Das Evangelium nach Markus

Kapitel 3

Das Evangelium nach Markus

Die Pharisäer wurden jedoch keineswegs überzeugt, und sie griffen diese Frage wenig später erneut auf, als Er an einem anderen Sabbat in einer ihrer Synagogen menschlicher Not begegnete. Der Konflikt flammte auf um einen Mann mit einer verdorrten Hand. Sie lauerten auf Ihn, indem sie schon erwarteten, daß Er ihnen einen Angriffspunkt bieten würde. Er nahm diese Herausforderung an, die unausgesprochen in ihren Herzen lag, und sagte zu dem Menschen: „Stehe auf und tritt in die Mitte!“ (V. 3) Er rückte ihn in den Mittelpunkt und stellte damit sicher, daß die Herausforderung von allen Anwesenden bemerkt werden würde.

Eine andere Seite des Sabbats wird nunmehr angesprochen. Beabsichtigt Gott mit dem Gesetz, Gutes ebenso wie Böses zu verbieten? Macht der Sabbat eine Tat der Barmherzigkeit gesetzwidrig?

Die Frage „Ist es erlaubt, ... Gutes zu tun oder Böses zu tun?“ dürfen wir im Zusammenhang mit Jakobus 4,17 sehen. Wenn wir wissen, Gutes zu tun, und tun es doch nicht, so ist das Sünde. Sollte der vollkommene Diener Gottes, der das Gute kannte und außerdem Macht hatte, es auszuführen, Seine Hand zurückhalten, weil gerade Sabbat war? Unmöglich!

In dieser eindrucksvollen Weise rechtfertigte der Herr Seinen Dienst der Barmherzigkeit in Gegenwart derer, die durch harte Auslegungen des göttlichen Gesetzes Seine Hände zu binden versuchten. Es ist schon wichtig, daß auch wir bei dieser Betrachtung die Lektion lernen für den Fall, daß wir demselben Irrtum erliegen sollten. Das „Gesetz Christi“ unterscheidet sich nach Charakter und Geist sehr von dem „Gesetz Moses“, doch kann es in ähnlicher Weise mißbraucht werden. Wenn man das Licht Christi trübt und Sein sanftes Joch zu einer Bürde verzerrt, die dann ein Ausströmen der Gnade und des Segens wirksam verhindert, ergibt sich eine schlimmere Entartung als alles, was wir in diesen Versen sehen.

Die Herzen der Pharisäer waren hart. Sie waren empfindlich genug, wenn es sich um Spitzfindigkeiten beim Gesetz handelte, aber hart gegenüber menschlicher Not. Ebenso ließen sie jedes Gefühl für die eigene Sünde vermissen. Jesus sah ihren furchtbaren Zustand und war betrübt darüber; aber Er hielt Seine Segnungen nicht zurück. Er heilte den Mann und überließ sie ihrer Sünde. Sie fühlten sich geschmäht, weil Er eine ihnen so kostbare Gesetzesgewohnheit durchbrochen hatte. Und sie gingen hin, um selbst eines der vorrangigen Gebote des Gesetzes zu verletzen, nämlich Seine Ermordung zu planen. Das ist Pharisäismus!

Angesichts dieses tödlichen Hasses zog sich der Herr mit Seinen Jüngern zurück. Am Ende von Kapitel 1 sahen wir, wie Er sich zurückzog von dem Aufwallen volkstümlicher Beliebtheit. Er warb nicht um Gunstbezeigungen, noch wünschte Er, Streitigkeiten zu erregen. Der vollkommene Diener verhält sich genauso, wie es Seinen Knechten in 2. Timotheus 2,24 eingeschärft wird.

Seine Anziehungskraft war jedoch so stark, daß die Menschen Ihm nachdrängten, selbst als Er sich zurückzog. Volksmengen umgaben Ihn, und auf mannigfache Art offenbarten sich Seine Gnade und Macht. Unreine Geister anerkannten in Ihm ihren Meister, dem sie zu gehorchen hatten, obwohl Er ihr Zeugnis nicht annahm. Er tat den Menschen wohl und machte sie frei, doch Er suchte bei ihnen nichts für sich. Erst benutzte Er ein kleines Boot auf dem See, um sich ein wenig von der Volksmasse abzusetzen, und dann stieg Er auf einen Berg, wo Er nur solche herzurief, die Er selbst wollte, und unter ihnen wählte Er die Zwölf aus, die Seine Apostel werden sollten.

