Art und Weise der Betrachtung

Die Zukunft

Wenn wir uns nun mit dem Inhalt der Weissagungen beschäftigen, könnte die Frage gestellt werden, wie es kommt, dass die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen so sehr zueinander im Widerspruch stehen. So finden wir z. B., dass Prof. Greydanes in „Korte Verklaring“ sagt, dass das erste Tier in Offenbarung 13 ein Bild sei von den gesamten Obrigkeiten der ganzen Menschheit aller Zeiten, als eine Einheit gesehen. Dr. J. Willemse sagt in „Tekst en Uitleg“, dass es ein Bild vom Antichristen sei. Die Adventisten lehren, dass es das Papsttum ist. Dagegen werden wir in einem der nachfolgenden Kapitel sehen, dass es in Wirklichkeit eine Darstellung des Römischen Reiches ist.

Die Antwort darauf lautet, dass, um die Gedanken Gottes in den Weissagungen verstehen zu können, zwei Voraussetzungen unerlässlich sind:

  1. dass das Wort Gottes vollkommen ist,
  2. dass der Schlüssel zur Auslegung von Gott selbst gegeben ist.

Ja, das Wort Gottes ist vollkommen. Das bedeutet, dass nichts daran fehlt und dass also alles, was zu seinem Verständnis nötig ist, auch in ihm selbst gefunden wird. Wir haben keine großen Werke der Altertumsforschung nötig, um beispielsweise die geistliche Bedeutung des großen Versöhnungstages (3. Mose 16) oder der Geräte der Stiftshütte (2. Mose 25–40) verstehen zu können. Der Brief an die Hebräer oder auch andere Briefe der Schrift geben uns eine gottgemäße Auslegung.

So ist es auch mit der Prophetie. In den Weissagungen finden wir die ganze Fülle der Gedanken Gottes über die Zukunft, soweit Er sie uns zu berichten für gut befand. Und wir bedürfen keiner einzigen der menschlichen Wissenschaften, um sie verstehen zu können. Ja, im Gegenteil, durch die Anwendung menschlicher Hilfsmittel entsteht die große Gefahr, dass die wahre Bedeutung einer Weissagung nicht mehr erkannt wird. Wie oft werden und wurden sie verdreht, indem man sie an Hand von Geschichtsbüchern erklären oder auch mit einem theologischen System in Übereinstimmung bringen wollte, das man sich selbst gebildet hatte. Der einzig richtige Weg ist, die Bedeutung einer Weissagung im Wort Gottes selbst zu suchen. Will man aber die Geschichtsbücher der Menschen dennoch gebrauchen, dann darf es nur zu dem Zweck sein, sie nach dem, was das Wort Gottes uns in den Weissagungen mitgeteilt hat, zu beurteilen.

Dies wird man aber nur dann können, wenn man die Weissagungen unter Anwendung des von Gott selbst gegebenen Schlüssels erforscht. „Indem ihr dies zuerst wisst, dass keine Weissagung der Schrift von eigener Auslegung ist. Denn die Weissagung wurde niemals durch den Willen des Menschen hervorgebracht, sondern heilige Menschen Gottes redeten, getrieben vom Heiligen Geist“ (2. Pet 1,20–21).

Es gibt also keine Weissagung, die sich selbst auslegt. Denn obwohl die Weissagung durch einen heiligen Mann Gottes ausgesprochen wurde, ist dieser doch nicht der eigentliche Verfasser. Ebenso wenig haben auch alle die anderen heiligen Menschen Gottes, die die Weissagungen ausgesprochen oder niedergeschrieben haben, dies etwa aus sich selbst getan. Hinter diesen allen stand der eine Verfasser, der Heilige Geist, der die Propheten dazu trieb, diese Weissagungen auszusprechen. So sagt die Schrift denn auch, dass die Propheten die Bedeutung ihrer eigenen Weissagungen oft selbst nicht verstanden (1. Pet 1,10). Ja, Daniel erhielt sogar die ausdrückliche Anweisung, nicht weiter danach zu forschen, weil es für ihn selbst nicht bestimmt war (Dan 12,8.9).

