Christus vor Augen

Verse 12- 20: Danksagung im Blick auf eine Person

Es ist bemerkenswert, dass mit dem zwölften Vers ein deutlicher Wechsel in den Gedanken des Apostels eintritt. Er redet jetzt nicht mehr von unserer Verantwortung, sondern von etwas noch Größerem. Ich sage nicht „Wichtigerem“, sondern noch „Größerem“. Es sind absolute Dinge, die eben nicht von mir und meiner Treue abhängen, sondern die in sich konstant bleiben, weil sie göttlich sind. Sie haben ihre Grundlage in dem Herrn Jesus selbst.

Vers 12: Eine Danksagung zum Vater

Was Paulus jetzt sagt, war nicht nur wahr von einigen wenigen gereiften Brüdern in Kolossä, sondern bezieht sich auf alle Kinder Gottes. Treu sind wir leider nicht alle. Aber das, was jetzt gesagt wird, gilt für uns alle. Der Apostel Paulus bricht anlässlich dessen, was er jetzt vor sich sieht, unvermittelt in eine Danksagung aus. Dabei wendet er sich direkt an den Vater. Er sieht in dem Vater die Quelle von Segnungen, die über die Maßen groß sind.

Das erste, was er vom Vater sagt, ist, dass dieser uns zu etwas fähig gemacht hat. In einigen sehr guten Handschriften steht: „… der euch fähig gemacht hat.“ Dann würde er die Kolosser meinen. Vielleicht ist das sogar besonders schön. Wenn man bedenkt, dass manche Gläubigen in Kolossä ihren Blick von Christus abwandten, dann ist es zu Herzen gehend, dass Paulus sie (und natürlich auch uns) daran erinnert, dass sie fähig gemacht waren zum Anteil am Erbe der Heiligen in dem Licht. Was will uns das sagen?

Das Erbteil

Um der Beantwortung näher zu kommen, gehen wir zuerst der Frage nach: Bezieht sich der Ausdruck „in dem Licht“ auf die Heiligen oder auf das Erbteil? An sich ist beides möglich. Beide sind „in dem Licht“. Dennoch meint Paulus hier das Erbteil. Das Erbteil der Heiligen ist in dem Licht, ist in jener Sphäre des Himmels, in der alles Licht ist, weil alles direkt von Gott redet. Gott ist Licht, und gar keine Finsternis ist in Ihm (1. Joh 1,5). Paulus geht hier nicht darauf ein, worin das Erbteil besteht. Er sagt nur, dass wir zu diesem Erbteil fähig gemacht sind. Unendliche Gnade, die uns schon jetzt fähig gemacht hat für seine Herrlichkeit – passend für sein Licht, das den kleinsten Flecken oder Fehler entdecken würde!

Und wodurch hat uns der Vater zu der ganzen Herrlichkeit, die wir in Verbindung mit dem Herrn Jesus haben werden, fähig gemacht? Es ist nicht eigentlich das Kreuz oder das Blut des Herrn, auch wenn beides nach 1. Johannes 1,7 unbedingt notwendig war. Gott hat mir zwar aufgrund des Werkes Christi die Sünden völlig vergeben. Aber das allein macht mich noch nicht fähig für den Himmel. Ein kleines Beispiel mag helfen, den Unterschied besser zu verstehen, der zwischen dem Anspruch auf ein Erbteil und der Tauglichkeit besteht, es in Besitz zu nehmen. Stellen wir uns einen noch sehr jungen Kronprinzen vor. Er mag Anspruch auf den Thron haben, aber aufgrund seiner Jugend durchaus noch nicht fähig dafür sein.

Die Fähigkeit, das Erbe zu besitzen, liegt im Besitz des neuen Lebens

Der Geist Gottes zeigt uns hier, dass wir nicht nur einen Anspruch auf das Erbe haben – dieser ist gegründet auf das Werk Christi am Kreuz –, sondern auch die Fähigkeit selbst, es in Besitz zu nehmen. Diese Fähigkeit ist uns durch das neue Leben geschenkt: Christus in uns, die Hoffnung der Herrlichkeit (Kol 1,27). Wir machen uns zu wenig bewusst, was es bedeutet, neues Leben, die Natur Gottes zu besitzen. Darüber schreibt besonders der Apostel Johannes. Wir könnten nicht im Himmel sein und die Offenbarung Gottes genießen – selbst wenn wir reingewaschen wären von allen Sünden – wenn wir kein göttliches Leben besäßen. Wir wären nicht fähig, auch nur das Geringste von der Offenbarung, die Er im Sohn gibt, zu erfassen.

Wir benötigen etwas von Ihm selbst, um Ihn verstehen zu können. Das ist sein Leben, seine Natur. Bei unserer Bekehrung haben wir dieses Leben geschenkt bekommen, auch wenn das zu diesem Zeitpunkt wohl kaum jemand von uns gewusst hat. Dieses neue Leben kann nicht angetastet werden, weil es von Ihm kommt und weil es seinen Sitz in Christus hat und in Ihm verborgen ist (Kol 3,3). Das macht uns sehr glücklich. Es ist unantastbar und deswegen auch ewig. Wir lesen in Johannes 17 die kostbaren Worte: „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Vers 3). Das ist es, wovon auch Kolosser 1,12 spricht. „Erkennen“ bedeutet „genießen können, Freude haben in dem Genuss an dieser Person“. Johannes 17,3 ist nicht direkt eine Definition des ewigen Lebens, sondern zeigt vielmehr, was das Leben ausmacht und wozu es uns befähigt. Das haben wir auch in Kolosser 1. Das neue Leben, der Besitz des neuen Lebens, versetzt uns in den Stand, unvermittelt – wenn es sein muss, jetzt in diesem Augenblick – in den Himmel zu gehen.

