Kinder lieben, mit Kindern leben
Christliche Familie im Alltag

9. Umgang mit jungen Erwachsenen

Kinder lieben, mit Kindern leben

Aus Kindern werden Leute

Der Umgang mit jungen Erwachsenen ist häufig eine besondere Herausforderung. Die Jugendzeit – beginnend mit dem Einsetzen der Pubertät – ist eine Zeit gewaltiger Veränderungsprozesse – und das nicht nur körperlich. Der Schritt von der Kindheit hin zum Erwachsenwerden ist ein großer Schritt. Aus Kindern werden Leute. Aus dem verspielten kleinen Mädchen wird langsam eine junge Frau. Aus dem immer gut gelaunten Jungen wird ein ernsthafter Erwachsener mit eigenem Profil und eigener Persönlichkeit.

Unsere Kinder verändern sich. Junge Mädchen werden plötzlich „zickig“. Der 13-jährige Sohn, der bisher immer sehr offen war, verschließt sich auf einmal und bringt kaum noch einen kompletten Satz heraus. Manche Reaktionen unserer pubertierenden Kinder verstehen wir nicht mehr. Manches schockiert uns sogar. Wir stehen vor neuen Fragen und wissen keine Antwort. Neue Spannungsfelder und Konfliktsituationen tun sich auf und wir Eltern sind gefragt, unsere Kinder auch in diesem wichtigen Lebensabschnitt zu begleiten.

Vieles von dem, was weiter oben geschrieben wurde, bleibt unverändert gültig. Dennoch gibt es Besonderheiten, die wir beachten sollten. Jemand hat den Umgang mit pubertären Jugendlichen einmal treffend mit der Kunst verglichen, einen Kaktus zu küssen, ohne sich dabei weh zu tun. Dabei ist klar, dass es Unterschiede gibt. Manche Kinder durchlaufen die Phase ohne größere Schwierigkeiten, manche holen sie später nach, aber in vielen Fällen ist es tatsächlich so, dass wir Eltern besonders stark gefordert werden.

Junge Menschen wollen in dieser Phase vor allem verstanden und „für voll“ genommen werden. Das meint nicht nur, dass wir ihre Worte akustisch verstehen oder ihre Mimik und Gestik richtig interpretieren. Das ist an sich schon manchmal nicht so ganz einfach. Aber es geht vielmehr um ihre Empfindungen, um Emotionen und Motivationen, um das, was sie innerlich antreibt. Sie äußern es nicht, aber sie erwarten doch, dass wir sie verstehen. Wir müssen also versuchen herauszufinden, was unsere Kinder wirklich meinen, wenn sie uns etwas zu verstehen geben. Ohne ein gutes Verständnis zwischen Eltern und jungen Erwachsenen ist es unmöglich, aufkommende Spannungen in einem guten Geist zu lösen.

Junge Menschen brauchen in einer ausgewogenen Erziehung besondere Zuneigung und Liebe – auch wenn sie scheinbar häufig ganz andere Signale senden. Sie brauchen Wertschätzung und Anerkennung. Es ist unsere Aufgabe als Eltern, ihnen das zu geben. Der letzte Vers des Alten Testaments beginnt mit folgender Aussage: „Und er wird das Herz der Väter zu den Kindern und das Herz der Kinder zu ihren Vätern wenden“ (Mal 3,24). Vor einiger Zeit sprach ich mit einem Vater, der mit seinem erwachsenen Sohn erhebliche Probleme hatte. Er war allen Ernstes der Meinung, dass es nicht seine Aufgabe sei, auf seinen Sohn zuzugehen, sondern dass es eine „Bringschuld“ seines Sohnes sei. Der zitierte Vers aus Maleachi 3 zeigt das Gegenteil. Als Eltern sollten wir nicht zu viel von unseren Kindern erwarten. Gerade wenn sie die pubertäre Phase durchlaufen, ist es unsere Aufgabe, Verständnis für sie aufzubringen und auf sie zuzugehen.

Besonderheiten im Verhalten junger Menschen

Die Jugendzeit ist eine Zeit der Gegensätze. Wenn wir das gut verstehen, hilft uns das, mit unseren jungen Leuten richtig umzugehen. Vieles spielt sich in einem Bereich von großen Extremen ab. Ich möchte versuchen, das an einigen Punkten festzumachen:

  1. Viele Jugendliche markieren nach außen den star-ken Mann oder die starke Frau. Treten sie in Gruppen auf, könnte man meinen, ihnen gehört bereits die halbe Welt. Innere Unsicherheit wird oft nur durch ein aufgesetztes – und manchmal aggressives – Verhalten kaschiert. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn einem jungen Menschen fehlt die Reife der Persönlichkeit eines Erwachsenen. Gerade in der pubertären Phase sind Kinder häufig sehr unsicher. Das verstecken sie dann unter einer aufgesetzten Maske und einem geradezu provozierenden Verhalten nach außen hin. Oft kommt noch ein entsprechendes Vokabular dazu, das zusätzliche Reizpunkte setzt.
    Für uns als Eltern ist es wichtig, das zu erkennen und uns nicht so leicht provozieren zu lassen. Vor allem sollten wir aggressives Verhalten nicht mit aggressivem Gegenverhalten beantworten. Das führt nur zu unnötigen Konfrontationen. Manches müssen wir in der Situation einfach „übersehen“ oder „überhören“ und eventuell später darauf zurückkommen. Vor allem müssen wir versuchen, unter die harte Schale an den weichen Kern zu kommen. Das erreichen wir nicht mit Vorwürfen, sondern nur im verständnisvollen Gespräch.
  2. Wir stellen fest, dass unsere Kinder sich uns Eltern gegenüber verschließen, während sie anderen gegenüber eher offen sind. Das mag sich darin äußern, dass mit den Eltern kaum ein vernünftiges Gespräch aufkommt, während sie mit anderen stundenlang diskutieren können. Eine Folge davon ist, dass wir als Eltern kaum noch mitbekommen, was unsere Kinder tun und was sie bewegt. Manchmal hört man mehr von anderen als von den Kindern selbst. Woran liegt das? Ein Grund mag sein, dass junge Leute sich häufig dann verschließen, wenn sie sich unterlegen fühlen. Wenn sie sich „auf Augenhöhe“ bewegen (z. B. mit Freunden), sind sie sehr offen, wenn sie sich hingegen unterlegen fühlen, schweigen sie. Das Problem wird dann besonders groß, wenn die Eltern eher dominant und selbstbewusst auftreten oder wenn Geschwisterkinder da sind, die sich anders verhalten oder vielleicht intelligenter oder erfolgreicher sind.
    Was ist in einem solchen Fall zu tun? Wir können unsere Kinder nicht zum Gespräch „zwingen“. Wir müssen versuchen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie sich öffnen. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass wir „alles wissen“ und sie immer noch „dumme Kinder“ sind, die keine Ahnung haben. Wir müssen unsere Jugendlichen da abholen, wo sie sind. Sie müssen merken, dass wir sie ernst nehmen. Gerade in dieser Phase brauchen Kinder besonders viel Zeit und Interesse. Es mag sinnvoll sein, dass der Vater sich einmal einen kompletten Tag für seinen Sohn reserviert oder die Mutter für die Tochter. Damit soll nicht gesagt werden, dass wir junge Erwachsene nur mit „Samthandschuhen“ anfassen sollen, wohl aber, dass wir unser Verhalten sehr wohl der besonderen Phase anpassen, in der unser Kind sich gerade befindet.
  3. Oft beobachten wir einen großen Tatendrang, wenn es um etwas geht, das unsere erwachsen werdenden Kinder wirklich interessiert. Sie sind aktiv und bringen sich ein. Mit großer Begeisterung werden bestimmte Dinge betrieben. Die Gartenparty am Wochenende wird mit großem Elan geplant und das nächste Fußballspiel sorgfältig vorbereitet. Wie lange die Begeisterung anhält, bleibt abzuwarten. Auf der anderen Seite stellen wir gleichzeitig in vielen Bereichen eine große Gleichgültigkeit fest. Wertvolle Stunden werden totgeschlagen, weil man einfach nur „chillen“ will (früher nannte man das die „Null-Bock-Phase“). Das eigene Zimmer bleibt unaufgeräumt. Der Wecker wird gerne ignoriert oder einfach ausgestellt. Die Hausaufgaben werden kaum erledigt. Schule oder Ausbildung sind einfach nur „ätzend“ und die Eltern haben ohnehin keine Ahnung. Auch die tägliche Bibellese und die Familienandacht wird maximal eine „Pflichterfüllung“.
    Es ist nicht einfach, mit einer solchen Situation umzugehen, vor allem dann nicht, wenn man als Eltern völlig anders „tickt“. Dennoch ist eine gewisse Gelassenheit angesagt. In den meisten Fällen handelt es sich um eine bestimmte Zeitphase, die (hoff entlich) bald ein Ende hat. Dennoch sollten wir unsere Kinder in dieser Phase nicht einfach „laufen“ lassen. Es ist wichtig, dass wir Interesse an dem zeigen, was unsere Kinder beschäftigt. Zudem sollten wir dafür sorgen, dass sie eine gute Beschäftigung und feste Aufgaben haben. Sie müssen lernen, Verantwortung zu übernehmen. Und es ist besser, wir geben ihnen Aufgaben, die sie gerne machen, als solche, die sie nur sehr widerwillig tun. Unsere Kinder müssen gerade jetzt spüren, dass sie uns wichtig sind und wir uns für sie interessieren.
  4. Einige Jugendliche fallen dadurch auf, dass sie Dinge sehr einseitig wahrnehmen und beurteilen. Manche Missstände werden äußerst scharf kritisiert, andere hingegen gar nicht. Übertriebener Gerechtigkeitssinn wechselt mit einer sehr laschen Haltung ab. Darin liegt die Gefahr, dass sie sich für manches begeistern lassen, was nicht gut für sie ist, während sie andererseits Gelegenheiten auslassen, die für sie sehr nützlich sein könnten. Auch in der Auswahl ihrer Kontakte und Freundschaften beobachten wir immer wieder eine solche „Unlogik“. Es dauert oft eine ganze Zeit, bis junge Leute merken, dass bestimmte Kontakte sie nicht weiterbringen, sondern eher schädlich sind.
    Als Eltern müssen wir das sorgfältig begleiten. Junge Erwachsene sind eben noch nicht gereift. Sie sehen vieles aus einer anderen Perspektive. Sie müssen Schritt für Schritt lernen, dass man bei der Beurteilung eines Tatbestandes oder einer Person in der Regel mindestens zwei Seiten berücksichtigen muss. Nicht immer müssen wir unsere Kinder in dieser Phase sofort stoppen oder korrigieren. Es ist bisweilen gut, wenn wir sie ihre eigenen Erfahrungen machen lassen, selbst wenn sie dabei einmal auf die Nase fallen. Wenn Gefahr im Verzug ist, müssen wir natürlich handeln, aber wenn wir unsere jungen Leute in dieser Zeit jedes Mal sofort korrigieren, werden sie sich umso mehr abkapseln. Gewisse Dinge lernt man eben ausschließlich durch Erfahrung.
  5. Es gibt junge Leute, die an einem Tag plötzlich einen großen „missionarischen Eifer“ an den Tag legen und am nächsten Tag Dinge tun, die mit ihrem christlichen Bekenntnis kaum in Übereinstimmung zu bringen sind. Heute Bibelstunde, Jugendkreis und gemischter Chor und am nächsten Tag komplett im Internet abtauchen und für niemand ansprechbar sein. Auch das ist mehr oder weniger „normal“ in dieser Lebensphase der Selbstfindung junger Menschen. Wir sollten den „missionarischen Eifer“ nicht zu sehr bremsen, aber bei den sonstigen Aktivitäten natürlich ein sorgfältiges Auge, aber auch das nötige Augenmaß haben. Wenn wir erkennen, dass bestimmte Aktivitäten in die falsche Richtung laufen, müssen wir es in verständnisvoller Form ansprechen. Einfach ein Verbot auszusprechen, ohne es zu begründen, ist unweise. Wir müssen uns schon die Zeit nehmen, unseren Kindern anhand der Bibel zu erklären, warum dieses oder jedes für sie „tabu“ sein muss.
  6. Ein weiteres Phänomen junger Leute in ihrer pubertären Entwicklung sind starke Gefühlsschwankungen und damit einhergehende Gefühlsausbrüche. Heute total happy und morgen total down. Der Übergang vom Lachen zum Weinen ist nicht weit. Auch in der Beurteilung von Sachverhalten beobachten wir diesen schnellen Wechsel. Heute ist jemand „cool“, morgen kann man ihn „vergessen“. Was heute „in“ ist, kann nächste Woche schon wieder „out“ sein. Mit solchen Schwankungen müssen wir rechnen. Sie dürfen uns nicht überraschen oder selbst ins Schwanken bringen. Wir sollten ruhig und gelassen bleiben. Manchmal empfiehlt es sich, bei Konflikten, die ihren Ursprung hier haben, einfach mal eine oder zwei Nächte über eine Sache zu schlafen, bevor man sie in Ruhe bespricht. Oft sieht die Welt dann schon wieder ganz anders aus.

Wir müssen bedenken, dass junge Erwachsene eben noch keine wirklichen Erwachsenen sind – auch wenn sie manchmal schon so aussehen. Sie sind keine kleinen Kinder mehr – und wollen zu Recht nicht als solche behandelt werden. Im Einzelfall brauchen wir dabei sehr viel Weisheit. Vor allem ist in dieser Phase eine sehr enge Begleitung im Gebet erforderlich. Häufig hat es sich als nützlich erwiesen, sich gerade in dieser Phase mit Eltern auszutauschen, die entweder in der gleichen Situation sind oder solche, die diese Phase mit ihren Kindern gerade hinter sich haben.

Es ist besonders wichtig, dass wir wissen, was unsere Kinder in dieser Zeit bewegt. Wir müssen wissen, was sie „umtreibt“ und mit wem sie sich „herumtreiben“. Eine stabile und funktionierende Verbindung zu ihren Eltern ist unerlässlich. Sicher sind die Problemstellungen heute etwas anders als zu der Zeit, in der wir selbst diese Phase durchlaufen haben. Aber die grundsätzlichen Verhaltensweisen sind doch mehr oder weniger gleich geblieben.

Dabei sollten wir unbedingt versuchen, im Gespräch verletzende Aussagen zu vermeiden. Hier mal ein paar Beispiele dafür:

  • „Das habe ich mir gleich gedacht.“
  • „Ja, ja, das musste ja so kommen.“
  • „Aus dir wird doch nie etwas werden.“
  • „Komm mir bloß nicht damit an.“
  • „Darüber rede ich nicht mit dir.“
  • „Geh weg. Lass mich in Ruhe. Ich habe jetzt keine Zeit für dich.“
  • „Lass mich mal machen. Ich kann das besser als du.“
  • „Wenn du mal erwachsen bist, wirst du das auch so sehen.“

Die Liste kann fortgesetzt werden. Alle Aussagen sind kontraproduktiv und helfen nicht wirklich weiter. Mit solchen Aussagen verunsichern wir unsere Kinder nur und achten nicht ihre Würde, die sie als Mensch haben. Auch der ständige Vergleich mit einem selbst und der Hinweis darauf, dass früher alles besser war und man selbst ja so viel besser und unkomplizierter gewesen sei, führt zu dem gleichen Ergebnis. Anstatt Annäherung erreichen wir Entfremdung.

Vergessen wir nicht, welches Vorurteil – wenn auch meistens zu Unrecht – in den Köpfen vieler Jugendlicher steckt. Oft meinen sie, Eltern seien einfach nur „Spielverderber“ und „Spaßbremsen“, die ohnehin alles besser wissen und gerade das verbieten wollen, was Jugendlichen Freude macht. Diesem Vorurteil sollten wir keine weitere Nahrung geben. Wenn heranwachsende Kinder wissen, dass ihre Eltern es wirklich „gut“ mit ihnen meinen, ist sehr viel geholfen. An dieser Überzeugung müssen wir jeden Tag arbeiten.

Freiräume geben

Kinder brauchen Betreuung und Liebe. Sie brauchen Nähe und Fürsorge. Aber sie benötigen auch Freiräume. Das fängt schon sehr früh an. Spätestens dann, wenn sie in die Schule kommen, brauchen sie ihre ersten Freiräume, wo sie sich – im abgesteckten Rahmen – unbeaufsichtigt von den Eltern entfalten können. Selbstverständlich werden Eltern das begleiten und je nach Kind werden die Freiräume unterschiedlich sein. Aber spätestens dann, wenn sie in die pubertäre Phase eintreten, werden die Freiräume größer werden. Bei einem guten Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kindern ist das in der Regel unproblematisch. Dennoch versuchen manche Eltern ihre Kinder zu „gängeln“. Übermäßige Fürsorge – oft besonders durch die Mutter – kann dann kontraproduktiv wirken. Natürlich sind die Gefahren groß und wir dürfen die Kinder nicht ganz aus den Augen lassen. Über die Gefahren müssen wir mit unseren Heranwachsenden unbedingt reden. Dennoch brauchen sie einen Vertrauensvorschuss, damit sie sich zu eigenständigen Menschen entwickeln können. Wir können sie unmöglich rund um die Uhr „überwachen“. Wir können sie nicht vor lauter Angst zu Hause „festbinden“. Wir müssen ihnen realistische Zeiten nennen, wann sie zu Hause sein sollen. Die Mutter kann nicht – wenn die Tochter zur Geburtstagsfeier ihrer Freundin eingeladen ist – alle 30 Minuten auf dem Handy anrufen (zu unserer eigenen Jugendzeit ging es doch auch ohne Handy). Übertriebene Fürsorge schützt nicht, sondern engt ein und sorgt für Frust.

Unsere Kinder mit den Augen Gottes sehen

Unsere Kinder – auch die jungen Erwachsenen – sind Geschöpfe Gottes. Deshalb sollten wir versuchen, sie mit den Augen Gottes zu sehen. Wenn sie darüber hinaus Kinder Gottes sind, gibt es neben der natürlichen Eltern-Kinder-Beziehung gleichzeitig die Beziehung als Kinder Gottes. Was im geschwisterlichen Miteinander gilt, gilt im gewissen Sinn ebenso für unsere Beziehung zu unseren Kindern.

Paulus schreibt an die Kolosser: „Zieht nun an, als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut, Langmut, einander ertragend und euch gegenseitig vergebend, wenn einer Klage hat gegen den anderen; wie auch der Christus euch vergeben hat, so auch ihr. Zu diesem allen aber zieht die Liebe an, die das Band der Vollkommenheit ist“ (Kol 3,12-14). Man hat diesen Vers zu Recht als „Kleidergarderobe des Christen“ bezeichnet. Ich möchte die genannten Eigenschaften jetzt einmal auf unser Verhältnis zu unseren jugendlichen Kindern übertragen.

Zunächst müssen wir beachten, dass sie – wenn sie zu den Kindern Gottes gehören – wie wir Auserwählte Gottes, Heilige und Geliebte sind. Das zeigt, welchen Stellenwert sie in den Augen Gottes haben. Er hat sie auserwählt in der Ewigkeit vor der Zeit. Er sieht sie als Heilige und als Geliebte. Der Wert eines solchen Menschen für Gott ist groß. Deshalb sollten wir unseren Jugendlichen ehrliche Wertschätzung und Liebe entgegenbringen.

Dann folgen zunächst sieben Merkmale:

  1. Herzliches Erbarmen: Erbarmen hat mit der Not anderer zu tun. Wenn unsere jungen Leute Probleme haben, dann sollten wir – ob sie sich äußern oder nicht – zunächst einmal Verständnis und Mitempfinden zeigen. Die Probleme mögen unterschiedlicher Natur sein – Stress mit dem Freund, Probleme in der Schule, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, zu schnell gefahren, einen Unfall verursacht ... – wichtig ist, dass die Kinder wissen, dass wir Mitempfinden haben.
  2. Güte: Güte bedeutet, dem anderen etwas Gutes zu tun. Kinder müssen wissen, dass ihre Eltern es „gut“ mit ihnen meinen und das nicht nur sagen, sondern praktizieren. Das hat mit dem Vertrauen zu tun, dass wir als Eltern zu unseren Kindern aufbauen. Kleine Kinder haben grundsätzliches Vertrauen in ihre Eltern. Sie trauen ihnen nicht „Schlechtes“ zu. Bei größeren Kindern muss dieses Vertrauen, dass die Eltern es „gut“ meinen, erworben werden.
  3. Demut: Demut ist eine Haltung, die nicht an sich denkt, sondern an den anderen. Egoistisches Verhalten der Eltern wird gerade in der Phase der Pubertät das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern negativ beeinflussen. Wenn Eltern hingegen bereit sind, auch mal den „unteren Weg“ zu gehen und nicht an sich zu denken, werden Kinder das mit Sicherheit „honorieren“.
  4. Sanftmut: Gerade in Diskussionen mit jungen Leu-ten ist es wichtig, dass wir die Ruhe bewahren. Gegenseitige Beschimpfungen bringen uns nicht zum Ziel. Wir sollten uns in Ruhe die Argumente unserer Kinder anhören und dann in Ruhe antworten und uns austauschen. Die äußere Atmosphäre und die Art der Gesprächsführung haben durchaus einen Einfluss auf das Gesprächsergebnis.
  5. Langmut: Langmut und Geduld sind gerade im Umgang mit Jugendlichen unerlässlich. Es wird vorkommen, dass gewisse Themen immer wieder besprochen werden müssen. Warum darf ich dieses nicht und warum soll ich jenes nicht tun? Wir brauchen in der Tat viel Geduld. Aber eine Haltung der Langmut wird sich auszahlen.
  6. Einander ertragen: Nicht nur Kinder haben ihr „Macken“, sondern wir Eltern haben sie auch. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, als seien wir fehlerfrei. Das wird uns niemand „abkaufen“. Manchmal müssen die Kinder auch ihre Eltern (er-)tragen. Aber es ist sicher so, dass die Eltern in der Regel die größere Last zu tragen haben. Gerade bei jungen Menschen treten manche Schwächen auf, die einfach zu ertragen sind. Wenn der „Junior“ morgens nicht aus dem Bett kommt, ist das eine Situation, die entweder zur ständigen Eskalation führt oder die wir versuchen, in Liebe zu tragen (was nicht heißt, dass wir nicht die Verantwortung haben, dafür zu sorgen, dass er sich nicht zu einem notorischen Langschläfer entwickelt).
  7. Gegenseitig vergeben: Das (Er-)tragen hat mit Schwächen zu tun. Gegenseitige Vergebung ist dann gefragt, wenn Sünden vorgekommen sind. Wenn eine Atmosphäre herrscht, in der man sich gegenseitig die Sünden bekennt und vergibt, haben wir eine gute Basis geschaffen, in Harmonie mit unseren größeren Kindern zusammenzuleben. Mangelnde Vergebungsbereitschaft ist hingegen der Tod für ein gutes Miteinander. Kinder müssen wissen, dass ihre Eltern ein offenes Ohr haben und bereit sind zu vergeben.

Das alles wird durch die Liebe zusammengehalten. Liebe ist das Markenzeichen des Christen. Unsere Kinder müssen spüren und wissen, dass wir sie lieb haben. Ohne diese Liebe und Zuneigung werden die Herzen nicht miteinander verbunden bleiben. Auch 16- oder 18-Jährige müssen ganz sicher wissen: Mein Vater und meine Mutter haben mich von Herzen lieb.

Danach erwähnt Paulus zwei weitere Punkte, die ebenfalls von großer Bedeutung sind. Er spricht erstens vom Frieden und zweitens vom gemeinsamen Gespräch. Der Friede des Christus soll in unseren Herzen regieren (oder entscheiden) und wir sollen uns gegenseitig lehren und ermahnen. Kontroverse Diskussionen werden nicht ausbleiben. Aber es ist wichtig, dass wir sie in einer Atmosphäre des Friedens führen. Das bedeutet, den anderen ausreden zu lassen. Das bedeutet, dass wir Vorwürfe und Angriffe vermeiden und nicht auf dem vermeintlichen „Elternrecht“ beharren. Rechthaberei ist das Letzte, was junge Menschen überzeugt. „Jagd dem Frieden nach“ (Heb 12,14). Er ist ein flüchtiges Gut – auch im familiären Miteinander.

Über dies alles müssen wir die Kommunikation mit unseren Kindern pflegen und „im Gespräch“ bleiben. Jugendliche schaffen es tatsächlich, nur das Nötigste mit ihren Eltern zu besprechen und sich dabei auf einige Worthülsen zu beschränken. Das klingt dann vielleicht so: Guten Morgen. Wie geht's? Gut geschlafen? Wo ist das Essen? Tschüss. Mama, hast du meinen Autoschlüssel gesehen? Wo ist denn mein Handy schon wieder? Gute Nacht und schlaf gut. Bis morgen. Dabei sollten wir es nicht bewenden lassen. Gegenseitige Wertschätzung und Liebe bedingt, dass wir miteinander reden und echtes Interesse an dem Befinden unserer Kinder bekunden.

Junge Menschen stellen uns vor besondere Herausforderungen. Dennoch ist es möglich diese schwierige Lebensphase der Pubertät gemeinsam mit unseren Kindern zu (er-)leben und ihnen dabei gute Wegbegleiter und Ratgeber zu sein.

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