Petrus: Fischer, Jünger und Apostel

4. Erfahrungen in der Nachfolge des Herrn

Petrus: Fischer, Jünger und Apostel

Petrus' Glaube in kritischer Stunde (Joh 6)

Johannes 6 berichtet uns von einem traurigen Geschehen, das für unseren Herrn überaus schmerzlich gewesen sein muss: „Von da an gingen viele von seinen Jüngern zurück und wandelten nicht mehr mit ihm“ (Joh 6,66).

Auch für die Zwölf war es traurig, wahrnehmen zu müssen, wie die Zahl derer, die tags zuvor noch mit Begeisterung ihrem Meister nachgefolgt waren, ständig abnahm. Ach, sie durchschauten die Beweggründe wohl nicht, die jene vielen Menschen zur Nachfolge veranlasst hatten (Joh 6,14.15). Sie meinten, je größer die Gefolgschaft, desto näher rücke der Tag der Erlösung Israels heran (Lk 24,21).

Auf welche Weise waren denn diese „Vielen“, die jetzt weggingen, zu Jüngern geworden?

Im zweiten Vers lesen wir: „Und eine große Volksmenge folgte ihm, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.“ Vor den Augen der Bewohner Galiläas und Judäas geschahen tagtäglich außerordentliche Dinge. Der HERR selbst, der in Ägypten und in der Wüste gewaltige Wunder getan hatte, war jetzt in der Person Jesu, des Sohnes des Menschen, in der Mitte des Volkes. Er durchzog mit seinen Jüngern Dorf um Dorf und Stadt um Stadt und predigte ihnen das Evangelium vom Reich Gottes (Lk 4,43.44). Überall versammelte sich eine große Menge Volk zu Ihm; besonders wohl, weil sein Zeugnis der Worte von einem machtvollen Zeugnis der Werke begleitet war. Er tat Wunder und heilte Kranke in einem bis dahin noch nie gesehenen Ausmaß. In Kapernaum zum Beispiel „brachten alle, die Kranke mit mancherlei Leiden hatten, diese zu ihm; er aber legte jedem von ihnen die Hände auf und heilte sie. Aber auch Dämonen fuhren von vielen aus“ (Lk 4,40.41). Diese Heilungen wiesen Ihn aus als den „Gesandten Gottes“ und als den „kommenden“ Messias (Lk 4,18.21; Mt 11,2-6).

Wenn durch diese Heilungen im ganzen Land in so vielen Häusern ein Feuer der Freude angezündet wurde, war es da verwunderlich, wenn das Volk Ihm nachlief und Ihm anhing?

Doch das sind nicht die „Jünger“, die der Herr Jesus sucht. Jetzt, hier in Johannes 6, war der Augenblick gekommen, wo Er ihnen dies deutlich machen musste.

Eben hatte Er ein neues Wunder gewirkt: die Speisung der Fünftausend! Alle, die daran teilgenommen hatten, waren ganz erfüllt davon. „Dieser ist wahrhaftig der Prophet, der in die Welt kommen soll“, so sagten sie zueinander und waren sich einig, ihn zum König zu machen (Joh 6,14.15). Sie dachten: Das ist es, was wir brauchen, einen König, der in dieser Weise für unsere materiellen Bedürfnisse und für unsere Kranken besorgt ist.

Aber sie bedachten eines nicht: Christus konnte nicht über ein Volk regieren, das nicht wiedergeboren war. Darum rief Er ihnen zu: „Wirkt nicht für die Speise, die vergeht“ (Joh 6,27). Kümmert euch nicht um die materiellen, sondern vor allem um die ewigen Bedürfnisse eurer Seele. Eure Väter, die in der Wüste Manna gegessen haben, um ihren leiblichen Hunger zu stillen, sind gestorben. Nun aber bin ich da. „Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist; wenn jemand von diesem Brot isst, wird er leben in Ewigkeit“ (Joh 6,51). Mit anderen Worten: Der Mensch muss in einem wahrhaft bußfertigen Herzen Den im Glauben aufnehmen, der vom Himmel herabgekommen ist, und zwar nicht nur als einen auf der Erde lebenden, sondern als einen für ihn gestorbenen und auferstandenen Heiland. „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben“ (Joh 6,54). Auf keinem anderen Boden gibt es eine wahre Lebensverbindung mit Gott und seinem Christus. Das war es, kurz zusammengefasst, was Er ihnen mit aller Deutlichkeit vorstellte.

