Die Versammlung Gottes

4) Der Wandel der Versammlung

Die Verbundenheit mit allen Kindern Gottes

Das Leben der Versammlung ist nicht auf die Zusammenkünfte beschränkt, obwohl es sich dort, vor allem am Tisch des Herrn, am stärksten kundgibt. Es erstreckt sich vielmehr auf alle Gebiete des christlichen Lebens aller Gläubigen. Alle Einzelheiten des geistlichen Lebens jedes einzelnen der Kinder Gottes beeinflussen die Gesamtheit des Leibes zum Guten oder Schlechten. Deshalb erweisen sich die große Zersplitterung der Kinder Gottes in der Gegenwart und die allgemeine Vermengung von Welt und Christenheit umso schwerwiegender und demütigender für uns. Es ist seit langer Zeit fast unmöglich, die lebendige Verbundenheit mit allen Gläubigen anders zu verwirklichen als in Gedanken und im Gebet, oder wenn wir beim Mahl des Herrn den Tod des Herrn verkündigen. Gewiss, wir freuen uns, dass wir die christliche Liebe, verbunden mit allen, die wir als wahrhafte Christen erkennen, genießen können. Doch wird die Ausübung der brüderlichen Beziehungen, so gesegnet und erfreulich sie sein könnte, leider dadurch begrenzt, dass wir nicht den gleichen Weg mit denen gehen können, deren Weg von der Wahrheit abweicht.

Läge uns die Sache Christi mehr am Herzen und wüssten wir mehr um „die Sorge um alle Versammlungen“, wie sie täglich auf Paulus eindrang (2. Kor 11,28), so würden wir häufiger und inbrünstiger am Thron der Gnade verweilen und öfter bekümmert in die Wort Jeremias ausbrechen: „Wie wurde verdunkelt das Gold, verändert das gute, feine Gold! Wie wurden verschüttet die Steine des Heiligtums an allen Straßenecken!“ (Klgl 4,1). Dann würden wir zugleich einen innigeren Dank gegen Gott empfinden, dessen Gütigkeiten es sind, „dass wir nicht aufgerieben sind“ (Klgl 3,22), und gegen den, der das schwache Zeugnis von Philadelphia mit den sichersten Verheißungen versehen hat. Lasst uns nicht aufhören, Ihn um die Gnade zu bitten, dass auch wir in die Reihen dieser Zeugen getreten sein und darin beharren möchten.

Diejenigen, die Gottes Gnade miteinander verbinden wollte als ein Zeugnis für den bleibenden Wert des Namens Jesu, in dem sie „in eins versammelt sein sollten“ (vgl.  Joh 11,52), haben zu wachen, dass die Rechte des Herrn in ihrem Bereich gewahrt bleiben, wie dies eigentlich in der Versammlung Gottes geschehen sollte. Man kann sagen, dass die, die den Belangen des Herrn in dankerfüllter Liebe Rechnung tragen möchten, so handeln sollten, als ob sie die gesamte Versammlung Gottes wären.

Die Wahrheit festhaltend in Liebe

Um dies aber zu können, ist es nötig, dass die Liebe ständig in der Wahrheit tätig ist. Welch ein Zeugnis wäre es, und wie würden aufrichtige Seelen befestigt werden, wenn alle Beziehungen unter uns unter diesem doppelten Einfluss ständen! „Jaget dem Frieden nach mit allen und der Heiligkeit“ indem ihr darauf achtet, „dass nicht jemand an der Gnade Gottes Mangel leide“ (Heb 12,14 und 15). Wie oft fordert das Wort uns auf, einander zu ermahnen, wie auch einander zu ertragen, einander zu stützen und zu trösten! Dies ist der Inhalt aller Belehrungen des Neuen Testamentes in Bezug auf unseren praktischen Wandel, die uns gegeben sind, damit wir „alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus“ (Eph 4,13). Gerade auf die Versammlung beziehen sich die praktischen Ermahnungen in den Briefen an die Epheser und die Kolosser, Briefe, die mehr als alle anderen das gesamte Leben der Gläubigen hienieden umfassen. Denn dieses Leben wird niemals unter dem Gesichtspunkt eines einzelnen Gläubigen betrachtet. Darin ist die außerordentliche Wichtigkeit alles dessen begründet, was der Herr zur Auferbauung in den „Leib“ gelegt hat. Deshalb „die Wahrheit festhaltend in Liebe, lasst uns in allem heranwachsen zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus, aus dem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung, nach der Wirksamkeit in dem Maß jedes einzelnen Teiles, für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe“ (Eph 4,15 und 16). Können wir sagen, dass jeder Teil des Leibes - und jeder von uns ist ein solcher Teil -, wirkt, wie er wirken sollte? Und lassen wir jedes Gelenk der Darreichung nach seinem Maß frei wirken, damit der Herr zu jeder Zeit die notwendige Nahrung zur Auferbauung des Leibes geben kann?

