Petrus: Fischer, Jünger und Apostel

6. Die letzten Stunden mit dem Herrn

Petrus: Fischer, Jünger und Apostel

Zum letzten Mal auf dem Weg nach Jerusalem

Der Dienst des vollkommenen Knechtes des HERRN unter seinem Volk näherte sich seinem Ende. Der Herr Jesus nahm die Zwölf zu sich und sagte ihnen, wohl zum letzten Mal: „Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und der Sohn des Menschen wird den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten überliefert werden; und sie werden ihn zum Tod verurteilen und werden ihn den Nationen überliefern; und sie werden ihn verspotten und ihn anspeien und ihn geißeln und töten; und nach drei Tagen wird er auferstehen“ (Mk 10,32-34).

Obwohl die Jünger diese erstaunlich genaue, bis ins Einzelne gehende Schilderung der Leiden, die ihrem Meister in den nächsten Tagen bevorstanden, immer noch nicht erfassten - „dieses Wort war vor ihnen verborgen, und sie begriffen das Gesagte nicht“ (Lk 18,34) - so ahnten sie doch, dass etwas Schreckliches auf sie zukam. „Sie entsetzten sich, und während sie nachfolgten, fürchteten sie sich“ (Mk 10,32). Ach, sie waren eine „kleine Herde“ (Lk 12,32) von Gläubigen, welche „die Kraft aus der Höhe“ (Lk 24,49) noch nicht besaßen und unfähig waren, in den Leiden des Christus Gemeinschaft mit Ihm zu haben.

In den kommenden Stunden wurde nicht nur der Herr selbst bis zum Äußersten geprüft, auch die Herzen der Jünger wurden erforscht. Aber während sich unter dem Druck der entsetzlichen Umstände bei Christus der ganze Wohlgeruch seines Namens und die Vollkommenheit seines Wesens offenbarten, kam bei ihnen ihre ganze Schwachheit, ja sogar die Natur des Fleisches zum Vorschein. Außer Judas, der kein neues Leben besaß, trat besonders Petrus unrühmlich in den Vordergrund, weil er die Mahnungen des Herrn Jesus nicht beachtete und die Kraft seiner Liebe zu Ihm unter Beweis stellen wollte.

Die Ereignisse wickelten sich nun in schneller Folge ab.

Vor allem sollte Christus noch, in Erfüllung der Prophezeiungen in Sacharja 9,9 und Psalm 118,26, unter dem Jubelruf und Lobgesang seiner Jünger in Jerusalem als König einziehen. Aber Er wusste, was Er in diesen Tagen zu erwarten hatte; Israel würde Ihn nicht jetzt, sondern erst viele Jahrhunderte später unter Buße und im Glauben als Messias aufnehmen. Als Er sich auf dem Esel unter „Hosianna“-Rufen seiner Nachfolger der Stadt näherte, weinte Er über sie, weil Er ihre Unbußfertigkeit kannte und im Geist das Gericht sah, das in wenigen Jahren über sie kommen sollte (Lk 19,28-44).

Weit entfernt davon, in Jerusalem seinen Thron aufrichten zu können, musste Er, in der Stadt angekommen, die Wechsler und die Taubenverkäufer aus dem Tempel Gottes vertreiben. Sie hatten sein Haus zu einer Räuberhöhle gemacht. Wie konnte Er da unter ihnen wohnen (Lk 19,45.46)?

Da die Führer des Volkes seine Autorität nicht anerkannten, betrachteten sie sein Tun als einen Eingriff in ihre Kompetenz und waren über diese Tempelreinigung sehr erbost. Nun wollten sie ihren Entschluss, Jesus umzubringen, bei der nächsten Gelegenheit ausführen.

Da fuhr Satan in Judas Iskariot, „welcher aus der Zahl der Zwölf war“ (Lk 22,3)! Liebe zum Geld hatte ihn schon zu einem „Dieb“ gemacht, und nun machte sie ihn gar noch zum „Verräter“ an seinem Herrn, mit dem er mehr als drei Jahre als Jünger gegangen war und dessen unendliche Liebe er erfahren hatte: „Er ging hin und besprach sich mit den Hohenpriestern und Hauptleuten, wie er ihn an sie überliefern könne“ (Lk 22,4), wohl in der Meinung, Er werde sich wie bisher seinen Verfolgern zu entziehen wissen. Dreißig Silberlinge waren ihm lieber als die wunderbare Person seines Meisters, und das war auch „der herrliche Preis“, dessen Er von den Führern des Volkes wertgeachtet war und den sie abwogen, um Ihn umzubringen (Sach 11,12.13).