Was war nun die Reaktion auf diese Worte unter den „Vielen“, die Jesus nachgefolgt waren? Sie murrten und sprachen: „Diese Rede ist hart; wer kann sie hören?“ (Joh 6,60). Hören zu müssen, dass der Mensch mit allem, was er im Fleisch ist und wirkt, vor Gott nichts ist, hören zu müssen, dass er nur auf dem Boden der Gnade, in Verbindung mit dem Werk Christi Leben haben kann - das ist für die meisten eine demütigende, bittere Wahrheit, worüber sie sich ärgern und worunter sie sich nicht beugen wollen. Damals so wenig wie heute.

Versetzen wir uns nun einen Augenblick in jene Szene! Da stand der Herr mit den Zwölfen und ringsum die vielen Scheinjünger in der Volksmenge, die um irdischer Interessen willen dem Herrn als dem König hatten zujubeln wollen. Er hatte seine „harte Rede“ vollendet, und nun sah man Gruppe um Gruppe sich enttäuscht von der Menge lösen, bis der Haufen immer kleiner und kleiner wurde. War das nun die Frucht der Predigt Jesu, die von einem überaus mächtigen Zeugnis der Werke begleitet war? Ach, diese Menschen waren die Kinder der Väter, die in der Wüste vierzig Jahre lang die Wunderwerke des HERRN gesehen hatten und doch nicht glaubten, sondern ihre Herzen verhärteten und nicht in die Ruhe Gottes eingehen konnten (Heb 3,7-11)! - Auch unsere heutige Generation, die dem Wort Gottes nicht glauben will, würde nicht überzeugt werden, wenn sie Wunder sähe oder wenn ein Prediger aus dem Totenreich zu ihnen käme (Lk 16,27-31). Es mangelt nicht an Wundern, sondern an Herzen, die sich vor Gott beugen und sich vom Vater zum Sohn ziehen lassen (Joh 6,44).

In dieser kritischen Stunde, wo sich die bösen Herzen des Volkes in solch trauriger Weise kundtaten, leuchtete hell auf, was Gott an den Seelen der Zwölf getan hatte, Judas ausgenommen (Joh 6,70.71). Als der Herr alle diese Menschen von Ihm weglaufen sah, fragte Er seine Jünger: „Wollt ihr etwa auch weggehen?“ Da gab Ihm Petrus die schöne Antwort: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist“ (Joh 6,67-69).

Wenn Petrus auch in mancher Hinsicht unwissend war und vieles nicht zu „tragen“ vermochte, weil der Geist der Wahrheit noch nicht gekommen war (Joh 16,12-13), so hatte er doch die tiefe Überzeugung, dass nur Jesus das geben konnte, was den größten Besitz seines Herzens darstellte: Durch den Glauben an die Worte und an die Person des Herrn hatte er ewiges Leben empfangen. Durch den Glauben waren ihm die Augen über Ihn aufgegangen, und er hatte schon erkannt, dass Jesus der „Heilige Gottes“ ist. Diesem Glauben sollten im Lauf seines Lebens noch viele herrliche Offenbarungen hinzugefügt werden. Der Glaube an Jesus Christus führte ihn immer mehr zum Frohlocken „mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude“ (1. Pet 1,8). Nein, diesen „kostbaren Glauben“ (2. Pet 1,1), den er empfangen hatte, wollte er nie und nimmer preisgeben!

Was der Vater Petrus offenbarte (Mt 16,13-17)

„Als aber Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi gekommen war, fragte er seine Jünger und sprach: Wer sagen die Menschen, dass ich, der Sohn des Menschen, sei?“ (Mt 16,13). Welch wichtige Frage! Die Antwort, die die Menschen darauf geben, bestimmt ihr zeitliches und ewiges Los. An der Person Jesu Christi scheiden sich ihre Wege. Die Jünger hatten unter dem Volk viele Stimmen vernommen und sagten: „Die einen: Johannes der Täufer; andere aber: Elia; und wieder andere: Jeremia oder sonst einer der Propheten“ (Mt 16,14). Keine dieser Antworten war richtig, wenn sie auch noch so wohlwollend klingen mochten. Keine stützte sich auf ein Zeugnis Gottes über Jesus. Hatte denn Johannes der Täufer nicht ausgerufen: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt?“ (Joh 1,29). Und war bei der Taufe am Jordan nicht eine Stimme aus den Himmeln gekommen, die gesagt hatte: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17)? - Auch heute handeln die Menschen ähnlich. Die Frage: „Wer ist Jesus?“, versuchen sie mit dem eigenen Verstand zu beantworten. Sie nennen Ihn Wohltäter, Religionsstifter etc., statt dass sie zu ihrem eigenen Heil in der Heiligen Schrift nachforschen, was Gott über Ihn sagt.