Die Ausübung der Autorität im Namen des Herrn

a) Der Bereich dieser Autorität

Die Versammlung hat ein Recht, in die Beziehungen unter den einzelnen Geschwistern Einblick zu haben. Nach Matthäus 18 ist die Versammlung die höchste Instanz auf der Erde, wohin ein Bruder, der durch einen anderen verletzt worden ist, Zuflucht nehmen kann. Das gute Einvernehmen der Glieder des Leibes Christi darf der Versammlung nicht gleichgültig sein. Der Apostel schrieb den Philippern: „Wandelt nur würdig des Evangeliums des Christus, … dass ihr feststehet in einem Geist, indem ihr mit einer Seele mitkämpfet...“ (Phil 1,27). Er fordert sie auf: „Erfüllet meine Freude, dass ihr einerlei gesinnt seid, dieselbe Liebe habend, einmütig, eines Sinnes“ (Kap. 2,2) und benutzt dazu den an die ganze Versammlung gerichteten Brief.

Die Versammlung sollte das persönliche Leben jedes Einzelnen kennen, der an dem gemeinsamen Zeugnis teilnimmt. Sie ist der Boden, auf dem die Glieder wachsen, gedeihen und Frucht bringen sollen, in Frieden und in der Freude der geschwisterlichen Gemeinschaft. Aber wir wissen wohl: Diese Gemeinschaft ist sehr zerbrechlich; und man muss fortgesetzt um ihre Aufrechterhaltung oder, wenn nötig, um ihre Wiederherstellung bemüht sein. Brüderliches Vertrauen und das Achthaben des einen auf den anderen unter Beobachtung der Autorität des Herrn in Unterwürfigkeit unter sein Wort gehen Hand in Hand.

Ohne Zweifel hat die Versammlung keine Befugnis, jemand dem Leib Christi hinzuzufügen, welche Ansicht in einigen „Kirchen“ vertreten wird. Ein Glied dieses Leibes kann man nur durch die Wiedergeburt werden, die ein Werk Gottes ist, und die durch den Geist und das Wort zustande kommt. (Vgl.  Joh 3,7.8.)

Die Versammlung wirkt auch nicht, im eigentlichen Sinn, mit, was das Eintreten in das christliche Bekenntnis, in das „große Haus“ (2. Tim 2,20) betrifft. Dieser Eintritt vollzieht sich durch die Taufe. Nirgends in der Heiligen Schrift finden wir, dass die Taufe durch die Versammlung oder in ihrem Namen stattfindet. Vielmehr sind die Diener des Herrn beauftragt, jede zum Glauben gekommene und damit wiedergeborene Seele „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28, .19) zu taufen. (Vgl.  die Stellen: Apg 8,14-17; 19,1-6.)

Aber die Versammlung hat das Vorrecht, anzuerkennen und aufzunehmen, „gleichwie auch der Christus uns aufgenommen hat, zu Gottes Herrlichkeit“ (Rö 15,7). Sie freut sich, Neuhinzukommende am Tisch des Herrn zu empfangen, wo, was man nicht zu oft betonen kann, die „Einheit des Leibes“ zur Darstellung gebracht wird.

