eines jeden zu entsprechen“4.

Fußnoten

  • 1 Das Buch der Sprüche spricht wiederholt von der Weisheit und zeigt uns, wie wir diese Weisheit erlangen können. Ein treffliches Beispiel dazu ist der junge Daniel am Hof des Königs in Babel. Von ihm lesen wir: „Und in allen Sachen einsichtsvoller Weisheit, die der König von ihnen erfragte, fand er sie zehnmal allen Wahrsagepriestern und Sterndeutern überlegen, die in seinem ganzen Königreich waren“ (Dan 1,20). Man beachte die Formulierung „einsichtsvolle Weisheit“, in der „Einsicht“ und „Weisheit“ miteinander verbunden sind.
  • 2 W. Kelly: The Epistle of Paul to the Colossians
  • 3 Dort heißt es nicht: „Die Gnade und die Wahrheit sind durch Jesus Christus geworden“ (was grammatikalisch richtig wäre), sondern: „Die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden“.
  • 4 H. Smith: The Letter to the Colossians
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