Dann aber fragte der Herr Jesus auch die Jünger: „Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?“ (Mt 16,15). Eine wichtige Frage an Gläubige. Das wird uns am Beispiel von Petrus klar.

Wie wir sahen, hat er als „sündiger Mensch“ auf dem See Genezareth Jesus als Heiland kennen gelernt (Lk 5). Zur Nachfolge berufen, durfte er Ihn dann als Helfer in jeder Not erfahren, der seinen Jünger durch Sturm und Wellen, durch die widrigsten Umstände hindurch bewahren und aufrechterhalten kann, wenn dieser nur seinen Blick im Glauben auf Ihn gerichtet hält (Mt 14). Er war auch ein Vorbild für Petrus geworden im Umgang mit Gott und mit den Menschen, wie auch in seinem Dienst.

War das nun alles, was Jesus für Petrus sein konnte? Nein, oh nein! Gott, der Vater, der von Ewigkeit zu Ewigkeit seine ganze Wonne an seinem Sohn findet, nimmt den Gläubigen sozusagen bei der Hand und will ihm an dessen Person eine Herrlichkeit um die andere zeigen, damit Er mit dem Gläubigen über seinen Geliebten Gemeinschaft haben kann.

Als daher Petrus im Namen der Zwölf dem Herrn die Antwort gab: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“, erwiderte ihm Jesus: „Glückselig bist du, Simon, Bar Jona; denn Fleisch und Blut haben es dir nicht offenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist“ (Mt 16,16.17). In die Erkenntnis der persönlichen Herrlichkeit des Herrn, also in die Quelle und den Mittelpunkt jeder Segnung eingeführt zu werden und darin zu bleiben, bedeutet für uns höchste Glückseligkeit. (Die Tragweite dieser ihm offenbarten Wahrheiten erfasste Petrus allerdings erst, nachdem er die Gabe des Heiligen Geistes empfangen hatte.)

Petrus hat jetzt in Jesus, dem Sohn des Menschen, den Christus, den Träger aller Verheißungen erkannt, auf den sich alle Ratschlüsse Gottes beziehen. Und er durfte auch wissen, dass dieser Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist, der wie der Vater Leben in sich selbst hat, in seiner ganzen Fülle (Joh 5,26).

„Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?“ Diese Frage stellt der Herr auch uns. Möge Er unseren Herzen immer größer und kostbarer werden!

Was der Sohn Petrus offenbart (Mt 16,18-19)

Nun fährt der Herr fort: „Aber auch ich sage dir: Du bist Petrus; und auf diesen Felsen werde ich meine Versammlung bauen, und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Reiches der Himmel geben; und was irgend du auf der Erde binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein, und was irgend du auf der Erde lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein.“

Kaum hat Petrus zum Ausdruck gebracht, was ihm der Vater von der persönlichen Herrlichkeit des Herrn kundgetan hat, offenbart ihm der Sohn, in welcher Beziehung diese seine Herrlichkeit als Sohn des lebendigen Gottes fortan zum einzelnen Gläubigen wie auch zur Gesamtheit seiner Erlösten stehen wird. Wenn unser Herz seine Freude in Ihm findet, so teilt Er uns auch mit, was die Wonne seines Herzens ausmacht. Wir können die wichtigen Punkte seiner Mitteilungen hier nur ganz kurz zusammenfassen.

Nachdem der Herr sein Werk vollbracht hat, auferstanden und verherrlicht ist, wird Folgendes geschehen:

1. Petrus (Stein) wird, wie jeder an den Sohn Gottes Glaubende, als ein lebendiger Stein einem geistlichen Haus zugefügt (1. Pet 2,4.5).

2. Dieses geistliche Haus ist die Versammlung. Sie besteht aus allen denen, die durch den Glauben Anteil haben an seinem Leben. Sie ist gegründet auf Ihn, den Sohn des lebendigen Gottes, den ewigen Felsen des Lebens selbst. Er ist es, der als der Auferstandene (Röm 1,4) diese Versammlung baut, Er, der sowohl den Tod als auch den zunichtegemacht hat, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel (2. Tim 1,10; Heb 2,14). Die Pforten des Hades werden sie daher nicht überwältigen.

3. Aufgrund der Offenbarung des Sohnes des lebendigen Gottes gibt es in dieser Welt nun anstelle Israels eine neue Haushaltung, das Reich der Himmel, einen Boden, auf den der Mensch treten und bekennen kann, Ihm anzugehören. Form und Ausdehnung dieses Reiches stimmen zurzeit mit denen der bekennenden Christenheit überein, bis Christus kommt, um seine Herrschaft in Macht aufzurichten. - Die Schlüssel zu diesem Reich wird der Herr Petrus geben: In den ersten Tagen der Apostelgeschichte wird er das Werkzeug sein, um Juden und Heiden in diese neue Szene der Segnungen auf der Erde einzuführen. Es wird ihm sozusagen die Verwaltung dieses Reiches anvertraut, die Macht, auf der Erde zu binden und zu lösen.

Wie überaus wichtig ist doch die Erkenntnis der persönlichen Herrlichkeit des Herrn! Obwohl sie bei Petrus zu diesem Zeitpunkt noch recht schwach gewesen sein mochte, öffnete sie ihm doch den Ausblick auf alle diese unendlichen Kreise der Segnungen, deren Mittelpunkt Christus ist. Und mit welchem Eifer ist er dann im gegebenen Augenblick in alle diese Dinge eingetreten!

Da wollen wir uns fragen: Nehmen auch wir Anteil an dem, was die Wonne des Herzens unseres teuren Herrn ausmacht - an seiner Versammlung? Sie nimmt in den Schriften des Neuen Testaments einen großen Platz ein. Lasst sie uns mit seinen Augen betrachten und über alle diese Belehrungen viel nachsinnen; es werden für unsere Herzen kostbare Schätze der Erkenntnis sein. Auf diese Weise haben wir Interessengemeinschaft mit dem Sohn des lebendigen Gottes.

Petrus ist für den Herrn Jesus ein Ärgernis (Mt 16,21-23)

Petrus hatte vom „Vater“ wunderbare Offenbarungen über die persönliche Herrlichkeit des Herrn Jesus empfangen. Und Er, der „Sohn“, hatte ihm kostbare Mitteilungen gemacht über erhabene Ratschlüsse Gottes: Der Bau der Versammlung stand unmittelbar bevor und das Reich der Himmel sollte nun seinen Anfang nehmen, und an beiden Bereichen wird Petrus als Apostel durch Gnade hervorragenden, bleibenden Anteil haben.

Aber eine Wahrheit von allergrößter Bedeutung ist seinem Verständnis bis jetzt verschlossen geblieben: Der Sohn des lebendigen Gottes, der Leben in sich selbst hat, kann dieses Leben den sündigen Menschen nur mitteilen, wenn Er als der gute Hirte für sie sein Leben lässt (Joh 10,10.11). Christus kann die unzähligen herrlichen Verheißungen der Propheten in der Aufrichtung seines Reiches nur aufgrund seines Erlösungswerkes erfüllen. Die Versammlung kann durch den Heiligen Geist erst gebildet werden, nachdem Christus „sich selbst für sie hingegeben hat“ (Eph 5,25), auferstanden und verherrlicht ist.

Statt im Leidensweg Jesu die Voraussetzung und die Grundlage für seine irdischen Hoffnungen zu sehen, meinte Petrus, der Tod Christi mache alle seine Erwartungen zunichte. So nur können wir begreifen, was dieser Jünger nun tut.

Als Jesus ihm und den Jüngern allen jetzt sagt, „dass er nach Jerusalem hingehen müsse und von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten vieles leiden und getötet und am dritten Tag auferweckt werden müsse“, bäumt sich sein Inneres dagegen auf. In seiner impulsiven Art nimmt er Jesus beiseite, als ob Dieser seinesgleichen wäre, und sagt tadelnd zu Ihm: „Gott behüte dich, Herr! Dies wird dir nicht widerfahren“ (Mt 16,21.22).

Welcher Gegensatz!

Da ist der Herr Jesus, der auf dem Pfad der Abhängigkeit vollkommen Schritt hält mit dem Willen Gottes, der Ihn - wie Er wohl weiß - ans Kreuz führen wird. Sein Entschluss steht fest: Er will sich selbst erniedrigen und gehorsam bleiben bis zum Tod am Kreuz, damit Gottes Ratschlüsse der Gnade zur Ausführung kommen können (Phil 2,8).

Und da ist Petrus, der sich hierin auf einen ganz anderen Boden stellt: Er geht nicht vom Wort und vom Willen Gottes aus, sondern von seinen eigenen Gedanken, die ihm so vernünftig scheinen, und von seinen eigenen, natürlichen Gefühlen. Sind diese denn nicht gut, wenn sie sein Herz mit warmer Zuneigung zu seinem Meister erfüllen und ihn drängen, den Herrn von diesem Weg der Leiden zurückzuhalten? Ach, er merkt nicht, dass er „auf das sinnt, was der Menschen ist“, also dem Fleisch Raum gibt, das dem Geist, der Jesus erfüllt, völlig entgegengesetzt ist. Er weiß nicht, dass Satan zugegen ist, der die fleischliche Gesinnung des Jüngers benutzt, um ihn zu seinem Werkzeug zu machen, mit dem er Jesus von der Ausführung des Werkes Gottes abhalten will. Er hat noch nicht erkannt, dass der Widersacher mit seiner eigenen menschlichen Natur im Einklang steht und diese so verderbt ist.

Jesus wendet sich um und sagt zu Petrus: „Geh hinter mich, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, denn du sinnst nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist“ (Mt 16,23).

Armer Petrus! Wie muss ihn dieses Wort erschreckt haben! Er ist Jesus zum Ärgernis geworden, weil er die empfangenen hohen Offenbarungen noch so wenig verstand und in Selbstsicherheit es wagte, seine eigenen Gedanken den Worten des Herrn entgegenzustellen!

Das Kreuz und die Nachfolge Christi (Mt 16,24-27)

Nach seiner Bekehrung hatte Petrus ohne Zögern alles verlassen, um Jesus, seinem Meister, der ihn berief, mit Hingabe nachzufolgen. Wie viele kostbare Erfahrungen hat er seither im vertrauten Umgang mit Ihm gemacht, obwohl jeder Tag anstrengende, mühevolle Arbeit mit sich brachte! Jünger des vollkommenen Dieners zu sein, der seine Kraft in beispielloser Hingabe an Gott im Dienst unter den Menschen verzehrte, trug auch den Zwölfen viele Mühsale ein. Und wenn ihr Herr auf Schritt und Tritt den „Widerspruch von den Sündern“ gegen sich erduldete, so blieben auch sie nicht davon verschont (Heb 12,3).

Doch kommen wir hier nun zu einer überaus wichtigen Frage: Ist das, was Petrus erlebte und bisher unter Nachfolge verstand, der ganze Sinn, das wahre Wesen der Nachfolge Christi, zu der heute jeder wiedergeborene Christ berufen ist?

Viele Christen werden diese Frage bejahen. Sie haben - wie Petrus - diesen Weg hinter Jesus her mit einer echten Bekehrung begonnen. Wie Petrus bis dahin einem auf der Erde lebenden Christus und seinem Beispiel nachfolgte, so meinen dann auch diese Christen, es gehe nur darum. Und wenn Jesus in der Bergpredigt und anderen Belehrungen seinen damaligen Jüngern die sittlichen Grundsätze seines Reiches darlegte, so betrachten auch sie diese Grundsätze als das oberste Lebensgesetz, dem sie sich nun zu unterwerfen haben. Dabei wird jeder, der dies aufrichtig zu tun begehrt, bald merken, dass sich böse Neigungen, sündige Lüste und Begierden in ihm regen, zu deren Bezähmung er kein anderes Mittel kennt als den ständigen Kampf unter Zuhilfenahme der Gnade Gottes.

Fragst du diese Christen, was ihnen denn das Kreuz Christi bedeute, so wissen sie höchstens zu sagen: Dort ist Christus als Erlöser gestorben, damit uns Menschen Vergebung zuteil werden kann. Und fragst du weiter, was das Kreuz in ihrem Leben sei, so geben sie die verkehrte Antwort: Das sind die uns von Gott auferlegten Prüfungen und Schwierigkeiten. Wir sollen in Ergebenheit geduldige Kreuzträger sein.

Aber das ist nicht die Summe dessen, was das Herabkommen Jesu Christi und sein Kreuz für uns bedeutet. Im Zusammenhang mit dem Zwischenfall, bei dem Petrus durch seine fleischliche Gesinnung Ihm zum Ärgernis geworden ist, sprach Jesus eine grundlegende Wahrheit aus, deren Bedeutung Petrus erst nach der Himmelfahrt Christi durch die Belehrungen des Heiligen Geistes erfassen konnte, wie sie in den Briefen des Neuen Testaments nun auch uns gegeben sind. Er sagte zu seinen Jüngern: „Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach“ (Mt 16,24).

Dieses Wort umfasst drei Teile, die jeder Gläubige wohl beachten sollte.

1. „Wer mir nachkommen will, verleugne sich selbst.“

Jesus sagt nicht: Wer mir nachfolgen will, verleugne diese und jene Neigungen, Lüste und Begierden. Nein, sich selbst soll er verleugnen.

Wer ist imstande, dies zu tun?

Nur wer durch lebendigen Glauben mit Christus und seinem Erlösungswerk einsgemacht worden ist. Einem solchen gibt Gottes Wort das Zeugnis: Er ist „mit ihm einsgemacht … in der Gleichheit seines Todes“, also „mit Christus gestorben“ (Röm 6,5.8); er ist aber auch „mit dem Christus lebendig gemacht“ (Eph 2,5). Er ist nun „in Christus“ und somit „eine neue Schöpfung“, ein „neuer Mensch“ (2. Kor 5,17). Als solcher befindet er sich der Stellung nach nicht mehr „im Fleisch, sondern im Geist“, denn Gottes Geist, die Kraft des neuen Lebens, wohnt in ihm (Röm 8,9). Das alles sind Ergebnisse des Werkes Christi, die jedem Glaubenden geschenkt werden.

Wie nun kann der Erlöste, von dem dies alles gesagt wird, sich selbst verleugnen?

Indem er sich in einfältigem Glauben auf diese klaren Zeugnisse des göttlich inspirierten Wortes stützt, auch wenn er gar nichts davon fühlt. Und wenn er weiß, dass in Christus sein altes „Ich“ gekreuzigt ist, braucht er diese Glaubenstatsachen in seinem täglichen Leben nur in die Wirklichkeit umzusetzen, indem er sie sich ständig vor Augen hält (Gal 2,20; Röm 6,2.14). Er darf nun in der Kraft des Geistes vorangehen, der ihn mit Christus erfüllt und sein Herz auf das lenkt, was Gott wohlgefällig ist. Im Geist wandelnd unterwirft er seinen eigenen Willen dem Willen Gottes und übt sich in der Abhängigkeit von Ihm.

2. „Wer mir nachkommen will, ... nehme sein Kreuz auf.“

Hier geht es - wie gesagt - nicht um das, was Gott denen an Prüfungen und Lebensbürden auferlegt, die Christus nachfolgen, sondern um die Reaktion der Welt um uns her, wenn wir es mit der Selbstverleugnung, zu der am Kreuz die Grundlage geschaffen wurde, ernst nehmen. Wir bezeugen dadurch unser Einssein mit Christus, den die Welt verworfen und gekreuzigt hat. Daher werden wir auch Anteil haben an der Verachtung, mit der sie seinem Namen begegnet, und werden seine Schmach tragen. Jesus sagte zu den Jüngern: „Wenn ihr von der Welt wäret, würde die Welt das Ihre lieb haben; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt auserwählt habe, darum hasst euch die Welt“ (Joh 15,19). Dieses Kreuz sollen wir „aufnehmen“ und ihm nicht zu entfliehen suchen.

3. „... und folge mir nach.“

Möge niemand vor den Kosten der Nachfolge zurückschrecken! Lasst uns bedenken: Es ist der Pfad hinter dem Herrn Jesus her. Seine Person überwiegt alles. Auf einem anderen Weg können wir seine Nähe, seine Gemeinschaft, seinen Frieden und seine Freude nicht genießen. Wir sind aufgerufen, auf Ihn zu blicken und uns von Ihm zu nähren, so dass unsere Gedanken, Empfindungen und Handlungen durch Ihn gebildet werden. Weder die Widerstände noch die Wogen der Verachtung und Feindschaft um uns her, die sich erheben können, sollen uns von Ihm ablenken. So wird der Weg seiner Nachfolge zum Weg der Glückseligkeit und des Segens.

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