Allein - wir haben dies schon besprochen, müssen aber nochmals darauf zurückkommen - die Versammlung hat die Verantwortung, die Heiligkeit dieses Tisches und die Reinheit des Hauses Gottes sorgfältig zu hüten zur Ehre des Herrn und zum geistlichen Wohl der Seinen. Es gilt also eine Ordnung, deren Ausübung der Versammlung obliegt. Sie hat Entscheidungen zu treffen gemäß dem Grundsatz, den der Herr selbst mit den Worten verkündigte: „Wahrlich, ich sage euch: Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein“ (Mt 18,18).

Diese geistliche Verwaltung liegt der ganzen örtlichen Versammlung ob. Bei dem heutigen Zustand der Dinge ist sie Sache derjenigen Zeugen des Herrn, die den Grundsätzen einer Versammlung Gottes entsprechen. Die, die der Heilige Geist als Aufseher gesetzt hat (Apg 20,28) und im weiteren Sinn alle, denen die Sache des Herrn in der Versammlung am Herzen liegt, werden sich sicher mit besonderer Sorgfalt dieser Aufgabe annehmen. Nach der im Wort Gottes gegebenen unveränderlichen Ordnung sind nur die Brüder zu dieser Verwaltung berufen. Aber Entscheidungen können nur im Namen der gesamten Versammlung, also aller Brüder und Schwestern, getroffen werden, nachdem die Schwestern nötigenfalls ihre Gedanken in vertraulicher Aussprache geäußert haben. Es handelt sich hierbei nicht um die Frage des Verfahrens oder der Form; die Hauptsache ist, dass das Gewissen der Versammlung fortgesetzt vor dem Herrn geübt wird, damit alles nach Seinen Gedanken und für Ihn, in der vollen Freiheit des Geistes geschieht.

b) Die Zulassung zum Tisch des Herrn

Bei der Zulassung eines Gläubigen zum Tisch des Herrn muss die Sorge um die Ehre des Herrn im Vordergrund stehen. Man erkennt ihn an als Kind Gottes. Dass er in Wahrheit dem Herrn angehört, wird nicht nur durch seine Worte offenbar, wenn er „mit seinem Mund Jesus als Herrn bekennt und in seinem Herzen glaubt, dass Gott ihn aus den Toten auferweckt hat“ (vgl.  Rö 10,9), sondern auch durch seinen Wandel. Man wird keinesfalls Vollkommenheit, die ja niemand von uns erreicht, von ihm erwarten, aber man muss erwarten, dass er getrennt von allem Bösen wandelt, in stetem Selbstgericht; dass er ein anerkannt ehrbares Leben führt und sich von jeder Verbindung mit Lehren, die die Person Christi antasten, fernhält. (Lies 2. Joh 9.10.) Es handelt sich bei der Zulassung zum Tisch des Herrn nicht um die Frage größerer oder geringerer Erkenntnis des Neuhinzukommenden; auch wird man ihn nicht einem Examen unterwerfen, aber die Versammlung muss die Gewissheit haben, dass er gesund ist im Glauben, und dass sein praktisches Leben mit diesem Glauben im Einklang steht.

Es braucht wohl nicht gesagt zu werden, dass es in dem Maß, wie falsche Lehren sich in der Christenheit vermehrt haben, notwendig geworden ist, bei der Zulassung zum Tisch des Herrn wachsam zu sein, damit kein Sauerteig falscher Lehre in die „Versammlung“ hineingetragen werde. Die aber, die ihre Brüder deshalb geringschätzend als „eng“ bezeichnen, mögen bedenken, dass diese Brüder nur mit bedrücktem Herzen, aber in der festen Überzeugung, die Rechte ihres Herrn wahren zu müssen, die „Mauer“ stehen lassen, und das Tor nicht weiter öffnen. Ach, sie haben sie, Mauer und Tor, leider nicht immer genügend bewacht!

c) Die Zucht

Die „Zucht“ der Versammlung, die diese an denen ausüben soll, die „drinnen“ sind, wie der Apostel in 1. Korinther 5,12 lehrt, ist ebenfalls unerlässlich. Ehe die Versammlung bei Ausübung der Zucht zum Letzten schreitet, zu der traurigen Notwendigkeit des Ausschlusses, sollte sie in Liebe alle Mittel zur Wiederherstellung des Betreffenden in Warnung, Beratung und Zurechtweisung angewendet haben.