So beantwortete Er nicht nur den Haß der religiösen Führer, indem Er sich von ihnen zurückzog, sondern Er berief auch die Zwölf, die zur bestimmten Zeit ausgehen sollten, um Seinen eigenen unvergleichlichen Dienst auszuweiten. In dieser Form dehnte Er den Wirkungskreis und das Zeugnis aus. Die erwählten Zwölf sollten bei Ihm sein, und danach, wenn die Zeit ihrer Belehrung und Zubereitung erfüllt war, würde Er sie aussenden. Diese Zeit ihrer Ausbildung währt bis Vers 6 von Kapitel 6. Mit Vers 7 dieses Kapitels beginnt dann der Bericht ihrer tatsächlichen Aussendung.

Dieses Verweilen „bei Ihm“ ist von unermeßlicher Bedeutung für den, der zum Dienst berufen ist. Und das ist ebenso nötig für uns, wie es für sie war. Sie hatten Seine Gegenwart und Begleitung auf der Erde. Beides haben wir nicht, aber wir haben den Geist, der uns gegeben ist, und das geschriebene Wort. Dadurch sind wir unter Gebet befähigt, die Verbindung mit Ihm aufrechtzuerhalten und diese geistliche Erziehung zu erlangen, ohne die wir nicht fähig sind, Ihm mit Einsicht zu dienen. Die Zwölf wurden zuerst erwählt, dann zubereitet, dann ausgesandt in der Vollmacht, die ihnen übertragen wurde. Dies ist die göttliche Ordnung, die in den Versen 14 und 15 hervortritt.

Nachdem Er die Zwölf auf den Berg gerufen und erwählt hatte, kehrte Er zu den Siedlungen der Menschen zurück und hielt sich in einem Haus auf. Sofort liefen die Volksmengen wieder zusammen. Die Anziehungskraft, die von Ihm ausging, war unwiderstehlich, und so viele brachten ihr Hilfeersuchen vor, daß keine Zeit zum Essen mehr blieb. Das erste, wovon die Zwölfe Zeugen wurden, als sie anfingen, „bei“ Ihm zu sein, war diese Woge von Interesse und offensichtlicher Beliebtheit ihres Meisters.

Bald jedoch nahmen sie auch teil an ganz anderen Erfahrungen, zunächst der, daß Er von denen, die Ihm dem Fleisch nach am nächsten standen, völlig verkannt wurde. Diese „Freunde“ waren natürlich Seine Angehörigen, die sich zweifellos in guter Absicht Seiner annehmen wollten. Sie konnten einen so ununterbrochenen Einsatz Seiner Mühe um andere nicht begreifen und fühlten sich verantwortlich, einen solchen Zulauf einzuschränken, indem sie meinten, Er sei außer sich. Ihre ungewöhnliche Einstellung wird in Johannes 7,5 deutlicher erhellt. Zu diesem Zeitpunkt Seines Dienstes glaubten Seine Brüder nicht an Ihn, und offensichtlich hatte selbst Seine Mutter bis jetzt nur eine schwache Ahnung von dem, was Er wirklich tat.

Doch zweitens traten Feinde auf, deren Erbitterung und Gewissenlosigkeit zunahm. In Vers 6 dieses Kapitels sahen wir, daß die Pharisäer sich mit den gegnerischen Herodianern berieten, wie sie Ihn umbrächten. Nun sind Schriftgelehrte von Jerusalem gekommen, um Ihm zu widerstehen und Ihn anzuklagen. Und das tun sie auf eine äußerst verwegene Weise, indem sie Seine barmherzigen Werke der Macht des Teufels zuschreiben. Das war nicht so sehr eine gemeine Beschimpfung als vielmehr ein wohlbedachter, raffinierter Angriff. Was der Herr vollbrachte, konnten sie nicht leugnen, doch suchten sie Seinen Charakter zu verleumden. Sie sahen Seine Wunder der Barmherzigkeit klar vor Augen und erklärten sie vorsätzlich und öffentlich als Werke des Teufels. Von dieser ungeheuerlichen Art war ihre Lästerung, die wir klar erfassen sollten, bevor wir die Worte des Herrn in Vers 29 bedenken.