Ich denke dabei gern an den einen Räuber am Kreuz. Zuerst haben beide Räuber über den Mann in der Mitte gelästert. Dann spricht auf einmal der eine zu dem anderen, gleichsam am Kreuz des Herrn Jesus vorbei: „Auch du fürchtest Gott nicht?“ (Lk 23,40). Dann sagt er von dem Mann in der Mitte: „Dieser aber hat nichts Ungeziemendes getan“ (Vers 41). Dieser Räuber redete so, als kennte er Jesus schon sehr lange. Woher wusste er das alles? Weil ihn das neue Leben in ihm dazu befähigte, Christus, sein Leben, zu erkennen. Und er hatte sich doch gerade erst bekehrt und hatte seinen Herrn nur kurz erleben können!

„Dieser hat nichts Ungeziemendes getan.“ Was ist die Antwort des Herr Jesus? „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Vers 43). Er hat ihn fähig gemacht, augenblicklich, ohne irgendeine Treue beweisen zu können oder zu müssen, in den Himmel zu gehen. Mit dem Herrn Jesus zusammen im Paradies! Dieser Räuber wurde in einem Augenblick ein geeigneter Begleiter des Herrn für alle Ewigkeit.

Fassen wir diesen wichtigen Punkt noch einmal kurz zusammen: Der Anspruch auf das Erbteil gründet sich auf das Blut Christi; die Tauglichkeit, daran teilzuhaben und in der Herrlichkeit zu sein, beruht auf der uns verliehenen neuen Natur.

Im Licht

Was unseren Aufenthalt „im Licht“ betrifft, so ist es wichtig zu verstehen, dass wir heute schon im Licht sind. „Wenn wir aber in dem Licht wandeln, wie er in dem Licht ist, so haben wir Gemeinschaft miteinander“ (1. Joh 1,7). Wir haben Gemeinschaft miteinander als Kinder Gottes und führen unseren Lebenswandel im Licht. Das ist heute schon wahr. „Licht“ bedeutet in der Schrift, vor allen Dingen im Neuen Testament, „Offenbarung“, bedeutet „erkennen können“. Licht ist nicht nur ein „brennendes Wort“, das alles Böse offenbart. Das Licht, das mir bei meiner Bekehrung meine Sünde zeigte, offenbarte mir zugleich die Güte Gottes, die mich davon erretten wollte. Licht macht offenbar, es ist Gottes Wesen.

Gott ist Licht und Liebe. Wenn Gott in seiner Natur tätig wird, wird Er nicht als Licht sondern als Liebe tätig. Dafür können wir nicht dankbar genug sein. Aber Er ist und bleibt Licht. Darin führen wir unseren Lebenswandel. Wir sind nicht mehr in der Finsternis. Gott hat uns Erkenntnis gegeben über sich selbst. Dadurch sind wir nicht mehr in der Finsternis. Es ist nicht wahr, dass ein Kind Gottes einmal im Licht und dann wieder in der Finsternis ist. Wir wandeln im Licht, und wir bleiben dort. Das heißt aber auch: Wenn wir sündigen, sündigen wir mitten im Licht. Ernster Gedanke!

Vers 13: Errettet aus der Gewalt der Finsternis

Der Vater hat uns also fähig gemacht zu diesem herrlichen Anteil am Erbe der Heiligen in dem Licht. Alles wird auf Ihn zurückgeführt. Er ist es auch, der uns errettet hat aus der Gewalt der Finsternis. Er hat uns nicht nur fähig gemacht, sondern auch errettet aus einer ganz schrecklichen Gewalt. Wir lesen von dieser Gewalt zweimal im Epheserbrief. Diese Stellen zeigen uns, wie hoffnungslos verloren wir waren. In Kapitel 2,1.2 heißt es: „Auch euch, die ihr tot wart in euren Vergehungen und Sünden, in denen ihr einst wandeltet nach dem Zeitlauf dieser Welt, nach dem Fürsten der Gewalt der Luft, des Geistes, der jetzt wirksam ist in den Söhnen des Ungehorsams.“

In 2. Korinther 4 wird gesagt, dass dieser Fürst, Satan, den Sinn der Menschen verblendet hat: Sie können – in geistlicher Hinsicht – nicht sehen. Es ist erschütternd, dass ein Mensch in dieser Welt – und dazu gehörten auch wir! – unter der Macht eines solchen Fürsten steht. Das Furchtbare ist, dass der Mensch aus diesem Machtbereich aus eigener Kraft überhaupt nicht herauskommen kann, selbst wenn er es wollte. Aber nicht einmal das wollte auch nur einer von uns. Zudem suchte keiner von uns Gott (vgl. Rö 3). Wenn wir später doch gewollt haben, dann nur deswegen, weil der Geist Gottes bereits an unserer Seele gewirkt hat. Dadurch waren wir dann bereit, uns zu öffnen. Das ist nichts anderes als Gottes Gnade. Deswegen heißt es: „Durch Gnade seid ihr errettet … Und das nicht aus euch – Gottes Gabe ist es“ (Eph 2,5.8).

Die zweite Stelle über diese Gewalt im Epheserbrief steht in Kapitel 6. Dort heißt es: „Denn unser Kampf ist nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Fürstentümer, gegen die Gewalten, gegen die Weltbeherrscher dieser Finsternis, gegen die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern“ (Vers 12). Hier haben wir denselben Machtbereich wie in Kapitel 2. Nur diesmal geht es um erlöste Menschen, die mit diesem Feind zu tun haben und deren eigentlicher Kampf gegen Satan und seine geistlichen Mitstreiter stattfindet.

Es gibt viele Gläubige, denen Gott die Gnade geschenkt hat, Kinder gläubiger Eltern zu sein. Als ein solches Kind kann man den Eindruck gewinnen, dass man in den Glauben sozusagen automatisch hineinwächst – jedenfalls war das bei mir so. Wir wussten: Wir müssen uns bekehren. Und das haben wir auch getan. Aber ich habe doch nicht gewusst, was es bedeutet, im furchtbaren Machtbereich Satans zu sein. Kinder gläubiger Eltern sind genauso sündig wie alle anderen. Allein kommen auch sie aus diesem Bereich Satans nicht heraus. Es ist Jemand nötig gewesen, der uns gleichsam von außen her herausholen musste. Keiner von uns hat sich von sich heraus bekehrt. Aber Gott, unser Vater, hat uns errettet aus dieser Gewalt der Finsternis. Wir haben ewig Grund, Ihm dafür zu danken.

Versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe

Der Vater nimmt uns nicht aus einem Machtbereich heraus, der nicht gut ist, um uns dann in einem Vakuum stehen zu lassen. Nein, Er bringt uns unter eine andere, eine gute Autorität. Er hat uns aus dem Machtbereich Satans herausgenommen und in das Reich des Sohnes seiner Liebe versetzt. Das hat Er schon getan, es ist nichts Zukünftiges! Genauso, wie Er uns schon jetzt errettet und fähig gemacht hat für das Anteil am Erbe der Heiligen, hat Er uns jetzt schon in das Reich des Sohnes seiner Liebe versetzt.

Dieses Reich ist weder die Versammlung, noch weniger sein Reich auf der Erde. Als Sohn des Menschen wartet Er zur Rechten Gottes auf sein Reich, Er hat es noch nicht empfangen. In Kolosser 1,13 jedoch geht es darum, dass Gott uns aus der Gewalt Satans herausgenommen und uns in ein anderes Reich gebracht, unter die Autorität eines anderen gestellt hat, und das ist die Autorität seines eigenen Sohnes.

Im Griechischen heißt es eigentlich immer „Königreich“. In der Elberfelder Übersetzung  wird das Wort jeweils mit „Reich“ wiedergegeben (Reich der Himmel, Reich Gottes, usw.). Aber wir sollten nicht denken, der Herr Jesus sei unser König. Er wird es nie sein! Er ist der König Israels, der König der ganzen Erde, aber die Versammlung wird neben Ihm stehen, nicht unter Ihm. Wir sind ein Teil von Ihm, in diesem Sinn stehen wir nicht unter Ihm. Natürlich bleibt Er Gott und Herr; das werden wir nie sein. Aber wenn es um die Herrschaft geht, stellt der Herr Jesus die Versammlung, seine Braut, neben sich.

Die Bezeichnung „Reich des Sohnes seiner Liebe“ finden wir nur hier. Damit wird jener geistliche Bereich beschrieben, in dem die Person des Herrn Jesus den wahren Mittelpunkt bildet. Er, der der Sohn der Liebe des Vaters ist, gibt diesem Bereich seinen eigentlichen Charakter. Unendliche Segnung! In Christus passend für die Herrlichkeit; in Christus errettet von der Gewalt der Finsternis und Gott so nahe gebracht, wie Er, der Sohn seiner Liebe, Ihm nahe ist!

Der Sohn seiner Liebe

„Sohn seiner Liebe“ – dieser Titel kommt nicht noch einmal vor in Gottes Wort. Wir haben im 2. Johannesbrief einen ähnlichen Ausdruck, wo von dem Herrn Jesus die Rede ist als von dem „Sohn des Vaters“. Hier ist Er der „Sohn seiner Liebe“. Das ist eine Herrlichkeit der Person Christi, die Er nicht verliehen bekommen hat, sondern die seit jeher sein eigen ist. Als Sohn des Menschen wird Er über die Menschen herrschen, über die Erde usw. Das ist eine Ihm verliehene Herrlichkeit. Aber „Sohn der Liebe des Vaters“ drückt eine Beziehung aus, die ewig ist. Diese hat Er nicht irgendwann geschenkt bekommen. Er hat sie immer gehabt als der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist.

Ich wüsste kein besseres Bild, um das besser zu verstehen, als Joseph in 1. Mose 37. Der Vater hatte ihn besonders lieb und ihm ein Gewand geschenkt. Er war der Sohn seines Alters, sagt dort die Schrift. Es existierte also eine enge Beziehung zwischen Jakob und seinem Sohn Joseph. Sie fand ihren Ausdruck in diesem schönen Gewand. Das ist ein schwaches Bild von dem, was der Herr Jesus für das Herz seines Vaters ist. Und unter genau diese Herrschaft des Herrn sind wir gekommen – unter eine Person, die der Sohn seiner Liebe ist. Er ist der volle Ausdruck der Liebe des Vaters. Christus ist der Mittelpunkt dieses Reiches. Alles in der Bibel strebt zum Herrn Jesus, und alles, was wir an Segnungen besitzen, findet in dem Herrn Jesus Grund und Ziel.

Ein zweiter Punkt kommt noch hinzu. Christus ist nicht nur der Mittelpunkt dieses Reiches, sondern auch der Maßstab für unsere Segnungen. Denn durch die Gnade haben wir teil an diesem Reich, sind mit Dem innig verbunden, der davon der Mittelpunkt ist. Das ist etwas, was uns glücklich zu machen vermag. Wenn wir ablesen wollen, welche Segnungen uns Gott geschenkt hat, müssen wir den Herrn Jesus anschauen als den Sohn seiner Liebe. Nur in Ihm können wir ablesen, was uns alles geschenkt worden ist. Das ist für den menschlichen Verstand nicht zu erfassen, aber wir können und dürfen es anbetend glauben.

Wenn der Sohn in solchen Beziehungen zum Vater steht, bedeutet das, dass wir in die gleichen Beziehungen gebracht worden sind (seine Gottheit natürlich ausgenommen). Der Herr Jesus sagt das in Johannes 15,9: „Wie der Vater mich geliebt hat, habe auch ich euch geliebt.“ Und in Johannes 17,23: „… damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast.“ Die Liebe des Vaters zum Sohn ist dieselbe, wie die Liebe des Vaters zu uns, seinen Kindern.

Haben wir nicht wirklich allen Grund, unserem Vater zu danken?