Wenn ein Gläubiger sich nicht selbst richtet, wie es unbedingt nötig ist, und dadurch nach und nach vom rechten Weg abkommt, ist Gefahr für ihn, einen schweren Fall zu tun, durch den nicht nur sein eigenes, sondern auch das Zeugnis der ganzen Versammlung befleckt wird. Die brüderliche Liebe sollte diese Gefahr rechtzeitig erkennen und bemüht sein, einen solchen „von der Verirrung seines Weges“ zurückzuführen, um auf diese Weise „eine Menge von Sünden“ zu bedecken. (Vgl.  Jak 5,14.15.20; 1. Pet 4,8; Gal 6,1; 2. Thes 3,14.15 u. a. Stellen.) Ein demütiger Sinn, der in Betrübnis über die Fehler anderer diese Fußwaschung ausübt, wovon der Herr Jesus uns ein Beispiel hinterlassen hat, wird in den meisten Fällen mehr erreichen, als es strenge Zurechtweisungen tun. Möchte Gott in vermehrtem Maß Hirten unter uns erwecken, die sowohl Weisheit und Liebe als auch die nötige Energie haben, um die rechte Zucht auszuüben, dem Bösen gegenüber unnachgiebig, aber zart und barmherzig dem fehlenden Bruder gegenüber.

Aber nicht nur dieser oder jener Bruder, sondern die ganze Versammlung hat die Pflicht, sich mit dem, der „unordentlich wandelt“ (2. Thes 3,6), zu beschäftigen. Dies kann zum Heil und Segen nur dann geschehen, wenn sie selbst über das Böse trauert und sich deswegen demütigt (1. Kor 5,2), und wenn sie die Sünde eines der Ihrigen als ihre eigene empfindet, sich aber nicht als Richterin hinstellt. Hat die Zurechtweisung dann keine Wirkung, wird vielmehr der Charakter des „Bösen“ offenbar, weil er sich nicht zurückführen lässt, so muss die Versammlung dazu schreiten, ihn, den „Bösen“ von sich selbst hinauszutun, dahin, wo „Gott richtet“ (1. Kor 5,13). Indem sie den Bösen von sich hinaustut, reinigt sie sich selbst, in eigener Demütigung und mit Schmerz. Im Blick auf den, der hinausgetan werden muss, handelt sie, um seine Wiederherstellung zu bewirken; im Blick auf sich selbst richtet sie sich vor dem Herrn. Lasst uns gleich Nehemia sprechen: „Auch wir... haben gesündigt. Wir haben sehr böse gegen dich gehandelt“ (Neh 1,6.7).

d) Allgemeine Wichtigkeit der Versammlungs-Entscheidungen

Die unter Berücksichtigung (Gegenwart) des Herrn getroffenen Versammlungs-Entscheidungen sind mit göttlicher Autorität bekleidet, so dass das, was in einer örtlichen Versammlung beschlossen ist, für die gesamte Versammlung, also für alle anderen örtlichen Versammlungen Gültigkeit hat. Hierauf ist auch die Gewohnheit zurückzuführen, Empfehlungsbriefe auszustellen, durch die eine örtliche Versammlung die Gewissheit erhält, dass fremde Geschwister, die besuchsweise aus einer anderen Versammlung gekommen, oder neuzugezogen sind, sich am Tisch des Herrn in Gemeinschaft befinden, indem sie von ihrer Heimat-Versammlung empfohlen werden; ebenso empfängt auch der Gläubige, der in Gemeinschaft am Tisch des Herrn ist, die Gewissheit, überall zum Brotbrechen zugelassen zu werden, wohin er mittels eines Schreibens von seiner Heimat-Versammlung empfohlen worden ist. (Vgl.  die Stellen Römer 16,1 und 2. Kor 3,1.)

Spaltungen unter denen, die aus dem Lager hinausgegangen waren

Es gibt in Wahrheit nichts Einfacheres als den Grundsatz der Dienstleistung einer auf die Einheit des Leibes Christi gegründeten Versammlung. Seine Anwendung ist bei der gegenwärtigen kirchlichen Verwirrung jedoch äußerst schwierig.