Doch rief Er sie zunächst zu sich und antwortete ihnen, indem Er an ihr vernünftiges Denken appellierte. Ihre lästerliche Beschuldigung war unsinnig. Denn sie unterstellten tatsächlich, daß Satan hier wirke, um den Satan auszutreiben, daß somit sein Reich und sein Haus mit sich selbst entzweit seien. Wenn das wahr wäre, hätte es das Ende all seiner Anstrengungen bedeutet. Satan ist viel zu schlau, um so vorzugehen.

Ach, wir Christen müssen zugeben, daß wir nicht so klug gewesen sind, ein solches Verhalten zu vermeiden. Wie ist die Christenheit in geradezu selbstmörderischer Weise zerstritten, und zweifellos ist es Satan selbst, der eine solche Zerrissenheit anzettelt. Wäre nicht die Macht des Herrn Jesus in der Höhe unverändert geblieben und wohnte nicht der Heilige Geist in der Versammlung Gottes, so würde das öffentliche Zeugnis des Christentums längst ausgelöscht sein. Daß der Glaube auf der Erde bisher überlebt hat, ist nicht ein Verdienst unserer menschlichen Weisheit, sondern der Macht Gottes.

Nachdem der Herr die törichte Unsinnigkeit ihrer Rede bloßgestellt hatte, gab Er die wirkliche Erklärung von dem, was sich eigentlich ereignete. Da war ein Starker, aber Er war der Stärkere, und jetzt befaßte Er sich damit, dessen Hausrat zu rauben und vielen Menschen, die von ihm gefangen waren, die Freiheit zu bringen. Satan war ein Gebundener in der Gegenwart des Herrn.

Und drittens warnt Er diese unglückseligen Menschen im Blick auf die Ungeheuerlichkeit der von ihnen begangenen Sünde. Der vollkommene Diener hatte durch die Kraft des Heiligen Geistes Menschen aus den Klauen Satans befreit. Um das nicht zuzugeben, brandmarkten sie das Wirken des Heiligen Geistes als eine Tätigkeit Satans. Das war reinste Lästerung, und zwar die blinde Lästerung von Menschen, die ihre Augen vor der Wahrheit verschließen. Damit stellten sie sich selbst außerhalb jeder Vergebung, und nichts anderes als ewige Verdammnis stand ihnen bevor. Sie hatten jenen schrecklichen Verhärtungszustand in Haß und Verblendung erreicht, der einst in Ägypten den Pharao kennzeichnete und der zu einer späteren Zeit auf das Nordreich Israels zutraf, als das Wort Gottes erging: „Ephraim ist mit Götzen verbündet; laß ihn gewähren“ (Hos 4,17). Gott würde auch diese Schriftgelehrten Jerusalems gewähren lassen, und das bedeutete: Keine Vergebung mehr, sondern Verdammnis!

Das also war die unvergebbare Sünde. Wenn wir verstehen, was sie wirklich ist, können wir leicht erkennen, daß viele Leute mit einem zarten Gewissen, die heutzutage beunruhigt sind in der Befürchtung, sie vielleicht begangen zu haben, die letzten sind, die sie wirklich begangen haben könnten.

Am Schluß des Kapitels kommen die Familienangehörigen noch einmal herzu. die uns in Vers 21 begegneten. In den Worten des Herrn an Seine Mutter und Seine Brüder haben einige eine unnötige Strenge empfunden. Gewiß liegt darin großer Ernst, der durch ihr Verhalten Ihm gegenüber verursacht wurde. Der Herr benutzte auch die Gelegenheit, Seinen Jüngern eine Belehrung zu erteilen, die sie brauchten. Sie hatten Ihn bei unermüdlicher Arbeit erlebt und die Anhänglichkeit des Volkes gesehen, ebenso waren sie anwesend, als Er zur Zielscheibe lästerlicher Anfeindungen wurde. Jetzt sollten sie auf eindrucksvolle Weise erfahren, daß Beziehungen, die Gott anerkennt und ehrt, immer auf einer geistlichen Grundlage ruhen.

Früher spielten in Israel verwandtschaftliche Beziehungen eine große Rolle. Jetzt werden sie beiseite gesetzt zugunsten einer geistlichen Beziehung. Das geistliche Element liegt dabei im Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes. Für uns heute sind es die Heiligen Schriften, die für uns den Willen Gottes enthalten. Alles kommt auf den Gehorsam an. Er begründet jeden wahrhaftigen Dienst und muß uns auszeichnen, wenn wir mit dem einen wahren und vollkommenen Diener in Verbindung stehen wollen. Laßt uns das nie vergessen!

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