Vers 14: Erlösung in dem Sohn

Der Vater hat uns aus dem Bereich der Finsternis in einen Bereich versetzt, dessen Mittelpunkt der Sohn seiner Liebe ist. In diesem Sohn haben wir die Erlösung, nämlich die Vergebung der Sünden. Das erscheint auf den ersten Blick ein wenig seltsam. Denn ich wüsste außer einer weiteren Stelle nicht, wo die Erlösung auf eine solch schmale Basis gebracht wird. Die andere Stelle ist Epheser 1,7, wo es heißt: „Begnadigt in dem Geliebten, in dem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade“. Das ist genau die gleiche Ausdrucksform, allerdings mit dem Zusatz „durch sein Blut“.

Der Herr Jesus hat uns die Erlösung geschenkt. Er ist der Erlöser, und Erlösung bedeutet nach diesem Vers: die Vergebung der Sünden. An anderen Stellen wie zum Beispiel in Römer 8 oder auch im 1. Petrusbrief wird Erlösung oder Errettung in Verbindung gebracht mit der endgültigen Erlösung, wenn auch der Körper des Christen Anteil haben wird an der Macht der Auferstehung. Es muss in der Tat wunderbar sein, wenn auch der Körper vollkommen fähig sein wird, in der Herrlichkeit Gottes zu sein. Dann wird jede feindliche Macht, die gegen uns ist, überwunden sein, und wir werden in der Lage sein, den Herrn Jesus zu sehen, wie Er ist.

Vergebung

„Erlösung“ (Loskaufung) hat als christliche Segnung ein breites Bedeutungsspektrum und schließt zuweilen, wie bemerkt, die Erlösung des Körpers mit ein (Rö 3,24; 8,23; 1. Kor 1,30; Eph 1,14; 4,30; Tit 2,14; Heb 9,12; 1. Pet 1,18). Die angegebenen Stellen machen deutlich, dass der Begriff „Erlösung“ (oder „Erlösen“) im normalen Gebrauch des NT Segnungen beschreibt, die über die Vergebung der Sünden hinausgehen. Sie mögen sie durchaus voraussetzen, aber sie gehen darüber hinaus. In Kolosser 1,14 und in Epheser 1,7 wird Erlösung jedoch auf diesen einen Aspekt beschränkt. Erlösung und Sündenvergebung werden hier als dieselbe Sache angesehen. Das heißt jedoch nicht, dass diese eingeschränkte Sichtweise der Erlösung nicht dennoch etwas Gewaltiges in sich birgt. Wie viele und welche Sünden hat Gott uns vergeben? Nicht nur die Sünden bis zu unserer Bekehrung, sondern auch diejenigen, die wir als Kinder Gottes – leider! – noch begehen mögen. Gott sei Dank! Er hat uns alle Sünden vergeben.

Ein Kind Gottes hat die Vergebung der Sünden. Das ist die Grundlage für jede weitere Belehrung (1. Joh 2,12). Wenn uns nicht alle Sünden vergeben wären, wären wir verloren. Denn der Herr Jesus wird nicht noch einmal für Sünden sterben. Die Vergebung der Sünden ist tatsächlich eine absolute Wahrheit, das heißt, sie gilt für jedes Kind Gottes. Wir haben diese Vergebung durch das Blut des Herrn Jesus. Diese Gewissheit sollte indes niemand dazu verführen zu denken: Dann kann ich ja ruhig sündigen. Denn dies wäre nicht nur eine bösartige, sondern auch absurde Schlussfolgerung. Wenn ich jemand sehr lieb habe – zum Beispiel meine Ehefrau –, werde ich ihr dann unbekümmert Weh antun, weil ich ja weiß, dass sie mich liebt? Das ist unmöglich. So verhält es sich auch im Blick auf Gott: Wenn wir Ihn lieben, werden wir nicht schnell sündigen.

Nun fehlt in Kolosser 1 der Zusatz „durch sein Blut“. Gewiss besitzen wir die Erlösung dadurch, dass das Blut unseres Herrn geflossen ist, das heißt, dass Er gestorben ist. Aber das steht hier nicht. Ich habe den Eindruck, dass der Heilige Geist bei den Kolossern nicht so sehr über das Werk des Sohnes sprechen, sondern unmittelbar zur Person des Sohnes kommen will. Dieser Führung wollen wir uns anschließen. Wir denken jetzt nicht nur über das nach, was Er getan hat, sondern vor allem darüber, wer Er ist.

Das erinnert mich an David und Jonathan und an die Frauen in Israel. Diese Frauen haben, nachdem Goliath bezwungen worden war, David erhoben, indem sie sangen: „David hat seine Zehntausende erschlagen“ – das war sein Werk. Was aber finden wir bei Jonathan? „Da verband sich die Seele Jonathans mit der Seele Davids“ (1. Sam 18,1). Das ist viel mehr. Er schätzte nicht nur das wert, was David getan hatte. Bei ihm finden wir Hingabe an die Person Davids. So verweilt der Heilige Geist auch im Kolosserbrief nicht lange bei dem Werk des Herrn. Er will die Gläubigen in Kolossä und auch uns direkt auf die Person des Herrn hinlenken.

Vers 15: Das Bild des unsichtbaren Gottes

Daher stellt Er nun die persönlichen Herrlichkeiten des Herrn Jesus vor unsere Herzen. Zunächst wird Er als das Bild des unsichtbaren Gottes gezeigt und dann als der Erstgeborene aller Schöpfung. Die erste Herrlichkeit drückt das aus, was Christus in Beziehung zu Gott ist, die zweite das, was Er in Beziehung zum Geschöpf ist. Das sind zwei verschiedene Gesichtspunkte. Das erste ist das Erhabenere. Christus ist das Bild Gottes. In seiner Absolutheit ist Gott unsichtbar und wird es immer bleiben. Denn wir lesen in 1.Timotheus 6,16: „… der ein unzugängliches Licht bewohnt, den keiner der Menschen gesehen hat noch sehen kann“.