Damit kommen wir zu einer Sache, die geeignet ist, jede Seele, die den Herrn liebt, aufs tiefste zu betrüben. Es ist die Vielheit der „Tische“, die es sogar außerhalb der Organisationen der Christenheit gibt. „Ein feindseliger Mensch hat dies getan“ (Mt 13,28); der hat, über die zahlreichen religiösen Benennungen hinaus, die offensichtlich ein Erzeugnis der Menschen sind, die listigsten und trügerischsten Nachahmungen des Werkes Gottes eingeführt. Wo ist heute der Tisch des Herrn zu finden? Wo ist man sicher, wenn man dem Wort Gottes gehorsam sein möchte, sich mit gutem Gewissen versammeln zu können?

Wir wundern uns nicht darüber, dass der Feind gegen das Zeugnis, das Gott in der Zeit des Endes erweckt hat, seine erbitterten Anläufe macht, noch darüber, dass es ihm gelungen ist, indem er sich unseren Mangel an Wachsamkeit zunutze machte, die zu entzweien, die aus dem „Lager“ hinausgegangen waren. Wir alle sind mitschuldig an diesem demütigenden Zustand. Das sollten wir in Demut erkennen, anstatt dass wir uns überheben oder entmutigt mit Elia klagen: Sie „haben deinen Bund verlassen, deine Altäre niedergerissen …; und ich allein bin übriggeblieben“ (1. Kön 19,10).

Lasst uns den Herrn um Unterscheidungsvermögen bitten und um den nötigen Eifer, die „Siebentausend“ (vgl. 1. Kön 19,18), die Er sich übrigbehalten hat, zu finden, denn „der Herr kennt die sein sind“ (2. Tim 2,19). Aber dabei haben wir, wie schon früher bemerkt wurde, von der Ungerechtigkeit abzustehen; eine Gemeinschaft zwischen Liebe und Finsternis ist unmöglich (2. Kor 6,14). Doch noch einmal: Halten wir daran fest, dass „der feste Grund Gottes steht“, und dass er zu unserer Sicherheit jenes uns bekannte doppelte Siegel trägt.

Das geistliche Herz wird erkennen, ob ein „Tisch“ der Tisch des Herrn ist oder nicht, indem es die Grundsätze prüft, die bei jenem Zusammenkommen herrschen und nachforscht, worauf dieser Tisch beruht. Es ist Pflicht eines jeden, sich darüber klar zu sein, wie es auch die Pflicht der ganzen Versammlung ist, zu wissen, wie sie sich gegenüber dem, der am Brotbrechen teilzunehmen wünscht, zu verhalten hat.

Wenn an einem Ort zwei voneinander unabhängige „Tische“ vorhanden sind, können sie nicht beide den Charakter des Tisches des Herrn haben. Den einen wie den anderen mit dem gleichen Anrecht als den Tisch des Herrn anzuerkennen, bedeutete, nicht die „Einheit des Geistes“ zu bewahren und würde der Verneinung der Einheit des Leibes gleichkommen. Es ist daher unerlässlich, sich genau zu erkundigen. Das Nebeneinanderbestehen der voneinander unabhängigen „Tische“ kann die Folge von falschen Lehren sein, vor denen sich zu hüten die Gläubigen ernstlich ermahnt werden. Anderseits kann die Trennung auch aus nur persönlichen Unstimmigkeiten entstanden sein, oder als Folge der Frage einer Zucht. Es ist unmöglich, in allen solchen Fällen neutral oder gleichgültig zu bleiben. Das wäre schuldhafter Mangel an der rechten Empfindung für die Heiligkeit des Namens des Herrn und würde uns einer sektiererischen Handlung mitschuldig machen.

Andererseits kann der Tisch des Herrn an einem Ort nicht unabhängig bleiben von diesem Tisch an anderen Orten. Es ist zum Beispiel nicht möglich, jemand zum Brotbrechen zuzulassen, der in seiner zuständigen Versammlung ausgeschlossen worden ist; oder auch umgekehrt, jemand zurückzuweisen, der bereits von einer „Versammlung“ zugelassen wurde. Andernfalls würde die Einheit des Leibes verleugnet werden.