Alle Weissagungen bilden ein geschlossenes Ganzes

Daraus folgt, dass alle Weissagungen durch den Heiligen Geist gegeben sind und miteinander die Gesamtheit der Ratschlüsse Gottes bilden, die Er uns mitteilen wollte. Wenn wir also die Gedanken verstehen lernen wollen, so können wir uns nicht damit begnügen, nur einen Text, ein Kapitel oder auch ein Buch zu nehmen, denn es ist keine Weissagung der Schrift von eigener Auslegung. Was würde man von einem Mann denken, dem man die Einzelzeichnung eines Teiles von einem Haus in die Hände gibt und der einem danach sagen wollte, wie das ganze Haus aussehen wird? Man würde sagen, dass er über eine glänzende Einbildungskraft verfüge, aber das wäre auch alles. Denn nur der Architekt selbst weiß, wie er das Haus bauen wird. Und nur dann, wenn dieser in einem Lageplan mit allen dazu erforderlichen Einzelzeichnungen und außerdem noch in einer Baubeschreibung seine Gedanken zu Papier gebracht hat, kann man sich eine Vorstellung davon machen, wie das Haus aussehen wird, vorausgesetzt, dass man diese Zeichnungen alle betrachtet und vermöge der Gewohnheit in der Lage ist, sie zu verstehen. Kann man aus einem Stückchen eines Puzzles erkennen, wie das ganze Bild aussieht? Man könnte vielleicht raten, aber auch nicht mehr. Und wie oft irrt man sich, wenn man die einzelnen Stückchen zusammenpassen will. Sobald man aber weiß, wie das ganze Bild aussieht, ist die Sache ziemlich einfach. Dann weiß man, wo man jedes einzelne Stückchen hinzulegen hat.

So ist es auch mit der Prophetie. Alle Weissagungen des Alten und des Neuen Testaments lassen, zusammengenommen, die Pläne Gottes für die Zukunft erkennen. Und erst dann, wenn wir die großen Umrisse dieser Ratschlüsse kennen, werden wir die einzelnen Weissagungen miteinander vergleichen und sehen können, in welcher Verbindung jede einzelne von ihnen zu dem großen Ganzen steht. Wenn wir Schriftstelle mit Schriftstelle vergleichen, werden wir die Gedanken Gottes zu erkennen vermögen. Wenn jeder, der die Weissagungen erforschen will, so handeln würde, dann würden nicht so viele verschiedene Auffassungen entstehen.

Die erste Frage ist nun, wie wir die großen Umrisse der Weissagungen finden können. Die Antwort darauf ist nicht so schwierig, denn Gott gibt sie uns sehr deutlich in seinem Wort: „Denn der Geist der Weissagung ist das Zeugnis Jesu“ (Off 19,10). – „… der Geist Christi, der in ihnen war, hindeutete, als er von den Leiden, die auf Christus kommen sollten, und von den Herrlichkeiten danach zuvor zeugte“ (1. Pet 1,11). – „… das er sich vorgesetzt hat in sich selbst für die Verwaltung der Fülle der Zeiten: alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist“ (Eph 1,9–10). – „Setz dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde hinlege als Schemel deiner Füße“ (Heb 1,13). – „… dann das Ende, wenn er das Reich dem Gott und Vater übergibt, wenn er weggetan haben wird alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht. Denn er muss herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat“ (1. Kor 15,24–25).

Der Geist der Weissagung ist das Zeugnis Jesu

Ja, das ist die Absicht Gottes: den Herrn Jesus zu verherrlichen. Diese wunderbare Person, die Mensch geworden war, um den Willen Gottes zu tun (Heb 10,7). Ihm, der als Er auf der Erde war, sagen konnte: „… weil ich allezeit das ihm Wohlgefällige tue“, und: „Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk vollbringe“ (Joh 8,29; 4,34). Am Ende seines Erdenwandels, als Er sich im Geist schon hinter dem Kreuz sah, konnte Er sagen: „Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte“ (Joh 17,4).