Zwar erfahren wir im Alten Testament, dass Mose die Herrlichkeit Gottes sah und dennoch nicht sterben musste. Aber auch dort sagt Gott: „Nicht kann ein Mensch mich sehen und leben“ (2. Mo 33,20). So ließ sich Gott herab und zeigte sich Mose in einem gewissen, eingeschränkten Maß, so dass dieser am Leben blieb. Ähnliches finden wir bei Simsons Eltern: „Wir werden gewiss sterben, denn wir haben Gott gesehen“, sagt Manoah (Ri 13,22). Und doch starben sie nicht.

Wir sehen Gott in dem Herrn Jesus

Stehen diese Beispiele im Widerspruch zu der Wahrheit von 1. Timotheus 6 und dem von Gott selbst bezeugten Urteil, dass man Ihn nicht sehen kann, ohne zu vergehen? Nein. Niemand kann Gott in seiner vollen Herrlichkeit sehen, wie man auch den vollen Anblick der Sonne nicht einen Augenblick ertragen kann. Ein Mensch ist dazu nicht in der Lage. Daher werden wir Gott sogar im Himmel nicht in seiner Absolutheit sehen, obwohl wir selbst mit der Herrlichkeit Gottes bekleidet sein werden. Aber wir werden Ihn in der Person des Herrn Jesus sehen, der immer das Bild des unsichtbaren Gottes bleiben wird. In Ihm werden wir Gott sehen.

Der Lichtglanz der Erkenntnis Gottes ist im Angesicht Christi zu finden (vgl. 2. Kor 4,6). Gott hat sich in Christus offenbart, dem Bild des unsichtbaren Gottes. Den Ausdruck „Bild“ findet man im übertragenen Sinn wiederholt in der Heiligen Schrift. In 1. Mose 1,26 steht, dass Gott den Menschen in seinem Bild und in seinem Gleichnis gemacht hat. Was ist der Unterschied zwischen „Bild“ und „Gleichnis“?

Der Mensch ist im Gleichnis Gottes geschaffen worden: nämlich ohne Sünde. Denn Gott ist ohne Sünde. Gott ist zudem das absolute Zentrum von allem. In dieser Schöpfung hat Er den Menschen in abgeleiteter Weise zu einem solchen Zentrum gemacht. Engel werden im Unterschied zum Menschen nie ein solches Zentrum sein – sie sind und bleiben Diener. Der Mensch aber ist ein solches Zentrum an Macht, weil Gott es so wollte. Dann aber kam die Sünde dazwischen, so dass der Mensch aufhörte, das Gleichnis Gottes zu sein.

„Bild“

„Bild“ redet von etwas anderem: von Darstellung. Ich kann ein Bild nehmen und sagen: „Das ist ein Bild meiner Ehefrau.“ Aber ich kann einfach auch sagen: „Das ist meine Ehefrau.“ „Bild“ bedeutet Darstellung. Gott hat den Menschen in seinem eigenen Bild gemacht hat, damit dieser der Vertreter Gottes auf der Erde sei. Wie schmählich hat der Mensch darin versagt! Umso bewundernswerter ist, wenn es in 1. Korinther 11 – dort von dem Mann – heißt, dass er Gottes Bild und Herrlichkeit ist (Vers 7). Obwohl der Mensch in Sünde gefallen ist, bleibt das in den Augen Gottes so. Wir sollten deswegen über Menschen, selbst wenn sie in der Gosse liegen, nicht abfällig denken, auch wenn sie nicht mehr menschenwürdig aussehen. Es sind dennoch Geschöpfe der Hand Gottes, geschaffen in seinem Bild.

Als dann aber Christus kam, lebte hier die Person, die Gott vollkommen darstellte. Es heißt nicht: Bild des Vaters, sondern Bild Gottes. Auch in 2. Korinther 4,4 wird gesagt: „… der das Bild Gottes ist.“ Wir werden Gott in einem Menschen, der jedoch zugleich Gott ist, immer sehen können. Auch das ist einer der Gründe dafür, warum der Herr Jesus immer Mensch bleiben wird. Nach 1. Korinther 15 ist Er als Mensch Dem unterworfen, der Ihm alles unterworfen hat, das heißt, Er bleibt Mensch. Wir werden Ihn in Ewigkeit von Angesicht zu Angesicht sehen.

Aber wir müssen nicht auf den Himmel warten, um das genießen zu können. Wir brauchen heute nur in die Heilige Schrift zu schauen und unter der Leitung des Geistes die Person Christi zu suchen, dann sehen wir im Glauben Gott. Wenn der Herr Jesus über die Erde ging und ein Kindlein in den Arm nahm, dann offenbarte Er die Liebe Gottes. Die Menschen nennen es sentimental, aber das ist es nicht. Ich habe von Rudolf Brockhaus gehört, dass er, als er die Zusammenkünfte in Berlin besuchte, gern zuerst zu den hinteren Reihen der kleinen Kinder ging und den Kleinen liebevoll über die Köpfe strich oder ihnen die Hand gab. Das ist ein Beispiel von Liebe. Und der Herr Jesus offenbarte in vollkommener Weise die Liebe Gottes. Mehr noch, Er ist der vollkommene Ausdruck dessen, was Gott ist. Dies ist die Quelle aller wahren Erkenntnis. Und so ist Christus die Wahrheit in Bezug auf alles und jeden. Unmöglich, dass der Mensch den „Unsichtbaren“ sehen könnte (Heb 11,27). Er brauchte jemand, der Ihn zu ihm brachte und Ihn kundmachte. Zu diesem Zweck kam der Herr Jesus in das, was seine eigene Schöpfung ist.

Der Erstgeborene aller Schöpfung

Damit kommen wir zum zweiten Teil dieses Verses. Was die Schöpfung angeht, ist der Herr Jesus der Erstgeborene aller Schöpfung. Er ist keineswegs ein Geschöpf, auch nicht das höchste! Die Gnostiker, von denen am Anfang bereits die Rede war, behaupteten das zwar, aber es ist eine böse Lehre, der wir mit aller Kraft widerstehen müssen.

Der Herr Jesus hat eine einzigartige Würde in Bezug auf die Schöpfung: Er ist der Erstgeborene aller Schöpfung. Warum? Weil Er der Schöpfer ist, wie die beiden nächsten Verse zeigen. Wenn Christus in seine eigene Schöpfung eintritt, dann nimmt Er darin den ersten Platz ein, damit Er, wie es später heißt, in allem den Vorrang habe. Das ist hier der Hauptgedanke. Christus hat in allem den Vorrang. Wenn Er, der das Bild des unsichtbaren Gottes ist, einen Platz in der Schöpfung einnimmt, dann muss Er notwendigerweise das Haupt derselben sein.

Der Titel „Erstgeborener“ drückt hier eine Vorrangstellung, nicht eine zeitliche Folge aus. Es ist eine Rang-, nicht eine Zeitfrage. Das ist zum Beispiel auch in Psalm 89,28 der Fall, wo Salomo, der zehnte Sohn Davids, zum Erstgeborenen erhoben wird. Auch in Jeremia 31,9 sehen wir das: Gott macht Ephraim zu seinem Erstgeborenen (vgl. 1. Mo 48,17–19). In Hebräer 12,23 wird von der „Versammlung der Erstgeborenen“ gesprochen, obwohl es schon viel früher Heilige gab.

Jemand mag als „Erstgeborener“ den ersten Platz einnehmen, obwohl er, zeitlich gesehen, viel später daran sein mag als andere. Als der Herr Jesus kam, war es an der Weltenuhr schon relativ spät. Die Geschichte des Menschen war schon immerhin rund 4000 Jahre alt, als Christus geboren wurde. Und dennoch war Er bei seinem Kommen der Erstgeborene aller Schöpfung – eben, weil Er der Schöpfer ist. Er muss in allen Dingen den Vorrang haben (Vers 18). Darum geht es hier.

Verse 16.17: Der Schöpfer

In Vers 16 lesen wir: „Denn durch ihn sind alle Dinge geschaffen worden.“ Im griechischen Text werden in den beiden Versen 16 und 17 im Blick auf den Schöpfer und seine Schöpfung drei Präpositionen (Verhältniswörter) gebraucht. Die erste ist „en“ = „in, in der Kraft von“. Wir erfahren wir hier also, dass alle Dinge vermöge der Kraft seiner Person geschaffen worden sind. Historisch führt uns das direkt zum ersten Vers der Bibel.

Nicht nur die niedrigen, sichtbaren Dinge sind durch den Sohn Gottes geschaffen worden, sondern auch die höchsten, unsichtbaren Dinge in den Himmeln, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten. Alles ist das Werk seiner Hände. Von den Dingen in den Himmeln wissen wir wenig, aber auch dort gibt es nichts, was seine Existenz nicht Ihm, dem ewigen „Wort“, verdankt (Joh 1,3). Die verschiedenen Rangordnungen von Engeln wurden alle durch Den gemacht, den wir als unseren Erlöser und Herrn kennen. Doch welch ein Abstand zwischen Ihm und dem höchsten geschaffenen Wesen! Welch eine Sünde, irgendetwas oder irgendjemand an die Seite von Christus zu setzen! Und was die Hypothese der Entwicklung (Evolution) angeht, sie ist eine Erfindung des ungläubigen Menschen.

Am Ende von Vers 16 finden wir dann noch zwei weitere Präpositionen: „Alle Dinge sind durch ihn und für ihn geschaffen.“ „Durch“ (gr. diá) gibt das Mittel, das Werkzeug an. Mit aller Ehrfurcht können wir sagen, dass Christus das „Werkzeug“ zur Erschaffung alles Bestehenden war. Damit in Übereinstimmung wird in Hebräer 1 von Gott und dem Sohn gesagt: „… durch (diá) den er auch die Welten gemacht hat“ (Vers 2).

Aber nicht nur das. Es gibt überhaupt nichts in der Schöpfung, was nicht auch für (gr. eis) Christus gemacht worden ist. Er ist der eigentliche Ursprung und auch das Endziel von allem. Welch ein wunderbares Licht wirft das auf die Schöpfung selbst und auf ihre Bestimmung! Es gibt nichts im Universum Gottes, was nicht für Ihn gemacht worden ist. Diese ganze Schöpfung hat Christus zum Ziel.

Ich las vor einiger Zeit, dass von dem Erforschbaren in der Schöpfung nicht einmal ein Millionstel bis heute erforscht sei. Wer weiß schon, wo die Welt aufhört? Allein wenn man bedenkt, wie schnell unser Sonnensystem durch das Weltall rast! Wo geht das Weltall hin? Wo hört es auf? Das sind faszinierende Fragen, die uns nicht unbedingt beschäftigen müssen. Es zeigt nur: Die sichtbare Schöpfung beinhaltet für den Menschen zahllose Geheimnisse.

Vers 17 zeigt uns noch eine weitere große Wahrheit im Blick auf Christus als Schöpfer: Er hat nicht nur eine ewige Existenz vor allen Dingen, sondern Er ist auch der Aufrechterhalter der ganzen Schöpfung, so dass das Universum Gottes kraft seiner Person (gr. en) besteht und zusammengehalten wird. Die Menschen mögen Ihn verachten, aber ohne Ihn würde alles ins Chaos stürzen.

Viermal lesen wir in diesen beiden Versen von „allen Dingen“. Alle Dinge sind durch Ihn geschaffen. Alle Dinge sind für Ihn geschaffen. Er ist vor allen Dingen. Alle Dinge bestehen durch Ihn. Welch eine anbetungswürdige Person ist der Herr Jesus, unser Heiland!

Vers 18: Das Haupt des Leibes

Der Herr Jesus besitzt als Mensch Würden, die Er vor seiner Menschwerdung und seinem Tod nicht hatte. Die Herrlichkeit, Haupt des Leibes zu sein, besaß Er nicht vor seinem Tod. Er hat sie sich durch seinen Tod erwerben müssen. Gott selbst hat sie Ihm verliehen, nachdem Er gestorben, auferstanden und verherrlicht worden ist sowie den Heiligen Geist auf diese Erde gesandt hat. Diese Herrlichkeit muss unser Herz berühren, denn sie setzt voraus, dass der ewige Sohn als Mensch in den Machtbereich Satans und des Todes hinabstieg. Nicht, dass Christus unter die Macht des Todes kam! Aber Er musste sterben, um dem die Macht zu nehmen, der die Macht des Todes besaß, dem Teufel.