Noch einmal deshalb:

Ein Tisch, an dem weltliche Grundsätze, menschliche Autorität oder von Menschen aufgestellte Ordnungen wissentlich vermengt werden mit der Wirksamkeit des Heiligen Geistes, oder ein Tisch, wo Böses in voller Kenntnis und ohne es zu richten, geduldet wird, kann nicht der Tisch des Herrn sein.

Damit soll aber durchaus nicht gesagt werden, dass Unfehlbarkeit die notwendige Voraussetzung für das Zusammenkommen sei. Könnte man überhaupt von einem Zusammenkommen nach den Gedanken Gottes sprechen, wenn eine solche Bedingung gemacht würde? Die Möglichkeit besteht immer, dass Schwachheiten, Unzulänglichkeiten und Verfehlungen vorhanden sind, und sie kommen ja in Wirklichkeit auch manchmal vor. Aber sie werden vergeben werden, wenn sie von der Versammlung selbst bekannt und gerichtet worden sind. Wollte man sich weigern, eine Versammlung anzuerkennen, weil sie in ihrem Verhalten gefehlt hat, so wäre das unvereinbar mit dem Buchstaben, wie mit dem Geist der Belehrung des Wortes. Wenn die Fehler aber nicht gerichtet werden, kann es dazu kommen, dass der Herr einschreiten muss, um die Versammlung durch schmerzliche Prüfungen zu läutern, oder dass er sogar „den Leuchter aus seiner Stelle wegrückt“ (Off 2,5). Aber wir sollten uns sehr hüten, uns seine Rechte anzumaßen und uns an seine Stelle zu setzen; denn er selbst ist es, „der da wandelt inmitten der sieben goldenen Leuchter“ (Off 2,1).

Wenn eine Versammlung eine Entscheidung getroffen hat, die anderen nicht gerechtfertigt erscheint, - so etwas kann vorkommen oder wenn eine Versammlung keine Entscheidung trifft, die andere für nötig halten, so dürfen wir nicht vergessen, dass „was irgend ihr, die Versammlung, auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein“ (Mt 18,18). Deshalb ist es schmerzlich zu sehen, wie der Beschluss einer Versammlung oder das Fehlen eines Beschlusses oft mit Leichtfertigkeit oder Überhebung kritisiert wird. Doch die Hoheit und die Autorität des Herrn sind unantastbar, und seine Liebe ändert sich nicht. Zu ihm müssen wir aufschauen, wenn etwas nicht nach Seinen Gedanken geordnet zu sein scheint, und auf Sein Eingreifen warten. Ihm müssen wir unterwürfig sein in dem vollen Vertrauen, dass Er die Ehre Seines Namens bewahren wird. Er selbst wird Brüdern von anderen Orten oder auch anderen Versammlungen Verständnis dafür geben, dass es ihre Aufgabe ist, Vorstellungen zu machen, die notwendig geworden sind. Dies kann nur in Seinem Auftrag geschehen. Ob es wirklich so geschieht, wird man an der Art, wie die Vorstellungen gemacht werden, erkennen, nämlich ob es geschieht in der wahren Liebe und in der Sorge um die Aufrechterhaltung oder die Wiederherstellung der Gemeinschaft, deren Verlust als eine tiefe Betrübnis empfunden wird. Das Ausharren in der Liebe wird geduldig warten, bis der Herr Selbst offenbar macht, was zu richten ist, und wird die Versammlung dahin führen, es zu richten.

Ganz anders aber ist es, wenn eine Versammlung nicht als Folge einer gelegentlichen Verwirrung, sondern grundsätzlich das Böse im Wandel oder, was noch schlimmer wäre, in der Lehre duldet, indem sie jedem seine eigene Verantwortung überlässt, ohne zu bedenken, dass sie ja selbst verantwortlich ist, oder indem sie sich nicht an die Handlung einer anderen Versammlung gebunden hält. In solchen Fällen wird die Einheit des Leibes sogar im Grundsatz zerstört und die Rechte des Herrn werden verachtet. Eine solche Versammlung könnte nicht, wie schon vorher gesagt, als eine Versammlung Gottes anerkannt werden.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel