Das Buch Esther

König Ahasveros

Ahasveros ist der persische Name des von den Griechen Xerxes I. genannten, weltgeschichtlich bekannten Königs von Persien, von dem Daniel 11,2 berichtet: „Siehe, es werden noch drei Könige (nach Kores) in Persien aufstehen, und der vierte wird größeren Reichtum erlangen als alle; und wenn er durch seinen Reichtum stark geworden ist, wird er alles gegen das Königreich Griechenland aufreizen“. Eben dies wird nun hier im ersten Kapitel des Buches Esther näher ausgeführt. Das dritte Jahr seiner Regierung war gerade das, während welchem der unglückliche Feldzug gegen Griechenland beschlossen wurde. Dazu vor allem lud Ahasveros alle seine Grossen, Fürsten, Gouverneure der 127 Provinzen, Heerführer usw. zu sich, und dazu entfaltete er seinen ungeheuren Reichtum und Glanz, um sie gegen seine Kriegspläne recht willfährig zu machen. Darum dauerte das Mahl so lange Zeit, ein ganzes halbes Jahr, und die sieben Tage des Festes für das ganze Volk von Susan soll wohl des Königs Antwort auf die erreichte Zusage zum Krieg sein. Die berichteten Einzelheiten mögen merkwürdig erscheinen, entsprechen aber durchaus den persischen Gepflogenheiten und Anschauungen jener Zeit.

In Bezug auf den persönlichen Charakter des Xerxes zeigt ihn die Weltgeschichte als einen echten orientalischen Despoten, der auch in einigen Zügen in Esther durchscheint, z. B. in seinem plötzlichen Jähzorn und seiner Unbeständigkeit, die ihn zum Spielball seiner Günstlinge machte und ihn dann nach ihrem Willen unbedenklich Zustimmung zur Hinschlachtung zahlreicher Menschen geben lässt. Aber auf seine Bedeutung als symbolische Figur hat dieser Charakter keinen Einfluss; er ist hier in seinen übrigen gemeldeten Eigenschaften ein Abbild Gottes, des Allmächtigen, selbst.

Ahasveros bedeutet: „Fürst der Erbschaft, welcher die Majestät hat“, als „Fürst der Fürsten“. Dies passt gut zu seinem ungeheuren Reich, welches nicht weniger als 127 Provinzen – sieben mehr noch als die seines Vaters – umfasste, von Indien bis Äthiopien reichend. Da Indien als das herrlichste Land der Erde gilt und Äthiopien „brennen“ bedeutet, haben wir in diesem Reich eine schwache Vorschattung Gottes als allmächtiger Herr des Weltalls, sowohl des Himmels als der Erde, dem alle Geschöpfe im Himmel wie auf Erden, aber auch die der Unterwelt, unterworfen sind. Unter dem persischen Weltreich – dem zweiten der Prophezeiung – bedeutete die Herrschaft des Königs nicht nur Ausübung von Macht, Gewalt und Willkür, sondern auch Vater des Volkes, das dem König nicht nur absolute Gefolgschaft zu leisten hatte, sondern auch alles zum glücklichen Leben empfing, was ja auch aus dem Esther-Bericht hervorgeht. Die symbolischen herrlichen Materialien wie Gold, Silber, weißer Byssus, Purpur usw., welche die königliche Herrlichkeit zum Ausdruck bringen sollen, kennen wir ja auch als Symbole der göttlichen Herrlichkeiten. Was wir in diesen ersten Versen vom König lesen, ist im Grund die Selbstoffenbarung seiner Herrlichkeit, seines Reichtums, der kostbaren Pracht seiner Majestät, seiner Freigebigkeit und in Bezug auf den besonderen Anlass auch seiner politischen Pläne; denn das alles konnte ja nur geschaut und gehört werden, wenn der König dies alles selber kundgab. Auch das ist eine Abschattung Gottes, wie Er es uns in Seinem Wort kundgibt. Wir können ja ebenfalls von Ihm, Seiner Herrlichkeit, Seinem Wesen, Seiner Heiligkeit, Seinem Urteil über die Sünde, von Seinen Ratschlüssen und Absichten mit uns, was alles ja unendlich über unser Denken und Erfassen hinausgeht, nur Kenntnis erlangen, wenn Gott uns dies selber offenbart und – hierin das Vorbild weit übertreffend – auch durch Seinen eigenen Heiligen Geist auftut und auslegt. (Vergleiche 1. Korinther 2). – Diese Feste des Königs und seine Freigebigkeit ohne Schranken entspricht der Gnade und Güte Gottes, die alle Menschen reichlich versorgt, sowohl Gute als Böse, und Seinem Willen und Ziel, sich mit seinem glücklichen Geschöpf freuen zu können. Auch im weiteren Verlauf des Buches finden sich Züge von Ahasveros, welche auf Gott, den Höchsten, hinweisen: Er gebietet selbstherrlich über Leben und Tod, sowohl Einzelner als ganzer Völker (Kapitel 1,19; 3,10; 8,8; 9,14); seine Anordnungen dulden keinen Widerruf (Kapitel 8,8); wenn er auf seinem Thron sitzt, darf niemand ungerufen nahen (Kapitel 4,11, vergleiche 2. Mose 33,19+20). Nur er kann Gnade walten lassen, selbst über das so unwiderrufliche Gesetz der Meder und Perser hinaus, und die Weigerung der Königin, dem Wunsch des Königs zu folgen, ist ein Staatsverbrechen, das Verurteilung zur Folge hat, gleichwie jede Sünde, ob klein oder groß, den Sünder von Gott völlig losreißt und die Lebensgemeinschaft mit Gott unmöglich macht. Alles dieses stempelt den König Ahasveros in dieser Erzählung zum Symbol Gottes selbst, wenn ja auch nur in gewissen Schranken.

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