Betrachtung über Philipper (Synopsis)

Kapitel 4

Betrachtung über Philipper (Synopsis)

Die Philipper sollten daher feststehen in dem Herrn. Das ist schwer, wenn das geistliche Maß des christlichen Lebens im Allgemeinen gesunken ist; überdies ist es schmerzlich, denn der Wandel eines treuen Christen wird immer einsamer, und die Herzen der anderen sind verengt. Der Geist aber hat uns in sehr klaren Zügen das Vorbild, den Grundsatz, den Charakter und die Kraft dieses Wandels vor Augen gemalt. Ist der Blick auf Christus gerichtet, so ist alles leicht, und die Gemeinschaft mit Ihm gibt Licht und Gewissheit und wiegt alles auf, was wir vielleicht verlieren.

Der Apostel redet dennoch mit Milde von den eben erwähnten Personen, sie waren nicht den falschen, ins Judentum führenden Lehrern gleich, die die Quellen des Lebens verdarben und den Pfad versperrten, auf dem der Gläubige die Gemeinschaft mit Gott in Liebe genießt. Diese hatten das Leben der Gemeinschaft verloren, oder hatten nie mehr als einen Schein davon besessen. Er weinte über sie.

Ich denke, dass der Apostel seinen Brief durch Epaphroditus gesandt hat. Dieser hat ihn wahrscheinlich auch geschrieben, indem der Apostel ihn diktierte. So war es ja mit allen Briefen, mit Ausnahme des Briefes an die Galater, den der Apostel, wie er uns mitteilt, mit eigener Hand geschrieben hat. Wenn er deshalb in Phil 4, 3  sagt: „mein treuer Mitknecht“, so spricht er, denke ich, von Epaphroditus und wendet sich an ihn.

Er erwähnt auch zwei Schwestern, die nicht gleich gesinnt waren im Kampf wider den Feind. In jeder Hinsicht wünscht er Einheit des Herzens und des Sinnes. Er bittet den Epaphroditus (wenn dieser wirklich gemeint ist), als Knecht des Herrn, den gläubigen Frauen beizustehen, die mit Paulus in der Verbreitung des Evangeliums gearbeitet hatten. Evodia und Syntyche gehörten wohl zu ihrer Zahl – die Gedankenverbindung macht es wahrscheinlich; ihre Wirksamkeit hatte sie, indem sie das Maß ihres geistlichen Lebens überschritt, verführt, dem Eigenwillen Raum zu geben, was dann wiederum Uneinigkeit hervorgerufen hatte. Dennoch wurden sie neben Clemens und anderen, die des Apostels Mitarbeiter waren und deren Namen im Buch des Lebens standen, nicht vergessen; denn die Liebe zum Herrn denkt an alles, was seine Gnade tut; und diese Gnade hat für jeden der Seinigen einen Platz.

Der Apostel kehrt jetzt zu den praktischen Ermahnungen zurück, die hinsichtlich des täglichen Lebens an die Gläubigen gerichtet werden, dass sie nämlich ihrer himmlischen Berufung gemäß wandeln möchten. „Freut euch in dem Herrn“ (V. 4). Wenn er auch über viele weint, die sich Christen nennen, so freut er sich doch allezeit in dem Herrn; in Ihm findet er das, was durch nichts verändert werden kann. Das ist nicht Gleichgültigkeit dem Schmerz gegenüber – sie würde das Weinen verhindern –, sondern in Christus ist für ihn eine Quelle der Freude, die sich erweitert, wenn Betrübnis vorhanden ist, weil sie unveränderlich ist, und die sogar um so reiner im Herzen wird, je mehr sie allein das Herz ausfüllt; und sie ist in sich selbst die einzige Quelle, die endlos rein ist. Wenn nun Christus diese einzige Quelle für uns ist, so lieben wir in Ihm alle, die sein sind. Wenn wir dieselben neben Ihm lieben, so verlieren wir etwas von Ihm. Wenn wir durch Herzensübungen von allen anderen Quellen entwöhnt sind, so bleibt die Freude in Ihm in ihrer ganzen Reinheit übrig, und unsere Zuneigung zu anderen gewinnt teil an dieser Reinheit. Nichts trübt auch diese Freude, weil Christus sich nie verändert. Je mehr wir Ihn kennen, desto mehr sind wir fähig, das zu genießen, was durch seine Erkenntnis immer an Ausdehnung zunimmt. Aber der Apostel ermuntert die Christen, sich zu freuen, denn dadurch legen sie ein Zeugnis für den Wert Christi ab. Es ist ihre wahre Stellung. Vier Jahre Gefängnis, an einen Kriegsknecht gekettet – das alles hatte ihn nicht verhindert, sich zu freuen und andere ermuntern zu können, die sich in angenehmeren Verhältnissen befanden als er.

Diese Freude ist es auch, die den Christen ruhig und sanftmütig macht; seine Leidenschaften werden nicht durch andere Dinge erregt werden, wenn Christus genossen wird. Zudem ist Er nahe. Nur noch kurze Zeit, und alles, was die Menschen heute erstreben, wird Dem Platz machen, dessen Gegenwart den Willen zügelt (oder ihn vielmehr beseitigt) und das Herz erfüllt. Bis zu seiner Ankunft sollen die Dinge hienieden unsere Herzen nicht erregen. Wenn Er kommt, werden andere Dinge uns völlig in Anspruch nehmen.

Aber nicht allein der Wille und die Leidenschaften sollen gezügelt und zum Schweigen gebracht werden, sondern auch alle Sorgen. Wir stehen mit Gott in Verbindung; in allem ist Er unsere Zuflucht, und Ihn stören die Ereignisse nicht. Er kennt das Ende von Anfang an. Er kennt alles, Er kennt es im Voraus. Die Ereignisse erschüttern weder seinen Thron noch sein Herz; sie erfüllen nur immer das, was Er sich vorgesetzt hat. Aber für uns ist Er Liebe; wir sind durch die Gnade die Gegenstände seiner zärtlichen Sorge. Er gehört uns und neigt uns sein Ohr zu. Deshalb sollen wir in allen Dingen, anstatt uns zu beunruhigen und alles in unseren eigenen Herzen abzuwägen, unsere Anliegen durch Gebet und Flehen vor Gott kundwerden lassen mit einem Herzen, das sich vor Ihm offenbart (denn wir sind menschliche Wesen), aber mit der Kenntnis des Herzens Gottes, das uns vollkommen liebt: so dass wir selbst dann schon, wenn wir unsere Bitte vor Ihn bringen, danken können, weil wir der Antwort seiner Gnade gewiss sind, wie sie auch ausfallen möge. Es sind ja unsere Anliegen, die wir vor Ihn bringen sollen. Auch stehen wir nicht unter einem kalten Gebot, erst seinen Willen zu erforschen und dann zu kommen: wir sollen mit unseren Anliegen kommen. Deshalb heißt es auch nicht: ihr werdet alles bekommen, um was ihr bittet, sondern: der Friede Gottes wird eure Herzen bewahren. So zu kommen ist Vertrauen; und sein Friede, der Friede Gottes selbst, wird unsere Herzen bewahren. Es heißt nicht, dass unsere Herzen den Frieden Gottes bewahren sollen, sondern indem wir unsere Bürde auf Ihn geworfen haben, dessen Friede durch nichts erschüttert werden kann, bewahrt sein Friede unsere Herzen. Unsere Sorge ist vor seinem Angesicht, und der beständige Friede des Gottes der Liebe, der alles auf sich nimmt und alles zuvor weiß, beruhigt unsere entlasteten Herzen. Gott teilt uns den Frieden mit, der in Ihm selbst ist und der allen Verstand übersteigt (oder Er bewahrt wenigstens unsere Herzen durch denselben), ebenso wie Er selbst über alle Umstände, die uns beunruhigen können, erhaben ist, wie auch über das arme, menschliche Herz, das durch sie beunruhigt wird. Welche Gnade, dass sogar unsere Schwierigkeiten dazu dienen müssen, uns mit diesem wunderbaren Frieden zu erfüllen, wenn wir wissen, wie wir sie zu Gott bringen sollen, und wie treu Er ist! Möchten wir lernen, diese Verbindung mit Gott in Wirklichkeit aufrecht zu halten, damit wir mit Ihm verkehren und seine Wege mit den Gläubigen verstehen lernen!

Überdies soll sich der Christ, obwohl er, wie wir gesehen haben, inmitten des Bösen und der Prüfungen wandelt, mit allem beschäftigen, was gut ist (und er ist fähig, das zu tun, wenn er in Frieden ist); er soll in dieser Atmosphäre leben, so dass sein Herz von ihr durchdrungen ist und er gewohnheitsmäßig da sich aufhält, wo Gott zu finden ist. Das ist eine überaus wichtige Ermahnung. Wir können mit dem Bösen beschäftigt sein, um es zu verurteilen, und darin recht tun, aber das ist nicht Gemeinschaft mit Gott in dem, was gut ist. Wenn wir aber durch seine Gnade beschäftigt sind mit dem Guten, mit dem, was von Ihm kommt, so ist Er, der Gott des Friedens, mit uns. In der Trübsal werden wir den Frieden Gottes genießen; in unserem täglichen Leben, wenn es dieser Art ist, werden wir den Gott des Friedens mit uns haben. Paulus war hierfür das praktische Beispiel, und wenn die Philipper in ihrem Wandel ihm nachfolgten in dem, was sie von ihm gelernt und gehört und an ihm gesehen hatten, so würden sie erfahren, dass Gott mit ihnen war.

Aber obwohl das die Erfahrung des Apostels war, freute er sich doch sehr, dass ihre liebende Sorge für ihn wieder aufgelebt war (V. 10). Er konnte in Wahrheit seine Zuflucht zu Gott nehmen, aber es war köstlich für ihn im Herrn, dieses Zeugnis der Liebe von ihrer Seite empfangen zu haben. Augenscheinlich war er in Not gewesen; doch das war nur eine Gelegenheit, sich völliger auf Gott zu verlassen. Wir können das seinen Worten leicht entnehmen; aber in seinem Zartgefühl fügt er hinzu, dass er durch die Bemerkung, ihre Sorge für ihn sei endlich wieder aufgelebt, nicht sagen wolle, sie hätten ihn vergessen. Die Sorge für ihn war in ihrem Herzen; allein sie hatten keine Gelegenheit gehabt, ihrer Liebe Ausdruck zu geben. Auch redete er nicht so des Mangels halber. Er hatte gelernt – denn was wir hier finden, ist praktische Erfahrung und das gesegnete Ergebnis derselben –, sich in allen Umständen zu begnügen und also von niemand abhängig zu sein. Er wusste erniedrigt zu sein, er wusste Überfluss zu haben; in allem war er unterwiesen, sowohl satt zu sein als zu hungern, sowohl Überfluss zu haben als Mangel zu leiden. Er vermochte alles in Dem, der ihn kräftigte (V. 11–13). Liebliche und köstliche Erfahrung! nicht nur weil sie befähigt, allen Umständen zu begegnen, was gewiss von großem Wert ist, sondern weil der Herr gekannt ist als der beständige, treue und mächtige Freund des Herzens. Es heißt nicht: „ich vermag alles“, sondern: „ich vermag alles in Dem, der mich kräftigt“. Es ist eine Kraft, die fortwährend hervorströmt aus einer Verbindung mit Christus, aus einem Umgang mit Ihm, der im Herzen unterhalten wird. Auch heißt es nicht: „Man vermag alles.“ Das ist wahr; aber Paulus hatte es praktisch gelernt. Er wusste, wessen er gewiss sein und worauf er rechnen konnte, auf welchem Boden er stand. Christus war ihm immer treu gewesen, hatte ihn durch manche Schwierigkeiten und durch so manche Zeiten des Überflusses hindurch gebracht, dass er gelernt hatte, auf Ihn, und nicht auf die Umstände zu vertrauen. Und Christus war ewiglich derselbe. Doch hatten die Philipper wohlgetan, an ihn zu denken, und er wurde nicht vergessen. Von Anfang an hatte Gott ihnen diese Gnade verliehen; sie hatten seine Notdurft erfüllt, sogar in Zeiten, wenn er nicht bei ihnen war. Er gedachte dessen mit herzlicher Liebe; nicht dass er eine Gabe gesucht hätte, sondern er suchte nur Frucht für ihre Rechnung. „Ich habe aber alles“, sagt er, indem sein Herz sich zurückwendet zu dem einfachen Ausdruck seiner Liebe. Er hatte Überfluss, da er von Epaphroditus das empfangen, was sie ihm gesandt hatten, ein angenehmes Opfer von duftendem Wohlgeruch, Gott wohlgefällig.

Sein Herz ruhte in Gott; das zeigt sich in der Zuversicht, mit der er sich hinsichtlich der Philipper ausdrückt: „Mein Gott“, sagt er, „wird alle eure Notdurft erfüllen nach seinem Reichtum.“ Er drückt es nicht als Wunsch aus, dass Gott das tun möge. Er hatte aus eigener Erfahrung gelernt, was sein Gott war. Mein Gott, sagt er. Der Gott, den ich in all den Umständen, durch die ich gegangen bin, kennen gelernt habe, wird euch erfüllen mit allen guten Gaben. Hier geht er auf den Charakter Gottes zurück, in dem er Ihn kennen gelernt hatte. Gott würde das tun nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christus Jesus. Da hatte er Ihn im Anfang kennen gelernt, und so hatte er Ihn gekannt auf seinem ganzen vielbewegten Pfade, der so voller Trübsale hienieden und so voller Freuden von oben war. Dementsprechend schließt er mit den Worten: „Unserem Gott und Vater aber“ – denn das war Er auch für die Philipper – „sei die Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Er wendet seine eigene Erfahrung von dem, was Gott für ihn war, und seine Erfahrung von der Treue Christi auf die Philipper an. Das befriedigte seine Liebe und gab ihm ihretwegen Ruhe. Es ist auch ein Trost für uns, wenn wir an die Versammlung Gottes denken.

Schließlich übersendet er den Gruß der Brüder, die bei ihm waren, und der Heiligen im Allgemeinen, besonders derer aus des Kaisers Hause; denn sogar dort hatte Gott einige gefunden, die durch die Gnade auf seine Stimme der Liebe gehört hatten. Er schließt mit dem Gruß, dem Zeichen in allen seinen Briefen, dass sie von ihm waren.

Der gegenwärtige Zustand der Versammlung, der Kinder Gottes, die wiederum zerstreut und oft wie Schafe ohne Hirten sind, ist ein Zustand des Verfalls, der ganz verschieden ist von dem, unter welchem der Apostel schrieb; aber das macht uns die Erfahrung des Apostels, die uns in dem Brief an die Philipper vor Augen zu stellen Gott wohlgefallen hat, nur noch wertvoller. Es ist die Erfahrung eines Herzens, das auf Gott allein vertraute, und das die Erfahrung auf den Zustand derer anwandte, die der natürlichen Hilfsquellen beraubt waren, die dem organisierten Leib angehörten, dem Leib Christi, wie Gott ihn auf der Erde gebildet hatte. Als ein Ganzes zeigt uns dieser Brief christliche Erfahrung, so wie sie sein soll, das ist, das Erhabensein eines Christen, der im Geist wandelt, über alle Umstände, durch die er hienieden zu gehen hat. Es ist bemerkenswert, dass in diesem Brief weder von der Sünde, die Rede ist, noch von dem Fleisch, ausgenommen um zu sagen, dass der Apostel kein Vertrauen darauf hatte.

Der Apostel hatte zu dieser Zeit selbst einen Dorn für das Fleisch; aber die richtige Erfahrung des Christen ist der Wandel im Geist, über und außer dem Bereich von allem, was das Fleisch in Tätigkeit setzen kann.

Ich wiederhole noch einmal: während das 2. Kapitel auf die Selbstentäußerung und Erniedrigung Christi hinweist und darauf die Güte und Gnade im christlichen Leben und die Sorge für andere gründet, stellt das 3. Kapitel die Herrlichkeit vor den Christen hin und zeigt die Kraft des christlichen Lebens; in dem letzten Kapitel finden wir eine gesegnete Erhabenheit über alle Umstände.

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