Hier geht es um den Anfang einer ganz neuen Sache, einer neuen Ordnung der Dinge – des höchsten Werkes der neuen Schöpfung: der Versammlung. Damit befinden wir uns in der Auferstehungswelt des Herrn Jesus, der neuen Schöpfung. Nicht als der Erstgeborene aller Schöpfung, nicht als Der, der in dieser Welt geboren wurde, sondern als der aus den Toten Auferstandene ist Er der Anfang dieser neuen Sache, die im AT nicht nur nicht offenbart war, sondern die es einfach noch nicht gab. Von Ihm als dem Haupt des Leibes, der Versammlung, und von unserer Verbindung mit Ihm und untereinander kann erst die Rede sein, seitdem Er aus den Toten auferstanden ist und seinen Platz im Himmel eingenommen hat.

Als Haupt nimmt Er eine leitende und führende Funktion für den Leib, die Versammlung, ein. Gott wollte dem Herrn Jesus nicht nur den ersten Platz in der ersten Schöpfung geben. Als Mensch sollte Er auch in der neuen Schöpfung, in der Auferstehungswelt in allem den Vorrang haben. Er ist der Erstgeborene aus den Toten.

Vers 19: Die ganze Fülle wohnt in Christus

Der 19. Vers stellt uns die gewaltige Wahrheit vor, dass die ganze Fülle der Gottheit (Kap. 2,9), das heißt Gott, der Vater, und Gott, der Sohn, und Gott, der Heilige Geist in dem Mensch gewordenen Christus wohnt. Ja, es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in dem Menschen Jesus Christus zu wohnen, beständig zu wohnen (das bedeutet der griechische Ausdruck). Der Herr Jesus war als Mensch auf der Erde nicht nur eine Teiloffenbarung Gottes – das hätte auch in einem anderen Menschen sein können –, sondern die ganze Gottheit hat sich in Ihm offenbart, um zu segnen und zu erlösen, zu unseren Gunsten.

Alles, was Er tat und redete, geschah in der Kraft des Heiligen Geistes (Mt 4,1; 12,28; Joh 3,34; Rö 1,4; Heb 9,14). Aber Er war auch gekommen, um den Vater, sein Herz und seinen Vorsatz, zu offenbaren (Joh 14,9), dass seines Vaters Werke durch Ihn sichtbar würden (Joh 14,10), um den Vater zu verherrlichen und sein Werk zu vollbringen (Joh 17,4). Aber auch der Vater seinerseits gab von dem Sohn Zeugnis (Mt 3,17; Joh 5,37). So erkennen wir mit Anbetung, dass alle drei Personen der Gottheit in Christus als einem Menschen auf der Erde ihre Offenbarung fanden.

Beachten wir: Es ist Christus als Mensch, von dem stets gesprochen wird. Sein Menschsein ist gleichsam das Gefäß, der Wohnort der Gottheit. Doch sollten wir, wenn wir von seiner Erniedrigung und seinem Menschsein sprechen, nicht für einen Augenblick die Herrlichkeit seiner Gottheit vergessen, die immer Sein war.

Vers 20: Der Versöhner

Außer dem in Vers 19 genannten gibt es noch einen zweiten Grund für die Unbestreitbarkeit seines Vorrangs. Oder wir können sagen: Das Wohlgefallen der ganzen Fülle erstreckte sich auch noch auf eine zweite Sache: durch Ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen.

Durch den Eintritt der Sünde sind alle Dinge in Unordnung geraten (Rö 8,19 ff.), nicht nur auf der Erde, sondern in gewissem Maß auch in den Himmeln. Satan ist in den himmlischen Örtern und führt als Gott dieses Zeitlaufs den Lauf dieser Welt. Es gibt im Himmel Fürstentümer, Autoritäten, Machtstrukturen. Die Schrift sagt nicht viel darüber. Im Propheten Daniel erhalten wir allerdings einen kleinen Einblick. In Daniel 10 ist die Rede von einem Fürsten, der für Israel steht (Michael, Vers 21), der mit dem Fürsten für Persien (Vers 13) im Kampf war. Was auf der Erde passierte, war der Ausfluss von dem, was sich im Himmel abspielte. Wir lernen aus dem Judasbrief, einem der zeitlich am letzten geschriebenen Bücher der Bibel, dass der Engel Michael mit Satan um den Leib Moses stritt. Judas spricht hier von einem Kampf im Himmel. Der Teufel wollte den Leib Moses wahrscheinlich zu einem Götzen machen. Um das zu verhindern, hat Gott selbst seinen Knecht begraben. Aber kann man das alles „Ordnung“ nennen, wenn der Engel drei Wochen aufgehalten wird? In unserem Vers in Kolosser 1 geht es um den Zustand der Dinge in den Himmeln und auf der Erde, nicht um Persönlichkeiten.

Aber hier wird ein wunderbarer Plan Gottes sichtbar: Die durch die Sünde entstandene Unordnung wird nicht für immer bleiben; alle Dinge (nicht alle Menschen!) sollen versöhnt werden. „Durch ihn“, wird hinzugefügt. Christus ist der Versöhner.

Was bedeutet Versöhnung?

„Versöhnung“ ist weder Sühnung noch Vergebung. Vergebung haben wir in Vers 14 vor uns gehabt. Sie wird uns durch die Liebe Gottes geschenkt. Vergebung ist, dass Gott mir meine Sünden nicht mehr zurechnet.

Sühnung ist, dass der Herr Jesus den Weg zu Gott durch sein einmaliges Opfer frei gemacht hat, so dass wir jedem Menschen in der Welt sagen können: „Komm zu Gott!“ Denn Christus hat diesen Weg gebahnt. Um Nutznießer dieser Sühnung zu werden, muss der Mensch vor Gott Buße tun.

Sühnung bedeutet auch, dass der Zorn Gottes (vgl. Joh 3,36; Eph 2,3) beschwichtigt ist. Die Majestät Gottes ist durch die Sünde beleidigt worden. Aber durch sein Werk auf Golgatha hat der Herr die Grundlage dafür gelegt, dass der Mensch nun zu Gott kommen kann. Doch nur für den, der diesen Weg in Buße über seinen Zustand und das Bekennen seiner Sünden auch wirklich geht, ist der Herr Jesus stellvertretend gestorben. Sühnung ist nicht Stellvertretung. Sühnung ist „für die ganze Welt“ geschehen (1. Joh 2,2). In diesem Sinn ist der Herr Jesus „für alle gestorben“ (2. Kor 5,14), gab Er sich selbst als „Lösegeld für alle“ (1. Tim 2,6). Aber wenn es um Stellvertretung und das Tragen von Sünden geht, hat Er nur die Sünden derer getragen, die an Ihn glauben würden: „unsere Sünden“ – „vieler Sünden“ (1. Pet 2,24; Heb 9,28; Jes 53,12).

Was aber bedeutet Versöhnung? Zwei verfeindete Parteien, die sich auf einem unterschiedlichen Niveau befinden, zusammenführen auf die gleiche Höhe. Im Griechischen bezeichnete der Ausdruck ursprünglich das Wechseln einer Geldsumme. Wenn ich jemand 50 Euro gebe und sage: „Wechsle mir diese bitte“, dann bekomme ich wieder genauso viel heraus, wie ich ihm gegeben habe. In solch einem Fall bedeutet es also „austauschen, ausgleichen“. Geht es um Personen, ist das Ändern von Feindschaft zu Freundschaft gemeint. In diesem Sinn bedeutet Versöhnung, „alte Beziehungen wiederherstellen, in den ursprünglichen Zustand zurückbringen“. So wird zum Beispiel in 1. Korinther 7 der geschiedenen Frau gesagt, sie solle sich mit dem Mann „versöhnen“ (Vers 11). Die beste Umschreibung von „versöhnen“ ist nach meinem Dafürhalten dies: „wieder in Übereinstimmung bringen mit …“

Genau das war die Absicht der ganzen Fülle (der Gottheit, nämlich des Vaters, des Sohnes, und des Heiligen Geistes): die durch die Sünde in Unordnung geratene, befleckte Schöpfung wieder mit Sich in Übereinstimmung zu bringen. Die Grundlage dazu hat der Herr Jesus durch seinen Opfertod, durch das „Blut seines Kreuzes“ bereits gelegt. Was die erste Schöpfung betrifft, werden die Auswirkungen der Versöhnung erst noch sichtbar werden. Die „Wiederherstellung aller Dinge“ (Apg 3,21) ist noch zukünftig. „Alle Dinge“ bezieht sich in jedem Fall nicht auf Menschen oder gefallene Engel, sondern auf die nicht-intelligente Schöpfung. Alle Dinge – Strukturen, Machtverhältnisse – wird der Herr Jesus wieder ins Gleichgewicht bringen. Das wird der ewige Zustand sein. Dann sind die Dinge wieder in Harmonie mit Gott. Und so werden sie immer, immer bleiben.

Nachdem uns der Apostel einen Blick in die Zukunft gewährt hat, um den vollkommenen Triumph Gottes über Satan vorzustellen, zeigt er uns nun noch ein gegenwärtiges Ergebnis des Sieges des Herrn Jesus: die Versöhnung der Gläubigen, der Versammlung. Für alle die, die an Ihn glauben, ist sie eine vollzogene Tatsache. Denn wir lesen in Vers 21: „Und euch, die ihr einst entfremdet und Feinde wart ..., hat er aber nun versöhnt.“ Gottes Wort lässt uns nicht in Unwissenheit darüber, in welch einem erbärmlichen Zustand wir einst waren: „entfremdet“ – „Feinde“ – „böse Werke“. Wie passend und reif war jeder von uns für die Hölle! Doch jedes Kind Gottes kann heute schon sagen: Ich bin kein Feind Gottes mehr, sondern bin mit Ihm versöhnt und in Übereinstimmung gebracht worden. Die Beziehung, die schon immer im Herzen Gottes für uns war, ist hergestellt worden. Ewig sei Gott dafür gepriesen in dem Namen Dessen, der das dazu notwendige schwere Werk vollbracht hat!

Zusammenfassung

Wir haben im ersten Kapitel des Kolosserbriefes gesehen, auf welch kostbare Weise der Apostel Paulus die Herrlichkeiten der Person Christi entfaltet. Drei Schwerpunkte der Wahrheit stellt er vor. Dabei verfolgt er zwei Linien, die nebeneinander herlaufen: die Linie der ersten Schöpfung und die Linie der neuen Schöpfung (oder der Erlösung). Wir finden beide in jedem der drei Schwerpunkte wieder. Wenn wir auch den dritten Punkt, den des Dienstes, nicht mehr betrachten konnten, so möchte ich ihn der Vollständigkeit halber doch mit aufführen.

Folgendes Bild ergibt sich, und dies sind die Schwerpunkte:

  1. Christus – in zweifacher Hinsicht Haupt: Haupt der Schöpfung – Haupt der Versammlung.
  2. Eine zweifache Versöhnung: Versöhnung aller Dinge – Versöhnung der Gläubigen (der Versammlung).
  3. Ein zweifacher Dienst des Apostels Paulus: Diener des Evangeliums (gepredigt in der ganzen Schöpfung; Vers 23) – Diener der Versammlung (um jeden Menschen vollkommen in Christus darzustellen; Vers 28).

So haben wir zwei wunderbare Linien, die beide direkt in dem Herrn Jesus gipfeln. Von allem ist Er das Haupt. Er hat Vorrang vor allem und allen anderen. Ihm sei die Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit!

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