Wer kann die Freude ermessen, die Gott in dem Herrn Jesus findet? In Ihm, der zunahm an Gunst bei Gott und den Menschen (Lk 2,52)!, in Ihm, über dem sich zu Beginn seines Dienstes der Himmel öffnete und zu dem eine Stimme aus dem Himmel sprach: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden“ (Lk 3,22)! Und von dem der Vater, als Er am Ende seines Weges stand, sagen konnte: „Dieser ist mein geliebter Sohn, ihn hört“ (Lk 9,35)! In Ihm, der sagen konnte: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse“ (Joh 10,17)!

Was muss es für Gott gewesen sein, als diese wunderbare Person freiwillig an das Kreuz ging, um Gott zu verherrlichen! Als Er am Kreuz das erstatten musste, was Er nicht geraubt hatte (Ps 69,4)! Als Er dort alles, was Gott ist: seine Gerechtigkeit, seine Heiligkeit, seine Wahrheit, seine Liebe, alles was Adam geleugnet hatte, auf das Höchste verherrlichte, als Er, der Unschuldige, dort an Stelle des verlorenen Sünders von Gott geschlagen und verlassen wurde, weil Gott den Sünder retten wollte (Ps 22; Sach 13,7; Röm 5,8). Können wir uns vorstellen, wie groß das Verlangen in dem Herzen Gottes ist, eine solche Person zu verherrlichen?

Hat der Herr Jesus nicht ein Anrecht darauf, dass die Schöpfung Ihm unterworfen wird? Hat der Schöpfer nicht ein Recht auf das von Ihm Geschaffene (Kol 1,15–16)? Hat Gott Ihn als Sohn nicht gesetzt zum Erben aller Dinge und Ihm als dem Sohn des Menschen nicht alles seinen Füßen unterworfen (Heb 1,2; 2,6–9)? Und in der Offenbarung finden wir das vierte seiner Rechte, das Recht des Erlösers (Off 5,5). Das Lamm, das geschlachtet ist, hat das Erbe, das durch Adam an Satan übergeben wurde, wodurch dieser nun der Fürst dieser Welt geworden ist, wieder zurückerworben. Es hat den Preis, sein Blut, bezahlt. Er ist der wahre Löser, der den Kaufbrief in Besitz nehmen darf (Jer 32,7–12).

Das ist, kurzgefasst, der Inhalt der ganzen Offenbarung, ja aller Weissagungen: Der Vater gibt dem Sohn das Erbe zum Besitztum. Christus ist Mittelpunkt und Gegenstand aller Ratschlüsse, aller Wege und aller Handlungen Gottes. Die Leiden des Christus sind uns offenbart, jedoch liegt die Offenbarung seiner Herrlichkeiten für die Welt noch ganz und gar in der Zukunft (1. Pet 1,11). Die Welt sah Ihn zuletzt, als Er vom Kreuz abgenommen und in das Grab gelegt wurde. Und da sie Ihn verworfen und getötet hat, so kann die Offenbarung seiner Herrlichkeit für sie nur in Verbindung mit Gericht erfolgen (1. Kor 2,8).

Die Jünger dachten, solange der Herr mit ihnen auf dieser Erde wandelte, nur an die Herrlichkeiten (1. Pet 1,11), nicht aber an die Leiden des Herrn (Mt 16,22). Sie meinten, dass der Herr die Römer aus dem Land vertreiben, die Feinde vernichten, Israel zum Haupt der Nationen machen und seinen Thron zu Jerusalem aufrichten würde. Ganz gewiss werden auch diese Dinge alle geschehen; die Herrlichkeiten, von denen die Propheten geredet haben, werden kommen. Sie dachten aber nicht daran, dass sie erst nach den Leiden kommen würden. Und darum musste der Herr ihnen sagen, dass Er leiden und getötet werden müsse. Aber damit sie ihren Glauben an die Propheten nicht verlieren würden, gab Gott ihnen hierzu auf dem Berg der Verklärung eine wunderbare Bestätigung. Es ist auffallend, dass in allen drei Evangelien, die dieses Ereignis berichten, die Reihenfolge genau die gleiche ist (Mt 17; Mk 9; Lk 9). Zunächst spricht der Herr von seinen Leiden, und dann sagt Er ihnen, dass sie den Sohn des Menschen werden kommen sehen in seinem Reich. Und darauf folgt:

Die Verklärung auf dem Berg

Dieses Geschehnis ist keine direkte prophetische Mitteilung. Es gleicht eher einem Gemälde, in dem uns die Herrlichkeit des Reiches des Sohnes des Menschen sowie alle Gruppen, die daran teilhaben werden, auf anschauliche Weise vorgestellt werden. Zuerst der Herr, das Haupt und der Mittelpunkt aller Segnungen und aller Herrlichkeit. Dann Mose, ein Bild der entschlafenen, aber auferweckten Heiligen, und Elias, ein Bild derjenigen Heiligen, die, ohne den Tod zu sehen, in den Himmel eingehen werden (1. Kor 15,51; 1. Thes 4,17). Dann aber auch die Gläubigen, die noch auf der Erde und noch nicht verherrlicht sind; der gläubige Überrest aus Israel, der durch die drei Jünger dargestellt wird.

Welch einen Eindruck wird das auf Petrus gemacht haben. In seinem hohen Alter schreibt er davon, dass dadurch das prophetische Wort befestigt worden ist (2. Pet 1,19). Ja, die Herrlichkeit wird kommen, das Reich des Sohnes des Menschen wird auf der Erde aufgerichtet werden. Jesus Christus wird das Reich der Finsternis mit Scham bedecken, bis dass es nicht mehr sein wird (Dan 7,13–14; Mt 24,30).

Der Teufel wollte dieses Zeugnis zunichte machen. Er lässt Jakobus töten und trachtet danach, auch Petrus umzubringen (Apg 12). Dann würde die Befestigung des prophetischen Wortes keine Autorität mehr gehabt haben, denn aus dem Mund von zwei oder drei Zeugen soll jedes Wort bestätigt werden. Aber Gott wacht über sein Zeugnis. Petrus wird wieder befreit, und er berichtet in seinen Briefen von der Macht, dem Kommen und der Herrlichkeit des Herrn Jesus (1. Pet 1,11; 2. Pet 1,16). Und Johannes gibt uns in der Offenbarung die ausführliche Beschreibung von dem Kommen des Herrn, um sein Reich aufzurichten.

Der Morgenstern

Petrus aber fügt seinem Bericht noch eine Ermahnung von großer Bedeutung hinzu: Ihr tut wohl, auf das prophetische Wort zu achten, „… als auf eine Lampe, die an einem dunklen Orte leuchtet, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen“ (2. Pet 1,19). Diese Welt ist fürwahr ein dunkler Ort (Röm 13,12). Die Nacht war angebrochen, als Judas hinausging, um den Herrn zu verraten, und seitdem herrscht die Macht der Finsternis (Joh 13,30; Lk 22,53). Als das Lamm geschlachtet wurde, ging die Sonne unter (5. Mo 16,6). In dieser Finsternis aber scheint ein Licht, und jeder, der die Weissagungen kennt, vermag in dem Licht dieser Lampe zu wandeln, inmitten einer Welt, wo die Ungerechtigkeit herrscht, einer Welt, die sich unter die Macht Satans gestellt hat, wo nichts als Sünde, Feindschaft gegen Gott, und Elend gefunden wird. Hier nun lässt uns die Weissagung erkennen, dass Gott über allen Dingen steht und dass Er aller Finsternis ein Ende bereiten wird, wenn Er aufgeht als die Sonne der Gerechtigkeit mit Heilung in ihren Flügeln, die Er seinem Volk bringen wird (Mal 4,2.3). Was für ein furchtbares Gericht wird das aber für die Gottlosen bedeuten. Die Weissagung erleuchtet den Christen und trennt ihn von der Welt (Off 18,4), weil sie Zeugnis gibt von dem Gericht über die Welt, und auch von der Herrlichkeit des kommenden Reiches. Sollte nun ein Christ, der weiß, dass das Gericht über die Welt bald hereinbrechen wird, sich mit dieser Welt einlassen oder gar danach trachten, sie zu verbessern?

Dennoch ist die Weissagung nicht die eigentliche Hoffnung des Christen. Der Apostel zeigt uns noch etwas Höheres: „…bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.“

In dem Herzen eines Christen, der sich seiner Vorrechte bewusst ist, ist keine Nacht mehr. Er ist berufen aus der Finsternis in das wunderbare Licht Gottes (1. Pet 2,9). Was früher Finsternis war, ist nun Licht in dem Herrn (Eph 5,8). Und weil es nun Tag ist in seinem Herzen, so ist dort auch der Morgenstern aufgegangen: Er kennt den Herrn Jesus nicht nur als die Sonne der Gerechtigkeit, sondern auch als den glänzenden Morgenstern, der von denen, die wachen, vor Anbruch des Tages gesehen wird (Off 2,28; 22,16–17). Er erwartet Ihn nicht nur zum Gericht für diese Welt, sondern schon vor dieser Zeit, um die Seinen aus dieser Welt wegzunehmen (Röm 13,11–12).

Wenn daher die Braut seinen Namen als Morgenstern nennen hört, dann geht ihr das Herz auf, und sie ruft: „Komm!“ Ihr Teil ist es, in der Vertraulichkeit des Vaterhauses die Braut des Lammes zu sein, obwohl sie selbstverständlich als mit dem Herrn Jesus verbunden auch an der Herrlichkeit seines Reiches teilhaben wird (Off 21,9; 22,5). In Lukas finden wir, dass das Teil derjenigen, die in der Nacht wachen, die Glückseligkeit im Haus ist. Obwohl dort auch noch von dem Erbe die Rede ist, aber dann doch nur in Verbindung mit der Verantwortlichkeit im Dienst (Lk 12,36–48).

Ein Herz, das den Herrn Jesus als den glänzenden Morgenstern kennt und in dem die Stimme des Geistes und der Braut den Wunsch nach seinem Kommen wachgerufen hat, wird sicher von der Welt losgelöst sein und in den Ruf einstimmen: Herr Jesus, komm! Es wird danach trachten, die kurze Zeit, die ihm noch verbleibt, zu benutzen, Sünder zu Jesus zu führen. Er ruft: „Wen da dürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst!“ (Off 22,17). Die Anziehungskraft, die der Herr als der glänzende Morgenstern besitzt, bewirkt in uns dasselbe wie die Weissagung. Sie löst uns von der Welt, um mit Eifer danach zu trachten, Seelen für den Herrn zu gewinnen. „Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, wie er rein ist!“ (1. Joh 3,3).

Doch es gibt auch solche, die nicht daran mitarbeiten, Seelen um den erhöhten Christus zu versammeln, sondern daran, die Welt oder auch ihre Stellung in der Welt zu verbessern. Kann das die Hoffnung eines Christen sein (Eph 1,18)? Andere besitzen die Hoffnung, dass sie bei Christus sein werden, wenn sie entschlafen, und ganz ohne Zweifel ist auch das eine herrliche Tatsache (Phil 1,23). Aber so herrlich wie das ist, wir würden dann doch in einem unvollkommenen Zustand dort sein. Es ist nur unsere Seele, die dann dort sein wird, nicht unser Leib. Aber selbst wenn es dort auch unendlich viel herrlicher ist als in unserem augenblicklichen Zustand in einer Welt voller Schmerzen und Enttäuschungen (Röm 5,3), so ist es dennoch nicht die Hoffnung, von der Gott redet. Die Hoffnung des Christen ist nicht, dass wir sterben, um bei Jesu zu sein, sondern dass der Herr Jesus aus dem Himmel kommt, um alle, die Ihm angehören, von dieser Erde wegzunehmen, und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein (1. Thes 4,13–18).

Aber, wird vielleicht jemand sagen, das macht doch keinen Unterschied, denn in dem einen wie in dem anderen Fall bin ich doch gut aufgehoben!

Aber ist denn unser Wohlergehen der einzige Punkt von Bedeutung? Ist es nicht das Kreuz, das alles für uns gut gemacht hat? Das Blut des Christus hat uns von unseren Sünden gewaschen und uns für Gott zu Königen und Priestern gemacht (Off 1,6), der uns in Christus versiegelt hat „… mit dem Heiligen Geist der Verheißung, der das Unterpfand unseres Erbes ist, zur Erlösung des erworbenen Besitzes, zum Preise seiner Herrlichkeit“ (Eph 1,13). Sind wir nicht dazu frei gemacht, uns mit seinen Gedanken und mit seiner Herrlichkeit zu beschäftigen? Und auf wen lässt Er seine Herrlichkeit ausstrahlen? Auf dich oder auf mich? Gott sei gepriesen, der Herr ist der Einzige, der dazu würdig ist! Ist es nicht sehr viel besser, auf Ihn zu blicken, anstatt auf uns selbst, wo wir nichts finden als nur Schwachheit, Selbstgenügsamkeit, Eigensüchtigkeit und andere Dinge mehr? Gott hat uns nicht zur Aufgabe gestellt, dass wir uns selbst eine eigene Hoffnung bilden sollen, ebenso wenig wie Er uns aufgetragen hat, den Gegenstand unseres Glaubens selbst zu bestimmen. Er hat uns Christus gegeben, – Christus, der ebenso sehr unsere Hoffnung wie auch der Gegenstand unseres Glaubens ist (Kol 1,27b).

Es ist nicht wahr, was so oft gesagt und noch viel öfter gedacht wird, dass die Vergebung unserer Sünden und unsere Errettung für die Ewigkeit das Allerwichtigste sei und alles andere erst an zweiter Stelle komme. – Das Wort Gottes sagt uns, dass es „das Wohlgefallen der ganzen Fülle war, in ihm zu wohnen und durch ihn alle Dinge [„Alle Dinge“ sind nicht „alle Menschen“! Die Lehre, dass schließlich alle Menschen noch errettet werden, steht in vollkommenem Widerspruch zu dem Wort Gottes und bedeutet eine Leugnung der göttlichen Wahrheit.] mit sich zu versöhnen – indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes –, durch ihn, es seien die Dinge auf der Erde oder die Dinge in den Himmeln“ (Kol 1,19–21). Nein, niemals hat es eine solche Stunde gegeben, noch wird jemals in der ganzen Ewigkeit wieder eine solche Stunde sein – wie die Stunde auf Golgatha, als der Heiland für unsere Sünden starb!

Aber was für eine Stunde wird auch das sein, wenn sich einst in dem Namen Jesu jedes Knie beugen wird, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekennen wird, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters (Phil 2,9–11), wenn alle Verlorenen, ja selbst der Teufel und seine Engel, sich vor dem Herrn Jesus niederbeugen werden, wenn die Sünde der Welt hinweggenommen sein (Joh 1,29) und die Gerechtigkeit auf der Erde wohnen wird (2. Pet 3,13), wenn dann alle Dinge mit Gott versöhnt sein werden. Die Herrlichkeit des Kreuzes wird dadurch nicht vermindert, sondern im Gegenteil gerade dadurch umso mehr erhöht. Erst dann wird die ganze Kraft und die volle Segnung des kostbaren Blutes des geschlachteten Lammes völlig offenbart werden. Gott hat den Wert dieses Blutes jetzt schon erkannt; Er hat den Sohn auferweckt aus den Toten und Ihn zu seiner Rechten verherrlicht (Off 5,6–14; 1. Pet 1,19–21). Durch den Glauben vermögen auch wir, Ihn zu erkennen und uns darin zu erfreuen (Off 1,5). Aber das Wiederkommen des Herrn Jesus wird die erste Tatsache sein, durch die Gott im Himmel und auf der Erde, ja, an jedem Ort seiner Schöpfung, die versöhnende Kraft des Blutes offenbaren wird. Sollte das wirklich eine Sache von untergeordneter Bedeutung, eine Frage zweiten Ranges sein?

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