Wie tief musste dieses schändliche Tun eines Jüngers den Herrn schmerzen! Aber wie hoch erfreute Ihn dagegen nun das Tun Marias in Bethanien: Sie nahm die kostbare Narde - nach der Schätzung der Jünger in einem Wert von dreihundert Denaren - und goss sie über Jesus aus (Mk 14,3-9). Er war ihrem Herzen so viel wert, dass sie Ihm alles opferte. Welch ein Gegensatz zu Judas und zu den Juden, ja selbst zu einigen Jüngern, die da fragten: „Wozu ist diese Vergeudung des Salböls geschehen?“ (vgl. Mt 26,8). Nur durch Buße und Glauben und nur zu seinen Füßen lernen wir erkennen, dass Christus, in dem die ganze Fülle der Gottheit wohnt, kostbarer ist als alles, was Erde und Himmel bieten können! Bald lernte auch Petrus Ihn so zu betrachten (vgl. 1. Pet 1,8).

Im Obergemach

Nun ist der erste Tag der ungesäuerten Brote angebrochen (Lk 22,7-13). Heute schlachtet man in allen Häusern das Passah. Auch der Herr will mit seinen Jüngern dieses Fest feiern, im Anschluss daran aber auch sein Mahl einsetzen, das fortan nicht mehr an die Erlösung in Ägypten, sondern an die durch den Tod und das Blut Jesu bewirkte ewige Erlösung erinnern soll.

Jesus sendet Petrus und Johannes und sagt: „Geht hin und bereitet uns das Passah, damit wir es essen“ (Lk 22,8). Er gibt ihnen genaue Anweisungen. Rührt es nicht unsere Herzen, dass gerade Petrus einer von den zweien sein darf, die der Herr mit diesem ehrenvollen Auftrag betraut, obwohl Er weiß, was dieser wenige Stunden später tun wird? Oh, Er liebt Petrus und alle die Seinen, die in der Welt sind, bis ans Ende (Joh 13,1). Seine Liebe verlässt uns nicht und erkaltet nicht, auch wenn wir untreu sind. Wie hilft uns diese Tatsache doch immer wieder, zu Ihm zurückzufinden!

Petrus und Johannes finden alles so vor, wie der Herr es ihnen gesagt hat: Da ist das Gastzimmer, das „mit Polstern“ belegte Obergemach (Lk 22,12), das der Hausherr dem Meister und seinen Jüngern willig zur Verfügung stellt. Jesus, der auf der Erde kein Haus hatte, fand in Bethanien und hier ein Heim bei den Seinen, die Ihn im Herzen aufgenommen hatten. Die beiden Jünger müssen nun das Lamm schlachten, am Feuer braten und auch für alle Zutaten, für die bitteren Kräuter, für Brot und Wein sorgen.

Und nun kommt der Herr mit den übrigen Jüngern. Ach, Er allein weiß, dass kurz nach diesem letzten Passah, das sie jetzt miteinander feiern, sein Leiden beginnt und dass dies das letzte Abendessen ist, an dem Er ungestört mit seinen Jüngern beisammen sein und ihnen so Vieles mitteilen kann, was wir besonders in den Kapiteln 13-17 des Johannes-Evangeliums wiederfinden. Während des Abendessens nun steht Jesus auf und trifft Vorbereitungen, um den Jüngern die Füße zu waschen (Joh 13,2-4). Weshalb tat Er es nicht vor dem Essen, wie es doch gebräuchlich war? Es scheint, dass Er damit gewartet hat, um einem der Jünger Zeit zu lassen, es zu tun. Aber in ihnen ist jetzt nicht die demütige Gesinnung, um sich zu einem solchen Sklavendienst herzugeben, wie sie in dem Menschen Jesus Christus jederzeit vorhanden war (Phil 2,5-8). Der Herr ist im Begriff, sich bis zum Tod am Kreuz zu erniedrigen; sie aber bringen es selbst in diesem Obergemach fertig, darüber zu streiten, wer wohl der Größte unter ihnen sei (Lk 22,24-30)! Selbst in solchen Augenblicken tritt das Fleisch hervor und zeigt seinen verwerflichen Charakter! Wie haben wir doch darüber zu wachen!

Ihr Herr und Lehrer wird ihnen (und uns) jetzt durch sein Beispiel eine wichtige praktische und tiefe geistliche Belehrung erteilen, die als ein bleibendes Mahnmal vor uns steht.

Er steht „von dem Abendessen auf und legt die Oberkleider ab; und er nahm ein leinenes Tuch und umgürtete sich. Dann gießt er Wasser in das Waschbecken und fing an, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem leinenen Tuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war“ (Joh 13,4.5).

Welch ein Bild: Er, der in Gestalt Gottes war, durch Den und für Den alle Dinge sind, nahm Knechtsgestalt an, um Gott zu dienen; und hier ist Er sogar in der Mitte seiner Jünger, die Er so unvergleichlich liebt, „der Dienende“! Er kniet vor einem jeden nieder, wäscht dessen staubige Füße und trocknet sie ab! Sklavendienst? Er kümmert sich nicht darum, weil seine Liebe Ihn drängt, den Seinen zu helfen und zu dienen und ihnen wohl zu tun!

Wie verlegen mochten die Jünger sein! Jeder von ihnen musste sich sagen: Das hätte ich eigentlich tun sollen! Aber jeder hatte der Größere, „der zu Tische Liegende“ sein wollen.

Als der Herr zu Petrus kam, gibt dieser dem Unbehagen Ausdruck, das wohl auch die übrigen empfanden: „Herr, du wäschst mir die Füße?“ - „Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber nachher verstehen“ (Joh 13,6.7).

Diese Antwort hätte Petrus von weiteren Einwürfen zurückhalten sollen. Wie schon mehrere Male, so vergaß er jetzt bei aller Ehrerbietung gegenüber dem Herrn, wer es war, der zu ihm redete. „Was ich tue, weißt du jetzt nicht“ - aber Petrus redete dennoch weiter, statt in stiller Demut die Erklärungen des Herrn abzuwarten. Hört es sich nicht fast so an, als ob hier der Jünger den Meister zurechtwiese? - Wie leicht kommt es vor, dass auch wir beim Hören oder Lesen des Wortes Gottes so handeln, dass wir Einwürfe machen, statt uns in Demut davor zu beugen und davor „zu zittern“ (Jes 66,2). „Ich lege meine Hand auf meinen Mund“, sagte Hiob nach vielen schmerzlichen Prüfungen (Hiob 40,4). So wird es bald auch Petrus ergehen.

Jetzt aber spricht er: „Niemals sollst du mir die Füße waschen!“ Doch Jesus antwortet ihm: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du kein Teil mit mir.“ Ohne die eigentliche Bedeutung der Fußwaschung zu verstehen, sagt Petrus schnell: „Herr, nicht meine Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt!“ (Joh 13,8.9). Ach, wenn das Waschen, das der Herr jetzt vornimmt, diese Wirkung hat, dann will ich aber ein volles Teil mit Ihm haben, so sagt sein Herz. Seine Zuneigung ist stark und echt, und der Herr weiß es trotz allem, was sich in den folgenden Stunden ereignen wird.

Aber auch dieser Einwurf ist nicht richtig, und der Herr antwortet sogleich: „Wer gebadet ist, hat nicht nötig, sich zu waschen, ausgenommen die Füße, sondern ist ganz rein; und ihr seid rein, aber nicht alle. Denn er kannte den, der ihn überliefern würde; darum sagte er: Ihr seid nicht alle rein“ (Joh 13,10.11). Judas, der Ihn verriet, war nicht wiedergeboren, aber Petrus, der Ihn „in dieser Nacht“ verleugnen würde, betrachtete Er als einer von denen, die durch den Glauben an Ihn „ganz rein“ sind. Wie mochte dieser arme Jünger sich an diesen Worten nach seinem Fall aufgerichtet haben!

Wir nun dürfen die symbolische Bedeutung dieser Handlung verstehen. Wir wollen hier nur kurz daran erinnern.

In den Kapiteln 13-17 versetzt sich der Herr Jesus im Geist in die Zeit, die seinem Werk auf Golgatha folgen würde. Er ist dann als der Auferstandene im Himmel und wird sich von dort her mit den Seinen, die „noch in der Welt sind“, in nie erlahmender Treue beschäftigen und ihnen alle Hilfsquellen aufschließen, die aus seinem vollendeten Werk hervorfließen. So ist auch die Fußwaschung eine wunderbare Hilfe aus dem Heiligtum. Er übt sie vom Himmel her an den Seinen aus, wenn Er sieht, dass ihnen durch die Berührung mit der Welt „Staub“, Verunreinigung, anhaftet. Er wendet dann das Wasser des Wortes auf unser Herz und Gewissen an, damit wir erkennen, dass und weshalb wir „das Teil mit Ihm“ nicht mehr genießen können. Sein Dienst setzt uns in den Stand, das zu richten, was zwischen Ihm und uns steht, und wäre es nur das Erhaschen eines Anblicks beim Gang durch die Straßen der Stadt oder das ungewollte Mitanhören eines Gesprächs über böse Dinge.

Unser Herr Jesus will aber auch die Seinen benutzen, um „einander die Füße zu waschen“. Nicht um die leiblichen Füße sollen wir uns kümmern, sondern um das geistliche Wohlergehen unserer Mitgeschwister. Dazu bedarf es aber ebensolcher Demut, wie der Herr sie hier an den Tag gelegt hat. Die einen Bruder zurechtweisen, sollen „geistlich“ sein und es im Geist der Sanftmut tun, im Bewusstsein, dass sie selbst versucht werden können (Gal 6,1) und schon so manches Mal gefehlt haben. Dazu sollen auch sie das Wasser des Wortes benutzen. Wie oft kommt der Herr mit einer Seele nicht zum Ziel, weil wir uns von Ihm nicht dazu gebrauchen lassen, den Dienst der Fußwaschung an ihr auszuüben. Darum sagt der Herr: „Wenn ihr dies wisst, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut“ (Joh 13,17).

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